Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
A &13
>"■'"' '^••»
1^.
ARCHIV
NISCHE LEXIKOGRAPHIE
u.,D GRAMMATIK
MIT EINSCHLUSS DES
ÄLTEREN MITTELLATEINS.
ALS ERGÄNZUNG ZU DEM
THESAURUS LINGUAE LATINAE
nGRAnSOEGEBEN VON
EDUARD VON WÖLFFLIN,
OftDESTL. PSOVBSaOB DBB XLABI. PHIIiOLOOlB AM DBB UHlVKBHlTÄT MÜMCUBN.
• * •. «
ZWÖLFTER BAND.
• - V » t
THIS ITEM HAS BEEN Mlrsncn .-^
STANFORD UNlS^SSS".^^
SUL CATALOGFORLO^ATON ^^^'
TEUBNER.
■» j •
• • •
%" * ' *
• • •
• • • •• •• *
••••••
• • « * • ,
• •• •••••
••••• !•••« •••••
••••• • • ••,
• • ••
•
•
• •_ ••••• , , •
••.. . •
•••••
••••• • •
• • • • ••
'•••• •• •
. .
•■
ALLE RECHTE,
ElNSGHLIKS8LIi;il DES ÜBKRSETZUNOSRKCirrs, VORBEHALTEN.
Inhalt.
Seite
Moderne Lexikographie. Vom Herausgeber 373
Beiträge zu den Tironischen Noten. Von W. Heraeua 27
Epitome. Vom Herausgeber 383
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. 11. ÜI. IV. Von Meader-
Wölfflin 239. 355. 473
Die Bildungen auf -enuB. Von Bob. Planta 367
Analogiebildungen auf -ellus. Vom Herausgeber 301
Grammatikalisch-lexikalische Notizen. Von Fr. Skuisch 197
Zur Phraseologie der lat. Grabinschriften. Von J. E. Church. ... 215
Das Defectivum odi und sein Ersatz. Von Gust. Landgraf 149
Studien zum poetischen Plural. Von Paul Maas 479
Die römische Soldatensprache. Von W. Heraeus 255
Die Nachahmung in der latein. Prosa. Vom Herausgeber 114
Die archaische Inschrift vom Forum Eomanum. Von W. Otto ... 102
Sprachliches zum Bellum Hispaniense. Vom Herausgeber 159
Plinius und Cluviuc Rufus. Vom Herausgeber 345
Das Alter der Martial- Lemmata. Von Gust. Landgraf 456
Lexikal. Bemerkungen zu Apuleius. Von Friedr. Leo 96
Die Hegesippusfrage. Von Gust. Landgraf 466
Zur Mulomedicina Chironis. I. 11. Von E. Lommatzsch 401. 551
Die neue Epitoma Alexandri. Vom Herausgeber 187
Zur Latinität der Epitome Caesarum. Vom Herausgeber 445
Die Epitome des lulius Exuperantius. Von Weyman-Landgraf . . . 561
Zu CaeliuB Aurelianus. I. 11. Von G. Hdmreich 173. 309
Der Papst Gelasius als Stilist. Vom Herausgeber 1
Epistola Pseudohippocratis. Von Herrn. Stadler 21
Die Vorrede des .latein. Dioscorides. Von Herrn. Stadlei' 11
Mlscellen,
Seite
Zur Psychologie der Völker des Altertums. Vom Herausgeber. ... 26
Zur lateinischen Wortbildung. Von Ä. Zimmermann 132. 365
Die Endung -por in Gaipor. Von Ä. Zimmermann 281
Lat. Personennamen. Von A. Zimmermann 584
Das Suffix -aster. Vom Herausgeber 419
Zum Thesaurus Glossarum. Von A. Sonny 125
Göttweiger Italafragmente. Vom Herausgeber 130
701^9
a*
rV Verzeichnis der angezeigten Schriften.
Seite
Titülns MummianuB. Vom Heraasgeher 354
Zum Genetivus qnalitatis. Von Rieh. Förster 129
Die Capfcivi des Piautas. Von WiUi. Christ 283
Zu den Donatscholien. Von P. Wessner 284
Ab {El. Lottes) 578. abaso (M. Stoivasser) 579. agnellus. agellus (Heraus-
geber) 366. agricola {Herausgeher) 454. ampla {Osk. Hey) 280. amu-
Bus (P. Wessner) 477. angolus (Älfr. Klotz) 94. animaequitardare
{Eb. Nestle) 331. anxio {J. E. P. Mayor) 400.
Besta {J. E. B. Mayor) 400. 602. biduom (Sommer) 583. bruta (G. Gufider-
mann) 441. bubia (Ov. Densitsianu) 425.
Caitho (El. Lottes) 578. Campania {Ben. Dombart) 128. carms (Ov. Den-
susianu) 425. cathedra (J. Comu) 282. causator (Gust. Landgraf) 284.
condecibilis (Herausgeber) 124. conquinisco (Herausgeber) 281.
Dextrator (Eb. Nestle) 581. domo (Friedr. Vogel) 424.
£n, enim (M. Stowasser) 414.
Ferens (Hans Möller) 463. fovea (J. Comu) 560. Fufidius (Herausgeber) 280.
Gerere matrem (Herausgeber) 453. glos. gluttit. gluma (G. Gundermann)
413.
HibuB bei Terenz (L. Havel) 282.
Infrngifer (J. E. B. Mayor) 400.
Latro (Fr. Vogel) 424. Lucania (Herausgeber) 332.
Maniculus (Hei-aitsgeber) 20. materi mater (Elia Lottes) 132.
Nempe (M. Stowasser) 417.
Orvia (G. Gundermann) 411. oricula (P. Wessner).
Paricida (Herausgeber) 171. proventare (L. Havet) 124. propitius, propior
(Herausgeber) 421. puUus = Hahn (J. Coi-nu) 186.
BntiluB (Herausgeber) 20.
Salus (K. Brugmann) 422. signum = Glocke (Herausgeber) 26. simo
== delphinus (W. Heraeus) 129. similis (Herausgeber) 478.
Thyrsa, Neutr. plur. (Älfr. Klotz) 130. tutarchns (TT. Heraeus) 93.
über, ubera (Herausgeber) 560.
Vicatim (Herausgeber) 124.
Nekrolog. Karl Schenkl (E'dm. Hauler) 147
Verzeichnis der angezeigten Schriften.
Seite
Abbott, Frank Fr. The use of repetition in Latin 429
Babcock, C. L. A study in case rivalry 428
Birt, Theod. Der Hiat bei Plautus und die lat. Aspiration bis zum
10. Jahrh. nach Chr 290
Bonnet, Max. Les histoires de Salluste 145
Verzeichnis der angezeigten Schriften. Y
Seite
Breidenbach, Heinr. Über die tiron. Noten 148
Brngmann, Karl. Wesen der Wortzusammensetzung 289
Gamozzi, Ghiido. Granins Licinianns 440
Cappelli, Adriano. Lexicon abbreviatoramm 444
CrOnert, Wilh. Passows griecb. Wörterbuch 287
Gurschmann, J. Inversion der röm. Eigennamen 148
Densusianu, Ov. Histoire de la Langue Boumaine 597
Detlefs en, D. Quam und seine Zusammensetzungen 140
„ „ Pete und seine Verwendung im Latein 298
Drescher, Friedr. Beiträge zur Liviusepitome 146
Förster, Rieh. Easusangleichxmg des Pronom. relat 142
Freund, Joh. Wolfg. De Suetonii genere dicendi 294
Gläsener, H. Grammatik des Lactanz 437
GOlzer-Riemann, Phon^tique etc 288
Götz, G. Thesaurus glossarum emendatarum 286
Hoff mann, Eman. Augustini de civit. dei .... % 145
Huvelin, P. Tablettes magiques 601
Ihm, Max. Rieh. Bentlejs Suetonkritik 438
Knöll, Pius. Augustini retractationum libri duo 601
Körting, Gust. Latein.-roman. Wörterbuch 287
Lobreton, Jules. Langue et grammaire de Cic^ron 430
„ „ Gaesariana syntaxis etc 434
Leder er, J. Fr. Index verborum in Solinum 426
Lessing, Gar. Scriptorum hist. Aug. lexicon 426. 588
Lindsaj, W. A. Plauti Captivi 295
Lodge, Gonzalez. Lexicon Plautinum 688
Long, Om. Floyd. Quotiens, quotienscunque 589
Macä, Ale. Isidori differentiarum über 297
Menge, Herm. Latein. Synonymik 139
Meyer, Paul. Gic. Briefe an Atticus 144
Morawski, Gas. Rhetorum Rom. ampuUae 437
Morin, Germ. Regula S. Benedicti 297
Noyäk, Rob. In panegyricos latinos studia grammatica et critiea . 599
Oder, Eug. Glaudii Hermeri mulomedicina 439
Osthofff, Herm. Etymologische Parerga 589
Persson, P. Gerundium et gerundivum 140
Peter, Herm. Der Brief in der röm. Litteratur ^ . . . . 298
Pfeiffer, Gust. Roman. Wortforschung. 11 138
Pirson, Jules. Inscr. latines de la Gaule 298
Pradel, Frid. De praepositionum in prisca latinitate vi atque usu . 593
Rand, Eennard. Boethius de fide catholica 441
Reifsinger, K. Praepos. ob und propter 141
Reiter, Siegfr. Etymologie von elementum 138
Schenkl, Garl. Ambrosii expositio evangelii secundum Lucan . . . 600
Sjögren, H. De particulis copulativis etc 141
Sommer, Ferd. Lat. Laut- und Formenlehre 591
Sorn, Job. Liber memor. des L. Ampelius 438
Spejer, J. S. Edepol. . . . .^ 427
VI Verzeichnis der angezeigten Schriften.
S«ite
Spindler, Prosp. De Amobii genere dicendi 435
Stadler, Herrn. Dioscorides Langobardus 444
Stöcklein, Job. Latein. Analogieformen 139
Teichmüller, F. Ambire, ambitio etc 286
Thiel, Aug. luvenalis graeciBsans 434
Vrba-Zycha. Augustini opera 600
Wagener-Neue. Latein. Formenlehre. 1 428
Waltzing, Lexique de Piaute. I 134
Warren, Minton. On some ancient and modern etymologies .... 580
Webster, Rieh. Elegies of Maximianus 442
Wolff, Jul. De clauBulis Ciceronianis 594
Zauner, Ad. Roman. Sprachwissensshaft 294
Zycha. Vgl. Vrba.
Verzeichnis der Gelehrten,
welche Beiträge zu Band I — Xu geliefert haben.
Abbott^ Frank) Uniy.-Prof. in Chicago.
Appel) Ernst, Dr. phil. in Grevenbroich bei Düsseldorf.
-f Anracher, T. M«, Dr. phil. GymD.-Lehrer in München.
f Baehrens, Emil, Prof. in GroniDgen.
Baist, G«, Prof. in Freibarg (Baden).
Banaler, Willi«, Dr. phil. Ass. am Thes. in München.
Bauer, Ludw«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Augsburg.
Beclier, Ferd., Dr. phil. Proy.-Schnlrat in Berlin.
Beck, J« W«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Amsterdam.
Bennet, Ch. E«, Univ.-Prof. in Ithaka (Ver. St).
Birt, Theodor, Prof. in Marburg.
Blase, H«, Dr. phil. Gymn.-Dir. in Worms.
Blfimlein, Karl, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Frankfurt a/M.
Blfimner, Hugo, Prof. in Zürich.
Buckel, Ernst, Gymn.-Dir. in Heidelberg.
Bonne^ Max, Prof. in Montpellier.
Brandes, Wilh«, Dr. phil. Oberlehrer in Braunschweig.
Brandt, Sam«, Prof. in Heidelberg.
Brtel, Michel, Prof. in Paris.
Bmgmann, Karl, Prof. an d. Univ. Leipzig.
f Brons, Ito, Prof. in Kiel.
Bficheler, Franz, Prof. in Bonn.
Bfirchner, L«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in München.
Christ, Wilh. t«, Prof. in München.
Church, J« E« Jan., Prof. a. d. Univ. Reno, Nevada.
.Comu, J«, Prof. an d. Universität Graz.
Cramer, Franz, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Düsseldorf.
Cser^p, J., Prof. in Budapest.
Behner, Seb«, Dr. phiL Gymn.-Lehrer in Neuwied.
Benk, Jos«, Pfarrer in Strauisdorf.
Densnsianu, Ot«, Prof. in Bukarest, Rumänien.
f Bessauer, Hugo, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Würzburg.
Betiefsen, B«, Direktor in Glückstadt
Denerling, A«, Rektor in Burghausen.
Vm Verzeichnis der Gelehrten u. s. w.
Wkrtngj A»y Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Königsberg i. Pr.
DOMlNuty B,j Rektor a. D. in München.
f Driger^ Lmj GynuL-Dir. in Anrieh.
DralieiB^ H») Dr. phiL und (}jmn.-Prof. in Berlin.
Ihretsel^ H«, Oberlehrer in Zwickau.
DsiatikOy Karl, Dr. phil. Prof. nnd Oberbibliothekar in 6 Ottingen.
Edward«, George, Prof. a. Olivets Coli. Michigan.
Ehwald, JLf Dr. phil. Gynau-Prof. in Gotha.
Ellis, Bobingon, Prof. in Oxford.
EngUader, D«, Lehrer in Mnrowana-Goslin (Proy. Posen)
Fiseh, Bieh«, Dr. phil. G7mn.-Lehrer in Berlin.
FleUeher, Cnrt, Dr. phil. Gynm.-Prof. in Grimma.
Flemlgch, Mieb», Dr. phil. Gjmn.-Lehrer in MQnchen.
F5r8ter, Rieb«, Prof. an d. Univ. Breslau.
F5r8ter, Wend., Prof. in Bonn.
Frankfurter, S*, Dr. phil. an der Uniyersit&ts-Bibliothek in Wien.
Friek, C, Dr. phiL Oberlehrer in HOzter.
Friedrieb, 0., Dr. phiL Gjmn.-Prof. in Potsdam.
Fncbs, Bob«, Dr. phil in Klotssche bei Dresden.
Fttrtner, Jos«, Gjmn.-Prof. in Mfinchen.
Fonek, A«, Dr. phiL Gymn.-Dir. und Oberscb.-R. in Sondershausen.
t Georges, S« E«, Dr. phiL Prof. in Gotha.
Geratbewolü, B«, Dr. phil. Gjmn.-Prof. in Ansbach.
Geyer, Paulas, 6ymn.-Prof. in Augsburg.
GiÜbauer, Mieb«, Prof. in Wien.
G15ck]ier, F«, Dr. phil. in Niederlölsnitz.
Oöts, 0«, Prof. in Jena.
Gröber, G«, Prof. in Strasburg.
fGflmbel, W. Ton, Prof. in Manchen.
Gundemuinii, G«, Prof. in Giefsen.
Gustafsson, F«, Prof. a. d. Univ. Helsingfors.
Gvljabr-Probst, E« A«, Oberlehrer in Leipzig- Rendnitz.
Hamp, Carl, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Aschafifeaburg.
I Härder, Frani, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Berlin,
i Hartel, Wilb« t«, Kultusminister in Wien,
t Hartmann, Felix, Dr. phiL in Grols-Lichterfelde.
Hauer, Jul«, Gymn.-Prof. in Eremsmünster.
Hauler, Edmund, Prof. in Wien.
Haufsleiter, Job«, Dr. phil. Prof. in Greifswald.
HaTOt, Louis, Prof. in Paris.
Helm, Bud«, Dr. phil. Priy.-Doc. in Berlin.
Helmreicb, G«, Dr. phil. Gymn.-Rektor in Hof.
Hepp, Dr. phil. Gymn.-Prof. in RottweiL
Heraeus, Wilb«, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in 0£fenbach.
fHerii, Martin, Prof. in Breslau.
VerzeichniB der Gelehrten u. s. w. IX.
Hey 9 Oskar^ Dr. phil. Gymn.-Lehrer i. U. QDd Sekretär am Thesanms lin-
guae lat. in München.
Hidm^ K« J«^ Prof. in Hehingfors.
Hirt, Paul, Dr. phil. Gymn.-Lebrer in Berlin.
Hölzl, Max, Dr. phil. Gym.-Lehrer in Dresden- Neustadt.
Hoffmann, Eman«, Prof. in Wien.
^Hofmann, Konr., Prof. in München.
Hoppe, Karl, Dr. phil. in Berlin.
Hnemer, Joh., Dr. phil. Landesschulinspektor in Wien.
Ihm, G., Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Bensheim.
Ihm, Max, Prof. II. Bed. am Thes. in München.
j" Jordan, Helnr., Prof. in Königsberg.
Ealb, Wilh., Dr. phil. Gymn.-Prof. in Würzburg.
fKeil, Heinr., Prof. in Halle. •
Keller, Otto, Prof. in Prag.
Kirk, Hamilton, Uniy.-Prof. in Nashyille.
Klebg, Elimar, Dr. phil. Priv.-Doc. in Berlin.
Klotz, Aifr*, Dr. phil. in Leipzig.
Köhler, Albn, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Nürnberg.
Korsch, Theodor, in Moskau.
Kothe, Herm«, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Breslau.
Krüger, Hngo, Dr. iur. Bibliothekar in Leipzig.
Kmmbacher, K«, Prof. in München.
Krosch, Bmno, Dr. phil. am Egl. Staats-Archiy in Marburg.
Kubier, Bemh«, Üniy.-Prof. in Berlin.
Landgn'af, Gast«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in München.
Landwehr, Hugo, Dr. phil. Gymn.- Lehrer in Berlin.
-f-Langen, Peter, Prof. in Münster i. Westfalen.
Lattes, Elia, Prof. in Mailand.
Lease, Emory, Prof. in New York
Leite, im de Yaseoncellos, Prof. in Lissabon.
Leo, Friedr., Prof. in Göttingen.
Lessing, K», Dr. phil. Gymn.-Prof. in Berlin.
Linderbauer, Benno, 0. S. B. Gymn.-Prof. in Metten.
Lindsay, W« M., Prof. a. d. üniy. St. Andrews, Schottland.
Linke, Hugo, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Breslau.
irLoewe, Gust., Dr. phil. in Göttingen.
Lommatzsch, E«, Dr. phil. Priy.-Doc. in Freiburg.
fLttbbert, Edoard, Prof. in Bonn.
Ludwig, Ernst, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Bremen.
Maas, Paul, gepr. Lehramtskand. in München.
Maarenbrecher, Bert., Dr. phil. Priv.-Doc. in Halle.
MayholT, K., Gymnasialrektor a. D. in Dr. sden.
Mayor, John E. B., Prof. in Cambridge.
Meader, Clar« L«, Dr. phil. Priy.-Doc. in Ann-Arbor.
Meiser, Karl, Dr. phil. Rektor in Regensburg.
X Verzeiohnifl der Gelehrten u. s. w.
Meltser, Joh., Prof. in Maulbronn.
Mendel Panl^ Dr. pbil. aus Oldenburg.
Menrad, Jos«, Dr. pbil. Gymn.-Prof. in Müncben.
Meyer-Lfibke, Wllh., Prof. in Wien.
Miodonskl, Adam, Prof. & d. üniv. Erakau,
Mohr, Paul, Dr. pbil. 6ymn.- Direktor in Bremerbaveu.
Möller, Hans, Dr. pbil. in Marburg (Hessen).
Moore, €• U«, Univ.-Prof. in Cambridge, Amerika.
Malier, Adolf, Dr. pbil. Gymn.-Lehrer in Flensburg.
Nauck, Carl, Gymn.-Dir. a. D. in Königsberg i./N.
Nestle, £b«, Dr. pbil. Prof. am Semin. in Maulbronn.
f Netüeship, Henry, Prof. in Oxford.
Hetusil, J«, Prof. a. d. üniv. Charkow.
Biedermann, Max, Dr. pbil Gjmn.-Prof. in Chaux de Fonds.
Kohl, U., Dr. pbil. Gymn.-Prof. in Berlin.
Opits, Theodor, Dr. pbil. Gymn.-Lehrer in Dresden-Neustadt.
Osthoff, U., Prof. in Heidelberg.
t Ott, J, N«, Rektor in Rottweil.
Otto, A«, Dr. pbil. Gymn. -Lehrer in Breslau.
Otto, Walter, Dr. pbil. Assistent am Thes. in München.
fPanll, C«, Dr. phil. Prof. in Lugano.
Peiper, R«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Breslau.
Petschcnig, M«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Graz
Pfannenschmied, Heino, Dr. pbil. Arcbivdirektor in Colmar.
Piechotta, J., Dr. phil. Gymn. -Lehrer in Leobscbütz.
Planta, Bob«, Dr. phil. in Zürich (Fürstenau).
Piasberg, 0«, Dr. pbil. Gymn.-Lebrer in Berlin.
Ploen, Ueinr., Dr. phä. Lehrer am Lyceum in Strafsbnrg i. Eis.
PokrowsklJ, Mich«, Dr. phil. in Moskau.
Poulsen, Frederik, Cand. phil. iu Kopenhagen.
Praun, Joh«, Dr. phiL Gymn.-Prof. in Mönchen.
Band, Kennard, Dr. phil. Instr. an d. Uniy. Cambridge, Amerika.
Benn, Emil, Dr. phil Gymn.-Prof. in Landshut.
f Bibbeck, Otto, Prof. in Leipzig.
Bies, G., Gymn.-Prof. in Oldenburg.
Biefs, Ernst, Dr. pbil. in Heidelberg.
Bittweger, Karl, Dr. phil. in Bochum.
fBohde, Erwin, Prof. in Heidelberg.
Boife, John C«, Univ.-Prof. in Ann-Arbor, Michigan.
Boosen, A., Dr. phil. Gymn. -Lehrer in Bonn.
Bofsberg, Konr«, Dr. phiL in Hildesheim.
Bnefs, Ferd«, Dr. phil. Gymn.- Prof in München.
Sanders, H« A«, Priv.-Doc. in Ann-Arbor.
Sehenkl, H«, Prof. in Graz.
t Sehenkl, K., Prof. in Wien.
Verseichnis der Gelehrten u. s. w. XI
fSchepfii) Georg) Dr. phil. Gymn.-Prof. in Speier.
Schiller, U«, Dr. phil. Gymn-Prof. in Farth.
Sehlee, Fr«, Dr. phiL Gymn.-Lehrer in Berlin.
Schlutter, 0« B., Gymn.-Prof. in Hartford (Connectioat).
SchmalZy J. H«, Gymn.-Dir. in Bastatt.
Sclimans, H«, Dr. phil. G7mn.-Lehrer in Bamberg.
f Schmidt, Joh«9 Prof. in Königsberg.
t Schmitz, Wilh., G7mn..Dir. in Köln.
Schnorr t« Carolsfeld, U«, Dr. phil. Oberbibliothekar in Mfinchen.
SchöU, Friedr., Prof. in Heidelberg.
t Scholl, Rad., Prof. in München.
f Schönwerth, Olaf, Gymn.-Assistent in Manchen.
Schachardt, Hugo, Prof. in Graz. ^
Schnlthefs, Otto, Dr. phil. Gymn.- Lehrer in Franenfeld nnd Prof. au der
Universität Zürich.
Schulze, Wilh«, Prof. in Göttingen.
Schütte, Otto, Gymn.-Lehrer in Braunschweig.
Schwarz, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Hirschberg i. SchL
Seck, Franz, in Moskan.
Seeck, 0., Prof. in Greifswald.
Seitz, Friedr«, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Elberfeld.
Seoffert, L«, Dr. iar. Univ.-Prof. in München.
fSitü, Karl, Prof. in Würzburg.
Skutsch, Fr«, Prof in Breslau.
Sommer, Ferd«, Dr. phil. Prof. in Basel.
Sonny, Adolf, Prof. an der Universität Kiew.
Souter, A«, Univ.-Prof. in Aberdeen.
Spengel, Andr., Dr. phil. Rektor in Passau.
Stacey, S. G., Dr. phil. Gymn.-Prof. in Shelbyville, Tennessee.
Stadler, Herrn«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in München.
Stöckleln, Joh«, Dr. phil. Gymn.-Lehrer in München.
Stolz, Friedr«, Dr. phil. Prof. in Innsbruck.
Stowazser, J« M., Gymn.-Prof. in Wien.
tStademnnd, Wilh«, Prof. in Breslau.
Stfirzlnger, Joh. Jak«, Prof. in Würzburg.
Snchier, Hermann, Prof. in Halle.
Thielmann, Phil«, Dr. phil. Gymn.-Rektor in Fürth.
Thnrneysen, Bad«, Prof. in Freiburg.
Tranbe, Ludw«, Dr. phil. Univ.-Prof in München.
tJsener, Herm., Prof. in Bonn.
TUet, J« T. d«, Prof. in Utrecht.
Vogel, Friedr«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Fürth.
Wagener, C«, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Bremen.
Weher, PhiL, Dr. pnil. Gymn.-Proil in München.
Weihrieh, Franz, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Wien.
Weinhold, A., Dr. phil. Gymn.-Prof. in Meifsen.
XII Verseichnis der Gelehrten u. s. w.
Weisei Oskar, Dr. phil. Gymn.-Prof. in Eisenber»?.
Wessner, P., Dr. phil. Gymn.-Lehrer in Bremerhaven.
WeTmaOi Carl, Dr. phil. Univ.- Prof. in München.
Wölffliii, Eduard, Prof. in München.
Woltjer, A., Dr. phil. Gymn.-Prof. in Amsterdam.
Wotke, Karl, Dr. phil. Gymn. Prof. in Wien.
Wrobel, Job., Prof. in Czemowitz.
Zander, Carl, Prof. a. d. Universität Lund.
Zimmermanii, A., Dr. phil. Gymn.-Prof. in Breslau.
Zingerle, Anton, Prof. in Innsbrnck.
Der Papst Gelasius als Latinist.
Die Ansicht, dafs man das Spätlatein in gröfsere Gruppen,
wie Kirchenlatein, Juristenlatein, Medicineriatein, auseinanderiegen
könne, gehört heute der Vergangenheit und Vergessenheit an.
Wenn auch gewisse Kunstausdrücke in einzelnen Disciplinen
durchschlagen mögen, obschon auch diese sich oft genug im Laufe
der Jahrhunderte ändern, so bleiben doch in der Hauptsache die
einzelnen Schriftsteller Individuen, deren Eigenart sich in ihrer
Sprache ausprägt, wenigstens die bedeutenderen Köpfe und geisti-
gen Führer. Diese aus der Masse der Mittelmäfsigen auszu-
scheiden hätte an sich schon einen gewissen Wert; die Unter-
suchung der Sprache stellt uns aber noch weitere Ergebnisse in
Aussicht. Wenn man zugiebt, dafs unter den zahlreichen erhal-
tenen Papstbriefen die des Gelasius (492 — 496) zu den bedeutend-
sten zählen, so wird sich aus dem eingehenden Studium seiner
Redewendungen auch feststellen lassen, dafs das Dekret De libris
recipiendis et non recipiendis nicht wohl von Gelasius herrühren
kann. Denn wie wäre es denkbar, dafs in diesem Aktenstücke
der Axisdnick mediante Constantino, Cyrillo, Marciano, Tauro
viermal vorkäme, während das Wort mediare in den zahlreichen
Briefen des Gelasius nirgends gebraucht ist? Ein litterarischer
Nachlafs von einigen hundert Seiten ist doch ausreichend genug,
um aus demselben einen solchen Schlufs zu gestatten. Die voll-
ständigste Sammlung bot uns Andr. Thiel: Epistolae pontificum
Romanorum, vol. I (ann. 461 — 523), Brunsb. 1868, p. 285 — 613.
Die von Otto Günther im Wiener Corpus herausgegebene Col-
lectio Avellana (1895. 1898) enthält kein neues Material, wohl
aber p. 357 — 468 eine kritische Revision eines Teiles der Briefe;
Löwenfeld endlich hat in seinen Epistolae pontificum Roman,
ineditae (1885) auf S. 1 — 12 eine kleine Anzahl bisher unbekann-
ter Briefe hinzugefügt.*)
•) Wir citieren im Folgenden nach Thiel (Epist. Tract.Fragm.) unter
Tergleichung der Avellana.
Archiv für lat. Lexikogr. XU. Hoft 1. 1
2 Ed. Wölfflin:
Als der Senator Andromachus nebst einigen Gesinnungsge-
nossen die Luperealien in alter Weise gefeiert wissen wollte, trat
ihm Gelasius entgegen (Tr. 6, 5 = Av. 100, II. 12), und zwar
nicht nur mit Berufung auf Livius 1, 5, sondern auch mit einem
zweiten Citate: Livius in secunda decade. Damach werden wir
annehmen müssen, dafs er noch das Originalwerk des Livius ge-
lesen hat, während sonst die meisten, und schon vom ersten
Jahrhundert nach Christus an, sich mit einer Epitoma begnügten.
Vgl. Archiv XI 1 flF. Und in demselben Schreiben § 6 (== Av.
§ 14) führt er den Vers an:
Quicquid Romani meruerunt perdere mores?
So noch die neueste Wiener Ausgabe mit einem Fragezeichen im
Testimonienverzeichnis. Er stammt aus Lucan 2, 318, ist übrigens
keine Frage, imd nach den besten Handschriften mufs ^pendere*
gelesen werden. Dem Relativsatze gehen die Worte voran *hac
caede luatur' als Schlufs des Hexameters.
Ebendaselbst wird § 8 Th. (= 20 Av.) ein Juvenalvers citiert
(6, 285), welchen erst Günther gefunden hat, und unmittelbar
davor begegnen wir den Worten: sicut ille ait*) ^ut non tam
deterrere quam admonere animos videantur', welche wieder mit
einem Fragezeichen versehen sind. Der Meister der Prosa ist
hier Cicero de domo 127 cur prohibendo non tam deterrere vide-
retur quam admonere [wie nachträglich auf S. 809 bemerkt ist].
Daraus lernen wir mit Vergnügen, dafs Gelasius die heidnischen
Klassiker nicht nur kannte, sondern auch anerkannte, dafs er also
nicht zu denjenigen gehörte, welche die sprachliche Form ver-
nachlässigten und verachteten. Da aber Gelasius diese Phrase
nochmals Epist. 14, 21 (ne sensus non tam deterrere quam ad-
monere videamur) wiederholt, ohne die Quelle anzudeuten, so ist
es leicht möglich, dafs noch andere Reminiscenzen an Klassiker-
stellen in seinen Briefen stecken, beispielsweise Anklänge an
Vergil.
Mit diesen Erwartungen treten wir an die Prüfimg seines
Lateins, welches wir für das Ende des fünften Jahrhunderts ein
gutes nennen dürfen. Nicht, dafs Gelasius ein strenger Klassiker
wäre; die damalige Kirche hätte ja mit dem Wortschatze des
•) Da auch Avell. 100, 10 citiert wird: sicut ait ille ^voluntatem te
habere mentiendi, artem fingendi non habere', so möchte man diese Stell o
bei Cicero suchen, findet sie aber nicht. Ob Gelasius eine uns verlorene
Rede vor Augen hatte?
Der Papst Gelasius als Latinist. 3
Cicero nninöglich ausreichen können, und statt synodus, syno-
dalis, synodicus wird kein Vernünftiger puristische Über-
setzungen erwarten. Ebensowenig konnte sich Gelasius den Ein-
flüssen der Entwicklung des Rechtes entziehen^ sondern er durfte
unbedenklich in Übereinstimmung mit dem Codex Theodosianus
bonuscula für ^geringes Vermögen', subadiuva für ^Unteran-
gestellter', petitorium für ^Bittschrift' gebrauchen. Dem allge-
meinen Spätlatein gehören beispielsweise an signaculum, tri-
yialis, adimpleo, taliter, nullatenus (idlatenus), Yon welchem
letzteren er einen unmäfsigen Gebrauch macht im Vergleiche zu
der Zurückhaltung seiner Vorgänger. Ganz neue Wörter aber
sind etwa modernus und magistrianus. Ersteres, nach Ana-
logie Ton hodiemus von dem Adverb modo abgeleitet, reicht
nicht viel über das Jahr 500 hinauf (vgl. Rhein. Mus. 37, 92), so-
dafs Epist. 20 post modemum, Epist. 22 admonitiones modemas
zu den allerfrühesten Belegen gehören, wogegen das konkurrie-
rende Wort novellus viel älter ist; magistrianus (Tr. 1, 5 etwa
= Polizisten) kennen wir bisher blofs aus Fulgentius.
Zu diesen unklassischen Wörtern gehört auch das archaische
primitus = anfänglich, von Anfang an. Wir dürfen wohl ver^
muten, dals bei Lucilius und Lucretius der Hexameter einen An-
teil an dem Suffixe hatte, und wissen aus der Lektüre, dafs die
Klassiker mit primo und primum vollkommen ausreichten. Aus
der reichen Beispielsammlung bei Neue, Formenlehre 11* 740, er-
sehen wir, dafs das Adverb bei Augustin und Ammian sehr häufig
geworden ist, was sich ja auch aus dem Zusammenfallen der
Formen primo und primum (gespsochen primom) leicht erklärt.
So versuchte auch Gelasius nicht gegen den Strom zu schwimmen,
wie folgende Beispiele beweisen. Tract 3, 7 primitus extiterunt
neben primordialiter extiterit. Ep. 6, 2 (Av. 94, 2) nova pestis et
primitus ignorata; 5, 2 ut eadem se primitus tenuisse firmarent;
14, 14 testimonio pr. absolutas; 26, 3 (Av. 95, 22) quae primitus
desudasset; Ep. 34 coUata pr. donatione, wozu aus Löwenfelds
Briefen bestätigend hinzukommen: 2 suscepta pr. donatione und
15 pr. donatione(m) suscipias.
Um auch noch die Syntax mit einem Worte zu berühren,
so hat Gelasius mit dem Spätlatein die klassische Konstruktion
simplicissimus quisque und simplicissima quaeque (simplicissimum
quodque) ganz verloren; er kennt nur noch Positiv- und Plural-
formen. Ep. 4, 1. 18, 6 simplices quosque; 6, 1 ab exiguis
1*
4 EcL Wölfflin:
qnibusqae bestiolis (obschon Avell. 6^ 27 exiguissimis yorkommt);
1, 4 contiguas (= proximas) sibi quasque provincias; 8^ 2 salvos
quosque; 10, 9 medicantes quosque; 14t, 26 perversa quaeque; Ay.
100, 25 yilia quaeque. Des von andern versuchten simpliciores
quosque hat er sich wohlweislich enthalten. Eine vermittelnde
Rolle spielte vielleicht das häufige singuli quique. [Ausnahme
Tr. 6, 14 extrema quaeque.]
Aber auch in der Gleichmäfsigkeit des Lateins darf man
einen Beweis grammatischer Schulung erblicken. Ein planloses
Hin- und Herschwanken zwischen Doppelformen, wie es unge-
bildete Schriftsteller kennzeichnet, kann ihm nicht zur Last gelegt
werden.
Es gehört zu den Ausnahmen, dafs fortasse, fortassis
und forsitan unterschiedslos neben einander gebraucht werden.
Femer mag man zugeben, dafs sine und absque parallel laufen,
letzteres natürlich seltener verwendet; dagegen fällt auf, dafs
Gelasius Frgm. 4 sine aliqua reprehensione geschrieben hat, da
er sonst regelmäfsig ullus gebraucht. Epist. 14, 16 sine ullo
respectu; 14,26 ebenso; 26, 12 (Av. 95, 67) absque ulla synodo;
(Av. 95, 2(). 28) sine ulla notione und sine ulla synodo; 26, 10
(Av. 95, 54) sine ulla perturbatione; 27, 8. 9 sine ulla discussione
imd sine ulla examinatione. VerständUcher ist Frgm. 3 sine
mora aliqua et sine ullo dispendio, wo der Schriftsteller ab-
wechseln wollte.
In einem anderen Falle dagegen, in dem Gebrauche von
contagium und contagio, hat Gelasius streng geschieden; die
Häufigkeit des Gebrauches hängt damit zusammen, dafs so oft
von dem Umgange strenggläubiger Katholiken mit Sektenanhängern
gesprochen wird. Das weitaus überwiegende contagium liefert
zunächst sämtliche Pluralformen, welche den wiederholten Ver-
kehr ausdrücken, z. B. Ep. 8 contagia perfidorum; 10 contagia
communionis extemae; 11, 1 pestifera contagia, und so noch ein
dutzendmal. Ln Singular teilen sich contagium und contagio;
doch liefert letzteres an etwa zehn Stellen nur die Ablativform,
neben dem Ablativ contagio; contagium als Nominativ oder Akku-
sativ steht ohne Konkurrenz da. Man nehme nur Briefe eines
beliebigen anderen Papstes, und man wird diese Unterschiede
nicht beobachtet finden, z. B. Avell. ep. 11,2 nequitiae contagionem
infundere.
Wenden wir uns nun zu der copia verborum, und wählen
Der Papst Gelasins als Latinist. 5
wir ein naheliegendes Beispiel: welches Wort hat Gelasius für
Papst gebraucht? Die Benennungen der höchsten geistlichen
Würde unterscheiden sich von denen der weltlichen. Rex steht
für sich allein da, weil es in der Monarchie nur einen Rex ohne
Konkurrenz geben soll; die Päpste dagegen waren ursprünglich
nur Bischöfe, später primi inter pares, was sie auch in der Sprache
ausdrücken wollten. Neben dem pontifex Romanus (summus p.
Epist. 14^ 6) gab es noch viele pontifices; antistes kann sowohl
einen Bischof als auch nach dem Zusammenhange den Papst be-
zeichnen; papa (Vater) bedeutet nicht mehr als abbas, und Gela-
sius gebraucht das Wort nicht von sich, sondern nur von ver-
storbenen (beatae, sanctae memoriae) Vorgängern, z. B. von Leo,
Simplicius und Felix Ep. 26, 11 (= Av. 95, 61. 62).
Einen neuen Titel hat Gelasius zwar nicht ersonnen, aber
doch in Umlauf gebracht, und zwar einen von allgemeiner Be-
deutung, welchen er auch tiefer Gestellten beilegte: es ist prae-
sul. Ursprünglich der Vortänzer, der Oberste der Salier, ver-
blafste das Wort und bezeichnete einen beliebigen Vorsteher,
doch immer nur zur Seltenheit und in gewählter Sprache, wie
z. B. bei Ausonius ein pr. senati vorkommt. Im J. 417 schreibt
der Bischof Zosimus (Av. 46, 8): animo praesule et in excubiis
constituto semper opus est, in welchen Worten der Christ als
XQO^axog geschildert ist, wie von Gelasius Ep. 14, 26 pontificali-
bus excubiis. Im J. 460 schreibt Leo (Av. 54, 3) von den prae-
sules catholici in Alexandrina ecclesia, was sich nicht stark von
nQBößvTBQoi unterscheidet, wie schon im J. 378 (Av. 13, 6) ge-
meldet wird: ecclesia, de qua episcopus iudicio sanctorum prae-
sulum deiectus est. Vgl. Simplicius (a. 482) Av. ep. 68, 5; derselbe
(479? 482?) ep. 66, 3 praesules et praedicatores fidei. In dem
Synodalberichte vom. J. 485 (Av. ep. 70, 9) heilst es aber auch
einmal: successor praesulum sedis apostolicae, womit nur der
Papst gemeint sein kann.
Diesen schwankenden Sprachgebrauch fand Gelasius vor, und
das Wort praesul gefiel ihm zur Bezeichnung von Papst oder
Bischof. Es erinnerte nicht nur an consul, es bezeichnete auch
den Vorsteher der Kirche als militans, im Gegensatze zu dem
kaiserlichen praeses, welcher auf dem Throne sitzt. Dies spricht
Gelasius Ep. 12, 2 aus, indem er dem Kaiser das praesidere hxi-
mano generi einräumt, die Päpste aber praesules rerum divinarum
nennt, worauf in gleichem Sinnß antistites religionis folgt. Es
6 Ed. Wölfflin:
B(fll damit freilich nicht geleugnet werden , daTs praesidere auch
Ton einem Papste oder Bischof gebraucht sein könnte: will man
einen Beleg halien^ so vergleiche man Gel. Tract. 1^ 12 ecclesiae
praesidere. Wenn wir nun bei Gelasius über 30 Beispiele finden,
so hat er den Gebrauch des Wortes jedenfalls ausgedehnt^ aber
die Bedeutimg auch eingeengt, im wesentlichen auf Papst und
Bischof. Ep. 8; 3 a caelesti praesule non derelinqui bezieht sich
das Wort auf Gott; in der Phrase pr. ecclesiae Romanae, aposto-
licae sedis praesul oder kürzer apostolicus praesul auf den Papst,
in secundae sedis praesul oder Constantinopolitani praesulis auf
den Bischof von Konstantinopel (Tract. 4, 1 pr. ecclesiae Con-
stantiuopolitanae neben apostolicae sedis antistes), in der Ver-
bindung tot ec<*.lesiarum praesules oder in ^subdere ecclesiasticis
praesulibus' auf beliebige Bischöfe, wie z. B. Frgm. 8 praesulem
«uum von Forum Popilii. So sind auch Ep. (>, 2 quid facerent
populorum praesules? die Hirten der Herde gemeint. Ep. 10, 4
non solum praesuli apostolico, sed cuicunque pontifici könnte
man die Hubstantiva auch vertauschen. Und dieser Gebrauch des
Gelasius ist auf die spätere Patristik übergegangen: vgl. beispiels-
w<»i8e Vigilius Av. ep. 83, 1 (a. 553) praesul sedis apostolicae
«= (ilel. E[). 3, 10. 42, 4. Nach apostolatus ist dann auch prae-
Hulatus gebildet worden, doch erst nach dem Tode von Gelasius,
Av. ep. 208, 4 aus dem Jahre 520.
Wir vemuigen aber noch genauer nachzuweisen, dafs die
Vorliebe für praesul mit einer allgemeineren Anschaxiung des
(Jolasius zusammenhiingt. Er hat nämlich ein besonderes W^ohl-
gefallen an dem troj)i8chen Gebrauch von salire und seinen Zu-
sammensetzungen. Ep. 33 contra regularum statuta prosilire;
30, l in pauperum prosilire dispendium; Frgm. 40 in contume-
liam religionis pn>8iluis8o, ebendas. in iniuriam sanctorum loco-
rum ])r.
Die nämliche Beobachtung drängt sich uns auf, wenn wir
den Gebrauch von resultare ins Auge fassen, welches einem
8tärken»n n^sistore entspricht. Ep. 1, *2i Timotheo haeretico resul-
U\rv (^worauf folgt obstiteritV, UK 5. 12, 12. 2i\ 8 potuit resultare;
2(K 13 resultamti non iustitit imperator: 27, 2 nemo resultabat.
Si> bestätigt sowohl die Häufigkeit von praesul als auch die An-
wendung verwandter Tropen, dafs die Persönlichkeit des Gelasius
au der Ausbreitung des Wortes den wesentlichsten Anteil ge-
habt hat.
Der Papst Gelasius als Latinist. 7
In einem anderen Falle hat sich die Initiatiye des Gelasius
bis auf die romanischen Sprachen vererbt. Die Anhänger der
Sektierer Eutyches, Petrus, Acacius u. s. w. hiefsen vor Gelasius
meistens consortes, welchem das Substantiv consortium ent-
spricht, z. B. ad consortium erroris adsumitur. Vgl. Epist. 18, 5
consortibus huius erroris; 12, 8 Eutychen furoris auctorem . . . eins
consortem Dioscorum. Ep. 1, 17 a communione catholica devian-
tes in eins consortium transierunt. Daneben laufen noch syno-
nyme Ausdrücke wie Ep. 18,2 (Av. 101,4) Petrus eiusque com-
municator Acacius und unmittelbar darauf cum suis participibus;
Ep. 1, 14 comitem haereticorum; 3, 9 haeresi communicans. Der
Polemik des Gelasius schien dies nicht mehr zu entsprechen, da
ja der Mitregent bei Velleius consors imperii heifst, der Kollege
im Tribunat bei Tacitus consors tribimiciae potestatis, und auch
das Kirchenlatein hatte diesen Gebrauch in bonam partem bei-
behalten, z. B. Av. 38, 7 regni consortes, oder bei Gelasius selbst
Tract. 6 (Av. 100, 30) consortibus professionis Christianae; Ep. 3, 2
fidei consortibus.
Statt dessen hat Gelasius comp lex durchgesetzt, welches
zwar im Codex Theodosianus 6, 4, 21 (a. 372) auch noch im Sinne
von socius 'Amtsgenosse' gebraucht ist, vermutlich aber durch die
Sektenstreitigkeiten einen unangenehmen Beigeschmack erhalten
hatte. Gebraucht hatte den Ausdruck schon einmal Simplicius
an Acacius (150, 2 Av.) de Petro atque aliis complicibus eorum
(a. 479 oder 482); auch in der Erklärung der Bischöfe vom
J. 494 (zwei Jahre nach der Papstwahl des Gelasius) lesen wir
Ep. 11, 1 Eutychis Petri Acacii complicibus atque consorti-
bus se immiscendos, wo der neue Ausdruck durch Beifügung
des alten verdeutlicht wird; durchgesetzt hat jenen ohne Zweifel
Gelasius. Denn schon in seinem vor der Papstwahl im J. 488
oder 489 erlassenen Schreiben über das Schisma des Acacius sagt
•er Ep. 1, 7: nee hoc fecerunt, qui cum Timotheo sentiebant eique
commünicabant, sed ^unus complex insaniae Petri', sicut iam
testatur Acacius, übereinstimmend Ep. 1, 2 ab haeretico, hoc est
complice insaniae suae. Schlägt man diese erhaltene Stelle nach
(Acacius an Simplicius, p. 194 Thiel), so lauten die Worte: qui
consors ipsius insistebat insaniae. Gelasius hat somit, was nach
damaligen BegriflFen nicht unerlaubt war, ein Wort des Citates
gegen ein ihm mehr zusagendes Synonymum vertauscht und
dasselbe auTserdem an einigen dreifsig Stellen verwendet. Einige
8 Ed. Wölfflin:
Beispiele werden genügen. Ep. 1, 11 huic pennanenti in pravi-
täte fit complex; 1^ 6 haereticus cum suis complicibus; 1, 16 a
complicibus suis postulatus antistes; 1; 17 complices pravitatis;
1, 31 huius rei complicem esse; 2, 34 complex mali. Mithin hat
6. schon in seinem ersten Rundschreiben über den Sektenstreit
sein Lieblingswort achtmal gebraucht. Besonders charakteristisch
sind noch: Ep. 12, 8 eorum communicatores et complices; 3, 9
communicantes et complices; Av. 95, 34 complex erroris.
Schlagen wir nun das Handwörterbuch von Georges nach^
so wird complex mit *der Verbündete' übersetzt und des Ge-
brauches in malam partem gar nicht gedacht, welcher doch seit
Gelasius ausgeprägt ist. Und in den romanischen Sprachen be-
zeichnet ja das Wort heute noch den ^Mitschuldigen', sodafs die
Geschichte von complex in zwei Teile zerfällt. Der ältere Ge-
brauch war mindestens neutral, sogar vorwiegend in bonam par-
tem, wie die ^dii complices' = consentes bei Amob. 3, 40. Der
Vater des jüngeren (romanischen) Gebrauches ist Gelasius. Der
Fall, dafs wir die Bedeutungsveränderung eines Wortes auf eine
bestimmte Person zurückführen können, ist in der Lexikographie
nicht so häufig; um so mehr verdiente das vorliegende Beispiel
in ausfiihrlicher Besprechung vorgeführt zu werden.
Der nämliche Streit hat noch eine andere Spur in der Lati-
nität des Gelasius hinterlassen. Insofern Acacius und seine An-
hänger eine secta bildeten, hiefsen diese natürlich sectatores,
was mit complex (consors) fast gleichbedeutend war. Ep. 10, 10
haeresum sectatores; 12, 7 complice et sectatore perversitatis;
18, 2 complices atque huiusmodi sectatoribus permixtos; 27, 3
complices, sectatores, communicatores pravitatis; 30, 14 sectatori-
bus et communicatoribus; 3, 9 sectantium communicatores. Dies
klang dem G. wieder zu gut oder zu wenig schlecht, da ja bei
den Heiden die Klienten so hiefsen und sectator Aristotelis oder
eloquentiae verbunden werden. Nicht anders war es im Kirchen-
latein, und da Salvian von sectatores sapientiae spricht, wie Av.
2, 120 sectatores catholicae fidei genannt werden, so fand G.
einen neuen, der Sachlage besser entsprechenden Ausdruck in
sequax, welches in malam partem das zähe Festhalten an dem
Verkehrten ausdrückt, wie schon bei Manilius Bacchi Venerisque
se<]uax. Leider fehlt das Wort im Index von Günther, wenn wir
auch für den Gebrauch bei G. einstehen und einen Vergleich mit
den älteren Papstbriefen anstellen können. Av. 56, 6 ^Simplicins
Der Papst Gelasius als Latinist. 9
a. 476) fidei sequacem; Av. 70, 14 (römische Synode vom J. 485)
sequacibus eorum, nämlich Petrus und Acacius. Viel häufiger
hat das Wort G. gebraucht, und zwar in tadelndem Sinne. Ep.
1,6 a Timothei (haeretici) sequacibus; 1,20 cuius sequacibus
professoribusque communicat; 3, 10 sequaces eorum Timotheum
Petrumque. Auch in dem (unechten) Aktenstücke De recipiendis
libris kehrt der Ausdruck wieder: Ep. 42 gegen Ende cum öuis
obscenissimis sequacibus.
Man wird bei aufmerksamer Lektüre des G. noch manches
finden, was vom klassischen Sprachgebrauche abweicht und uns,
weil es oft wiederkehrt, eine individuelle Färbung zu haben
scheint; doch wird hier Vorsicht am Platze sein. So gehören
die Phrasen wie rectum tr am item teuere, a tramite deviare,
secundum regularum tramitem dem Kirchenlatein überhaupt. Vgl.
Innocentius (a. 417. Avell. 41, 3) ad rectum viae tramitem redire;
Simplicius (a. 478. Av. 65, 2) a catholicae tramite veritatis
avertere.
Viel signifikanter ist der tropische Gebrauch von decolo-
rare, entweihen, trüben, corrumpere. Vgl. Ep. 6, 3 decolorata
primordia; 9,3 decolorasti gloriam (worauf folgt violasti); 14, 9
sine decoloratione recipi non possunt; 26, 3 (Av. 95, 16) catho-
licorum, quos nitebantur decolorare. Tract. 5, 8 (Av. 97, 28)
angelus degener factus ac de caelesti sede pro hac sui decolorsr
tione seclusus; 5, 24 (Av. 97, 80) mortis condicione decoloratum;
5, 25 (Av. 97, 82) concupiscentiae decolorare excessus; 5, 25 de-
generis ac decoloratae radicis; 6, 10 (Av. 100, 25) cur decoloratis,
cur ad vilia quaeque deducitis? Trotzdem glauben wir nicht an
individuelle Prägung, einmal weil uns analoge Tropen aus der
Farbenwelt bei G. nicht bekannt sind, und weil es näher liegt,
das Wort auf das Studium Augustins zurückzuführen, welcher es
vielleicht zuerst gebildet hat. Vgl. civ. d. 11, 7 cognitio creatu-
rae in se ipsa decoloratior est, ut iUi (Ucam, quam etc. Ep. 138,
10 decoloratis corruptisque moribus.
Mit sichtlicher Vorliebe bedient sich G. der Verba impe-
tere, irradiare und ventilare; nach Günther kämen diese in
den Papstbriefen vor G. nicht vor, wohl aber in späteren, wo sie
auf den Einflufs des G. zurückgeleitet werden könnten. Es sind
keine Neubildungen, sondern impetere konnte G. bei Lukan ge-
funden haben; auch irradiare ist ursprünglich poetisch, und venti-
lare ist durch Fronto und Juristen in die Prosa eingeführt. Wir
10 Ed. WOlfflin: Der Papst Gelasius als Latinist.
könnten reiche Beispielsammlungen mitteilen, welche indessen
ihren vollen Wert erst erhalten würden, wenn wir im stände
wären genau anzugeben, wie sich 6. zu der älteren Patristik
verhält.
Um mit einer stilistischen Beobachtung zu schliefsen, so ist
G. für den Reiz der Allitteration nicht unempfänglich; doch
vermeidet er die abgedroschenen Formeln, sucht die selteneren
hervor imd hat vielleicht einige neue Paare zusammengestellt.
Statt des allbekannten oro, obsecro, obtestor schreibt er also
Epist. 12, 4 deprecor, obtestor et exhortor, wie auch Simplicius
(Av. 56, 10) precor atque obsecro. Ciceronianisch ist plenus et
perfectus (Av. 97, 54. 100, 26), natürlich auch schon den Alteren
geläufig, wie Av. 58, 3 (dazu plenitudinem perfectionemque Av.
67, 46) und öfter; gleichfalls ciceronianisch, aber von Cyprian,
Hieronymus und Augustin verwendet, pravus et perversus Tract
6, 4. Av. 95, 37; ursprünglich plautinisch salvus et sospes Ep.
10, 10. Für durus difficilis, dominus ac deus, palam publice kann
auf Seneca, Sueton und Tertullian verwiesen werden. Spät-
lateinisch dürfte parte vel portione sein, Ep. 1, 14 (belegt aus
Urkunden des 7. Jahrhunderts bei Pardessus); ungewöhnlich
aporiantes et angustati Ep. 13, 1; familiaritatem foedusque Ep.
12, 8, wozu noch die zugleich reimenden Verbindungen onerosus
potius quam officiosus (Ep. 12, 1) und frementes atcjue frenden-
tes (Ep. 1 , 20) hinzukommen.
Für die Echtheitskritik sind nicht nur abweichende Aus-
drücke zu benutzen, sondern auch gewöhnliche, wenn sie unver-
hältnismäfsig häufig vorkommen, wie nullatenus, utique oder
quod absit. Die Bibel giebt uns die letztere Wendung nicht
in Form des Relativsatzes, sondern im Hauptsatze absit a te (nobis)
lob 34, 10. Matth. 16, 22. Vgl. Arch. VII 170. Dem Gelasius
scheint die heidnische Form vorzuschweben, quod omen dii aver-
tant (neben dii avertant oder dii avemmcent); denn er schreibt
selbst Ep. 7, 3. 12, 6 quod dominus avertat. Natürlich findet sich
auch bei tt. absit ut, imd schon vor G. quod absit, z. B. Simpli-
cius Av. 63, 4. 64, 2. Gleichwohl bleiben die 30 Beispiele von
quod absit charakteristisch für Gelasius, sodafs man den Autor
daran erkennen kann.
München. Ed. WSlffliu.
Die Vorrede des lateinischen Dioskorides.
Diese Vorrede ward zuerst 1478 zu Colle in Toskana von
dem magister iohannes allemanus de medemblich am Eingange
seiner Ausgabe der alphabetischen Redaktion gedruckt. Mit Bei-
ziehung weiterer Handschriften ward das Ganze wiedenmi 1512
zu Lyon verlegt per Gilbertum de villiers expensis Honestissimi
viri Bartholomei trot. In diesen beiden Ausgaben, wie über-
haupt in der alphabetischen Redaktion, erscheint die Vorrede
etwas gekürzt und umgestaltet. In der ursprünglichen Form gab
sie nach Cod. Monac. latin. 337 (M) T. M. Auracher in: Der longo-
bardische Dioskorides des Marcellus Virgilius. Vollmöllers Roma-
nische Forschungen I (1882) S. 54 — 56. Allein Auracher hatte
keine anderen Textquellen als die Münchener Handschrift, die er
und K. Hofmann für ein Unikum hielten; selbst die Inkunabel-
drucke waren ihnen unbekannt. Nun sind aber gerade die ersten
Blätter des Codex schwer beschädigt; fol. 2 (1 fehlt ganz) zeigt
einen grofsen keilförmigen Ausrifs, dem viele Wörter zum
Opfer gefallen sind, auch sonst sind die Blätter vielfach durch-
löchert, die Schrifk ganz oder teilweise zerstört. So ist denn bei
Auracher der Text recht lückenhaft, auch ist manches falsch ge-
lesen. Nach den Drucken hat Sittl in Bursians Jahresber. Bd. 43
p. 90 eine Anzahl von Verbesserungen und Ergänzungen gegeben;
auch eine moderne Abschrift des Münchener Codex, welche die
Bibliothfeque nationale zu Paris besitzt, hat manches besser, ein-
zelnes aber auch schlechter als Auracher. Es sei daher hier der
Versuch erlaubt, auf Grund weiterer handschriftlicher Quellen
den Text zu gestalten, zugleich als Probe meiner Neuherausgabe
des ersten Buches des latein. Dioskorides. Leider fehlt nun ge-
rade im Codex Parisinus latin. 9332 (P) die Vorrede; auch jene
zwei Blätter desselben, welche jetzt zu Bern im Cod. A. 91
verwahrt werden, bieten dieselbe nicht mehr, ebensowenig die
Göttinger Fragmente (G).
12 Herrn. Stadler:
So sind wir denn neben M ganz auf die alphabetische Re-
daktion angewiesen, wofür ich bisher folgende Handschriften
auffand.
1. Codex Bambergensis L. III. 9. membr. saec. XIII . . . . a
(Enthält fol. 28v<> u. 29 nur die Vorrede.)
2. Cod. Bononiensis 620. (IL — A. — 223.) membr. 8^, 83 fol.
saec. XII h
(Ex bibliotheca Ulyssis Aldrovandi. Bologna. Umversitätsbibl.)
3. Cod. Casanatensis 955. [A. IV. 6.] membr. 250 X 150°^,
92 fol. ^saec. XIII. uel forte praecedentis' c
(Rom, Bibl. Casanat.)
4. Cod. Amplonianus 41 fol. membr. saec. XIV e
(Vgl. H. Schum, Beschr. Verz. d. Amplon. HandBchr.-Samml. zu
Erfurt. Berlin 1887. S. 161.)
5. Cod. Parisin. latin. 6819 (Colberg. 3793 Reg. 6039) membr.
245 X 163"™, 70 fol. saec. XUI i\
6. Cod. Parisin. latin. 6820 membr. 345 X 240™", 74 fol.
saec. XIV p^
7. Cod. Parisin. latin. 6821 membr. 285 X 215™, 128 fol.
(110 bis) saec. XV p^
(Alle drei in der Biblioth^que Nationale zu Paris.)
8. Cod. Vossianus Latinus in quarto Nr. 1, saec. XIV ... v
(Universitätsbibl. zu Leydcn [reicht nur bis ficus maritima].)
Dazu kommen noch die beiden Drucke, von denen ich den
von Colle mit x, den Lyoner mit k bezeichne. AI, bedeutet Über-
einstimmung aller Textquellen der alphabetischen Redaktion.
Von den oben genannten Handschriften ist die beste und der
ursprünglichen Form am nächsten stehende die Bologneser (6),
dann folgen p^, v, c und a. Die Erfurter (e) hat viele Flüchtig-
keitsfehler und Verschreibungen; p^ steht dem Drucke von Colle
am allernächsten und hat allein von allen die Randnoten des
Petrus de Abano. Die schlechteste ist p^.
Mit Vergnügen benutze ich diese Gelegenheit, um sowohl
den Vorstanden und Beamten der betreflfenden Bibliotheken, die
mich in so entgegenkommender Weise mit Aufschlulserteilung
imd Überlassung ihrer Handschriften unterstützt haben, meinen
gebührenden Dank zu sagen, als auch dem Vorstande der Kgl.
Hof- imd Staatsbibliothek zu München, welcher mir die Über-
sendimg der Handschriften vermittelte und deren IWützung in
besonders liebenswürdiger Weise ermöglichte.
Die Vorrede des lateinischen Dioskorides. 13
2c Incipit 6PIST0L<\ DIOSCHORIDeS.
Multi uoliierant auctores antiqui de uirtutibus herbarum et
conpositioues oleorum <scribere^ et quam plurimi iuniores sco-
lastici amabüiQ Ariae frater tempiabo et ego probare tibi in hoc
presentm mea et non qualia Uli qui nee initium nee finem conphre
potuerunt sed ex hütoria hoc est ex diuersa instrucHone pando et
probabiliter tibi osfendo et singularum rerum confectiones et pigmenr
forum uirtutes; nam et quae ab antiquis scripta sunt ud quae ex
his probanda sunt uel reprobanda sunt düigenter monstrabo. nam
lolaos JJiimiensis et Eradides Tarentinus leuiier huiuscemodi tdi-
gere rfoctrinam pretermfftentes herbarum uirtutes | 2d
Incipit prologus diascoridis libri (rot) h. incipit dyascorides de sim-
plici medicina und ex dioscoride p^ von spät. Hd. incipit prologus in libro
diascoridis smnmi et illustri medici de erbarum noticione siue medichami-
nibos qualiter coUigantur qualiter resserüantur qualiter qb' conficiantur
(rot) p^. incipit prologus sequentis libri per alfabetuzn transpositi secun-
dum constantinum (cf. Rom. Forsch. XI p. 2) a incipit liber diascoridis
(rot) c Prologus djoscoridis de simplici medicina. Incipit prologus dj-
OBCoridis X.
Dioscorides per Petrum de Padua correctus et elucidatus p^ von
später Hd. ; |), u. x haben hier die Note : Notandum quod libri diascorides
dicti duplex reperitur ordinatio ; in |}j ist die Schrift der ersten Seite mit-
nnter recht beschädigt. actores e conpositione AI. oleorum v
ororum e olerum ahcp^Tnl holerum p^p^ scribere -4Z. pluri"** h
Bcolastic^ h amabit aerig fuef a. R.*) uel ferunt h amabit arte
aerie ff p^ amabilis aerie e amabili serie i^^xX mit der Note: litteris
enim alfabeti • i • ordinando et sermone planiori ! amabilisarie frater p,
aerie c fr.' a. R. aP super p, temptabo AI. tentabo X Et
ego %X ego auf Ras. h tempt. prob, et ego tibi a presencia /),
presen^a v mea fehlt a ma p^ nra p^p^Ti qui nature init. e
inicium acp^p^ ini^um v et hystoria e ex hystoria a&xX
ystoria p^ istoria cpi hoc est ex div. fehlt v dmersa a. Ras. h
hoc ei causa p, instruccione cp^ in8truc§one v pando et prob,
tibi he pando tibi et p^p^y^X tibi pando et p. t. o. p^ prob. ost.
cvp^p^xX singularium i^ijPgxZ confeccion. c etiam que |)i qug
av (^in b v. 2. Hd.) sonst que qug av sonst que (^ in b v. 2. Hd.)
ex hiis ep^ scripta sunt postque ex his probata sunt dilig. p^ prob,
sint dil. V prob, sunt uel que repr. sint e prob, sunt dil. (a. R. von
spät. Hd.: uel reprobanda) b prob, sunt uel repr. dil. c probanda et
reprob, sunt jp,x>l loca os bv loca oms ac loca omnia X locaos
^PiPiPs'i^ hiihiniensis v. spät. Hd. b niciniensis cv uitinienses a
bitininensis p^ bitunensis e litunensis p^ vicinensis p^yi a. R.
^ a. R. BB am Rande
14 Herrn. Stadler:
dimittentes etiam metwIKtiit et haromaticas species. Crathebas
aero pmdentissimas et Andres medicvft. radieibus diuersarum herba-
mm concisos potestates et uirtutes pignwdkpnini colligere potue-
ront antiqnis auctoribus melius ordinapiies quitm^ et i/isi multos
radicea et nomina herbaruni potestates ^^retenniserini.
ceteri huiusi>io(7t coiiscrqjiores propemodum omnia preter-
fuisisse uidentur . quorum etiam nomina in notitia oninium tmdo
id est Basilins. TuWus et Xicheratus et Nigros Petronius et
Diodotus, hi onmes asclepiadii fuerunt qai uoluenmt uirtutes
specierum prouationesque leuiter demonstrare. quin ex casuum
probatione potuerunt tradere. sed calore iubentur. bis raptis.
uerbositatem magis quam plenam sunt instructionem consecuti.
quorum ex bis unus certior euforbium boluit sucum esse camelae
al.' uttimensis uitinenBis Z a. R. uitiniensiB. eracL a. Ras. b exmlci*
des car. e leniter e, fehlt Pi tetigenmt aPiPfPfV discipUnam AI.
et met. a etiam metallicas dimitt. p^nl metalica d. p^ dimi-
tentes b aromaticas AL Carcathebras b caratebras a erater-
bras e crathebas r Catebras p, Cathebras p, Crathebras p^xX
])ratent. p^ andre' p^ andres r andras p^ Andreas «
radieibus herbamm diuersis concisis abcep^p^X rad. diuersis herbarum
concisis v radieibus fehlt />, x contisis p^ % potestates uirtutesque
AI. picm. a ab antiq. e anctoritatibos bp^p^uX ordintes v
quamuis AI. et ipsi v. spät. Hd. b ml'tas multas rad. e multa v
herb, et potest. AL pt'misrt a. R. v. s|)ät. Hd. b i>retermiBerunt
aep^X n. herb, pretermisenint r pr^miserit korrig. v. si>ät. Hd. in
pr'miserit p, Cftara rad. r hi'moi p, h'eemodi e i^reterndMe b pre*
term. omn. vid. e * quorum et v. spät. Hd. b quor. klein c et nom. a
noticiam dcpjxX noticia p,p, noti§a r notia ^ oiu i noticia a
tradam p, Bassilius bnX Tellius ahcpi et tellius p,« et
tuliuB p, incleratus e petronis cpi nigrospeti anus p, cliod.? e
hü ep^p^TiX hii 2. i ausrad. p, asclepiadi c -des b fuere x
asclei)iadii fuere pucri X fuer qui uoluef p, fuerunt qui fuerunt
uol. p, asclepiadii experimentatores fuerunt qui e probacion. c, sonst
probation. probationesque cognoseere et leu. monstr. p^ monstrare
aecc probationes abvp^ probd^s e probaciones c qui sine causa
probationem p, caü x qui sine casu bcevp^X probationem p^xl
qui sine casu uel causa probationes tradere sed a qui sin c'a't
casu pj trad pot. e sed calore iuuentutis rapti AL i^doch iuuentis a
inuentutis b) consecuti sunt AL instruccion. cp^ , wo mag. q. pl. und
inst, nachgefahren sind. Quorum unus ex h. b hiis exX cercior cp^p^
cer§or i;, wo unus fehlt uoluit AL succum uoluit esse herbe
camimelle c uoluit esse sucum herbg camomillg a uol. succum esse
herbe pj succum esse e uol. esse succum p, x X u. e. sucum herbe />,
Die Vorrede des lateinischen Dioskoridee. 15
herbae. quae maxime in Italia nascitur et andro- | 3 a semon. simi-
lare uoluit hipericho. aloen etiam caupsiten dixit in ludea nasci
ceteraque Bimüi mendacio conscripsit. peccauit etiam in consti-
tuendis. uel demonstrantis uirtutibus et nominibus pigmentorum.
nos autem ex prima etate iuicui 6t4piditatem. etiam buius rei ha-
hentes moltdrum regionom terram eonuifnus. maxime cum me
scias uitam militarem exercuisse euius militie causa omnes prouiR-
cias girando Siddidici et post expleta stipendia militiae ocio coji-
donatns studiosae ac diligenter mibi laborem imposni ut (juhique
libros de herbarum potestatibus et uirtu^ et confectiones oleor
rum ostenderem. ut quae ab aliis pretermissa sunt scribendo mon-
strarem a me, carissime frater. quare peto te ut cum bos quin-
que libros legere fueris dignatus. non ad mea uerba tantum sed
ad uirtutes pigmentorum uel herbarum attendas. hac enim qua
conscripsi hac tibi tradidi non ex opinione. | 3 b aut fama co-
sucu h herbae v camomille hevp^p^p^Til que AI. ytalia ep^x
italia p^ nascitur ceteraque similia mendacio b. Das Fehlende:
maxime et audrosem. — nasci von spät. Hd. a. K. nachgetr. : et fehlt 7t l
simulare p^l simtare ex yperico abvp^p^Til ypericon e
inperico p^ ipperico c aloen et causiten ap^ causiten PiP^bvcTil
causton e similia ae medato x mendact e mendatio X mda-
tio j)f pecc. et in ar demonstrandis AI. nom. omnium pigm. bp^p^evxl
uirtutibus omnium pigm. jp, et omnium nom. pigmentorum a
aetate r etate a ex prima iuuentute uel etate bcep^^ ex prima
etate; Glosse: uel augmentatiua p^ etiam fehlt ;;, cupid. fehlt e
hab. huiuB rei c terras circuimus e circuiim' b circuiuimus ter-
ram Pi terras circuiuimus acevp^p^nl cum scias a mil. uit. bcep^
exercuiss^ b exercuisse me a milicie cep^p^ sonst militie mili^^ v
milicig a prouint. x gyrando c addidisti e milicie jp, milicie ac
miliciat p^ sonst militie otio b% ocio in otio korr. ^;, oio e
studiose AI. (stud Rasur ose b) hac diligent p^ michi r la-
bore p^ im**' Hbr. a et uirtutibus AI. confectiones abe con-
fecciones jj, confeccione c confectionibus ^, rxl confecti oinbj p^
oleruma&PjxX ot'orum c holerum />,/>, otum /jj oleonim cir
ostenderiS a que abce et que i^j/^axX et qug v sint r
scrib. et monstrare p^ a me fehlt AL kme hat a. Has. b kme f i-
evpiP^ frat' p, kme fil' e karissime a char. X te peto Al.^
doch quare repleto e hos quatuor a libros VI e dign. fueris e
amea p^ tm e tantum fehlt 2h Ps^'^^ uirtute c adtendas b
■ed pig. uel herb, uirtutö atndas Pi atenda p^ hec enim que AI. doch
hec e. que v hec H- omoia qug b scripsi bp^ ytX ac tibi AL
non opin. a oppin. b
16 Herrn. Stadler:
gnoui. sed ex lectione et experimento addidici. nam et multamm
prouinciamm situm non ignanis adtendens. manifestissime in-
stmo secrmdum climma et genus. et omnia conscripsimns. qnamin
uirtutes medicinae sunt necessaria. et conpositiones. et inuictas
nirtutes. qui cum conficere aliquod medieamen uolueris. inspicies.
meritum uirtutis pigmentorum et ex aliquantis unam facis con-
fectionem tunc poteris causae succurrere. preterea etiam hoc con-
uenit nosse ex quibus locis colli gende sunt herbae. in quibus etiam
reponantur. temporis etiam oportunitas requirenda est, ut non
usque differas. quae pro tempore colligas. ne aut. arida nimis. aut
inmatura decerpas. in bis enim coUigendis nisi tempus aduer-
teris potestatum suarum. et uirtutum possibilitates omittunt.
magna res est enim in scire tempus herbamm coUigendarum. an
sicco, an humido. an frigido. an calido tempore colligas. | 3c an
ex leccione uel experimento c sed electione e ex electione p^nX
sed exper. uel ex leccione p^ didici AI. q didici b nam
n
ex a et fehlt nach nam PfP^^Ä. terramm p^p^nl igaros p.
uc.
attendens AI. doch adtendens p^ instructns ce instnctos p^
AI
instruo ? b instnicto a instruo secund. uirtutes qnicum (elima — in-
uictas fehlt) a secundum uocationem et genus onmia crp^p^p^xl
s. prouocationem et gen. onm. e sed uocatione et g. o. b con-
scripssim' />, necesstLiie p^p^p^nk necessarie her nee. sunt e
medicine Ah doch medicin^ bv inuict| v inuicte in iniucte korri-
giert b inuicte cep^ innere darüber Rasur p^ nee. secundum poci-
ones et inuictas uirt. />j q' '> conf. e qui conf. p^ Q p, uol. ali-
quod med. cepi aliquid med. u. ap^ aliif b aliquod conf. med.
uol. p,xi inspicies -^ v. 2. Hd. /), merito cp^ merita f et uir-
tutes AL unam facies abep^ faciens unam cvp^p^xl confeccion. cp^
confectione" v. 2. Hd. b cause bcep^p^xk caus^ abvp^ etiam
c c
conuenit hoc bce et hoc c. p^p^*'^ hoc uenit r, v. 2. Hd.
nosce ja, h. coli. s. e colligendg s. herbj a i\ sonst herbe in q. et rep. a
reponuntur p^ etiam horis reponantur p^nl in quib. horis rep. p^
Temporum ce temponim etiam et op. b temporum et op. a tem-
porum op. r et quo tempore op. ja^xi tempfe op. p^ ut nusquam xX
ut nusqi Rasur lä} j>, etiam usq; d. e ut non — colligas fehlt p^
que pro fPtPif Qui pro acxi quo temp. 6 coligas p^p^
ne Rasur aut p^ nimius e nimmis p^ immat. accp^^i^nl hÜB
fja^xA etiam e. xa aduenerit avp^xl adueneit ;>, antis b
aduertis p^ tpt aduenire aduertoris r iv>ssibilitatem cep^ possi-
bilitatis abp^xl amittunt AI et. -H- est j», enim est 6«xi. in
nur M. tpr coli. herb, aep^nl colig. h. ^, A . . . A /i^ aut .*. .
Die Vorrede des lateinischen Dioskorides. 17
ex altis et montnosis locis an ex uallibus et campis. an ex locis
humidis aut siccioribus. fortiores enim sunt herbe qae in campis
homidis naseuntnr. maxime umbraculo quolibet a sole fensatis.
Mm hae sunt herbe eligende que non ex ueteri radice gi-
gnnntur. etiam hoc latere prudentiam tuam non debet quod ali-
quante terrae regionum secundo fetant herbas quas aut cultura
nasci preeipiat aut natura locorum inmaturo euomet tempore,
nam multas herbas nouimus hiemis tempore et flores et folia
uiridia habentes multe etiam in anno secundo fetant flores. nam
qui huiusmodi uult habere notitiam diligenter debet scire quo
tempore semina quo flores. quo radices. uel ipsas herbas colligat.
uti scias quae nature sunt, quae utiles atque inutiles. uel que
habent inpostura. ut facile probes atque cognoscas. signa etiam
herbarum quae in plurimis | 3d foliis quae in raris sint demon-
ant , . . e coUigantur aut ex aliis e t|^r herbas colligas b montuos-
sis P3 ex oalibuB et canpis p^ ex fehlt vor locis cp^ hum. et sicc. cpj^
an siccior. ab h. uel siccis vp^p^nX h. uel siccioribus locis e forcio-
^^ ^PiPt 8^"^* enim p^p^tiX herbg o e. herbg sunt v qu| av
in umbraculo v defensate ep^p^-nX defensat^ ac deffensate p, defen-
säte b nam he herbe sunt b nam he| sunt coUigendg herbg q^u| a
nam hee sunt eligende c^;, xX nam he sunt herbe elig. que v he
di
sunt p^ n. hee h. el. que e n. heg sunt p^ ex fehlt c race v
ginguntur b Etiam latere hoc bcpi et hoc latere axX nam 1.
hoc e quia vp^p^nX qui a aliquant^ terrg abv fetant p^e fetant
uel ferunt v secundo v. spät. Hd. übergeschr.; nach ferät Rasur b
ferant a ferunt ep^p^% fuerunt X quas — nouimus fehlt e pcip jOj
precipit p, p, inmaturo v. spät. Hd. übergeschr. b in mat. p^ x
euomit vp^ euo b hyemis tempore bce t. yemis x t. hi. p^
t. hyem. p^X habere avp^p^yiX et folia uiridia habere et flores
bcep^ multe v enim bcep^p^ in autumpno b in uno anno
sec. Pi ferunt ep^yiX ferant a fetant uel ferunt v ferant flores
quo radices (nam qui — flores a. R. v. spät. Hd. mit der Variante hi*) b
noticiam Äl. aufser b quia h* e colligere debeat p^ coligat p,
quo tempore e herb. ips. a ut sciat p^ ut scias vp^ uti
sciat c un scias e Rasur scias b qug maturg abv sonst que mature
sunt uel inmature Äl. doch immaturg v inut. p, uel inut. b que
av sonst que que inposturam habent jp^ quem inposturam ut v
^q b h. inposturam abp^p^x imposturam X inposteram a imma-
ture que habent [sed qnt* manipto uel in sitibus debent poni. et non in
confectionibus] inposturam ut . . . e cognoscas uel signa figuras etiam v
cogn. figuras signa p, signa et h. a sigüa et auf Ras. b signa
hierb. et qoe e signa ociä (c ausradiert) p^ pluribus p^TiX in fol.
ArchiT für lat. Lexikogr. Xn. Heft 1. 2
18 Herrn. Stadler:
stro. multos euim error decipit nescientes. nam hamm rerom
plnrimi scriptores qui occultate fide haec scire non potaerant.
erraaenmt dioentes aliquam non habere nee äores nee ramulos.
Bec Semen, sicut est .grosteos -i- gramen, sut ueciu. aut pentafiUu.
hae nollo tempore äores gaudent. oportet etiam hoc medicom
scire. quae herbe, quanto tempore dorent. ellebori ambo albus et
niger anno ono durare possont. alia enim triennio dorant quo-
rum nomina subtus subieci. mazime quae in duritia uel in creta
nascuntur. id est sticados. caraedrion. polion. broton. seriphon.
absenthion. ysopu. et similia suprascriptis. iste herbe pleno se-
mine colligende sunt, quarum flores antequam cadunt legi oportet.
plurim. be in plurim. ociam p^ in ramis acep^ ^q i ramis b
sunt PiP^e demonstrabo e eror j?, herror b m. enim decepit
error xX er. decepit ap^ deci e n. h. rerum herbarum v harum
rerum • i • herbarum /?, multi script. 6 c plurimos p^ occnltata a
occulata vp^ occulta b occultate e occultate Pi ocultata p^
oculata xX hec scire avp^ hoc sc. cxX h' sc. bepiP^ po-
tuer. errauef 6jP| errauere acnXy fehlt v aliquas aeup^ aliqn p^
aliqn c aliqu b alit^ p, non habere flores vp^p^uX non h. non fl. e
nee ramos p^ nee sem. nee ramos b nee sem. nee ramolos e
nee sem. fehlt c agrostis abvp^xX agstis pj acstis c
agrestis ep, bichic b bichicon acevp^ bichichon p^ bibicon p^
bibichon xX pentafilon evp^p^ penta filon b pentafilum a
petafilon c pentaphjlon p^ pentaphilon xX he§ ap^ hee bexl
hg ct7 he, 2. e ausrad. p^ he p^ zu nuUo a. R. al' mnlto b
nlto p, flore gaud. avp^nX gaud. flore bcepi fl. gaudent
a. Ras. p, h' scire e h' m. sc. bp^ oportet et hoc m. sc. a
que av sonst que ell'i e EUeborus albus et niger vp^ a\h% et
nig' e annum unum ace annü • i • d. 6 d. • i • annü pj pht xX
AtsB ft Pi alie vp^p^nX At' b tmnio e durare poss p^
quarum abvp^p^xX ieci b subiecti e subiciam p^ que t;
que in tracia • i • duricia uel creta p^ que in grecia uel in creta
darüber -i* v. 2. Hd. j^^^xX q. in duritia uel creta c q. in duricia uel
creta a que in duriga v q. in grecia uel in cretica p^ uel in cti
Rasur b st. idest camepitheos uel comedreos a -i- stic. uel came-
pilheos. cam. bcep^ camepith. fehlt v sticados. camepith. p^xX
• i* sUca. bardos. camephiteos p^ camedreos evp^nX chamedreos p^
(ßL§^6izovovy serifon AI. polion uel fer. p^ absinthion abvp^p^
abaintion cep^nX ysopon a ysopum e jsopos bevp^p^n
ysopo p^c ysopus X et sim. sunt p,xX et similia. vp^ istg herbe
plen| av h^e p^ iste pleng h. sem. sunt coli, b coUigendg v plene
Die Vorrede des lateiniBchen Dioskorides. 19
semen nero earum non siccum exsacandum est. eo ipse herbe
deinde cnin floribus ezBncande sunt. lacrimuB herbarum de uiri-
dioribas | 4 a herbis ooUigendi sunt, radices et comas radicum.
ut superius diximns. matnribus herbis tollende sunt, quarum
radicTun coria si exsacare uolueris. illo tempore oportet fieri. cum
iam ceperint deponere folia. tempore adactae. maxime qui uo-
luerit herbarum radices colligere. et mundas locis siccis easdem
debet ponere. et si non faerint munde, id est terrae plene labande
sunt et sie reponende. • flores herbarum et semina earum arcellis
uel loculis ligneis redigende sunt, aut in cartis aut in foliis suis,
haec enim semina seruari solent. quod si sucos seruare uolueris.
propter humida medicamina. oportet in uitreis aut argenteis, aut
comeis uasis reponi. quodsi ad oculorum medicamina sucos ser-
semine cep^p^nX sem. plene j9j anq h anq PiP^ cadant AI.
colli^ debent c colligi oportet abevp^p^^X antequam sciu coli^
op. p^ Semen uero hanim e exicandom p^ exsicand' p^ sonst
exBicc est fehlt e he§ ips^ a he Ras. ipse p^ h§ ip«| h
h^ ipse ftre p^ hee ipse cenX he ip. p, ac ips^ herb| v
dein^ a dein e e. fi. snis AI. c. floribns nel foliis suis p^ exi-
csnde e eziccande p, sonst exsiccande Lacrymns X herbanun fehlt p^
coüigendus est AI et come AI doch come v radices nel comeas
aut coria radic. Pj de mataris AI. coUigende sunt p,nX tollend^ a
q. radices cum coriis abv q. rad. cum choriis c qu. radice pre-
dictarum coria p^ q. radices. radicum coria e q. radices et radicum
coria p^p^xX siccare b exicare c exiccare p^ sonst exsiccare
nolum' in uolueris korr. a adducte b adducte cepjp^pjx adductg a
adlact^ adduct^ v adulcte X max. q. uoluerit p^cv m. q.
noluerint p, m. q. uoluerunt anX m. q. uolult b m. uo-
lait Pi rad. herb, e coli, in mundis AI et siccis locis e
locis et siccas eas %X sonst locis et siccis eas depone' korr. p, de-
bet — y. 2. Hd. p, ponere p, exponere e deuet v sonst deponere
debet. eas ponere deb& pj debet ^ v. 2. Hd. p, fuTt b fuerunt p,
mund| pleng u. s. w. abv fuTt radice müde, lauande sunt (-i- terra
plene fehlt) p^ sonst: terra AI. lauande AI. erü arcellis et 1. & in
arcellis l locus e religende cp^ religende ab redigend^ v
kartis a aut foliis p^ suis fehlt AI. hec AI. doch hec c reser-
nari bee sie serbari v hec — solent fehlt p^ siccon seruar auf Ras. Pg
de conseruari p,xl succos cenX conseruare x)l reseruare uo-
luerit e oport. aut in 6pj occul. p, succos cep^%X qui e
qug av sonst que recipiunt Ah in confeccionem suam pj in con-
fectionem suam p^p^nX in confeccione sua liq. picem c recipiunt p. 1.
in confectione sua be r. confectione sua v aut acetum be aut cedrias e
2*
20 Herrn. Stadler: Die Vorrede d. lateinischen Dioskorides.
uare aolueris. qaae recipient in confectione sua. picem liquidam
nel acetnm. aut cedriam in nasis heneis ant s^agneis ümIs.
eXPUCIT ePt'A DIOSCHORTOeS.
IXCIP= LIKTLTES PIGMENTORÜM
CETERAQÜ-E AD HOUS MODI
PERTINENT RATIOXEM.
nel cedriam xl eneis AI. doch gneiB r fac b ant st&gnatis
lacias e stagneis pone p^ faties x facies p^i in |>, t. spftt. Hd.
Expiicit ;überfahren prologus incipit textus libri. r Finit prolc^pis.
Incipit über. Ä
Freising. H. Stadler.
Ritilis.
Dals die rutilae eomae. welche Tacitus Germ. 4 den Germanen nach-
rühmt, nicht mit ^fuchsrot*, sondern mit ^hochblond* (impertinent blond)
zu übersetzen sind, zeigt schon der Name des Bruders des Arminins,
Flavus. Die romischen Schriftsteller glaubten diese Mittelfarbe besser
mit rutilus als mit rufus zu bezeichnen, wie ja Tacitus selbst dem
Bataver Cirilis bist. 4. 61 rutilatum crinem zuschi^ibt. Auf die
Hautfarbe hat Calpumius Flaccus declam. 2 das Adjektiv übertragen:
rutili sunt Germaniae vultus: und dazu gesellt sich noch Hieron. vit.
Hilar. 22: Butilus coma et candore corporis indicans provinciam \^inter
Saxones quippe et Alemannos gens non tam lata quam valida: apud
historicos Germania, nunc Francia vocatur^ Der helle Teint, welcher
mit den blonden Haaren verbunden zu sein pfle>;rt. wird bestätigt
durch Firmicus Matern, math. 1, 1 cur omnes in Aethiopia nigri,
in Germania candidL Vgl. Liv. 38. 21.
München. Ed. Wolfflin.
Manicilis.
Die von Mever-Lübke Gramm, d. roman. Spr. I 412'i geforderte
und von Wilh. Schulze i^Arch. VIII 134^^ insohrittlteh nachgewiesene
Form manaclus ^maniclus"^ tHr manipulus £udet sich auch in der
besten Handschrift (Cod. Ämbro& von S e n e c a diaL 7. 25. 2 in
maniculo: sie wird auch in den Text zu setzen sein, obschon dial.
5. 22, 2 manipalares überliefert ist.
München. Ed. Wolfflin.
Epistola Pseudohippocratis.
Dem Liber de medicamentis des Marcellus Empiricus geht
in der einzigen bis jetzt bekannten Handschrift^ dem Cod. Lau-
dunensis 420 (antea 326) saec. Villi, sowie in den Drucken des
Comarius (Basil. 1536), Aldus (Medici antiqui Venet. 1547) und
Stephanus (Medicae artis principes 1567) eine Briefsammlung medi-
zinischen Inhaltes voraus (Epistulae diversorum de qualitate et
observatione medicinae). Darunter befindet sich auch ein Brief
des *Hippocrates' an den König Antiochus (Antiocho regi Hippo-
crates Cous salutem d. S. 5 der Ausgabe von Helmreich). Eben
dieser Brief steht auch in dem Cod. Parisin. Latin. 6837 (De la Mare
511. Reg. 6349. 109 fol. 195 x 120°^°», membr. saec. XHI/XIV.
Biblioth. Nationale), aber in so veränderter Form, dafs man eher
an eine selbständige Bearbeitung, wofür auch die Hereinnahme
von Stücken aus dem zweiten Briefe (Epistula alia eiusdem Hippo-
cratis ex Graeco translata ad Maecenatem. Helmreich a. a. 0. S. 9 flF.)
spricht, als an blofse Willkür ungetreuer Abschreiber denken
mufs. Der Text des Briefes lautet nämlich hier (fol. 42r**. sq.) also:
Incipit epistola ypogratis ad Regem Antiochum.*)
Quoniam conuenit te regum omnium potentissimum uitam
longam et aetatem producere, maxime cum tanta sapientia uigeas, ut
mathesin quoque optime scias, Optimum duxi etiam rationem salutis
tuae tibi notissimam fieri, ut ex qua origine uel quibus de causis
morbi nascerentur et quibus uitia reprimerentur medelis disceres. ö
Sicut enim tempestas imminens signa praemittit, ita et corporis
g or3m.
1 Qm 3 sias optimü 4 post morbi ras. 5 uicia 6 pre-
mittit langor
*) Mit Ansnahme der Überschrift gebe ich moderne Orthographie.
AUe Abweichungen der Handschrift sind unten vermerkt.
22 Herrn. Stadler:
languor impendens certa significatione praenoscitur. Haec ergo ^si^tu
diligenter obseraabiS; qui fidem nostris demonstrationibus accommo-
das^ poteris reliquum tempus aetatis integra sanitate decnrrere.
Quatuor sunt humani corporis partes a quibus oaletadinam ma-
6 nant origines^ id est Caput; pectus^ uenter atque uesica. Si uero
capite^ ut saepe fit, aliquis uenturus est morbus, bis intelligi
assolet signis. Nam quasi uertigo et tenebrae subsistere aut etiam
in eadem capitis parte uarii dolores existere <(8olent^. Supercilia
aut etiam praegrauantur aut de temporibus pulsus micat aut de
looculis mane lacrimae fluunt aut caligo impedit uisum aut sonant
aures, <nares> etiam obcluduntur et odorem non capiunt. Si
quando ergo aliquid tale sentitur, purgari caput debet, sed leuiter
nullo graviore medicamine, id est origani indici coma ^uel^ pulei
uel ysopi in mulsa melitissima debet infundi, cumque illic mace-
15 ratum fuerit, sucum ex eo acet<at>um dimidium j | fol. 42 v^. | he-
minae eo modo sedens ad solem <die> calido ieiunus gargarizetur.
Similiter sinapem colatum tritum atque cribellatum pinguissimae
mulsae admiscens ieiunus in balneo uel contra solem gargarizetur.
Sed et sucum betarum partes .11. mellis partem .1. in se mixtum
20naribus tepidum infundere conuenit, quia omnis humor in capite
consistit, ut aegrotetur, et cycli curas adhibeant uel ciborum. Hoc
qui neglexerit, huiusmodi incommodis subiacebit: Grrauatur audi-
tus et facit surdos. Plerumque nascuntur < > et hemicranium.
Aurium dolor fit et cerebri motus et sonitus assidue, plerumque
25 etiam singultus. Deinde et sjnanchae fiunt idest suffocationes
uel alme idest tussiculae, inde glandulae uel scrofae et diuersa
uitia. Circa fauces et ceruicem dolores oriri solent et strumae,
et in facie Scabies et faucium tumor. Inde uua distillat, quod
morbos plurimos excitat. Inde sunt et quae dicimtur edebronis(?)
30 6raece id est capitis pessimum uitium. Inde alopecia et ulcera
capitis et dentium dolores, et capilli defluunt et ad iectationem (?),
quibus uitiis cura superior adhibenda est. Si uero de pectoris
1 prenoBcitur 4 ualotudines manantur originum 5 adque
sepe 7 tenebre ut (uel?) 8 eiusdem cap. partes existere
9 supra aut ras. pgrau. do timpora 10 lacrime uisui
12 purgarc 13 origano . iiid. . comas 15 emine 16 sole 17 pin-
guissime mulse 19 beaii 21 egrot. cicli 23 emigranium
25 sonances 26 <^uliuc?y scrofe 27 strumas 28 scabiem una
que 29 que 30 grece pessimi uicium alopicia
32 uiciis
Epistola Psendohippocratis. 23
causa imminet morbus, haec signa praeourrunt. Capitis et pecto-
ris sudor exsistity fit crassior et et quasi plenior Lingua , os ama-
rum, saliua item amara uel salsa sentitur, tusillae defluunt, aures
dolent, cogitationes sequuntur omnino uigiliae iiiqui<(et^aey inquie-
tantur scapulae, et latera grauia fiunt et interdum dolent; osci- 5
tantur assidue sine somno et quiete. Grauitas corporis , animi
dolor, prurigo corporis fit, spasmus difficilior sentitur nocte, quasi
a somno tristior mens e^t. Frigus sentitur in pectore, tremunt
interdum brachia sed et manus reliqua interpellant (?) etiam sicca
tussis, dolor et prurigo corporis atque pectoris et defectio renicu- lo
lomm. Contra haec ergo tale remedium succurrit: Si quis plenus
est corpore, post cenam cibum et post cenam potum simul reiciat.
Macilenti uero ieiuni uomant; materiam simul flegmatis ac fellis
emittunt. Crassi uero corpore proderit etiam ieiuno uomere.
ütilius erit, si quis ieiunus bilem eiecerit. Bilis enim dicituria
jnater morborum uel humor fellis. Sed sie antea utatur radices
rafani confectas in oxymelle, nasturcii, sinapis et erucae. Huius-
cemodi talia comedant et aquam tepidam postea superbibant et
«ic prouocent || fol. 43 r°. | uomitum. Tunc omnis humor noxius,
qui amarus est uel crassus, reiectus plurimum subleuat. Certe si 20
non potest uomere, ne stomachum laedat, ieiunet tota die aut, si
necesse faerit, abstineat .X. et omne uitium uitabit. Hoc qui
curare contempserit, aut lateris dolore uexabitur, aut melancholica
id est nigri fellis iniuria periclitabitur, aut acutis febribus infesta-
bitur, aut lethargicus exsistet. Pulmonum quoque dolor, frenesis, 25
ardores, subglutiones et pestilens somnus inerit. A uentre autem
fli uenturus est morbus, haec antecedunt signa: Yenter ipse tor-
quetur et turbatur et corruptus cum cibo et potu reicit escam.
Nam potio amara sentitur, genua deficiunt, corpus omne aut
grauator aut dolet. Crura torpescunt, praeterea et febris occultaso
grassatur. His ergo cognitis prima est abstinentiae utilitas, tum
etiam medicamentis satius est ahium purgare, ut graue corpus
iuuamine adiuuetur. Quod si morbus maior premere uidetur, adi-
cies altera die abstineutiam. Si tamen <(uires patientur)>, sin minus
2 exiBtit 3 ide tussile <^tousillae^ 4 secuntur inquie
5 scapnle 7 <^quare*?> materia 16 <hic?> 17 oximelle
erace 21 ledat 22 uicium 23 dolorö 24 febris 26 litarg.
existat pulmonem frenesim 26 ardoris sonus 28 escä
30 Curator pescunt pret. 32 saucius est 33 adities
24 Herrn. Stadler:
[tardauerit quam tardissime] quam leuissimum sumes cibum sicut
ouum sorbile aut aliquid eius simile. et bis ergo sie oportebit ocor-
rere sine aliquo graui purgatoriO; ut uenter molliatur. Baue
autem fit; si lappatii decoctus sucus similiter bibatur uel illad
5 olus saepe in eibo sumatur. Sed et caulis brassicae crispi de-
coctus sucus aut crudus cum sale et melle mixtus potui dattir.
Ventrem cum modo depurgat; sed et mercurialis herbae id est
firtillae sucus salubriter purgat. Est prfieterea herba quam Graeci
berbina appellant, cuius decoctae sucus salubriter bauritnr. Sed
10 et betae et caulis et urticae in mulsa decoctus potui datur. Qnod
si maior increuerit morbus^ polypodiae radices in mulsa decoctas
cum piperis granis .XXX. , aut caltda^ ubi defluxerint caules, de-
cola; tum partes .11., mellis partem .1. potui dabis. Si quis haec
adhibere cessauerit uel neglexerit, aut coeliacus fit id est uentris
16 uitia sustinebit aut nimia uentris solutione laedetur; djsenteriam
patiuntur et ilium et costarum dolorem. Unde etiam nascuntur
tertianae, quartanae, fiunt podagrici. Unde nascuntur apoplexeis;
baemorrhoidae quoque de uitio uentris erumpunt. Inde et dolor
articulorum quem Graeci arthritim dicunt. Nam si de uesica im-
20minet \\ fol. 43y^. { languor, baec indicia praemittit. Nam multa
<(ue>si<(cae)> sentitur inflatio et assidue strepitus uentris emittitur,
ructatur, color pallidus fit, grauis somnus, urina sordida et liuida
est et plerumque difficilis, tumescunt uerenda. Aduersum haec
talis medicina subuenit: Feniculi et apii radices macerentur in
26uino uetere, hoc est duos cyathos quod est tertia pars heminae.
Totidem aquae calidae accipies et ieiunus bibat, uel dauci semen
et myrrhae pusillum tritum ex uini cyathis duobus et tantundem
aquae calidae. Praeterea radicis asparagi sucus cum uino sumi-
tur, uel herbum erraticum uel serpillum, decoque ea in aqua uino
SOmixta, bibe. Sed et ciceris albi non arietini decocti similiter
cum uino sucus accipitur. Haec qui curare contempserit, aut
1 leuißsime 2 occurre 4 lappatu (-ii?) decoctü sucü ille
ö sepe brasice <cri8pae?> 7 herba firtilla (wenn richtige
bisher unbekannter Name des Bingelkrautes) 8 preterea greci
9 decocte 10 bete urtice decoctis 11 polipodie decoctia
12 grana decolatum 14 ciliacus 15 uicia ledctur dis-
senteriam 16 cossarum 17 terciane abolises 18 emorroide
uicio erumpant 19 greci artesim 20 langor premittit 22 pallid
28 difficiles 26 ciatos tercia emine 26 aque 27 mirra
uino ciatis 28 preterea radices assparai 29 eam aqua mixtä.
SO antini
Epistola Pseudohippocratis. 25
hydropicus fit aut iecoris dolore hoc est cordis uexabitur. Frene-
sim quoque sustinere cogetnr et dolorem lateris et stranguiriam
id est urinae difficultatem patietur, coli et uentris suflFocatione
laedetor, nee non et caaculosus erit. Sane de anni totius tempore
tibi scripsi^ per quorum uices scias^ quibus rebus aut uti debeas 6
aut abstinere. Incipimus ergo a brumali conuersatione^ quae fit
solstitiali die id est .YUI. Eal. lanuarii. Tunc enim incipit se
diffundere humor increscens. Utimur ergo calidis et optimis
[temporibus edere], uino aliquatemis indulgendum est. Sunt autem
hi dies usque ad uemi conuersationem .XCI. Nam incipit uer-lO
nalis ipsa conuersatio .VIII. Kai. Aprilis. Ex hoc et flegma crescit
et sanguis. Utimur ergo bene olentibus et acribus, omne corpus
exercere labore debemus usque in .IIII. idus Novembris. Igitur
ex supradicta die usque in hanc diem crescit fei, et amaritudo
eins augetur, ex qua febris administrantur alimoniae usque ad 16
aestiuam conuersationem. Utimur ergo dulcibus. Venerem autem
< y parcius laborare nihilominus corpus exercitabimus. Sunt
autem hi dies usque supradictam conuersationem numero .CXIII.
Conuersatio aestiua .VIII. Kai. lul. incipit. Tunc nigri fellis
augmenta succrescunt id est melancolica usque ad conuersationem 20
autumnalem. Utimur ergo frigidioribus et dulcioribus et bene
olentibus; labore tunc corpus abstinebimus, sed uenerio usu nos
continere debemus maxime diebus .XII. Conuersatio autem autum-
nalis incipit .VI. Kai. Octobres. Tunc || fol. 44r°. | cum feile
etiam crescit pinguis humor id est pituita usque ad occasum Plia-25
dum. Utimur ergo acidis et acribus et parcius laboramus, abs-
tinemus a uenere. Sunt autem ad Pliadum occasum dies .XLV;
qui est Kai. lanuar. His ergo utens sanus transies omne tempus
aetatis nee medicis indigebis.
1 ydropicuB uocabitur 2 Btranguiriam 6 g abundare conn.
7 sol striciali '^la 8 aptis 9 uinum 11 april 12 cribus
14 usqne in hac die 15 febres aministr. 16 estinä Ventrem
17 partius nihillom. ezercitauimuB 18 Conuersationem estiue
kl vi 22 ueneri 24 kl Octob. 25 pliadum 28 que kl
iaö. transiens 29 gstiü hec.
Freising. H. Stadler.
26 Wölfflin: Miscellen.
Zur Psychologe der VSlker des Altertaias.
Da schon bei mehreren spatlateinischen Autoren die bekanntesten
Völker nach ihren Nationalcharakteren geschildert sind, z. B. Romanos
graves, Graecos leves, Afros versipelles bei Isid. Orig. 9, 2, 105
(Arch. YII 338), so drängt sich die Frage auf, auf welche Quelle
diese Angaben zurückgehen. Der kürzlich der Vergessenheit entrissene
Pirmicus Matemus sagt uns Math. 1, 3, 3: Scjthae soli immanis
feritatis cnidelitate grassantur, Itali iiunt regali semper nobilitate
praefulgidi, Galli stolidi, leves Graeci, Afri subdoli, avari Syri, acuti
Siculi, luxuriosi semper Asiani et voluptatibus occupati, Hispani elata
iactantiae animositate praeposteri (Stolz lieb' ich den Spanier).
Wie verbreitet das Interesse tiir Völkerpsychologie war, zeigt
uns Hieron. comment. epist. Galat. 3, 1 (avorivot rakatai): Vanos
Mauros et feroces Dalmatas Latinus pulsat historicus (Sali. hist. 1, 63
Dietsch. Tertull. de anima 20. Bücheier in Jahns Jahrb. 1875, 305);
timidos Phrygas omnes poetae lacerant; Athenis expeditiora nasci
ingenia philosophi gloriantur etc. Vgl. auch Hier. comm. ep. Oalat.
lib. n prolog.
Die wissenschaftliche Behandlung dieser Prägen geht auf den.
Geographen Ptolemaeus zurück, über welchen wir durch Servius zu
Verg. Aen. 6, 724 Folgendes erfahren: Inde Afros versipelles, Graecos
leves, Gallos pigrioris videmus ingenii; quod natura climatum facit,
sicut Ptolemaeus deprehendit, qui dicit translatum ad aliud clima ho-
minem naturam ex parte mutare. Er nahm also eine Assimilations-
fähigkeit an, welche sich durch die Auswanderung bestätige. Der
oben citierte Isidor wird aus derselben Quelle geschöpft haben.
München. Ed. Wölfflin.
Si^uni, Glocke.
Da die Romanisten streiten, ob das rätoromanische, altfranzösi-
sche u. s. w. sen, sein, (vgl. neufranz. tocsin, tokcein, Sturmglocke,
Feuerglocke) von Signum oder von sanctiun herkomme, mag es nicht
überflüssig sein zu erwähnen, dafs in dem heute noch üblichen, jeden-
falls sehr alten Gebete bei der Olockenweihe die Ausdrücke campana,
Signum, tintinnabulum, vaseulum parallel neben einander stehen. Dafs
Isidor niu- von tintinnabulum spricht Orig. 3, 21, 13, nicht von cam-
pana oder Signum, erklärt sich vielleicht aus den heidnischen von
ihm benutzten Quellen.
München. Ed. Wölfflin.
Beiträge zu den Tironischen Noten.
I. Die sachliche Ordnung der Noten.
Schon eine flüchtige Musterong der Tironischen Noten läfst
die Thatsache erkennen^ dafs die Noten vielfach wie die griechisch-
lateinischen ^Hermeneumata' des 3. Bandes des Corp. Gloss. Lat.
nach sachlichst Gesichtspunkten geordnet sind (Yerwandtschafl;,
Kriegswesen, Kleidung u. s. w.). Daneben macht sich aber auch
ein sprachlidyts Ordnungsprinzip geltend, und zwar nicht nur
selbständig, sondern auch innerhalb der durch ein sa^shüches Band
mit einander verknüpften Gruppen, indem nach wirklicher oder
vermeintlicher etymologischer Verwandtschaft oder gar äufserer
Ähnlichkeit zahlreiche Noten gleichsam ankrystallisiert erschei-
nen. Dieses zweite Prinzip drängte sich in Verbindung mit aller-
hand Ideenassociationen öfters so entschieden vor, dafs die Grenzen
der sachlichen Kategorien nicht immer offen zu Tage liegen und
auch von dem Bahnbrecher auf dem Gebiete der Noten, Wilhelm
SchmitZf der in den Prolegomena seiner Ausgabe p. 10 f. sachliche
Reihen herauszuschälen versucht hat, nicht überall richtig be-
stimmt zu sein scheinen. Da nun die sachliche Anordnung der
Noten für das Verständnis derselben sehr wesentlich ist, wie
sich auch im Verlauf der Untersuchungen zeigen wird, so sei
zumUshst ein kurzer Überblick gegeben.
Die Kategorie *de cognatione', wie man sie nach der Über-
schrift der entsprechenden ^Hermeneumata' nennen mag, läfst
Schmitz von tab. 33, 21 pater bis 33, 57 novercalis reichen, dann
diejenige *de magistratibus' mit tab. 36, 28 jmrpura anheben. Mir
scheint auch das ganze Mittelstück, abschliefsend mit 36, 26
atnator, amabilis unmittelbar vor der neuen Kategorie der ersten
noch zuzuteilen. Deutlich ist zunächst die Zugehörigkeit von
35, 70 — 36, 27, wie die Heraushebung der in einem Abschnitt über
Verwandtschaft zunächst zu erwartenden Personalsubstantiva zeigt:
peUex 35, 70, succuba 71, zelotypus 73, rivali^ 75, moechus 76, para-
28 W. Heraeus:
Situs 77, letw 80, meretrix 86, sjxido 89, scortum 90, amicus 91,
famüiaris 95, sodalis 98, rf?eM5 36, 2, inimicus 4, necessarius 11,
anmtor 26. Schon in diese Reihe, in der die engere Zusammen-
gehörigkeit von 35, 70 — 90 einerseits und 35, 91 — 36, 11 andrer-
seits einleuchtet, ist manches infolge Ideenyerbindung hinein-
gestellt, das streng genommen nicht in den Abschnitt gehört.
Die meisten Begriffe aber finden sich auch in den ^Herm.' unter
den entsprechenden Rubriken C. Gl. L. III, 28 f. 303 f. (*de a£fini-
tate'). 181, 20 f. 374, 67 ('de natura humana'). 253 ('de nuptiis').
Was sich um diesen Kern gruppiert, ist dann leicht verständlich,
so lupanar und fomix hinter moechiis, parasituSy Yor leno'j dafs
ccUoy lixüy agaOio (= agaso!) hinter feno, lenunculus (Kahn!), feno-
ciniiim figurieren, erklärt sich aus der litterarisch genügend be-
kannten Verwendung jener Leute zu kupplerischen Zwecken. Zu
meretrix, amicus etc. bis inimicus sind die Deriyata merdricula,
meretriciuSy amicus, atniculis, amicitiae etc. gestellt; um necessa-
rius (nahe verwandt) haben sich die Verwandten necesse, necessitas
etc. gereiht; die folgende Serie 36, 13 — 20 dubium, dtAitat, non
duhium, tum duhitat, sowie jaret nebst drei Kompositen ist offen-
bar durch necesse hervorgerufen, wie endlich 36, 21 amat nebst
Kompositen und Derivaten durch amator. Prüfen wir nun die
an noverca, -aiis tab. 33, 57 sich anschliefsende Reihe von offendit
33, 58 bis soUicitudo 35, 69, auf welche die Gruppe peUex bis
amator folgt, so erkennen wir folgende durch etymologische
Partien*) erweiterte Reihe von Personalsubstantiven sofort als zu
'de cognatione' gehörig: tidor 34, 7, jwer 13, pudla 17, mtdier 19,
mrgo 22, ancilla 25, liber 2i\, lil)erfus 37, servus 40. Sie begegnen
auch in den Herm. in den betreffenden Abschnitten. Di^egen ist
die vorhergehende Reihe ab novcrcaliSy offouiit bis tutor infolge
Ideenassociation angeschlossen. Ich finde folgenden Kern von
Personaladjektiven, der, zunächst durch n^ vercalis veranlafst, immer
weitere Kreise gezogen hat: offensus 33, 60, bez. infenstis 62,
maleficus 72, bez. malivolus 74, maUgnus 76 nebst den Gegensätzen
heneficus etc., dann vir bonus 80, honesfus 84, omatissimus 91,
siüendidissimus 95, lautissimus 34, 3. Es folgt die schon be-
handelte Reihe tutor bis serviis, dann wieder eine Reihe von Per-
sonaladjektiven: fidelis 34, 54, farinorosus 64, firfnus 67, novicius
*) Dieselben sind im Folgenden, soweit sie leicht verständlich sind,
übergangen, und ist immer nur der Kern herausgehoben.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 29
73, innocens 78, bez. nocefis 77, certus 81, detnens 90, curiosus
35, 53, soUicittis 68. Wie passend z. B. fiddis und novicias an
,scn?MS sich anschliefsen, leuchtet ein; so steht vsthvrirog novicius
hinter servus Herrn. Montep. C. Gl. III, 305, 4 unter der Rubrik *de
adiinitate', fidelis niötbg dovkog neben fidtis ütiörbg q>Ckog C. 61. II,
71, 56 f., womit man Capers Vorschrift C. Gh-. L. VII, 97, 9 fidus
amicus erit, famuium fiddem dicito (metrisch etwa famulum die
contra fiddem) vergleiche. Hinter deniens 34, 90, bez. vehemens 91
aber bricht die Beihe plötzlich schroflF ab: es folgt quam ob rem
92 offenbar ganz willkürlich, dann pedus, pectorosm, peccat, parcit,
poscit nebst Perf. und Kompositen, ebenso tangit, trahit, tractat,
bis mit amosm 35, 53 und sollicitus 68 die ursprüngliche Anord-
nung wieder durchbricht: an curiosus, procurat etc. lehnt sich zunächst
das sinnverwandte cogitat nebst Kompositen an, dann soUidtus,
soUidtudOj an soUicitus wiederum poUicitus, an curiosus furiosus
wegen Gleichklangs, bez. vermeintlicher Verwandtschaft. Von
curiosus aber rückwärts zu konstruieren wage ich nicht, so ver-
fElhrerisch auch der Versuch ist. Siehe S. 30.
Nach unsrer Auffassung reicht also die Kategorie ^de cogna-
tione' von tab. 33, 21 pater bis 36, 27 amator, bez. 27 amdbüis,
DaTs hier in der That ein Abschlufs ist, beweist die Thatsache,
dafe mit 36, 28 purpura ein neues Kapitel in der grundlegen-
den Casseler Hdschr. beginnt, mit einem Abschnitt anhebend,
der *de honoribus' bezeichnet werden könnte und zunächst bis
37, 14 excandescit (vorhergeht candidatus, candescit) durchaus
nur die alten republikanischen Amter und Würden enthält:
Senator, consul, tr, pL, praetor, die verschiedenen -tnn, dictator,
censor, woran candidatus sich anlehnt. Diese Kategorie geht
nach einer grofsen Digression (tab. 37, 15 colit bis 38, 50 cripta)
weiter auf tab. 38, 51 ff. lictor — imperator 61. An letzteres
Wort reihen sich Titel und Namen der Kaiser tis Antoninus
39,31, die offenbar in der Kaiserzeit in die bereits zur Zeit
der Republik begonnene Sammlung eingefügt sind (s. Schmitz
p. 11), zwischen beide Teile aber hat sich eine Rubrik, die
ich mit *de agricultura' bezeichne, geschoben, die mit colit
37, 15 und vier Kompositen beginnt. Es folgen accola, publi-
cula, dann mit den entsprechenden Ableitungen ager, terra,
ieUus, humus, possessio, praedium, fundanus, locus (Grrundstück),
vüla, vicus, pagus, iter, iugerum, aripennis, immunis (steuerfrei),
via, regio, semita, solum, spatium, terminus, campus, colonia, plani-
30
W. Heraens:
Das Gesamtbild
n
der Reihe ^de cognatione' ist also folgendes:
m
pater
mater
filius
frater
soror
socer
gener
vitricus
alumnus
pupillus
patraus
avus
aTuncalus
amita
abaTns etc.
germauus
nurus
noverca
[infensus
maleficus
vir bonus
honestus
omatissi-
mus
splendidissi-
mus
lautissimus]
tutor
puer
puella
mulier
virgo
ancilla
liber
libertus
servus
pellex
succuba
zelotypus
rivalis
moechus
parasitus
leno
meretrix
spado
scortum
amicus
familiaris
sodalis
cliens
inimicus
necessarius
amator
n
[fidelis
facinorosus
firmus
novicius
innocens
certus
demens
m
cunosas
sollicitns]
[dubium
dubitat
apparet]
(quam ob
rem
pectus
peccat
parcit
poscit
tangit
trahit)
Beiträge zu den Tironischen Noten. 31
iies, porticus, area, cripia. Ähnliche Reihen finden sich in den
Herrn, unter der Rubrik 'de agricultura' oder *de rusticatione*
C, Gl. m, 26. 195. 199. 260. 299. 356. Veranlafst aber scheint
mir die ganze Digression durch publicula 37, 21, das sich an
candidatus 37, 12 passend anschliefst (61. U, 269, 35 dri(ioxr}dijg
publicola) und leicht auf (igricola^ colit, ager etc. führte.
Mit divus Anianinus reifst der Faden, und es herrscht, wie es
scheint, Willkür bis per singulos 40, 16. Mit miser 40, 17 fangt
dagegen wieder eine feste Masse von Noten an, die ich 'de divi-
tiis* überschreiben möchte nach Analogie der Herrn. Steph. GL
HI, 370 u. a. Zunächst finden wir die verschiedenen Synonyma für
arm und reich nebst ihren Substantiven und anderen Verwandten:
arm: miser, avctrus, pauper, frugi, fanielicuSf sordidus, squaltdus,
egens, inops, parsimanm, penuria, iactura^ datnnum, mendicus, tenuisy
humüis, cimlis, ffmciliSy macer, sestertiarius; reich: peeuniosus,
heatus, dives, potens, pollens, opulens, locuples, largus, dapsilis,
copiosus 41, 30. Es folgen ab 41, 31 opes Begriffe, die sich auf
Geld, Fiskus, Wucher, Ausgaben, Abgaben, Geschenke, Rechnung
und Lohn beziehen, abschliefsend mit merces 42, 30, atidoramen-
fum 42, menstruum 47. An menstnmm hat sich mensula, mettsu-
larins imd insula und insularius 51 in bekannter Art angereiht.
Der folgende Abschnitt beginnt 42, 52 mit mos, inorosus,
moraiis, woran mons mit Ableitungen sich anlehnt, und ist offenbar
beherrscht von dem Gedanken der menschlichen Fehler und Leiden-
schaften: turpitudo, flagitium, stuprum, probrum, obscenitas, natura,
viHum, mcestum, libido, ira, timor, mehis {audacia fehlt, während
audei, atidaa dasteht; vgl. fundanus 37, 56), scelus, foedus (Adj.),
fama, infamis 43, 51. Was dann folgt von dido, condicio 43, 52 f.
bis excors 44, 63, ist so überwuchert von Nebenschöfslingen, dafs
sich nur mit Mühe der leitende Faden erkennen läfst. An fama
hat sich zunächst condicio angeschlossen; das folgende garrit,
garrtdus 57. 58 pafst wieder zu der Rubrik *de vitiis' und hat
die Reihe narrat mit Verwandten bis innarrahilis 64 hervorge-
rufen, dieses wiederum die Gruppe inmsiis, invisitatum, mirum
nebst Ableitungen. An mirum ist nimirum gereiht, welches seiner-
seits ntMnertiSy innumerm etc. hervorgerufen hat. Dann aber be-
ginnt der Zusammenhang sich zu lockern mit 85 iuhet, iussit,
vergü, evergit etc., imd ist höchstens noch zu erkennen in con-
temnit 93, contumelia 96, cupiditas 100, anceps 44, 14, otiosus 35,
indignus 41, stomackus 58, socordia 59, vecors 62, excors 63.
32 W. HeraeuB:
Mit excors 44, 63 schliefst der Abschnitt *de vitiis'. Un-
mittelbar darauf folgt eine Partie, die mit der Rubrik ^tempora
^^^^ _ mm
et anni' Herm. Montep. 61. III^ 295, 29 ff. viel Ähnlichkeit hat
und sich klar abhebt von tUurnum 44, 64 bis quam dudum 45, 10.
Die folgende Reihe von fas bis nefatidarhis scheint durch cras
44, 84 veranlafst zu sein. Dagegen ist mane, maiutinum 46, 8. 9
in den Abschnitt Me re militari' zwischen pugna und cohors ver-
sprengt.
Die folgende Kategorie 'de re militari' lafst Schmitz mit
exercet, bez. exercitus 45, 25, bez. 27 anfangen und mit tropaeo-
phorum 46, 17 schlielsen. Mir scheint die Reihe bereits mit ordo,
ordi9iariHS, ordinat 45, 18 f. zu beginnen: Tgl. GL 11, 451, 29 ro^^
«(>ZOff Ordinarius; IV, 134, 16 Ordinarius miles, qui integre ordine
militat. Die folgende Reihe repudium, divortium, vidua, orfanus
(das Medium ist orhal) gehört unter 'de cognatione'. Von exer-
citus bis tropaeophorum handelt dann alles vom Kriegswesen, aber
die Reihe geht noch weiter: ich erkenne noch oppidantAS 46, 19,
socius 20, woran sich aequalis mit seiner Sippe (27 — 37) ange-
schlossen hat, rapina 58, signum mit Verwandten 74 — 86 signifer.
Die nächste sachlich geordnete Gruppe erscheint erst tab.
48, 36 parenticida bis neptiger 48, 78 und handelt von Räubern,
Mördern, Dieben und verwandten Kategorien: parenticida, praedo,
hostis, grassator, latro. piraia, sicarius, percussor, planus, plagiarius,
marsipiarius, strofosus. chalda^is. magus, mathenmiicus. psyllus, für,
nepos, was in diesem Zusammenhang nur Verschwender, Tauge-
nichts sein kann und eine Reihe von Verwandtschaftsnamen: ab-
nepos, pro}iepos, ncptis, proneptis. nepticula. neptiger (vgL mlat. sarariger
= uxoris frater) hervorgerufen hat. Diese R^ihe läiGst sich von
parenticida ab eine Strecke weit in ihrem Zusammenhang mit
dem Vorhergehenden rückwärts verfolgen: parens 48, 34, cognatus
32 {parentes roman. = Verwandte!), natio 28, municeps 18.
Von }teptiger 48, 78 ab ist kein leitender sachlicher Faden zu
erkennen. Erst 54, 4 erscheint mit adulesccfis, iuvenis 6, adüUus 11,
setiex 16, veteranus 25, pusilhon 2Sy puUam 29 eine Gruppe von
Altersbezeichnungen. Eine gröfsere Reihe Me sacerdotiis' hebt dann
tab. 55, 16 mit sacer, bez. sacerdos 22, pontifex 2b an, welche deut-
lich die Spuren ihrer allmälilichen Erwcitenmg air sich trag^
indem an pontifex die christlichen Priesterämter episcopus, papa
etc. angeschlossen sind, bis mit flamen 62 wieder die ältere Reihe
der antiken römischen Priestemamen beginnt imd bis antistes
Beiträge zu den Tironischen Noten. 33
56, 4, bez. propitius 5 ohne Anstofs verläuft. Ich wage übrigens
die Vermutung, dafs sich die Reihe sacer an acer 54, 64, alacer
69 u. 8. w. angelehnt hat.
Eine Kategorie, die von *Tod und Unterwelt' handelt, fängt
dann 58, 43 mit mors an und setzt sich mit gröfseren oder
kleineren Abschweifungen, wie 49 — 60 (durch di inmortales 48
veranlafst) und 86 — 89 (die biblischen Ausdrücke e Sion, ex Sion,
in Sion, Sion an das fehlende Ixion, bez. Ixsion angelehnt,
8. Schmitz, Beitr. zur lat. Lit. p. 303), bis 59, 49 tabellarius fort.
Die folgende Titulaturensammlung cle>nenHssimus 59, 51 bis am-
plissitnorum virorum 83 hat sich wohl an das letzte Glied der
Reihe Me infemis' n. 46 UtultAS (Grabschrift) angeschlossen.
Auf die christliche Kirche bezieht sich im Folgenden die
Reihe apostolus 60, 14, Martyr, lesus u. s. w. bis diaconus, iunior,
fossaritis 44: zu letzterem vgl. C. Gl. V, 632, 1 vespelliones: fossarü
qui mortiws sepdiunt Es folgt ein Abschnitt Me numeris' 61, 4
semd bis 61, 90 miUe milia, womit ein Kapitel im Casselanus
endet.
Nach einer kleinen, auf Freude, Scherz und Spal's bezüg-
lichen Reihe gaudet, gemü, laetiis, scurray sttdtus, fatuus, morio,
ffurdtiSj stölidus, sannae, subsannat beginnt mit annus 62, 17 eine
Rubrik über das ^Kalenderwesen', die bis 63, 17 idus sextilis reicht.
Sachliche Ordnung ist dann erst wieder 65, 74 carcer zu erkennen,
womit ein Abschnitt über ^Strafen' anhebt, sich anlehnend an
Ausdrücke des Ernstes und der Trauer: 65, 60 f. severus, tetricuSy
austerusy tristis, maestus 12. Die Partie *de poenis' verläuft
zunächst glatt über erga^tulum, Imdumiae, vinculiim, eculeum bis
copuia 65, 95, woran sich iungit mit Verwandten leicht anschliefst,
an dieses wiederum die Verba ähnlicher Flexion fingit imd pingit
nebst ihren Sippen bis figidina^ 66, 39, bez. iuxta 40, was von
der Gruppe iungit versprengt scheint. Von da ab vermag man
nur noch einzelnes dem Abschnitt Me poenis' Zugehörige zu er-
kennen, wie vexat 41, 2>wwif 52, carnifcv 60, crudelis 61, cruciat 63,
womit der Faden abreifst.
Der nächste Abschnitt handelt ^de leguminibus' von tab. 68, 4
frumentum bis praearat 68, 44, ähnlich den Partien in den Hermen.
C. GL in, 193. 266 u. a., angeschlossen, wie scheint an mendum
' 67, 91. Es folgt eine Partie *de caelo' über Himmel, Sonne und
Mond, Tag und Nacht, Jahreszeiten u. s. w., beginnend mit inibei*
68, 68, anknüpfend an imheciUis (bez. imhuit) 68, 66, das wieder
Archiv far lat. Lezikogr. XH. Heft 1. 3
34 W. Heraeus:
mit dem Vorhergehenden durch labefaeit 68, 63 und adfliffit 68, 45
verbunden ist, während adfligit keinerlei Beziehung zu dem vor-
hergehenden (pra€)arat^ dem Endwort der Rubrik *de legum.',
erkennen läfst. Die Vermutung liegt daher nahe, dafs erat das
Anfangswort imher der Rubrik Me caelo' rückwärts auf hnbuit^
imherillisj lahefaciiy adfligit geführt hat. Der Abschnitt *de caelo'
verläuft zimächst glatt bis tepidum 69, 67, amoenum 72, apricum 73^
opaami 74. Auf opacum folgte wohl ursprünglich das klangver-
wandte opamm 93 (= oppansum aus der Vulgata, s. C. Gl. VI^
2 s. V.), dann lassen noch hiJaris 94, diutumum 99, cbscurum
70, 2 Zusammenhang mit der Rubrik erkennen, worauf die Reihe
abbricht, wenn man nicht in ftdgtir 72, 12, tonitrum 26, lux 43
die letzten Ausläufer sehen will. Zwischen opactim imd (^sum aber
haben sich wohl an letzteres Wort zimächst pronum 02, oblicum 91
angelehnt, an dieses wieder ohlitus mit seiner Sippe und das sinn-
verwandte ignaruSy während das unmittelbar auf opacum folgende
acidum 75 vielleicht durch tepidum 67 (Wein!) hervorgerufen ist.
Eine neue sachliche Gruppe wird 73, 60 mit aqua (vorher^
geht acuit, acu^ u. ä.) eingeleitet und verläuft Über mare^ pdagus,
flumen, Iif>€riSf sanguiSy lacrim<ie 74, 15, um welches Wort die
Verba des Weinens mit Kompositen gruppiert sind flet 74, 12^
pforat 74, 17. An flet ist offenbar flat 74, 23 f. angeschlossen mit
Verwandten, von denen flahnim 28 wiederum das klangähnliche
flagium nebst Deminutivum v)3f. veranlafst hat, imi welches sich
endlich die sinnverwandten fenda, fustis, lignum 35 — 40 eineraeits^
die entsprechenden Verba coercety conpescity castigat 30 — 32 (hinter
flahmm, fldbellum) andreraeits gruppiert haben. Von lignum^ be».
lignarius ab ist kein Zusammenhang mehr zu erkennen in frauSy
Quirites, Syraciisa etc.
Im Folgenden heben sich deutlich drei Gruppen ab: ^de re
poetica et graphica' 76, 10 poeta — 76, 5<.) dupl(mium, *de metallis
et armis* 77, 13 aurum (hier beginnt ein neues Kapitel in den Hdschr.)
bis 77, 76 arcus et sagitta, endlich *de membris humanis' 78, 9
mit imago ansetzend, über icon (iconographiaj comoedus, comes),
figura, effigies, characier zu den Teilen des menschlichen Körpers
überleitend: bticea, maxiüa etc. bis |>es 79, 45, eine Gruppe, die
in den Herm. 'de membris humanis' betitelt ist. Dann scheinen
im wesentlichen Adjektiva, die auf Eigenschaften der Menschen *
gehen (*de moribus humanis' in den Hermen.), die Ordnung zu
bestimmen: 79, 46 lenis (unmittelbar an das Schlufsglied pes des
Beiträge zu den Tironischen Noten. 35
vorhergehenden Abschnittes anknüpfend), inanis 49, maiurus 51,
mitis 55, gregalis 60, lentus 64, temuienttis 68, ddidator 80, 99,
noxius 100, varius 81, 5, effradarius 30, conaeftmws 48, sohritcs 53,
woran u. a. consobrinus 57 sich anlehnt. Unmittelbar darauf folgt
ein Abschnitt *de templis et dis': 81, 58 ctedis, 54 lovis, 66 Inno
n. 8. w. bis 82, 15 de teniplo, Ausläufer desselben erkennt man
noch in der Partie 83, 3 f. Capitolinits, Neptunus etc., Isis, sistrum,
woran sich durch naheliegende Ideenverbindung somnus mit Syno-
nymen und entsprechenden Verben bis stertit, stemutat 83, 34 an-
schliefsen. Mit 83, 72 Puteoli setzt dann, auch in den Hdschr.
durch Beginn eines neuen Kapitels gekennzeichnet, der grofse
geographische Abschnitt ein, Städte-, Länder- und Völkemamen
enthaltend, und reicht bis 89, 16 liioralis.
Nach einer kleinen Pause hebt sich eine kleinere Gruppe
Me mensuris et ponderibus' von 90, 42 cyatJms bis 90, 55 am-
phora ab, desgleichen eine verwandte, freilich mit fremden Be-
standteilen durchsetzte 'de vasis et fictilibus' (vgl. C. 61. III, 153.
270 u. a.) 96, 21 doleum, cupa 22 y Samos 25 (samische Erde!),
scutrum 34, malctra 47, idigo 48, hition 56 (woran sich cenicm 55
und an dieses venum u. ä. 50flf. angeschlossen hat), uma 75, scy-
phiis 97, 1, lanx 2, womit Buch III schliefst. Das neue Buch,
mit praetexta, toga anhebend, behandelt zunächst die „Kleidungs-
stücke" und Verwandtes, z. B. die verschiedenen Färbemittel und
Farben der Kleider: letztere erscheinen auch in den Herm. z. B.
61. in, 370 unter der Rubrik *de vestimentis', während p. 22 und
93 ihnen ein besonderer Abschnitt *de coloribus' gewidmet ist.
Von 99, 22 ab eine öruppe Me pellibus' (wie 61. III, 24 u. a.) über
lorum, segestre, ansa (Ose am Rande der Schuhsohlen, womit sich
leicht cuviim und terehra verbinden) bis 99, 54 malocorhim (an
corium angelehnt). Der immittelbar anschliefsende Abschnitt *de
omamentis' verläuft glatt von 99, 55 anuliis, draco, armilla u. s. w.
bis sucineum 100, 2. Während der ganze Abschnitt von 97, 3
bis 100, 2 durch den Begriff der „Bekleidung" zusammengehalten
ist, steht der folgende 100, 3 paries, crafis, clatriy tigntim etc. bis
101, 35 triclinium unter dem der „Wohnung^', in dem alles, was
aus Holz und Stein ist, aufgeführt wird (^de habitatione' in den
Herm.), womit sich natürlicherweise eine 6ruppe *de aereis'
verbindet, welche eherne Haushaltungsgegenstände enthält. Dieselbe
beginnt in einem neuen Kapitel im Cassellanus mit 101, 36 aes,
aenum, pelvis u. s. w., libra 74 und Verwandte bis charistion 80
3*
36 W. Heraeus:
(xecQiörimv, auch eine Art Wage, s. u.), hicema 95, jworum sich
dann alles mögliche auf Feuer und Verbrennung Bezügliche grup-
piert (vor lucema die leicht rückwärts zu verfolgende Reihe lucur
braty cereum, faXy hynien, thalamuSy festtiSy faiisUiS), bis mit camt-
num 71, vapar 72, nUnim 81 die letzten Ausläufer noch sichtbar
sind. Hinter rutrum beginnt mit edit 102, 82 ein Abschnitt ^de
escis", der bis frusteUum 104, 2 ohne Anstois abläuft und dann
durch die Zwischenglieder secat, fcHx, pahulum in eine Reihe ^de
herbis et arboribus' übergeht bis 106, 36 Sirenes (an die Wald-
gottheiten Pafiy SüvantiS etc. angeschlossen), so jedoch, dafs ohne
erkennbare Ideenverbindung (es sei denn der Begriff des Weins,
der aber erst 105, 44 auftaucht) sich zweimal kleinere Reihen
*de potionibus' eingeschoben haben: 103, 83 — 99 sorbüiOy gula etc.
und 104, 64 potio bis meratum 80, femer die auf den Weinstock
bezügliche Gruppe vitis 105, 44 hinter racemus 57 eine bis
scrupea 97 vor uva 08 reichende gröfsere Digression erfahren hat,
die zwar zuerst bis cannüy cannxda 80 f. ihre Zugehörigkeit nicht
verleugnet, dann aber, wohl aus Anlafs von calamiis 78 und
canna 80, als „Schreibrohr'' gedacht, abschweift zu pennay plunui,
cHeSy aviSy nidua, pumex (wieder Schreibmaterial!), scrupea 97 (ge-
glättet durch pumex). Erst das folgende uva schliefst wieder an
racemus 57 an.
Die Grenze der folgenden, durch Abschweifungen wenig unter-
brochenen Abschnitte sind leichter zu erkennen und daher z. T.
schon in den Hdschr. kenntlich gemacht: ^de re ludicra' (Theater,
Musik, Agonistik etc.) 106, 37 plodü bis 108, 17 agoniÜietes, woran
sich in natürlicher Ideenverbindung wilde Tiere, dann zahme an-
schliefsen 108, 18 leo bis 109, 62 formica. Es folgt die Gruppe *de
navigatione' von 109, 63 navis bis 110, 62 UntriSy im wesentlichen
Schiffsnamen und Schiffsteile enthaltend (die Digression 110, 38 —
51 glohuSy glomuSj gluten u. s. w. ist sichtlich durch limmi 110, 29
hinter retis veranlafst). Daran schliefst sich naturgemäfs eine
Reihe 'de ventis' an, von 110, 63 ventus bis 110, 85 Aeolus] zwi-
schen die letzten Windnamen hat sich bosforus 71) und aequor,
-ium 81 f. geschoben, die zum folgenden Abschnitte 'de maribus'
(so C. Gl. in, 245 fg.) gehören, der von 2>cfm 86 bis 111, 4 nmre
Adriaticum reicht. Hierauf Me re medica et morbis' 111, 5 ^nedicus
bis 112, 40 tuberosum (dazwischen ein Abschnitt 'de avibus'
111, 30 hirundo bis 43 noctua, angeschlossen an hiscus, luscinia
18 fg.), 'de re vehicularia' 112, 41 iumentum bis 91 mangonizat,
Beiträge zu den Tironischen Noten. 37
*de piscibus et anguibus' 112, 92 piscis bis 113, 30 chimaerc^
Dann ein Abschnitt, der von Gewässern und ähnlichem handelt,
beginnend mit 113, 31 umor — st^nis — mador — limfa —
liquoTy stagnum etc., bis mit psychölutra und balneum 114, 21 f.
Ausdrücke, die sich auf Bäder beziehen, einsetzen, woran sich
45 — 47 im Bade gebrauchte Büchsen, auf -tfiecium endigend,
angeschlossen haben, welche Gruppe wiederum die Reihe iheca 39
mit Kompositen bis bihliotheca 42 yeranlafst hat, woran monolnblia,
hibliopola 43 f. sich anlehnten und endlich die gleichfalls grie-
chischen metrischen Ausdrücke 48—62 hexameter bis palhnbachius.
Den SchluTs machen Eigennamen von Personen^ alphabetisch ge-
ordnet: 114, 63 Attius — 119, 10 Zeuxis*)^ und eine bunte Reihe
biblischer, der Vulgata entnommener Ausdrücke bis 120, 78.
So haben wir von tab. 33, 21 an eine fast nicht unterbrochene
Reihe von sachlichen Kategorien, wie folgender Überblick zeigen
mag, bei dem jedoch zu beachten ist, dafs die Grenzen hier und
da fliefsend sind und mehrere auf einander folgende Abschnitte ge-
legentlich unter einen höheren Begriff sich zusajnmenfassen lassen:
de cognatione 33, 21 — 36, 27
de honoribus 36, 28 — 38, 61
(dazwischen de agricultura 37, 15 (21) — 38, 50)
de divitiis 40, 17 — 42, 51
de vitiis humanis 42, 52 — 44, 63
de tempore et annis 44, 64 — 45, 17
de re militari 45, 18 — 46, 86
de sceleratis 48, 36 — 78
de aetate hominum 54, 4 — 29
de sacerdotiis 55, 16 — 56, 5
de rebus infemis 58, 43 — 59, 49
de bonorum nominibus 59, öl — 83
de ecclesia christiana 60, 14 — 44
de numeris 61, 4 — 90
de calendario 62, 17 — 63, 17
de poenis 65, 74 — 66, 63
de leguminibus 68, 4 — 44
de caelo 68, 68 — 70, 2
•) Eine sorgfältige Untersuchung über Anordnung und Quellen dieses
Abschnittes findet man bei Heinr. Breidenbach, Zwei Abhandlungen über
die Tironischen Noten, Darmstadt 1900.
38 W. Heraeus:
de aqua 73, 60 — 74, 22
de re poctica et graphica 76, 10 — 50
de metallis et armis 77, 13 — 76
de membris humanis 78, 9 — 79, 45
de moribus humanis 79, 46 — 81, 57
de templis et dis 81, 58 — 82, 15
de terris 83, 72 — 89, 16
de menßuris et ponderibus 90, 42 — 55
de fictüibus 96, 21 — 97, 2
de vestimentis 97, 3 — 99, 21
(dazwischen de aromatibus et coloribus 98, 66 — 99, 4)
de pellibus 99, 22—54
de omamentis 99, 55 — 100, 2
de habitatione 100, 3 — 101, 35
de aereis 101, 36 — 102, 81
de escis 102, 82 — 104, 2 (10)
de herbis et arboribus 104, 11 — 106, 36
(dazwischen de potionibus 103, 83—99 und 104, 64—80)
de vite 105, 44 — 106, 36
de re ludicra 106, 37 — 108, 17
de feris bestiis 108, 18 — 109, 62
de navigatione 109, 63 — 110, 62
de ventis 110, 63—85
de mari 110, 86 — 111, 4
de re medica et morbis 111, 5 — 112, 40
(dazwischen de avibus 111, 30 — 43)
de re vehicularia 112, 41 — 91
de piscibus et anguibus 112, 92 — 113, 30
de aquis 113, 31 — 114, 62
(Nomina propria personarum 114, 63 — 119, 10)
n. Das Verbum in den Tironischen Noten.
F. Ruefs hat sich in dieser Zeitschrift Bd. IX, 237 fif. der
dankenswerten Aufgabe unterzogen, nach Vergleichung des Wort-
bestandes des Georgesschen Lexikons mit dem der Tir. Noten den
Gewinn, den das lateinische Wörterbuch aus den Noten zieht, in
übersichtlichen Listen zu veranschaulichen. Die rund 1000 neuen
Wörter, im wesentlichen Ableitungen einer späteren Zeit> welche
Beiträge zu den Tironischen Noten. 39
die Bildungskraft der lat. Spra>che zu bezeugen und auf manche
dunkle Schriftstellen Licht zu werfen geeignet sind^ reducieren
sich allerdings bei näherem Zusehen bedeutend, da der Verf. in
seine Listen beim Verbum z. B. neben den Praesentia auch die
Perfecta und Supina vielfach aufgenommen hat (composcit^ com-
poposcit; retingit, retinxit, retinctum u. a.; invilescit, inviluit und
so bei den meisten Incohativis), andererseits viele Wörter aufführt,
die nur in der Schreibung von bekannten abweichen, wobei er
durch den Umstand entlastet erscheint, dafs er sich, da doch kein
Kommentar gegeben werden sollte, streng an Schmitz' Index ver-
borum gehalten hat, dessen Mängel in anderer Beziehimg Verf.
selbst p. 236 beklagt. Dieser Index ist in der That nur zu ge-
eignet, den Benutzer der Noten irre zu führen, ganz abgesehen
davon, dafs Schm. bei zweifelhaften Wörtern sehr oft seine An-
sicht nicht erkennen läfst, obwohl er im allgemeinen, was sich
mir bei Durcharbeitung der Noten immer klarer herausgestellt
hat, über einen grofsen Teil derselben zu gut denkt und gegen
die gesunde Skepsis, die der alte Kopp in seiner Talaeographia
critica' beweist, nicht immer mit triftigen Gründen opponiert.
So steht exsuit 83, 56 in einer Reihe suit mit Kompositen, dar-
unter persuit unbelegt, resuit nur aus Sueton nachgewiesen (dazu
C. Gl. V, 577, 53 f., mit dissuere erklärt). Dazu bemerkt Schm.
^exuif? Kopp n, 501^, merito ipse dubitans'. Trotzdem hat K.s
Ansicht die gröfste Wahrscheinlichkeit für sich. Denn erstens
ist zu beachten, dafs exuH sich sonst in den Noten nicht findet,
zweitens, dafs exstw eine ganz gewöhnliche Schreibung in Hdschr.
ist (z. B. im Med. Verg. A. 8, 567), die Cassiodor sogar fordert
C. Gr. L. VII, 204, 4 mit der Begründung, dafs es ein Kompositum
von stwre sei. Was lag also näher, als daXs man exuit in der
Reihe suit unterbrachte, zumal mangels eines Simplex uit? Ahnlich
steht exsoldum 40, 38 hinter ohsolehim, excreat 89, 28 hinter creat
als scheinbares Kompositum von creat neben den wirklichen re-
und procreaty wo doch niemand zweifelt, dafs exscreat gemeint ist.
Auch dilti*) und perduit 94, 29 neben induit zeigen die mechanische
*) Das Stenogramm weist freilich auf diduit^ was, obwohl sonst nicht
belegt, nicht undenkbar ist als alte Form für didat^ aber nicht eben wahr-
scheinlich, da sonst das gewöhnliche Simplex fehlt. In diesen und anderen
Fällen ist wohl nach der Verderbung des Wortes das Wortbild entsprechend
abgeändert worden (wie schon Kopp an anderen Stellen annimmt), wenn
40 W- Heraens:
Einreihungsweise der Noten und sind offenbar die archaischen Kon-
junktive = detj perdat, keine Verba (di)dHO und perdtio, wie Ruefs
anzunehmen scheint. Femer müssen offenbare ß^kompositionen aus-
scheiden wie adspargit 64, 91 (vgl. conspargit 93), ambagit 41, 45
(vgl. iransagit ebd. und das zweifelhafte prosagit, s. u. ; das folgende
Perf. ambegit wird noch C. Gr. V, 456, 10 = Anecd. Helv. p. 74, 32
ohne Beleg citiert), adsallire 128, 52*) = adsilire „überfallen^.
Von diesen Bildimgen ist adspargit (bez. con-) in späten Texten
ganz gewöhnlich und unbedingt für sie anzuerkennen (vgl. George»
Lex. d. Wtf. s. V. asp, und die Glossen C. Gl. VI s. v. Auch in-
schriftlich Ludi saec. VII col. III, 75 adsparmt und Anth. lat. ep.
525, 6 (Afrika) asparsus)^ auch sonst als Variante nicht selten,
namentlich in jüngeren Hdschr., so Varr. r. r. 3, 16, 35 zweimal,
von Keil aufgenommen, während Vel. Long. p. 75, 7 aspergo als
Verbum vom Subst. aspargo scheidet. Bei ainbagit wie transagit
kann es zweifelhaft sein, ob die Formen nicht ihre Entstehung der
in den Noten öfters befolgten Sitte verdanken, dafs nach dem
Simplex in den folgenden Noten der Kürze halber nur die Pro-
fixe der Komposita gesetzt werden, woraus sich wohl Schreibungen
wie adfacitf cofifacif 22 y 39 f. erklären. Obwohl die Möglichkeit
nicht geleugnet werden kann, dafs dergleichen Rückbildungen
wirklich einmal lebendig waren, wie sie ja das Romanische viel-
fach voraussetzt: so das oben genannte adsallire (assaillir), conqtiae-
rere (conquerir, auch archaisch: G. I. I, 198, 31. 34. 551 conquae-
sivei), excarpere (in ital. scarso, C. Gl. V, 547, 44 excerpta: excarsa^
578, 15 scarpo**): digo, Aeth. Ist. 66 excarpstim), dispartire (it. dis-
partire, Gl. II, 272, 49), commandare (Commander, so Not. Tir.
30, 65, von Vel. Long. p. 73, 11 sogar als gebräuchlich bezeichnet),
condamnare (condamner, s. C. Gl. VI s. v.), consacrare (consacrer:
zweimal im Mon. Ancyr. und in C. I. X, 7501 aus derselben Zeit^
sehr oft auf afrikan. Inschr., s.' Seelmann Ausspr. 60, und in
Gloss., wie C. Gl. III, 403, 25. IV, 388, 48 etc. Zweifelhaft ist
mir auch snhagitat Not. Tir. 76, 77 unter Kompositen von agitaty
man nicht Ausfall einer ganzen Note annehmen will. C. Gr. L. IV, 203, 2S
ist diduoi' m. E. aus cidxior verschrieben.
•) In einem späteren Abschnitt«, der Ausdrücke der 4ex Salica' ent-
hält, wie concambiare (changer), maUare (gerichtl. ansprechen), adrhamire
(geloben, bestätigen), deraubare (cf. derober;. Dieselben bleiben im Fol-
genden unberücksichtigt.
**) Nach Lommatzsch Rh. M. 52, 304 ist das s alier Anlaut.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 41
die bis auf reagitat auch sonst bekannt sind: suhigitat, das man hier
erwartet, fehlt in den Noten und war von vornherein in seiner
Bildung; ob von suhigo oder von agito, nicht klar. Die Pseudo-
Rekomposition findet sich auch C. Gl. II, 463, 48 inskavvfo' sub-
ago, subagito, — Umgekehrt bieten considet 50, 28 und (Uligit
25, 62 keine neuen Verba, sondern das nach Analogie von resideo
u. a. abgewandelte späte cansedeo (s. Georges; C. Gl. II, 440, 4
consideo) und das nach cdligo gebildete adUgo: vgl. Ter. Scaur.
p. 26, 8 lego, cdligo, cclligo, pdligo dicimus.
Scheinbar neue Komposita vom unpersönlichen licet bieten in
der mit licet 22, 4 beginnenden Reihe die Formen alUcet, elicety
perlicet. In Wirklichkeit sind es vul^re Bildungen nach der
IL Eonj. für die sonst in den Noten fehlenden allicit etc. Charisius
p. 244, 18 und Diomedes p. 367, 12 erkennen alliceo und pelliceo
an; C. Gl. II, 267, 51 heifst es: deked^G) itüecebrOj pelliceOy aUiceOy
inliceo, inlicio] Placidus C. Gl. V, 91, 19 glossiert pellicens: per-
suadens und wendet p. 3, 16 in einem freien Sallustcitat pdlicet
an; IV, 139, 25 steht peUaci a pdlicetidOy 270, 20 pelUcet Hier
liegt also wirklicher Übergang in die IL Konj. vor wie bei ini^dlat
44,30 (vgl. Du C. und C. Gl. VI u.VII s. v. pcllator und compello), und der
Sammler brachte die Komposita unter licet unter. Zweifelhafter ist
schon rüget 120, 25 (trotz Diom. 367, 11 rugex), ruxi; rugio, rugivi
bildet Hieronymus), zumal da rugetns folgt, das selbst Schm.
nicht anerkennt, dann siiget, sugitus. Hier wie bei sopei 83, 26
haben wir es wohl mit einer vulgären Schreibung zu thun, aus
der keine Schlüsse auf weitere Konjugation der Verba zu ziehen
sind. Dafs die Stenogramme die Endung -et zeigen, kann natür-
lich nichts dagegen beweisen. Ahnlich liegt der Fall bei remoU
Hat 73, 21, deniolliut 73, 20% wo Kopp bemerkt 'notae termina-
tionem male effictam esse puto': es sind Vulgärbildungen für die
bekannten, regelmäfsigen remollit, demollit, vgl. spätlat. aileviare =
ital. alleggiare, disturpiat 42, 60 (so, nicht -pat hat u. a. der cod.
Cassell.) und vieles andere im Komanischen, das auch mölliare
voraussetzt.
Eine ganze Reihe von neuen mit dis- zusammengesetzten
Verben bieten scheinbar die Noten: diiurat, diludit, disrendit,
distruity divehit, diliberat, dipilat, dibatiut, dilacrimat. Die Noten-
bilder zeigen überall di-. Trotzdem mufs schon, ganz abgesehen
von der sachlichen Unwahrscheinlichkeit der Bildungen (nur di-
pilat = dispilat, wie GL II, 435, 19 und 441, 39 steht, wie Not.
42 W. Heraeus:
Bern. 17, 97, liefse sich hören), der Umstand stutzig machen, dafs
die zu erwartenden Komposita deinrat, deluditj descendit u. s. w.
fehlen. Charakteristisch hierfür ist discendit 58, 3 hinter ascendit,
eonscendUy wo in den interpolierten Hdschr. descendit mit dem
entsprechenden Stenogramm eingeschoben ist.*) Die Schreibung
discendit ist in Hdschr. und Glossen bekanntlich ungemein häufig
(Lachm. Lucr. p. 371. Roensch, Itala 463. C. 61. VI s. v.), auch
inschriftlich nachzuweisen C. I. VI, 142 (Ende 3. Jhdt.) discensio,
und wird noch dazu ausdrücklich verworfen Ton Caper p. 92, 2
(vgl. Beda p. 271, 16). Und ebenso wird es mit den übrigen
Bildungen stehen, zu denen ich auch diUissat 71, 55 rechne, was
Schm. als dilaxat fafst, wohl wegen des vorhergehenden Ictssanien,
das allerdings höchst wahrscheinlich = laxanien ist (s. weiter
unten). Allein dieses hat sich nur in die Reihe lassus, Jassi-
tndo, la^scscit, deldssat eingeschoben. Die Verwechslung der Prär
fixe de- und rf/s-, die wohl von Fällen wie detnoveo dimoveo, de-
strimjo disiringo ausging, hat ja im Romanischen zur teilweisen
Verdrängung von de- durch dis- geführt, z. B. im ital. disdegnare,
frz. dedaiguer. So ist disvestire 128, 54 (mit de-, bez. dispoHatt
hinter deratdßare der lex Sal., gewissermafsen als Erklärung) der
Ersatz för klass. devestire: frz. d^vetir. Auch discertat 34, 83
erscheint jetzt in einem anderen Licht und wird um so zweifel-
hafter, als, ähnlich wie bei discendit oben, das regelmäfsige rfe-
certat in den interpolierten Hdschr. eingeschoben ist; bei Plautus
wird es immerhin zweifelhaft bleiben trotz der Glosse discertat:
plus certat IV, 409, 45 (vgl. auch Götz Arch. 11, 347) und rfw-
cerfatio cod. Cant. Act. apost. 15, 39, wo dissensio vg. = :ra(»o-
^vöfAog des Originals. Ahnlich steht es mit disturpat, oder viel-
mehr disturpiat (s. o,) 42, 60, wobei wieder deturpat nachge-
tragen ist, das nicht nur bei Suet., Plin. n. h. imd Hieronymus
(Paucker, Suppl. 1. 1. s. v.^ und in alten Bibelhdschr. (Boensch,
It. 190) begegnet, sondern auch bei Fronto p. 46, Firm. math.
p. 276, 5 Kr., Fulg. p. 161, 1 Helm, Don. Ter. Eun. 4, 4, 3, Acr.
Hör. n. p. 4, Schol. luv. 8, 15 Lomm. u. a. Endlich werden auch
disfatiifat 72, 37 und distcnjit 49, 3' unter diesem Gesichtspunkt
verdächtig, dafs sie nichts weiter als die vulgären Formen von
def, imd dci. sind.
•« Der umgekehrte Fall liegt 7. 65 vor, wo hinter diribtt in jenen
Hdschr. das viilgßre dtriJnt ,vgl. C. Gl. VI s. v.) eingeschaltet erscheint,
was keineswegs 'wohl sicher' dehibet ist, wie Kuefs p. 243 meint.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 43
Andere blofe in vulgärer Schreibung erscheinende Verba sind
fluvitat 73, 92 = fluitat (so Verg. A. 5, 867 cod. R, 10, 306 Bern, c),
scutit 102, 52 = excutit (ital. scuoto, vgl. Gl. V, 515, 16 sciissores:
qui i(icula mittunt und 61. VI s. v.), oborsiis 92, 97 = obortus
(vgl. Par. Ep. Val. Max. I, 7 ext. 10 und die Stellen für das im
Spätlat. häufige adorsus bei Georges Wtf., Gl. IV, 22, 61 auspi-
catus: adorsus, sowie für aborsus ebenda und C. Gl. VI s. v.), eruncMt
96, 98 = eruncat (Vgl. Paul. Fest. 69 derunciant: depurgant, wo
deruncinant vermutet wird, wie auch Schm. -inat liest), ventulat
110, 64 = Ventilat (vgL ital. sventolare = exv., C. Gl. IV,
571,31 u.a.). Beu^cerat 111, 86* ist späte Form für redulcerat
(Col., Amm.), ebenso reambidat 90, 38 (wie Gl. IV, 97, 42) für
redambulat (Plaut.), und reornat 33, 89 fiir redornat (Tert., s.
Wölfflin Arch. 8, 278), wie im Spätlatein reimliio (Bemer Palimpsest
5. Jhdt. bei Weyman, Abh. fiir Christ S. 149 A. 4) neben redinduo
steht, reinvefüo (Beda: s. Arch. III, 501; ital. rinvenir) neben red-
invenio, reaccendo neben redaccendo, reoletio Gl. III, 429, 29 neben
redolere (vgl. Sen. ep. 91, 21 niors malatn olitionem habet, jetzt
nach den Hdschr. wieder hergestellt). Ganz singulär und ohne
die entsprechenden älteren Bildungen mit red- sind dagegen in
.den Tir. Noten reagitat, reeminet (s. unten), reorat, reonerat, re-
ungit (reunctor bei Plin. mai. ist geringere Überlieferung), welche das
von Wölfilin a. a. 0. gereinigte Material bei Georges (reaedifico,
reaccendo yreexinanio, reexpecto, reinvito, reitero) noch vermehren.
Aus den Glossen kommen hinzu: reaudio, rehisco (neben redhibeo,
redhalo, redhostit), reamico, rehidino, renstus, reunitiOy s. C. Gl. VI
und VII 8. V.; anderweitig reingredior (Arch. IV, 268) imd rehiter-
preior (ArcL III, 501). Endlich sind Formen wie abligat 29, 74,
percuUt 11, 44', praecidit 11, 46, wie sie R. als Komposita von
ligare und cadere annimmt, schon deshalb verdächtig, weil die
gewöhnlichen ahlegat, percidit, prarcldit dann fehlen würden. In
den betreffenden Reihen sind die Komp. von cado imd caedo,
ligo und lego völlig durcheinandergeworfen.
Verdächtig immerhin sind Bildungen wie (dvescit 119, 18
hinter alvus, alvolus, obwohl eine abweichende Note für albescU
93, 49 vorhanden ist; instagnat 113, 77 zwischen stagnum und
stagnosus ist möglicherweise kein Kompositum von stagnum oder
stannum ^Zinn', das im Spätlatein stagnum lautet (ital. stagno),
sondern ein durch Vokalvorschlag (istagn.) verdorbenes Simplex,
steht übrigens Aeth. cosmogr. p. 89 Riese = versumpfen. Ahn-
44 W. Heraeus:
lieh liegt der Fall bei inspurcat 52, 22, wo man spurcat ungern
vermifst, obwohl impurco bei Sen. phil. erscheint. Conliberat
34, 29 könnte cofüihrat sein, confempfat 89, 21' = contentat nach
bekannter Schreibung, von contentus (Gl. II, 244, 49 iQxcvfita
contento und Du C), obwohl auch ein Intensivum von contemno denk-
bar ist, das 61. Y, 449, 24 als Erklärung von dedignatur sich findet;
schwerlich aber liegt ein Komp. von iempto * versuchen' vor,
trotzdem es vom Interpolator an diese Reihe angeschlossen ist.
Die Formen praetaedet, pra^taesum, praetaedescit 46, 93fiF. sind
schon von Kopp verdächtigt, mit um so mehr Recht, als die ge-
wöhnlichen perfaedet etc. in den Noten fehlen. Das auffallende
reemifiet 25, 20^ hinter praeminet wird nichts als praeeminet sein.
Bei der eigentümlichen Einordnungsweise der Noten ist auch
submeat 80, 42 möglicherweise = submeiaiy subgeiat = suhgilat
(subgilat in Hdschr. öfters), obwohl sugülat 82, 46 erscheint;
classescit 89, 94* = cassescit?, cofinitescit 113, 62 = connivescU,
das in den Noten fehlt; dispadat und expadat 63, 25 f., mit de-
nen die Herausgeber nichts anzufangen wissen, sind vielleicht
Komp. von pcindare. Sicherer scheint mir, dafs coamit 73, 48*
(diese Note, nicht 69, 80 meint wohl auch Ruefs), interpoliert
unter Komp. von acuo, Perf. von coacesco ist, wie es ja auch
69, 80 in der Reihe a^^iduMy acetum, acescit begegnet (vgl. Althochd.
Gl. UI, 297 coacHo: in arefum vertor, isuren, auf Hier. prol. Proverb.
coacuerint zurückgehend).
Es bleiben noch einige Bildungen zu besprechen, die den
Eindruck der Fiktion machen, wie praedit, praedidit unter Komp.
von dare 12, 69", das wohl nur aus dem Part, praeditus erschlossen
ist, wie perplccUtur 65, 52 aus perplvxns 65, 55. Vielleicht ist auch
mbnititur 74, 81 aus subnixus gemacht und effulcit 72, V* aus (f-
fulfits, doch mahnt die Glosse II, 467, 54 vTtoörrjQi^io effulcio 5m7>-
f)dcio perfidcio*) zur Vorsicht (Apul. met. 2, 21 ist effxdcii eine
nicht eben wahrscheinliche Konj. von Blümner für effidtis: vgl.
Ärch. IX, 308). Sicherer ist, dafs in den Noten gelegentlich Kom-
posita mit der Präposition in- aus negierten Participien fingiert
sind. Bezeichnend ist für mich inidciscitur, das in den interpo-
lierten Hdschr. hinter hUhs, hudtns, nlciscitur eingeschoben ist.
Dasselbe dürfte für das auch vom Cassellanus gebotene in-
*) Auch Not. Tir. 72, 3, dagegen ist Auct. pan. Pis. 98 permulcere
die bessere Überlieferung.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 45
punit 66, 54 zwischen punit punitus und inpunitus gelten, viel-
leicht auch für inf'atigat 12, 34, immemorat 30, 16* (wegen im-
memor und immemorabilis ebd.?), inviolat 53, 38 in der Reihe
v^idat, inviolat, transvioJ^it, inviolutus, wo übrigens auch involat
und transvolat im Spiele gewesen sein können (vgL die auffallenden
Komp. renecat und subnecat Ib, 22 f nach renegat, subnegat 3, 11 ff.?
u. ä.). Doch ist inviolat als verstärktes violat, das allein klassisch
ist, nicht unmöglich (anders ist Anth. Lat. ep. 1289, 1 casto, bona,
inviolans auf afrik. Inschr., nach innocens gebildet), wie denn
conviolo bei Kirchenschriftst., atviolo C. I. L. XTV, 128 n. 1153,
oimdo Gruter 996, 13 (ne mea ossa obvioles), deviolo im Pactus
Alamann. frgm. lU § 24 ed. Lehmann (ßi qiiis puellam de gyna^ceo
demciaverit, nach devirgino?) sich findet, während eviolo Prop. 1,
7, 16 offenbar verdorben ist, das schon citierte transviölo aber
zwar zur Not ab verstärktes viölo nach frz. tres sich erklären
lalst, aber verdächtig bleibt. Ahnliche Erwägungen lassen Zweifel
offen an insepdit 58, 63*, eingeschoben zwischen sepdit, sepnltuSj
insepiiltus; immerhin ist ensevdir nicht altfranzösisch. Sicherer
scheint mir, dafs inpudet 52, 13*, hinter pudens, inpudens, pudet
eingeschoben, fingiert ist, obwohl sich ein inpudet halten liefse
nach Analogie von indecet, das 67, 82* hinter indecens in ähnlicher
Weise interpoliert ist, aber als verstärktes und als negiertes decet
(letzteres freilich nur in der Litotes non indecet, die nichts für
indecet an sich beweist) nachgewiesen ist. Wie inpudet und in-
decet wird dann wohl auch inpiget 89, 74* zwischen piget, piger
und impiger fiktiv sein, zumal die Einschiebungen alle in gleicher
Weise vor sich gegangen sind. Wer endlich die Reihen tolerat,
tolerahiliSj intoleraty intoJerabilis 63, 58 ff. und memor, commemorat,
immemoTy immemorat, inmetnordbiUs , conmemordbUis 30, 14 ff. be-
trachtet, wird Zweifel an intolerat und immemorat nicht unter-
drücken können.
Eine Reihe anderer Komposita ist der Fiktion höchst ver-
dächtig, aufser den schon oben erwähnten renecat, mbnecat bei-
spielsweise exstituit 24, 64 in der Reihe statuit, adstituit, con-
stituit, distituit (= dest.), exstituit, instituit etc.; es ist gewifs
gemacht nach eoctitit in der gleichförmigen Reihe stetit, adstitit,
constitit, distitit (von distare) etc. Nicht mehr Vertrauen habe
ich zu affectitat, confectitat (defectitat fügen noch die interpolierten
Hdschr. hinzu), effectitat 22, 54 ff. im Hinblick auf die vorher-
gehende Reihe affecit, confecit, defecit, effecit, oder zu adsedat,
46 W. Heraeus:
cireiimspdat , perscdatj ohsedat 50, 47* nach Toraufgeheudem ad-
sidet, circumsidet, oder zu transf'etat 92, 88* im Hinblick auf trans-
fretat 93, 85, oder zu confuit, difuit (hinter defuit), refmt 4, 90 ff.,
obwohl z. B. confuit recht altertümlich aussieht, gab es doch auch
ein exesio (Paul. Fest. 82). Der Interpolator hat schwerlich an
Inf. cofifare dabei gedacht, eher an die entsprechenden Reihen
confagit, diffügit, refugit, die ja vul^r confuit, dijfuit etc. ge-
schrieben wurden {confuit z. B. Val. Max. p. 243, 19 u. 383, 3
Eempf in cod. A). Ahnliche Verdachtsmomente liegen massen-
haft vor, und schon der alte Kopp bemerkte im alphab. Index
seiner Palaeogr. crit. II, 419 zu admonet: adsueti notarom col-
lectores primitivis verbis derivata adnectere saepius etiam inusi-
tata temere finxisse videntur, quod semel admonuisse lectores
sufliciat.
Auf diese allgemeine Bemerkung bezieht er sich ausdrücklich
unter anderen bei den Kompositis adscdutat, adturbat, adteffii (er
verweist auf adtigit von adtingo), amonstrat, cofhcingü, deministraiy
pericit, pemuntiaty propurgat, transviolat (s. oben p. 45). Allein
zur Vorsicht mahnt, dafs prapiirgare jetzt aus Vulg. Sir. 7, 33
nachgewiesen ist, periacere (ans Ziel werfen) aus Sali. fr. Orl. III, 5
Maur. (tdum periaci poterat), wenn auch trotz solcher Belege die
Möglichkeit bestehen bleibt, dafs der Einreiher der betr. Noten
fingiert hat. Mit diesem Vorbehalt betrachten wir zur Ei^nzung
des schon im Vorbeigehen Gestreiften einige singulare Bildungen,
die uns mehr oder weniger unverständlich oder gar verdachtig
sein würden, wenn sie nicht durch Grlossen eine Bestätigung nicht
nur, sondern auch Erklärung fänden.
So wird, um mit den reinlat. Olossen zu beginnen, effretai
93, 84^ durch die Glosse eafretat: navigat IV, 70, 28 u. o. er-
läutert, evadatur 73, 43*) durch ev.: reposcit, flagitat IV, 337, 24 u. ö.,
das sonderbare adplcctitur 65, 50* durch adpl,: adgaud^t (unklar)
V, 1G3, 12, disdonat 41, 88 durch disd.: per diversa donat V, 286, 32,
wo freilich Glossen wie dissonat: per diversa sanat IV, 56, 24 be-
denklich machen können, wie auch bei den angefahrten Bildungen
der Umstand, dafs in jenen Glossen, wie stets in den Noten, die
3. Pers. Praes. Ind. steht, auf Beziehungen zwischen beiden Arten
•) Ebenda evadaticiae 73, 45 hinter vadaticiae, wobei litterae zu er-
gänzen ist nach C. Gl. VI, 661, 67 exvadaticia epistulu (ohne Interpret.), wo
Götz lieber ex vad. ep. trennen will.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 47
Ton Sammlungen führt. Ahnlich detribuit b2, 58*, mit adtribuit
Gl. IV, 330, 11 erUärt, insulcat 95, 85 = infert V, 504, 40, folr
lescit 98, 13 = tumescit V, 361, 2, contorpet 56, 97* = stupet
IV, 324, 34, revirdescit 31, 95 = revirescit (Loewe p. 420), evergit
43, 88 (bei Liv. unsicher) = reinclinat IV, 337, 26, discertat =
plus certat (doch s. oben p. 42), cotilibescit 22, 2 =* placet u. ä.
IV, 322, 49 (litterarisch nur adlibescit), dmpiscit 52,^1 = de-
lirat V, 285, 66 u. ä. (doch auch destpiscentes im Lemma bei Plac;
desipiscens populus aus Hieron. von Paucker Suppl. lex. lat. nach-
getragen), amanet 30, 39 = extra manet IV, 16, 7 (doch auch
amansit und amaneo in den Glossen); s. Generalindex der Glossen.
Ebenso scheint persolet 28, 36 durch die Glosse persolenter: ad-
sidue V, 608, 26 geschützt zu sein, dissequitur 30, 7 durch disse-
quentium: discordantium V, 567, 36 (Ggs. von conseqtienL? Oder
ist dissidentium zu lesen? Vgl. Du C). Andere Bildimgen werden
durch Interpretamente der Glossen bestätigt: so stthonerat 80, 78 durch
Gl. IV, 394, 13 suhgravat*): subonerat; incmdescit 49,21 durch inte-
grascit: incrudescit V, 535, 43, subunguit**) 79, 98 durch suhlet:
subunxit (subiunxit codd., von Roensch verbessert) V, 40, 7, j>ra^-
taxat 89, 24^ durch praetaxato: praescripto V, 510, 62, recertat
34, 84* durch antagonista: recertator, provocator IV, 16, 46.
Wieder anderes ist in den an Neubildungen so unendlich
reichen griechisch -lateinischen Glossen des sogenannten Cyrill-
Lexikons belegt: comministrat 25, 12 = diovxö comministro 11,
278, 16, deJocat 37, 91* = ixto7tCt(o 293, 12, pemarrat 43, 61
= iqyriyov^at 252, 58, probrat 42, 69* = 6v£iöC^(o 384, 4, invi-
lescit 39, 84 = il^evrekC^G} 303, 16, peditat 45, 61 (nach equitat
gebildet) = ä^S^ö 400, 21, commergit 72, 76 = ßv^C^io 260, 40,
exciet 103, 27 = 7taQaxfLci^(o 395, 16, obforpet 56, 98 = xccTavaQxß>
342, 33 (zu ddundat 76, 56 vgl. adundatorium i^ofißQL6t7]Qiov II,
10, 4), dagegen ist carescit 57, 57 nach Stellung imd Notenbild
axacarum fit, während ein cäresco Gl. 11, 437, 32 öt^qo^ccl, car^eyoy
caresco, privor vorliegt. Aufserdem sind von den Neubildungen
der Liste Ruefs', soweit sie nicht schon oben gelegentliche Er-
wähnung gefunden haben, nur wenige auch sonst nachweisbar
(die vom Romanischen vorausgesetzten werden unten in anderem
Zusammenhang behandelt): so inviscat 98, 99 aus dem späteren
*) Ebenso singulär wie con- und regravat 27, 85 und 86* der Noten.
**) Dagegen subunctor C. I. L. X, 3498 ist = Gehilfe des ufictar (militär.
Charge).
48 ^- Heraeus:
Latein von Paucker Suppl. s. y. belegt^ subrumjnt 46, 65 im Archir
XI, 131, recernit 25, 80 von Sittl Arch. III, 501 aus cod. Theod.
(vg. secemit). Dazu kommen remutat 31, 75 ^ QueroL p. 38, 19 P^
obrolat 75, 97** = Schol. Dan. Senr. A. 1, 394 obvolasse (pbvolito
wird aus Ps. Pore. Latro decl. von Gre. citiert), conlitescit 57, 5^
= SchoL Dan. A. 5, 72 conlituif, secerpit 89, 42 = Aeth. Ist. 59,
doch schöpft dieser Schwindelmeier bekanntlich auch aus Glossa-
rien und anderen Lexicis seine Worte; canstipulatur 67, 31, enectit
74, 63 und percedit 10, 73 sind bei Du G. belegt (zu letzterem
TgL pergredi, das in den Lexicis fehlt, aber Aur. Vici. Gaes. 33, 3
überliefert, von Roensch, Itala 196 dreimal aus alten Bibelhand-
schriften nachgewiesen ist). Von Bildungen, die litterarisch nur
einmal belegt sind, erwähne ich ahloeat (Suet.), addocet (Hör.), od-
meat (Paul. Xol.), cofipendit (Yarr. 1. 1., vgl. Du G.), concingit (Th.
Prise.), COM find it (Ps.-Tib.). detorret (Sidon.), exambulat (Plaut.),
incoijitat (Hör.), jierfuhfurat (Stat.), perfovet (SeduL), praeacuit
(Gato), 2w*«cs/)iVi7 (Gael. Aur.), propaniat (Vulg.), repotit (CoL),
suhne(fat (Gic), suhtorquet (Gargil.), transvdvit (Tert), gemesdt
(Glaud.), fulgescH iFirm.), foefescit (Isid. und s. Paucker SuppL),
palpi'l>rat (^Gael. Aur.\ discrepitat (Lucr.), nigricat und manganigat
(Plin. n. h., woraus Kopp Benutzung des Plin. in den Noten
schliefst^ von solchen, die aufserdem in den Glossen vorkommen,
conidllit ^Plaut), commofUt (Marc. Emp. und s. Paucker SuppL),
contorret (Amm.), depetit (Tert."), dispendit (Varr. L L), etuscai (Ict.),
inplanat (Vulg.), propimiat (Tiilg.), prolilKit (Plin. n. h.), reinergit
(Aug.\ resiüt (Suet.), trapisvap'icat (Veget.).
Was an Neubildungen übrig bleibt, nachdem man die Liste
von Kuefs durchsiebt hat, ist herzlich wenig und fast ganz auf
Komposita beschrankt, auch gewifs nicht alt, zum Teil sogar
sehr anfechtbar aus den oben dargelegten Gründen. Als alt nimmt
Schmitz Beitr. 296 prosagit, prosegit 58, 98 f. (hinter Sisyphus) in
Anspruch = pro(r)sum agit und erblickt darin einen Reflex aus
des Livius Odysseeübersetzung (/. Ö96 avo ü&eöxe). Aber ich
fürchte sehr, dafs diese geistreiche Kombination den Wert der
Noten weit überschätzt: wenigstens vermag ich kein Analogon
dafür in den vielen llKK> Noten zu finden (über egltärum, das
Schm. citiert, s. unten). Dagegen empfiehlt sich die Vermutung
Kopps, diifs ursprünglich prarmgity praesagiit stand, was auch
sachlich durchaus zu den vorhergehenden Noten i)rodigium, alu-
ciiMlor, sortilet^is stimmt. Auch die aufiTallend wenigen Bildungen,
Beiträge zu den Tironischen Noten. 49
die nicht Komposita sind, machen nicht den Eindruck höheren
Alters, ja lassen sich zum Teil als jüngeren Datums erweisen.
Es sind aufser den schon oben S. 43 f. als der Korruptel verdächtig
behandelten aivescit, dassescit, dis- und expadat und den Simplicia
prcbrat 42, 69* und taminat Ib, 39 (aus exprohrat und contaminat
erschlossen?; bei Fest. 393^, 13, was Georges citiert, liest Thew-
rewk temerare mit den Hdschr.), aptificat 32, 83* und luctificat 59,
44, Bildungen, wie sie das Spätlatein massenhaft produziert hat,
habiliiat 7, 66^ nidat 105, 91 (= nidificat?), nidorat 103, 25, wie
scheint, von nidor nach Analogie von odorat, das selbst in den
Noten fehlt, sopescit 83, 28*, ctimbagat 110, 58 (nach Art von
navigat?*)), frendescU 94, 34, fukescit 72, 10* (=falg.?), pistrit 94,
87, wahrscheinlich eine Rückbildung aus pistrinum, aber be-
merkenswert als Substrat des altfrz. pestrir, neufr. p^trir. Dies
Verb führt uns auf das Romanische, und wir stellen zum Schlufs
noch einige dem Romanisten vielleicht interessante Neubildungen
zusammen**): adsummat 61, 6 (frz. assommer: wie dies zur Be-
deutung *töten' kommt, mag conficere und dessen späterer Ersatz
consummare erläutern; Körtings Entwicklung ist weit hergeholt),
adlocat 37, 90 (ätb. allouer), disvestit 128, 54 (frz. d^vetir), dis-
turpicU 42,60 (vgl. Körting), dispendit 41,59 (altfrz. despendre
= verausgaben), incdlciat 79, 34** (it. incalciare etc.), incruciat
66, 64 (vgl. Körting), inodiat 46, 89 (it. annojare, frz. ennuyer;
übrigens in einer afrikan. Grabschrift Anth. Lat. ep. 1606, 14
Buech. inodiari = in odium adduci und im cod. Lugdun. Exod.
5, 21 inodiare = ßSBkXv66BLv)j stibundaf 76, 59 (frz. sonder), sub-
umbrcU 39, 41 (s. Körting; auch in 2 alten Bibelübersetzungen:
cod. Ver. Marc. 9, 7 = i%i6xittlBiv und Ottobon. Exod. 25, 20,
». Roensch It. 200 und coli. phil. 163), endlich adgyrat 96, 17*
und degyrat 96, 18, welche die Liste der bisher nachweisbaren
Komposita von gyrare vermehren (circumgyro Archiv VI, 436.
*) Das Spätlatein weist ja manche Neubildungen der Art auf, z. B.
ifentrigare = ventrem facere „Stuhlgang haben". Ist danach vielleicht resti-
gat 65, 12 in der Reihe instaurat restaurat instigat restigat als Ableitung
von resiis su fassen (das dahinter eingeschobene restitor 13* könnte Nbf.
von restor = „Seiler" C. Gl. n, 691, 36 sein). Doch ist es möglicherweise
fingiert nach restaurat der Reihe oder nach instinguit restinguit, die beide
fehlen.
**) Über veniulat = Ventilat s. o. S. 43 , über demoUiat S. 41 , über in-
sepelit S. 45.
AiohiT für lat. Lexikogr. XII. Heft 1. 4
50 W. Heraeus:
X, 422; congyro Roen»ch It. 186 und C. Gl. V, 334, 40, wahrencl
das Rumänische iucongyro voraussetzt; pergyro Peregr. Silv.
p. 66 R. civiiaiem perg.\ regyro aufser bei Florus noch cod. Legion.
2 Reg. 5, 12 haec dicetis t'egyravit ahiens in iracundia)^ sowie
conbatuü, dibaiuü (= deb. bei Petr. und Lex Sal. 24^3), subbaiuU
(noch Lex Sal. 2, 3) 71, 81 ff.
m. Das Nomen in den Tir. Noten.
Weit gröfseres Interesse als das Yerbum erregt das Nomem
in den Tironischen Noten. Zweifellos bilden die Nomina den
Grundstock, wie schon die in den meisten Teilen nachw^bare
systematische Anordnung zeigt, die oben naher erlautwt worden
und eben hier von Wichtigkeit für die Worterklärung ist Um
das Substantivum, bez. Ac^ektivurn sind die Verba, Adverbia u. a.
gruppiert oder au&erhalb der Sachkategorien wohl oder übel
untergebracht worden. Aber freilich geben gerade die Noinini^
wegen ihrer grofsen Yerderbtheit dem lexikalischen Forscher auch
die meisten Rätsel auf, und wie vieles auch durch die Bemühungen
der Herausgeber Gruter, Kopp, Schmitz au%eklart ist, so bleibt
doch noch eine Reihe von Wörtern, die sich dem Yerständnia
hartnäckig entziehen. Verschiedene Gründe kommen hier zu^
sammen, um die Erklärung zu erschweren. Einmal sind bekannt*
lieh die Wörter hinter den Notenbildem ohne Literpretamwt^
und auch die Glossen, die sich z. B. in der Haupthandschrift^ dem
Cassellanus, massenhaft beigeschrieben finden, sind, wie man jetzt
sieht, mechanisch aus den im Mittelalter gangbaren reinlateinischea
Glossarien ausgeschrieben, und zwar nicht ohne mannig&che Irr^
tümer. Einen Blick in die Werkstatt des Glossators des Cass.
gestattet uns die zu viscera p. 89, 95 beigesetzte GUosse sarcinay
nw/ndka, die Schmitz mit Recht fragwürdig findet Das Ahaxus-
Glossar löst das Rätsel sehr einfach: dort steht C. GL IV, 402, 12
visaccia (= bisaccia): sarcinay mamiica (= mantica) vor der Glosse
viscera: vaiae, medullae. Der Glossator ist also beim Nachschlagen
seines Lexikons in den vorhergehenden Artikel abgeirri Eia
anderes Beispiel: in der Pariser Hdschr. A^ steht bei Äparies'
p. 96, 95 die sonderbare Erklärung afflirtio, deren Quelle offen-
bar das Placidus-Glossar C. Gl. V, 4, 19 ist, wo aj)orria (= inÖQ-
QOia) mit affluxio (afhixio vermutet Roensch) erklärt wixd. Dafs
aber Ajwrics nur eine Komiptel von Aj^trodite ist^ hat man richtig
Beiträge zu den Tironiachen Noten. 51
aus der folgenden Note Erycina geschlossen. Doch wir verfolgen
diese Glossen hier nicht weiter^ die man übrigens heutzutage, zu-
mal nach dem Erscheinen des Generalindex zu den lat. Glossen,
besser verstehen wird als auch der neueste Herausgeber der
Not;en (vgL z. R noch seine Bemerkung zu äbscultat mit G. GL
rV 8. ▼. adverto und atiseuUo). Sie helfen uns eben nicht weiter,
ihrer Entstehung und gedankenlosen Fabrikation nach, sodafs
wir es nur als ein Glück betrachten können, dafs uns wenigstens
in den systematischen Abschnitten durch den Zusammenhang eine
gewisse Stütze gegeben ist, die freilich auch täuschen kann, weil
auch wirkliche und vermeintliche Etymologie sowie Gleichklang
von Wörtern auf die Anordnung der Noten eingewirkt hat, wie
schon oben bemerkt (S. 27£). Daher die Möglichkeiten der Er-
Idarung oft sehr zahlreich sind, um so mehr, als auch die Noten-
bilder selbst nicht frei von Korruptelen sind und öfters nach den
verdorbenen Bildern das Wort abgeändert worden ist: ein Titulus,
wie Punkt, Haken oder dergL, anders gestellt, die geringe Nei-
gung eines Striches genügen, um eine ganz andere Wortendung
zu ergeben*.
Wir betrachten nun, wie das Verbum, so auch das Nomen
im wesentlichen in Bezug auf die Ausbeute, welche es für das
lat Lexikon liefert, und halten uns wiederum an die von F. ßuefs
Arch. IX, 237 ff. aufgestellte Liste. AuLser Betracht bleiben aber
sowohl die auf Tafel 120 — 132 stehenden biblischen, bez. kirch-
lichen (wie anathema inaranatha, antiphona), als die juristischen,
bes. aus den ^Leges barbarorum' gezogenen Wörter wie fridus
(s. u.), vadUtio, hurina u. s. w. Zu den letzteren rechne ich auch
die aufserhalb jener Tafeln stehenden Wörter fredus (Kopp: fre-
midus) p. 93, 83 vor fretuSy wohl = multa^ scUka p. 90, 25^, wo
an lex oder terra (Grimm K.-A. 493) gedacht ist, alode p. 51, 93%
wohl = ml. alodium (es folgt lieres mit Ableitungen) und auf
derselben Tafel 1. 78 omaius (hinter 7naitis)j was Kopp omasus
deutet, aber auch ml. homagium sein kann, wenn es nicht aus
der in Hdschr. oft begegnenden, durch falsche Trennimg ver-
ursachten Schreibung nihil (lijomaius herausgesponnen ist. Dahin
rechne ich auch mit Kopp vassm 118, 40* im Kapitel der Eigen-
namen = Vasall (vgl. ebd. 48* satrapas)*), und auch das schwie-
*) Schmitz fafst es im Index als Eigennamen, wie auf derselben Tafel
85 f. Vassus, Vaseenus, die nach den Erörterungen von Breidenbach a. a^ 0.
4*
52 W. Heraeas:
rige Uta 71, 61 vor litura, wozu Schmitz *litapura C. GL L. III,
203, 36 \= kixci pura!]; qui expediam nescio' bemerkt, möchte
ich als Treigelassene' in Anspruch nehmen (Uta, lida, leta, leda^
laeta im Mittellatein..), obwohl sich Uta als Subst L DekL, das
es doch wohl sein wird*), aus dem Lateinischen erklaren liellse
nach Analogie von ignora u. ä. bei Roensch, colL phiL 194, roga
mlat. = rogatio, s. Du C. Auch die zahlreichen griechischen Lehn-
und Fremdwörter scheiden wir aus und beschränken uns auf einiges
allgemein interessante, bez. auch fCir das griech. Lex. neue, z. B.
(isciis p. 98, 1*, causterium p. 102, 24 = cauterium, presterium
114, 32 = TtQi^ör. in einem Abschnitt über Bäder, paederoHmim
(Farbe) 98, 50 (vgl. oxypaed. Vop. Aur. 46, 4), aposphragisma 99, 58
(Plin. ep.), clioOiedrum 101, 24 (aus dem von griech. Gramm, be-
zeugten xXivoxad'ddQi.oVy bei frühmittelalterlichen SchriftsteUem
und jetzt auch G. Gl. Y, 618, 51 exedra vd diothedrum: sedes
episcopalis) y eleuifierium 99, 70 unter Schmucksachen hinter cy-
lindriy catetlae (Gl. II , 59, 35 mit xä^e^a^ XBQiöiQaiov erklart),
myracopum 98, 86 (vgL die von Mommsen verbesserte Digesten-
stelle Arch, III, 261), colohathra 107, 67 (vielmehr -bcUa = 'ßatf^g^
vgl. 1. 61 scinobatra = öxoivoßdrrig^ was C. Gl. III, 172, 44 mit
calahatariiis erklärt wird, während Non. p. 115, 20 s. v. grallator
die Hdschr. auf colobathrarius weisen, GL III, 240, 13 TtaXoßdvrig^
öxoi^voßcctr^g funiamhulus, s. Gl. s. v. fufiamh.)^ opledes ebd. t 59 (von
Schm. als bxkoxaCxtrig erwiesen aus Gl. III, 308, 65) und sdro-
paectes 1. 60 (im Sinne von xvßevrijgy s. Schmitz Beitr. 277), para-
paestus 114, 59 hinter anapaestus (wohl = „verrückt", vgl. XttQa-
7tkrixtog)j liorcistypolis 96, 100 nach Schmitz Rh. M. 37, 319 =
6(fXixo7t(Xikrig von ^QXig^ oQx^^og (Olivenart), besser von Kopp zu-
sammengebracht mit orchestopclarius i== dgxtiäToxöXog**) bei Firm,
math. 8, 15, doch geben die Glossen III, 302, 46 6(f%ri6xQxdkri
S. 24 wohl als Vurus, Varenus zu deuten sind. Dagegen hat Kopps Vam-
diu8 nur geringe Wahrscheinlichkeit.
•) Wertlos ist die Glosse in A^ linita = C. Gl. IV, 256, S6 2ita: Hnita,
was wohl auf Verg. Georg. 4, 99 geht.
**) Das Fremdwort wird mit lat. Endung versehen, wie calttbcUarius
(s. 0.), petauristariwi {TtstavQicri^g, -Sintis Not. Tir. 107, ß3 wohl verschrieben),
propolarius {utQonmXrig, im alten Lat. propola) C. Gl. V, 676, 66. 622, 17,
petaminarius («» irerafi^yog) und pyctomacharius bei Firm., u. a., pyctio «>
jri'xnjg Gl. rV, 143, 13. Im Grunde dieselbe Erscheinung, wie wenn cocci-
netis später neben coccinus %6%xivos aufkommt (s. unten S. 74) u. &.,
wobei .freilich Nebenformen wie dfunietts, ficultieus mitgewirkt haben mögen.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 53
Jwmiestopeda, was ein Eompositum wie nkivondkr^ scheint*)^ dinus
57, 69* und 66, 78 (Kopp denkt an einen obskuren griech. Heer-
führer CliniuSy doch s. Gl. V, 350, 4 dinus: Uctulus und 61. s. v.
tridiniumj wenn nicht eine vom Romanischen vorausgesetzte Bildung
dinus = indinatus gemeint ist), catacusis 101, 61 = xardxv6ig
unter Geföfsen (vgl. epidiusis bei Plaut, imd Varr.), eglutrum ebd.
62 (von Schmitz Beitr. 271 erkannt, unter Hinweis auf Liv.
Andron. bei Non. p. 544 argenteo poluhro^ aureo eglti^o**)), pro-
scholium 101, 8 (Gl. HI, 380, 66 in proscolio iv rtp TCQoöxokCc)),
orfhistroium 101, 28 = öpd'oöt., iaurocatliapta 108, 32 (von Schmitz
Beitr. 304 erkannt), pieihora 111, 80 (volksetym. in pletura um-
gestaltet bei Veget. und Peli^.; s. auch die Glossen s. v.), helcium
110, 37 hinter tragtda (bei Apul. = Kummet, cf. }ielciarius)j hypo-
hryckiwn 110, 21 (Tertull.), platocerus 108, 45 = xXuxvxiqog (wie
in einer mittellai Quelle Arch. VI, 441; Gl. V, 517, 15 trageU-
phwn quem nos dicimus platocervum wie Polem. Silv. p. 267 Mms.
jilatocerviis mit weiterer volkstümlicher Wandlung, endlich abgekürzt
piaton bei Apic. 342), symmistiaim 119, 23 (von öv^ipivötrigy zw.),
orthembasis 93, 99 (Komp. von i^ßaötg Badewanne), zyrthecium
114, 45 (nach Schm. = Siy()o^iy'xtov; viell. = i^vkod^xiov oder =
chirothecium? vgl. Du C.) imd myrotliecium 1. 46 = Cic. Att. 2, 1, 1,
tritoliufn und emitolium 97, 93 (= r^jtrvAtov, fjfivTvkLov von rvkrj
nach Schm.)***), ergaticus 109, 81, glaucomaiicus 91, SAxmdschenia-
ticus 106, 64, protaules 107, 8 (nur inschr. Or. 2783), plagiaules
ebd. 9 (Gl. IH, 302, 42 plaginula (pv^iyyufttjg), nionaules 10, calor
maules 12 (s. C. Gl. VI s. v.), choro- und psilocitharista neben dioro-
und psüocifharistes (letzteres aufser bei Suet. Dom. 4 auch C. I. L.
VI, 10140). Ein merkwürdiges Wort findet sich 101, 80 hinter
trutina, statera: diaristion, was Kopp xagiCtYigiov oder %aQi6xix6v
deutete. Allein es ist nichts als das seltene xagiöxCtov, was von
Simplic. zu Arist. phys. 255 als örad'fiLxbv oqyavov bezeichnet wird,
jetzt auch G. Gl. HI, 197, 61 %a(>c<yr^G}v campana gefanden wird
(hinter ^vy6g statera) und schon in der Inschrift Or. 4344 ponde-
rarium , . . et charistionem aeretim pos stateram. Mit Unrecht ver-
*) Nach frdl. Mtl. von Skutsch ist -palarius auch bei Firm, überl.
**) aureo et glutro codd., em. Otfr. Müller. Das Wort fehlt in den
lai Lexicis. ixlowgov PoUux, auch elutriare scheint hierher zu gehören.
***) ^S^' übrigens das noch unerklärte salco emituUario der Inschrift
C. I. L. VI, 8076 und dazu Loewe, BuUett. dell' inst. 1882 p. 60. 127. 191.
54 W. Heraeue:
dächtigt Kopp anch ne^iiiela 109^ 32 und vermutet Nepeta. Das
Wort steht unter Backwerken in der Reihe jjiacenia, scribüUa, li-
hum, nefda^ nucuncuhis (letzteres doch wohl =» lucuncuhis, was
man sonderbarerweise bisher übersehen hat) und irt gesichert
durch mittelat. nehula, s. Du G. und die biblische Glosse zu Volg,
Levii 7, 12 in C. Gl. V, 494, 73 coUyridas: cibus^ qtiem nas «e-
bulam dicimus. Anderes ist noch unerkannt geblieben^ so mesi-
stda 103, 63 hinter offa, offtda, offeUa. Kopp wollte mmsalia, und
.Schmitz setzt ein Fragezeichen dahinter, die Losung geben die
Glossen: III, 379, 54 u. ö. missisulas (oder misis.) iiufruktu (hinter
ofdla u. Ittcanicae). Ednlnum 109, 38 unter Backwerk ist nicht
mit Kopp u. SchuL edibilium zu lesen, sondern wohl jjdvßiov zu
erklären, das bei Athen. 647 C eine Kuchenart ist (vgL subitiüum
unten S. 66, das gleichfalls in den Noten und bei Ath. erscheint).
Unt«r Schlangen findet sich zwischen cdubra und echidna 113, 28
dibia, was wohl dibsa = dijtsas (vgl unten S. 67) mit regel-
rechter Lautvertretung (ahsis, obsonhtm, parabsidtis 35, 76*)*).
Cimbilpae und mnbilae 99, 81 f. stehen zwar hinter cyfnba, sodaGs
man Ableitungen dahinter vermutet hat. Trotzdem wird nichts
als die sonst in den Noten fehlenden Namen CybAe und Cf/bde
dahinter stecken (s. S. H2*)), wie ich auch eumbile 110, 59 hinter
cumba für volkstümlich an cumJyere angelehntes cubüe halten mochte
(Schm. mit Kopp cymbulas). Cybebe und Cybde stehen hinter einander
ebenso wie dodmentum^ documentum 53, 70 f., manubiae^ 9nanibiae
67, 75 f., dupeuntj di^yeum 77, 59 f., dorsum, dossum 96, 31, coto-
nium, cetonium 105, 28 (unter Obstbäumen): denn letzteres wird
doch nichts anderes als eine Nebenform sein, vgL citoneum xv-
davtov GL m, 358, 76 und sonst in Hdschr.**) Das auf der-
selben Tafel 105, 32 hinter sorbuin und mespäwu stehende geso-
pum (das Wortbild: ZüSPum nach einer Mitteilung von Schmitz)
scheint mir auch nicht richtig als hys(s)opu'm von Kopp, dem
Schmitz folgt, gedeutet zu sein, schon wegen des Zusammenhangs,
der einen Obstbaum erfordert, also gizyphum. Auch diyrocasias
•) Vor parasitus interpoliert, womit Schm. jenes für identisch erklärt.
Doch vgl. die vulgäre Schreibung 2)ara])sis = ndgoipig (C. Gl. VI s. v.).
Übrigens findet sich t öfter für 8 geschrieben, z. B. Traiumanus 118, 82.
Im Notenbild von dibia ist DB und die Endung a enthalten.
•^; Kopp II, 629 bemerkt: cffoiitwm quum vox nihili sit, et eottyfiium
praecedat, suspicor cetofnnum legendum esse, quod pro setoninum sive seri-
cum medio aevo usu venit. (S. Du C.)
Beiträge zu den Tironischen Noten. 55
nicht richtig als xBigongaöCa erklärt: es wird Ivkoxaöötcc gemeint
sein; vgl. den mittellat. Memorialvers cs^ opo stiats, ciro lignum
carpoque fructus (geht auf ö;ro-, SvAo-, xaQXoßccXöafiov) bei Loewe
Gl. nom. p. 118, cJierofnyrrha = J^rjQÖfivQu bei Sedul. hymn. 2, 81
(unrichtig Arch. VI, 114), xyrohalsamum: cortex halsami Osbern.
p. 628 =-» |vAo/3. u. a. Sonst scheint noch bemerkenswert, dafs
irechedipnum 99, 42 unter Schuhwerk aufgeführt wird: die Scho-
ben zu luv. 3, 67 schwanken zwischen der Erklärung vestimenta
parasitica und gallicnlae (Galoschen) graecae. Propnigeum 114, 3S,
aus Vitr. und Plin. belegt, findet sich auch C. Gl. III, 217, 2
tepidnria itQOXvtyslcc. Über anathymiasis 111, 77 vgl. „die Sprache
des Petr. S 10^', Progr. Offenbach 1899, desgl. Über sapluton96,
02 «« ^aitL ebd. S. 5 (Eigenn. inschr.). Ghinz dunkel sind die
griechisch aussehenden Wörter eglidriae 102, 5 nach lantema,
111, 16 hinter chiron, chiro)iomm, chyrtigilis*) hat Kopp wohl
candelabrum vor stuppa (vgl. eclutrum oben?); phironimxis 111, 70
unter Krankheiten zwischen ictericus und stranguria {pyroma
Kopp, TCVQBtröfisvog Schmitz); geronteum 114, 34 am Schlufs des
Abschnitts über Bäder (gerontoconiium Kopp); sinteria^ bez. sinte-
riaeus 111, 64, das vielleicht als Simplex von djsenteria fingiert
oder volkstümliche Abkürzung ist; dramea 77, 65 hinter framea
(vgl. drama, dragma = manipulus, drachma; das Hilfszeichen des
Notenbildes ist a); monopticus 100, 75 zwischen archimimus und
fhymdicus (vom St. Ttrox- = simplex oder von 6ä-?); caUhiae 78, 24
(ein caltba von jakryilf = ferrea catena bei Du C; vgl. Kot. Bern.
43, 1 cdlih///e vor ferrum); caporidia 104, 63 unter efsbaren Pflanzen
(capreida Kof'p u. Schm., xoTc^agCdicc? xa^ijQCdtcc'f)] hillamim und
goilenum 99, 3 u. 4 unter Farben (vgl. galnus bei Du C, frz. jaum)]
über sareeoninm, bez. vat^ez. s. S. 79 A. 3. Von hybriden Bil-
dungen seien erwähnt testamentigraphns 31, 45 (wie arfigra-
phus; infidigraphiis bei Paucker Suppl. lex. lat.), ejntogitim 97, 9
(bei Quintil. u. s. Du C), epigroma 76, o (? zw. epitoma u. epi-
gramma), epifiomen 21, 71 (vgl. supemomen in chridtl. Inschr.
C. I. V, 6280, flpz. surmm\ di- u. epipampinum 105, 50* u. 51*,
hieris 109, 98 (=== dti?'pij$, cf. Du C.) neben quadrieris 110, 1, letz-
*) Schm. deutet chirologus, richtiger wohl Kopp choerogryUus, was aus
der Vulgata geschöpft ist, wie ortygametra 119, 95, nycticorax 74, 67* u. a.,
PythoniS8a(Jx3lg. 1 Par. 10, 13). Vgl. altfrz. cyrogrylles bei Schnchardt Ü, 284
titid die seltsamen Entstellungen jenes Wortes bei Diefenbach, gloss. lat.-germ.
56 ^' Heraens:
teres auch C. I. VI, 1063; dirodium 112, 62* neben bin, s. n*
S. 58 (vgL bicrota C. I. L. V, 1955, difariam, disulcuSy dienmum,
divium C. GL VI s. v.). Über semetrum s. S. 81. Verdachtig ist
mir dagegen histrionices 108, 11: es liegt wohl hisirianicus zu
Grunde.
Eine Anzahl Wörter scheiden wir von der Betrachtung aus
dem Grunde aus, weil sie möglicherweise Eigennamen sind. So
ist mir zweifelhaft, ob aenaria 101, 49 wirklich eine Ableitung
von aemis, hinter dem es seinen Platz gefunden hat, sein soll^
und nicht vielmehr die Insel Aenaria gemeint ist. Zu rubritis
78, 80 bemerkt Kopp ^rubnis esse videtur'; es scheint aber auf
die gens Kubria zu gehen. Ebenso ist ostiensis 55, 41 u. 100, 42
unter Ableitungen von ostium möglicherweise nicht eine Bildung
nach atrien^is, sondern Adjektiv von Ostia; iconium 78, 12 hinter
icon m. E. die Stadt /c; f anister 74, 54 hinter fanum, fancttictis
kann, wie Kopp vermutet, auf colonia Fanestris gehen (Cogn. For
nester Inschr. bei de Vit; zur Schreibung vgl. equisfer 45, 53, se-
quisfer 94, 74); stibpontium 110, 97 = Sipofittim (Kopp); Uir^ios
92, 36 vor Vulcanus = tornns oder Turnus?] helia f»9, 91 hinter
helius (= Helios) = Prophet Elias? bei Pmdent. auch Elia;
92, 52* hibria = Hiberia nach Kopp; CiÜkarion (Cass. CiÜiaran)
106, 97 = Githaeron (Kopp); genesius 58, 94* = Genesius?
das folgende genesalia ist freilich, wenn nicht verdorben, wohl
von genesis gebildet, wie spätes genesiacu^ = genethliacus bei
Paucker Suppl. 1. 1.; von copisanus und enepus wird S. 64. 62 bei
den Fiktionen die Rede sein. Dahin rechnen wir auch mehrere
Nomina, die in der Litteratur nur als Cognomina nachweisbar
sind, so cerco 109,2 (^Cogn. derLutatii); casfricius 45, 32 (Gentil-
name, vgl. Wölfflin Arch. V, 424; doch castricianus Cod. Theod.),
bibacidiis 104, 73, apruncuhis (^ein gallischer Rhetor, bez. Bischof
des Namens bei Amm. 22, 1, 2, bez. Sidon. Apoll., s. Mohrs Ind.;
a2>ricHhiS ein Fisch bei Apul. apol. 34, während C. I. IV, 2477 das
Cognomen auch Diminutiv von a2>riais sein könnte), luscälus .
111, 21* verstehe ich als LhcHIus (z. B. Cognomen eines Konsuls
265 p. Chr.), Wirklich lebendig jedoch sind gewesen basstis 71, 56,
vor crassus richtig eingereiht, in den Glossen sehr häufig erklart
mit jungiiis, iyx^*^^^ K^- j®^^ ^- CJl. VI s. v.) und in den röman.
Sprachen erhalten {frz. bais etc.\ }H*do 58, 22* = iial, pedopie FvlIlS'
ganger, C. Gl. II, 144, 33 mit j^anrus, :rXcirv:tovg erläutert Viel-
leicht auch fundanus 37, 56 iSchm. schreibt Fund,), wenn der
Beiträge zn den Tironischen Noten. 57
Glosse IV, 240, 34 fufidanus: rusticus qui fundos colit zu trauen
ist. metaUes 82, 79* ist vor satelles nach der Erklärung, die die
Alten von Metellus geben (= mercenarius), eingeordnet (in den
Not. Bern 61, 6 nach merx, prontercalis), dagegen 37, 45 nietdlus
hinter teUus nach dem Gleichklang. Umgekehrt ist in der inter-
polierten Note camtUarius 115, 54* hinter Camillus wohl keine
Ableitung des Eigennamens mit Kopp zu suchen, sondern came^
laritis zu erkennen, wie auch 2 Hdschr. haben, indem cafnelltis
mit offenem e ganz gewöhnlich ist in Hdschr. und Inschriften
und auch vom Romanischen z. T. vorausgesetzt wird (s. u. S. 68).
Eine gröfsere Anzahl Wörter in der Liste von Ruefe re-
präsentieren bloXis jüngere oder, was seltener, ältere Formen
von alten Bekannten, was indirekt dadurch bestätigt wird, dajb
die regelmäfsigen Formen mit wenigen, im flgd. ausdrücklich be-
zeichneten Ausnahmen, wo meist die jüngere unmittelbar hinter
der älteren eingeschwärzt ist, in den Noten fehlen. Bei der
folgenden Musterung ist freilich vielfach zu erwägen, ob nicht
die betr. Form der Unkenntnis des Sammlers oder der Verderbt-
heit seiner Quellen oder der Korruptel des Notenbildes, welche
die Korrektur des Wortes nach sich zog, auf Rechnung zu setzen
ist. Das gilt namentlich für einige auffallende Endungen, z. B.
ampendax 65, 56 = appendix (der Anlaut auch Paul. Fest. 21, 6),
canicfdus 108, 91, lacinium 97, 10 unter Kleidungsstücken, jyerio
99, 41 = pero unter Schuhwerk, petauritamf^ 107, 63 (Kopp: pe-
tauristarius), scuirum 96, 34 = scutra? (cf. Gl. V, 623, 31), sub-
frixgostis 81, 26* (== subfraginosus bei CoL? rom. subfraciostis
^bedürftig'), iorpitudo 57 y 1 unter Ableitungen vom St. torp- =
torpedo? (vgl. gravitudo = gravedo). Dagegen hat cervia 108, 72*
hinter cervus das Romanische für sich: prov. u. ital. cervia (cervia
Leg. Alam. Pactus fr. V, 6), wie ama im Schriftlatein, plagia
im Roman. *== Gestade (ital. piazza, altfr. playe; vgl. Serv. Aen.
2, 23 statio est quam plagiam dicunt). Desgl. camhla 11, 74
„Mantel mit Kapuze" im franz. chasuble (casubla od. -ubula Greg.
Tur. patr. 8, 5 p. 690, 1; vgl. Du C), cichora 104, 46 als Fem.
Sing., itaL cicoria etc. Für vitium 68, 21 unter Leguminosen
setzte Kopp vicia, wozu Schm. bemerkt ^sed obstat titulus'; aber
natürlich hat jener in der Deutung Recht, nur ist die Endimg
-um möglich nach griech. ßixCov, vgl. C. GL III, 267, 3 rä ßixCa
vicia, korrekt 299, 61 ßixCov vicin. Anderes scheinen die Glossen,
bez. Grammatiker als vulgär zu bestätigen: indicivum 55,5 statt
58 W. Heraeut:
-iva steht auch GL II, 80, 43 (firfwrgov erkl.); birodiuni 112, 63
unter Wagen, wie Gl. IV, 488, 54 (sonst in Gloss. birahim oder
-15, birofa in Jurist. Quellen u. bei Du G., als Adj. bei Kon. 86, 30
dsinm: vehicuU biroti genus, ital. biroccMV^ pastifiocia 104, 20*,
hinter dem korrekten -am eingeschoben, wie GL II, 519, 53, wah-
rend V, 381, 57 die Hdschr. schwanken; femer wird tramen 99, 16
als Nbf. von trama, offenbar durch die begrifßrrerwandten stamen,
mbtemen hervorgerufen, bestätigt durch die Cjrill^oase II, 428, 30
Qodävr^ tramay subtenten, tramen (iramis: lY, 397, 45 irama vd
traniis und GL s. v. forago\ desgl. eqnifer 108, 67 „wildes Pferd"
als echte Nominatiyform durch die Glossen erwiesen gegen das
von den Lexx. angesetzte eqniferusy wie schon Roensch colL phil.
273 £ sah, der auch auf die analogen Bildungen caprifer und
ovifer in den Glossen hinwies, aber das bekannte semifer übersah
(freilich scheint bei Augustin semifems überL). Ätwupex 93, 17 «*
aucupeSy was als Nom. Sing, auch von Prob. C. Ghr. L. IV, 26, 22
gefordert wird, kann verglichen werden einerseits mit den Plauti-
nischen Nom. mici])es und praeci})eSy sowie dem von Prise C. Gr.
II, 280, 11 ohne Beleg citierten bicipes, andrerseits mit dem in.
Hdschr. häufigen jirhicipes (vgl. Roensch, Itala 263, Cic divin. 1, 8, 6
cod. Leid., GL IV, 374, 28 u. a.). Die Nominativform lYirfts 73, 41
fiir vaSf von Schmitz erkannt, wird aus Ennod. belegt und hat
viele Analogien auch in den Noten, wie gruis, lendisy fründis,
s. unten S. 86. Indem im Spätlatein gern fdr die Endung -^iris
die vollere -anns gewählt wurde, finden wir saitUarius 63, 94
wie Hist. Apoll, c. 32 salutarias litteras; scholarins 101, 5 wie
im Romanischen (ital. scolario etc.), palmarins 107, 93, peeulumus
40, 98 (s. Georges Wtf.) u. a. Umgekehrt steht acinaris 105, 100
Singular da, indem bei Varr. r. r. 1, 22, 4 acinaria dolia die
Endung nicht zu erkennen ist, wenngleich Schmitz Beitr. 272
sich auf Grund der Noten für -aris entscheidet: doch finde ich
Schol. Pers. 6, 21 turdus acinarim. Desgleichen- hat crocinmm
98, 91% hinter regulärem -imim eingeschaltet, viele Analogien im
Spätlatein, z. B. coccineum neben älterem -inum 98, 67. 58, tait-
thutetim 98, 62 neben gewöhnlichem -inum 61; polentaceum 68^ 21
wird bestätigt durch Apul. met. G, 19, wo man seit Jahn zu der
Lesart des Flor, jwlentacmm damnum zurückgekehrt ist. Phfyxi-
num 98, 65 ist nach Schm. Nbf. zu phrixianum, 8cahnica 9, 27*^
hinter parro, cepe zu dem im Roman, fortlebenden (a)scalonia (Scha-
lotte). Über angusti- und laticlavus 36, 35 f. und dueüium «» duel-
Beiträge zu den Tironischen Noten. 59
lum 91, 55 s. C. GL VI s. v. Klar sind endlich CLsturms 112,44 »«
-cOy canistdlfis 108, 96 = -um, myrtacium 105, 76 = -eMm (Geis.),
fnensirum 42, 47 = -immj aeqtwrium 110, 82 = -cuw, aruspis
55, 70* hinter haruspex. Endlich erklärt sich esquilis 102, 88
wohl am einfiachsten als AbL von Esquiliae, das wie ein Städte-
namen behandelt wird, die ja gern in späterer Zeit in der in-
deklinabel behandelten Ablatiyform erscheinen, s. Mommsen Herrn.
32, 466; dagegen ist colaphis 128, 57 aus der Yulgata entnommen,
in der das Wort 3mal in dieser Form erscheint, nicht anders
;als discolis 101, 7* von dyscolus aus Vulg. 1 Petr. 2, 19 (vgl.
Schmitz Beitr. 298 ff.). Anderweitige Veränderungen des Vokalis-
mus oder Konsonantismus liegen in folgenden Wörtern vor, die
gröfstenteils von den Herausgebern richtig gedeutet worden sind,
wenn auch nicht ohne gelegentlichen Widerspruch: recinus 91, 17
= ric, pestrinum und in pestr. 53, 17 u. 17* = pistr. etc. (auch
das Notenbild ist an pestis angelehnt; das korrekte pistr, steht
94, 90), verbicifia 108, 57 = verbecina, antegradum 95, 72 = miti"
gradum (s. unten S. 80), serpicuhtm 83, 43= sirjh (Schmitz
bemerkt: ^Koppius cur citaverit Propert. 4,. 2, 40, non assequor';
doch wohl, weil daselbst sei'pie. überliefert ist, während sonst
sirp-, scirp-^ surp- sich findet), sororeddtnm 98, 63 = sororidahim
(ein schlagender Beweis für die Benutzung des älteren Pliuius
(8, 195) in den Glossen, wie schon Kopp sah), sareza 77, 52 =
sarisüj verginetis 43, 90 = virgineus (Verginius?), arepennis 36, 8
= arip.y genetcUis 95, 43 = genit (letzteres steht 28, 62); pan-
nunadus und pannoclarea 95, 66 f. «= payiniadiis, pannuc(u)laria
(s. mein Programm „Sprache des Petr.^ S. 3. 45); paenus 21, 1 =*:
penuSj fetor 103, 35 = faetor; gressator 98, 42 = gross.; guridus
62, 13 zw. faiuvSj morio und stolidus == gurdus (im Roman, fort-
lebend); iubor und tuhorosus 112, 40 = tuber etc.; scdubromm
77, 3 = scdebr,, doch s. S. 70 A., ammtUa 101, 49 = (}i)am\üa, her-
vüia 104, 62 = erv. (Ed. Diocl. 1, 12 herh). Für dilenis 58, 74 =»=
ddirus, dUenimewtum 79, 48, difinitum 34, 61*, dilumbatus 79, 41
gilt das oben S. 41 f. über Komp. mit di- Gesagte, und auch divium
38, 17 neben ift-, ob-, pervium wird als devium gemeint sein (Gl.
11, 282, 3 dvöödevTog divius) trotz der Glosse divium dioSicc II,
503, 32, die aber anderswo mit devium überliefert ist (vgl. S. 56 o.).
Volksetymologische Umgestaltung zeigen cordeocMS neben ca/^
diaeus 111, 52 (s. die Glossen), incaustum 102, 26 = enc wie in<!omma
««= iyxoiiiucj impiliaj incaenia (in Glossen), imbolia (Isid. 15, 2, 26),
60 W. HeraeuB:
impurium = enipar. (Anth. lat. ep. 1266, 2), inergumenos (Anth. 1.
ep. 1356, 19, Glossen u. a.); vgl. imwrmis Not. Tir.67, 44 nach dem
Notenbild, während das Interpret, hwrmis überliefert ist, wie auch
in den Glossen wohl inormis, aber nie innormis begegnet (vgL
Arch. III, 148. IX, 386). Wechsel von l und r zeigen veUrcJia
108, 97 wie im Romanischen: ital. teltro, C. Gl. III, 431, 20 vel-
tragus, Lex. Sal. 6, veltris (die feminine Endung Grat. cyn. 203
überl.), serpilastnim 83, 44 = serperastmm, Wechsel von l und n:
nympJioticum und ntftnphidum 113, 53 (ersteres auch in Glossen);
prolepos 48, 74* zwischen prompus (= -os) und lep^iSy was jetst
klar wird aus den Glossen, die für ^lepos eine Nbf. lepos mit der
roman. Bedeutung ^filius fratris' bieten, s. Loewe Prodr. 340 und
C. Gl. VI s. V. (prolepticiis vermutete Kopp für proleposy^ nuctm-
cuIhs 109, 33 = luCj wie oben S. 54 vermutet wurde. Ohne wei-
teres klar ist aquileius 73, 54 hinter aquäex =» a^äegus (oder
Aquilius? das Hilfszeichen ist freilich ius), sifams «=» sipharus
oder supparum 109, 88 (die Stelle ist von Brandes, de asp. lat.
p. 22, nach dem siparum die echte Form ist, übersehen), canabun^
(st. -?s, vgl. S. 70), welche Form auch im Roman, z. T. voraus-
gesetzt wird; clancatio 28, 51 = clarigatio, esquilentum 102, 87 =-
esctdaitiim (an aesmlHum ist wohl weniger zu denken, trotz pdlr
fnefitum Gl. II, 472, 39, pomentum 304, 33 u. a.), conftuchis, de-
fludiis 73, 84 = cofi-, defluxus. Endlich glauben wir, einige an-
dere Wörter der Liste Ruefs', die bisher eine Crux der Interpreten
bildeten, auf bekannte zurückfahren zu können: {Hscipulum 91, 46
(so der Cass.; Gruter suscipidum mit anderen Hdschr., *non in-
tellego' Schm.) auf sescipulum = sesqiuptum (vgl. Gl. IV, 284, 21
sescupulum) y conlubnum 42, 17 zwischen vedigal, lucar und ratio
auf cofilubium = coUubum (so lautet der Nom. in den Glossen,
bez. cofilibium IV, 322, 46; vgl. Du C. s. v. cöllihmm) xöXlvßog^
bez. 'OVy was in den Zusammenhang jedenfalls gut pafst (Schmitz
stimmte mir brieflich bei); verhina 108, 57 zwischen verhex und
verbiet nu auf verbena (Vossius venüna, Kopp vervina als Nbf. von
verbicina), endlich eine Crux der älteren Erklärer: cestifer 36, 94
hinter viocunis am Schlufs der Namen von röm. Magistraten auf
cistiber (Mart 5, 17, 3 cistd^etv als Dativ, was von 0. Hirschfeld
aus den Hdschr. wiederhergestellt und erklärt worden ist nach
C. I. L. VI, 420 Cistiber aus der Zeit des Commodus und ICaibel
epigr. 589 Kiörißag, worüber Näheres im Rh. Mus. 54, 309,
auch über den Irrtum der häufig überlieferten Glosse vicorium
Beiträge zu den Tironischen Noten. 61
(vicortis u. ä.) et cistifer nomina sunt nietaUorum (b. auch unten
S. 83).
Indem wir noch einige Bildungen fiir einen anderen Zu-
sammenhang aufsparen, wenden wir uns zu den Fiktionen. Über
sie gilt im allgemeinen^ was schon oben S. 44 f. bei der Behand-
lung der Komposita des Yerbums bemerkt worden ist. Beispiels-
weise sei folgende Reihe citiert (21, 70fiF.): nomerij epinometi (s.
oben S. 55), anomen = agn,, adnomen, connomen, cognomen, de-
nomen, pemomen, prononien, praenometi, wozu interpolierte Hdschr.
noch renotnen fügen. Aber auch die gute Überlieferung hat schon
Erweiterung erfahren. Denn wenn auch adnomen und connatnen
nur Schreibvarianten sind (ersteres findet sich für agnofnen z. B.
C. 61. II, 399, 29 und lul. Capit. Ver. 3, 5 codd., zu letzterem
vgL confiato Inschr. Murai 1536, 9 = cognato), epinotnen sich
immerhin als hybride Bildung = supemomen (s. oben S. 55) er-
klaren läfst trotz der Möglichkeit der Korruptel (C. Gl. V, 357, 11
epinome: fnemoria, richtig 358, 31 epitomen memoria vel brevior
riuw), so sind doch de-, per- und renomen schon Kopp mit Recht
höchst verdächtig erschienen. Zu denonien vermutet er Anlehnung
an das Yerbum denofninOy zu den beiden anderen Bildungen be-
merkt er ^modum excessisse notarum auctores in componendis
nominibus haec etiam nota docet'.*) Ähnlich äufert er sich zu
admens, commens 34, 88 f. zwischen mens, amens imd demens, ve-
hemens, sowie zu den meisten im Folgenden besprochenen Kom-
positen, die sich schon dadurch z. T. als Fiktionen verraten, dafs sie
nur in interpolierten Hdschr., bez. Partien stehen, wenn auch der
grundlegende Cassellanus schon nicht ganz frei davon ist, wobei
die Anlehnung an Formen, die in unmittelbarer Nähe stehen,
meist handgreiflich ist. So steht 20, 58* invena vor inventuSy
offenbar nach Analogie der vorhergehenden a4vena, adventuSy can-
venay conventtis, denn eine Bildung invena ist in jeder Beziehung
unwahrscheinlich (anders steht es mit spätem trafisvena), Procisas
•) Doch ist auch hier Vorsicht geboten. Z. B. insecundus 57, 64, das
Kopp bezweifelt, ist Eutr. 9, 24 überliefert, wenn auch aus formalen Grün-
den bestritten, infeis 45, 12 hinter fas, wird von Kopp infans gleichgesetzt,
was nicht nnmöglich ist, da infans sonst in den Noten fehlt, doch findet
sich C. Gl. in, 451, 57 u. 488, 69 infas ScQ-i^iitov. perscriptura 7, 10 ist
von Schmitz, Festschrift zur Trierer Phil.-Vers. 1879 p. 60, aus dem Floren-
tinas Dig. 29, 1, 8 wiederhergestellt (cum tesiamenti facient perscripturam ;
vg. ewn testamentum f, per scripturam).
62 W. Heraeus:
11, 66 unter Komp. von mesus ist mechanigch nach procidii n. 45-
der vorhergehenden Reihe eingesetzt, wie umgekehrt praect(2»7 n. 46-
nach praecisiis n. 67 (s. S. 43). Adstabilis 24, 49^ zwischen ston
bilis und constabilis entspricht der Reihe stat, adstaty eonstatj wo-
bei selbst comtabilis nicht ganz frei Ton dem Verdacht ist, daCs
es aus dem folgenden canstabüitum vom Sammler erschlossen is^
trotzdem C. 61. Y, 180, 23 coJiibiUus: coistabäitis sidbi findet and
Verstärkungen mit con- im Spätlatein beliebt sind (s. unten S. 64;
anders constibüts bei Varr. r. r. wie restibilis, s. Arch. I, 582). In-
fiduciarins 34, 56' steht verdächtig nach fidelis, infiddiSy fiduckh
riiis. Ebenso erklärt sich ohseciindus 57, 62^ ans obsecmndai 64,
transvidetÜHS 53, 43' aus trafisviolaiy obsopor 83, 29* aus dbsopüj
resplendor 33, 100 aus resplendet, revilitas 39, 85* aus reväescii,
dilenis 79, 47 aus delenimentiimy definis 34, 60, difinis 60*, m-
ftnis bl*^ aus definU, infinitum] eformis 67, 39 wohl aus enormis^
bez. in(n)ormis n. 44, wie umgekehrt vielleicht narmosus 72, 72*
hinter ^nortna, tiormida nach forma, formvia, fonnostis 67, 35 ff.
gemacht ist, sdlarensis 101,30* hinter sdla, sellarius nach 100, 47
celln, -arius, -emis] mifro/ctarius 81, 29 vor effmdarim aas an-
fractus, das freilich erst in interpol. Hdschr., bes. Partien erscheint,
aber den Verdacht erhöht, dafs hier nicht alles in Ordnung ist
Aus präpositionalen Ausdrücken abgeleitet sind wohl indUia
43, 53* vor in ditione (= in die.) und entsprechend subdictia
n. 53*"; degratus 28, 72* zwischen gratus und ingratus ms
de gratia n. 79 nach in gr,, daher man auch incoftfiJt^ibernßiii^
89, 91* nach der Reihe contuberniumy contubemaliSy in canr
iubemio mifstrauisch betrachten darf (vergleiche auch inepidixis
93, 77 und probdlis 23, 54* nach ifibellis, wenn nicht die
ursprüngliche Note pei'bdlis = perdueUis war). Mehr oder
weniger verdächtig sind auch exhalitus 102, 22 nach häkUy haiiiuSy
exhalat] delixum 93, 5 nach prolixum, elixmn (oder = dekiciimT)y
evadinionium 73, 46* nach evadaticiae entsprechend vadimomnm
vor vadaticiae] restitor 55, 13* nach iuMigat, institor, restigat
(trotz plautinischem restitrix und desiitor bei lulian. epit. nov.;
restitor ftlr resHtutor führt ForcelL aus späten Kaisermünzen an),
reluvies 82, 26 in der Reihe ehiity cofi-, cK-, re-, sfibluit,
ehiviesy in-, con-, di-, re-, subluvies (oder ist rduvies so viel
als sMuvies Nagelkrankheit? vergleiche rcluvium für reduma
bei Fest. p. 270), mepus 48, 71* vor oft-, pranepos (Schmitz
vermutet aenipes; man könnte, auch an den Flulanamen Etvir-
Beiträge zu den Tironischen Noten. 63
petiS*) (iiiBchr.auch'-Ei/^3rovs) denken oder extranepos vergleichen, das
vom ramän. stranepot ,,Urenkel*^ vorausgesetzt wird), deuter 6, 23
nach netikr (Schmitz Arch. I, 286 hält es für Komp. von tUer, ohne
es ZQ erklären; vielleicht ist es latinisiertes dsvxsQos mit vul-
gärem Schwund der Endung, vgl. deutrus bei Du C), elimen 59, 56*
zwischen Urnen imd mblimen (vielL ans diminat fingiert oder als
Nbf. von dimentum nach Analogie von velanien, vdamenfmn; di-
menium ist eine häufige Schreibung für elementuMy die dann An-
lais zu Verwechslung mit dem sinnverwandten cüimewtum gab,
sodab ajätere Grammatiker Vorschriften über die Unterscheidung
der VJTörter gaben, s. Anecd. Helv. 289, 20).**) Eine besondere
■ ^
*) So vermutet auch Breidenbach a. a. 0. S. 22 für Aenepus 114, 89
in der Liste der Eigennamen.
•*) Anders Hülsen, Phil. 56, 385 A. , dessen Ausführungen mich nun-
mehr an der Ursprünglichkeit der ganzen Reihe sowie an der Richtigkeit
von sublimen u. sublimentissimus ebd. zweifeln lassen, während ich früher,
Phil. 65» 197 f., die sonderbaren Formen mit inschriftlichem piens, pienHssi-
mu8 verglich. Die Reihe lautet: limefi, [elimen], sublimtn, [sublime7itumj,
vir sübUtnen, vir sublimentissimus. Da sie unter lauter Titulaturen steht,
80 ergiebt sich, dafs sublimis (bez. vir sublim i 8), das in dieser Form in
daa Noten fehlt, das Ursprüngliche war. Die Verderbnis der Endung in
-en veranlafste die Änderung des Noienbildes wie in vielen Fällen, die gar
keine andere Erklärung zulassen. Der Zusatz vir suhlimentissimus ergab
sich dann von selbst (vgl. die folgenden Titulaturen). Limen aber wurde
aus etymologischen Gründen in die Gruppe gesetzt. Die jüngsten Zusätze
sind elimen, was oben zu erklären versucht wurde, und sxiblimentum , was
vieUeickt nichts ist als eine vulgäre Schreibung für subplementitm {subpli-
menium Not. Tir. 29, 50 cod. Cass., Val. Max. 7, 6, 1 codd. u. 0.). Sublimen
selbflt könnte aber als Kompos. von limen nur im Gegensatz zu superlimen
„Oberschwelle" (Orelli 5129 = Wilm. 2096, vom J. 56 n. Chr., C. Gl. III,
268, 64 tb vn^Q&vQOv superlimen), wofür in der Vulgata sxiperliminare, von
Servius Aen. 3, 351 das in den Lexx. fehlende suhliminium gebraucht ist,
die untere Thürschwelle bedeuten, entsprechend sublim^inyare: limen C. Gl.
n, 594, 44 (ee folgt 9uperli>ninare: supertus Urnen; vgl. Althochd. Gl. lü, 1
sublimitcir^: dris gufli). Bei dieser Gelegenheit bemerke ich zu der Nach«
prüfung, die von Hülsen an den inschriftl. Zeugnissen für einen Positiv piens
a. a. 0. geübt ist und ihn zur Bestreitung desselben geführt hat, dals zwar
einige Inschriften immerhin Zweifeln Raum geben, dafs aber z. B. C. I. X,
3148 cwn suo piente marito durch den wenn auch noch so barbarischen
Yere gesichert ist und Buecheler Anth. lat. epigr. 1826 keinerlei Zweifel
an der Echtheit der Inschrift ausspricht. Auch könnte die Bemerkung pi--
entius dici non polest Anecd. Helv. p. 55, 8 gegen wirkliche mifsbräuchliche
Anwendung von piens, pientior nach dem Superlativ pientissimus gerichtet
sein. Die von Forcellini citierte Glosse pietis s-bosßijs ist moderne Fäl-
schung (Onomast. Labb.).
64 W. Heraeus:
Betrachtung verdienen die mit cofi- komponierten Nomina.
Corulisciplina 53, 86 nach discipahts, discijjiina, condiscipultis hat
schon Kopp der Fiktion verdächtig gefanden. Nicht anders wird es
stehen mit condavicula 50, 88* hinter clavis, davictda, condavis
(eine in den Glossen überwiegende Form für -rc, s. S. 87); ctmliheriiiims
34, 39* hinter Uherius, cotdibertus, libertinns; canuiculum 12, 102*
hinter iactat^ ia>culum, coniectat; cohtquilinus 13, 55* hinter in-
quinat, couiquinat, hiquilimis; cotistuprum 42, 66* zwischen shiprum
und constupratum, während coniaHura 40, 53 hinter iadura wohl
= coniectura ist, confluctas ^ cmifluxus (s. oben S. 60), canilatinus
3, 4 hinter latinus = Collatinus wie in Hdschr. des Livins und
Florus (Anecd. Helv. p. 175,5 wird conlatina porta verlangt). Wah-
rend hier die Entstehung klar ist, finden sich anderswo Bildungen,
denen man ratlos gegenübersteht. Was soll man z. B. von ron-
capsa 92, 56 in der Reihe capsa^ Capsula^ capsarius, concapsay ca-
tasta si^en? von coyvtrtdUum 101, 68 hinter trugäu =» tmeUu
(truUitifn selbst fehlt! vgl. contröle? oder concilium Trullanum?),
von coaegyptia u. -iacus 86, 58* u. ^ hinter concaegypUis (^ cmnes
Aegypti nach Kopp), von cotifors 10, 54 hinter fors (nach coftsors
gemacht?), von condiariiim 41, 48, das wie ein Kompositum von
diar. aussieht, von Schmitz mit der Bemerkimg abgethan ^Kopp
superflue proposuit conditorinm\ Doch hier helfen uns einmal
die Glossen wieder, welche nicht zweifeln lassen, dafs es nichts
als eine vielleicht volksmäfsige Umgestaltung von cotigiarium ist
(condiarium: dofium, Stipendium u. ä., s. C. Gl. s. v. cangiar, und
condiar.)y und passend reiht sich das Wort an die auf derselben
Tafel stehenden Stipendium, salarium, dmiatiimm, vestiarium (Kleider-
geld), diaria (in den Not. Bern. 41, 74 steht condiarium hinter
Kompositen von condit). Ebenso verdächtig sind trotz der Vor-
liebe des Spätlateins für Verstärkungen mit con- die Adjektiva
co^igratus 78, 73* nach congratidatur; coaequobilis 46, 37 nach
aequaliSy coaeqiiaUs, aequahiUs; confatigahüis 72, 40 nach con-
fatigat; consolidus 40, 38* (aus consölidare erschlossen? doch vgl
die Pflanze consolda), consanus 53, 27* hinter samiSj insanus,
vaesanus (= Cosanus oder Compsanus? Consanus civis Cic. Verr.
5, 158 codd., und aus den Verrinen sind viele Eigennamen ge-
schöpft, wie schon Kopp erkannte*)), consuavis 21, 56 nach stia-
vis, insuavis (aus consuavio = co9isavio?). Von conme^\s und con^
*) S. jetzt Breidenbach a. a. 0. p. 32 flf.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 65
stahilis war schon oben S. 62 die Rede. Indem wir die mit Präposi-
tionen zusammengesetzten Nomina verlassen^ erwähnen wir noch
einige Simplicia^ die aus Kompositen fingiert zu sein scheinen,
wie vacuaneum 32, 41 aus supervacuan, n. 43, bustus 93, 28* hinter
bustum aus conbiistum (oder mask. Nbf. des Subst. wie Anth.
lat. ep. 1433, 4? vgl. C. Gr. V, 573, 1. Doch s. burere Arch. II,
268), temans 92, 14 aus viMus contemans Vulg. Is. 15, 4?, menr
stris 42, 46 (vor menstni(^uym, viell. als blofse Endung gemeint
för tri-j se-, bimestris, die übrigens in den Noten fehlen), pandium
63, 30 aus dispandmm n. 32 (= dispend.? s. auch oben S. 44
expadat u. disp,). Vielleicht auch lacebris 57, 12 vor inlacebris
(die auffallende Endung -is ist wohl durch falsche Auffassimg
von in entstanden), doch steht Jecebrae in den Glossen und volu^
crum 75, 98 für involucrum findet sich bei Gregor. Tur. (s.
Bonnet p. 175, 7) in der Form voluclum (anderes bei Du C); munis
38, 10 bei Plaut. Von Monstrositäten wie Sopotamin 94, 4P vor
Mesopot und ähnlichem schweigen wir ganz; über sinteria s. oben
S. 55. Von anderen Ableitungen erregen Verdacht tantunicunque
5, 27 in der Ableitungsreihe tayitus, entsprechend quantumarnque
der vorhergehenden Reihe quantm; apostolaticiiis 4, 85* nach
postvdaticius, apostohis eingeschoben, falls hier nicht Korruptel
vorliegt (apostatiais o. ä.; doch könnte es Bildung vom Subst.
IV. Dekl. apostolatus sein); ostentaeulmn 12, 22 nach ostentat y vor
sustentat, snstentaculum; fratrimonium 33, 43* hinter patri-, niatri-
numium, entsprechend der vorhergehenden Reihe patemnmy mat,,
frat. (doch s. Du C. ^ bona fratema), lindbrum 110, 31 in der
Reihe linum, linaria, linabnim, linameny linanieiitumj die völlig
konform der Reihe velum p. 102, 82 — 86 verläuft, wobei Hnmnen
als Nbf. von Ihiamentiim (vgl. Hnteamen u. 'tnentum unten S. 76)
möglich ist.
Mit weniger Sicherheit lassen sich eine Anzahl von Dimi-
nutiven bestreiten. Das Volks- und Spätlatein liebt ja, was auch
die roman. Sprachen bestätigen, diese Bildungen mafslos, und an
sich läfst sich die Möglichkeit ihres Vorhandenseins in der leben-
digen Sprache, wenn auch nur der späteren Zeit, nicht wohl
leugnen, wie ja auch durch Glossen und Inschriften gelegentlich
solche Formen gesichert sind. Allein äufsere Indicien erwecken
auch hier öfters den Verdacht, dafs wir es mit Fiktionen nach
bekanntem Schema zu thun haben. In einem Fall sind wir in
der glücklichen Lage, auch im cod. Cass. 1. Hd. eine Interpolation
Archir für Ut. Lexikogr. Xn. Heft 1. b
66 W. Heraeas:
nachzuweisen: 92, 2 f. caenaculum, caettacdlum, canava, camea; aus
der 61. ScaL (C. GL Y, 595, 69, s. S. 83) cafiava camea post caenacidum
ergiebt sich, wie schon Kopp sah, dafs caenacdlmn ein apäterea
Einschiebsel ist Wir begnügen uns mit der Aufzahlung der
sämtlichen Diminutiva^ soweit sie neu oder nur einmal belegt sind^
ohne im einzelnen uns zu entscheiden. Diminutiva hufeUa: bubeUa
103, 71* hinter bubida (sc caro), caudilla 96, 30 hinter caiukk,
caudula; tnaceUa 40, 82 hinter in(icula (span. mancilla, s. Gröber
Arch. ni, 520; übrigens ma^dla mlai auch für -um)^ spotiddla
95, 70** hinter spondtda; plumella 105, 85 hinter pluma (Gregor.
Tur. patr. 14, 1 tapetes vel plumellas; 61. V, 630, 63 pulvillum:
plumella, ptdvinum, s. auDserdem Du C), pusMla 111, 91' nach
Pustula (romanisch, s. Diez s. y. postäla^ und in Glossen: s. Arch.
VIII, 384), barcella 110, 15 nach barca, barcida; cupdla 96, 23
nach cupa, cupuia (Apic. und Gloss.). Auf -eUum: cenaceUum
92, 3 nach cenaculum, fascinabeUum 112, 83 nach fascitialndum,
oscellum 58,26 nach osculum (osciüum?)y segestellum 99,27 nach se-
gestre, tintinabellum 112, 87 nach -abulum, praedisdlum 37, 54
hinter praediolum (spate Mifsbildung wie arhoriscettuSy lepiscellus
im Beichenauer Glossar, ramisceHus u. rogisc. im Roman.? Oder
aus praedhim und sella gebildet?), flosceüum 105, Gl nach flos-
culum (Apul. herb. u. Gloss.), frustellum 104, 2 (61. III, 379, 38 u. ö.,
Amm. -dUum), capisteilum hinter capistrum (Ed. Diocl. 10, 6, aufser-
dem C. I. VIII, 8457; Kopp *hoc nomen non intellego'). Auf
'illum: subüillum 109, 35 unter Gebäck zwischen favum und
mustacium, was gegen Schmitz' Konjektur sorbitiUum gesichert ist
nicht nur durch Athen. XIV 647 F (Citat aus dem Pemmatologen
Chrysippos)*), sondern auch durch die Glossen, z. B. UI, 87^ 82
atßLtMog sivitüluSf und sich als lateinisches Diminutiv zur Not
erklären läfst (vgl. panis speusfiais Plin. 18, 105 und „Sprache
des Petron und die 61os8en^^ S. 28 A. 4) ; puMcHllum 80, 38 hinter
punctum (Solin.). Auf -cula u. -culus: inauricula 99, 73' hinter
auris^ hiauris^ auricula; ccndavicula (s, oben S. 64); facuitaiicula
30, 55 {-atula ^kleines Vermögen' Hierou. und Du C), pulvicula
113, 74' hinter pulvis (davon span. polilla „Kleidermotte^^ nach
Diez; -iculus Solin. 15, 28, sonst -isadus: feminines 2^lvis ist be-
kannt), siticula 104, 68 vor siticidasus (wie Gl. II, 185, 15 sitir
*) Vgl. über edubium in derselben Reihe der Noten, das wir gleich*
faÜA durch Athen, erklären konnten, oben S. 64.
Beiträge zu den TironiBchen Noten. 67
ciila diiffcc, aber III, 190, 8 s. ditl^dg unter Schlangen, vgl. oben
dibsa S. 54); basiada 100, 64 und pelvicula 101, 64 (beide bei
Vel. Long, ohne Beleg), neptieula 48, 77 (aufser bei Symmachni
noch C. L VI, 28562. VIII, 2604 und in den Glossen; neptis non
neptida App. Prob. p. 199, 1); funiada 110, 26 (Charis. p. 125, 22
ohne Beleg, sonst -culuSy umgekehrt canicukuSy s. S. 57); hosticulus
48, 40 nach hostis^ somnicultis 83, 17 nach somnus (vgl. somnicur
losus und frz. sommeü), suericulum 103, 64 vielleicht Dim. von
dem folgenden mis, Gen. sueris nach volks- n. altertüml. Flexion
wie cinis, cineris (surcultim vermutet Kopp); pejninculiis 104, 50
nach p^M), sieliunculus 109, 54 nach stdio, temtmc, 112, 50 nach
iemo, uniunc. 99, 76 nach unio, pemuncuhis 103, 72 nach pema
„Schinken" (= pemiuncidus bei Plin. von pernio?), apruncidus
108, 26 (s. oben S. 56), andrunculus 100, 27 nach andron (An-
drodus Kopp), titiunculus 102, 12* nach titio „Feuerbrand" (s.
Buecheler Arch. II, 119 über die Vogelart titiunculus; Polem.
Silv. p. 267 Mms. titumglus), btirdunculus 112, 43 nach hirdo
JWerd" (bei Marc. £mp. eine Pflanze), leuncidus 108, 18* hinter
leo (Vulg.); über nucuncuhis = lucunc,*) u. pcmnunctäus = pcmnic.
s. oben S. 60.59; catäiuncida 43, 27, donatiunc. 41, 91, natiunc.
48, 29, pactiunc, 43, 32 hinter cautio u. s. w., auciiuncula 57, 21
(auch in Glossen). Auf -uluSy -tila, bez. -oZmw, -ola: cdvtdtiS
119, 17, serractdum 112, 73 unter Wagen (fehlt in den Leix.,
obwohl Amm. 31, 2, 18 sarradis überliefert ist; vgl. C. Gl. II,
505, 27 saradum aiia^a und N. J. f. PhiL 1897 p. 359 über mut-
mafslichen Zusammenhang mit öaQccyagov rheda), hipulus 108, 86*
(mittellat. „Hopfen"?), denhdus 68, 1 (Schm. denticulus, doch siehe
S. 67A.mid vgl. roman. dentdl%Ls\ peculus 40,99* hinter pcaisi^y^
cermdus 103, 72 (Front, strat.), fluviolus 73, 93» (Greg. Tur.), hae-
dulus 108, 59 (luv.), hntidus 116, 89 (Cic), mimulus 106, 71
(Amob.), nervulus 65, 87* (Cic), voffulus 89, 78 hinter vagm
(Hadr. und C. GL III, 179^ 20 «= ^(ißogy, spondula 95, 70 nach
sponda, eucumula 101, 66 (Petr.), cyndnda 99, 80 (aufser Plin. ep.
noch App. Prob. 194, 16), vaginula 11, 55* (Plin. maL), iragtda
110, 36 vor hdcia (Varr. 1. 1., nach dem es Dimin. von traha
•) Vgl. Lindsay Archiv XI, 332 über die Form lucuntuhis, die sich
aufser an den beigebrachten Stellen noch C. Gl. m, 316, 1 litocuntuli (sie)
rriyttvltai, findet (vgl. auch Xovxovvtloi Athen, p. 647 D). Die Bildung vom
Stamm hicunt- ist regelrecht wie infantalus, adoI^scentuHtM , dentulus Not.
Tir. (8. o.) u. a. S. auch 'Sprache des Petr.' S. 49 A. 1.
5*
68 W. Heraeus:
„Schleife^' ist, also wohl trägula anzusetzen ist, vgl. Gl. V, 250, 8
trahue, quae mstici tragul<i vocant), spiculn 96, 82 nach spica (ApuL
herb.), asciola 119, 90 (Isid., 61. V, 590, 25), aber mit hdlictda
68, 36 hinter Jialica nnter Getreidearten ist wohl das Kleidungs-
stück hälic. = al(l)ic. gemeint, das 77, 55* richtig eingeordnet ist
{H ist überall im Notenbild, Tgl. über die von den Granmiatikem
verworfene Aspirierung der Wörter Vel. Long. C. Gr. VII, 68, 18,
Caper p. 107, 12 und das Wortspiel Mart. 12, 8), artificiolum
53, 90 (cf. Du C), miniolum 98, 90, prandiolum 103, 12, prae- u.
subsidiolum 34, 10 u. 12*, prodigiolum 58, 39, scapiiiolum 101, 73,
venefiaolum 82, 53, plateola 120, 78 (Du C), aedificiolum 81, 63
(Inschr.), monasteriolum 55, 45*, scrinidum 101, 20 (beide bei
Hieron.), graplmlum 76, 47 (Ven. Fort, und Glossen), clipeclum
n, 61 (Hyg. fab., C. Gl. U, 248, 16, Diom. C. Gr. I, 478, 18).
Wir stellen nunmehr die übrigen Ableitungen nach den
Endungen zusammen, wobei wiederum an die in den Lexicis noch
nicht verzeichneten Wörter die nur einmal belegten angeschlossen
sind. Den breitesten Baum unter den adjektivischen Bildungen
nehmen die auf -arius zur Bezeichnung von Berufsarten ein, wie ja
auch die Inschriften (s. jetzt Oleott, studies in the word formation of
the latin inscriptions, Leipz. 1898) und Glossen, letztere besonders
in der Rubrik ^de artificibus' der systematischen Glossarien des
3. Bandes, reich daran sind und vielfach mit den Tiron. Noten
übereinstimmen. Neu sind: anellarius 99, 57 (prov. anelier etc.),
archisynagogiariiis 6, 38^, etdogiurius 119, 46, cUpdlarius 11 , 02
hinter dipeus = cUpeolar,, fissurarius 74, 92* (?), fusurarius 37, 83*
(vgl. C. Gl. ni, 163, 42 %vrri$ fusilarius), patriciilaritis 33, 38
hinter paterculus (urspr. partic? oder nach matrictdarius bei Ghreg.
Tur., = pauper, inops Osb. 367 fingiert?), libanar'ms 120, 18 hinter
libanum (= t%is\ massipiarius 48, CO = mars,, meihodiarius 107, 56
(Art Taschenspieler), nefandaritis 45, 17 (vorhergehen nefandus
und nefariusl), poüonarius 104, 66 (-arium ein Lokal bei Du C),
stadio/ritis 107, 82, tuniocularms 103, 80 = tom.; purgatarius
73, 39* (cf. rogodarius Arch. IX, 410 u. ä.), anfradaritis und in-
fiduciarhis (fingiert, s. oben S. 62), Camillarius 115, 54* hinter
Camülus (wohl ^ cafnelaritis mit der in camelus beliebten Ver-
doppelung des l, s. Georges Wtf. und ital. cammdh)^ fatistuarius
•H, 7 hinter fastus, faustuosus, infauskis (faiuarius vermutet Kopp,
|i scheint vielmehr Verwechslung mit fustuarius vorzuliegen,
bei fcmstuosm eine solche mit fasttwsus). In Inschriften, bez.
Beiträge zu den Tironiachen NotexL 69
Glossen begegnen von den Neubildungen: armamentaritis 45, 80
(C. L VI, 999 u. ö., 8. Oleott p. 143), choragiariiis 106, 81 (C. I.
V, 56795), mdipeponarius 104, 51* = mdop. (Inschr. Bull. comm.
1887 p. 160), semricularius 38, 56 (C. Gl. IV, 423, 24), fossarius
60, 44 (V, 632, 1 = vespiUOy s. Du C, = gradus clericorum), po-
diarius 107, 69 unter Cirkusspielem hinter podium (wohl dasselbe
wie podarii nodoi^ötpot C. GL III, 172, 55 in dem Abschnitt *de
amphitheatro'), regionarius 38, 23* (Hesych. ^eyeovccQiog' yeiro-
vCagxos nnd Du C). Nur einmal bezeugt in den Lexx. sind:
higarius 112, 79, sodaliciaritis 36, 1, segmentariiis 09, 6 (alle drei
in Inschr.); monodiariiis 107, 53 (-aria Inschr.), enfradarius 81, 30
= effr, (Sen. phil.; C. Gl. II, 67, 37 effractorius ^Qsnavolxtrig
mit verdächtiger Endung, vgl. das synonyme directarius, refrada-
rius gleichfalls bei Sen. phil. u. a.; über enf, = eff. vgl. zur App.
Prob. Arch. XI,319; Forcell. leitet enfr. Yon i(i(pQdxri]g ab), sester-
Harius 40, 86 (Petr. und Glossen, s. „Sprache des Petr." S. 8), merce-
darius (Sen. phil., Gl. IV, 116, 7 m,: qui dat mercedeni pro labore sibi
impenso). Entsprechende weibliche Bildungen sind vielleicht bibaria
104, 71 (vgl. meraria yevöZQCs C. Gl. II, 128, 57, doch mit popina
V, 605, 15 erklärt, sc. tahema] prov. bivers Schenk, beveria Ze-
cherei), lincma 110, 30 (wie C. I. L. V, 5923; Georges erklärt
„WerkstÄtte des linarius^^, ergänzt also tabema'^ C. Gl. V, 218, 29
Unaria: retia = kiväpia?); dagegen ist bei panmiclaria 95, 67
(= pannic., s. S. 59) zweifelhaft, ob nicht res zu ergänzen oder
Neutr. Plur. gemeint ist, wie beides bei Hadr. Dig. der Fall ist
(das Mask. nur Plac. C. Gl. V, 7, 38 arüla(tore}: cocione, panni-
culario). Ahnliche Zweifel herrschen wegen lardaria 103, 70 hinter
laridum (lardaritis Inschr., lardarium mittellat. bei Du Gange und
Jordan, Topogr. v. Rom 11, 469*), lardare: fletshus Althochd.
Gl. in, 303); desgl. bei lavandaria 114, 20, das bei Laber. = Wäsche,
Neutr. PL, lavandarius = qui lavanda conducit (vgl. Dig. 12, 7,
27 und ital. lavanda „Waschung'^ feminin; Pompej. Graffito tiA-
nicas duas lavandas dedi), Glosse des cod. Montecas. zu Instit. 3,
24, 1 fuUo, Ahd. Gl. III, 138 fidlo vel laventarius, Papias: fuUo:
lavandariuSj decorator**), Canabaria 110, 34* hinter canabum (bez.
*) in sagaria 98, 16 (hinter sagaria) kann wohl nur als Strafsenname
verstanden werden.
••) S. auch Du C. s. v. lavandarin, -us, -um. Ähnliche Bildungen vom
Gerundivum sind molendarius (C. Gl. 11, 224, 60 Scihris^ Adj. bei Paul. Dig.),
sowie die spätem Beamtennamen curagendarivs, mittendanuSi regeudariu^
70 W. Heraeus:
canabinum), das schon nach dem Znsammenhang als cannabum =»
Hanf; zn verstehen ist (s. oben S. 60), wird man danach zunächst
als cannabetum deuten, vgl. Du C. s. t. canevaria, obwohl die
Möglichkeit Yorhanden ist, dafs canavaria «= Eellermeisterin ge-
meint ist (Georges s. v. citiert Caesar. Arelat.).
Von neutralen Bildungen sind neu: clipdlarium 77, 61* =
clipeol.y paedagogiarium 6, 35 (wohl identisch mit gr.-lat. paeda-
gogiuntj nur mit latein. Endung versehen?), praedia/rium 37, 54^,
vtuuarium 32, 42, reliquiarium 64, 25 (= xardket^ig der LXX bei
Boensch, It 32, August, conf. 5, 8 (15) rd, Evae^ = Reliquien-
schrein bei Du C), promentarium (Gl. III, 313, 48 xaiiulovy Gloss.
Werth. ed. Gallee 362 mit prumptuarium erklärt, III, 305, 11
-arius ra^iovxos- Schmitz schreibt unnötig promptuar-] es ist Bil-
dimg vom Participialstamm proment-, wie sedeniarius, ferentariuSy
dicentarius in Glossen u. a.); über aenaria s. oben S. 56, über salu-
tarius u. ä. S. 58.
'(u)osus: beneficiosus 33, 69 (Adv. bei Du C), cacidosus 112,
17* hinter cacida, beide ohne Stenogramm {cachectosus vermutet
Schm.; es steht unter Krankheiten zwischen Scabies scabiosiis und
pituiia pituitosus, daher vielleicht von breton. cacadd ^==^ aussätzig?
accidia, -osus = acedia in Glossen pafst nicht in den Zusammen-
hang), casttiostis 55, 88 (von castus Subst. 4. Dekl. ? vgl. incestuostis),
ferruginosum 77, 31, fretosus 93, 84* (s. Du C. = locus fretis i. e.
rivulis et canalibus impeditus), inodiosus 46, 89 (altital. nodiosOj
vgl. Arch. III, 254 und oben S. 49 inodiai), intertriginosum 112, 5,
maUdictiosus 6, 84 (von nuüedictio, zw.), originosum 76, 99*, vastuosus
82, 84 (Erweiterung von vastusT)*\ vdosus 109, 86* (hinter velor
nientum; vielleicht verdorben, vgl. bcluostis und veüostis =» vilL\
buccosus 78, 33 (Gl. III, 330, 51 mit yvdd^av „Pausback« erklärt);
regerefidarins (Not. dign. ed. Seeck p. 7), referendarius (Du C). Merkwürdig
ißt ohrendarium mit und ohne vas in Grabinschriften, von vulgärem ohro (ftlr
ohrud)^ vgl. Inschr. bei Marini fr. Arv. p. 341 laoleruie Tyclieni quod se
voluit ohri und den Tadel, den Probus C. Gr. IV, 184, 29 über das Perfekt
obrivi, bez. ohrii ausspricht.
♦) Ebenso könnten fretosus, salubroeus, castuosus gedeutet werden. So
findet sich dtibiostis neben duhius, ähnlich ehriosus, ridiculosus, obnoxiostts, ca-
nosus (aufser Yaler. Imper. bei Vop. Prob. 6, 6 auch Gl. UI, 329, 58, Cass. Fei. p. 226
Eose, vgl. Span, canoso), mixiosus (Cael. Aur.; ital. ansioso etc.), strenuoms
(Gl. y, 80, 49 und Arch. lU, 504), seriosus (Constantinsroman p. 11, 11, frz.
B^rieux), scainvsus (Glossen, s. Arch. IX, 430), mcdignosus (Gl. 11, 126, 33),
crudoms, aus dem Romanischen zn erschlielsen, wie piasus, tremiUostis u. a.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 71
über die verdächtigen famtuosus, nomiosus, saJubrostis, subfragosus
8. oben S. 57; pruriginosum 111, 83 (Gai. Dig.), membrosum 79, 44
(Priap.), ramitosus 111, 63 (Plin. mai.; rames Nbf. von ramex,
gew. ramico8us\ scntentiosus 21, 7 (Cic. u. Glossen, z. B. 11, 594, 11.
IV, 565, CO. 169, 27).
-icius*): laudaticiae 28, 24 (sc. liUerae, wie commendatimaej
evadaticiae, worüber oben S. 46 A.), fusicium 37, 81, suppress^icium
24, 25, contempticius 43, 95, devoticius 48, 6, plagiaticius 48, 58,
(semi)ustuluticixis 102, 40 und 42, purgatichis 73, 39, aegroHcius
82, 57 (in Glossen, wo auch aegrotaticiiis) , auctoraticius 42, 41
(Gl. n, 250, 47 mit ai)%^Evxix6g erklärt), pressicium 24, 23 (Gl. 11,
407, 43 = 7cii6i(iov), posiictum 100, 60 (61. II, 394, 45 u. o. —
^aga^ga^ vgl. C. I. X, 6565 amphiteatnim cum porüs posticiis,
Anth. lat. epigr. 297, 3 u. 6 der Nom. posticius)\ Über apostölati-
das 8. oben S. 65, über castricius S. 56; editicius 12, 93 (Cic,
Gl. V, 497, 51 XL ö., s. Arch. V, 430), conventicium 20, 66 (sc. ae$,
Cic), erraiiciiis 90, 76 (Fronto de diff., der es unterscheidet Yon-ict($)j
missicius 23, 41 (Suei, femer Mart. 3, 91, 1. Inschr. bei Oleott
p. 218. Glossen s. v.), perpessicius 32, 49 (Sen. phil., der es viel-
leicht gebildet, und C. Gl. II, 467, 2 u. ö., s. Arch. IX, 406),
posiulaiicins 4, 84 (Sen. phil. u. Gloss. 11, 173, 21 u. a., s. Arch.
IX, 410).
-actus: aeraceum 11, 39 (Vitr.; s. auch Arch. XI, 88), myr^
facium 105, 56 (Cels.), polentacium 68, 31 (Apul., s. oben S. 58).
-alis: a^ificialis 81, 63', antitialis 56, 3 hinter Tiiialis («=■
sodalis Titius auch in Inschr., s. Oleott p. 237), wohl verdorben
Schm. rermu^t Angitialis (viell. antistitialis von mlat. antistitium oder
ancilis: A(n)Lis sind die Elemente der Note), augurionalis 55, 84
hinter augurialis (vielleicht fingiert nach decurialiSj decuriojialis
Öl, 51 f.; Kopp angurcUis), comitalis 45, 85 von cotnis (-talis? doch
8. Du C), officionalis 33, 67^ (pfficinalis?, doch s. officionarim
Du C), invitalis 30, 33, spatialis 38, 31' (hinter spatium; fingiert
nach dem figd. tenninus, terminalis*^), trefniMis 96, 75 (vgl Forc),
Uterale 78, 97* (nach Analogie von ventrale), incontuhemalk 89, 91'
(fingiert, S. 62), aevalis 90, 19 (Mai Cl. auct. VI, 504 aevalis:
longissimus) , cercUis 89, 84* hinter cera (C. Gl. V, 445, 33 u. ö.
ceralis: decoro»iis, fonnosiiSy aber wie zu erklaren? cerale *- Wachs-
zins bei Du C), favoraUs 82, 34* vor dem klassischen favorabHis
•) Vgl. Wölfflin Arch. V, 415 ff. 'Die A^jektiva auf -icins».
72 W. Heraeus:
(Gl. rV, 340, 27 favoralem a favefido), mamipalis 44, 19 (GL V,
220, 21 Var. von mancipiulis; C. I. L. III, 6065 promagister fru-
menti mancipalis, Subst. = servus bei Du C), pueralis 34, 15*
(Gl. II, 342, 47 p, xatoTtatg), digitale 78, 58 (ital. digitale = Finger-
hut, ditale die bekannte Pflanze, GL II, 2G6, 5 dig, äaTcrvkijd'Qa ij
ßdoavog u. a.; auch bei Du C), crimindlis 32, 92 (ICt. u. Glossen),.
deairioncUis 57, 52 (oft in Inschr. Galliens u. Italiens und in
Glossen), genualia 79, 19 (Ovid u. C. GL II, 33, 12 gentmle yovuTÖ-
äieiiog). Über genesalia s. S. 56.
-aris: subpaentilare 97, 14 (Kleidungsstück, vgl. subttmicale
bei Hieron.), villaris 37, 94 (Plin. mai.). Über acinaris s. S. 58.
Nach subpaenulare möchte ich das bestrittene paJlare 97, 23 er-
klären, wo Kopp an den Infinitiv palliare, wovon palliatus, dachte.
Allein Verba werden in den Noten nur in der 3. Sing. Ind. Praes.
Akt. aufgeführt, daher auch Kopp für cretare 84, 85 (hinter creta)
nicht übel creterrae vermutet. Liegt eine Korruptel vor, so liefse
sich an paleare = a%vQGiv (GL II, 141, 19) oder = Wampe den-
ken. Ähnlich wird osctdare 58, 27 zu erklären sein, obwohl es
auffällt, dafs das Verbum osculatur fehlt.
'ilis: clansile 50, 84, tectile 80, 17, vestilis 41, 81 zwischen
vestis und vestibuhmi, vor vestilium (Körting leitet franz. vetille
„Kleinheit*^ von einem vorauszusetzenden vestHia ab, vgl. Gl. II,
207, 22 vesciliae %alrat. (pQvyävmv, wofür quisquüiae bei Charis.
p. 33, 19; Osbem. p. 627 vistilia: intestina)^ volutüis 75, 91, piaw-
$ile 106, 46 (GL IV, 145, 1 plausihile et plausile unum est), cor-
ruptüe 46, 72 (s. Paucker Suppl. lex. L), tinctile 50, 2 (Ovid).
'hilis: re-, con-, de- und disfatigabilis 72, 39* f. hinter fati-
gabilis (Tert.) (fingiert?), enmtabilis 31, 78, ex- und inexplacabüis
64, 42 f. (nach Analogie von i^wji^piabilis oder fingiert nach in-
explicabilis'i C. Gl. V, 106, 15 explucato: vehenumier placato), ex-
und inexsatiabils 20, 89 f., intneabilis 80, 43* (vgl. Arch. III, 252),
marcescibilis 113, 48* (aus inmarc, fingiert?), nuptiabüis 80, 61
(gew. nupticdis), refneniarabüis 30, 19* c-, re-, sub- u. transmutor-
bilis 31, 78 f.; über coaeqtuibilis s. S. 64, über constabilis S. 62 j
datisibilis 50, 85 (Gl. IV, 237, 1 fascetininas [= fascinas Faschinen]:
claiisibiles vallationes\ expiabilis 63,47 (Gl. IV, 71, 15 = inmundus,
und 8. Paucker SuppL), inexsecrabilis 93, 79 (GL II, 347, 20 =»
x€xarccQaiiivog) , orabilis 64, 33 (GL II, 303, 37 = i^Lkearög und
Du C); invitabilis 30, 34 (Varr. bei GeU. und GL U, 92, 38 =
ütQOTQeyttixög, IV, 44, 14 = beneficiis), meabilis 80, 43 (Plin. mai.).
Beiträge zn den Tironischen Noten. 73
e/fabüis 83, 50 (Apul.; in Glossen, wie scheint, mit affabüis und
efficahüis verwechselt), inreprobabiUs 19, 100* (Interpr. Iren.), narra-
büis Ad, 63 (Ovid u. Gl. II, 132, 34), innarrabilis 43, 64 (aufser
Lact auch Aeth. Ist. 20; gew. inen,), pausabilis 120, 76 (Cael. Aur.).
-entus: sqxuüendus (sie) 40, 41* nach squal^r, squaliduSy wenn
es nicht fingiert ist nach dem Schema hotror, horriduSy horrendus
74, 96f. (C. 61. II, 407, 1 findet sich nB(p(yQ^ivog^f) squalentus,
squaiidus, entsprechend olenttis, fliientum, silentus, clienta neben
dienSj cruenius von *crueo (vgl. cruor). Ebenso zweifelhaft kann
maetdentus 40, 79 hinter macer, macies vor macida und macidaUis
scheinen, trotz crapulentus und ähnlicher Bildungen, als Ableitung
von macala: denn es findet sich öfter in Hdschr. für macilenius:
C. 61. IV, 466, 4 tabentis artus: maculefita membra, 61. Reichenav. 190
confedeque macie: macidentL Doch wird Arch. III, 259 Dynamid.
1, 25 far das Adj. = fleckig angeführt und C. 61. III, 181, 7 steht
öxikfbärig macüentus (sie). Über esquilentus s. S. 60. Corpidens
22, 21 kann neben corpidentus (so Kopp) stehen wie violens,
apidens, gracüens, mucilens (Arch. II, 578) neben den ent-
sprechenden Bildungen auf -entus; die 61o8se V, 185, 37 corpii-
lefis: ping^uis beweist freilich nicht viel, da anderwärts die regel-
mafsige Form überliefert ist.
-ensis: seHarensis 101, 30* (fingiert, s. S. 62), petrensis 110, 88
(Cael. Aur.).
'iscus: Daciscus 86, 51 (hinter Dada), wofür Schmitz un-
nötigerweise, wie er brieflich zugab, Badens mit Kopp schreibt;
vgl. 6eorges und C. I. III, 5218 in expeditione Dacisca; VI, 2605
natione Dacisca, Not. dign. öfters, ebenso Syriscus, Thracisciis.
'icus: ergaücus 109, 81 von ergata?, tran^alpicus 88, 97* (AI-
picus selten), lychniHcus 101, 97, porphyriticus 100, 99, ophiticm
100, 99^, Ableitungen von den Steinarten lychnites etc. (Hjg.
fab. 223 lapidihis lychni(ti}cis Mo. Schmidt mit Muncker; über
latinisiertes purpureticus s. Arch. XI, 302); colonica 38, 42 subst.
= Meierei (Auson.). Über scalonica = asc. s. S. 58 u. Von an-
deren rein griechischen wie parastatica 100, 85 (Vitr.) ist hier
abgesehen.
•iacus: aetheriacus 93, 62 (Kopp: -ins, mlat. aethralis Arch.
VI, 111).
-eiis: vitteum 99, 45 hinter vitta (verw. mit viteum?), siici-
neum 100, 2 (viell. = sucinum nach falscher Analogie von cocci--
74 W. Heraens:
i^eum u. a., s. oben S. 58 und C. Gl. III, 406, 15 sucinia: glas; das
Adj. lautet sonst sucinus),
-neus: edentaneiis 68, 3 (-atiis Kopp), vctcuaneum (fingiert,
s. S. 65), olmUroneus 51, 67 {opportanus Kopp, doch s. C. Gl. II,
137, 33 obidtronius — ccv^algezog, V, 315, 54 -onens: voluntarius,
also nur ein verstärktes ultroneus; ein Obultroniiis Sabinus er-
scheint bei Tac. ann. 13, 28 und h. 1, 37, inschr. Zeugnisse 8.
bei de Vit im Onom., eine Ableitung Ohdtrcnianm C. I. L. VI,
2340). Über crocinewm = crödnww s. S. 52**). 58, desgl. ianfhineam.
-inus: phrixinum 98, 65 (phrixiamis Sen. phil.), crusiulinns
109, 37* hinter crustulum (verw. mit crystallinus od. Criistufnintis'f),
praetoriniis 36, 70* (wie ce}isorinus? doch yermifst man praetc-
riantis), centuriniis 45, 96* hinter centurio, brochinm 105, 56 unter
Wörtern die auf den Weinbau gehen (vom keltischen Stamm
brocC'? vgl. ital. brocco Schöfsling, broncone Weinpfahl; Du C. s. v.
broccae)] esocina 112, 96 (vom Fisch esox, nach Fleischarten wie
vervecinü, gebildet), tindrinum 80, 2 (Salbzimmer, vgl. unctorium
Plin. min.), tonstrinum 95, 28 (aufser bei Petr. auch inschr. in der
Lex metalli Vipasc, s. „Sprache des Petron" S. 8 f.). DbSb pollina
(so Schm. für polena) 68, 29 vor polenta hinter farra farrago
farinci Plural von poUen ist, entsprechend farra^ ist wahrschein-
licher als eine adjekt. Bildung für pollinina (vgl. C. Gl. 11, 265, 50
yvQLtr^g ägrog pollina, pollinaceus),
-anus: patriarctianum 94, 60*, mbpraedamis 92, 25 (verw.
mit suppedanetis*^) , conforanus 56, 89 (in Schriftstellern u. Glos-
sarien Variante von amforaneuSj das II, 108, 24 mit 6'&inBxvogj
IV, 44, 2 mit unius fori erklärt wird, ebenso cirmmforanm und
^-cmeus s. Gloss., foranus Acr. Hör. sat. 1, 6, 85, wie frz. forain,
gegen span. foraneo; poneforanus C. Gl. IV, 147, 9, assifcrana mn^
nera C. I. L. II, 6278, dagegen superforaneus bei Symm.), poMi-
canus 110, 92 nach />on^70u^ (jedenfalls die „Ratte^^ gemeint, neu-
griech. novrixög =» mus Ponticus, venetian. pantegana); über petath
ritanus s. S. 52 A. 2.
-tus: thoracatm 97, 27 (Plin. mai.).
-atictis: apochaticus 93, 10 von dem eingebürgerten apocha
„Quittung" {apochare ICt., apocatus in Siebenbürgner Wachstafeln
C. I. III p. 941. 959), nymphaiicum 113, 53 = lymph. (Gl. IV,
261, 47 u. ö.).
'ivus: tardivus 57, 94 (ital. tardivo etc.), notimm 48, 2 (Gl.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 75
HI, 486, 19 notivum IdiöxQoov =« nativum)*); über indicivum s.
S. 57 f. 5 consüivum 57, 46 (Serv.).
-idus: trmiidus 94, 81 (bei Eutyches C. (Jr. L. V, 453, 23
olme Beleg; vgl. fremidus bei Ovid n. a. bei Paucker Suppl. 276),
nimfidum 113, 54 hinter nimfaticum = nymph. (s. S. 60; Kopp
Nymphidium, doch entspricht es limfidum n. 51, wo Schm. Km-
pidum schreibt).
-orius: ^ubmissorium 23, 43*, suppressorium 24, 24, missorium
23, 43 („Topf" Anthim. 34, fehlt irrtümlich bei Georges, s. Forc.
und Du C, femer Gl. IV, 75, 53 fercula: missoria, V 215, 8 lances:
missoria), substraiorium 54, 99 (Gl. III, 418, 43 = vnööTQCj^a, vgl.
Arch. m, 505. Vm, 387 und Du C), tinctorium 50, 3 (61. III,
490, 24 ßccntiöTtlQia tindoria u. a., s. Arch. VHI, 393 und Eucher.
bei Pore).
Ganz abnorm ist die Bildung teUuris 95, 4 zwischen revelat
und teruncius in einer nicht systematischen Partie, obwohl C. Gl.
V, 485, 46 teUuris: terrenus erklärt wird. Dazu weicht, wie Kopp
bemerkt, das Notenbild, das blofs T L is enthält, von demjenigen
von teUtiS 37, 44 ab, sodafs auch nicht der Genetiv von telhis an-
genommen werden kann. Andere gute Hdschr. haben tellaris, was
auf telaris führt: pes telaris = Fufs des Webstuhls in Glossen
(s. Arch. Vin, 387); auch die Schreibung tdla wie tdlum ist in Hdschr.
gewöhnlich.
"bulum, 'Culu)n, -tilum: captabulum 10, 84 unter Ableitun-
gen vom St. cap- könnte ein Werkzeug zum Fangen sein, ist
aber vielleicht blofs eine volksetymologische Zustutzung von ccita^
btdum: 61. V, 614, 10 cantahulum: stabulum, Papias catab.: clau-
sura animaliuniy ubi desuper aliquid iacitur; Du C. citiert eine
mlat. Stelle für captab, = catdb.), fascinabulum 112, 83 hinter fasci-
num (oder von fascina?), petrabulum 110, 87 (?petrobolos Kopp,
•) Weiterbildungen etwa nach dem Schema festus — festiviLS, wie cm-
divus (Anthim.), cras^vus (Gl. 11, 400, 9 = naxvvovs) , hoyiestitnis (Gl. V, 146, 16),
sacrivus (lex Sal. 2, 12), acrivus (rumän. acriu), potentivxis (Capitul. Car.
M., 8. Arch. ni, 498), recentivus (Eccl. ebd. 501), absenticus (Trimalchio bei
Petron.), placentwus (Gl. V, 473, 57 placentiva: Omnibus place^is, wonach
wohl n, 244, 24 &Q$ct6g pincentinus zu ändern ist), iticentivus {arbores i.
Lex Burg. 28), vacatitivus von überzähligen Beamten (gew. vacans) aufser
bei Lamprid. Alex. Sev. noch Gl. iuris ßaxavrtßov 6cQy6v und bei Synesius
(s. Marquardt, Staatsverw. II, 447); Fe»7/awti/ = Vigilantivus heifst Ro-
lands Bofs.
76 W. Heraeus:
vgl. Forc), inguifiabülum 13, 50 nach inquinaty doch wohl trote
Gl. II, 582, 38 inquinab.: pollutio nichts als vulgare Form von
incunab.f das 02, 71* hinter cuna incunabulum mit einem ent-
sprechenden Notenbilde erscheint. — ostentaculuin 12, 22, siehe
S. 65. Über suericulum s. S. 67, über vermeintliches suscipulum
S. 60.
-mentum: lacunamentum 100, 68* (wohl im Sinn von kuMnar),
liciamentum 99,19*, linteamentum 97,87 (gewöhnlich linteafHen\
duUnamenium oder dulcianien (s. Schmitz) 75, 15' (GL V, 217, 31
libum: genas dulciamenti; auch duUiamen Gl. s. v. placenta und
Du C), focimentum 82, 39* zwischen fo^nentum und focis = faucis
(fingiert? vgl. auch fulnietitum fulchnentum 72, 9 f.); über suhU-
niefitum, das schwerlich von sublino stammt, sondern wahrschein-
lich = suppleinentum ist, s. S. 63; ddibamentum 109, 29* (VaL Max.,
verstärktes libam.), liguanientum 113, 70 (Veget. = liquamen),
solamentum 38, 28 hinter solum (bei Paul. Nol. = siolamen, C. Gl.
V, 333, 30 mit pulvis soll \solis ?] erklärt, bei Du C. = fundusX
-men: aucupiamen 93, 19, gewifs im Sinne von aucupium wie
dulciamen (s. o.) neben dulcium u. ä.; linamen 110, 32 (s. S. 65),
laxanien 71, 54 (Gl. Seal. V, 603, 44 laxamina: Jiabenae aus Osbenu
p. 329; vgl. frz. laisse Leitriemen, x^^^^^^S "^^n ;i;aJlaG}?), crassamen
71, 60 (Col.).
'monium: fratrimonium 33, 43* (fingiert? s. S. 65).
-tor und -trix: ientator 103,7, magistrator templi 6,30**,
subpraedator 92, 23^, über restitor und gressator = gross, s. o. S. 59;
acuter 73, 52 (Gl. III, 307, 17 u. ö. = KxovriTilg, dafür acutiaior
n, 223, 12 = ital. aguzzatore), baiulator 70, 19* (Gl. H, 254, 25
äx^oq)6Qog), frictor 93, 97 (Gl. II, 568, 34 assafor: frixor), rationor
tor 42, 21 (Gl. V, 141, 37. 387, 8, frz. raisonneur; vgl. rustikes
sermonari für sermocinari Arch. IX, 429), obsecundator 57, 65 (Cod.
Theod. = Diener, Du C. = presbyter assistens). Einige Male ist es
zweifelhaft, ob die Verbalendung -afur (Depon.) oder ein Subst.
-ator vorliegt, das ja vulgär -atur geschrieben wird; letzteres ver-
mutet Schmitz bei gestkulatur 26, 78 {gesticidator Col., Gl. V, 298,
20), vitällatur 70, 20 (-ator Gl. U, 203, 46 = övxofpdvxrig), con-
fiscatur 41, 50 {-^tor Gl. II, 451, 28 = raaiovxo$). Doch ist gesH-
cukiri ganz gewöhnlich, das Deponens vacillari steht bei Greg. Tur.
(s. Bonnet p. 413), wogegen confiscatur als Passiv oder Deponens
Verdacht erweckt. Das Notenbild hat überall das Hilfszeichen
für -ur, was natürlich nichts beweist. Äratrix 68, 42*, litigaJtrix
Beiträge zu den Tironischen Noten. 77
21, 53; 'baUairix 93; 32 (it. ballatrice) hinter bcUlator (dies in
Inschr.; s. Oleott p. 92).
-or; resplendor, obsqpor, wohl fingiert^ s. S. 62; raucor 118,
39 hinter raucus (gew. raucedo), placor 22, 13 (Vulg. und Glossen).
-ar: a/rhuscuUir 72, 94 {-cula Kopp).
'Udo: asperatudo 54, 77 hinter aspritudo (gew. asperüudOy
aspretudo GL 11 , 458, 33, vgl. aspratilis und aspraturaT), levitudo
21 j 88' hinter levis lemtas (viell. fingiert nach der Reihe gravis
gravitas graviiudo ebd. 79 f.; levitudo Lact.), drritado 95, 60 hinter
drrus, cirritus (wohl schwerlich von cirruSy sondern = cerritus,
cenitudOj letzteres Neubildung nach bekannten Analogien), caeci-
ÜMh 111, 26 (Opü. Aur. bei Fest., GL H, 215, 17).
'itas: avariias 40, 23% frugitas 40, 30^, reciprocitas 31, 38*,
residuitas 47, 51 (Du C); revilUas s. S. 62; dupsilitas 41, 28 (aufser
bei PauL NoL auch SchoL Ter. p. 162 Elee, Aeth. Ist. c. 72, GL
Salom. = daps), soci€ditas (Plin. min.), strenuitas (aufser bei Varr.
L L und Ovid bei Prise. C. Gr. III, 222 in einem selbstgemachten
Beispiel, SchoL Lue. 2, 70, Fulg. anecd. Rhein. M. 52, 178 Z. 32,
Gonstantinsroman p. 21, 9). — odietas 46, 88*, prapitietas 56, 5*
(viell. odiatus und propiUatus; über letzteres Subst. s. Arch. I, 75.
'itia: sanctitiae*) 55, 78, verdächtig, da sanctitas und sancti-
Uido fehlen, doch ist die Vorliebe des Romanischen fiir die
Endung bekannt (^aUitia, ^granditia, *dulcitia u. s. w., latitia
s= it. latezza und longitia = longhezza Grom. und C. L VI,
26259 u. a.).
'ia: fecundia 75, 8 (Gl. lat.-arab. fecundia: fecunditas),
-atio: cameratio 100, 82* (Spart. Carac. für das gewöhnliche
cancam.).
'Ura: proscriptura 7, 10* hinter perscriptura (s. S. 61 A., fin-
giert?), letcitwra = lit, nach Schm. 71, 61* (litteratura?), arquor
iura 100, 80 (Front, aqu., aufserdem Inschr. aus Constantins Zeit
bei Dessau n. 702, GL V, 168, 31 arquaturae: fomices, alte Bibel-
übers. bei Rönsch Coli. phil. 154, der betreffs der Form arca"
iura irrt).
-entia: inprovidmtia 25, 48 (Tert.).
-atus: depeculatus 41, 3 hinter peaüatus (Plaut.; Part, in
Glossen IV, 50, 11 rf.; depra^datus), stdionatus 109,55 (ICt. und Gl).
*) Zur Endung vgl. das kurz vorhergehende sanctimonicie, avaritiae
40, 24 u. a.
78 W. Heraeus:
-iius: sugitus 120, 28 hinter rugii, rugitus, sugit (fingiert?
korrekt wäre stictiis)] über exhalitus s. S. 62.
-astrum: mini<istrufn 98, 89, serpüastrum »» serper, (Cic,
Varr. L 1., s. o. S. 60).
-ela: sutelae 48, 59 (Plaut., Fest., GL II, 194, 24 = ivsdQu,
ööXog und Loewe Prodr. 262).
'Uta: porcüia 103, 67 hinter porctis (Act. fr. Anr. p. 22
Henzen «» junge Sau); vgl. ctedulia 108, 60 hinter aeduSy aedulus
und dazu „Sprache des Petron." S. 10 A. 5.
'itum: herbitum 94, 63^ hinter herbidum (Isid., «» herbetum?
GL IV, 348, 37 herbitum: locus in quo herbae smU),
Wenden wir uns zur Nominalkomposition, so fallen einige
Bildungen auf, die aus zwei verwandten Begriffen zusammenge-
schweifst sind, so caIciocaMga 99, 36 (hinter caldus und caliga),
das Kopp mit Unrecht bezweifelt, lecticocisiunh 97, 70, das Schmitz
Beitr. 269 nach den vergeblichen Bemühungen von Kopp imd
Du Gange richtig in lecticocesium erkannt hat und von mir beim
SchoL Dan. Serv. Aenl 8, 666 in den verdorbenen Worten quidam
pilenta l<ieta occisia . . . dida tradunt vermutet worden ist, s. Arch.
XI, 70 xmd Hermes 34, 170, wo auch die analogen Bildungen
iunicopalliumy sagoddamys u. a. herbeigezogen sind. Auch tragum
pisum 68, 18 hinter iragum und pisum dürfte als tragopisum zu
fassen sein*) nach G. Gl. Y, 517, 14 tragum ei tragopisum genera
sunt fnimenii similia piso und IV, 290, 32 (zur hdschr. Trennung
vgl. bellerum fons = Bellerophon(s) 115, 38, trqpaeumforum 46^
*) Schmitz Beitr. 267 bekämpft mit Recht Kopps tragum pisinum, fafst
aber tragum pisum wie Greta Cyrene, das er 84, 86 richtig erkannt hat,
welche asjndetiscbe Verbindung übrigens auch inschriftlich bestätigt ist:
C. I. XIV, 4287 leg. prov. Cretae Cyren. (gewöhnlich ist ailerdiiigs Creta et
Cyr. bei diesen bekanntlich gemeinsam verwalteten Provinzen). Derselbe
verteidigt p. 266 donum 7uunus 41, 92 gegen Kopps gewaltsame Ändernngen
glücklich durch den Hinweis auf die 'Notarum Laterculi' C. Gr. L. R^, wo
z. B. 276, 54 D. M. 0. donum munus operas. Ich füge hinzu, dafs Lamprid.
AI. Sev. 26, 3 postea iusait, ut semisses acciperent, donum mutius tarnen sus^
tulit überliefert ist, wo Casaubonus donum tilgen (so auch Mommsen) oder
mumt6ve schreiben wollte (ftmne mMnus Gremoll!), aber Sfkhnasius auf Pan<
dektenstellen hinwies. Ja, noch im Edictus liothari § 226 findet sich, diese
formelhafte Verbindung. Preufs, de bimembris dissoluti — usu, Edenkoben
1881 p. 85 führt nur Pandektenstellen an, in dessen Sammlung ich noch
praedes vades Liv. ep. 48^ (p. 50, le Jahn) vermisse, was schon in inter-
polierten Hdschr. durch allerhand nichtige Konjekturen entstellt ist
Beiträge zu den Tironischen Noten. 79
17 u. a.*) und yielleicht auch jjedww cucullum 97, 18 liinter jp^wm
(Hirtenstab) und ctAcuUum, so schwierig die sachliclie Erklärung
ist (pedocucuUum geben übrigens mehrere Hdschr.; ygL auch Salm.
Scr. h. Aug. p. 129' und das Komp. hardocucudus). Auch das
überlieferte ranorubeta 113, 18 ist danach möglich, obwohl ge-
wöhnlich rana rubeta neben einander gestellt erscheinen, s. Georges
s. V. rubeta und C. Gl. 11, 475, 35 q>Qvvog ntbeta, rana rubeta^^
168, 52 etc. Von dioihedrum war schon oben S. 52 die Rede^
für a/rciseUium 101, 18 (hinter arcüy arcarius)^ das freilich andere
als hybride Bildung archiseU, fassen und das aufser bei Petr. 75 noch
C. Gl. in, 197, 19 xvß(ox6s arcula, kccQvai arcisellum (sie), dCtpQog seUa
etc. erscheint, sei auf die ausführlichen Darlegungen „Sprache des
Petron." S. 21 verwiesen. Sb^hocabaUns 112, 48* ist sachlich
verdächtig: struihocamelus ist 108, 47 notiert. — Sonst sind be-
merkenswerte Kompositionen: prorifragium 93, 1, bez. prodifr,
(vgL ital. proda aus prora^ dissimiliert, frz. proue? Kopp propaga-
tum, Schm. podifragium), gemacht nach naufragium, lumbtfragium
und crurifragium 79, 25 (Gl. II, 432, 57 =» öxe^^oxonCa u. ö., Ep.
Alex. p. 202, 4; bei Plaut, die scherzhafte Namensbildung Grwn-
frag%us)y vareeonium 11, 57 hinter vareza (nach Schm. =:pharetra,
phareiraeoniumy sehx zweifelhaft: vorher geht sareza =« sarisay sare-
eaniufn***), vestiplex 41, 85 (-icus Inschr., -ica Plaut., Inschr., GL),
tyricapta 88, 9 hinter TyruSj was nach Ko. und Schm. = Tyntö
capta, eine Marginalnote zu Curt. 4, 4, 19 ist, m. £. entweder
fingiert nach taurocapta (j=*= taurocathapta) 108, 32 hinter taurtis
oder = tridiapta („härene Gewänder^' LXX, vgl. Georges u. Rönsch,
It. 247); mantis doctor 67, 74 (hinter ma/nMs), wozu Kopp Sen.
Troad. 10 manus docta sehr unwahrscheinlich beizieht: es wird
eine Bildung manusdudar gemeint sein „Anführer einer manus''
oder ähnlichesf) (vgl. C. GL 11, 126, 62 manidttdus [sie!] (Aieö-
•) nardipisticum 98, 78» hinter nardifolium (folium nardi Plin. n. h.
12, 42; mälocorium Not. Tir. 99, 64 statt des gew. malic.) wie nardicelticis
m, C. Gl. 195, 23 (sonst nardocdtica u. nardus celt, s. Gl. VI s. v.).
••) prora mlat. auch => Vorderkopf. Oder phorifragiwn —: forifragium
(8. Du C.)?
•*•) Vermutlich ist hier parazanium im Spiele, das C. Gl. V, 880 mit
cingulum erklärt wird {parezonium überl.!), 384, 33 mit genus teli Mace-
donici. Vgl. Boensch coU. phil. 216 über naga^aviov = Gürtel und Gürtel-
dolch.
t) manuductio bei Du C. == sauvegarde, admanumdeductor als Obers,
von x^^Q^yo^y^S cod. Gant. Act. 13, 11 bei Roensch, It. 216.
80 W. Heraeus:
XOQog) oder manusdoctor nach Analogie von campidoctor (s. GIoss.;
C. I. L. VI, 533 neben cohortis doctor), armidodor Not. Tir. 45,
81* (sonst noch C. Gl. TL, 385, 26 u. ö. = öxiodi^ddöxakog); pesti-
nuntiae 25, 95 (GL V, 320, 21 u. ö. pestinuntium: qui pesteni nun-
tiat, vgl. Schmitz, Festschr. zur Trierer PhiL-Vers. p. 61); st(i)lin-
quadrtim 45, 46, in seinem ersten Bestandteil altertümlich
aussehend, aber dunkel (GL 11, 188, 51 sÜinqtMdruum öxJLrjQÖv,
ccvötfjQÖv), — Hocuriis 36, 94 (Varr., Anth. L ep. 296, 1, C. GL
n, 207, 58/59: viactduis: 6döv ixiiisktitilg, iiJupodccQxVS ^uid in der
oben S. 60 f. zu cistiber citierten Glosse), parenticida 48, 36 (in Glossen,
die Leo auf Plaut. Epid. 349 bezieht, wo seit Camerarius peren-
ticida gelesen wird, vgl. Arch. IV, 632. Loewe Prodr. 407 u. Forc),
altidnctiis 77, 97 (so cod. Cassel. wie bei Phaedr. und in Glossen^
z. B. n, 225, 28 a. dve^coönivog), spicilcgium 96, 83 (Varr. LL), siti-
eines 107, 32 (Cato bei Gell., daraus Non. p. 54), ciniflo 102, 15
(Hör., Serv. Aen. 12, 611 und Glossen), sellistemium 101, 31
(aufser Tac. noch VaL Max. 2, 4, 5 in Paris' Epitome, während
die Hdschr. des VaL wohl irrig das gewöhnliche leetistem. bieten.
Fest. p. 298^ 18, Inschr. der Säkularspiele 17 n. Chr. Z. 109, GL
II, 430, 33 = ösHäöTQioöigy V, 636, 58 = iibi seUae stemuntur, Tert
adv. nat. I, 10 solistemia^ wo Wissowa nichts bemerkt). — nepOger
48, 78, von Kopp erklärt nach ml. sororiger = ua:oris f rater;
rumiger 92, 9, das wohl den Sinn von rumigendus hat (vgL
Du C; anders C. GL V, 387, 41 nimigerum pecus), huxifer 78, 34,
spinifer 93, 6* (Prudent.); anders cestifer = Cistiber und equifer =
wildes Pferd, s. oben S. 60 f., bez. 58.
Zusammensetzungen mit Präpositionen*): orfufrer 79,10
nach id)er (Kopp liest mit Veränderung des Notenbildes aduberatf
das freilich ebenso ungewöhnlich ist; ich vergleiche die aus Osbem.
p. 617 von Scaliger geschöpfte Glosse, V, 611, 54 stibtiberes: in-
fantes qui adktic sunt sub ubere, wo sububer Ersatz für älteres
subrumus scheint), adteger 53, 20 (Konj. von Kopp für ifiers, vor
integer-^ aber wenigstens bei Paul. Fest. s. v. adtegrare wird kein
Adj. adteger mehr gelesen), antegradum 95, 72 = antigradum
„Vorstufe", vor antigraphum (afi-ik. Inschr. per antigrados)\ condor
mina 38, 44* (mlat. = condominium, s. Du C), cxhalitus s. S. 62;
exodiatus imd perodiatus 46, 89^ und 91 hinter inodiatus (wie
*) Eine grofse Anzahl hierher gehöriger Bildungen, wie tidmens, con^
mens, denomen, consanus u. s. w., ist schon oben S. 61 f. bei den Fiktionen
behandelt worden.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 81
scheint^ später Ersatz für exosus und perosus; vgl. S. 49 über
inodiare)y perinsolens 28, 43, perdueüium 91, 56 hinter duelUum
(Gl. IV, 140, 23 u. ö. = rebellatio), perfoederatm 43, 48 (hinter
confoederatuSy wonach ebenda 44' jyerscderatiis hinter conscderatus
fingiert sein kann; praefacilis 30, 51 mit dem Zeichen für prae-
im Stenogramm (das gewöhnliche perfac'dis fehlt!); prdepudium
45, 21' hinter repudium, wo Ko. schwankt, ob praeputiuin mit
Anlehnung an pudenda (das Notenbild zeigt D) oder propudmm
gemeint sei; prdbdlis s. S. 62; profludus 73, 90 für profliixiis
(s. S. 60), das Roensch, It. 91 aus cod. Tolet. Luc. 8, 43 in pro-
fluxu sanguinis belegt; über subpontium s. S. 56. — conscensiis
46, 91 (bei Sulp. Sev. als Subst.), inoportunus 89, 53 (Oros., Albin.
C. Gr. L. Vn, 303, 31), insuhtüis 51, 23' (ICt.), infas (Glossen,
s. oben S. 61A.), inviolentus 43, 43 (Cassiod.), reburrus 93, 93
(Augustin., cod. Ashb. Lev. 13, 41, ebd. 42 rebiOTiion = ävatpa-
XdvTC3[ia; C. Gl. U, 109, 22 = ävdöiXXog^ dvag)ciXavrog , III, 330,
48 ^= &va(pdXaxQog y 13,55 dvdd^Qi^] V, 623, 2 rihurnis vel cirra-
ins est crispus, Osb. p. 509 = hispidus] Cognomen: Amm. 28, 4,
6. C. I. n, 2610. Inschr. des Mainzer Museums n. 214 u. ö.).
Zusammensetzungen mit Zahlwörtern u. ä.: oduplex
65, 47' (gew. -^um, wie n. 42), tripontimn 110, 96 (Lokalname in
rhein. Inschr. bei Schmitz und C. I. X, 8650 a Tripontio nsque
ad Tarracifmm) j hisellium 101, 32 (Varr., Inschr., Gl. II, 30, 21
u. ö.), seumetrum 90, 53 hinter geometrum = semetrum nach Schmitz
(Prüden t., = uhstqov^ Kopp symnietrum), semensis 62, 36 für se-
menstris (vgl. trimensis Is. 17, 3, 6. 10), über das zweifelhafte di-
vium s. oben S. 59, über hirodium und die hybriden dirodium,
bieris u. a. S. 55 f. 58.
Den Beschlufs mögen einige dunkele, bez. mittellat.*)
Wörter z. T. gallischen Ursprungs bilden, aula 104,45 unter lauter
Pflanzen ist, trotzdem das Notenbild stimmt, auffallend und viel-
leicht = a/a, späte Nbf von inula (s. Isid. 17, 11, 9, Ihm zu Pela-
gon. § 71 und C. Gl. VI s. v. inidn)] higoda 91, 32' zwischen leuga
und miliariiim ist wohl nicht, wie Schm. meint, hiroda^ sondern
identisch mit beguta bei Du C. (provenf. begudo) = hospitium,
deversorium; aripennis 36, 8 ist das zuerst bei Colum. auftauchende,
dann im Mlat. von Isidor ab häufige Landmafs; frz. arpent (Georg.
B. V. arepennis, Orell. inscr. 4350 abgekürzt arej)., Glossen s. v. etc.);
*) Vgl. auch oben S. 51.
Archiv fOr lat. Lexikogr. XII. Heft 1.
82 W. Heraeus:
cäbrida 92, 52* zw. hibrida und capsa hängt vielleicht mit mlat.
cabritus = haedulus (s. Du C.) zusammen oder mit cabidarhis 61.
n, 334, 23 (vgl. Du C); candocus 37, 12* unter Ableitungen vom
St. cand- erhält möglicherweise Licht durch candosoccus bei Colum.
oder durch Isid. 15, 15, 6, wo candecum für cand^wi überliefert
ist (gallisch = ^spatium centum pedum'); dopptis 115, 67^ unter
Eigennamen, also Cognomen (Gl. II, 102, 16 = X(ok6g^ HI, 330, 35
= koQÖog'^ altfrz. clop)-^ cohba 104, 38* hinter cunela unter Pflanzen
ist rätselhaft (xoAo/Ja?); crumelum 68, 39 (unter Pflanzen) findet
sich bei Greg. Tur. p. 810, 8 (Sittl, Archiv III, 286 = g^nmieUtim
vergleicht ital. grumolo ^Herz des Kohls oder Salats', vgl. dazu
Schmitz ebd. p. 387); drappus 99, 62' („Tuch^^, von dunkler Her-
kunft; bei Oribas. fr. Bern., s. Arch. 11, 106. XI, 130; ital. drappo
u. s. w.); iuctus 38, 9 ein Ackermafs (s. Du C); perium 105, 72*
scheint nach periim, das 36* zw. pnmns und pofnum eingeschoben
ist, zu beurteilen (die Schreibung jwriim für pirum Anthim. 84,
C. Gl. ni, 358, 51 u. ö.; perarins heilst der Birnbaum in der lex
Salica, sc. arbor, ebenso melarius, pom.). Was ist himba 99,
78* hinter cmha (= qfmba)*), was ensilia 11 , 54 hinter ensis
(vgl. Plur. insilia „Spulen" bei Lucr.? oder die Endung ist verdorben;
ensiculus Ko.), was fostrum 65, 96 (vom St. fod- wie rostrum von
rod-? doch scheint Verderbnis auch das Notenbildes vorzuliegen,
s. Schm.). was menfius 106, 15 hinter maenas, was rq)e 57, 84
vor repefite und repentinus (C. Gl. III, 270, 16 r^)e = acta ^dn[iccy
doch fällt das Fehlen von re2)ens auf)?
Folgende für den Romanisten interessante Bildungen sind
weiter oben behandelt worden: aneUariiis S. 68, bibaria S. 69,
biroiius S. 56. 58, brochinus S. 74, cacida S. 70, castibla S. 57, cervia
S. 57, clinus S. 53, denMiis S. 67, inodiosus S. 70, nmcellu S. 66,
pedo S. 56, ponticanus S. 74, pulvicida S. 66, pustdla S. 66, ratio-
nator S. 76, somnictdus S. 67, tardimis S. 74, vestüia S. 72.
Es erübrigt ein Wort über das Verhältnis der Tironischen
Noten zu den Glossen. Eine zahllose Menge Verba wie Nomina
*) Die originale Reihe unter Schmucksachen lautet : unio, crotalia (Peta*.,
Plin. mai.), smaragdus, cimba, cimbula, cimbiha€, cimhilae. Namentlich die
zwei letzten Wörter haben den Erklärem Schwierigkeiten gemacht. Allein
es liegt hier Ideenassociation vor: das Geschmeide crotalia erinnert an cro-
tala, dies an cymbala, bez. cymba, Cybele und Cybebe. S. auch S. 54.
Beiträge zu den TironiBchen Noten. 83
kommen, wie wir gesehen, aufserhalb der Noten nur in den
Glossarien vor und erhalten z. T. nur durch sie die für uns
wünschenswerte Erklärung. So drängt sich die Frage auf: haben
die Glossatoren die Noten benutzt und die dort ohne Interpre-
tament stehenden Wörter erklärt, oder haben umgekehrt die Zu-
sammensteller der Noten die Lemmata der Glossarien benutzt?
Ein Anzeichen dafür, dalis das erstere der Fall ist, könnte man,
wie schon oben S. 46 bemerkt, darin erblicken, dafs in den
Glossen oft seltene Verba in der den Noten eigentümlichen Form
der 3. Sing. Pr. Ind. erscheinen und zwar mit teilweise recht
dürftigen Erklärungen (disdanaty adplectitur u. ä.). Auch bei den
Nominibus spricht ein eklatanter Fall für jene Annahme: wenn
Gl. IV, 578,49 u. ö. vicorus (vidurium) et cistifer tioimna sunt
metallorum sich findet, so liegt der Verdacht nahe, dafs die Glosse
aus den Noten, wo tab. 36, 94 viocunis und cesHfer (= cistiher,
s. oben S. 60) am Schlufs von römischen Magistraturen steht,
geschöpft ist, wobei der Umstand den Verdacht verstärkt, dafs
der Glossator jene Namen falsch erklärt hat, vielleicht in Er-
innerung an victoriatus und cistifer = xi6Toq)6Qog. Ahnlich steht
es um Glossen, wie Gl. IV, 423, 24 securictilarius eo quod secures
ferit (wohl vul^res fert, nicht von ferire), wo das securicularius
der Noten 38, 56, das doch wohl einen Verfertiger von secures
bezeichnet, unrichtig erklärt scheinen könnte. Dafs bei dieser
Annahme der Wert der in Betracht kommenden Glossen hin-
sichtlich der gegebenen Erklärung sich wesentlich vermindert,
leuchtet ein. Eine eigentümliche Art von Entlehnungen aus
den Tiron. Noten zeigen die sog. Glossae Isidori, die nach
Loewes Entdeckung von Scaliger aus gröfstenteils noch nach-
weisbaren Glossarien exceri)iert sind. Kopp hat zuerst jene Be-
nutzung der Noten in den Gl. Is. erkannt und damit eine Anzahl
Rätsel, welche die Is.- Glossen den älteren Erklärem aufgaben,
sehr einfach gelöst. Der Glossator hat entweder sich begnügt,
die Wörter, da er sie nicht erklären konnte, ohne Interpretament
auszuschreiben in der Ordnung der Noten oder mit einem auf die
Reihenfolge bezüglichen Hinweis (wie V, 596, 29 drrns, cirritiis,
cirritudo = tab. 95, 58 f., canava, caniea, post caenaculum 92, 4 f.,
worüber S. 66), oder er hat zur Erklärung die Kategorie, in der
das Wort stand, angegeben (V, 618, 18 tragum inter legumina
nach tab. 68, 16). Zu den von Schmitz Beitr. 287, bez. Loewe
Prodr. 52 aufgeführten Beispielen sind hinzuzufügen: podarius
84 W. Heraeus:
inter mimos V, 608, 28, patercularius a pcUerculo 606, 61, stüin-
quadruum i, quadrum 611, 60, monopticus mimus 603, 57, virgo-
bretm nonien niagistratus 613, 43, candiarium aerarium 594, 73,
desgleichen die nackten Wörter cdUmica (= scalonica), candomina
(= condamina) 595, 29 f., nefandarius 605,35 und tragispicum
612, 46 (= tragum pisum, bez. tragop.y vgl. oben S. 78), das
zwischen zwei anderen augenscheinlich den Noten entnommenen
Glossen steht. Die Erklänmg der betr. Wörter ist im Verlauf
der Untersuchung bereits zur Sprache gekommen und zwar, um
nicht irre zu führen, ohne Hinweis auf die Glossen Scaligers.
Aus welchen hdschr. Quellen dieser geschöpft hat, ist noch un-
erklärt. Möglicherweise stammen sie aus dem cod. Vossianus
Oct. 24* (oder einer verwandten Hdschr.), aus dem Loewe Prodr.
386 fusicius: fusidum: fusile, fusura, sowie fusurarius: feticUiSf
419 nmcdla: macid<i gleichsam als regelrechte Glossen mit Inter-
pretament citiert, während es doch nur aneinandergereihte Wörter
aus den Tir. Noten sind.
IV. Vermischtes.
Vulgäre Formen des Verbums sind schon in Abschnitt H
gelegentlich zur Sprache gekommen, wie commando (frz. Comman-
der), adsallire (wie in der lex Salica^ frz. assaillir) u. a., s. S. 40 f.
Bemerkenswert scheinen aufserdem die vulgären Perfekt-Formen
amixit 97, 82* {celerius mater amixit, was Diomedes aus Varr. sat.
232 Buech. citiert, könnte archaische Form des Fut. ex., bez.
Perf. Conj. nach Art von faodt, iniexit sein), dirempsit 27, 8 (wie
C. I. L. IX, 5036 direyYisitj C. Gl. V, 287, 27 derenisi: separavij vgl.
Charis. 248, 5), nwrsit 94, 51 (jpraetnorsisset Plaut, bei GeU., C. Gl.
HI, 410, 45 morserunt = sdaxav, V, 223, 19 nwniordit melius dici-
mus quam marsit, ebd. 26 morsit non dwitury sed momordity ah eo
quod est mordeo, cmitero cotUrivi facit, non contetui*), perculsit 71,
*) Conterui bei Georges Wtf. ans Apul. met. und alten Bibelhandschr. :
auf ersteren beziehen sich die Worte des Charisius p. 248, 6 terui et trivi
iuxta Apuleium. Aufserdem Fulgent. p. 187, 3 Helm (p. 143, 1 ohteruit, aber
Apul. apol. 8 obterierit codd.) und Anecd. Helv. p. 183, 33 (in einer Anti-
phona). Vel. Long. p. 74, 5 erklärt terui für neumodisch. Übrigens scheint
Apuleius auch aus contrivi ein Präs. contrio gebildet zu haben, wenigstens
ist met. 7, 17 contHham die Überlieferung, wo die Plsqpf. contnram (vg.),
bez. contriveram (v. d. Yliet neuerdings) ganz aus der Reihe der Imperfecta in
Beiträge zu den Tironischen Noten. 85
78 (Amm., C. Gl. IV 363, 1). Interessant ist auch die Schreibung
usit 102, 28 (ebd. ad- und combusit) im Hinblick auf die Glosse
des Placidus V, 10, 11 cotnbusserit geminato s scribimuSy facit enim
comburo combussi, womit man Albinus C. Gr. VII, 302, 18 per-
ctissi per duo s, ut wro ussi vergleiche und des Consentius (V, 395,
13) Rüge der Aussprache der Griechen iusi st. iuss^i. Beispiele
dieser Schreibungen sind in den Hdschr. der Glossen massenhaft
zn finden, z. B. ambusit IV, 308, 26, in>u>sit V, 304, 33, exuset IV,
222, 45, excusit V, 291, 51, auch sonst: Liv. 9, 3, 13 inuserit cod.
A, Diom. p. 369, 4 uro usi^ Prise. C. Gr. II, 447, 11. Gregor. Tur.
H. F. 6, 43 coyyibtisity 6, 44 exusit. Von vul^ren Participien seien
erwähnt refersus*) 92, 94 (= refertus Ps. Cypr. bei Ge. Wtf. und
Lucifer p. 310, 21 Hartel; vgl. farsus bei Ge. Wtf., Neue IP, 564,
Roensch coli. phil. 93. 230, C. Gl. VI s.v. farsa, fartor, roman.
farsus aufser auf span. Boden), fifictutn 66, 25 (vgl. Ge. Wtf., u.
Roensch It. 295, C. Gl. VI s. v. fidus und fictor, Arch. VIII, 258, ge-
meinromanisch: it. fi}ita = Finte etc.), phutum 66, 12 (it. j)?wYo,
aber pittore, während frz. peintre = pinctorem, das nicht nur in
der gefälschten Inschr. bei Neue und Georges, sondern auch in
echten, wie C. I. V, 6466 (christl.) u. ö., sich findet, s. Oleott p. 108,
C. Gl. m, 460, 5 pindor). Ein bemerkenswertes Präsens ist ratur
52, 6, vgl. C. Gl. Vn s. V. randum und reor; advesperescit 69, 11
hat sein Analogon in vesperescit: sero facit**) C. Gl. V, 335, 25,
wogegen sich wohl die Bemerkung ebd. Z. 49 vesperascit lutinum
est wendet (vgl. auch die grammatische Erörterung V, 102, 26).
Activum st. Deponecs: vescit 96, 7 (s. Ge. Wtf.), arbitrarunt 31,
35^ (ebd. Gl. VI s. v. arbiträr). Vulgär, wenn auch von fraglicher
Bildung ist zweifellos auch marcerat 113, 48 (hinter marcescif),
wofür Schmitz mit Kopp macerat schreibt, vgl. C. Gl. 11, 364, 57
liaQa(vo(iccL 7narceror, 121 j 29 marcidat et marcerat Trjxeij Trjxsraiy
dem Satze herausfallen. Contriho =^ conteram, contriret u. a. weist Thiel«
mann Arch. m, 642 aus Bibelhandschr. nach, ohne der Apul.-Stelle zu ge-
denken; intrio ivd-QVTtTa C. Gl. 11, 299, 22 und in rcinlat. Glossen bei Land-
graf Arch. IX, 387. Vgl. „Sprache des Petron." p. 40.
*) Schmitz vermutet ref'essus, liest aber mit Kopp re versus^ das jedoch
tab. 28, 11 ein anderes Wortbild zeigt. Not. Bern. 41, 103 erscheint das-
selbe Stenogramm mit der Erklärung refertus (hinter farcit). Brieflich hat
Schm. später alle Änderungen aufgegeben.
**) Dagegen fit C. Gl. V, 253, 15. Vgl. il fait froid u. ä., August.
serm. 25, 3 numquam fecit tale frigus.
86 W. Heraeuß:
^eTtrvvsrai., das nach Loewe Prodr. 353 för nmrcidat wie soler at^
ntaderatus für solidat, madidatus in Glossen. Doch ist hier vielleicht
die Erscheinung im Spiele, welche „Sprache des Petr/^ S. 5 A. 2
berührt ist: puderatus für pudörattis, oderatus u. ä., nach Analogie
von rechtraäfsigen Nebenformen wie sterceratus neben stercoratus,
fiügerator neben fulgürator (s. Ge. Wtf., C. GL VI s. v., Not. Tir.
72, 15 fulgerat), wonach man also an urspr. marcorare denken kann. —
linxit 99, 49 als Perf. von lingo (Grammat. ohne Beleg und Vulg.,
8. Ge. Wtf.*)), mulxit 96, 43 als Perf. von mtdgeo (Grammat. ohne
Beleg), lambuü**) 68, 61» (Ennod., Vulg.).
Archaische, bez. vulgäre Nominative der konsonantischen
Deklination: suis 103, 65 und trabis 100, 9 f. sus u. trabs (s. Ge.
Wtf.), gruis 111, 31 (in der App. Pr. verworfen, s. Arch. XI, 320),
gliris 109, 7 (ebd. S. 318), lintris**^) 110, 62 (Sidon. carm., Isid.
19, 1, 25. C. Gl. II, 373, 8 lyntrh, IV, 535, 2 linteris u. ö.), frondis
104,85 (C. Gr. L. HI, 478, 1. C. Gl. II, 473, 58. HI, 469, 27, aufser-
*) Dagegen ist das von Ge. und Neue angeführte lixit Not. Tir. 91,
87 wohl Fiktion, es steht vor inlixit und prolixü, die Kopp richtig inlexit^
prolexit erklärt, die in den Noten sonst fehlen.
♦*) Das von Ge. Wtf. aus Cassiod. C. Gr. VII, 195, 16 citierte Perf.
lamhivi weist auf ein vulgäres Präsens /am&io, wie auch eine Hdschr. vor lambivi
bietet ('fort, camhio^ Carrio). Es ist auch thatsächlich überliefert bei Aug.
conf. 9, 4 (p. 204, 23 Knöll) lambiunt, ep. Alex. p. 195, 16 Kubier lamhiendi,
Schol. Aer. Hör. cann. 1, 22, 7 Jambiat^ Aeth. Ist. c. G2 lambiunt^ vgl. Schol.
luv. y, 6 lambcat und die Lesart ambiunt der Klasse « Pers. prol. 6.
***) Interessant ist das vorhergehende musculus^ das in der Bedeutung
,Schiff^^ in den Lezicis fehlt: es steht aufserdem Isid. or. 19, 1, 14. Not.
dign. Or. 39, 35, Gl. V, 604, 06 (muscellus i^vg unter Schiffen m, 206, 28),
entsprechend nvöiov^ das bei Fest. 147, 5 nach den Hdschr. herzustellen
und in moedia (PI. > Gell. 10, 25, 6 zu erkennen ist, s. Rh. M. 64, 307. Über-
haupt bieten die Tir. Noten in den systematischen Partien viele Wörter in
neuer oder seltener Bedeutung. Erwähnt sei corticeum 98, 92 in dem Ab-
schnitt über Kleider und Kleiderfarben, entsprechend cortwatum Gl. HI, 22,
19. 93, 28; ebd. n. 97 persicKin findet seine Erklärung in den Reichenauer
Glossen bei Diez, altröm. Gloss. S. 23 iacinctitias: persas^ die auf Vulg. Exod.
25, 5, wo ianthinas v. 1., geht, und Ahd. Gl. EI, 618 persiim: weiten (waid-
farben) vel cerulei colaris (vgl. auch C. Gl. L. m, 201, 44 j)ersicariii8 Xtv6v(fog)y
wo persum mlat. Kurzform ist, die Plac. C. Gl. Y, 92, 10 verwirft, vgl. Diez
s. V. perso und Du C. Auch dafs in demselben Abschnitt mustum und viscum
erscheinen, erklärt sich durch Gl. V, 467, 15 musteum : viscidiim^ wozu 226,1
noch medium rinde (blaugrün) gesetzt ist, III, 22, 20 i^osiöig viscineum
hinter carticatum, 323, 1 hinter ceruleum. Cntulus steht 65, 90 unter Marter-
werkzeugen, sonst so nur bei Lucil. und Paul. Fest. p. 45. Über truncus
103, 63 imter Schweinernem u. ä. s. „Spr. des Petr." S. 10 A. 1.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 87
dem 8. Ge. Wtf.), inguinü 79, 26 (Plac. C. Gl. V, 26, 11 f. ... . m-
guinis vero latinum no[me]n est; Acc. inguinetn Schol. luv. und
Glossen, s. Arch. IX, 446), lendis 108, 80 (C. Gl. IE, 431, 61 u. ö.
Geogr. Gothofr. 5, wohl auch wegen Differenzierung von lens^
lentis beliebt, vgl. frondis), lovis 81, 72 (J. optimus m,, s. Spr. des
Petr. S. 40), Ditis 59, 13 (s. Ge. Wtf. u. Glossen), lyneis 108, 81
(C. Gl. IV, 534, 30 u. ö.), vadis 73, 41 (Ennod. bei Ge.). Dagegen
ist rudeniis 110, 24 trotz des Hilfszeichens is wohl Irrtum für
rudentes, wie Kopp vermutet, und dasselbe wird von furfuris 68,
25 gelten müssen (f'urfures PI. tantum nach C. Gr. I, 548, 24. Gl.
II, 408, 24 u. a.), während fortis fortima 43, 33 wohl aus Mifsver-
ständnis der Casus obliqui von Fors Fortuna hervorgegangen ist,
welches auch C. Gl. III, 291, 14 Fortis Fortuna^ IdxvQa xvxt] über-
setzt, zeigt. — femus 79, 16 (vor femor) wie öfter bei Apul. met.
(s. Index von v. d.Vliet) imd in Glossen: II, 371,12. 111,468,77 u.ö.;
ntibs 68, 72 (s. zur App. Prob. Arch. XI, 316), (/iir(jris 93, 86 (Gl. IV,
523, 2. 3), itifier 38, 6 hinter ifer (s. Ge. Wtf., auch im Nachtr. und
C. Gl. VI s. V.; Isid. 15, 16, 8 unterscheidet beide Formen), lasar
104, 56 (s. Ge. Wtf, Ihm zu Pelag. p. 23, C. Gr. L. V, 499, 35, C.
Gl. VI 8. V.) wie passar 111,40 (App. Prob. Arch. XI, 324), an-
sar (ebd. 320) carcar (s. Ge. Wtf., Roensch, coli. phil. 21, Immisch
gl. Hes. p. 311, C. I. L. IX, 1617, Liv. 26, 13, 15 Put., ahd. kar-
kari). — supelledile 92, 1 hinter supelkx (wohl Nominativ wie
C. Gl. U, 533, 15. IV, 289, 17. 571, 9. V, 42, 12), condavis 50, 88
wie Not. Bern. 65, 95, wo Schmitz fragt Mdemne ac conclaveT
(sehr oft condavis in den Glossen, bes. in der Bedeutung „Al)-
tritt": II, 106, 45 c, et cidina dtpsÖQCjv, wie schon bei Martial
condave, s. Arch. XI, 534) und entsprechend retis 110,27 (Fem.
und Masc, s. Ge. Wtf und C. Gl. II, 174, 10. 36). Acdis 81,
58 und vulpis 108,84, s. zur App. Probi Arch. XI, 316 f., umge-
kehrt volles 95, 77 (s. Ge. Wtf.) und scrohes 91, 8(), falls dies nicht
Plural ist. Ohex lautet derNom. 1(K), 44% wie überall aufser in der
späten Glosse des Aynardus V, 622, 11 obiex (an der von Ge. aus Labb.
citierten Stelle war obiex falsche Lesart für obtemtus, s. II, 405, 43).
Heteroklisis. Geschlechtswechsel in der 2. Deklination.
Während Masc. für Neutrum sehr selten in den Noten ist, nämlich
aufser dem schon S. 65 behandelten bustns, nur*) noch meditullus
56, 39, canistdlus 108, 96, sagulus 98, 17 (sagus archaisch und in
*) Denn mcrarius 55, 17 wird wohl den Aufseher über sacra bezeich-
nen, wie inschriftlich, vgl. Oleott a. a. 0. 166.
88 W. Heraeus:
Glossen 11 , 429, 29 u. ö.), ist die umgekehrte Erscheinung unge-
heuer häufig. Die im Folgenden alphabetisch aufgeführten Formen
sind gröfstenteils bei Neue und Georges Wtf., sowie in der Spezial-
Schrift von E. Appel, de genere neutro intereunte in lingua lat.^
Erl. 1883, aus meist archaischen, bez. späten Texten belegt und be-
handelt, sodafs im Folgenden nur Nachträge gegeben werden.*)
*Äculeum (nur noch Gl. II, 490, 62), alveum (sehr häufig in Glossen)
und alveolutn (bei Paul. Fest. 8 Irrtum des Epitomators nach
MüUer), * amuranthum**) (III, 192, 31 -anhim), * ameUiystum, calr
cidum (Gl. m, 467,52 u. ö., vgl. Arch. IV, 180), cakidum (GL),
camimim (verworfen C. Gr. L. V, 574, G), capulum (stets so in
den bilinguen Glossen), * catascopiim , *cedrHm, *citnim, congium
(mit einer Ausnahme konstant in den bilinguen Glossen, verwor-
fen von Caper p. 109,2. 101, 14), cucxittum, culleum (bil. GL),
*cultrum imd cidiellum (bil. GL, letzteres von Serv. Aen. 6, 248
verworfen; vgl. Ge. Wtf. Nachtr.), amiculum (GL), discum (GL III,
379, 8), *€cidenm (GL II, 350, 63), flosculum und floscellum (vgL
oben S. 66), *fhmnm und- olum, *gyrum, indiculum (GL V, 305,9,
doch ist ein Nom. -idtis noch nicht belegt, s. Ge. Wtf.), *in^icwn
(GL III, 360, 5 u. ö.), *lectkvlum, *libanum, nianipidum (Glossen),
modium (bil. GL, verworfen von Caper p. 101, 13), *murnm (Gl.
V, 441, 13 u. 446, 20 PL nmra\ pastülum (Gl. U, 142, 53), rogutn
(GL II, 436, 38 neben rogus, oft in reinlat. GL), sarcoplwgum (GL
IV, 389, 11, Gromat. p. 361), *scarifum, *scopidum (GL), scruinir
htm (verworfen von Caper p. 111, 10 und Prob. p. 212, 21), *sfi-
lum (Isid. or. 14, 4, 1, *sextarium (bil. GL), *serpicidumj *$ibilum
(GL), surculum (Gl. 11, 594, 58; doch ist suericulum in den Noten
überL, s. oben S. 67), thesaurum (s. „Sprache des Petron.'^ S. 42),
thrommiy *umbilicu)n (Gl. und vieU. Fulgent. p. 41, 20 H.), umerum
(GL), versmdum (GL 11, 438, 5). — Sonstige Heteroklisis.
1. DekL statt 2.: adim (Gl. II, 429, 17 neben acinus), arva (GL
*) Die bei Appel, bez. auch bei Georg, fehlenden Wörter sind mit
einem Sternchen versehen.
••) Die falsche Aspirierung in volkstümlicher Anlehnung an &v&og
aufser in Hdschr. wie Plin. n. h. 21, 47 auch inschriftlich: Anth. 1. ep. 492^
23 flore amaranthi (in derselben Clausula richtig ebd. 1184, 14) und Orelli
5117; ebenso in den Eigennamen C I. XIV, 1185 IV. Julius Ämaranthus {Beme^
freigelassene heifst lunia Anthis!), 'Andgav&og bei Brunn, Gesch. der griech.
Künstler II, 600. Die falsche Schreibung hat sich bekanntlich bis heute
erhalten und prangt als Titel auf einer bekannten Dichtung von Oskar
V. Redwitz. Vgl. auch Amianthus und Ämaranthus bei De Vit, Onom.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 89
IV, 21, 29 arvas : agros n. ö., Isid. or. 14, 1, 1. Anecd. Helv.
CCXCI, 13), cinffula (GL, Isid. 20, 16, 4. Beda p. 266, 30), laiibulae
(nach Analogie von latebrae), retioula (Charis. p. 61, 19 verworfen).
Dafs hier zum Teil Pluralia vorliegen, ist unwahrscheinlich.
Über cichoria s. S. 57, funictila S. 67, veltraga S. 60. 2. Dekl.
statt 1.: amygdalum (Gl.), cavernum (Gl. II, 460, 55. III, 440, 42),
*damtis (Gl. HI, 431, 30 dammiis) und ^damidus (III, 513, 51
dämm,), praestigium (Gl. fast stets). Über indicivum, viciumy scutrumy
lacinium, caniculus s. oben S. 57. 2. Dekl. statt 3.: coniallium
(Plural convaUia bei Ge. mehrfach belegt), ilium (GL, Pelag. 83.
Isid. 4, 7, 29. Rose zu Cass. Fei. 241), pra^sepium (GL), duplamum
i^Inschr. bei Ge., verworfen von Caper p. 109, 8, halblatinisiertes
diplomum in Glossen), ossum (GL, Rose im Ind. zu Cass. Fei., roma-
nisch). 2. Dekl. statt 4.: comum (GL), tonitnim (GL), gefiuum
(vgL comuutn und tonitruum bei Ge. Wtf.). 2. DekL statt 5.:
superfiäum (GL 11,465,6 u. ö., SchoL luv. 10, 136). 3. DekL
statt 1.: brax für braca (Ed. DiocL, GL III, 208, 60 braces PL,
den Caper 108, 10 und Auct. dub. nom. p. 572, 11 verwerfen, GL
Hesych. ßQoixsg' dval^vQCdsg). Über tramen für trama s. oben S. 58.
3. Dekl. statt 2.: *calamistre, cicendile j^s. Ge. Lex., GL IV, 108,
34 PL cicindelia), cardonis (auch romanisch cardOy -onis für car-
dus: s. Wölfflin Arch. IX, 6. 297 und die Glossen). 5. DekL
statt 1.: maceries (Serv. Aen. 2, 469, Glossen) und vielleicht in-
sanies 74, 10 (hinter sanies).
Von griechischen Wörtern findet sich attagena mit der
lat. Endung der 1. Dekl. versehen, wie der Nom. auch in den
Glossen lautet, dagegen congrus (nicht conger), wie Prise, und Charis.
verlangen und bei Isid. 12, (>, 44 steht (blofse Konj. von Lach-
mann bei LuciL 137), während die Glossen beide Nom. geben.
Adjectiva: sinceris 82, 98 (keine Endung im Notenbild), spät
und von Charis. verworfen, s. Ge. Wtf., die Glossen, Anth. c. 33,
Roensch It. 274. inbeallis 68, 66, zu aUen Zeiten üblich, veter
54, 25* hinter vetus, archaisch. Der Superl. lautet facdissimtis
30, 53 wie C. Gl. 11, 317, 54, getadelt von Beda p. 273, 23, zweifel-
haft bei Varr. r. r. 1, 39, 1, desgl. difficilissimus, humilissimus (Ps.
Cypr. bei Ge., Gloss. s. v. obnixius u. infimus), gracilissimus (cf.
Beda p. 274, 9). Altertümlich könnte pidcrimus 70, 75 scheinen,
VgL clarimus, purimus, ipsimus u. a. „Sprache des Petr." S. 15,
doch machen Schreibungen wie acerimus 54, 64, asperimiis ebd. 75
bedenklich.
90 W. Heraeus:
Lautlehre: Kontraktion liegt vor in acrama u. -maticus 106,
77 f., das bei Prudent. durch das Metrum gesichert ist (anderes s
„Spr. des Petron." S. 48). Vokaleinschub in arhiterium 31, 34
(hinter arbitrium), worüber s. Ge. Wtf., Anth. lat. ep. 245 und
C. Gl. VI s. V., scerhilit4i 109, 25 = scribliia („Spr. des Petr." S. 5),
solistitium 68, 87 (s. Ge. Wtf., Glossen). Unterlassung der Syn-
kope: nomenculator 21, HO („Spr. des Petr." S. 47), aprugifieus 108,
28 für aprugn(e)us {aprugineis dentibus Sol. 32, 30 in 2 Hdschr.;
vgl. ahiegineus und ahiegneus in Inschr. und sonst bei Ge. Wtf.,
Hyg. fab. p. 77, 2 Schm. aprineiis st. aprinus). Sonstiges: Saginr
tinum 98, 20 = Sagunt, womit man die merkwürdige Notiz des
Consent, p. 398, 5 vergleiche; massipiarius 48, 60 nach griech.
liagöiTC, (Varr. r. r. 3, 17, 2 ma^sipium), murio = mono 62, 12
(Glossen und Schol. luv. 1, 35), siibrius 81, 53*) (Le Blant I.
G. 471, Hdschr. bei Schuch. 11, 113; suber: App. Pr. Arch. XI,
306) xmd die bekannten Schreibungen nepuSy castus , camptis
u. ä.; cimentum 51, 37 (Glossen), dustmm 50, 90 (Gloss.), par-
gamina 76, 25 = pergamena (pargium in Glossen s. v. aluta, frz.
parchemin, s. Du C). Assimilation: dossum 96, 32 (hinter dor-
sum) nach der von Vel. Long. 79, 4 gerügten Aussprache, über-
liefert auch Varr. r. r. 2, 10, 5 (ebd. dossuaria), Chir. mulomed.
Arch. X, 421, oft in Glossen, wie 11, 333, 39. 377, 45, romanisch;
ähnlich massipiarius, s. o. Dissimilation: ad'tnentum 51, 35 fttr
ammentum (dies bessere Schreibung als amentum), wie oft in
Glossen, s. Loewe Prodr. 368 und C. Gl. VE s. v. Eonsonanten-
verdoppelimg: sepellit 58, 63, vielleicht nach der von Diomed.
p. 371, 1 erwähnten Ableitimg von pellis (vgl. auch den Namen
des Totengräbers vespillio, bez. vespilio), wie C. I. VIII, 4373
sepellitiis, XI, 2089 sepelliri (christl.), C Gl. HI, 75, 33. IV, 314,
56 u. ö.; ferruncius 95, 5, auch in guten Hdschr. xmd afrik. Inschr.,
s. Buecheler Rh. M. 46, 236, nach dem es aus der alten Form
ters = ter zu erklären ist, doch ist es vielleicht eher der ge-
schärften Aussprache zur Last zu legen, da sich auch Terrentius
u. ä. in Hdschr. findet, z. B. Not. Tir. 118, 75. C. Gl. V, 190,5.
205, 42 u. a. terrumius Gl. IV, 415, 3. V, 308, 3 u. ö.). Aus- u.
*) Das folgende prope subriiis vor suhrinus hat den Erklärem Schwierig-
keiten bereitet. So denkt Kopp an prope sohrius oder plane sobrius. Mir
ist es nicht zweifelhaft, dafs hier der Verwandtschaftsgrad propius stibrino
Fest. p. 230**, 31, propior s. Big. 38, 10, 10, 16, propius sobriniis Inc. auct.
de grad. cogn. bei Huschke, lorispr. anteiust. p. 609* spukt.
Beiträge zu den Tironischen Noten. 91
Abfall Ton Konsonanten: ohsetrix 24, 47 (s. zur App. Prob. Arch.
XI, 325), faonius 110, 69 (C. 61. HI, 426, 51. V, 361, 49 cod. Ep.;
Aeth. Ist. c. 83, wie failla App. Prob. u. ä.), umgekehrt hobarium
56, 87 = bovar., bez. boar. (hob. Jordan Top. I, 2 p. 474 A., bov,
Ge. Wtf., Liv. 27, 37, 15. 29, 37, 2 cod. Put., Prop. 4, 9, 19, Fest.
p. 314, 32 Thewr. cod. Farn. u. a.), capisterium 110, 65* = sca-
p(h)ist. (Col. 2, 9, 10 codd., Ahd. Gl. III, 333 capisterium: tnolr
iera)y tesina = tisana 68, 34 = ptisana (Ge. Wtf., Gl. s. y., Arch.
X, 201. Ihm zu Pelagon. p. 24 u. a.. Gl. V, 586, 6 tisana scribitur
sinep,). Konsonanteneinschub: grugis 111,31 (Nom., s.o., CGI.
IV, 599, 19 gnis: grties vel grugis), trugila 101, 67 = truella, letzteres
aus den Dig. belegt, frz. triielle (ygl. rpvi^'A^g?). Volksetymologische
Umgestaltungen: apoleterium 114, 30 = aj^orfy^., an a7tokv(o ange-
lehnt? C. Gl. IV, 207, 19 u. ö. apoliierium oder apoleterium^ gau-
napum 97, 5 hinter gausapum (Schm. unnötig gaunaaim, das
Notenbild: GNum; es liegt Verquickung der Synonyma gau^ia-
cum und gausapum vor, Tgl. Isid. 19,26,2 galnapis und Du C.
8. V., „Spr. des Petr.^* S. 16A. 2), duplomum 76, 50 für diploma
(duploma und -um tadelt Caper p. 109, 8; vgl. dupondium), pro-
muscis 108, 24 = proboscis (s. Ge. Wtf, Gl. s. v., Ep. Alex. p. 206,
10. Anlehnung an TtQOfivxryJQ oder an das dem ital. musello, franz.
museau „Schnauze" zu Grunde liegende Wort?), cambarus 113, 8
= cam(m)arus (Caper p. 108, 13 verworfen; Gl. II, 338, 56 xapCg
gabbarus, Scilla, romanisch gambarus (Arch. II, 433. VI, 390), mora-
tum 105, 20* unter Gerichten = moretum (vgl. Du C. und afra-
tum bei Anthim.). Über incaustum u. ä. s. o. S. 59.
Adverbia: Von der Liste Arch. IX, 245 sind abzusetzen:
alode 51, 93*, das S. 51 als das german. Wort erklärt ist, und
pixies 95, 1, das nach Schm. Plural des vorhergehenden ^;ia;/5
(pyxis) ist; adquin 2, 37 hinter alioquin natürlich = atquin (s. Ge.
Wtf. und den Tadel Capers p. 96, 3). Femer scheinen fingiert:
adtaxat 89, 24* (hinter taxat, dumt.) nach dem vorhergehenden
temptai, adtemptat, dum temptat; desgl. praeterim 1, 37* hinter
inter, praeter, Interim; reinde 20, 7P, während praeinde 20, 71*
vulgär für proinde sein mag. Verdächtig ist auch multisper 24,
98*. Merkwürdig ist minopere 25, 26*, nach magnopere verkürzt
aus minifnopere? (summopere 21, 9* nur bei Cic. inv. 26 und C. Gl.
IV, 289, 16). Zusammengezogenes tantocius 5, 32 erscheint sonst
nur in den Glossen V, 156, 5 tantocius: tanio velocius, vgl. Ter.
Eun. ()()9 tanto^ocius] das dahinter eingeschobene quantocius in
92 W. Heraeus:
Ge. Lex. dreimal spät belegt, dazu Itin. Alex. p. 11, 6 V., Lucifer
p. 319, 10, Vulg. Gen. 45, 19 und die Glossen). Fossecus 51, 87,
in der Form postseais aus Isidor belegt, von Caper p. 99, 23
getadelt (metrisch lautete die Anweisung etwa: pone loci, post
teniporis est, sed postsectis nil est), ist häufig in den bilinguen
Glossen*), z. B. 11, 154, 49. 306, 33. 346, 27, mit Smöf^ev, i^tena^
XoLn6v erklärt. Neu sind zwei Bildungen auf -im: contempUüim
82, 12 und normatim 72, 72* die zu den Arch. VIQ, 41 gesammel-
ten hinzuzufügen (auch die Glossen bieten vieles Neue: conflatim
IV, 322, 9, compendiatim und angustiatim V, 351, 20 u. a.).
Möglicherweise verdorben ist den 67, 61 samt dem Notenbild, das
nur DN zeigt; man könnte an Zusammenhang mit dem Zahl-
wort deni denken (anders Schmitz, Festschr. Trierer Phil. S. 65).
Das ebd. 67, 67 hinter ecce, en, eni begegnende enec(c)em oder
enecce wird von Kopp, der die Note in die Elemente Ec(x)em
auflöst, als ecce autem gedeutet, dem Schmitz später zugestimmt
hat, während er früher a. a. 0. en ecce erklärte (E N (x) C). Viel-
leicht liegt aber das eccere der Komödie vor, wofür in den Glossen
auch eccerem erscheint. Etiamum 1, 61* ist sicher mit Ruefs a. a. 0.
245 etianitum zu lesen. Satim 20, 80 hinter satis, wie Not. Bern.
68, 67, wo Schmitz fragt: ^satin^?, scheint vulgäre Form, nach
aff'atim gemacht, s. Loewe Prodr. 348, wo eine Leidener Glosse
satim: sufficit vel sati^ est angeführt und die häufigere Glosse
adfatim: statim, abundanter danach korrigiert wird, wozu ich be-
merke, dafs auch Albin. C. Gr. VII, 297, 17 affatim per duo f id
est statim vel satis sagt. — Sonst bemerkenswert ist u. a. ante-
meridie und postfneridie 44, 74 f., was nicht in ante und post
meridiem zu ändern war, obwohl bei Charis. p. 187, 34 pridie,
postridi^y antemeridiem, postmeridiem, aber vielleicht fälschlich
überliefert ist. Denn auch bei Fronto p. 31 N. hat der Palimpsest
exhn antemeridie apriaim und p. 68 inde ^wstmeridie domum rece-
pimtis, wo Naber ändert, C. Gl. III, 295, 40 posbyteridie deUrj^
Act. fr. Arv. CCXXV post meridie, CCIII promeridie (= pom.T)
Vulgär für postridie war postpridie: Not. Tir. 44, 66 wie bei Greg.
Tur. (= cras s. Bonnet p. 480), C. Gl. IV, 146, 35 mit altera die
*) Diese geben auch das Gegenstück antisecus ^itngoad'sv ü, 296, 51.
ni, 489, 49, longisecus n6QQa}^sv 11, 414, 6, anio&sv 243, 31, insecus slg
iyyvg 86, 47. Circutnsecus nur bei Apul., altrinsecus arcb. und spJltl., extrinsecus
seit Cic, forhisecits seit Col., intrinsecus seit Augustus' Zeit, utrimque secus
Lucil. u. sp. , undique secm nur bei Solinus. "^^
Beiträge zu den Tironischen Noten. 93
erklart, 378, 39 mit hodie wegen pridie, V, 235, 8 mit t^io die,
d, i. postridie (wie V, 134, 43 richtig) fälschlich als pos-tri-die
erklart; auch bei Charis. a. a. 0. hat der cod. Neap. die Form.
Vulgär ist auch cuiuscetnodi 4, 11 (für cuiusqtie modi), das sich
nicht nur in den Hdschr. von Apul. met. wiederholt findet, s. v. d.
Vliet Arch. X, 386, sondern auch im Palimpsest des Fronto
p. 161, in Glossen V, 283, 16 cuiusceniodi: qualicmnque u. a., bei
Dictys p. 36, 4 und 83, 15, während p. 28, 30 in demselben Sinne
huiuscemodi überliefert ist, wie auch an einigen Apuleius-Stellen.
Umgekehrt huixisque niodi u. ä. in Inschriften, selbst in republ., und
in Hdschr. (z. B. Gl. IV, 349, 55), wie denn auch die Bemerkung
des Mar. Vict. C. Gr. VE p. 16, 1 et huiusce et cuiusque rede scri-
buntur, sed suo loco utraque auf vulgäre Verwechslung weist, desgL
Cassiod. C. Gr. VU, 156, 8 huiusce per c litteram scnbendum est
etc., 207, 4 cuiusque non per c scrihitur etc.
Offenbach a/M. Wilhelm Heraeus.
Tatarehas.
Hygin fab. 14 (p. 49 Schm.) erzählt, wie die verschiedenen
Schiffsämter unter die Helden der Arge verteilt waren. Tiphys war
gubernator, Lynceus proreta, tuiarcld autem fuerunt Zetes et Calais
Aqtiüonis filii etc. In futarchi erblicken die Erklarer seit Tumebus
eine Korruptel aus foecharchi xolictqxoi^ Aufseher über die Ruder-
knechte an den Seiten des Schiffes, welche allerdings wegen der Zwei-
zahl der Namen sehr passend sind. Die Überlieferung tutarcki wird
aber durch zwei von einander unabhängige Zeugnisse der Glossen be-
stätigt, bei denen obendrein eine Beziehung auf Hygin ausgeschlossen
ist. In den Hermeneumata Monacensia C. Gl. III, 205, 38 unter der
Rubrik Me navigatione' liest man hinter nauclerus und gubernator:
öhaQxog Marcus (v. 1. tutartus), C. Gl. V, 582, 14 tutarchus: rcctor
navis. Die letztere Erklärung pafst offenbar nicht auf die Hygin-
stelle und beruht vielleicht auf einer Verwechslung mit trierarchus,
oder, wie die Glossen vulgär vielfach schreiben, iriarchus. Aber auch
die Erklärung clxctQypg „Proviantmeister" würde zu tutarchus, wenn
es aus ioecharctius volkstümlich verdorben wäre, nicht stimmen. Sie
sieht eher danach aus, als ob tutarciis als abnorme Komposition von
tutari^ bez. ftim, und arca verstanden ist, wie denn <Si,xaq%la (von
ctxog und iSi^xico) im Spätlatein sitarcia für „Proviantkiste" gebraucht
wird. Vielleicht weifs ein andrer, die Verwirrung zu lösen.
Offenbach a/M. W. Heraeus.
94 Alfred Klotz: Angulus.
Angulns.
Über die Etymologie von angulus scheint noch keine Einhellig-
keit erzielt worden zu sein. Die Ansichten der alten Grammatiker
sind folgende: Varro ling. 6, 41 qua agi vix potest, hinc angiportum
(cf. 5, 145). qua nil potest agi, hinc angulus <^vel^ quod in eo locus angu-
stissimus, cuius loci is angulus. Paul. Fest. p. 11 M. angulus a Graeco
ayKvXov venit sive ab eo quod est iyyvg^ id est prope. Die letzte
Erklärung können wir ruhig beiseite lassen. Die erste verrianische
Deutung bringt das Wort mit ccyKvlog und so wohl auch mit dem
lateinischen ancus zusammen. Sie hat neuerdings u. a. an Sabbadini
(Rivista di filol. 1900, 78) einen Verteidiger gefunden. Die Geschichte
des Wortes zeigt, dafs diese Etymologie falsch ist, sie giebt Varro
recht. In der That gehört angulus zu angustus, ango u. s. w. Die
verrianische Erklärung geht von der Bedeutung angulus = ytovla
„Ecke" aus. Dies ist die jüngere und abgeleitete Bedeutung. Bei
Plautus und Terenz bezeichnet angulus den Winkel im Hause, f4V%6g:
cf. Plaut. Aul. 437. 557. Persa 630. Ter. Ad. 785 interea in angu-
lum aliquo abeam atque edormiscam hoc villi. Bei Cato agr. 98
ist von fundus arcae atque anguli die Hede: also liegt dieselbe Be-
deutung zu Grunde. Übertragen bedeutet angulus dann eine entlegene
Gegend, so häufig von Cic. Verr. 3, 193 an (cf. studiorum angulus
Cic. Caecin. 84).
In anderer Bedeutung finden wir angulus bei Cato (Char. gramm.
n 207) ultra angulum Gallicum ad Bliberim adque Ruscinonem de-
ferimur. Auch hier betrachtete man den Winkel von innen, d. h. vom
Meere aus, cf. Suet. (p. 243, 4 Reiff.) sinus maiores recessus maris
dicuntur, ut Caspius Arabiens Indiens, minores autem anguli, ut Pae-
stanus Amyclanus et ceteri similes.
Die mathematische Bedeutung des Winkels findet sich zuerst bei
Cato agr. 14, 1, wo quadratisch behauene Steine als Material fOr
Pfeiler empfohlen werden: pilas ex lapide angulari faciat. Diese Stelle
lehrt zugleich, dafs Cato noch nicht angulus als /cov/a, äufsere Ecke,
kannte: dafür ist später lapis angularis der übliche Ausdruck. Nicht
deutlich zu erkennen ist die Bedeutung Rhet. Her. 3, 16, 29. Die
mathematische Bedeutung scheint den Übergang gebildet zu haben
vom innem zimi äufsem Winkel. Sie liegt schon bei Cato (agr. 14, 1)
vor und findet sich häufig von Cic. nat. deor. 2, 125, Tusc. 1, 40 an.
Als äufsere Ecke tritt angulus zuerst bei Varro ling. 5, 26 auf,
wo jedoch vielleicht die Bedeutung sinus noch durchschinmiert: hinc
ad villas rotunda stagna, quod rotundum facillime continet, anguli
maxume laborant.
Wir sehen also: die etymologische Deutimg des Wortes hat aus-
zugehen von der Bedeutimg ^v%6q. Daraus ergiebt sich, dafs die
varronische Erklänmg das Wort richtig aufgefafst hat.
München. Alfred Klotz.
Lexikalische Bemerkungen zu Apuleius.
Ich hebe aus den Schriften des Apuleius einige Stellen her-
aus ^ an denen ich AnlaTs zu Bemerkungen finde wie sie den
Zwecken des Archivs entsprechen mögen.
Metam. U 15. Lucius hat an der Mahlzeit seiner Wirte teil-
genommen und sich für die Nacht beurlaubt: — cubicidiim meum
contendo atque illic deprehendo epidarum dispositiones satis concinnas.
grabatttdum meum astitit niensula cenae totüis*) honestas
reliquias tolerans et calices boni (bini Lipsius) iam infuso latice
seniipleni, solam ieniperiem sustinenks, et lagoena iuxta orificio
caesim deascento patescens, facilis haiiritu: prorsus gladiatoriae
veneria antecenia. Die Becher sind halbgefüllt, und zwar mit
Wein (denn Fotis giefst nachher Wasser zu), sie ^vertragen nur
Mischung', sind nur bestimmt, den gemischten Trank (und zwar
töov töG)) zu fassen**). Daneben steht die Weinflasche, facilis
hauritu, d. h. der Wein kann ungemischt gleich aus der Flasche
getrunken werden***); die Ingoena ist, Ton Fotis zu diesem Zwecke
hergerichtet, orificio caesim deascento patescens. Alte Konjekturen
sind cessim und sensimy die gewöhnliche Korrektur des Parti-
cipiums dehiscente. Es ist natürlich Ton caesim auszugehen. Die
lagoena ist enghalsigf); um bequem aus ihr trinken zu können,
*) totius ist kaum verständlich; die reliquiae der cena concimiaiicia
Milos (c. 11) sind es nicht, sondern die axniola, die Byrrhaena mit dem
Wein zusammen geschickt hat (c. 11 in.). Ich vermute lotioris.
^ Oudendorp versteht expectantes, wie er auch XI 21 caehsU sustinere
praeceptum erklärt, aber mit Unrecht. — Bei Lukian steht auf dem Tische
ein Becher, Wein, kaltes und warmes Wasser.
••*) In dem Citat aus Lynkeus bei Athen. XI 499*' scheint auch der
Xdyvvog als norrigiov zu dienen.
t) A. P. V 134 ^ucKQOtgdxriXe j ifipavxriv, atuvm (p^eyyoiiivri at6iutti^
VI 248 atuvavxriVf vgl. Fuchs und Storch Phaedr. 27. Columella freilich
(Xn 45, 2) wählt eine lagoena nova quae sit patentimmi ort» zum Einlegen
von Äpfeln.
96 Friedrich Leo:
hat man mit der ascia den oberen Teil des Halses abgeschlagen
und die Offiiimg zum Ansetzen zurechtgestutzt: orificio caesim
deasceato. Ein Terrakottagefäfs verträgt diese Operation. Pru-
dent. peristeph. 10, 381 deasciato supjilicare stipiti. Aus der-
selben Bedeutung (zurechthauen, nicht abhauen, vgl. deddlare) ist
schon die Metapher bei Plautus Mil. 884 hervorgegangen: mües
quem ad modum potis sit deascinri, wie an anderen Stellen de-
rmicinare.
II 24; Thelyphron hat sich der Gattin des Verstorbenen
gegenüber zur Totenwache verpflichtet, sie plcidto consurrexit*)
et ad aliud me cuhicidum indudt ihi corpus splendentihus linteis
coojyertum introdudis quihusdam Septem tesühus manu revelat et
diuiine usti perfleto obtestata fidem praesentium singvda demonstrat
anxie. Keiner der Versuche, das korrupte usu perfleto aufs Reine
zu bringen (usu perflefa, visu perfleto, diutino nisu prae fletu\
genügt der Anschaulichkeit des Moments. In Thränen und Trauer
safs sie auch bisher (c. 23); der neue Ausbruch muTs zu dem
eben enthüllten Leichnam in Beziehung gesetzt werden. Die Kor-
ruptel ist nur durch falsche Worttrennung entstanden: diuiine
superfleto. Sie wirft sich über den toten Gatten und ^nach
einem langen Weinen über ihm' redet sie die Zeugen an. Dieser
unpersönliche Ablativus absolutus ist Apuleius geläufig, wie im
Anfange si^ placito. Columella IV 24, 16 hat superlacrimare.
VIII 21 nee tdlum usquam miserrimum senem comparere iUum.
Die Handschrift hat miserinum, Hildebrand (der tdlum — iUum
richtig erklart) sagt, er habe miserinum nicht aufgenommen, ob-
wohl neque per analogiam nee per sententiam hoc vocahxdum possit
improhari. Seitdem ist das Wort erschienen in der freilich bar-
barisch geschriebenen und versificierten Inschrift carm. epigr.
lat. 1826 V. 2 mater cdbo (= camim nach Mommsens, Eigenname
oder verschrieben für caro nach Büchelers Ansicht) fecit <^l^iu
minserino und danach von Bücheier (in der Anmerkung) nach-
gewiesen im Verse (540 L.) des Lucilius ardum, miserinum (so
F^H^Py miserrimum vulg.) atque infelix lignum, sahiicum vocant
Die Bildung wie maiorinus, caelestinm u. a.
XI 18. Die Angehörigen und Sklaven begrüfsen den Wieder-
gefundenen: repentino laetati gaudio varie quisque munerabundi ad
*) überliefert ist ocin surrexity korrigiert ociter und ocius in Hand-
schriften, ocin ist durch Korrektur entstanden (o über t geschrieben).
Lexikalische Bemerkungen zu Apuleius. 97
meum fesHnant üico diumum reducouque ab inferis conspectum*)
quorum desperata ipse etiam facie recrecUiis ohlationes honestas aequi
honique fado, quippe c m mihi familiäres, qtioad cidtum sumptum-
que Uirffiter sticeederety deferre prospicue curassent Stewechs Emen-
dation des letzten Zwischensatzes qiiod ad — suppeteret giebt den
Sinn, aber die Überlieferung führt mit Sicherheit auf ein anderes
Wort: quod cviUim sumptivmqm largiter suggereret, um so sicherer,
als in F von erster Hand stieeerderet stand: r war zur Korrektur
Ton d übergeschrieben worden. Die Verschreibung erklärt sich
aus Kapitalschrift. Der Wortgebrauch ist nicht selten, erinnert
aber direkt an Ter. Ad. 62 cur tu his rebus sumptum suggeris? **)
Flor. 3. Hyagnis fuü, wt fando a>ccepimus, Mars^jae tibieinis
pater et magistety rudibus adhm musicae saeailis solus ante alias
cc^kis (cantus cod.) ca/nere, nondum qiiidem tarn infexa anima sono
nee tarn piuriformi modo nee tarn multiforatili tibia: quippe ad-
h%ic ars ista repertu novo commodum oriebatur. Nachdem bereits
Lipsius und Scaliger die Stelle richtig behandelt hatten, ist
Oudendorp nach Colvius' Vorgange dazu zurückgekehrt, anima
vom Hauch des Blasenden zu verstehen und demgemäfs das kor-
rupte infexa anima als zwei Wörter, wie sie in der Handschrift
stehen, aufzufassen (inffexae animae); Krüger ist ihm darin ge-
folgt (inflexo animae) und diesem neuerdings van der Vliet. Der
gleichmälsige Bau der Glieder lehrt aber unwidersprechlich, dafs
zwischen tarn und sono nur ein Epitheton, wie piuriformi und
mulHforatUi stehen kann, und ebenso deutlich lehrt die Über-
lieferung, dafs es ein zusammengesetztes wie diese war, d. h. (wie
Lipsius hergestellt hat) flexanimo. Es ist ein von Pacuvius
(zweimal erhalten: v. 177. 422) und CatuU (64, 330, wo auch
fiexo animo überliefert ist) gebrauchtes Wort, das auch Marcianus
Capella wieder aufgenommen hat, es auf die Musik anwendend
wie Apuleius: IX 90(5 Oiphetts AmpJiioti Arionque — flexanimum
*) Sie eilen, 'ihn im Lichte des Tages zu sehen', den sie bei den
Toten glaabten. Diese Umbiegung der Bedeutung von diurnus^ wie durch
eine neue Herleitang vom Grundworte (vgl. sub rfm), ist ganz in der Weise
des Apuleius. Sie wird durch red'kicemqne ab inferis gleichsam erläutert,
daher die kühne Verbindung reducem ab inferis conspectum (vgl. Rohde,
Rhein. Mus. 40, 107).
**) Lucius fahrt fort: adfatis itaque ex officio singulis narratisque weis
pro et prisiinis aerumnis et praesentibus gaudiis me rursum ad deae — refero
Cfmspectum, Weder propere nach probe scheint der (statt pro) erforderte
Begriff zu sein, sondern ^creybro
Archiv für lat. Lexikogr. XU. Heft 1. 1
98 Friedrich Leo:
pariter edidere cmcmtum. Nur das in von infexa bedarf der Er-
klärung (damit nicht wieder einer auf inflexanimo verfalle): tarn
inflexa anima ist entstanden aus tanieti flexanimo] denn die Hand-
schrift bietet auch tarnen plurifarmi und tanien muHiforatili, also
dreimal aus einem nicht zu bestimmenden Orunde tarnen statt
tarn*)
Die Gleichförmigkeit der Kola ist in den Stücken der Florida
wohl noch strenger durchgeführt als in Metamorphosen, Apo-
logie und de deo Socratis (de Piatone und de mundo kommen
hierfür nicht in Betracht); es genügt, auf c. 6 in., 7 (p.l53, 12 sq. V.),
13 ext. zu verweisen. Es kann darum auch in dem Abschnitt
über Philemon (c. 16) nicht richtig hergestellt sein: reperias tarnen
apud ipsum multos sales, argumenta lepide inflexa ac nodos lucide
expli<^toSy persona s rebus conipetenteSt sentemtias vitae cangnientes,
ioca non infra soccum, seria fion tisque ad cothumum, denn ac
nodos stört das Gleichmafs der asyndetischen Reihe. Überliefert
ist: argumetita lepide inflexa, adgnatos lucide explicatos. In ad-
gnatos mufs ein Nomen liegen, das mit arffumentay personaey senr
teniiae in gleiche Sphäre gehört, also nicht agnitus (Casaubonus).
nodos, errores wäre an sich passend**), doch steht der Begriff den
argumenta zu nahe; passender narratioties, Erzählungen, ein so
wichtiger Gegenstand der dramatischen und rhetorischen Technik;
für Philemon denke man an Merc. 40 — 106 Trin. 149 — 186 Most.
484 — 504. Ich vermute, dafs Apuleius geschrieben hat narratus
lucide eocpHicatos. Das Wort hat er (nach Ovid) Metam. IX 30
reprehendens narratum tneum. Wie passend der Ausdruck ist,
möge die Stelle zeigen, die er vielleicht im Sinne hatte: Cicero
orat. 124 narrationes credibHes nee historico sed prope cottidiano
sermofie explicatae dilucide. Auch den unmittelbar folgenden Satz
hat Apuleius schwerlich geschrieben wie er überliefert ist: rarae
apud illum corruptdae et, uti errores, concessi amores, sondern rarae
apud illum corruptdae, tuti errores, concessi amores.***)
*) Dreifaches tarn Apol. 9: quis umquam fando audivit tarn simHem
suspieionem, tarn aptam coniecturam, tarn proxumum argumefttum. Krügers
<^veriy simileni., von van der Vliet aufgenommen, ist als Doppelwort bedenk-
lich, similem scheint durch prtfximum, das häufiger absolut gebraucht wird,
gestützt zu sein, suasibilem {ni^avrjvjf
**) Diomed. p. 489 (c. 9, 4 p. 58 Eaibel) argumenta muliiplicia gratis
erroribus secuti sunt (Menander Diphilus Philemon),
***) Die Emendation der Worte Flor. 9 meum vero unumquodque dictttm
cariter examinutis, sedulo pensiculatis , ad limam et lineam certam redigiüs.
Lexikalische Bemerkungen zu Apnleius. 99
Flor. 6 ist das Wort adcognofnen überliefert und es anzn-
erkennen von Rohde (Rhein. Mus. 40, 110) empfohlen worden.
Aber in dem Satze: est apud ülos gentiSy qui nihil amplitis quam
hibulcitare novere, idque adcognomen Ulis bubulcis inditiim ist idque
nicht verständlich; es lag nahe, ideoque, indegue, inde adeo, ideoque
adeo zn vermuten; idque adpwmen (so van der Vliet, der ad-
cognomen aus der über ad gesetzten Variante co erklärt) löst
diese Schwierigkeit nicht. Die, wie mir scheint, richtige Lösung
beseitigt auch das schlechtgebildete neue Wort: überliefert war
adque cognomen, verschrieben idqtiey dies durch übergeschriebenes
ad korrigiert. Der Vorgang ist im Florentinus häufig zu beob-
achten; in den Florida z. B. c. 9 (155, 3 V.) nihil \non\ quicquam,
(159, 8) dum mofdojderationem; in den gleichfalls auf eine Hand-
schrift zurückgehenden philosophischen Schriften: de deo Soor,
p. 2, 19 G. ex[op]timas oras, 3, 29 id [hoc] saltem (richtig van der
Vliet p. 193, 20), 6, 13 pro situ et flexu et obstituftoj circulorum,
denn hier giebt die gleichförmige Wortreihe ohstitu an die
Hand, nicht obstito (abstituto die Hdss.); spreto statt spretu, com-
municaio statt communicatu findet sich p. 7, 9; 8, 25. Aus anderem
Anlafs ein ähnlicher Vorgang hat Flor. 18 (184, 5 V.) zu der
Schreibung geführt: eius dei hymnum graeco et latino carmine vobis
hfc canam iam Uli a me dedicatum, entstanden aus vobis etiam
canam Uli a me dedicatum.
L. Havet hat in dieser Zeitschrift XI 579 darauf hingewiesen,
dafs in der plautinischen Überlieferung die Wendungen ^mdto
tanta miserioTy multo ianta plus und amplius aufs sicherste be-
zeugt sind, durch Ambrosianus und Palatini Rud. 521 und Stich.
339, durch die Palatini Men. 800 (wo der Ambrosianus fehlt),
während Men. 680 bis tanta pliiris nur in B^ steht und Bacch.
310 mtdto tanto carior und Fers. 153 ter tanto peior überliefert
ist. Auch bei Cicero in Verr. 3, 225 hat Havet aus dem vati-
kanischen Palimpsest die Schreibung quifiquies tanta amplius, gegen
tanto der übrigen Handschriften, nachgewiesen und mit Recht ge-
cwn tomo et cothurno ventm cotnparatis wird gleichfalls durch die Äqna-
bilität der Glieder an die Hand gegeben: wie ad limatn et lineatn certatn
80 cum torno et cothurno vero. Der tonius ist verus als die regelrechte
Form vorzeichnendes Werkzeug, der wahre tragische Stil würde durch die
Yergleichung den falschen nachweisen.
100 Friedrich Leo:
schlössen, dafs das ursprünglichere tanta durch das geläufigere
tanto an diesen und anderen Stellen verdrängt worden ist.
An die Archaisten hat Havet bereits erinnert. Bei Oellius
findet sich IV 9, 14 muÜo ta/nto laudatiora*), XU 2, 14 muUo tanto
magis ohne eine Spur von tanta. Dagegen bei Apuleius ist durch-
weg tanta überliefert. Hildebrand hat zu VU 15 und X 21 dar-
auf aufmerksam gemacht^ aber mit der Überlieferung so wenig
anzufangen gewulst wie ich Plaut. Forsch. 12 mit der plauti-
nischen. Die Stellen sind folgende: Metam. YU 15 {quod) multo
ta/nta pluribus beneficiis Iwnestarer, wo tanta aus F bei Ejisen-
hardt richtig angegeben ist; X 21 muUo tanta hnpensius [cura]
etiam na/res perfundit meas (es wird nun deutlich, dafs cura w^^en
tanta hinzugefügt worden ist); Apol. 3 muUo tanta ex animo la-
borat^ (tanta bezeugt van der Vliet; (ante F tanta qp hatte
Krüger angegeben); 42 multo tanta vanitis et nequius excogitaium
(auch hier erst bei van der Vliet die richtige Angabe)***); Flor. 18
(p. 182, 22 V.) cui scüi<^ niuUo tanta praestat iUa altera fnerces,
quam Thalem menwrant suasisse; de deo Soor. 11 (p. 14^ 16 G.)
quod si nubes sublime volitant, quibus amnis et exortus est terrenus
et retro deftuxus in terras, quid tandem censes daemonum corpora,
quae sunt concreta multo tanta subtilior<^e element^y?f) Es ist
stets die Formel multo tanta mit folgendem Komparativ oder
Komparativbegriff; dagegen z. B. muJto disertius (Apol. p. 111,20 V.),
tanto cupidior (Metam. 119, 4), nimio plus (Apol. 121, 23) u. s. w.
Die Übereinstimmung der Überlieferung in sich und mit der
plautinischen läfst dem Zweifel an der Richtigkeit der Form
keinen Kaum.
Nur um die Erklärung der Form imd des Ausdrucks kann
*) Gronov zur Stelle und Oudendorp zu den Metamorphosen werden
überall citiert, bringen aber nichts Wesentliches; auch Hand Turs. m 666
nicht.
**) Hier fehlt magis^ wie oft, vgl. Oudendorp und Hildebrand zu Flor.
16, de mundo 9. So Apol. 48 (62, 27 V.) id vero mtdto arduum et dif-
ficile est.
***) Anders ist Apol. 89 dimidio tanta mettiiris, falsa audes sesquialtera^
wo Oudendorp tanto schreiben wollte nach Plaut. Amph. 943 Merc. 297;
tanta steht dort wie mit Kardinalzahlen Bacch. 1034 sescenta tanta reddam,
Fronto p. 91 N. decem tanta te amo. Vgl. Wölfflin zu Bell. Afr. 19 p. 34, 6.
t) Oudendorp hat /i/o, Groldbacher substantia ergänzt, Mercier u. a.
haben geschrieben quae sunt cancretu m. t. subtiliore. Gedanke und Aus-
drucksform sind klar.
Lexikalische Bemerkungen zu Apuleius. 101
es sich handeln. Havet betrachtet tanta als ursprünglich elliptisch,
gewifs mit Recht, tanta kann nicht durch multo gesteigert wer-
den, das jenem parallele, nicht vervielfältigende Bedeutung hat,
*um vieles', nicht Vielmals*, multo tanto oder multo tanta mufs
(wie nimium quantum, mirum quantum u. dgl.) als asyndeton ge-
fafst werden. Der Redende sagt zuerst 'um vieles', dann steigert
er dies durch das lebhaftere, mit dem Gestus verbundene 'um so
vieles*. In der bei der bestimmten Zahl naturgemäfsen Um-
drehung findet sich dies asyndeton Plaut. Epid. 52, wo auf die
Frage quot minis? geantwortet wird: tot, quadraginta minis, d. h.
er streckt zuerst zählend die Hände vor, dann spricht er die Zahl
aus. tanta (wie dextra, media, eadem) stand neben ta^ito wie intra^
durch die Bedeutung gesondert, neben intro, wie proUnus pro-
tinam, rursiis rursum und die ähnlichen neben einander stehen; es
scheint aus einem Bedür&is nach Yariierung in der Formel multo
tanta bevorzugt worden zu sein. Dagegen in bis tanta pluris,
quifiguies tanta amplius ist tatUa durch das Zahladverb gesteigert.
Es wird schwer zu sagen sein, welche von beiden Verwendungen
die ursprünglichere ist. Aufserhalb dieser Formeln scheint sich
tanta in der älteren Überlieferung nicht zu finden, die Wendungen
anfo melioTy miserior, nequioTy die ohne Komparativ wie bis tanto
valeo (s. o. A.) sind immer mit -o überliefert.*)
Ich habe nicht weiter gesucht; aber es ist wahrscheinlich,
dafs die Formeln mtdto tanta und his tanta auch aus anderen
Texten auftauchen werden.
Göttingen. Friedrich Leo.
*) Eine vielleicht trügerische Spur von multa beim Komparativ findet
eich in einem Verse des Ennius (tr. 41 R.): in den Worten mater optumarum
multo mülier melior mulierum bei Cicero de div. I 66 hat der Leidensis A
multa.
Die archaische Inschrift vom Forum Eomanum.
Am Ende des Tergangenen Jahres trat Alexander Enmann
mit einer neuen Ergänzung der Forumsinschrift hervor, während
L. Geci, der Interpret der offiziellen Ausgabe, in Abhandlungen, die
Schlag auf Schlag einander folgten, seine Aufstellungen teils
g^en Widersacher zu verteidigen, teils durch weitergehende
Untersuchungen in ein helleres Licht zu stellen suchte; daneben
wurde im Laufe der Zeit eine solche Fülle von Beschreibungen,
Vermutungen und Behauptungen von allen Seiten geboten, dafs
mir der Oedanke nahe gelegt ward, an Stelle einer Rezension
einzelner das Interesse dieser Zeitschrift berührender Arbeiten
einen kurzen Überblick über den Stand der an den merwürdigen
Fund sich knüpfenden Forschung überhaupt zu geben, womit
vielleicht manchem Leser, dem die Zeit zu persönlicher Prüfung
des Wirrwarrs der geäufserten Meinungen fehlt, ein Gefallen ge-
than wird; ist doch dieser Fund wie wenige geeignet, das Inter-
esse der weitesten Kreise auf sich zu lenken. Eine Einzelbespre-
chung sämtlicher Erscheinungen mit kürzeren kritischen Bemer-
kungen verdanken wir Tropea*); doch seine Zeitschrift ist wohl
nicht jedem Leser in die Hände gekommen, und vielleicht findet
auch neben dieser ausführlichen Zusammenstellimg eine kurze
Übersicht noch Platz.
Miris modis di ludos faciunt hominibus. Die Ausgrabungen
bringen imgefähr auf dem Boden des alten Comitiums Reste
mehrerer Baulichkeiten und dazu ein Stück eines in höchst alter-
tümlicher Weise beschriebenen cippus ans Licht, all dies unter-
halb eines mit schwarzen Steinen gepflasterten Vierecks.**)
Zwischen dem Pflaster und den Resten der Denkmäler erregte
*) La stcle arcaica nel Foro Romano. Cronaca della scoperta e della
discuseione. Rivista di storia antica IV 469 ff. V 101 ff.
**) Siehe hierzu jetzt die Zeichnungen bei Hülsen, Arch. Anz. 1900
p. 4, und besonders Comparetti, Iscrizione arcaica del Foro Romano, Firenze-
Roma 1900, p. 2.
Die archaische Inschrift vom Forum Romanum. 103
besonderes Aufsehen eine dicke Schicht von Flufskies^ ^sedimenti
di Ponte Molle', und darüber gelagerte Asche, Knochen von
Opfertieren, Yasenscherben, Votivfiguren. Was hier aus der Erde
ans Licht trat, traf sich in merkwürdiger Weise mit längst be-
kannten Stellen der schriftlichen Überlieferung. Das schwarze
Pflaster, auf das man zuerst stiefs, wurde sofort mit der ver-
stümmelten Festusglosse p. 177 M. niger lapis in Comitio locum
fonestum significat, ut all, Romuli morti destinatum, sed . . . zu-
sammengehalten und von der sensationssüchtigen Halbgelehrsam-
keit die Auffindung des echten Romulusgrabes der Welt verkündet,
worauf denn auch, wie Comparetti hübsch erzählt, englische Rei-
sende niclit verfehlten, Blumen an dieser ehrwürdigsten Stätte
der ewigen Roma niederzulegen. Aber auch diejenigen, denen
das Märchen vom Grabe des Stadtgründers nicht in den Kopf
wollte, hielten, trotz des Widerspruchs von Hülsen*), an der
Gleichsetzung mit dem von Verrius Flaccus genannten lapis
fest. Die Fortsetzimg der Grabungen ergab denn auch keine Spur
eines Grabes, sondern die erwähnten Denkmälerreste, unter denen
zwei 2,66 m lange, 1,32 m breite, in einem Abstand von 1,003 m
von einander errichtete Basen besonders merkwürdig waren. Auch
sie immlieh riefen die Erinnerung an gewisse Stellen der Über-
lieferung wach, wo von einem oder zwei Löwen, die das Grab
des Romulus oder des Faustulus bezeichneten, berichtet wurde.**)
Ja noch weiter: auch von einer Säule mit Inschrift, die an dem-
selben Platze gestanden haben soll, wuTsten die Alten zu erzählen;
es war dies diejenige, die Romulus und Titus Tatius dem wohl-
verdienten Hostus Hostilius an eben dieser Stelle, wo er begraben
worden sein soll, setzen liefsen.***) TEs scheint nun selir nahe
zu liegen, die angeführten Stellen wirklich auf unsere Trümmer-
stätte zu beziehen, in den beiden Basen diejenigen der beiden
Löwen, in der Inschrift des cippus das Ehrendenkmal, das die
Alten mit Hostus Hostilius in Zusammenhang brachten, wieder-
•) Arch. Anz. 1889.
•*; Schol. Cruq. zu Hör. epod. 16, 12 nam et Varro pro roatris 8eptd-
crum Romuli dixit, ubi etiam in huius rei memoriam duos leones erectos
fnisse constat. Dion. Hai. 1, 87 nvss dk xal tbv Xiovrcc rbv Xi&ivov, hg insito
rfjg &yoQ&g tfjs t&v *P(ii}(ueUav iv reo xQcctlßrai ;i;6>^ta) nocgä roTg ifißoXois, iicl
***) Dion. Hai. 3, 1 xal d'änTStccL Ttgbg t&v ßaöiXitov iv tcS xgcctlatto
xf^g &yoQ&g xontp <jn}X?jj iniyqatp^ xr\v &QSxr\v lucQtvQOvötj ä^iiad'Blg,
104 W. Otto:
zufinden. Die Schichte der Asche mit Knochen etc. könnte dann^
da die baulichen Überreste den Eindruck planmäfsiger Zerstörung
machen^ von einem mit der Zerstörung irgendwie verbundenen
Sühneopfer herstammen. Letztere Ansicht ist auch wirklich von
Boni in der offiziellen Publikation*), deren sprachlichen Teil ich
seinerzeit in diesem Archiv besprochen habe, vertreten worden.
Für die Baureste und die Inschrift liefse sich, so könnte es sehei-
nen, ein terminus ante quem leicht aus den ältesten Stücken des
^Strato del sacrificio' abnehmen. Die Entstehung dieser Schicht
setzt V. Duhn**) in das 6. oder den Anfang des 7. Jahrhunderts.
Allein in Wahrheit müssen wir auf dieses Datierungsmittel ver-
zichten. Hülsen macht auf die Schwierigkeit, der die zeitliche
Fixierung der Bestandteile des 'strato del sacrificio' unterliegt,
aufmerksam und erinnert daran, dafs gerade das älteste Stück,
eine chalkidische Scherbe, nicht, wie man doch erwarten müTste,
zuunterst, sondern zuoberst gefunden wurde. Er selbst hält
wegen des Fehlens späterer schwarz- und rotfiguriger Vasenscher-
ben etc. die Möglichkeit einer Herabsetzung dieser Schicht unter
das 4. Jahrhundert für ausgeschlossen. Aus ihr können wir also
über das Alter der Inschrift etc. nichts lernen; denn dafs der
cippus über die angegebene Zeitgrenze hinaufreicht, bedarf keines
Beweises. Allein zur Wiederlegung einer durch die Schriftsteller-
überliefenmg nahegelegten Hypothese leistet die genannte Schicht,
wie Hülsen sehr richtig bemerkt, ihre Dienste. Es hat nämlich
aller Wahrscheinlichkeit nach die varronische Zeit noch jene auf
Hostus Hostilius bezogene Inschrift gesehen und aus einem für
sie zweideutigen Worte eine Beziehung teils auf jenen, teils auf
Faustulus herausgelesen. Das scheint die scharfsinnige Ergänzung
des Festusbruchstücks p. 177 M., die wir Detlefsen***) verdanken,
zu beweisen. Nach dem genannten Gelehrten schrieb Festus:
Niger lapis in comitio locum funestum significat, ut ali, Bomuli
morti destinatum, sed non usu obv<^eni8se, ut ibi sepeliretur, sed
Fau^stulum nutri^cium eins, ut ali dicimt Ho8)>tilium avum Tu<lli
Hostilii, Romanorum regis,> cuius familia e '(Medullia Romam
venit post destruc>tionem eins und die doppelte Deutung auf
*) St«le con iBcrizione latina arcaica scoperta nel Foro Romano.
EHtratto dalle Notizie degli Scavi del mese di maggio 1899.
♦*} Neue Heidelberger Jahrbücher 1899 S. 107 ff.
***) Ann. deir inst, archeol. 18C0 p. 137 und derselbe: De arte Roma
norum antiquissima III p. 2.
Die archaische Inschrift vom Forum Romanum. 105
Hostus Hostiliiis und auf Faustulus wäre von dem auf der In-
achrifb gelesenen Namen Hostlus für Fostlus ausgegangen. Aus
dem, was der Horazscholiast über das Ilomulusgrab und die
Löwen aus Varro mitteilt, kann man sehliefsen, dafs alle unsere
Beridbte von Varros auf eigenem Augenschein beruhenden Auf-
zeichnungen ausgegangen sind. Dann müfste, wenn wirklich die
neuen Funde mit dem, was Varro gesehen hat, identisch sind,
die Zerstörung erst am Ende der Republik erfolgt sein. Allein
dieser Annahme steht, wie Hülsen hervorhebt, nicht nur die
Roheit der Zertrümmenmg, sondern auch das Alter der über den
Resten gelagerten Schicht entgegen. Wollen wir trotzdem wenig-
stens die Basen für die der varronischen Löwen ansehen, so
müssen wir mit Comparetti eine aus irgend welchem Grunde in
alter Zeit erfolgte Zerstörung und einen Xeubau derselben Mo-
numente auf dem erhöhten Platze annehmen. Das schwarze
Pflaster aber mufs ganz aus dem Spiele bleiben; denn von ihm
hat jetzt Hülsen schlagend nachgewiesen, dafs es aus der späten
Eaiserzeit stammt. Für die Zerstörung der ganzen Anlage scheint
sich eine treffliche Ursache in der Zerstörung Roms durch die
Ghdlier anzubieten. Diese von A. Enmann*) vertretene Ansicht
bekämpft E. Pais in seiner lehrreichen Abhandlung**) aus dem
Grunde, weil die Kiesablagerung nach seinem bei eigener Besich-
tigung gewonnenen Eindruck den Gedanken einer alten An-
schwemmung beinahe unumgänglich mache. Er erinnert an Erd-
katastrophen, wie diejenige war, deren Andenken die Sagen von
der Entstehung des lacus Curtius bewahren, und hält es für mög-
lich, den Zustand unserer Überreste auf ein derartiges Erdbeben
und eine Anschwemmung zurückzuführen. Wir befinden uns hier
an dem schwierigsten Punkte der ganzen Frage, und Pais selbst,
der seine Ansicht mit äufserster Vorsicht ausspricht, erkennt das
an. Klareres Licht ist höchstens von den weiteren Grabungen
und von genaueren Fundberichten, als die bisherigen es sind, zu
erwarten.
Seitdem die offizielle Publikation die Bekanntschaft mit den
Trümmern in weitere Kreise gebracht hat, haben die fortgesetzten
Nachforschungen ergeben, dafs sowohl der beschriebene cippus als
*") Die neuentdeckte archaische Inschrift des römischen Fonuns. Se-
parat-Abdruck aus dem Bulletin de TAcad^mie Imperiale des Sciences de
St. Petersbourg. V Serie. Band XL Nr. 5. (Decembre 1890).
♦♦; Nuova Antologia s. IV vol. «4 p. 120 ff. 85 p. 274 tf.
106 W. Otto:
auch der daneben gefundene Kegelstumpf zu den Stufen eines noch
nicht ganz ausgegrabenen Gebäudes gehören^ also mit diesem zu-
sammen erklärt werden müssen. Dieses Gebäude erUärt nun Gom-
paretti in seiner neuen Monographie für die republikanische Redneiv
bühne, die ja bekanntlich ein templum war. Boni hatte dieselbe
vermutungsweise in der südlich von den Basen entdeckten Tuff-
konstruktion gesucht^ und Pais giebt die Möglichkeit dieser
Vermutung zu. Comparettis Erklärung hat natürlich zur Voraus-
setzung, dafs es schon vor dem Jahre 338 eine Rednerbühne gab
und diese nur in dem genannten Jahre ihren charakteristischen
Schmuck erhielt. Sie mufs ferner in alter Zeit aus irgend welchem
Grunde auf dem erhöhten Platze neu aufgebaut worden sein. Ob
sich diese Ansicht mit der Topographie des Comitiums und Forums
völlig vereinigen lälst, bin ich aufser Stande zu beurteilen.
Von nicht geringem Werte für die Datierung der ganzen
Anlage ist das Mafs, nach dem die Basen gebaut sind. Huelsen
hat sehr glücklieh darauf aufmerksam gemacht^ dafs es der attische
Fufs von 0 295 m ist, und daraus die Möglichkeit eines Schlusses
auf einen temiinus post quem abgeleitet, für den Fall nämlich,
dafs Mommsens Vermutung, die Reception dieses Fufses könnte
in der Zeit der Decemvim stattgefunden haben, das Richtige träfe.
Pais ist sogar infolge allgemeiner historischer Erwägungen ge-
neigt, die Aufnahme des attischen Fufses in beträchtlich jüngere
Zeit, an das Ende des fünften oder den Anfang des vierten Jahr-
hunderts, zu setzen. Welches Mafs von Richtigkeit diesen Be-
rechnungen zukommt, ist eine Frage, deren klare Beantwortung
wir erst von der Zukunft erwarten können.*)
Diese kurzen Bemerkungen schienen einer Besprechung der
Inschrift, auf die es an dieser Stelle vor allem anderen abgesehen
ist, notwendigerweise vorausgehen zu müssen. Eine vorurteils-
freie Erwägung aller der Möglichkeiten, die sich einem Erklärungs-
versuch imserer Funde anbieten, findet man in den oben genannten
schönen Abhandlungen von Pais, die denn auch, wie es gegen-
wärtig kaum anders möglich scheint, selbst einem bescheiden
formulierten Urteile die Skepsis vorziehen. **j
*) Siehe übrigens auch hierüber 0. Keller in der Berl. phil. Wochen-
schrift 1900 Nr. 24 Sp. 766 f
**) Der gelehrten Abhandlung von v. Duhn in der eben citierten Zeit-
schrift, die wahrscheinlich zu machen sucht, dafs wir uns auf der von ihm
auf das Yolcanal gesetzten ältesten Leichenverbrennungsstätte befinden.
Die archaische Inschrift vom Forum Romanum. 107
Die Inschrift selbst befindet sich in einem elenden Zustand.
Der Stein ist oben abgebrochen^ und es scheint^ dafs uns dadurch
etwa % des Ganzen verloren gegangen sind. Nehmen wir dazu^
dafs uns über die Bedeutung des Ortes ^ zu dem der Stein ge-
hörte^ so gut wie nichts Sicheres bekannt geworden ist^ so stellen
sieb unsere Aussichten auf Entzifferung gegenüber der Dvenos-
inschrift und dem Arvallied, die man gerne zum Vergleich heran-
zieht, doppelt schlecht; ist doch die Dvenosinschrift vollständig
und recht gut erhalten auf einem Geräte von beschränkter Ge-
brauchsmöglichkeit^ imd besitzen wir doch das Arvallied, dessen
Bestimmung schon an und für sich eine Reihe von Interpreta-
tionen ausschliefst^ in dreimaliger Wiederholung, wenn auch aus
sehr später Zeit. Und doch, wer wollte behaupten, dafs für das
eine und das andere Denkmal eine durchaus befriedigende Er-
klärung gefunden wäre?*)
unsere Inschrift macht den Eindruck sehr hohen Altertums
und mufs mit den ältesten der bisher bekannten, mit der fibula
von Praeneste und der erwähnten Dvenosinschrift, zusammen be-
trachtet werden. Zunächst fallt die bustrophedische Anlage der
Schrift auf, die aber auf italischem Boden nichts Neues, ja nicht
einmal ein Zeugnis uralter Entstehung ist. Die Buchstabenformen
unterscheiden sich nicht sehr wesentlich von denen der genannten
Denkmäler und der übrigen ältesten italischen Inschriften. Ül)er
dieses Aufsere habe ich in meiner Rezension der Interpretation
Cecis in diesem Archiv das Nötigste gesagt; jetzt hat 0. Keller
auch die Buchstabenform in sorgfältige Erwägung gezogen.**)
Die praenestinische Fibel entstand um 6(X). Sie l)ezeichnet den
stehen die wichtigsten, von Pais und Huelsen an den angeführten Stellen
hervorgehobenen Gründe entgegen.
*) Neuestens sucht 0. Keller, Berl. phil. Wochenschrift 1900 Nr. 22
Sp. 698 ff., durch „einschneidende Konjekturen*' das Dunkel, das über den
beiden Inschriften schwebt, zu lichten. Ein so verzweifelter Versuch kann
nur durch sich selbst gerechtfertigt werden, wenn nilmlich sein Resultat
ein einleuchtendes ist; sonst bedeutet seine Forderung nicht \nel mehr als
das Eingeständnis, mit den bisherigen Mitteln zu einer Erklärung nicht im
Stande zu sein. Was das Arvallied betrifft, so müssen wir uns doch woh]
gegenwärtig halten, dafs es vorzüglich die seinerzeit nicht mehr verstan-
denen Worte sind, die einer Verderbnis leicht anheimfallen konnten, dafs
also Änderungen, die zu jedermann verstilndlichen Sätzen führen, wenig
Wahrscheinlichkeit besitzen.
♦*; Berl. phil. Wochenschrift 1900 Nr. 24 Sp. 763 f.
108 W. Otto:
f-Laut, der ja bekanntlich den Griechen fremd war und deswegen
ohne ümwertiing durch kein Zeichen des von ihnen entlehnten
Alphabets ausgedrückt werden konnte, durch eine auch den Griechen,
wie es scheint, nicht ganz fremde Verbindung yon Digamma und
h, die wir bei den Etruskem bis in ziemlich späte Zeit und bei
-den Venetem ausschliefslich im Gebrauche finden.*) Damit lafst
sich, wie Keller**) mit Recht ausführt, eine Wiedergabe von u
und V durch denselben Buchstaben nicht vereinigen. Diese Wieder-
gabe aber finden wir auf unserer Inschrift; dieselbe muls also,
sollte auch Comparetti mit Unrecht in der ersten Zeile der zweiten
Seite ein f lesen, was doch kaum zu umgehen scheint, betracht-
lich jünger als die fibula sein. Andererseits zeigt die Dvenos-
inschrift, die ich nicht über 350 hinaufrücken möchte, zwar noch
c für g, aber denselben Buchstaben auch schon im Werte des k.
Allerdings ist damit das Alphabet in eine spätere Phase der Ent-
Wickelung eingetreten, aber es darf doch nicht übersehen werden,
dafs eine öfi*entliche Steininschrift — und dafür dürfen wir doch
wohl unseren cippus halten — etwas anderes ist als drei be-
schriebene Töpfchen, sie mögen nun diese oder jene Bestimmung
gehabt haben; die Inschrift des Steines kann in derselben Zeit
die ältere Orthographie noch beibehalten haben, in welcher sich
derjenige, welcher die Töpfchen beschrieb, von derselben schon
frei zu machen suchte; und es ist ihm nicht einmal gelungen,
sich ganz von ihr frei zu machen, wie eine von ihm selbst ge-
machte Verbesserung deutlich zeigt. Man könnte ja auch zu
Gunsten eines höheren Alters der Dvenosinschrift die eckige Form
des D anführen, könnten nicht derartige Verschiedenheiten ebenso
gut auf Rechnung des Materials gesetzt werden.***) Darum
scheint es mir, dafs wir 0. Keller unbedingt zustimmen müssen,
wenn er unsere Inschrift für jünger als die praenestinische Fibel
erklärt, dagegen, was ihr zeitliches Verhältnis zur Dvenosinschrift
betrifit, soweit es aus einer Vergleichung der Buchstabenformen
deutlich wird, ihm das Recht nicht zugestehen können, sie um
zwei Dritteile eines Jahrhunderts über diese hinaufzurücken, wo-
mit übrigens die Möglichkeit eines solchen Alters keineswegs
bestritten werden soll. — Die Richtung der Schrift ist die bustro-
phedische; sie biegt am Ende einer Zeile nicht nach der folgenden
*) Pauli, Veneter p. 96 ff.
**) Berl. phil. Wochenschr. 1900 Nr. 23 Sp. 733 f.
**♦) Vgl. Pauli, Altital. Forsch. I 58.
Die archaische Inschrift vom Forum Romanum. 109
nm^ sondern setzt von neuem an, um die Buchstaben in derselben
Stellung nach der entgegengesetzten Richtung laufen zu lassen.
Doch sind dem Schreiber zweimal beim Übergang auf eine neue
Seite Versehen passiert: er begann die dritte Seite zwar, wie es
neb gehörte, von links nach rechts zu beschreiben, stellte aber
in den beiden ersten Zeilen die Buchstaben auf den Kopf; nach-
dem er in der dritten und vierten Zeile diesen Fehler korrigiert
hatte^ begann er auf der letzten Seite am rechten Ende statt am
linken. Das letztere Versehen hat nichts Wunderbares (siehe die
yierte Zeile der Inschrift vom Fuciner See), und auch jenes finden
wir hier nicht zum ersten Male.*) Es scheint mir also kein ge-
nügender Grund vorzuliegen, um mit Thumeysen**) dem Schreiber
das weit auffallendere Versehen zu unterschieben, dafs er die
yierte Seite an der falschen Kante zu beschreiben begonnen hätte
und dadurch genötigt gewesen wäre, die Zeilen über einander an-
zuordnen. Allerdings schaflFt Thumeysens Vorschlag auf diese
Weise das mysteriöse havelod, für das noch niemand eine be-
achtenswerte Erklärung vorgebracht hat, aus dem Wege, indem
die veränderte Zeilenfolge quoi ham an Stelle des bisherigen quoi
havelod und iovestod velod statt iovestod als Schlufs ergäbe;
aber das von Thumeysen gefundene velod ist doch, trotz indo-
germanischer Parallelen, nicht so einleuchtend, dafs es uns die
oben angegebenen GFegengründe übersehen liefse.***)
Suchen wir nun zu einem auch nur ungefähren BegriflPe von
dem Inhalt der Inschrift zu gelangen, so finden wir, abgesehen
von einigen ganz unverständlichen Brocken, deutliche Relativa
und ein paar bekannte Worte, die aber in Wahrheit, statt das
Dunkel zu lichten, nur Rätsel aufgeben. Von den letzteren schien
von Anfang an am meisten das in der zweiten Zeile der zweiten
Seite stehende regei geeignet zu sein, die Bestimmung des Steines
deutlich zu machen. Aber wie verzweifelt auch in diesem Punkte
die Lage des Interpreten ist, hat Skutsch gezeigt; es kann ihm
niemand widersprechen, wenn er bemerkt, dieses regei könne
ebenso gut der Inf. pass. von regere sein als der Dativ von rex.
Damit wäre der erbitterte Streit, ob vom König oder nur vom
•) Siehe Gomparetti p. 10.
♦*) Rhein. Mus. 65 p. 484 f.
***) Zwischen der zweiten und dritten Zeile der dritten Seite ist ein
horizontaler Strich gezogen, den Gomparetti für ein Trennungszeichen zweier
Abschnitte hält; ob mit Recht, weifs ich nicht.
110 W. Otto:
rex sacrorum die Rede sei, ob unsere Inschrift eine jener leges
regiae, deren Rettung Ceci in einer neuen Abhandlung mit we-
nigen Gründen und vielen Worten versucht hat*j, gegenstandslos
geworden. Wer möchte sich unter solchen Umständen die Mühe
machen wollen, einen der Fälle, in welchen nach Malsgabe
unserer Überlieferung der rex sacrorum auf dem Comitium fun-
gierte oder allenfalls fungieren konnte, in den Trümmern der
2. und 3. Seite zu suchen, um schliefslich zu einem Resultat zu
kommen, das sich auch ohne unsere Inschrift hätte erreichen
lassen? Wir dürfen doch wohl glauben, dafs eine ganz erhaltene
und verstandene öffentliche Inschrift aus so alter Zeit uns man-
ches ganz Neue lehren würde. Gomparetti, der als drittletzten
Buchstaben der 1. Zeile der 2. Seite ein f zu erkennen glaubte
imd die 3. Zeile hauptsächlich der Richtung der m wegen von
rechts nach links liest, sodafs das e, wie das von ihm gelesene f,
die falsche Richtung hätte, ergänzt, ohne den Wortlaut selbst
herstellen zu wollen: fas regi lo^cum lustrare uti^ mave^lit iis
diebus^ quos ri<^te nefastos edixerit per suu^m calatorem hab<en-
dos^. Abgesehen davon, dafs Sinn und Fassung dieses Satzes
recht wenig Überzeugungskraft haben, hat der Ergänzer offenbar
das alte stlocus vergessen; ein s hat nach regei keinesfalls gestanden.
Auch für die Nennung der iouxmenta, deren Schreibung
übrigens das einzige ist, was wir ohne Einrede aus der Inschrift
lernen können, läfst sich kein plausibler Grund divinieren, oder
aber, wie Pais bemerkt, mehrere, von denen keiner bewiesen werden
kann; er selbst erinnert beispielsweise an die Tempelordnuug der
Athena Alea von Tegea. Gomparetti erklärt Iouxmenta kapia dota
als iumenta capistro ducta. Davon ist das zweite Wort eigens von
ihm erfunden, das dritte sucht er einerseits durch die Formen
fortis für forctis, quintus für quinctus, Vitoria für Victoria,
andererseits durch hone, molta etc. als altlateinisch zu erweisen.
Damit wird er schwerlich jemand überzeugen: Vitoria ist prae-
nestinisch und steht vereinzelt da, und die Geschichte des c
zwischen Konsonanten gehört natürlich nicht hierher; dafs bei
hone etc. o der ursprüngliche Vokal ist, sollte nicht erst gesagt
werden müssen.
Auf der letzten Seite hat die Lesung von Gomparetti mit
ziemlicher Sicherheit iter und darauf folgend vielleicht pe<r> er-
*) Rendiconti della R. Acc. dei Lincei 1900 vol. IX p. 19 ff.
Die archaische Inschrift yom Forum Bomanum. Hl
geben y wodurch für den Sinn des ehemaligen Satzes wirklich
etwas gewonnen ist, allerdings nur gerade so viel, als diese beiden
Worte besagen. Denn wenn Comparetti aus diou, das ihm diu
(as bei Tage) zu sein scheint und aus havelod, zu dessen Erklärung als
£Eunalo (Dativ!) er das plautinische favea und das glossographische fa-
veus: nalg heranzieht, schliefst, dafs fiir Sklaven bei Tage der Durch-
gang verboten war, so werden wir sagen, dafs man diou estod
auch anders auffassen kann und dafs die Erklärung des havelod
als verwandt mit faveus recht gesucht imd als Dativ einer Wider-
legung nicht wert ist. In iovestod sah Ceci lovi estod (love
8tod)y wogegen der Umstand spricht, dafs man den Gottesnamen
mit d anlautend erwarten müfste; es bleibt also, um diese Er-
klärung zu stützen, nichts anderes übrig, als das vorausgehende
d, trotzdem es von unserem Worte durch Interpunktion getrennt
ist, zu ihm zu ziehen, wie Comparetti auch gethan hat; dieses
d scheint aber das vorhergehende o zu einer Ablativendung zu
vervollständigen; allerdings scheint auch die von Huelsen und
Skutsch vorgeschlagene Deutung als iusto nicht einwandsfrei zu
sein, da die Vergleichung mit den verwandten Sprachen eine
alÜateinische Zweisilbigkeit des Wortes ins (ioves) anzunehmen
schwerlich erlaubt.*) Dieser Grund hat denn auch Ceci bewogen,
die genannte Etymologie abzulehnen. Welche der gegebenen Er-
klärungen trotz der geäufserten Einwände die richtige ist, ver-
möchte uns nur der verlorene Zusammenhang zu lehren. — Durch
Comparettis Facsimile ist jetzt unzweifelhaft geworden, dafs auf
der ersten Seite sord . . . stand, was doch wohl nur zu sordes
oder einem verwandten Worte ergänzt werden kann. Halten wir
dies mit dem darüber stehenden s)>akros esed zusammen, so
scheint allerdings die so oft geäufserte Vermutung, es handle
sich um die Verfluchung dessen, der diesen Ort verunreinigt,
nahe genug zu liegen; ähnliche Verbote sind ja schon längst
bekannt. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dafs jeder
Versuch, dies sordes in den Satz mit sakros esed — esed mag
sein, was es will — einzubeziehen, scheitern mufs. Worauf
soll aber dann die Verfluchung im ersten Teil Bezug nehmen,
und aus welchem Grunde wurde die Bedrohung des Ver-
unreinigers nicht in sie miteingeschlossen? Vielleicht, antwortet
man, traf ihn eine schwächere Strafe, und das ist auch alles, was
*) Solmsen, Stud. p. 192 Anm. 2; Osthoff, Indog. Forsch. V p. 288.
112 W. Otto:
sich sagen läfst. Uud ferner, was soll esed sein? Die nächste
Vermutung trifft natürlich auf esset, aber wovon konnte dieser
Gonj. impf, abhängig gemacht sein? Comparetti glaubt leichtes
Spiel zu haben; er setzt esed = sit und weist auf das esed des
Sc. de Bacch. hin, das er für Conj. praes. hält, während es
natürlich Conj. impf. ist. Andere erklären es für Futurum; aber
ein sacer erit als Fluchformel, da man doch sacer esto oder
mindestens sit erwartet, ist wenig wahrscheinlich und durch
Wunschsätze, wie ita me di amabunt, noch lange nicht als
möglich erwiesen. Ceci endlich fafst das Wort als echten Conj.
praes., der ja bekanntlich später Futurstelle vertrat und seiner-
seits vom Optativ siet vertreten wurde. Damit wäre der Form
und der Bedeutimg am meisten Genüge gethan, vorausgesetzt^
dafs wir das Recht haben, in eine so alte Sprachstufe mit unseren
Erklärungsversuchen zurückzugreifen. — Für die auf der ab-
geflacht-en Kante stehenden Buchstaben läfst sich schwerlich ein
Sinn aufbringen.
Aus allem Gesagten geht deutlich hervor, dafs wir in Wahr-
heit über den Inhalt der Inschrift nichts wissen, als was der
erste Augenschein lehren konnte und gelehrt hat. Durch das
treuliche Facsimile Comparettis ist allerdings die Lesung an
manchen Punkten vollständiger geworden, aber dafs wir dadurch
im Verstehen des Fragments wesentlich weiter gekommen wären,
kann man nicht behaupten.
Was Ceci*) seit seiner ersten Ergänzung vorgebracht hat,
bewegt sich auf dem Boden der letzteren, über die ich in meiner
Besprechung genug gesagt zu haben glaube. Einige neue Kunst-
stücke sind ihm gelungen, wie die Erklärung, dafs sakros esed
bedeute purus oder expiatus sit. Er kommt darauf durch die
Bezeichnung sacres porci, die mit puri ad sacrifieium erläutert
wird, was für ihn mit puri überhaupt gleichbedeutend zu sein
scheint. Das hindert ihn aber nicht, am Schlufs der Inschrift
sacer im gewöhnlichen Sinne zu ergänzen. Mit weiteren Proben
will ich die Leser nicht belästigen. — Mit wenig Glück hat
Enraaim in dem angeführten Aufsatze eine Erklärung und Er-
gänzung der Inschrift versucht. Er denkt an die Verfluchung
desjenigen, der den Terminusstein, für den Enmann unseren
*) Die widerwärtigen Invektiven dieses Gelehrten, die der Popolo Ro-
mano nicht müde ward abzudrucken, werden am besten der Vergessenheit
überliefert.
Die archaische Inschrift vom Forum Romanum. 113
cippus hält^ auspflügt; obgleich nicht einzusehen ist, wie jemand
auf dem Forum oder Comitium zu dieser Unthat Gelegenheit gehabt
haben sollte. Auch sprachlich steht die Deutung und Vervoll-
ständigung auf ziemlich schwachen Füfsen. Es werden Formen nach
falschen Analogien gebildet unter der Voraussetzung, dafs die alte
Sprache in den Verbalendungen das t ohne Unterschied durch d
ersetzt habe. Ein Satz wie: reum necanto qui hasc volunt ist fehler-
haft. Die falsche Konstruktion: qui hunc termin\im exarasset sacer
erit scheint unter dem Einflufs der Festusstelle : Numa Pompilius
statuit eum qui terminum exarasset et ipsum et boves sacros esse
entstanden zu sein. — Von dem einzigen Worte kapia aus, das
zufallig mit dem von Hesych aus dem Kyprischen in der Be-
deutung von Knoblauch überlieferten xobcia übereinstimmt, kommt
B. Frese in der Beilage zur Allgem. Zeitung 1900, 11. Mai,
S. 5 ff. zu dem Resultat, dafs es sich um ein Zwiebelopfer für
die Laren handle, denn dafs das durch Hesych beigebrachte
Wort mit dem lat. caepe verwandt sei, ist eine alte Vermutung,
havelod soll femer auf eine mir unerklärliche Weise das spätere
alium (auch alum) repräsentieren, sodafs wir, wenn wir noch in
iouxmenta die Busenbänder sehen, die die Mädchen vor der
Hochzeit den Laren aufhängen, eine Opfervorschrift für diese,
etwa die Kompitalienfeier betreffend, in unserem Denkmal fänden.
Die Ausgangspunkte dieses Versuches scheinen mir eines Ein-
gehens auf denselben nicht wert zu sein.*)
Das Resultat unserer Betrachtung ist, wie ja vorauszusehen
war, kein erfreuliches. Aber vielleicht gelingt es ihr und ähn-
lichen Darstellungen, das unfruchtbare Grübeln von diesem elenden
Bruchstücke abzulenken: dafs nicht „auch andere wieder darüber
meinen und immer So ins Unendliche fort die schwankende Woge
sich wälze".
München. W. Otto.
*) Am 16. Mai wurde in derselben Zeitung von einem mit M. unter-
zeichneten Mitarbeiter diese Deutung für vortrefflich erklärt; zum Schlüsse
heilst es wörtlich so: „louxmenta werden doch wohl Opfertiere sein; das
Gespann => zwei Tiere würde zu dem Bidental passen. Denn bei Nonius
Marcellinus 54 M. heifst es: Nigidius Figulus dicit, bidental vocari quod
bimae hostiae immolentur. Und die Erinnerung an das alte Bidental
weist ja Frese nicht zurück."
Archiv fOr lat. Lexikogr. XU. Heft 1. %
Die Nachahmung in der lateinischen Prosa.
Seit Jahrzehnten werden zahlreiche Doktordissertationen ge-
schrieben^ in welchen der Autor X als Imitator' des Autors Y
betrachtet wird. So oft man auch über diis Ziel hinausgeschossen
haben mag, so haben doch diese Untersuchungen im grolsen
Ganzen mindestens ebenso viel Nutzen gebracht als die nicht
minder beliebten Arbeiten 'De fontibus' etc., in welchen meist
mit unbekannten Gröfsen gerechnet werden muTs. Freilich sind
jene auch auf Widerspruch gestofsen, indem man aus der Be-
zeichnung 'imitatio' ein geistiges Armutszeugnis herauslesen zu
müssen glaubte, welches der Bedeutung der Klassiker nicht ent-
spreche. Allein imitatio ist nur ein kurzer, bequemer Ausdruck
und durchaus nicht identisch mit 'Entlehnung', sondern oft nur
mit 'Beeinflussung'; sie besteht nicht immer in dem bewuTsten
Akte einer Aneignung, sondern ist oft imbewufst; ja sie kann so
selbständig sein, dafs ein fremder, dem Geiste vorschwebender
Ausdruck zwar benützt, aber in anderem Sinne gebraucht wird.
Seitdem die römische Litteratur ihre Klassiker hervorgebracht
hatte, wurden dieselben in den Schulen gelesen und erklärt und
privatim studiert, und in ihnen fand jeder angehende Schrift-
steller Muster imd Vorbild. Vergil wurde auswendig gelernt,
wie ims der heilige Augustin in seinen Confessiones bezeugt, und
daher kommt es so oft vor, dafs nicht nur eine Phrase von ihm
bei einem späteren Epiker sich wiederfindet, sondern dafs die
sich entsprechenden Wortformen in den gleichen Füfsen des
Hexameters stehen. Wem es schwer fällt, an einen solchen Grad
der Abhängigkeit zu glauben, der lese einfach den An£EUig des
sechsten Buches der Satumalien des Macrobius, wo auseinander-
gesetzt wird, quid Maro de antiquis Romanis scriptoribus traxerit,
und wenn ihm das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Ennius,
Lucretius und Vergil klar geworden ist, so wird er noch viel
weniger leugnen, dafs Lucan, Silius und Statins ihrerseits wieder
dem Vergil gefolgt sind.
Die Nachahmung in der lateinischen Prosa. 115
Wer aber mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten der Vers-
technik ein Studium poetischer Vorbilder zugiebt, in der Prosa
dagegen ein ähnliches Verhältnis leugnet; der wird ebenso durch
die Zeugnisse der Alten selbst widerlegt. Allerdings ist es
Hyperbel eines Pamphletes^ wenn Lenaeus den Sallust priscorum
Catonis verborum furem nannte (Suet. gramm. 15. Quintil. 8, 3^ 29);
aber die Thatsache selbst, dafs Sallust in sprachlicher Hinsicht
viel aus den Origines Catos schöpfte, steht durch Asinius Pollio,
Augustus und Fronto fest. Suet. gramm. 10. Suet. Aug. 86.
Fronto epist. 62 N. Dafs andrerseits Arruntius ein ausgeprägter
Nachahmer des Sallust war, bezeugt uns Seneca epist. 114, 17:
L. Arruntius, qui historias belli Punici scripsit, fait Sallustianus
et in illud genus nitens. Est apud Sallustium 'exercitum argento
fecit', id est pecunia paravit. Hoc Arruntius amare coepit; posuit
illud Omnibus paginis. Quae apud Sallustium rara fuerunt, apud
hunc crebra sunt et paene continua . . . Vides quid sequatur, ubi
alicui Vitium pro exemplo est. Auf die spätere lateinische
Historiographie haben Sallust und* Livius am meisten gewirkt,
während Caesar neben ihnen yerschwindet, wie auch die ßramma-
tiker seine Eommentarien kaum berücksichtigen. Bei Curtius ist
der Einflufs des Livius stärker, bei Tacitus der Sallusts; d. h. wie
Tacitus im Agr. 10 die Palme dem Livius reicht, in den Annalen
di^egen 3, 30 den Sallust höher stellt, so treten die Anklänge
an Livius (Germ. 3 quae neque confirmare neque refellere in animo
est = Liv. praef. 6 ea nee adfirmare nee refellere in animo est)
in den späteren Büchern des Tacitus zurück. Im vierten Jahr-
hunderte aber nach Chr. siegt Sallust, schon darum, weil das
weitschichtige Werk des Livius durch die Epitoma verdrängt
wird. Vgl. Friedr. Vogel, Sallustiana in den Acta Erlang. I
313—366. H 406—448. Wölfflin, PhUologus 26,^22—127. Wie
viel hier in den letzten Jahren gewonnen worden ist, zeigt das
Beispiel von Dräger; denn in der ersten Auflage seiner Schrift
^Syntax und Stil des Tacitus' hatte er bei diesem Autor so gut
wie gar keine Spuren des Sallust gefanden, während er in der
zweiten S. 116fiP. ein langes Verzeichnis von Stellen giebt. Ein
ähnliches Verhältnis wie zwischen Sallust und seinen Anhängern
werden wir wohl für die Biographen Sueton, Marius Maximus
imd die Scriptores historiae Augustae annehmen dürfen. Der
letzte in der Reihe der Historiker, Ammianus Marcellinus, hat die
Sache auf den Kopf gestellt, indem er zwar als Fortsetzer dem.
116 • Ed. Wölfflin:
Tacitus folgt und mit ihm die Liebe zu Exkursen teilt , aber
als Nichtrömer seine lateinischen Phrasen aus allen Ecken und
Enden zusammensuchte ^ unter anderem auch aus Cicero und
Gellius^ tüchtig memorierte und so zu einem buntscheckigen
Stile kam.
Ein gesteigertes Interesse werden wir der Frage darum zu-
wendeU; weil in der neuesten Zeit angenommen worden ist, dals
derselbe Autor fast gleichzeitig in verschiedenen Schriften yer-
schiedene Stile nachgebildet habe: Tacitus im Dialogus den von
Cicero (Quintilian), im Agricola den Sallusts, in der (Germania
den des Philosophen Seneca. Nachdem Friedr. Leo den in seiner
Festrede (Tacitus, ßöttingen 1896, S. 10) nur kurz hingeworfenen
Gedanken in den Göttinger Gel. Anz. 1898, S. 172 fF. näher aus-
geführt hat, sei es auch mir gestattet darzulegen, wie ich mir die
Sache vorgestellt habe (Archiv X 458) und noch vorstelle. Dabei
bilde ich mir durchaus nicht ein, die Sache endgültig zu ent-
scheiden, sondern nehme blofs das Recht in Anspruch, in einer
so wichtigen Frage die Argumente des Angriffes und der Ver-
teidigung zu prüfen. Der Leser möge dann selbst wählen.
Dabei glaube ich freilich den Dialogus aus dem Spiele lassen
zu sollen, weil die gleichzeitige Abfassung mit dem Agricola noch
nicht allgemeine Zustimmung gefunden hat. Aber auch wenn
diese zugestanden würde, käme es für die Hauptfrage nicht in
Betracht, weil die dialogisch-räsonnierende Behandlung eines litte-
rarischen Themas einer ganz anderen Grattimg angehört als die
Darstellung historischer Thatsachen. Dafs der Agricola und die
Germania aber in das Gebiet der Geschichtschreibung fallen und
ihren Platz neben den Historien und Annalen haben, darf als
zugestanden vozausgesetzt werden. Da Tacitus zuerst Rhetor ge-
wesen, erst spater Historiker geworden ist, so gehört der Dialogus
in den ersten Ereis, wie die historischen Schriften in den zweiten,
und der Verfasser der letzteren erscheint uns nur als eine Gröfise,
wenn wir auch eine Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte gerne
zugeben.
Beginnen wir mit der Germania (de situ etc. Germaniae),
über welche Leo schreibt: „Als Muster liegt es am nächsten an
Senecas Schriften De situ Indiae, De situ et sacris Aegyptiorum
zu denken. In der That ist der Stil näher als der ii^end einer
erhaltenen Schrift mit dem Senecas verwandt." Diese auf neuen
Anschauungen beruhenden Worte werden wir nachzuprüfen haben
Die Nachahmung in der lateinischen Prosa. 117
sowohl mit Rücksicht auf den Inhalt wie auf die sprachliche
Form der genannten Schriften.
Am meisten blendet natürlich der gemeinsame Titel 'de
situ' mit folgenem Genetiv eines Ländernamens, und wenn dieser
Ausdruck in der Latinität eine Seltenheit wäre oder wenn es
nicht ähnliche Inhaltsbezeichnungen von Büchern oder Buchteilen
gäbe, müfste man diesem Argumente einen hohen Wert beUegen.
Allein der Schein trügt; hatte doch SaUust lug. 17 geschrieben:
res postulare yidetur Africae situm paucis exponere, und er hat
damit nicht nur die Geographie, sondern auch die unzertrennlich
mit ihr verbundene Ethnographie gemeint, wie die Schlufsworte
des grolsen Exkurses 19, 8 beweisen: de Africa et eins incolis ad
necessitudinem rei satis dictum. Noch viel umfangreicher aber
war im dritten Buche der Historien der ^situs Ponti', welcher
der Geschichte des mithridatischen Krieges vorausgeschickt war;
so ausführlich, dais Porphyrio zu Hör. carm. 1, 17, 18 eine Stelle
dieses Exkurses mit den Worten De situ Pontico citiert (Serv.
Aen. 3, 533 de Ponto), gerade wie auch Nonius 12, 524: Sallustius
in situ Ponti. Damach darf man wohl annehmen, dafs Sallust
selbst seine geographisch-ethnographische Darstellung mit diesen
Worten eingeführt hatte. Dafs dem Tacitus, welcher nicht nur
die Feldzüge des Germanicus, sondern auch den Bataveraufstand
unter Civilis und den Chattenkrieg imter Domitian zu erzählen
hatte, seine Germania nichts anderes war als ein ausgeführterer
Situs Ponti, springt in die Augen. Und wenn sie auch selbstän-
dig herausgegeben ist, nachdem Tacitus die Vorstudien abge-
schlossen hatte, so darf man doch nicht übersehen, dafs ihr eine
Einleitung fehlt, wie sie der Agricola besitzt.
Will man also ein Vorbild für die Germania haben, so
scheint uns am nächsten zu liegen, dieses bei einem Historiker
zu suchen, und zwar bei demjenigen, welcher anerkanntermafsen
Vorbild des Tacitus gewesen ist. Auch Livius kommt uns hier
zu Hilfe; denn die Periocha von Buch 103 berichtet: praeterea
situm Galliarum continet, und die von Buch 104: prima pars
(Hälfte?) libri situm Germaniae moresque continet. Hier
liegt das Gute so nahe, dafs es durchaus überflüssig erscheint, in
die Weite zu schweifen. Um nichts zu übergehen, mufs noch
erwähnt werden, dafs der ältere Plinius in der Einleitung zu
seinen zwanzig Büchern Bella Germaniae wahrscheinlich eine
ähnliche, vielleicht noch reichere Darstellung gab, zu welcher
118 Ed. Wölfflin:
ihm sein längerer Aufenthalt in Germanien Sto£P genug bieten
mufste. Eine ähnliche Parallele finden wir darin, daCs Livius im
16. Buche als Einleitung zu dem ersten punischen Kriege die
Vorgeschichte Karthagos gab (Per. 16 origo Carthaginiensium et
primordia urbis referuntur), gerade wie Tacitus ein Gleiches that
vor der Zerstörung Jerusalems (bist. 5, 2 congruens videtur pri-
mordia urbis aperire).
Vergleichen wir damit den situs Indiae des Seneca. Vor
allem mufs betont werden, dafs wir uns hier nicht auf streng
historischem Boden bewegen, sondern auf dem Grunde der roman-
haften Berichte der Alexanderschriftsteller, die uns aus Gurtius
bekannt sind. Was wir von der historischen Gewissenhaftigkeit
des Tacitus wissen, berechtigt uns kaum zu der Annahme, der-
selbe habe sich an die minderwertige Litteratur angeschlossen.
Dazu kommt, dafs Seneca, der Verfasser der Naturales quaestio-
nes, Naturforscher war, nicht Historiker. Was er uns in seinen
übrigen Schriften über Indien meldet, bezieht sich auf das Gebiet
der Naturgeschichte, nat. quaest. 5, 18, 2 (Winde Indiens), epist.
84, 4 (Honig), und somit würde Tacitus in dieser Schrift gerade
dasjenige nicht gefunden haben, was er wollte und bei Sallust
wie Livius fand, das Historische. Zudem galt Senecas Darstel-
lung nicht als wissenschaftlich, wie man aus den Worten des
Naturforschers Plinius n. h. 6, 60 schlieüsen mufs: Seneca templata
Indiae commentatione. Es fehlte ihm ja an Autopsie, und wenn
dasselbe auch ebenso für die Germania des Tacitus gilt, so würde
doch der Historiker ohne Zweifel die zuverlässigen litterarischen
Quellen den unzuverlässigen vorgezogen haben. Darum schreibt
er am Ende der Germania: quod ego ut incompertum in medio
relinquam. Endlich aber wissen wir aus Plin. n. h. 6, 60, dafs
Seneca 60 Flüsse Indiens imd 118 Völkerschaften aufführte (LX
amnis prodidit, gentes CXVUI), ebenso unzählige Berge, wonach
man den Charakter der Schrift mehr als einen statistischen denn
als einen historischen bezeichnen darf, etwa ähnlich den geogra-
phischen Bücheni der Naturalis historia des Plinius, welcher
unter seinen Quellen eben den Seneca genannt hat.
Besser kann Seneca über Ägypten imterrichtet gewesen sein,
da der Mann seiner Schwester IG Jahre laug praefectus Aegypti
war. Nach dem Titel De situ et sacris Aegyptiorum möchte
man glauben, die Religionsphilosophie habe den Schriftsteller be-
sonders interessiert; auf die historische Seite weist keine Spur.
Die Nachahmung in der lateinischen Prosa. 119
Es mag sich mit der Schrift der Dialog De superstitione berührt
haben, in welchem nach Augustin civ. dei 6, 10 (p. 295, 23
Hofim.) von Osiris die Rede war, wie in dem Fragmente De situ
bei Serv. Verg. Aen. 6, 154 von Isis, Osiris, Typhon gesprochen
wird. Andere gelegentliche Anfiihrungen des Philosophen be-
ziehen sich auf die Küste und die Sandwüste Ägyptens. Alles
dies stimmt indessen nur wenig zu dem Vorbilde der taciteischen
Germania.
Das Urteil über das zweite Problem lautet: „Dafs für den
Agricola Sallusts kleine Schriften das Muster sind, haben viele
gesagt und gezeigt; es tritt hervor in der Wahl eines kleinen
historischen Stoffes, in der Komposition (Gatilina: allgemeine
und persönliche Einleitung; de moribus Catilinae; die coniuratio;
Catilinas Tod), im sprachlichen Ausdruck.^^ Hier erlauben wir
uns zimächst die persönliche Berichtigung, dafs wir Philolog. 26,
122 ff. nicht die kleinen Schriften Sallusts als die Muster des
Agricola hingestellt, sondern die sämtlichen Werke Sallusts über-
haupt als stilistische Vorbilder für den Historiker Tacitus be-
zeichnet haben. Den Agricola speziell mit dem sogen. Catilina
und Jugurtha in Verbindung zu bringen, würden wir uns darum
nicht gestatten, weil Sallust seine beiden Monographien als ^bella'
bezeichnet hat, nicht als Biographien. Über den Titel des
€atilina vgl. Archiv I 277 ff., wozu noch Serv. Aen. 1, 279 hinzu-
gefügt werden kann: Sallustius in hello Catilinae. Die Kriege
gegen Catilina und Jugurtha kennt jedermann aus der Welt-
geschichte wie aus Florus, nur dafs wir wegen Ciceros Anteil
lieber von einer 'Verschwörung' sprechen; die britannischen Feld-
züge des Agricola dagegen lassen sich immöglich auf die gleiche
Stufe stellen. Oder umgekehrt: der Agricola ist eine Biographie
schon wegen der Anfangsworte Kap. 4: Onaeus lulius Agricola,
vetere et inlustri Foroiuliensium colonia ortus utrumque avum
procuratorem Caesarum habuit, quae equestris nobilitas est. Pater
illi lulius Graecinus . . . mater lulia Procilla fuit etc., und ähn-
lich beginnen die Biographien Suetons. Dazu kommen die er-
^nzenden Notizen Agr. 44: natus erat Agr. C. Caesare tertium
consule, idibus luniis; excessit sexto et quinquagesimo anno etc.
Die Monographien Sallusts sind dies nicht, weil genaue Angaben
über das genus fehlen. Cat. 5, 1 Lucius Catilina, nobili genere
natus, fuit magna vi et animi et corporis, sed ingenio malo pra-
voque. lug. 5, 7 Micipsa Adherbalem et Hiempsalem ex sese
120 Ed. Wölfflin:
gennit lugurthamqne, filium Mastanabalis fratris . . . eodem cultn
quo liberos suos domi habuit. Da in Wirklichkeit Catilina und
Jngurtha Ausseimitte aus der römischen Geschichte sind, so haben
sie auch philosophische Einleitungen über das Verhältnis von
Leib zu Seele^ welche dem Agricola fehlen; der Catilina enthält
sogar eine zweite historische Einleitung über das Wachstum Roms
bis zum Ausbruche der Katastrophe , deren Gegenstück man im
Agricola wieder nicht findet. Die Verschiedenheit wird noch
gröfser^ wenn man an den Nachruf denkt; welchen Tacitus Agricola
gewidmet hat. Demnach stöfst die versuchte Vergleichung auf
grofse Differenzen ; und was an Übereinstimmung übrig bleibt^
dafs mit der Erziehung und Jugend Catilinas (Jugurthas) be-
gonnen wird und der Tod den SchluTs bildet , ist doch etwas so
Natürliches und Unvermeidliches, dafs man darum den genannten
Schriften nicht das gleiche sldog beilegen darf. Man wird des-
halb besser thun^ den Agricola aus sich selbst zu erklären. Wäre
Tacitus zur Zeit des Todes in Rom gewesen, so hätte er seinem
Schwiegervater die Leichenrede gehalten, welche er später in
litterarischer Form nachgeholt hat.
Wenden wir uns zu der Beurteilung der sprachlichen Seite^
so soll die Germania den Stil des Philosophen Seneca wieder-
spiegeln, der Agricola den des Sallust. Hier wird man zunächst
an die zahlreichen Sentenzen der Germania denken und an die
aphoristische Darstellungsweise des Philosophen. Wir möchten
die Erklärung lieber auf einer anderen Seite suchen. Bekannir
lieh ist Tacitus erfüllt von dem Kontrast zwischen der Hyper-
kultur Roms und der mangelnden Moral, während diese bei dem
unkultivierten Volke der Germanen viel höher steht. Darum
schliefst er die Betrachtung der verschiedenen Seiten des Lebens
so oft mit einer satirisch -ironischen Bemerkung ab. Kap. 8
Velaedam et Albrunam venerati sunt, non adulatione nee tam-
quam facerent deas (Hieb auf die Konsekration der Kaiser).
Kap. 11 honoratissimum adsensus genus. est armis laudare, ge-
richtet gegen das unsinnige Klatschen im Theater. Kap. 20 nee
uUa orbitatis prctia, in Beziehimg auf die Erbschleicherei. Kap. 27
feminis lugere honestum est, im Gegensatze zu den bezahlten
Klageweibern in Rom. Kap. 19 plus ibi boni mores valent quam
alibi bonae leges (Anspielung auf die lex Julia de maritandis
ordinibus und die lex Papia Poppaea\ Den bekannten Satz Kap. 21
victus inter hospites comis betrachten wir als marginale Inhalts-
Die Nachahmung in der lateinischen Prosa. 121
angäbe, und zwar beziehen sich die drei ersten Worte auf V.on-
yictibus et hospitiis', das letzte (comis; yerdorben aus comes) auf
monstrator hospitii -ei comes.
Wenn aber angenommen wird, die Germania stehe in einer
engeren Beziehung zu dem Philosophen Seneca als die übrigen
Schriften; so besitzen wir darüber ein unparteiisches Zeugnis in
der Abhandlung von Max Zimmermann De Tacito Senecae philo-
sophi imitatore. Breslauer philolog. Abhandlungen Bd. 5 Heft 1,
1889. Derselbe beleuchtet den Einflufs, welchen die Lektüre
des Seneca auf die Schriftstellerei des Tacitus gehabt hat, worauf
schon Karl Peter in der Einleitung zum Dialogus S. 11 — 14
aufmerksam machte. Allein Zimmermann findet diesen Einflufs
überall, auch in den Historien und in den Annalen, und in der
Germania sogar weniger als im Agricola. Man vgl. Agr. 16
cum adsuetus expeditionibus miles otio lasciyiret mit Sen. epist.
56, 9 cum militem expeditionibus detinent (imperatores), num-
quam yacat lascivire . . . otii yitia, oder die frappante Stelle
Agr. 42 proprium humani ingenii est odisse quem laeseris mit
Sen. de ira 2,33 quos laeserunt, et^oderunt, imd die ähnliche
syntaktische Struktur Sen. de ira 3, 29 turpe est odisse quem
laudes.
Will man zu der sprachlichen Form auch die Komposition
rechnen, so müssen wir an dieser Stelle darauf näher eingehen,
da sie wesentlich mit dem ddog (Gegensatz ke%Lg) zusammen-
hängt. Beispielsweise müfsten wir also die Komposition der
Germania auf Seneca zurückführen. Tacitus hat seine Einteilung
schon in dem langatmigen Titel gegeben: De origine, situ, moribus
ac populis Germanorum (vgl. Rhein. Mus. 48, 312), in welchem
er ^Land und Leute' zu schildern versprach, mit Trennung von
Geographie und Ethnographie. Ob Seneca das Staats-, Kultus-
und Privatleben der Indier so behandelt habe, wie Tacitus, oder
überhaupt damals behandeln konnte, mufs zum mindesten zweifel-
haft bleiben; wir haben aber auch einen bestimmten Beweis, dafs
der Historiker thatsächlich die Komposition nicht dem Philo-
sophen entnommen hat. Er beginnt mit der Bestimmung der
Lage und der Grenzen Germaniens, woran die Frage nach der
autochthonen Bevölkerung oder der Einwanderung angeschlossen
wird; dann erst werden Kap. 5 Klima, Vegetation, Metalle be-
sprochen, die ja ohne Menschen von keiner Bedeutung wären.
Dies kann aber darum nicht aus Seneca stammen, weil Tacitus
122 Ed. Wölfflin:
selbst schon ein Jahr vorher im Agricola genau der nämlichen
Disposition gefolgt war: Lage und Gestalt von Britannien^ Ur-
einwohner oder advecti, Klima und Landesprodukte. VgL Germ. 2
ipsos Germanos (um nun von den Einwohnern zu sprechen) mit
Agr. 13 ipsi Britanni etc. Mehr im Philolog. 26, 144 f. Die Stoff-
gliederung ist also Eigentum des Tacitus. Aufserdem teilt Tacitus
seine Ethnographie nochmals, indem er zuerst die Sitten aller
Germanen und darauf die einzelnen Völkerschaften behandelt,
was wir bei Seneca mit dem besten Willen nicht Yoraussetzen
können. Diese Teilung ergab sich dem Tacitus aus seinem ge-
sammelten Stoffe, sie kann nicht einem allgemeinen Schema an-
gehören, und am wenigsten einem Schriftsteller, welcher Natur-
forscher, nicht Historiker war.
Versuchen wir nun in der sprachlichen Analyse weiter vor-
zudringen, so stofsen wir auf eine Schwierigkeit. Wir sahen
oben, dafs der Agricola mit Catilina und Jugurtha durch den
^sprachlichen Ausdruck' verbunden sein soll; ergänzend heifst es
aber S. 175, Note 2, dafs sich dies auf den *Stil' beziehe, nicht
auf den 'Sprachgebrauch'. Diese beiden Faktoren in der ver-
lorenen Schrift De situ Indiae zu trennen, wird kaum möglich
sein ; wir werden vielmehr zu der Annahme gezwungen sein, dafs,
wer den Stil einer Schrift nachahme, durchschnittlich auch die
einzelnen Redensarten annehmen werde. Wir bitten also uns zu
entschuldigen, wenn wir im Folgenden so hohen Anforderungen
nicht entsprechen, sondern nur bieten, was wir bieten können.
Im übrigen müssen wir uns in die Defensive begeben und den
genaueren Nachweis abwarten, worin denn Seneca de situ Lidiae
(Aegypti) mit der Germania, Catilina und Jugurtha mit dem
Agricola übereinstimmen. Einstweilen beschränken wir uns auf
wenige Randglossen.
In der Schilderung der Schlacht gegen die Caledonier (Agr. 37)
entsprechen allerdings die Worte: tum vero patentibus locis grande
et atrox spectaculum; sequi, vulnerare etc. genau der Stelle im
lug. 101 tum spectaculum horribile in campis patentibus; sequi,
fugere etc., allein in demselben Schlachtengemälde sind die Worte
exterriti sine rectoribus equi den Historien Sallusts 1, 139 Maur.
equi sine rectoribus exterriti entnommen. Darum ziehen wir es
vor zu sagen, der Agricola zeige vielfach sallustianisches Kolorit,
ni(*ht aber, er lehne sich an Catilina und Jugurtha an.
Doch möge man als Vorbilder des Agricola den Catilina
Die Nachahmung in der lateinischen Prosa. 123
und Jugurtha oder den ganzen Sallust nennen, vergessen darf man
doch nicht; dafs Tacitus seine Individualität nirgends verleugnet^
wie wir dies an einem bisher nicht beobachteten Beispiele zeigen
möchten. Der Ausdruck Agr. 39 derisui fuisse falsum e Ger-
mania triumphum ist, soviel wir sehen, Eigentum des Tacitus,
da der klassische Ausdruck ludibrio (Cicero .und Livius) oder
irrisui (Caesar) esse war. Daneben sagte Livius risui; Komiker
deridiculo und irridiculo; auch ridiculo kommt vor. Derisui ist
in der Prosa neu, aber schon aus Phaedrus 1, 11, 2 belegt.
Zufällig berühren sich Seneca de situ Indiae und der Ver-
fasser der Germania darin, dafs jener von den Mündungen des
Ganges, dieser von denen der Donau spricht, in deren Zählimg
die Geographen vielfach auseinandergehen. Nach Serv. Aen. 9, 31
gebrauchte Seneca die Worte novem alveis fluit, wie Pomp. Mela
3, 68 unum alveum facit, während Tacitus bekanntlich sagt: donec
Danuvius in Ponticum mare sex meatibus erumpat. Natürlich
soll dies nicht gegen die Benützung des Seneca geltend gemacht
werden, so wenig als wir die Gegen these aufstellen möchten,
Tacitus habe seinen Ausdruck aus Sallust geschöpft. Vielmehr
zog er hier eine poetische Wendung vor (Claud. Get. 336 bifido
meatu divisus Rhenus), wie er überhaupt das Wort meare und
Komposita liebt (Archiv X 556), und wir möchten sie deshalb
als sein Eigentum betrachten. Nur kann sie auch nicht zu Gunsten
des PUnius geltend gemacht werden.
Dürfen wir das Facit aus unseren Betrachtungen ziehen, so
ist der Beweis von der sprachlichen Verwandtschaft von Seneca
de situ Indiae (Aegypti) mit der Germania noch rückständig; was
die Gesamtanlage dieser Schriften sowie des Catilina, Jugurtha
und Agricola betrifft, so erscheint uns das Vorgebrachte nicht als
beweiskräftig. Sieht man sich aber nach Analogien in der Lit-
teratur um, so hat wohl Horaz in den Oden ein anderes Latein
geschrieben als in den Satiren; doch hängt dies mit der ver-
schiedenen Gedankenwelt und mit dem Wesen von Ode und Satire
zusammen. Auch kann man hier beobachten, dafs das verschie-
dene Genus auch den verschiedenen Ausdruck bis auf das Kleinste
bestimmt. Beispielsweise verträgt die feierliche Ode keine vul-
garen Formen, und Horaz hat daher in den Oden an 27 Stellen
nur mihi gebraucht, in den Satiren neunmal nur mi und ebenso
in den Episteln. Dafs aber ein Historiker in zwei ziemlich gleich-
zeitigen Schriften einmal einen berühmten Historiker, das andere
124 I^d. Wölfflin: Die Nachahmung in der lateinischen Prosa.
Mal einen Philosophen und Naturforscher zum Vorbilde genommen^
entbehrt, soviel wir wissen, jeder Parallele. Aber noch mehr.
Seneca hatte nicht nur kein tieferes Interesse fOr Geschichte^
er hatte von den Germanen nur dilettantische Vorstellungen. Man
lese seine rhetorischen Phrasen Dial. 1, 4, 14: perpetua illos hiems^
triste caelum pr^mit, maligne solum sterile sustentat, imbrem
culmo aut fronde defendunt, super durata glacie stagna persul-
tant, in alimentum feras captant. Da Tacitus in der Germania
das genaue Gegenteil von allem dem nachgewiesen hat, so können
wir auch nicht glauben, dafs er ihn ziim Vorbilde nahm, sei es
auch nur, um eine Disposition zu gewinnen, die er selber viel
besser allein fand.
München. Ed. Wölfflin.
Vieatim. Condecibilis.
Die im Arch. XI 356 von Pokrowskij für seine Konjektur viea-
tim angeführte Placidusstelle wird kaum richtig sein; es wird viel-
mehr lieifseu müssen: vieatim] per vicos. viciseim] per vices aut
per singulos.
Das in den Glossen tiberlieferte Wort conHecibilis, welches der-
selbe Pokr. im Arch. XI 368 richtig gegen die Konjektur conducibilis
schützt, ist erhalten bei Greg. Tur p. 231, 19 Kr. de noverca sua
Fredegunde regina uon condeoibilia detractabat.
München. Ed. Wölfflin.
Proventare.
Dieses Frequentativ gebrauchte Naevius in seiner Komödie Ludus
(der Lydier, was freilich Ribbeck nicht glaubt), aus welcher Cicero
Cato mai. 20 nach den Ausgaben citiert: Proveniebant oratores
novi, stulti aduleseentuli. Abgesehen davon, dafs man ein Perfekt
des Stammverbs erwartet, wie Sali. Cat. 8 provenere ibi scriptorum
magna ingenia, oder ein Plubqpf., hat der Codex AshburuhamenBis
proventabant, der ihm verwandte Coc). L nach gefälliger Mitteilung
von S. G. von Vries proveniebant, P und L* zwischen der Zeile
provenient.
Paris. Louis Havet.
Miscellen.
Znm Thesanrns Glossarnm.
An^lltjui senectus quae in animis cedi ut maledicta in viro V
440, 4. Der Gegensatz zu in viro läfst in fennnis statt in animis er-
^warten. Bern maledicta würde concedifur entsprechen. Nach senectus
dürfte ein stärkerer Ausdruck ausgefallen sein, etwa amentia oder
fatuitas (vgl. anilia fatuitas, amentia; anilis inanis, nihil, demens).
Also: anilitaw senectus, <^amentia, fatuitas^, quae in feminis <^con]>-
ceditur, maledicta in viro.
Beroe nomen orfei. Schreibe: Beroe nomen nymphae; vgl. Verg.
Georg 4, 341. Die Korruptel erklärt sich aus der Schreibung noem-
fae. Ähnlich Egeria noxia (st. njmpha).
Bibula. Im griech. Interpretament 1. &vaß6dkXovCa st. ava-
ßdXXovCa.
Bifores ölvQxmoty ölavXoi 11 30, 27 ist vollkommen richtig. Es
bezieht sich auf Verg. Aen. 9, 618 biforem dat tibia cantum; vgL
Sery. z. d. St.
Boatar ßovaxdaiov U 259, 33. bnstar domus ubi boves stant
V 583, 13 u. s. w. Trotz Lindsay the Latin lang. S. 205. 250 ist das
"Wort schwerlich lateinischen Ursprunges, vielmehr = hebr. bozra, Hürde,
Stall. Dasselbe Wort als Stadtnamen haben die Griechen mit Boctga
wiedergegeben. Die Römer haben es wohl aus dem Punischen ttber-
nonmien und volksetymologisch an bos und stare angeglichen.
Calabri veraas obsceni Y 626, 32; 595, 61. Calabrum genus
versuum malorum quasi colobon vel iocularium IV 30, 1. — Vgl.
Hesych. xaXaßQiad^elriaav' jltvaC^UriCav, Dieselbe Bedeutung, aber
etwas abweichende Vokalisierung hat %6XaßQoq bei Athen. IV p. 165®
imh xfig i(upvtov yaöXQifiaQyiag xal ridvXoyiag üokdßgovg &vayiyv(aCKU.
Der Form nach näher steht wiederum xalaßgiCfiog^ was nach Athen.
XIV p. 629* einen Tanz bedeutet. In derselben Bedeutxmg bei PoUux
rV 100 xolaßqtafiog' Sgamov oQxrjfia xal KaQLxov; vgl. Hesych.
xoXaßQl^Biv' Ciuqxäv, xoXaßQevofiivri' xMoig aXXo^iivfj, Suid«
xoXaß^KS^slri' xXsvacd'eLij^ ovöevbg Xoyov ii^iog vofiicd^elri. Es handelt
sich offenbar um Spottverse, die mit mimischen Tänzen obscönen
Charakters vorgetragen wurden. Die Formen mit o machen die Ab-
leitung von xoXaßog eher verständlich. Versus in V 626, 32; 595,
61 gehört wohl nicht zum Lemma, sondern zum Interpretament
126 A. Sonny:
Carinantes inludentes; carinari ;(a^(£VT/^£<r&ort; oarinator male-
dicus, conviciator. Vgl. Stowasser, Wochenschr. f. kl. Phil. 1891
p. 1114.
Carisa yetus lena percallida, unde et in mimo fallaces ancillae
cata carisia appellabantur Plac. V 15, 6 = V 52, 20. Man darf ver-
muten, dafs im Mimus oder bereits in seinem Urbilde, der dorischen
Volksposse (vgl. Arch. X 381), eine verschmitzte Kupplerin den reden-
den Namen Xagiaia führte, der dann zum Appellativ wurde.
Cerinea nympha aquae V 564, 52. cerere nympha V 276, 8.
oaerine aqua, nympha IV 216, 54. Schreibe: Oyrene nympha aquae.
Vgl. Verg. Georg. 4, 321.
Chroma color nomen proprium porus V 566, 23. Kontamina-
tion: ohroma color. <^Cliaoniii8]> nomen proprium portus. Verg. Aen.
3, 293.
Clatuna vel olaudine furca V 618, 19. Vielleicht: dlauBtra
.... velut Caudinae furcae. Die Lücke auszufüllen nach IV 434, 25
olaustra exitus vel aditus angusti.
EnoB laetitiae locus IV 440, 24. Die älteste und beste Hs. der
Glossae Vergilianae, der Sangallensis, bietet laetiae st. laetitiae. Schreibe
also: Aenos Thraciae locus. Vgl. Serv. z. Verg. Aen. 3, 1.
Expolita famata V 424, 59. Lies UmcUa,
Extyraoia insula V 455, 15. Vielleicht Samothraoia insula.
Verg. Aen. 7, 208.
Faba ririoa id est platano III 539, 11. Doch wohl Faba trita
id est ptisanum.
Faoilem viotum opulentam et divitem IV 441, 45 bezieht sich,
wie das Femininum des Interpretamentes lehrt, nicht auf Georg. 2, 460,
sondern auf Aen. 1, 445. Statt victum ist also vidu zu schreiben.
Fauer asper ravies V 456, 6. Vielleicht Fauoes asperae ravies
(Nebenform vod ravisV).
FligUs spiritalibus vermis spiritalibus V 541, 1. Etwa FiatnliB
spiritalibns arteriis (oder venis) sp.V
Fy licitum IV 412, 3. Ich vermute Fiat licitum, und ebenso
V 459, 54 Fiat ita praefatio operis statt hyito praef. op.
Qlauooma offusio oculorum, nebula terrae V 298, 48. L. nebula,
tenebrae.
Qliritun torpentem, stupidum V 614, 32. GlirioB somnolentus
V 601, 6. Dies Adjektiv dürfte sein Dasein einem Milsverst&ndnis
verdanken. Vgl. Hieron. adv. Ruf. HI 30 in morem glirium toipentes.
Ad loann. Hieros. 2 in modum glirium immobilem torpentemque.
Hato mendax IV 242, 51 n. ö. Wohl hlato: vgl. blato fucraio-
koyog n 30, 47.
Haurit audit vel oret IV 23, 37. Vielleicht audit vel videt
(wie V 2 29, 51 haurit implet aqua, videt oculis, audit auribus).
Haurire liberare, erigere V 270, 5. Etwa bibere, exsiccare?
lasitrossin ^vel iasytrosin) Syriam V 365, 17. lasiOB Tros,
Samathrnoiam <tenuit>V Vgl. Serv. ad Aen. 3, 167; 7, 207.
Impaxare immittere V 305, 11. Kein Grund, das Wort anzQ«
Miscellen. 127
zweifeln; = griech. ifim^aceiv (Nebenform von ifinrjyvvvat). Vgl. 11
85, 11 impingit ifiTttjöasi. 11 296, 25 in&go ■ ifinriöaa). Der Thes.
Stephan! führt ans Basüius Magnus die Form ifiniqaaovtat, aus den
Homerscholien die Form ifinriacofieva an.
Ima sepulcri porta lY 445, 38 (gl. Verg.). Kontamination: Ima
sepulora .... (Verg. Ecl. 8, 98) und <^Imae foree^ .... porta (Verg.
Aen. 2, 450).
In Tbraoia mons Chimaera V 571, 15. Nach Serv. ad Aen.
6, 228 ist In Cilioia zu schreiben.
Laotea galathea in 496, 2. Eine glossa inversa zu Vergil (Aen.
9,103; Ecl. 1,31; 3,64; 7,37). Schon Duris (argum. ad Theoer.
id. 6) leitete den Namen der Galatea von ydXa ab.
Masailia provincia V 554, 24. Ich sehe keinen Grund, eine
Verwechselung mit Massylia anzunehmen. Es ist Provincia (= Pro-
vence) zu schreiben.
NaeteoB (vel neteos) murus V374, 13. Neos murus TII 500,
64. Zu Grunde liegt wohl wog' nurus. Vgl. 1137 7, 34 nurus wog.
Nefatas arade aratro V 313, 31. Ich vermute Nefltis (=Me-
phitis; vgl. 111562, 47 nespula; V 468, 8 nilvus; Archiv IV 129;
131; 132) aer. dea putoris, nach Serv. ad Aen. 7, 84 Mephitis pro-
prie est terrae putor . . . Alii Mephitin lunonem volunt, quam aerem
esse constat. Novimus autem putorem non nisi ex corruptione aeris
nasci . . . ut sit Mephitis dea odoris gravissimi.
Ninnaros cuius uxor moechatur, seit et tacet V 375, 1. mono,
cuius uxor moechatur et tacet IV 125, 5 u. s. w. In diesem Ninnarus
glaube ich eine Figur des Mimus, resp. der imteritalischen Posse er-
kennen zu dürfen. Buecheler hat gut auf die Hesychglosse vavvd'
Qiov . oOto xakoviuvov eldog ti aacoztoV äfuivov di tov xgv(p£Qbv xal
xakbv &KOveiv verwiesen. Vgl. femer Phot. vavagiötaC' yivog tt
aötavov, Hesych. vavvaQCg' TiCvatöog und vavvdioV itaiiov. Die
für die meisten Figuren der dorischen Volksposse so charakteristische Be-
ziehung auf den Phallus ist in folgender Glosse des Hesych enthalten:
vdvog . inl xcbv (imq&v . mg vdvov Kai aiöotov ix^vrcc fiiycc' ot yoiiv
vuvoi (uydXa ijovoiv alSota. Über die Verbindung der Begriffe
„phallisch^^ und „dunmi" {mono) siehe Archiv X, 378.*) Die Formen
mit vctv- (vai/v-) und mit viv- {yivv-) wechseln unter einander. Du-
cange weist aus byzantinischen Schriftstellern für vdvog Zwerg die
Nebenform vtvdqtov^ für vaviov Puppe die Nebenform vivlov (vlvvIov)
nach. Hierher gehören vtvrjxog' ccvorirog . ot öe vevCrjXogy xal vivi-
atfri]^ Hesych. ; vivriatog' vofiog 7taiöaQi(oörjg xal Oqvyiov fiiXog idem.
Vgl. auch vBvog' svri^rig idem.
Zu den Quellennachweisungen wäre noch nachgetragen aus Vergil:
ab alto deicit (mit dem cod. Leid, deiecit zu schreiben) praeci-
1^ Zu dem dort Beigebrachten kann ich eine weitere Parallele aus dem
Italienischen fügen: minchione heifst „Dummkopf", minchionare „foppen",
von minchia «. mentula.
128 A. Sonny — Ben. Dombart — Rieh. Förster — W. Heraeus:
pitat = A. 5, 542 deiecit ab alto (Umstellung wie amoris pignus
affectionis vinculum =» A. 5, 538 pignus amoris). Acrisius filius
Oratiae = A. 7, 372. Adlabimur deferimur, navigando decurrimus
(S. 51) = A. 3, 131. 569. Bella cient = A. 1, 541 (nicht 1, 48).
Bifrons lanus = A. 7, 180; 12, 198. Berecjntia mater deorum
= A. 9, 82 (vgl. 6, 785). Brevibus asperis = A. 10, 289.
Candida pulchra, sancta = A. 8, 138. Cecropidae Athenienses
= A. 6, 21. coeant couveniant = A. 11, 292. Egregiam magnam
praeclaram = A. 1 , 445 (eher als 4, 93). Frondentibus =» A. 3,
25. 6. 4, 24. Frondosa ramosa = Ecl. 2, 70. Gestamen 6%ipttQov
= A. 7, 246. Grave olens = A. 6, 201. G. 4, 270. öressi in-
cedentes = A. 6, 633. Impulit adegit, percussit (S. 547) =■ A. 1, 82
(nicht S. 4, 349). Improperatus = A. 9, 798. Incendia clades,
aeruinna = A. 1, 566. Ineo bellum = A. 7, 647. Ineo somnum
= Ecl. 1, 56. Infantum vt}7tl(ov = A. 6, 427. Inflicta =* A. 10,
303. Inhians intente aspiciens = A. 4, 64. Iniussus avTOfpvrig,
iniussa non missa = G. 1, 55. In triviis = Ecl. 3, 26. Irrisam
delusam = A. 5, '212. Madens aspersus unguento =» A. 4, 216.
Maen alias (1. Maenalio^) pastorales = Ecl. 8, 21. Namque tibi
= A. 1, 65. — Aus Mart. 3, 67, 10 stammt Argonautes piger
nauta (vgl. Friedländer z. d. St.); aus Mart. 11, 77 cacaturit %«{>/-
na und conclave &(peÖQ(xtv. — Dux gregis &yeldQxtig geht vielleicht
auf Ovid Met. 5, 327 zurück.
Kijew. A. Sonny.
Campania, die Ebene.
Die Angabe des Plinius nat. h. 18, 360 über den dem Gewitter
vorausgehenden fragor ist in den letzten Jahren Gegenstand philo-
logischer Kontroversen geworden. Nach Silligs Ausgabe sollte sich
derselbe 'in campis' äufsem, was einen vorzüglichen Sinn giebt wegen
des Gegensatzes, 'sonitus montium'. Als wir aber belehrt wurden,
dafs in den ältesten Handschriften campanis oder campanus über-
liefert ist, mufste Silligs Lesart an Glaubwürdigkeit verlieren. Aus
diesem Grunde schlug Wöliflin vor, in campanis als Neutr. plur. zu
fassen nach Analogie von montana, edita u. ä. Doch fehlten Belege
dieses Sprachgebrauches aus der Zeit des älteren Plinius.
Die Erklärung von Georges, welcher in campanis auf 'Glocken'
bezieht, fällt darum dahin, weil campana = Glocke erst in der Zeit
um 500 nach Christus auftaucht. Retten liefse sie sich nur, wenn
man zu campana ergänzen wollte 'vasa', wie Samia, und diesen Aus-
weg zeigte Wölfflin in seinen Beiträgen zur lateinischen Lexikographie,
Sitz.-Ber. d. bayr. Akad. 1900, S. 4 und 30.
Das Richtige ist in der Hauptsache aus Du Cange zu gewinnen.
In der Überlieferung Hn campanus' steckt: in campaniis, womit wir.
Miscellen. 129
sachlich genommen, auf den ersten Weg zurücklenken. Dieser Aus-
druck ist zwar nicht klassisch, aber wenigstens durch die Gromatici
bezeugt. Yergl. vol. I 332, 22 Lachm. si in campaniis fuerit . . . si
autem montuosum; 331, 19 si in montioso loco fuerit . . . si in cam-
paneis. Hier ist es leicht loca zu ergänzen, oder ohne £llipse an
ein Neutr. plur. zu glauben; vgl. 310, 4 in monte ... in planis locis.
Man kann aber auch an ein Femininum campania (= regio campe-
stris) denken, worauf der Name der Landschaft Campania hinweist.
Jedenfalls lebte eine zweite Ableitung campanius, campaneus, wenn
auch die Schrift^rache das erste Derivatum campanus beibehielt.
Vgl. Corp. Gloss. II 96 Campania: Ttsöidg.
Ansbach. Ben. Dombart.
Znm Oenetivas qaalitatis.
In seiner historischen Untersuchung (Arch. XI 489) hat Edwards
mit Recht auf den Gebrauch bei den Scriptores physiognomonici hin-
gewiesen, namentlich auf Polemo; dabei sind aber zwei Versehen
untergelaufen. Denn was er N. 88, 20 dem Polemo zuschreibt, ist
Übersetzung aus dem Arabischen von Hoffmann, und die Stelle unter
N. 98 (S. 489, Ende) aus Pseudo- Polemo Latein des Unterzeichneten.
Vgl. Prolegom. pg. LXXXI und CLXXVII.
Breslau. Rieh. Förster.
Simo = delpliinns.
Bei Hygin fab. 134 (p. 114, 21 Schm.) erscheint unter den
Namen der in Delphine verwandelten tyrrhenischen Schiffer, welche
Ovids Erzählung entnommen sind, auch der Name Simon, den Ovid
nicht kennt imd die Kommentatoren nicht erklären. Wie kommt er
in diese Gesellschaft? Loewe Prodr. 331, bez. praef. XIV, merkt
zu den Worten des Lucilius (VII, 14 L. Mr, v. 242 Lachm.)
si(cy movef ac simat nares, delphinus ut oihn
aufser einer Glosse delfin: selo, in der er semo korrigiert, eine Stelle
aus den von Mai herausgegebenen Statius-Scholien Achill. I, 56 an:
(lelphines quando praeludunt in fluctibtis et undarum sc tnotibus salfu
praccipiH ferufU, tempestates*) sig^nificare videntur. In proprie sc man es
nomnantur. Näher lag es, auf die Quelle dieses Scholions hinzu-
weisen: Isid. er. 12, 6, 11, der wörtlich ausgeschrieben ist (auch die
Glosse s'ttnones:ddphini in einem Glossar des 10. Jahrh. C. Gl. V, 526, 2
^) Zur Sache vgl. das Fragment aus Suetons Prata bei Isid. r. n. 38.
AnhiY tax Ut. Lexikogr. XU. Heft ]. ^
130 W. Heraeus — Alfr. Klotz — Ed. Wölfflin:
geht, wie vieles andere darin, auf Isidor zurück). Aber auch Isidora
Quelle liegt nicht fem: Plin. n. h. 9, 23 dorsum rejyandum, rostrum
simum, qua de causa nomen Simonis onines miro modo agnoscunt
malunfque ita appellari. Also wegen seines platten rostrum wurde
der Delphin vom Volk simo genannt, das neben simus (atjiog) steht,
wie das verwandte silo neben silus u. a., und in den Lexicis nach-
zutragen ist, bei welcher Gelegenheit auch der Irrtum der Wörter-
bücher bemerkt sein mag, die den Eigennamen der Komödie Simo
mit langem Vokal der ersten Silbe bezeichnen (sowohl durch Horaz
a. p. 238 als auch durch zahlreiche Stellen in Terenz Andria steht
die Kürze fest). Man erinnert sich auch der Worte des Livius trag.
V. 5 R. lascivum Kerci simum pecus ludens ad cantum dassem lustra-
tur und wird auch den bei Athenaeus ^12 B erwähnten Nilfisch
6L}iog mit dem von Plin. n. h. 8, 91 beschriebenen delphinartigen Nil-
fisch identifizieren dürfen.
Offenbach a/M. W. Heraeus.
Thyrsa, Neutr. plur.
Der heteroklitische Plural thyrsa ist meines Wissens im Lateinischen
noch nicht belegt. Im Griechischen findet er sich z. B. Anth. Pal.
VI 158, in einem Epigramm des Sabinus Grammaticus: Ilavl Bitaiv
'llfiagov^ Nvfiq)ai,g Qoöa^ d'VQCa Avaifo^ xqiöoov vn evnBtdXotg öcl)QOv
s^TjKB q>6ßatg. Das Epigramm gehört entweder in den Meleagrischen
oder Philippischen Kranz, also auf jeden Fall spätestens in die Zeit
des Tiberius. Auch im späteren Epos findet sich ^vQöa: Nonn. 38,
55 Avalov ae£(ov eijia ^vgCa mal ov nccvoTtrjtda ddfpvtjv.
So werden wir auch bei Stat. Ach. 1, 950 (2, 216) dem Zeug-
nis des trefflichen Puteaneus trauen dürfen, in dem überliefert ist:
tu thyrsa manu Baccheaque mecum sacra, quod infelix non credet
Troia, tulisti; cf. 1, 648.
München. Alfred Klotz.
Gfittweiger Italafragmente.
Die Bibliothek der Benediktinerabtei Göttweig in Niederöster-
reich besitzt laut Manuskriptenkatalog Band I Seite 65 zwei Perga-
mentblätter mit Uncialschrift des VII. Jahrhunderts, welche Abschnitte
einer lateinischen Bibelübersetzung enthalten, nämlich I Vorderseite:
Epist. Rom. 5, 16—21. 6, 1—4. Rückseite 6, 6—18. H Vorder-
seite: Epist. Gal. 4, 6—19. Rückseite 4, 22—30. 5, 1. Beide Blätter
Miscellen. 131
dienten ursprünglich als Einbanddeckel einer Pergamenthandschrift
und sind aus dieser abgelöst worden. Die Kenntnis dieser Fragmente
verdanke ich dem verstorbenen Gynm.-Direktor Wilhelm Schmitz in
Köln. Da die Lesarten teils mit der Vulgata des Hieronymus, teils
mit der Itala stinmien, so ist anzunehmen, dafs die Übersetzung
zwar aus einem Italacodex flofs, dafs aber einzelne Stellen nach der
Vulgata abkorrigiert wurden. Am deutlichsten beweisen dies vier
Stellen, welche mit Bibelcitaten bei Tertullian und Cyprian überein-
stimmen, nämlich: Rom. 6, 6 conlixus est cruci == Tert. pud. 17
(Vulgata crucifixus). G, 8 simul convibemus cum illo = Tert. ibid.
(Vulgata simul vivemus cum Christo). In beiden Fällen hat die Itala
das griechische Original (avviöxavQa&tj und övjijdofuv) genauer wieder-
gegeben als die Vulgata. Gal. 4, 9 quomodo revertimini iterum ad
infirma elementa = Tert. Marc. 5, 4 (Vulgata convertimini; i7tiöTQiq>sri).
4, 16 vobis verum praedicans = Cypr. epist. 4, 5 cod. Bob. (Vulgata
verum dicens vobis; akrjd'evGiv vfiiv).
Aufserdem stimmt der Göttweiger Text gegen die Sixto-Clemen-
tinische Vulgata
1. mit codex Claromontanus: Rom. 6, 9 surgens a mortuis
(Vulgata resurgens ex mortuis; iyigd^elg in vfx^öv). Gal. 4, 7 ita
(Vulg. itaque; ßtftc). 4, 15 quae ergo fuit (Vulg. ubi est ergo; xlg ovv
rpf). 4, 25 huie . . . servit enim (Vulg. ei ... et servit; öovXevh ob),
2. mit codex Boernerianus: Rom. 5, 19 oboedien tiam (Vulgata
obeditionem; VTrofxo^j). ibid. constituuntur (Vulg. constituentur; naxa-
az€i^](5ovxcii). 6, 14 peccatum in vobis non dominabitur (Vulg. vobis;
vik&v xvquvCEi). ihkl. estis sub lege (Vulg. sub lege estis; ioxl vnh
vonov). 6, 15 peccavimus (Vulg. peccabimus; cciiaQTrjCOfuv). 6, 16
oboedistis (Vulg. obeditis; xmaKovexs). Gal. 4, 23 promissionem (Vulg.
repromissionem; inayyekUxg). 5, 1 State ergo (Vulg. State; axi]7uxe).
3. mit cod. Ciarom und Boern.: Gal. 4, 7 si autem filius (Vulg.
quodsi filius; sl öh). 4, 10 annos et tempora (Vulg. tempora et annos;
TuxiQOvg xal ivucvxovg). 4, 12 ego (Vulg. et ego; xaycb). 4, 13 scitis
(scitis autem; otÖaxe öi). 4, 23 ille quidem qui (Vulg. qui; 6 ^ev).
4, 26 quae autem (Vulg. illa autem quae; i^ ös). 4, 29 sicut (Vulg.
quomodo; ZcTteg).
4. mit Fuldensis: Rom. 6, 4 quemadmodum (Vulg. quomodo;
&cneQ). Gal. 4, 27 exclama (Vulg. clama; ßoriöov).
5. mit Amiatinus: Rom. 6, 16 ad mortem fehlt.
Endlich aber bieten die Göttweiger Fragmente 29 selbständige
und singulare Abweichxmgen, welche wir aufzählen. Rom. 5, 16 sancti-
ficationem (iustificationem; dtxa/ofior). 5, 18 omnes zweimal (in omnes).
5, 21 ita gratia (ita et gr.; oCfrw xai rj x^^^ff). 6, 3 fratres, nach
ignoratis (fehlt in der Vulgata sowie im griechischen Texte). 6, 9
hoc scientes (scientes; eidoxeg). ibid. ei (illi; avxav). 6, 11 itaque (ita;
(Aken), ibid. vivere (viventes; i&vxag). ibid. fehlt in Christo lesu do-
mino nostro. 6, 13 fehlt deo. 6, 15. 16 quia (quoniam; oxi). 6, 16
vos exhibetis (exhibetis vos; naQLaxdvexs). ibid. iustitiae lidei (obedi-
tionis ad iustitiam; vTcaxoTjg eig ötKaioövv)}v), Galat. 4, 9 cog;ivo?k^^Tv\ß,^
132 Ed. Wölfflin — Aug. Zimmermann — Elia Lattea:
(cum cognoveritis ; yvovxBg), 4, 12 rursus ut antea (denuo; nahv).
4, 12 quoniam ego (quia et ego; ort xayo)). ibifl. praecor (obsecro;
diofiai). 4, 13 iam pridem evangelizavi vobis (andere Wortstellung).
4, IT) quae ergo fuit beatitudo (ubi est ergo b. ; tlg oiv fpf). ibid.
testimonium (testimonium enim; (Mx^VQob yctQ)- 4, 16 factus sum
vobis (vobis factus sum). 4, 24 quod est Agar (quae est Agar).
4, 25 mons in Arabia, quae coniuncta est (qui coniunetus est). 4, 27
quoniam (quia; ort).
Wichtige Ergebnisse lassen sich aus diesen Fragmenten nicht
gewinnen, auTser dafs, wie die zuerst angeführten Stellen beweisen,
die Schriftsprache gegen die mit con zusammengesetzten Verba etwas
zurückhaltend war, wie wir umgekehrt wissen, dafs die Volksaprache
einen Überschufs besafs.
München. Ed. Wölfflin.
Zar lateinischen Wortbildung.
1. Eine bis jetzt unbekannte Bildung eines Substantivs auf o
von einem Verb ist concresco „Jugendgenosse" — cf. C. I. L. YL
29063 D. M. Vitali toncresconi — gebildet wie combibo.
Dazu giebt es ein Feminin concresconia, vgl. C. I. L. VI 30467 D. M.
(FeliciV)tati concresconiae. Aber auch ein Substantiv cresco — vom
Verb cresco ebenso gebildet wie bibo von bibo — wird es gegeben
haben; denn ein davon abgeleitetes cognomen Cresconius finden wir
nicht selten, z. B. C. I. L. VIII 2403 (l, 21) Sessius Cresconius.
2. Wir kennen bu-bulcus und su-bnlcus; aber es wird auch
o-bulcus „Schafliirt" gegeben haben. Denn das n. g. Obulcius — cf.
C. Obulcius C. f. C. I. L. I 1428 und sonst — setzt ein cognomen
Obulcus voraus. Nun sind auch bubulcus und subulcus zur Namen-
gebung verwandt worden. Vgl. C. I. L. I^ F IX 720 „C. Salvius Bu-
hulciis^'' und sonst und C. I. L. II 5551 „Manlia Cn. f. Clodia Subul-
chiilla. Wenn für au-bubulcus, das Löwe Prodr. 348 bringt, Baehrens
schreiben möchte au-bulcus (Jen. Lit. 1877 p. 156), so werden wir
ihm mit Rücksicht auf das oben erschlossene obulcus beistimmen und
werden obulcus gegenüber aubulcus als die vulgare Form betrachten
— vgl. Olus neben Aulus — . Aubulcus würde dann aus avi-bülcus
entstanden sein und zu ovis in demselben Verhältnisse stehen wie
o-pilio (vgl. [alTtokog^ ifi-noXog) avillus. In vortoniger Sübe nämlich
hat sich nach Hirt, der Ablaut § 35 a, lat. ov in av verwandelt.
Breslau. Aug. Zimmermann.
Mater! mater(e).
Diese wichtigen vulgärlateinischen oder wenigstens etruskisch-
lateinischen Formen, die ich schon mehrmals nachgewiesen habe (zuletzt
Miscellen. 133
Saggi e Appunti 138, wo patvri zu streichen), sind sowohl von Lindsay
(Latin Lang. 145—147) als von Stolz (Hist. Gr. 196—201) über-
sehen worden, sodafs der erste dieser Gelehrten immer noch nur osk.
paterei neben nmafrefs (vgl. Planta I 261) erwähnt; dabei hatte ich
auch auf sabell. materesh paferesh (Pauli, Venet. 220 mafereso pattreso)
nach Bendic. Ist. Lomb. 1891 p. 181 (vgl. jetzt Pascal, Atti Accad.
di Torino 1895 — 96, p. 33) hingedeutet, wozu jetzt als Curiosum
wohl noch phryg. materez maferan nach Pauli, Vorgr. Lischr. Lemn.
n 32, hinzuzufügen sein wird. Auffallender scheint mir aber, dafs von
lat. etrusk.. materi auch Pauli C. L E. 1573 = C. I. L. XI 2234 keine
Notiz genommen hat, da er es doch selbst aus seinen Schaden für
CLL. XI 3071 (Horta, Ti. Tuccio patri CcUiae materl u. s. w.) kennen
mufs. In der That. schreibt er a. a. 0. einfach «lege Thanusa To-
ceronia mater, Thania Selia ncUa; de addito mater cf. paiir supra
no. 1145 {Lart Marc Ar. f, pafr) et filius supra no. 1062 (Q. Tre-
hon'ms Q. f. filius):^. Nun erstens, während von filius in dieser An-
wendung noch mehrere andere Beispiele in den lat. etr. Inschriften
vorkommen (CLL. XI 2023, 2068, 2150, zweimal 2603«) und wäh-
rend schon dadurch die analoge Anwendimg von patcr höchst wahr-
scheinlich wird, welche man übrigens wirklich wenigstens durch ein
Beispiel auch erwiesen findet (C. I. L. XI 3038 C. Turio L. f. Kmn pafri\
giebt es für matcr bis jetzt, soviel ich weifs, kein zweites und also
kein einziges sicheres Beispiel. Zweitens, es genügt C. I. L. XI 2280
A. Prasna Ar, liav(eia) matre, 2231 Q. Hcrmfa] Capito matr(e)
Taniisa Atina (nicht Axina)^ wo Pauli selbst wa^/rr/ liest (C.LE. 1586),
zusammen mit lat. etr. materi zu vergleichen, um die Berechtigung
und den Vorzug meiner alten, von ihm übersehenen Lesung und
Deutung Thanusa Toceronia, mater (e) Thania Selia tmfa anzuerkennen
und dadurch neben materi auch mater (e) zu gewinnen. * Dazu sei noch
gelegentlich an lat. gall. CLL. V 6251 (Mailand) Pateri Celeriani er-
innert.
Mailand. Elia Lattes.
Litteratur 1899. 1900.
Lexique de Flaute publie sous la direction de J. P. Waltzing
professeur a Tuniversite de Liege. A — ACCEPIO. Louyain,
Charles Peeters, editeur-libraire. 1900. IV + 99 S. 8^ 3 Fr.
Nicht erste Lieferung, sondern 'un essai provisoire* ist nach der
Vorbemerkung des Herausgebers, was hier geboten wird. Die Kritik
soll abgewartet werden, ehe das Lexikon seine endgültige Gestalt er-
halt. Diese Probe ist allerdings nicht nur vom Endgültigen, sondern
von dem, was den bescheidensten wissenschaftlichen Ansprüchen ge-
nügen könnte, sehr weit entfernt.
Zwar das Letzte der Arbeit, die Ordnung und übersichtliche Ein-
teilung des Stoffes, ist recht befriedigend ausgeführt und kann schon
jetzt für so wichtige Artikel wie a, ah, ahs (wo die Arbeit von Rolfe
vorlag) und ar, afqur nützlich und hilfreich sein. Überflüssig er-
scheint die vollständige Liste der Wörter, vor denen diese Partikeln
im Satze erscheinen (2y2 und 67, Seiten)*), also z. B. der je 25 mit
a und p anlautenden Wörter, vor denen ab, a steht, der kaum zähl-
baren mit Vokalen anlautenden, vor denen atque steht. Hier ist Be-
schränkung auf das Wesentliche vorzuziehn: ah nicht vor hpmfvcgq
(quo ah caveas bestätigt die Regel, über ah viro s. u.), a nicht vor j
und (nur ah re und einmal ah raflldhus) r**); sonst vielleicht für
das Seltnere die Belege, für das Häufigere Zahlen, ^abaeto, voy. abeto*^
d. h. Lemma Avird die Form mit dem orthographischen Fehler, die
überdies nicht überliefert ist (Bacch. 1172 ahcas, und richtig, unter
aheo fehlend), ^ahdifivos enleve, soustrait a', d. h. ein Wort, das es
wenigstens bei Plautus nicht giebt. Unter den Formen von abeo
wird aufgeführt ahi<^iyftfi mit 4 und abist l mit 3 Stellen: an jenen
ist ahiisfi metrisch erforderlich, an diesen ahisfi nicht metrisch er-
forderlich; was soll dasV ahcam soll (S. 23) Synizesis erleiden in den
Versen Mil. 1083 {smifr ahrdm in Anapästen) und 1343 (quam (ths
tc fiheam trochäischen Septenar beginnend). Die Stelle Stich. 523 ist,
wie sie S. 43 ausgeschrieben ist, nicht richtig verstanden. Zu Afticis
*) Darunter z. B. 8. 1 Merc. 811, wo n familia für ac fnmiliaif Most. 644,
wo (imagni.s fiu* magnis verschrieben ist, S. 45 Poen. 1405, wo acmassum
sinnlos und ac ausgeschlossen ist.
**) Hier ein paar Fehler, wie ich sie sonst nicht gefunden (freilich auch
nicht gesucht; habe: Stich. 225 gehört zu a rohis, Men. 837 und Trin. 983
zu ah hin.
Litteratur. 135
Merc. 837 (S. 7. 37) ist nicht rebus zu verstehen, sondern inhe, civi-
täte. S. 38 s. dbripio: Most. 385 abripife hunc (sc. pafrem) ist mifs-
yerstanden.
Aber dergleichen wäre jetzt zu korrigieren und künftig zu ver-
meiden. Das Wichtigste an einem für wissenschaftlichen Gebrauch be-
stimmten Speziallexikon ist das Verhältnis des Verfassers zum Texte
und damit die Beurteilung der Überlieferung, die Orientierung des
Benutzers über die Zuverlässigkeit jedes einzelnen Citats. Wo die
kritische Arbeit nicht vor der lexikalischen geleistet ist, da kann
weder ein brauchbares, noch ein zwar unvollkommenes, aber der Ver-
besserung fähiges Lexikon entstehen. Die Bearbeiter dieses Plautus-
lexikons haben aber offenbar überhaupt kein Verhältnis zum Texte
des Plautus.
Über die 99 Seiten ist eine Saat von Kreuzen ausgestreut. Nach
der Vorbemerkung bedeutet das Kreuz ^texte ou metre corrompu';
dazu Sterne als Lückenzeichen. Nun stehen die Kreuze zu mindestens
fünf Sechsteln vor heilen Wörtern. Wenige Beispiele: S. 22 sind die
51 Stellen mit abeo hergezählt, darunter ^Aul. 377 fabeo^] über (theo
iratus Ulinc mag man sonst denken, wie man will, an abeo hat nie-
mand gezweifelt und könnt« niemand zweifeln. S. 5 Trin. 885 si anie
lucem fire ovcipias a nwo primo nomine, S. 10 Capt. 790 nwve ups
te '\ moram atque afje hanc rem, S. 14 Capt. 415 '\merlto tibi ea eve-
nerunt a me, S. 16 Poen. 690 fte (juaeritare a muscis^ S. 21 Truc. 541
aceipe hoc, fabduce Jiasce hinc e canspectu Suras, S. 28 Amph. 639
atqu^ is repetüe abiit a me *hinc ante lucem, S. 30 Pers. 855 "fabi
intro in crucem und so fort: keine dieser Stellen vielleicht hat ein
korruptes Wort, sondern entweder einen der gewöhnlichen Hiat«
(Capt. 415, in in Trin. 885) oder einen Wortverlust (Truc. 541) oder
sie klären sich durch richtige Beurteilung des Metrums auf (Capt.
790, Amph. 639) oder durch Interpretation (Pers. 855) oder sie sind
noch nicht aufgeklärt (Poen. 690); aber in keinem dieser typischen
Fälle ist es gestattet, das Urteil des Benutzers durch ein allgemeines
Korruptelzeichen zu binden. Wo ein wirkliches spezifisches Bedenken
vorhanden ist, mufs dieses bezeichnet werden. Ein Plautuslexikon, das
z. B. jeden wirklichen oder vermeintlichen Hiatus durch Kreuz bezeichnet,
führt den Benutzer in die Lrre: es setzt den Flufs der Untersuchung
in ein Bild dogmatischer Starrheit um und verdunkelt die Thatsache,
dafs die Verse mit Hiat meist heile Sätze geben. Schlimmer ist die
unzulängliche Interpretation. Auf S. 51 findet sich (unter atque);
'Most. 869 fw/' un^' atque *♦* Bacch. 1186'. Wer sich damit nicht
begnügt, findet die Sätze (anapästisch): ut adhuc fuit müii corium esse
opo)iet, sincerum atque ut votem r erber ari und qu'ul t andern? si dimi-
dium auri rcdditur, in hac mecum intro? atque ut eis ddieta i{fnoscaSy
die beide tadellos sind und beide atque ut in gleicher, besonders aus-
geprägter Verwendung zeigen; wer sie nicht für tadellos hält, darf,
wenigstens als Lexikograph, dem Urteil des Benutzers nicht still-
schweigend vorgreifen. Auf S. 19 (VI 4) findet sich ein Verzeichnis
von 'passages corrompus' (mit a)\ Cist. 335. 371 (vom einen Verse
136 Litteratur.
ist, im Palimpsest, nur ibo a — , vom andern zu Anfang at e§o n —
erhalten, d. h. beliebige mit a anlautende Wörter) Mil. 940 (dalne ah
se mulier opcrnmY woran ich nichts auszusetzen weifs; überliefert ab
si) 1335 (lahm ah labellis (^atiyfer, wo, wer zweifeln mag, doch nur
am Verbum, nicht an ah zweifeln kann) 1383 {ah isto aufcrre zweifel-
los) Truc. 525 (hier ist statt ah nequco in den Handschriften ah nc-
qiiro geschrieben) 876 (a milife omnis mihi \iwfn\ spes atüvnam effla-
v(rit, leichte Korruptel die das a nicht berührt) 968 (korrupter Vers^
in dem zufällig a nieenrti geschrieben ist) Vid. 39 {ahs te, dann Lücke).
Zu diesem Verzeichnis aber mufs man bedenken, dafs die Stellen dem
Lexikon entzogen sind, darunter die ttlr den Gebrauch wichtigen
Mil. 940, Truc. 876. Wie unvollständig das begonnene Lexikon sein
wird, tritt gleich hier und dann bei allen ähnlichen Gelegenheiten
hervor.
In der Masse der Fälle, in denen die mit "l* bezeichneten Stellen
wirklich korrupt sind, ist die Korruptel entweder geheilt oder so weit
geheilt, dafs an dem tUr den Artikel in Betracht kommenden Sinn
kein Zweifel sein kann, oder die Korruptel kommt für den Artikel
überhaupt nicht in Betracht. S. 21 wird für ahduco ex angefahrt
Pseud. 1098 qni illam quidnn iam '[in SictfOfinn ex urbe ahduxit
nwdo: grade das Bekreuzte giebt gar keinen Anlafs zum Zweifel; iür
ififro ahduco Epid. 398 sed /u fhanc luhcfis iniro (vel iuhes: dies
soll hinter luhins stehen) ahduci: dafs hanc iniro ahduci von einer
Form des Verbum iuhco abhängig ist, liegt vor Augen; S. 39 für
absolut gebrauchtes ahsolro Epid. 631 agr, age, ahsolve (finissons-en)
niquc avifinium "[nvmna mtmera, nr rmnifes morer: jeder weifs seit
Camerarius, dafs me nach ahsolve einzusetzen ist; dafs numera irrtümlich
wiederholt ist, zeigt zum Übertiufs der Raum im Ambrosianus; S. 44
ist für das Vorkommen von ac vor d verzeichnet f ac dum Mil. 997;
wenn der Herausgeber nicht weifs, dafs das hier überlieferte dofnosi-
hit ac dum huc frayisiuit ad bedeutet domo s^i hitat dum huc fransbifafy
so entgeht ihm für sein Lexikon Verschiedenes, wie schon sein Artikel
adhefo beweist.
Solche Beispiele zu häufen, ist zwecklos; sie finden sich auf
jeder Seite, und eines kann statt aller dienen. Bei der hier zu be-
obachtenden Verachtung des Herausgebers gegen die Emendation ist
man mit Recht verwundert, teils falsche, teils richtige Emendationen
aufgenommen zu linden (z. B. S. 7 Cist. 237, S. 20 Poen. 65, S. 29
Mil. 1312, S. 40 Bacch. 471), teils mit, teils ohne Hiriweisung; und
sogar eine Konjektur S. 20 s. ahdmnen: 'cfr. Truc. 629 oü il faut peut-
etre lire: ahdomcn scco, ni, hcUaior etc.', was ihm wenige glauben
werden.
Das Erstaunlichste ist, dafs man hier von Überlieferung über-
haupt nur durch Kreuze und Klammem*) und davon, dafs Plautus
*) S. HG * atque supprime contrairement aux mauuscrits': darunter
Amph. 1101, wo mitte ista atque mindesten« so gut ist wie m. iataeCt Asin.
205, wo atque gar nicht zu entlebren ist, Aul. SIC, wo die Klausel des
Litteratur. 137
nicht einheitlich, sondern durch den Text zweier antiker Ausgaben
überliefert ist, gar nichts er^hrt. Diese Thatsache berührt aber den
Bestand des Lexikons auf Schritt und Tritt, nun gar, wenn es auch
die Formen und Schreibungen angeben will. Stich. 255 ist ahs fr in
P so gut überliefert, wie a vobis in -4; auf S. 2 findet sich die Stelle
unter a vobis (nur aus Versehen unrichtig gestellt), aber nicht S. 4
unter abs te. Stich. 148 steht a viro in P, ab viro in A, im Lexikon
die Stelle nur S. 3 unter ab, während sonst ab niemals vor v steht
(s. 0.). Auf S. 3. 4 wird in gesonderten Reihen angegeben, vor wel-
chen Worten sich abs, vor welchen aps findet; unter aps sind aufgezählt
2 Stellen an denen abs überliefert ist (Bacch. 1025, Pseud. 486),
Pers. 654 wo ahsvntem überliefert ist imd Bothe abs te korrigiert hat,
5 Stellen an denen A aps und P ahs hat (Mil. 569. 1167, Most. 653.
924. 927), 3 SteUen an denen A abs hat (Men. 345 ahs, Pers. 169
abs te ACI), aps te B, Trin. 488 abs te A, ap te P), eine an der
A, eine an der P a te hat (Trin. 325, Rud. 528: unter a und ab
fehlen diese Stellen). Wer in der Richtung weiter suchen mag, sehe
die Fälle von arcesso und accerso durch, die auf S. 88 gesondert vor-
gefahrt werden, ohne jede Gewähr. Der Artikel absto heifst: ^abf^io,
se tenir loin de: nülIe tnodis amor iffnorandttst, proal fadhibrndufit
aique absfatidus Trin. 264.' Es ist überliefert: adhibendus nitpic ah-
standust in A, adhibemlus est atque aptinendus in P; abstandus be-
ruht also nur auf A, zu erwägen ist, ob man transitives abstare hier
anerkennen muTs; abhibendus (Acidalius) hängt daran, in einem Plau-
tuslexikon mufs man auch abhibeo finden, auch wenn es nicht aner-
kannt wird.
Dies reicht vollständig aus, die Arbeit zu charakterisieren, und
ich darf darauf verzichten, den Leser mit weiteren Beispielen zu be-
helligen, die ohne Mühe aus jeder Seite herauszustechen sind. Wenn
man fragt, wie dergleichen möglich ist, so findet man die Antwort
in der Vorbemerkung des Herausgebers, der ganz unbefangen mitteilt:
^nous avons pris comrae base unique le texte — ' gleichviel von wem;
denn dies soll keine Kritik einer Ausgabe sein. Eine Ausgabe ist
kein Lexikon, und es wäre eine wunderliche Ausgabe, deren Text sich
einfach zu einem Lexikon auseinanderschneiden liefse. Dafs aber
heut« noch jemand glaubt, man brauche nur einen beliebigen Text
mit der Schere zu lesen, um ein wissenschaftliches Spezial Wörterbuch
zu gewinnen, dafs heute, nachdem 11 Bände dieses Archivs erschienen,
nachdem Meusels Cäsar- und Greefs Tacituslexikon erschienen sind,
nachdem seit 5 — 6 Jahren über die Arbeiten berichtet worden, die
zur Vorbereitung des Materials für den Thesaurus linguae latinae ge-
dient haben, dafs heute noch jemand daran geht, aus zwei Exemplaren
einer Plautusausgabe, einem Haufen Papier und einigen Zettelkasten
ohne weiteres (in der That ohne weiteres) den Stofi" herzurichten,
folgenden Verses in den Hdschr. irrtümlich wiederholt ist, Pseud. 485, ein
als 527 wiederkehrender Vers und darum hier in den Aufgaben einge-
klammert.
138 Litteratur.
aus dem ein Plautuslexikon hervorgehen wird: das darf man wohl
als eine schwer glaubliche Thatsache bezeichnen. Aber die Thatsache
liegt vor Augen.
Es ist klar, dafs man vor diesem Lexikon, wenn es, wie be-
gonnen, weitergeführt werden sollte, nur warnen kann. Ich will da-
mit nicht sagen, dafs Herr Waltzing oder seine Mitarbeiter unfllhig
seien, ein brauchbares Plautuslexikon herzustellen. Aber sie werden
geraume Zeit auf die subjektive und objektive Vorbereitung verwenden,
d. h. sich selbst in Text, Sprache und Metrik des Plautus hinein-
arbeiten und danach ihr Zettelmaterial von Grund aus neu gestalten
müssen.
Göttingen. F. Leo.
Siegfried Reiter: Zur Etymologie von elementum. Gymn.-
Progr. Weinberge (Böhmen) 1900. 16 S. S^.
Man hat Diels (vgl. Arch. XI 443) ziemlich allgemein zugegeben,
dafs elementum im Lateinischen zuerst (l)ei Lucr. ) die Buchstaben
bezeichne, erst später die Urstoffe und Atome, und somit mufs jede
Etymologie des Wortes von der ersten Bedeutung ausgehen. Wie
erstaunlich viel darüber seit Gerh. Vossius vermutet worden ist, zeigt
der erste, gröfsere Teil vorliegender Al)handlung, in welcher übrigens
auch die Ableitung von Diels elementum = elepantimi von ^etpag
verworfen wird. Verf kehrt zu der Erklärung von Heindorf zurück,
welcher das Wort aus den Buchstaljen L^IN erklärt und im Sinne
von ABC deutet. Wie die jetzt übliche Reihenfolge der Buchstaben
mit der Mischung von Vokalen und Konsonanten zustande gekommen,
oder was die Kömer darüber dachten, wissen wir nicht, da uns der
Bericht Varros verloren gegangen ist. A})er so g^t man die Mediae
der PKT-Laute auf das A folgen liefs, ebensogut konnte man die
Gruppe LMN zusammenstellen, bei welcher der vokalische Laut dem
Konsonanten vorangeht (el, em, en\ wie er dort (be, ge, de) folgt.
Die Gruppe LMN eröffnet die zweite Hälfte des Alphabetes, und ele-
mentarius ist gleichbedeutend mit abecedarius. Es hat eine Ver-
schiebung stattgefunden, etwa wie der Name Solfeggien von den
Tonieilertönen ut, re, mi, fa, sol, la, si hergeleitet ist. — Unser
^Kreuzmillionenbombenelement' geht auf den Schwur beim heiligen
Kreuze und auf den Schwur bei den vier Elementen zurück, von
welchem Hieronvmiis spricht.
Gust. Pfeiffer: Ein Problem der romanischen Wortforsohüng. II.
Stuttg. 1000. S. 41—60. 8^
Verf. setzt seine Betrachtungen über lat. usitahilia, üt;. outil
(Geräte) fort, zunächst veranlafst durch seinen Recensenten in der
Romania (1900, p. 319), Antoine Thomas. Vgl. Arch. XI 602. Neu
Litteratur. 139
ist, daXs nun auch von der Form uie(n)silia die Rede ist; auch
wird angenommen, dafs das lateinische usitabilia (ostavera) in ein
romanisches usaveFa (= u 8 ah Uta) übergegangen sei. Das Heftchen
schliefst mit der Ankündigung: Wird fortgesetzt.
Herrn. Menge: Lateinische Synonsrmik. Vierte Auflage. Wolfen-
büttel 1900. IV, 238 S. 8^.
Wenn wir Arch. XI 592 das Repetitorium der lateinischen
Sprache und Stilistik desselben Verfassers angezeigt haben, so ver-
dient auch die Synonymik ein empfehlendes Wort, Sie gehört zwar
insofern nicht zu den sogen, gelehrten Büchern, als Klassikercitate
mit Angabe der Fundstelle fehlen; aber das ursprünglich für die oberen
Gymnasialklassen bestimmte Buch giebt sich jetzt als ein ^Hilfsbuch
für Lehrer imd Studierende' und ist auch in der That wesentlich
umgearbeitet worden. — Bei lucere, mildes Licht ausströmen, konnte
an lima (= lucna) Mond erinnert werden. Bei contamino war die
Entstehung aus contagmino imd die Beziehung mit contagium zu er-
"wähnen, woraus sich dann die Bedeutung des ^Ansteckenden' ergiebt.
Bei pugnare durfte auf pugnus (tiv^) hingewiesen und als Grund-
bedeutung die des Faustkampfes erschlossen werden. Wir entnehmen
diese Beispiele den Seiten 46 und 47, könnten daher ebenso gut
hundert weitere folgen lassen.
Joh. Stöcklein: Entstehung von Analogieformen bei lateinischen
Verben. Gymn.-Progr. München 1900. 32 S. 8<^.
Ein Lehrer, welchem der lateinische Elementarunterricht über-
tragen ist, wird durch das Verbessern der zahlreichen auftauchenden
Fehler nicht ermüdet, sondern nimmt sich umgekehrt die Mühe, über
deren Entstehen nachzudenken. Leider sind die lateinischen Verbal-
Ibrmen nicht konsequent gebildet, und wo die Volkssprache eine kon-
sequente Form festhielt, stiefs sie die Schriftsprache aus, meistens im
Interesse der Differenzierung; oder auch umgekehrt. Wer soll ent-
scheiden? Nach Horaz spricht der Usus: sie volo, sie iubeo. Wir
schreiben figo fixus (fictus Luer. und Varro), affligo afflictus; fingo
fictus (linctus Terenz; deutsch die Finte: extinctus neben pictus). Oder
wir finden inlexit von inlicio, intellexit und intellegit von intellego.
Verf. untersucht nicht nur, wie die Analogieformen entstehen bei und
nach der ersten Erlernung einer Sprache, sondern auch, wie sie am
besten zu bekämpfen sind. ü. a. empfiehlt er die Form: fingo, finxi,
aber fictum, während er andere Mittel bekämpft. Die Erlernung der
toten Sprache >vird Leben gewinnen, so lange der Lehrer nicht zur
gedankenlosen Maschine herabsinkt. Möchten alle so viel nachdenken
wie der Verfasser!
140 Litteratur.
P. Persson: De origine ao vi primigenia gemndii et gernn-
divi latini. Upsala 1900. 138 pgg. 8*^.
Ein in letzter Zeit vielbehandeltes Thema. Da die ftlnf ersten
Bogen der Abhandlung schon 1892 gedruckt wurden, so ist sogar
ein Anhang notwendig geworden, um die neuesten Ansichten nachzu-
tragen. Aber da den Spuren des Suffixes — ndo — in den indo-
europäischen Sprachen nachzugehen eine Aufgabe der vergleichenden
Grammatik ist, so dürfen wir über die erst^re gröfsere Hftlfte der
Schrift mit Stillschweigen hinweggehen; uns könnten höchstens die
Kontroversen angehen l) ist die Passivbedeutung des Participes ur-
sprünglich? 2) ist die Bedeutung der Notwendigkeit primär oder se-
kundär? 3) wie verhält sich das Gerundium zu dem Gerundivum?
Indessen schreibt der Verf. selbst: me ad liquidum rem perducturum
minime spero, und wir wollen nur hinzufügen, dafs die Polemik vor-
wiegend gegen Weisweiler gerichtet ist. Nach der Ansicht des Verf.
schwankt das Particip auf — ndo — der Bedeutung nach zwischen
der sich vollziehenden und der zu vollziehenden Handlung. — Die
Arbeiten vorwiegend der deutschen Philologen sind sorgfältig benutzt.
D. Detlefsen: Quam und seine ZusammensetBungen« Gymn.-
Progr. Glückstadt 1900. 23 S. 4^
Da die durch ihre Erstarrung unkenntlich gewordenen Partikeln
die verschiedensten Bedeutungen annehmen, da beispielsweise von ui
in den Kapiteln der (Lokal-), Temporal-, Modal-, Final-, Konsekutiv-
sätze gehandelt >vird, so geht auch dem reiferen Schüler leicht die
Einheit verloren, und sie wird nochmals verdunkelt, wenn man an
Komposita wie sicut, prout, utique, utpote denkt. Die Sprache selbst
hat durch Differenzienmgsformen diese Schwierigkeiten zu heben ver-
sucht. Vgl. Arch. IX 367 ff. Verf glaubt auf Grund seiner Schul-
erfahrungen, dafs es passend sei, bei der grammatischen Repetition
in den Oberklassen Zusammenfassungen zu geben, und so hat er in
seiner grammatischen Studie die Partikel quam in lehrreicher Weise
behandelt. Dem Gelehrten kann er freilich wenig Neues sagen, aber
seine Gliederung wäre immerhin geeignet, einem Thesaurusartikel zu
Grunde gelegt zu werden. Er behandelt also die direkte Frage, den
Ausruf, den Relativsatz, die indii*ekte Frage und den indefiniten Ge-
brauch, einschliefslich der Zusammensetzungen, wie quamdiu, postquam,
perijuam, quamquam, quam vis, quamlibet, tamquam, numquam, quic-
(juam, nequaquam, nequicquam. Überall wird von Plautus und dem
archaischen Latein ausgegangen; das Spätlatein, welches die Regeln
für (juaniquam und quamvis umstöfst und nach dem Vorgange von
sanequam Neues bildet, ist natürlich nicht mehr berücksichtigt.
Litteratur. 141
E. Reifsinger: Über die Präpositionen ob und propter. II. Gyinn.-
Progr. Speyer 1900. 63 S. 8".
Nachdem der erste Teil über die Bedeutungsverschiedenheit be-
richtet und den Gebrauch von Plautus bis Cicero inklusive dargestellt
hat, klärt uns der zweite über die Anwendung im augusteischen
Zeitalter, im ersten und im zweiten Jahrhundert nach Christus auf.
Vgl. Arch. XI 556 f. Da Verf. durch Benutzimg der Thesaurussamm-
lungen das Material ziemlich vollständig beisammen hat, so sind
die gezogenen Resultate unumstöfslich. Ein Fehler ist es nur, dafs
Hygins Schriften (Poet astron. und Fabulae) in die augusteische Zeit
eingereiht werden, während beide viel jüngeren Ursprungs sind und
die Fabeln gar nichts mehr von klassischem Stile an sich tragen.
Wenn Verf. für die späteren Jahrhimderte auf den Thesaurus ver-
weist, so glauben wir vorauszusehen, dafs diese Erwartungen nicht
können befriedigt werden; denn aus den Excerptenzetteln, welche für
das Spätlatein allein zur Verfügung stehen, können Schlüsse über die
Häufigkeit des Gebrauches überhaupt nicht gezogen werden.
Die Abhandlung lehrt uns deutlich den Wert der statistischen
Betrachtung, wenn sie nicht mechanisch, sondern mit Sinn und Ver
stand angestellt wird. Denn man mufs unterscheiden zwischen den
Formeln (propt^rea, ob id, ob hoc) und dem freien Gebrauche. Wer
könnte erraten, dafs Vitruv 103 mal propter verwendet, ob nirgends,
Tacitus imigekehrt 149 mal ob, ein einziges Mal propter im Dial. 21 V
Denn auch R. empfiehlt an der abweichenden Stelle Hist. 1, 65 statt
propter Neronem pugnare zu lesen pro Nerone pugnare. Gleichwohl
hat er auf S. 51 seine Behauptimg abgeschwächt und propter damit
verteidigt, dafs Tacitus (wenigstens in den Historien) nicht schreiben
konnte ob Neronem, weil mit wenigen Ausnahmen ob nur mit Sach-
begriffen verbunden wird, und umgekehrt Dichter wie Valerius Flaccus
und Statins propter ausscbliefslich von Personen gebrauchen. — Der
Vermutung, dafs ob noxam alicuius bei Livius aus Verg. Aen. 1, 41
geflossen sei, stehen chronologische Bedenken im Wege; denn als
Livius sein siebentes und sein 21. Buch schrieb, war die Aeneis noch
nicht veröffentlicht; im besten Falle könnte ein Einflufs des Vergil
auf Liv. 24, 47, 5 angenonmien werden. Vgl. Arch. X 51. Die
Dichter schreiben nicht wie die Prosaiker, und unter diesen hin-
wiederum bilden die Historiker eine eigene Familie; von den beiden
Konstruktionen ob rem agendam imd ob rem actam hat die letztere
gesiegt u. s. w.; doch ist es unmöglich, die einzelnen Beobachtungen
aufzuzählen.
H. Sjögren: De particulis oopulativis apud Flautum et Teren-
tium. Upsala 1900. VIl, 160 pgg. 8^
Die Schweden haben für die lateinische Grammatik fieifsige
Ajrbeiten geliefert, welche meistens das Eigentümliche haben, dafs sie
142 Litteratur.
sämtliche oder fast alle Beispiele vorf&hren; dasselbe gilt ebenso
von Sjögren. Auch die Disposition verdient Lob: es wird vom Asyn-
deton ausgegangen und dann die Verbindung zweier oder dreier
Glieder behandelt, zunächst nach den Redeteilen und dann nach den
Partikeln que, et, ac, atque. Was in Deutschland tlber Piautas in
neuerer Zeit geschrieben worden ist, wird sorgfältig benutzt. So oft
man daher auf Zweifel stöfst, kann man mit Leichtigkeit die ähn-
lichsten Parallelstellen finden, aus welchen wir ein Urteil ableiten
können. Freilich ist hier auch genaueste Kenntnis der Metrik nötig,
in welcher Disciplin Verf. mit Männern wie Leo oder Skutsch nicht
streiten mag. Wenn so manches trotz der Zusammenstellungen im-
entschieden bleiben wird, so treten doch die Unterschiede zwischen
Plautus imd Terenz scharf hervor, imd das ist ein Gewinn, für den
man die Mühe des Lesens gern einsetzen wird.
Rieh. Förster: Die CasnsangleiehTing des Belativpronoxnens im
LateiniBChen. (Festschrift Mr 0. F. W. Müller, Jahrb. f. class.
Philol. Supplem. XXVll S. 170—194.) Leipzig 1900.
Ein interessantes Kapitel der historischen Syntax, welches Verf.
bereits in seiner Habilitationsschrift (Berlin 1868) behandelt hatte;
da er aber auf den Titel setzte apud graecos potissimimi poetas, so
sind wohl die Gräcisten vielfach seinen Spuren gefolgt, während die
Latinisten an der Schrift vorübergingen. Es handelt sich um' die
Konstruktion, welche uns aus dem Verse des Horaz Sat. 1, 6, 16 be-
kannt ist: notante iudice, quo nosti populo (== quem). Die Behaup-
tung, dafs sie dichterisch sei, schwebt durchaus in der Luft; vielmehr
gehört sie der Sprache des Dialoges, dem sermo familiaris an; sie als
Entlehnung aus dem Griechischen zu betrachten, .ist ebenso verfehlt^
wenn man auch eine Beeinflussung von dieser Seite zugeben mag.
Ihr Ursprung ist vielmehr die Ellipse; vgl. Nepos 15, 2 natus est
patre, quo (sc, natum esse) diximus, imd die erste Frage lautet daher,
ob wir noch Ellipse oder die daraus herausgewachsene Gaausan-
gleichung anzunehmen haben, eine Frage, deren Beantwortung oft
unentschieden bleiben mufs. Deutlich ergiebt sich aber aus der Über-
sicht der Beispiele, dafs die ursprünglichen Grenzen der Konstruktion
folgende sind: l) das Verbum des Relativsatzes ist dico oder ein
Synonymuni, 2) die Verbalform ist meist die erste Person Sing, oder
Plural, 3) an die Stelle des pronominalen Akkusativs tritt der Ablativ.
Die Entwicklung besteht darin, dafs auch andere Verba, andere Per-
sonen, andere Casus, andere Pronomina (qualis statt qui bei Firmicus
Mat^rnus mathes.) sich eindrängen. Zu den Freunden der Konstruk-
tion gehören der altere Plinius, Oellius, Firmicus, Cassian, Caelius
Aurelianus. Man kann von vornherein erwarten, dafs die Überlieferung
vieler Stellen verdorben sein werde; denn der gedankenlose Abschreiber
assimiliert die Caausformen, auch wo sie der Verf. nicht angeglichen
Litteratur. 143
hatte. Besonders reich sind die Beispiele in der Übersetzungslitteratur,
also zunächst im Neuen Testamente. Die älteren Versionen, und
namentlich das Evangelium Cantabrigiense, schliefsen sich enger an
das griechische Original an als die besseren Patristiker. Also über-
setzt Tertullian die Stelle Thessal. 2, 14 raig ^U\\}i(5iv alg aviita^B
mit pressuris quihus sustinetis, wogegen Hieronymus und Augustin
quas bieten. Aber von 73 Stellen der Angleichimg im Test. Nov. ist
dieselbe an 62 durch die Übersetzer unterdrückt worden. — Eine
zweite Abart der Casusangleichung (Lucceius an Cicero 5, 14, 1 cum
scribas et aliquid agas eorum, quorum consuesti) hat nur wenige Bei-
spiele und ist von Livius nach der ersten Dekade aufgegeben worden.
Der Verf. kann für sein Belegmaterial nicht den Anspruch auf
Vollständigkeit erheben, da ihm beispielsweise der ältere Seneca,
Ajmnian, Macrobius fehlen; gleichwohl würden die Hauptresultate
durch Ausfiillung dieser Lücken schwerlich berührt, und jedenfalls
finden jüngere Philologen hier ein Muster, wie man solche Fragen
heutzutage behandeln mufs, wenn man der Fahne des Fortschrittes
folgen will.
J. Curschmann: Zur Inversion der röm. Eigennamen. I. Giefs.
Doctor-Diss. Büdingen 1900. 63 S. 8®.
Da diese erste Abteilung nur die Litteratur von Cicero bis Livius
behandelt, so wird man glauben, der Kanon der klassischen Prosa sei
Praenomen + Nomen + Cognomen, d. h. Vorname, C4entilname, Fami-
lienname. Es handelt sich aber nicht nur um die Reihenfolge (In-
version) der drei Namen, sondern auch imi die Reduktion auf zwei
Namen. Es ergiebt sich für Cicero, dafs der Unterschied der Be-
nennung durch den Stand bedingt ist. Ciceros Zeitgenossen aristo-
kratischen Ranges werden in der Regel mit Praenomen imd Cognomen
bezeichnet; Bürger niedrigen Standes mit Cognomen und Gentile.
Sallust hat das Praenomen nie weggelassen; Livius pflegt seine Römer
mit dem Vornamen einzuführen, kann denselben aber bei wiederholter
(schon zweiter) Nennimg fallen lassen. Für Libertinen und Pro-
vinzialen gelten die Normen: Erotem Turium, Q. Turii libertum;
Trypho Caecilius, Antiochus Gabinius, libertus, accensus Gabinii. Die
Untersuchung ist äufserst gründlich geführt, und die Resultate ge-
winnen durch tabellarische Form an Überzeugungskraft.
Heinr. Breidenbach: Zwei Abhandlungen über die Tironisohen
Noten. Darmstadt 1900. 39 S. 8®.
Es ist dringend zu wünschen, dafs, nachdem wir in Schmitz den
besten Kenner der lateinischen Stenographie verloren, ein kleiner
Kreis von Philologen übrig bleibe, welche uns diese Schrift mit sieben
Siegeln zu entziffern im stände sind. Zu diesen gehört Breidenbach,
144 Litteratur.
dessen Schrift zum 25. Stiftungsfeste des philologisch-historischen
Vereines in Giefsen geschrieben ist. Die erste, deutsch geschriebene
Abhandlung giebt Beiträge zur Geschichte der Tironischen Noten in
Form einer Erklärung der bekannten Isidorstelle Orig. 1, 21. Verf.
führt dieselbe mit Reifferscheid imd Schmitz auf Sueton zurück und
bestreitet gegen Traube, dessen Ansichten er auch sonst bekämpft,
die Benutzung anderer Quellen. Er erläutert den Ausdruck ^notae
vulgares', die Etymologie von 'nota' und versteht unter dem ersten
Erfinder Ennius den Dichter, nicht den späteren Grammatiker. Die
Lesart: Romae primus Tullius Tiro commentatus est notas, sed
tantum praepositionum, glaubt er festhalten zu müssen gegen das bei
Hieronymus überlieferte commentus, wesentlich aus sachlichen Er-
wägungen. Denn dafs das Verbum comminiscor =^ ersinnen einen
guten Sinn geben könnte, zeigt Sueton Claud. 41 novas commentus
est litteras tres, und Sen. epist. 90, 25, welcher die Tironischen Noten
S-ilissimorum mancipiorum commenta' nennt. Auch geht ja voraus:
vulgares notas . . . Ennius invnni. — Die zweite, lateinisch geschriebene
Abhandlung verbreitet sich über die Komposition des ^notarum Tiro-
nianarum comraentarius quintus' (tab. 114,63 — 119,10), indem wahr-
scheinlich gemacht wird, dafs die Eigennamen aus den Werken des
Cicero geschöpft seien. Die Untersuchung fahrt dahin, dafs zahl-
reiche Namen emendiert werden müssen.
Paul Mever: Beiträge zu Cioeros Briefen an Attdcus. Gymn.-
Progr.^ Hof 1900. 39 S. 8^.
Das Programm ist eine Fortsetzung des Bayreuther von 1887
(de Ciceronis in epistolis ad Atticum sermone), und wenn auch die
Hälfte von der Komposition der Briefe, von gewissen Formeln, von
dem Schreibmaterial e u. ä. handelt, so macht uns doch den kritisch-
stilistischen Teil das Bestreben wertvoll, die einzelnen Schwierigkeiten
von einem höheren, allgemeinen Standpunkte zu betrachten. Wenn
Verf. reliqua, o di! emendiert in reliqua odi, so thut er es, weil
Cicero o di nirgends ohne Attribut gebraucht. Wenn er aber weiter
statt Saufeium pete celemus schreibt: S. peto celemus, so war er uns
auch schuldig, ein parenthetisches peto nachzuweisen, welches bisher
nicht nachgewiesen ist, da DrUger § 369, 15 nur quaeso, oro kennt,
und nicht einmal rogo belegt. Aus der Thatsache, dafs Cicero egere
konstant mit dem Ablativ verbindet, mit Ausnahme von zwei Brief-
stcUen (consilii, medicinae: Lambin medicina), folgert er, die letzteren
seien ^fragmenta incertorum poetarum'. Möglich, weil an der zweiten
Stelle wenigstens ein Hexameter gemessen werden kann, welchen
freilich noch niemand beobachtet hat. Aber zugeben mufs man doch,
dafs der Genetiv in die Prosa drang; so auxilii bei Caesar, consüii
bei Sallust, aufserdem fünf Stellen bei Comificius. Zu dem ungewöhn-
lichen Superlativ exoptatissimus kommt jetzt noch Epist. fam. 16, 21, 1,
wo die Form (statt optatissimus) durch Mendelssohn aus drei Hand-
schriften hergestellt ist.
Litteratur. 145
Eman. Hoffmann: Ausaatini de eivitate dei Üb. Xllll— XXn.
(Corp. scr. eccles. vol. XXXX.) Vindob. 1900. VI, 736 pgg. 8^-
Rasch ist der ersten Hälfte des Werkes (vgl. Archiv XI 449)
die zweite nachgefolgt und damit die Kritik desselben auf eine sichere
Basis gestellt. In der Vorrede verteidigt sich der Hrsg. gegen den
Vorwurf, dais er in der Angabe der benutzten heidnischen Quellen
und in der Anfühnmg von exegetisch wichtigen Parallelstellen aus
Augustin selbst zu sparsam gewesen sei. Das Programm der ganzen
Sammlung stand der Erf^lung so weit gehender Ansprüche im Wege.
Auch rechnet Hsgb. nicht unter den Begriff ^Citate', wenn Augustin
etwa eine Wendung Vergils in ganz anderem Zusammenhange gebraucht.
Wenn man den Index auctorum graecorum et latinonmi mit
dem von Dombart vergleicht, so wird man (was von vornherein zu
erwarten ist) bei Hoffmann mehr Material finden. Beispielsweise
citiert D. eine Enniusstelle, H. zwei, D. zwei Liviusst^Uen, H. vier,
D. keine Stelle aus Solin, H. sieben. Dazu kommen noch andere
Verbesserungen, z. B. dafs die kleinen Schriften des Apuleius nicht
nach Elmenhorst (1621), sondern nach Groldbacher citiert sind. Ebenso
ist der Index nominum et rerum, welchen Wilh. Weinberger, Gym-
nasialprofessor aus Iglau, angefertigt hat, bedeutend reichhaltiger.
Freuen wir uns also der dargebotenen Gabe.
Max Bonnet: LeB histoires de SaUuste. (= Bevue des etudes
anciennes. Tom. II, Nr. 2.) Bordeaux 1900. 16 pgg. 8®.
Der lesenswerte Aufsatz bespricht den Umfang und den Inhalt
der Historien des Sallust. Indem Vf. von ^^^ Büchern spricht, be-
trachtet er das fünfte als unvollendet; es hat weder Rede noch Brief,
ähnlich dem achten Buche des Thukjdides, und während die Grramma-
tiker aus dem 1., 2., 3., 4. Buche 91, 72, 52, 49 Fragmente citieren,
sind uns nur 11 aus Buch 5 erhalten. Wer dies überlegt, kann die
5 Bücher nicht als ein von Sallust abgeschlossenes Ganzes betrachten;
denn es hat in sich mit der Darstellung der Jahre 78 — 67 keinen
AbschluTs, und die lange Vorrede würde dazu kaum passen. B. denkt
sich vielmehr, dafs das Werk auf 20 — 25 Bücher (Dekadenprinzip?)
berechnet war imd bis in das Jahr 40 oder 39 hinabreichen sollte.
Dann erst ist der Titel Historiae (selbsterlebte Zeit) berechtigt; 12 Jahre
füllen kein Leben. Der Anfang mit dem Tode des Sulla war durch
Sisenna gegeben, den Sallust fortsetzte; der Punkt war ungünstig,
weil der Geschichtschreiber damals erst 8 Jahre alt war, jünger als
Tacitus zu der Zeit des Sturzes Neros. Schrieb S. die 5 Bücher in
etwa 5 Jahren (40 — 35), so konnte er, 47 Jahre alt, wohl noch glauben,
20 — 25 vor sich zu haben. Einer Beschränkung der Historien auf
12 Jahre widersprechen auch die Worte der Einleitung: res populi
Romani M. Lepido Q. Catulo consulibus ac deinde militiae et domi
gestas composui; sie eröffnen uns notwendig eine weitere, unab-
geschlossene Perspektive.
Archir für l»t. Lexikogr. XH. Heft 1. 10
146 Litteratur.
Fried r. Drescher: Beitröge rar LiTiasepitome. Erlanger Doktor-
Dissert. Erl. 1900. 50 S. 8^
Unter den neuen Ansichten, welche in einer Wissenschaft auf-
tauchen, sind ohne Zweifel diejenigen die angenehmsten, welche, kaum
ausgesprochen, von rechte und links bestätigt werden. Dahin gehört
ohne Zweifel die Liviusepitome, welche etwa seit dem Jahre 80
nach Chr. fast in der ganzen römischen Litteratur sich nachweisen
läfst. Wenn Yalerius Maximus, Florus, Anon. de viris illustribus,
Augustin, Orosius u. ä. Autoren von Livius abweichen und unter sich
nbereinstimmen, dann haben wir den Wortlaut der Epitome. Die
Bruchstücke derselben vermehrt Dr. in willkommener Weise, indem er
I'Vontin, den Vergilkommentar des Servius, die Juvenalscholien u. s. w.
zur Untersuchung heranzieht; dafs auch griechische Historiker, wie
Plutarch, eine Ausbeute versprechen, bestätigt er, ohne dieselben frei-
lich in seinen Bereich zu ziehen. Das Latein des Epitomators trftgt
entschieden den silbernen Charakter und ist oft poetisch. Beispiels-
weise nannte er den Kampf der Horatier und Curiatier ein compen-
dium oder eine pugna compendiosa; statt Tullia per patris corpus
carpentum egit schrieb er supra patris corpus, nach dem Vorgänge
von Vergil und Ovid. Das Merkwürdigste aber ist, dafs, wie auch
Dr. erkannt hat, die Epitome eine Kontamination deö Livius mit einer
zweiten, wohl älteren Quelle darstellt; diese auch nur vermutungs-
weise zu bestimmen, ist ihm freilich nicht gelungen. Das Programm
dieser Zusätze lautete: in maiorem populi Bomani gloriam. Das
zwischen den Römern und Samniten getroffene Übereinkommen (sponsio
bei Livius 9, 5, l) nennt die Epitome jedenfalls absichtlich foedus.
Aber mit Recht schliefst der Verf.: ,J)ie Erschliefsung der Epitome
ist ein wichtiger Schritt zu einem besseren Verständnis der späteren
Überlieferung*'.
Nekrolog,
Karl Schenkl.
Die jüngst durch die Tagesblätter gegangene Trauerkunde, der
ord. Professor der klassischen Philologie an der Wiener Universität,
Hofrat Dr. Karl Schenkl, sei am 20. September in Graz nach
längerem Leiden im 73. Lebensjahre gestorben, berührt auch die Leser
des ,yÄ.rchivs", weil mit dem vortrefflichen Lehrer und tüchtigen Ge-
lehrten nicht nur ein Mitarbeiter dieser Zeitschrift, sondern auch ein
wackerer Helfer an den Vorarbeiten zum Thesaurus*) dahinge-
schieden ist.
Was die äufseren Lebensumstände des ebenso liebenswürdigen
Mannes als gründlichen Philologen anlangt, so war er am 11. Dezember
1827 zu Brunn geboren und hatt« in Wien zuerst die Bechte, dann
Philologie studiert. Nachdem er seit 1851 als Gymnasiallehrer in
Prag gewirkt hatte, wurde er als ordentlicher Universitätsprofessor
1857 nach Lmsbruck, 1863 nach Graz und 1875 nach Wien berufen.
Hier war er bis Juli 1899 als hochverehrter akademischer Lehrer un-
ermüdlich in Wort und Schrift thätig. Seine hervorragenden Ver-
dienste wurden durch die Ernennimg zimi k. k. Hofrat, zum wirkl.
Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften, anläfslich der
Feier seines 70. Geburtstages seitens der Regierung durch die Ver-
leihung des Ritterkreuzes des Leopoldordens, seitens seiner zahlreichen
Schüler, Verehrer und Freimde besonders durch die Überreichung
einer künstlerisch vollendeten Pallasstatuette aus Edelmetall geehrt.
Im heurigen Frühjahre übersiedelte er nach Graz, ohne aber hier die
erhoffte Erholung und Heilung von einem mehrjährigen Leiden zu
finden.
Schenkls gründliche Fachkenntnisse, seine strenge Methodik und
genaue Kenntnis der österr. Mittelschulverhältnisse befähigten ihn zur
Heranbildung von ganzen Generationen tüchtiger philologischer Lehr-
kräfte. Wohlthätigen EinfluTs übte er auf den Betrieb des Griechi-
schen an unseren Gymnasien durch die Abfassung seines weitverbrei-
teten Elementar- und Übungsbuches, der bewährten Chrestomathie aus
*) Am 20. Febr. 1898 schrieb er, als er die Excerption eines dritten
Ambrosiusbandes übernahm: ,,Ich werde zum Excexpieren die Ferienmonat«
verwenden, und man kann ja im Frühling und Sommer um 6 Uhr auf-
stehen." Die Red.
148 Nekrolog.
Xeiröphon und des trefflichen griecliisch-deutschen und deutsch-grie-
chiscben Schulwörterbuches. Weitere direkte Beziehungen zur Mittel-
schule hatte er durch seine mehrjährige Wirksamkeit als Mitglied des
n.-österr. Landesschulrates, als Vorsitzender bei Maturit&tsprüfungen
und als Direktor der Prüfungskommission für das Gymnasial- und
Realschullehramt. Femer führte er durch Decennien gemeinsam mit
dem gegenwärtigen österr. ünterrichtsminister Dr. W. von Hartel
die Redaktion der „Zeitschrift für die österr. Gymnasien" und der
von ihm im Jahre 1879 mitbegründeten „Wiener Studien". In dieser
deutsch-österr. Fachzeitschrift für klassische Philologie, in den Bissertatia-
ncs plüloloffac Vindobonenses und in zahlreichen Progranmiabhandlungen
ist manche stille Mitarbeit des bescheidenen, allezeit zur Hilfe bereiten
Gelehrten niedergelegt. Seine eigenen wissenschaftlichen Publikationen
sind, abgesehen von vielen kleineren, hauptsächlich textkritischen Abhand-
lungen, die gröfseren „Xenophontischen Studien" (Wien 1869 — 1875)
und die „Studien zu den Argonautica des Valerius Flaccus" (Wien
1871^, namentlich aber folgende Ausgaben: Orestis tragoedia (Prag
1876), Xenophontis opera (2 Bände, Berlin 1869 und 1876), C. Valeri
Flacoi Argonauticon l, VIII (Berlin 1871), Ämonü qpuscala (Mon.
Germ. hist. Auct. ant. V 2, Berlin 1883), Clandii Marii Vidoris Ale-
thia et Probae cento (Corp. scr. eccl. Lat. XVI, Wien 1888), Phüostrati
maioris imagincs (mit 0. Benndorf, Leipzig 1893), endlich die leider
ein Torso gebliebene des heil. Ambrosius (Corp. scr. eccl. Lat.
XXXn, Wien 1896 ff.). Alle diese Arbeiten zeichnen sich durch
gründliche Erschöpfung des handschriftlichen Bestandes, durch be-
sonnene konservative Textkritik und die gröfst« Akribie aus.
So war denn K. Schenkls arbeitsreiches Leben gleicherweise der
Schule und der Forschung geweiht, durchaus aber von dem Geiste echter
Humanität und hellenischer Liebenswürdigkeit erfüllt. Er hat sich
nicht nur einen in der pädagogischen und philologischen Litteratur
hochangeseheuen Namen errungen, sondern auch in den Herzen seiner
Schüler und aller, die ihn kannten, ein noch schöneres Denkmal er-
richtet: das der Hochachtung und Liebe.
Wien. Edmund Hauler.
Das Defektivum *odi' und sein Ersatz.
Es ist eiue im höchsten Grade befremdende, aber gewils
nicht zufällige Thatsache, dals die Körner, die docli im Hassen*)
mindestens ebenso stark, wenn nicht stärker waren wie im Lieben,
den Formenbau des Verbums %)(U' im Vergleich mit dem voll-
standig ausgebildeten Verbum 'amo' auffallend stiefmütterlich
behandelt haben. Die Konjugation von ^odi' macht in der Gestalt,
wie sie in unseren Grammatiken zu Tage tritt, auf uns den Ein-
druck eines verkümmerten, verkrüi)i)elten, ja verstümmelten Wort-
körpers — imd doch sehen wir zunächst keinen rechten Grund
ein, der eine solche Verstüramehmg des sicherlich von Hause aus
normal gebildeten Körpers hervorgerufen hat. Betrachten wir
das Los ähnlich mitgenommener und schlielslich untergegangener
Wörter, so kommen wir auf die Vermutung, dals unser Verbum
einen harten Kampf ums Dasein mit einem, ja vielleicht sogai'
mit mehreren lebenskräitigen Gegnern auszufechten gehabt haben
wird, bei dem es gewaltig in die Enge getrieben wurde und, um
mich eines vulgären, aber hier bezeichnenden Ausdruckes zu be-
dienen, viele Haare lassen mulste. Und so ist es in der That.
Der gefährliche Gegner aber war kein geringerer als das Verbum
^nudio\ Es ist ja bekannt, dais au im römischen Munde (>-Klang
hatte, und zwar nicht blols im Mimde des gemeinen Mannes,
sondern selbst in dem eines Cicero (vgl. F. Skutsch in Vollmöllers
Jaliresbericht V S. ()2); ünden wir docli in seinen Briefen Formen
wie Iweolam, polluhim, oricula, s. Archiv VI S4. Nun bestätigt
uns speziell die Aussprache von audit = ödit eine Phicidusglosse
(Corp. gloss. V, 89, 7 und 125, 2<) = Tlies. gloss. eni. s. v. audio):
odit}. audit, ut frodes fraudes, clodus claudus. Kein Zweifel, das
ursprünglich vr)llig intakte und nach der sog. vierten Konjugation
*) Sagt doch, öelbst ('iet*ro, oiucr der edelsten Vertreter der antiken
Humanität, ep. Att. 13, 41), 2 Est bellum aliquem Uhenier odisse und ib. 9,
12, 9 . Odi hominem et odero; utinaui uloiHci poHseui! Vgl. überhaupt
Schneidewin, Die antike Humanitilt 8. 202 tf.
Archiv für lat. Lexikogr. XII. lieft t 1 L
loO Gustav Landgraf:
abgewandelte V^erbuni Y>dio, ich hasse** iiiulste wegen der laut-
lichen Kollision mit 'andio, ich höre' ans dem Hoehlatein weichen,
blieb aber in der Volk8S])rache lebendig, wie sein plötzliches Auf-
tauchen beweist in jener Stelle der 13. Philippika § 42, wo Cicero
imt^r anderen Aulserungen des Antonius auch die folgende^ fiir
uns so wichtige anführt: ^Mihi ({uidem constat nee meani contu-
nieliam nee meorum ferre nee deserere partis, «(uas Pompeins
odivit' — eine Form, die auf gleicher Stufe steht mit dem im
nächsten Paragraphen von Cicero gegeifselten Superlativ pü^imus
%|Uod verbum omnino nulluni in lingua Latina est, id propter
tuam divinani pietatem novum inducis'. Keine von beideA Formen
war von Antonius neu gebildet, sondern nur aus der Volkssprache
entlehnt, wie uns die zahlreichen Belege aus der späteren Latinitat
und aus den Inschriften*) beweisen, ja Cicero soll den Superlativ
'piissimus' nach dem Zeugnis des Grammatikers Caper (cf. Pompei
comment. artis Donati p. 154, 15 K. ) selbst in seinen Briefen an-
gewendet haben. Wenn mm sonach das Verbum *odire' im Hoeh-
latein uimiöglich war, so blieb nichts anderes übrig als entweder
an seine Stelle ein anderes treten zu lassen oder auf Mittel und
Wege zu denken, um es von seinem Doppelgänger deutlich zu
diflFerenzieren. Das war aber nicht so leicht. Denn wenn man
z. B. das Verbum in die sog. 1. Konjugation versetzen wollte, so
wäre damit zwar <ler Verwechslung mit audire in der Mehrzahl
der Formen vorgebeugt gewesen, allein gerade der wichtige Indik.
Präs. Akt. und Pass. von odio lodias, odiat, odiatur u.s. W.) wäre
mit dem Konj. Präs. Akt. und Pass. (^audias, audiat, audiaturn. s. w. )
und der Konj. Präs. Akt. und Pass. von odio (odiem, odies n. s. w.)
wäre mit dem Futur Akt. und I^ass. vim audio (audiem, andiesa.s.w.)
zusammengefallen. Immerhin mufs im Spätlatein neben odire nach
der 4. Konj. auch ein odiarf nach der 1. Konj. existiert haben,
wie die in den Tironischen Noten tab. 4(), S9 — lU vorkommenden
Wörter inodiat** ), inodiatus, exodiutus, perodiatus i vgl. Arch. IX, 241)
* Zu dou von (icorjros Lexikon der lat. Wortf. s. v. und Neue-Wagener
IT"* p. 205 pesamnielti'n lU^lejjen kommt jetzt noeh Alex. Mag. Mac. cpit. rer.
fjOFt. p. 100. 17 Wapier 'o pii.ssime'.
**1 Das .Vroh. Ill *J«>7 von (»roeber augesetzte Verbum in - odian.^ s= span.
enojar. ital. annoiare. franz. ennuyer belegt Heraus Arch. Xll 49 noch aus
Kxod. :>. 21 vinodiare ^ ßAtkAraattr) im cod. Lugd. und aus einer afiikan.
lir.ibschrit^ l.'arm. epigr. II li>0(>, 14 H. neque aput caro niarito inwhari
■ -- in odium adduci potui.
Das Dcfektivum 'odi' und sein Krsatz. 151
lind das italienische odiare wie das spanische odiar beweisen.*)
Eine Abwandlung nach der sog. 2. Konj. ging sowohl aus anderen
Gründen nicht gnt an, als auch insbesondere wegen der in diesem
Falle eintretenden Kollision mit 'audere wagen'. So blieb denn
in der That nur noch die Abwandlung nach der sog. «3. Konj.
übrig und zwar nach dem Typus fodio**) födi. Aber auch hier
stiefs man auf Schwierigkeiten, indem der ganze Präsensstamm
mit wenigen Ausnahmen wiederum mit audio zusammenfiel. Jetzt
entschlofs man sich, von allen Seiten in die Enge getrieben, zu
einem radikalen Heilmittel, das zwar das Verbum selbst am Leben
erhielt, aber es au Haupt und Gliedern empfindlich schädigte.
Man beraubte es gänzlich des normalen pnisentischeu Tempus
und übertrug die Präsensbedeutung auf das Perfekt ödi nach
Analogie von memini und novi, vgl. Charis. p. 257, 21 'huic verbo
similia sunt memini, novi' imd Priscian XI, 19 (p. 500, 24 H.)
^memini tarn praesefitis quam praeteriti vim habet quomodo odi'.
Die Ansicht, dafs odi auch das Perfekt vertreten könne, begegnet
wiederholt bei den alten Grammatikern, vgl. aufser den unten
angeführten Stellen noch Serv. zu Verg. Aen. 5, 687 und besonders
Cledonius p. 58, 14 K., der lehrt 'odi' temporis praeteriti perfecti
est, sicut 'legi'. Nam quod dicis 'odio te habeo' (über diese Um-
schreibung 8. unten) nomen est, non verbum. Nam Terentius
'Miris modis odisse aiunt a<lulescentem Sostrata'. Allein an dieser
Stelle (Hec. 179) lesen unsere Hss. richtiger: 'Miris modis odisse
coepU Sostratam'. Thatsächlich haben die lateinischen Schrift-
steller — Dichter wie Prosaiker — streng an der Präsensbedeutung
von odi festgehalten, wie z. B. einer der ältesten Belege Enn. fal).
379 R. beweist 'quem metimnt oderunt, quem quisque odit periisse
expetit" oder aus Plautus Capt. 978 'Nam magis multo paMor
facilius verba, verbera ego odi\ Es ist mir nicht gelungen, einen
ToUgiltigen Beleg für ein im perfektischen Sinne gebrauchtes odi
zu finden, denn Bell. Hisp. c. 42, 5 'Vos ita pacem semper odistis'
ist zwar 'odistis' zweifelsohne Perfektum (es steht unter den
übrigen Perfektformen attulistis — -voluistis — potuistis), allein der
*} Das franz. hal'r ist Lehnwort aus dem Deutschen (vgl. got. hatjan,
alts. het&an, hetten, nhd. hetzen, hassen).
**) Der Infin. ödere steht Comm. Bemens. zu Lucan. 7, 869. — Nicht
unerwähnt sei, dal's sieh auch von lodere vereinzelte Nebenformen nach der
1. Konj. (fodare;, 2. Konj. (fodentes) und 4. Konj. (fodiii ünden, s. Georges
Lex. der lat. Wortf. s. v.
11*
152 Gustav Landgraf:
Verl*, lies Bell. Hisp. setzt hier, wie er auch sonst die kontrahierten
Formen liebt, offenbar odistis für odivistis, wie ja sogar Antonius
sieh nicht scheute, das vulgäre Verbuni zu gebrauchen (s. oben).*)
Nachdem aber das ursprünglich perfektische ödi samt den
davon abgeleiteten Zeiten die Geltung eines Präsens bekommen
hatte*, erhoben sich neue Schwierigkeiten. Man mufste notwendig
Ersatz suchen einerseits für das nun anderweitig verwendete
Perfekt, andererseits für das ganze Passiv. Was zunächst den
Ersatz des Perfekts anlangt, so konnte man ja — und es geschah
auch — wenigstens für den Indikativ *oderam' zur Aushilfe
heranziehen, allein ausreichend war diese Aushilfe in keiner Weise.
Man griff deshidb zu einem Mittel, das auch in anderen ähnlichen
Fällen sich als probat erwiesen hatte. (). Keller erklärt in seinem
interessanten Aufsatz „Differenzierung^* (Grammatische Aufsätze
1S95 ) S. 147 sehr schön, wie die Passivform solihis sum für solui
^das bei Ennius, Cato, Cael. Antipater und dem archaisierenden
Sallust sich ündet) als praktische Ditt'erenzierungsform sich zu-
nächst in der Umgangssprache einbürgerte und von da auch in
die Schriftsprache ül)erging. ,,Ahnlich wird wohl auch fistus est
entstanden sein für das Perfekt Akt. fidit (denn das angebliche
iisi scheint eine Fiktion der späteren Grammatiker zu sein**)) zur
Differenzierung gegenüber dem Präsens von fidere und dem Per-
fektum von ündere (fidi)/' Ich möchte auf dieser Bahn weiter-
gehen und behaupten, dafs die sämtlichen sog. Neutro- Passiva
ihre Entstehung diesem Verlangen nach Differenzierung verdanken.
Für soleo und iindo hat es Keller überzeugend nachgewiesen, es
bleiben noch audeo mid gaudeo. Von beiden giebt Priscian 9, 47
(p. 4S2, 9) an, daJs die 'vetustissimi" auch ^ausi' für 'ausus sum'
und 'gavisi' für 'gavisus sum' gebildet hätten. Er citiert für
Siusi' eine Stelle aus einer Rede des alten Cato (p. 63, 4 JonL):
Beneficii (Mommsen: veneüci) postridie iussisti adesse in diem ex
die: non utisi recusare; doch schiebt hier der Bambei^ensis ^sunt'
nach ausi ein — ob mit Recht, ist aus dem trümmerhafb über-
'^1 Nach V. Hart^4 Arcli. 111 3G ffobraucht Lucifor C'al. häufig odisse im
Sinne von odivir^sc. Doch habe ich die kontrahierte Form nur de saneto
Atlian. 11 0. 1.') 1». 175. 24) anj?etrotFeu »ygl. Index ij. 356) und zwar, wie
mir scheint, mit Präsensbedeutung: 'cum haee ita sint, necesse est te id-
rirco CHlisac illnm, quia opus tuum sit malignum\
**) Prise, s, «1 p. 420, 18); da» Tertekt 'iisi' ist bis jetat nirgends
nachzuweisen, et*. Neue-Wagener IIP S. 100.
Das Defektivum 'odi' und sein Ersatz. 153
lieferten Zusammenhang nicht zu entscheiden. Da aber Cato an
zwei anderen Stellen, p. 41, 5 und 9 Jord., ^ausus est* und 'ausum
esse' sagt, so bleibt es wenigstens f&r Cato fraglieh, ob er die
Perfektform *ausi' gebraucht hat.*) Doch das ist noch kein
ausreichender Grund, an dem einstmaligen Vorhandensein eines
aktiven Perfekts ^ausi' überhaupt zu zweifeln, da ja sein Bruder
gaudeo (eig. *gävi-d-eo, Lindsay lat. Spr. S. 550 und 6CK)) gleich-
falls in der archaischen Sprache ein aktivisches Perfekt 'gavisi'
bildete, wie durch zwei Belege sicher verbürgt ist: Liv. Andron.
Od. (fr. 32 B.) quoniam audivi, paucis gavisi (= Hom. Od. 16, 92
fl fuika ^liv Tcataddmet! axovovtog tpCkov t/top) und Cass. Hern. 2
fr. 25 P. idque admiratum esse (javisi. Nun scheint das Perfekt
'ausi' deshalb beseitigt und dafür die Passivform *au8us sum' ein-
geführt worden zu sein, weil gerade die viel gebräuchliche dritte
Person Sing. *ausit' mit der Konjunktivform atusit von ausim**)
zusammenfiel, die sich z. B. bei Plaut. Mil. 11, Bacch. (517, aber
auch bei Catull, Ovid, ja selbst bei Livius findet. Wie nun wohl
nach ^coeptus suni' (für eoepi bei passivem Infinitiv) per analo-
giam Mesitus sum' weitergebildet wurde, so nahm nach dem
Vorgang von audeo auch dessen Zwillingsbruder***) gaudeo sein
Perfekt aus dem Passiv. Was Wunder endlich, dafs bei der
Zwangslage, in der man sich dem Verbuni *odi' gegenüber be-
fand, nach diesen Mustern das fehlende Perfekt aus dem Passiv
entnommen xmd also osus sunt für das ver]jönte ^odivi' geneuert
wurde. Man höre darüber Non. {}, 148, 8M. ^ Osa sum pro odi (!)
PluiUus in Amphitryone (v. 900): inimicos senrjyr osa sum optu-
erier; Fest. p. 201, 18 M. ^ Osi suvf ab odio declinasse antiquos
testis C. Gracchus in ea, quae est de lege Minucia, quom ait:
*Mirum si quid his iniuriae fit, semper eos osi sunt'; |Sergii]
explan, in Donat. 2 j). 552, 1 ^odi facit praeterito perfecto osus
sum\ Aufserdem ist iliese Perfektform mit aktiver Bedeutung
nur zweimal belegt: Sen. suas. 1, 5, wo aber die Lesart imsicher
ist. Der neueste Herausgeber, H.J.Müller, schreibt: 'et inter reges
*) Vgl. auch riaud. Quadrig. fr. 57 F. 'lictorea non ausi »uht desctMi-
dere iubere'.
**) Davon ist wiederum zu unterscheiden das häufig glossierte Adver-
bium ausim = audacter, das nach Analogie von sensim gebildet ist; s. die
Glossen im Thes. gloss. em. s. v. audeo.
*•*; Vgl. Priscian p. 482, 8: 'au' ante 'deo' habentia per i)articipium
in praeterito declinantur nunc: 'audeo ausus Bum\ 'gaudeo gavisus sum'.
lo4 GuBtav Landgraf:
ipsos esse discrimen : quosdam minus, alios magis osos veritatem;
facile (facti, taciti codd.) Alexandrum ex iis esse etc. Vielleicht
ist osos veritatem fuisse zu lesen nach GeU. 4, 8, 3 Hunc Fabricios
non probabat neque amico utebatur os?^^que eum raoram causa
fiiit. Mit Unrecht stellen Neue- Wagener III p. 121 hieher Porphyr.
in Hör. carm. 3, 24, 30 'per invidiam fit, ut boni viri dum vivant
osi sint% denn hier steht osus sum als Pctssiv und im präsentiscJieti
Sinne = odiantur. Dafs osus sum im Spätlatein passivisch ge-
braucht wurde, bezeugt auch (Jharis. p. 2o7, 11 Werbum finitiyum
tem])oris instantis odi, odisti, odit; imperfecti oderam; perfecti
(vgl. oben S. 151) odi, eiusdem temporis passiro modo osus sum
et tili \ Allein darin irrt er, dafs er itlr osus sum Perfektbedeutung
annimmt. Unklar drückt sich auch Servius zu Verg. Aen. 5, 687
*si nondum exostis (sc. es) ad unum Troiimos' aus, wenn er sagt:
Autiqui et 'odi' dicebant et %)sus sum': hinc est 'eiosus', quo
utimur, licet iam *osus sum' non dicamua. Denn exosus und
perosus sum*) werden nur in präsentiscJur Bedeutung gebraucht;
man vgl. aufser der Vergilst^lle Curt. 8. 7, 12 Persarum te vestis
et diseijJina delectat, patrios mores ejostis es = odisti; Augnstus
bei Suet. Tib. 21 deos obsecro ut te nobis conservent, si non
populum Komanum jxrosi smit.**) Mehr Stellen geben Neue-
Wagener 111 S. 121, die ebenda richtig l)emerken, dafs exosus und
perosus i Avie osus bei Porpliyrio) im späten und spätesten Latein
auch in }}as$ivisch€r Bedeutung auftrett»n, man vgl. Eutrop. 7, 23
ob scelera universis eaostts esse coepit. Bei «liesem mannigfaltigen
(Tel)rauche ist es kein Wunder, wenn die alten Grammatiker
völlig den Kopf verloren und Richtiges mit Unrichtigem in ihren
Bemerkungen über die Konjugation von odi durcheinandenvarfeu.
Einige Proben davon haben wir schon oben gegeben: hier möge
noch eine Bemerkung «les Diomedes p. 387, 10 Platz finden: ^Est
et odi corruptum. Accipitur enim pro instanti et perfecto (s. oben),
quasi ^tö(o x(ci ufii{6)]x«. Nonnulli distinguendi temporis gratia
* Kühiu^r, Ausführl, J-^at. (Tramiu. I S. 53G citiert für diesen Gebrauch
als orstt* Stelle Cic. ep. Att. 4. Ha, 3, allein hier wird jetzt 'cram exorsus'
ffelesen: exosus wHre hier auf» dem IJninde unmöglich, weil das Particip
erst von Vergil geschaffen wurde «s. unten. — fycrodi gebraucht allein
Manil. A!»tron. o, 415.
** Damit stimmt, wenn Verrius Flaccus, ein Zeitgenosse des Augustus,
in seinem Werke de verl). signif. nach dem Auszug des Festus ip. 201, 18 M.)
sagt: ^luod nunc quoque cum i>raepositione elatuni frequens est, quom di-
cimus. semper i)eroifi\
Das Defektivum 'odi' und sein Ersatz. 155
peri'ecto declinant exosus sum et perosus sum illum; similiter et
plusqnamperf ecto. '
Dpch kehren wir zu osus sum = odivi zurück. So glücklich
die Neiuschöpfimg dieser Perfektform zu sein schien, so konnte
sie sich doch nicht auf die Dauer halten. Derselbe Unstern, der
odio aus der mustergilt igen Litteratur verdrängt hatte ^ brachte
auch der Form 'osus sum' den Untergang. £s geriet in Kollision
mit dem im römischen Munde gleichlautenden ^ausus sum' und
— unterlag.
Nun wäre es eigentlich nahe gelegen, die von Vergil an Stelle
des wegen des Zusammentallens mit ausus nicht verwendbaren
Particips osus*) neu eingeführten Participia exosus und perosus
durch Zusammensetzung mit eram und fui in die Lücke treten
zu lassen. Auch hat es nicht an Versuchen dazu gefehlt; so sagt
Livius 3, 34, H plebs consulum nomen haud secus quam regum
perosa erat**) und Gellius 15, 20, 6 mulieres fere omnes in ma-
iorem modum eu'osus fuisse dicitur, allein durchgedrungen ist dieser
Versuch nicht, so allgemeiner Beliebtheit sich auch seit Vergil
die Participia exosus und perosus bei Dichtem wie Prosaikern
zu erfreuen hatten. Es war dies eine der vielen glücklichen Neu-
bildungen Vergils. Fehlte es doch bis dahin thatsächlich der
mustergiltigen Sprache an einem Participium von odi und, was
das Wertvollste war, durch die Zusammensetzimg mit ex und per
waren diese Participia gegen alle Angriffe des 'waghalsigen' Erb-
ieinde&i (audeo) gefeit. Übrigens gewann das Kirchenlatein durch
Verbindung des Particips cvosus mit habere eine neue Umschrei-
bung des Perfekts. Thielmann***) im Arch. II 383 citiert für
*; Mar. Sacerdos p. 431, 4 K. stellt als Partizipia Futuri ^osurus' {vgl.
(tloss. Ampi. p. 317, 18 und 377, 33 (j. osurus odituruä) und odendus (?),
als Partie. Pert'. 'osus' auf. Letzteres ist ohne Hilfsverb an keiner Stelle
nachzuweisen; 'osuriis^ findet sich an zwei Stelleu in Wiedergabe einer
Sentenz des Bias bei Aristot. Rhet. 2, 13 wi; dti (piXttv mg niarjaovTct x(xl
fiiattv (OS (jptJtfJtfoiTa. Cicero übersetzt Lael. § 60 Ita amare oportere, ut
si aliquando esset osurus, (ilellius 1, 3, 30 Hac fini ames tamquam forte
fortuna et ogurus, hac itidem tenus oderis (Ersatz des Imperativs!) tamquam
fortasse post amaturus.
**j| l4ivius gebraucht nur 'perosus' und dies dreimal im 3. Buch; Klotz
lat. Stilistik S. 83 rechnete das Wort zur PataWnitas des Livius! Richtiger
urteilt Stacey im Arch. X 45.
***) ^m. a. 0. giebt Thielmann einige gute Bemerkungen über die im
Vorstehenden behandelte Materie, die sich zum Teile mit meinen Auf-
156 Gastav Landgraf:
exosuni habui Vulg. 2 reg. 13, 15; Prov. 1, 29; Osee 9, 15. Ans
der Bibelsprache mag Einhanl diese Verbindung kennen, die er
c. 22 der vita Garoli Magni anwendet quos (sc. medicos) paene
exosos habebat. Vorangegangen war die profane Litteratürspraehe
mit invisum habere y vgl. Sen. contr. 9, 1, 15 invisa habuisse und
Cnrt. 7, 2, 36 invisos habuerat.
Gröfsere Verbreitung fand die Umschreibung des Defektivums
durch odio habere, und zwar sowohl im Präsens als im Perfekt
Aktivi imd Passivi. Schon Plautus kennt sie: Men. 111 quod
viro esse odio videas, tute tibi odvi Itabeas und Pers. 2^)6 odio
haheant. Die klassische Prosa vermied die Wendung. Die Sentenz
^Sic diligendi sunt amici, ut nos nobis odio haberi putemus, si
amicos*) (Varr. sentent. p. 270, 119 Riese) geht wohl kaum auf
Varro zurück. Von den augusteischen Dichtern gebraucht die
Umschreibung Ovid rem. am. 124 impatiens animus respuit atqae
odio verba monentis haltet. Häutiger begegnet sie in der nach-
klassischen Latinität, so bei Sen. de ben. 5, 5, 2 tam diu parentes
odio habemiis quam diu graves iudicamus. Besonders gem^ be-
dienen sich die Script, bist. Aug. dieser Wendung zum Krsatz des
Perfekts: lul. Cap. vit. Pert. 14, 6 milites eum odio halnfemnt]
lul. Cap. V. Maxim. 11 ut ])roditorem odio hahtiit (Ael. Spart, v.
Pesc. Nig. 3, 2 qui magis esset odio hahendus a senatoribus); Ael.
Spart. V. Hadr. 22, 9 ditavit — odio hahnit, ib. 14, 1 Antiochenses
ita odio habuit und ganz so Ael. Spart, v. Sev. 14, 5 — gewils
keine zufällige Übereinstimmung des Sprachgebrauchs; Schol. Gron.
zu Cic. Rose. Am. § 46 odio hahebat (Ggs. amabat) und o. Juilmit,
Die Vulgata des Alten und Neuen Testamentes bietet odio habere
an 20 Stellen; bes. wichtig erscheint ev. lohami. 15, IS si mundus
vos odit, scitote quia me priorem vobis odio habuit = si 6 xodfiog
i^ficcg (ii6€L^ yvyvG}67cexB ort ifi} Jtg&rov vfiibv ftsfiiö'ijxev. Unter
den Ekklesiastikeni (vgl. z. B. Novat. de pud. c. 5 nemo camem
suum odio habet) fand die Phrase odio habere den besonderen
ßtellungen benihren. — Die von Th. nicht erwähnte Umschreibung pet'osum
habere steht Lucif. Cal. p. 117, 7 perosum halntum; 160, 12 noli ita te
perosiim habere und 148, 14 amare — perosa habere.
*) Wir haben hier offenbar dieselbe Sentenz vor uns, die wir bereits
oben S. 155* aus Cicero und Gellius belegt haben; man vgl. noch Publil. Syr.
245 K. 'Ita amicum habeas, posse ut facile heri himc inimicum putes'.
Nach diesen Stellen wird auch die varronische Sentenz zu emendieren sein:
»Sic diligendi sunt amici ut eos (ut non eos nos -4) nobis odio haberi pute-
muß <'qua^8i ^in^imicos oder sicut inimicos.
Das DefektivDm ^odi' und sein Ersatz. 157
Beifall des Lucifer Gal.: p. 54^ 7 entsprechen sieh odio hahitos luid
aniatos^ v. 9 amaverit und odio habuerit* p. 55, i) odio hcdiere di-
gnaris; 132, 19 quos odio se habere dieit dominus; 143, 5 quae
odio haheat deus, dagegen 327, 9 steht in odio habentur (vglr ital.
aver in odio). Danebenher geht bei ihm eine ausgiebige Ver-
wendung des biblisch*) -vulgären odire, s. die Belege für odis,
odimor, odies, odivi (über odisse s. oben), odire, odiri, odientes
im Index von Hart«l p. 356. Hierher seien noch gestellt die
Glossen 4,371,31 odiosus] qui oditur; 5,574,4 odibilis] odio
habitus; rätselhaft ist 5, 30(>, 24 himosus] odio habitus.
Die bekannteste und gebräuchlichste Umschreibung des Passivs
ist die durch odio esse, vgl. Diomed. p. 387, 10 Id verbuni in signi-
ficatione passiva id est ^löovfiat aliter formari non potest, quam
si dicas odio sum iUi et ita declinatur. Das Stellenmaterial findet
man am vollständigsten in den Abhandlungen von Nieländer
über den faktitiven Dativ I S. 14 f., II S. 8f., lU S. 9. Hier sei
nur darauf hingewiesen, dafs odio esse auch als Ersatz des Aktivs
verwendet wird, so Cic. Rose. Am. vj 40 verisimile non est odio
fuisse parenti filium = dafs der Vater den Sohn hafste, vgl. Plaut.
Merc. 80 Ergo ubi ita visum { me ubi invisum codd.) meo patri
esse intellego atque odio me esse quoi placere aequom fuit und
Sen. contr. 7, 3, 5 dico tam invisttm Uli patrem fiiisse (zu dieser
Umschreibung vgl. oben invisum habere), ut occidere voluerit:
ipse fatetur tam invisum sibi fui^ssc, ut se occidere voluerit. Neben
dem Dativ findet sich — allerdings viel seltener — auch der
ÄhlatiVj z. B. Cic. Verr. a. pr. 42 quo maiore etiam si tieii jiotest
apud vos odio esse debet passivisch lan Stelle von odiendus est!);
d^egen Phil. 12, H non arbitrabitur ( legio ) se graviore odio debere
esse in Antonium quam senatum aktivisch, wie ep. fam. 12, 16, 3
etiamsi odio pari fuerit in eos, quos laedit. Häqfig erscheint auch
in odio esse, mit und ohne Dativ, z. B. ep. Att. 2, 21, 1 tant*) in
odio est Omnibus; ib. 2, 13, 2 quanto in odio noster amicus!; de
imp. Cn. Pomp. § 65 difficile est dictu quanto in odio simus apud
exteras nationes; Bell. Äl. 59 tamque omnibus Caesariauis quam
Pompeianis Longinum esse in odio.
Doch hiermit ist die Reihe der Umschreibungen noch nicht
erschöpft, wie zum Schlüsse eine kleine Auswahl darthun möge.
•;» Eine übersichtliche ZusammenHtelluug der in der Itala und Vulgata
gebrauchten Formen von odio giebt R^nsch It. u. Vulg. S. 2^1 — 2m:{, be-
richtigt und ergänzt von Neue -Wagener III S. 642 — 644.
1Ö8 ^^- Landgraf: Da» Defektivum ^odi' und sein Ersatz.
Cic. prov. eons. 24 quod mihi odium cum P. Glodio fuit'i
Cic. Plane. 71 requiro utruni putes (Klium in me mediocre
iiiimicoriiiii fuisse-^ Mil. 52 odinni fuisse illius in hunc acerbissi-
niun\, imllum huius in illuiii.
(Jic. Vsitin. 3U si es odium publicum populi, senutus, univer-
soruni hominum rusticanorum.
Cic. TuU. 21 tantum odii crudelitatisque licibueinint (aktiviscli);
e]). Qu. fr. H, 9, ;^ odii nihil habet (passivisch), Petron. 84 si quis
vitioruiii omniuni iuimicus rectum iter vitae coepit insistere,
propter morum differentiam odium Jtabet,
Verr. 1, 23 faomines scitote esse quosdam^ quos tantum odium
iiostri ordinis tenet] de ro]). 2, o2 tantum odium fenuU populum
llomnnuni regalis nominis.
ib. 1, 62 tu non vides luiius superbia Tarquinii nomen huic
j)o])ulo in (jdium venissc regiumV
J^etron. 105 quibus in odium bona sua venissent,
Cic. off. 1, 150 in odia hominum incurrunt.
Leg. agr. 1, 2 nomen imperii in commune odium orbis terrae
vtfcabafur.
Cic. ej). Att. 11, 17 a, 2 quid mea intersit, ut eorum odium
siiheam, non intellej^o.
Nep. Lys. 3, 1 ut itf maximum odium (iraeciae Lacedaemonii
pervmerint.
Senec. epist. 10, 2, 20 in odium illam sui adducere soiet
iners otium.
Auffallend sagt Plin. bist. nat. 28, S, 10(3 onmibus odio venirr
für in odium, vgl. Arch. VIII 75.
Auch das Adjektiv odiosus leistet gute Dienste, wie z. B.
Cic. Cat. m. §4 /.eigt: senectus plerisque senibus odiosa est =
wird gehalst.
München. (jnstav Landja*ftf.
Sprachliches zum Bellum Hispaniense.
Der letzte Kommentar der Fortseizungen Caesars beiÜBt seit
Jahrhunderten und noch in der neuesten kritischen Ausgabe
(Bibl. Teubner. 1897) das Bellum Hispaniense^ ohne dafs eine
Variante angefülirt würde. Und doch bietet die älteste Hand-
schrift, der neu entdeckte Codex Ashbumhamensis^ die Überschrift:
Incipit üb XIU^ de hello byspanico. Der Redaktor dieser Aus-
gabe betrachtete also die verschiedenen Bücher als ein zusammen-
hangendes Ganzes^ als die R^rum suarum (Rerum a se gestarum)
libri Xni, welche Caesar zwar nicht selbst vollendet, aber wenig-
stens zu schreiben beabsichtigt hatte. Er zählte also, wie die
sogen. Historien des Tacitus in dem Codex Mediceus als Fort-
setzung des Werkes ab exeessu divi Augusti mit fortlaufenden
Zahlen gezählt werden. Die Rechnung stimmt freilich nur, wenn
man das Bellum Gallicum zu acht^ das civile zu zwei, das
Alexandrinum und Africum zu je einem Buche ansetzt. Das
Bellum Africum trägt auch (vgl. die Photographie in meiner Aus-
gabe i über den einzelnen Seiten die römische Ziffer XH. Dazu
kommt, dafs die Bücher 1 . H des Bellum civile nach unserer
heutigen Einteilung nur die Ereignisse des Jahres 49 umfassen,
während son^t jeder Kommentar ein ganzes Jahr umfafst. Vgl.
Bell. Gall. S, 48, 10. Auch ist der Umfang von üb. I und U zu-
sammen nicht viel gröfser als der von HL
Aber wie steht es denn mit dem Titel Bellum Hispanicum?
Die (iewohnheit spricht dagegen, die Analogie dafür. Wenn von
Gallia gebildet worden ist Bellum Gallicum, warum nicht von
Hispania: Bellum Hispanicum? Üblicher ist später geworden
Bellum Hispajiiense, und Sueton im Divus lulius 50 hat den
Kommentar so genannt; den Krieg schon Cicero imp. Cn. Pomp. 28,
und wohl mit gutem Grunde; denn durch das Bellum Gallicum
wurde Gallien der römischen Herrschaft imterworfen, während das
Hispaniense nur in Hispanien geführt wurde. Es fragt sich nur,
ob wir dem unbekamiten Verfasser mit Recht zumuten dürfen.
160 Ed. Wölfflin:
er habe diese Unterscheidung gemacht und dann folgerichtig
Hispaniense geschrieben. Seine grammatische Bildung ist be-
kanntlich der Art, dafs wir l)ei ihm auch ein weniger gutes
Latein ertragen müssen, und die Ableitung Hispanicus ist ja nicht
nur durch Varro und Münzen (Hisp. exercitus), sondern schon durch
Claudius Quadrigarius bezeugt, welcher Hispanicus gladius neben
Galliens gladius gebraucht hat. Gellius 9, 13. Und wenn wir
den liber XIII des Codex Ashbumhamensis anerkennen, so dürfen
wir konsequent dem Bellum Hispanicum nicht schlechtweg den
Glauben versagen.
Gap. 1, 1. cum <^ad^ adulescentem Cu. Pompeium profugissentj
So mufs imbodingt gelesen werden statt der handschriftliclien
Überlieferimg: cum adulescente Cn. Pompeio, zumal der beste
Codex Ashbumhamensis den Akkusativ Pomiieium erhalten hat.
Nachdem ad durch Haplographie ausgefallen war, iafste man das
temporale itim als Präposition, welche dami den Ablativ adule-
scente nach sich zog. Als Subjekt werden genannt die Über-
bleibsel des afrikanischen Feldzuges (Knspina, Thapsus), womit
Appian civ. 2, 103 und Dio Cassius 43, 30, 4 stimmen: Appian
verweist noch auf Flüchtlinge von Pharsalos, und Velleius 2, 55, 2
sagt gar: undique ad eum ex toto orbe terrarum auxiliis c-onflu-
entibus. Mit Cn. Pompeius konnten die bei Thapsus Geschlagenen,
wie Varus, Labienus, immöglieh fliehen, da der ältere Sohn des
P. Magnus schon vor der Niederlage Afrika verliefs, um .sich der
Pityusen (Balearen?) zu bemächtigen. B. Afr. 23.
Es fragt sich nur, ob der damals etwa 28 jährige und ver-
heiratete Pompeius adulescens genannt werde, oder adulescen-
tulus, wie Dinter sehrieb, da Cod. Vindphon. adulescentules hat.
Da aber der junge Maim auch B. Hisp. 3, 1 . 40, 1 . 42, 6 adulescens
genannt wird, ebenso bei Seneca suas. 1 , o und Eutr. (», 24, so
liegt kein Gnmd vor, von der besten l^berlieferung abzugehen.
Caesar spricht bell. civ. 3, 5, 3. 3, 40, 1 von Pompeius ülius, wie
auch der Veriasser des bell. Afr. 22, 1, b. Hisp. 23, 3 und Oro-
sius l), 16; der Verf'. de vir. illustr. 78, 8 von Pompeios iuvenes.
Wenn der junge Mann B. Afr. 23, 1 als adulescentuhis bezeichnet
wird, so geschieht es, weil Cato von Utica ihm eine Strafpredigt
hält und der Berichterstatter ein gewisses Mitleid mit dem Zu-
rechtgewiesenen verrät, sodafs also die Üeminutivfonn einen
affectus animi ausdrückt. Deutlieh tritt dieser hervor in den
Worten, welche Caesar nach Plut. Caes. 5(> bei Munda seinen
SprachlicheH zum Bellum Hispanieuse. 161
Soldaten zuruft: fl fir^öhv ccldovvrai laßüvtBg avrbv iyxeiQiöa^
Totg xaidagCoig. Dies entspricht einem lateinischen, gering-
schätzigen a<lulescentulis, von welchem sich das objektive ol IJofir-
nrjiov xatdeg bei Strabo 3, 2, 2 deutlich abhebt.
Cap. 1, 1. Pompeius in fidem uniuscuiusque civitatis con-
fugere coepitj Wenn Degenluirt diese Worte p. 76 erklart:
supplicem ad Hispanos venisse et ab iis perüiginm auxiliumque
petiisse, so widerspricht dies offen})ar den Thatsachen. Denn nach-
dem Cn. Pompeius Besitz von Hispaniu citerior (Tarraconensisj
und Hisp. nlterior (Baetica) genommen, ohne dals die Legaten
Caesars dies zu hindern vermochten, ist er nicht mehr schutz-
bedürftig. Der Vf. des bell. Hisp. giebt auch als Zweck dieser
Mafsregel an: quo facilius praesidia compararet. Der Sinn ist
etwa: nachdem Pompeius zuerst als Eroberer aufgetreten war,
änderte er mich günstigen Erfolgen seine Politik und zeigte sich
den hispanischen Städten als Freund und Bundesgenosse, und be-
kam so starken Zuzug (partim precibus partim vi bene magna
comparata manu). In diesem Zusammenhange kann man die
Phrase nicht verstehen wie cj). 32, 8: de lectioa Pompeius eorum
in fidem confugit, wo der Verwundete, V(m den Caesarianern
Verfolgte sich den Bewohnern von Carteia anvertraut. Zu Anfang
des Krieges dagegen konnte Pompeius nur Allianzverträge mit
den hispanischen Städten zu schlielsen suchen, wozu das Wort
fides wohl pafst, während ccmfugere nur hyperbolisch gefafst
werden kann. Der Sieger liefs sich doch dazu herbei, den Landes-
bewohnern gute Worte zu geben, und zwar in seinem eigenen
Interesse; dabei ist nicht zu vergessen, dals ein Caesarianer spricht,
welcher seinem Gegner den Vorwurf der superbia nicht erspart.
Bei Klassikern natürlich ist der confugiens nie ein (j leichgestellter,
sondern ein Unterwürfiger. Vgl. Cic. offic. 1, 35 qui positis armis
ad imperatomm fidem confugient. Cic. Quinct. 10 cum afflictus
in Aquili fidem veritatem misericordiam confugerit. Wir können
den Anonymus nicht von dem Vorwurf befreien, dals er seine
Phrase falsch angewendet habe; etwas besser als .•>, 7 ut sileat
verbum facere ist <ler Satz immerhin.
Cap. 1, 2 bene magna comparata manu| In unserem Kom-
mentar kommt 2;"), 2 bene longe vor, l)ene magnus an elf Stellen,
bene multus an drei, während in allen anderen Büchern bene nur
mit Verben verbunden wird. Man könnte diese auffallende Eigen-
tümlichkeit auf das Vulgärlatein zurückführen, insofern bene
162 Kd. Wölfflin:
morij^ferus bei Plautus vorkommt Capt. 966, bene lubenter bei
Ter. Eim. 1074, bene longinquus bei Lucilius, und Ahnliches
namentlich in den Briefen (-iceros, auch bei Horatius, meist in
den Satiren (Ausnahme Od. 2, 12, ö bene üdus^ welches Por|)hyrio
mit valde üdus erklärt). Damit stimmt, dal's sich bene in dieser
Verbindung im französischen bien erhalten hat. Gleichwohl mufs
zu der Erklärung noch ein anderes Moment herangezogen werden,
die Sprache des I^nnius, welchen ja der Verfasser 2^-^, 3 und Bl, 7,
wahrscheinlich auch 5, 1 citiert hat. Nun hat Ennius nicht
nur Ann. 105 M. geschrieben: accipe daque tidem foedusque feri
bene firmum, sondern Porphyrio sagt uns geradezu in der Er-
klärung zu Hör. Od. ;), 24, 50: bene pro valde positum, ut apud
Ennium frequenter. Aus diesem Grunde wird es sich auch
empfehlen, in dem Enniusverse Ann. 155 M. cum tonuit laevum
bene tempestate serena das Adverl) nicht mit dem Verbum, son-
dern mit dem folgenden Adjektiv zu verbinden. Man sieht, dals
bene gern von den quantitativen Adjektiven (magnus, multus) an-
gezogen wurde: vgl. auch Carm. Priap. 80, 1 longa bene. Cic.
Att. 14, 7, 2 litterae l)ene longae. Cic. fin. 2, U4 b. longinquus.
Tusc. 2, 44 bene [plane] magnus. Arnob. 5, 21 bene grandis. Im
Gegensatze dazu stehen die Formeln oppido pauci, parvus, pauluni,
pusillus, brevis, tenuis, wozu man Belege findet in meiner ^La^
teinischen und romanischen Kom])aration', Erlangen 1879,
S. 22 und 2H.
Cap. 1, 4. Ita paucis commoda <^ab> hoaite orta: eo maiores
augebantur copiae.J Indem wir den ersten Satz nach Fteischer
geben, beschränken wir uns auf eine Erklärung des Gedankens.
Cn. PompeiuB trat zuerst in Hispanien als Eroberer auf, ver-
änderte dann aber seine Politik durch Abschlufs von Allianz-
verträgen, die freilich den Städten nur wenig nützten^ weil die
reichen Bürger durch Anstrengung falscher Prozesse ruiniert
wurden. Umsomehr wuchs al)er das Heer des Pompeius. Unter
hostis ist also der ältere Pomjieius zu verstehen, und mit der
Phrase läfst sich vergleichen B. Gall. 7, }V^ incommoda oriri; Ter.
Hec. 223 aegritudo oritur abs te.
Für den zweiten Satz ist es inhaltlich einerlei, ob man statt
des überliefeiien hortato mit Fleischer schreibe orta eo, oder unter
Amiahmc von Haplographie orta tanto. Vgl. Gall. 5, 45 tanto
crebriores litterae ad Caesarem mittebantur. Beachtenswert tiir
den Ausdruck bleibt nur der Pleonasmus: maiores augebantur
Sprachliches zum Bellum Hi8panien8e. 16S
copiae; korrekter wäre gewesen tanto magis a. i*. wie Liviüs 5,
29, 10 in dies magis augebat iras hominuni; auch in niaius wäre
denkbar nach Liv. 29, 3, 9 omnia in maius metu äugen te. Wenn
es so schwer hält, den lateinischen Ausdruck zu rechtfertigen, so
ist es um so einfacher, eine Prolepsis nach Analogie des (Grie-
chischen anzunehmen. Denn nicht nur fityag rjv^ijd^if kommt bei
Demosthenes wiederholt vor (vgl. Rehdantz-Blass im Index II zu
Deniosthenes' 9 philippischen Reden, s. v. Prolepsis; Plato re\). H,
5I>5 C. Tim. p. 72 D), sondern auch der Komparativ. Aes<'li.
Suppl. 339. Plato leg. 3, 681 A. Eur. Iphig. Aul. 572 ^et^io 7i6}av
av^siv. Es ergiebt sich daraus, dal's das Latein des VeH'assers
darum so bedenklich ist, weil es nicht seine Muttersprache war,
was man allein aus dem Genet. absolutus cp. 14, 1 eius j)raeteriti
temporis hätte schliefsen dürfen. Auch die Konstruktion c[). 42, 2
eius pecuniae provinciam liberasse (so nach Cod Ashburnh.:
ea pecunia die gewöhnliche Überliefenmg) ist nichts anderes als
ein starker Gräcismus.
Cap. 2, 1. C. Caesar multis fiterante diebus coniectis cum
celeri festinatione in Hispaniam cum venisset etc.] Was der Kh-
reise Caesars vorausging, waren die öffentlichen S])iele in liom
und die neue Einrichtung der Administration, einschliefslich der
Kalenderverbessertmg. Mit Rücksicht darauf halten wir es für
nötig, den Ablativus absolutus multis rebus confectis als Gnuid-
lage der Emcndation anzunehmen. Kine Zeitbestimmung wie
multis itineribus confectis pafst nicht, weil es magnis heifsen
mufste ((Jall. 7, 56. Alex. 36), und weil Caesar keine Märsche mit
einem Heere zurücklegte, sondenr mit seinem Stal)e gewisser-
mafsen Extrapost fuhr. Dies zuzugeben, bieten sich für iterante
drei Möglichkeiten: zunächst ohne Änderung iter ante, oder mit
Umstellung ante iter. Sagt man, der Begriff iter (= profectio)
sei nicht vorbereitet, so liefse sich erwidern, dafs Ca]). 1 mit den
Worten schliefst: crebris nuntiis missis auxilia sibi depostulabant,
und dafs aus dem folgenden cum venisset auf ein vorangehendes
iter geschlossen werden mufs: auch war ja dieses Mter' l)erühmt
geworden durch Caesars poetische Schilderung. Sueton Caes. 56.
Die Nachstellung der Präposition aber ist wenigstens nicht un-
möglich. Wir scheiden alle Beispiele aus, wo das Substantiv
noch eine Bekleidung (Pronomen, Adjektiv, Genetiv) erhält, weil
es sich hier eigentlich nur um Zwischenstellung handelt. Zu-
treffende Parallelen bleiben dann noch (vgl. Thes. II 136) Tibull 2,
IM Eti. Wölfflin:
5, 66 Caput ante, Ov. fast. 1, 503 puppern ante, H, 211 nonas
ante, Stat. Teb. 12, 140 flammas ante; also lauter Beispiele he-
xametrischer Poesie, sodafs es denkbar ist, Ennius habe iter
ante j^ebrancht und der Verfasser habe diese Phrase sieh an-
j^eeignet.
Mag man daran nicht glauben, so kann man in iter den
Rest eines Adverbs sehen, und am ehesten den Rest von feliciter;
denn dieses wird oft mit celeriter verbunden, und zwar mit Be-
ziehung auf Caesar. Gall. 8, 40 ([uam rem celeriter feliciterque
confecit (H, 31 summa felicitas celeritasque ). Alex. 78 rebus fe-
licissime celerrimeque confi»ctis. Alex. 32 re felicissime celerrime-
que gesta. Dami winl ante Adverb, und der Abi. absei, lautet:
miütis <felic/>iter ante rebus confectis. Die folgende Präposition
(cum celeri festinatione) ist allerdings verdächtig, zumal sie 38, 6
(celeri festinatione ) fehlt. Nach dem Geschmacke des Autors
steht die Temporalpartikel cum gern am £nde des Satzes un- .
mittelbar vor dem Verbum (3, 2 ... cum adissent; 4, 2«. . . cum
exissent; 29, X . . . cum adpropinquassent), sodafs sie auch in
unserem Satze vor venisset gehört; vielleicht aber hat der Autor
cum celeri festinatione geschrieben, um den Modalitätsablativ von
dem vorausgehenden Abi. absolutus zu imterscheiden.
Cap. 3, 4 hominem eins provinciae notum et non parum
scientemj Hier ist zunächst die Xixotrjg non parum (= multum,
yalde; haud parum bei Livius) durchaus nicht vul^r, sondern
umgekehrt geziert und affektiert. Quintil. 10, 1, 124 schreibt:
scripsit non parum multa, uml ebenso G^ 2, 3. Weitere Belege
'Latein. Kompar.'* S. 0. — Diigegen erscheint uns notum ■» pe-
ritum beinahe wie ein grannnatikalischer Schnitzer mit Ver-
wechslung von Aktiv und Passiv; doch wird der Gebrauch eher
dem archaischen Latein zuzuweisen sein. Vgl. Plautus, Pseud, 996:
ita erus mens est imj^eriosus. 'Novi: notis praedicas', wo Scaliger
glaubte ^loctis** bessern zu müssen, und dem Sinne nach kann
man ja den Satz mit doctos doces erklären. Für notis aber
müssen wir offenbar aktive Bedeutung annehmen. Näher steht
unserer Stelle wegen der (ienetivkonstruktion Dictys 0, 7: notus
jideo eins domus, uti etc. Bei der archaisierenden Richtung des
Aut«)rs wäre es leicht denkbar, dafs er diesen Gebrauch bei Sallust
gefunden hätte. Der Verf. des bell. Hisp. konnte ihn aus Ennius
kennen, da er bei späteren Epikern wiederkehrt. Silius 17, 148
notusque fugarum vertit terga. Statins Theb. 2, 274 notique
sprachliches zum Bellum HispanienHc. 1(55
operuni Telchiiies. Noch bekannter ist die Vermischung • von
ignotus und ignarus, z. B. Phaedr 1, 11, 2: ignotos fallit, notis
est derisui.
Cap. 3, 5 lesen wir noch hei Kühler: qui cum ad Cn. Pompei
jiraesidia veuisset, incidit idem (id Co<l. Ashbunih.) temporis, ut
temi>estate a<lversa vehementic^ue veuto adtlictaretur. Es ist die
Ke^le von 2(HM) Heitern und ebenso vielen Fufsgängem, welche
sich in die von Pompeius belagerte Stadt Clia werten sollen.
Sie sind um die zweite Nachtwache aus Caesars Lager abmarschiert,
vor Tagesanbruch sm die pompei an i sehen Linien gekommen, welche
sie forcieren müssen, während genide ein Unwetter losbricht. Und
das war ein Glück für sie. Da nun id t. bedeutet 'zu dieser
Tageszeit' (Tagesstunde, Nachtstunde), so palst es in den obigen
Zusammenhang viel besser und. entspriidit genau den Worten von
§ 7: id t. conari ad murum accedere. (?ic. Hose. J^)7. pro Mil. i)4.
fin. ö, l. Livius l, o(), H. Idem t., welches eine Weiterbildung
unseres Autors zu sein scheint, bezeichnet einen viel gröfseren
Zeitraum, z. B. 3, 1 idem t. Sex. Pompeius ciun [»raesidio Cordubam
tenebat, d. h. während der Bruder Cn. Ulia belagerte. 12, 3
idem t. capti tabellarii, d. h. an dem nämlichen Tage, an welchem
(S 2i zwei Flüchtlinge getötet worden waren. 13, 2. 3 eo die
— idem t.
Cap. 3, 6 heifst es (nachdem 3, 3 vorausgegangen war: sex
cohortes iubet ])roticisci, pari equites numero) iubet binos equites
conscendere. Dies kann nnm mit Annahme einer Pndepsis über-
setzen: er gab Befehl, dals je zwei Mami als Keiter aufsitzen
sollten, nämlich <ler bisherige Heiter und hinter ihm je ein Fuls-
gäuger; denn letzterer wurde <lurch das Besteigen des Pferdes
auch ein Heiter.
Da aber alte (Grammatiker (Gellius IH, ;>) überliefert haben,
£nnius habe eignes = equus gebraucht, und die Herausgeber des
£nnius dieser Angabe (ilauben schenken, so bietet sich eine
zweite Übersetzung dar; er gab Befiehl, dafs je zwei die Rosse
besteigen sollten. Doch genüge einstweilen <lie Notiz, dafs Haver-
field in Classical Review, Band U) (Juli IH91), Nr. il) Seite 3()of.,
diese Theorie bekam i)ft hat.
Cap. 3, 8 equites ibi remansere, welrhe Stelle Neue Formen-
lehre 11* 391 tür die Perfektendung -erc anführt, ist nunmehr
aus dem Apparatus criticus weggefallen und nach allen niafs-
gebenden Handschriften remanserunt in den Text gesetzt. Sollte
Arvhir für lat. Loxiko^rr. XII. Hoft S. Vi
166 Kd. Wölfflin:
man' geneigt sein, die abgeschliifeue, bei Cato und Sallust be-
sonders häufige Endung der Yulgärsprache uild also auch dem
Verfasser des B. Hisp. zuzuweisen, so mufs dagegen Einsprache
erhoben werden. Denn bei Plautus wechsehi wohl -erunt
und -ere, ohne dal's sicli ein Überwiegen des letzteren behaupten
liefse, und die romanischen Sprachen verbürgen uns sogar, dafs
die Volkssprache an -erunt festhielt, welches ich auch im
B. Hisp. an 82 Stellen gefunden habe. Dagegen verschwinden
die 3 Zeugnisse für -ere, wenn sie überhaupt gelten. Cap. 24, 1
lesen wir zwar in den meisten Handschriften convenere copiae;
doch hat der Codex Thuaneus con venire, und im Ashbumhamensis
fehlt das Wort. Bedenkt man nun, dafs bei Caes. Gall. 1, 25, 6
eircumvenere entfernt ist durch Einsetzung des Infinitivs circum-
venire, so kann der Stelle keine volle Beweiskraft zugesprochen
werden. Das zweite Beispiel, 23, 2 nostri e^ssere parumper, ver-
schwindet von selbst, weil es ein Halbvers aus Ennius ist, und
das dritte, 23, 2 complures vulneribus adfec^re, steht auf derselben
Zeile, ist also gew isser mafsen durch die Sprache des Ennius be-
einflufst. So tritt unser als Vulgiirlateiner verrufener Anonymus
durchaus für die vollen Formen ein. Und in der Peregrinatio
in terram saiictam zählte ich früher nach der Ausgabe von Oa-
murrini zwei -ere auf oO -erunt, finde aber nun in der
kritischen Ausgabe von (ieyer, dafs p. 35 i=cap. 5, 3) nobis
coep erunt ostendero geschrieben ist. Somit ist die Endung^
-ere nicht vulgär, sondern sie wurde von den Epikern nietri causa
begünstigt und fiofs durch Ennius den Historikern zu.
Cap. 5, 6. Der Kampf um die Bätisbrücke bei Corduba führte
zu einem grofsen Bhitvergiefsen: hie f alter ins non solum morti
mortem exaggerabant, sed tumulos tumulis exaequabant. Dafs in
diesen Worten eine Reminiscenz aus Ennius stecke, wurde schon
Arch. VIII 507 bemerkt, und die Stinmiung ist seither so günstig
geworden, dafs man geneigt ist, geradezu ut ait Ennius für das
sinnlose alterius zu emendieren. Vgl. Liv. 30, 26, 9 sicut Ennius
ait. Landgraf hat Arch. V 181 gezeigt, dafs die in der Verbindung
von Dativ ^Ablativ) und Akkusativ desselben Substantivs be-
stehende Figura etynu)logiea in klassischer Prosa sehr selten, bei
den Dirhtem dagegen sehr häufig ist. Vgl. B. Hisp. 31, 7: hie,
ut ait FiUnius, pes ]>ede premitur, armis tenintur arma. Wenn
nun hier auch Umstellungen niitig sind, inn zu der iirsprünglichen
Hexameterform zu gelangen, so scheinen doch alle Versuche ver-
Sprachliches zum Bellum HiBpanicnse. 167
geblich, um exaggerabant oder eiue ähnliche Form in <len Hexa-
meter zu bringen, und auch die Variante des Cod. Ashbumh.
aggerabant bessert die Lage nicht. Denn wenn auch Ennius nur
agerare schreiben konnte, so war doch die erste Silbe lang, weil
agger aus adger, altlatein. arger (Prise. 1, 45) entstanden war.
Wollte man aber den Singular exaggerat in den Vers bringen,
so wäre man um ein entsprechendes Subjekt (niiles? furor belli,
ardor pugnae?) sehr verlegen. Unter diesen Umständen mufs
man sich vorstellen, nur der zweite Teil der Phrase gehöre dem
Ennius, und mortem morti exaggerare gehöre dem Verf. des B. Hisp.
Das Citat, ut ait Ennius, ist dami etwas vorausgenommen, während
es genau genonmien zu tumulos tumulis exaequare*) gehört hätte.
Als Halbvers denke man sich etwa: exaequant tumulis tumulos.
Möglich ist freilich auch, dafs exaggerare dem Verf. des Commen-
tarius gehört, und dafs Ennius beispielsweise geschrieben hatte:
mortibu' mortes || accnmulant, wie nach ihm Lucr. 3, 71 cjiedom
caede accumulare; 6, 1237 funere funus cumulare. Sicher dagegen
wird man non solum, sed — dem Dichter absprechen.
Zu der abundantia verborum, für welche A. Köhler in
den Acta semin. Erlang. I 445 eine Ileihe von Stelleu angeführt
hat (facinus nefandum et scelus, diei solisque serenitas, fasces
imperiumque, avidi cupidique) liefert Cap. 6 § 2 noch ein gutes
Beispiel. Man liest daselbst nach Kühler: id (den Abzug Caesars
gegen Ategua) cum Pompeius ex perfugis rescisset, qua die facul-
tatem <^nactus est, relinquens montes)> et angustias earra (jomplura
multosque lanistas retraxit et ad Cordubam se reeepit. Die von
Mommsen empfohlene Ergänzung hat zwei Bedenken gegen sich:
einmal befanden sich die Truppen der beiden Pompeius teils in
teils unmittelbar vor Corduba, jedenfalls nicht in gebirgigem
Terrain, wie die Karte von Stoffel beweist; aber selbst wenn dies
der Fall gewesen wäre, konnte der Autor nicht das Präsens
relinquens gebrauchen statt reiictis montibus, da dieser nach-
lässige Tempusgebrauch in der Prosa erst mit Livius beginnt.
Endlich sieht man nicht ein, warum Pom])eius, um den Caesar zu
verfolgen, einen günstigen Tag abw^arten mufste. Ist nun mit
den ^Engpässen' nichts anzufangen, so kann man nur an die
*;• Prof. Gustav Landgraf niaelit mich auf Plautus Rud. 1087 aufmerk-
ham: aurum aoro expendetur, argentum argcuto exaequabitur. Der Verf.
de» Bell. Hisp. hat «ein eigenes exaggerare dem exaequare angepafst.
168 Ed. Wölfflin:
angnstiae rei frumeiitariae denken (b. civ. 2, 17. i\ 3><. 41), welche
ja für beide kriegführenden Parteien gleich wichtig war; vgl. 5, ••>
Caesar ut cum ab oppido conimeatuqne exclnderet. Auch wissen
wir aus Dio Cassius, dals in Ategua, wohin sich Caesar wandte,
])edeutende Getreidevorräte aufgehäuft waren. Giebt man diesen
Gedanken zu, so ist freilich facultateni et angustias eine sinnlose
Verbindung, da beide Substantiva sich widersprechen, möglich
nur difficultateiu*) et angustias, was in die facultatem steckt.
Von der difllcultas rei frumentariae spricht ja auch Caes. Ghdl. 7, 17,
und angustus wird oft mit difficilis verbunden, wie Gull. 1, t).
civ. 1, ()0. H, 41.
Das vor difiicultatein überlieferte qua fasse ich als das be-
kannte Verweisungszeichen (| mit Strich = quaere, entsprechend
dem griechischen J = tyrn. In der That kommt man ohne eine
Lücke nicht (hirch, welche der Abschreiber selbst andeutete, je-
doch nicht ausfüllte, in<leni er die am Hände oben oder unten
nachgetragenen Worte nicht fand; dem Gedanken nach ergänzen
wir nacli rescisset etwa <^novissimos insecutus a<l levandam rei
frumentariae^ difücultateui. — Die Fechtmeister (mit ihren
Banden: multos lanistas; vgl. die gladiatorum manus bei Tac. hist.
2, H4) dürft.en auf die Spiele zurückzufuhren sein, welche Caesar
im Jahre 40 in Honi gab. Falsch ist daher die Konjektur mulos
<mustos.
Nachdem wir aber nun einnuil das vermeintliche ^qua die'
zerstört haben, müssen wir noch die Konsequenzen daraus ziehen
und den {{ 8 mitersuchen: cui <le Pompeio cum nimtius esset
adlatus, eo die proficisri (so nach Vahlen, Mommsen und
Kühler). Allein .sämtliche Handschriften überliefern profici-
scitur, was auf Pom peius bezogen allein richtig ist; nur mufs man
dann auch eodem schreiben statt eo die, d. h. nach Ategua, wie
schon ein Schreiber einer jüngeren Hamlschritt gefunden hat.
Vgl. 27, i\ Caesar eodem est profectus. Und so war auch in dem
ArchetT]»us am Itande korrigiert: indessen hat sich die Korrektur
an eine falsche Stelle verirrt. Das vor Pompeio (Dativ"! über-
schüssige tle sollte eben das falsche eo die in eode (= eodem)
korrigieren. Ändert man endlich noch cui in qui, so ist der
ganze Satz in Onlnung: qui Pompeio cum nuntius esset adlatus
" ■ So schrieb schon Dinter nach Forchhammer und Koch, dachte aber
an tanc ditiicultas h^conim. wie cap. 9, 1 in tant« loci difficultate.
Sprachliches zum Bellum Hispaniense. 109
( dafs Caesar Ate^a belagere), eodem proficiscitur. Daran schlielst
dann: Cuiiis in adventum Caesar <^cum^ complura castella (oder
(*ura plura castellu, wie b. civ. 3, 52) occupasset, . . . ineidii ut etc.
Cap. 7, 1 lesen wir: Pompeius trans flumen Salsum per con-
y alles castra inter duo oppida Ategiiam et Ucubim in monte
constituit, d. h. Pompeius wagte nicht, den Ategua belagernden
Caesar anzugreifen, sondern begnügte sieb damit, gegenüber
Ategua auf den Anhöhen eine feste Stellung zu beziehen, um den
Belagerer in seinen Arbeiten zu stören. Da an 9 Stellen des
Bell. Afr. und Hisp. convallis gebraucht ist, vallis nirgends, so er-
giebt sich, dafs das Compositum an die Stelle des Simplex ge-
treten ist. Nun ist aber die Ortsbezeichnung jier convalles auf
das Hauptverbum bezogen unvereinbar mit in monte, und dafs
das letztere richtig ist, bestätigt sowohl die defensive Haltung
des Pompeius als auch die Wiederholung des redseligen Autors
in Paragraph 3: e regione oppidi in montibus castra habuit po-
sita. Um nun nicht zu convalles ein willkürliches profectus er-
gänzen zu müssen, bleibt nichts anderes übrig, als super conv.
zu ändern, dessen erste Silbe in der zweiten von Salsum (Salsü)
unterging. Man vergleiche etwa Livius 33, 15, 8 suj)er flumen
instruit aciem. Noch lieber hätte ich freilich super conv allem,
«la nach Stoffels Karte nur von dem Salsusthale die Rede sein
kann. VieUeicht ist die Verbindung super {con)vallem nur mit
dieser Stelle zu belegen.
Cap. 8, 2 lesen wir: ulterioris Hispaniae regio propter terrae
fecunditatem inopem difficilemque habet oppugnationem et non
minus copiosam aquationem. Hier m'ufs man doch wohl Nipper-
dey zugeben, dafs die Leichtigkeit der Verproviantierung und der
Wasserreichtum zusammengehören sei es, dafs man das zweite
(Jlied hinter fecunditatem einsetzt, sei es dafs mau unter Annahme
einer grofseu Härte des Ausdruckes die Wortstellung unangetastet
läfst und das zweite nachhinkende ülied von propter al)liängen
läfst. Die inops oppugnatio ist freilich kaum lateinisch; longam
würde nicht nur dem Sinne entsprechen, sondern durch b. civ. 2, 1
longam et difficilem habet oppugnationem zu stützen sein; nur
bleibt die Korruptel eines so gewöhnlichen Wortes rein unerklär-
lich, und auch impeditam oder im[)ortunam oder operosam sind
nicht überzeugend. Immerhin dürfte durch ^diese Konjekturen
wenigstens der Sinn getroffen sein. Hätten wir neben exspes ein
im Akkusativ verwendbares inspes, so würde der Begriff ^aus-
170 Ed. Wölfflin:
sichislos' gut entsprechen; da aber eine solche Form fehlt , so
könnte ein Stilist als Äquivalent nur sine spe einsetzen, und ich
halte es darum für wahrscheinlich, dafs der Verf. so geschrieben
habe. Vgl. civ. 2, 31 sine spe castra oppugnare.
Ein lästiger Pleonasmus steckt in Cap. 8, 4: oppidorum magna
pars montibus fere munita et natura excellentibus locis est con-
stituta, ut simul aditus ascensusque habeat dif&ciles. Denn an-
genommen, unter loca excellentia seien ^ Hügel' zu verstehen, so
könnte doch von diesen kaum etwas anderes ausgesagt werden
als von den Bergen. Dem Belagerten müssen aber zwei ver-
schiedene Vorteile zu gute kommen, wie der Angreifer mit zwei
durcli simul — q«e scharf getrennten Schwierigkeiten zu kämpfen
hat. Oft'enbar bezieht sich der aditus = accessus auf den berg-
aufgehenden Marsch des Belageres, wie ascensus auf das Stürmen
der Mauer, beziehungsweise des durch Graben und Pallisadenwerk
verstärkten Walles. Mumm ascendere heifst es im B. Hisp. 13, 4,
und Gall. 2, ;^3 sagt Caesar: qua minime arduus ad nostras muni-
tiones ascensus videbatur, eruptionem fecerunt, worauf die An-
gegriifenen ex vallo turribusque Geschosse werfen. Wenn nun
der aditus der bergigen Lage der Stadt entspricht, so muls sich
der ascensus auf die künstliche Befestigimg (im Gegensatze zu
natura loci) beziehen. Diesen Gedanken erreichen wir durch
moenibus, munitionibus oder manibus. Das letztere lassen wir
fallen, weil es eher manu heilsen niülste (G. 3, 23 oppidum et
natura loci et manu mimitum; ebenso G. ö, 57). Für den zweiten
Vorschlag spricht Hisp. 28, ■]: et natura loci defendebatur et
ipsius oppidi niunitione. Lr hat den Vorzug, dafs munitio so-
wohl Wall und Graben als auch eine Mauer mit Türmen, resp.
beides bezeichnen kann. Diese Änderung pafst auch vortrefflich
in den Zusammenhang: denn § 3 wurde von den Bauernhöfen
gesagt Hurribiis et munitionibus retinentur', und da der Vf. fort-
fährt mit ^iteni oppidorum magna pars', so mul's von .den Städten
das Gleiche ausgesagt werden. Vgl. Gall. (i, 37 reliquos aditus
locus ipse munitioque defendit. — Moenia bedeutet Hisp. 3(), 2
die Mauern der Gebäude.
Cap. 9, 1 versucht Ponipeius ein KasteU zu stürmen, weil er
sich einbildet, Caesar werde es nicht wagen, bei Nacht aus seinem
weit entfernten Lage zu Hilfe zu kommen, und da diese Er-
wägungen in einem verwickelten Vordersatze auseinandergesetzt
sind, so knüpft der Verf. den Xachsatz an: ita (unter diesen
Sprachliches zum Bellum HispanieuBe. 171
Umständen) fretus opinione castellum oppugnare coepit. Hier ist
die Konjektnr illa abzuweisen, weil hac zu erwarten wäre, wie
28, 3 ita hac opinione fretus. Vergleiche mit ähnlichem Vorder-
sätze 36, 2 quod Caesar cum animadverteret ... ita consilio habito
noctu patitur Lusitanos eruptionem facere. Somit ist gerade ita
notwendig; hac kann man auf Grund der Parallelstelle einsetzen
oder auch sua blofs in Gedanken ergänzen. — Dies erinnert an
Cap. 16, 3 virtute freti, worin wir vielleicht einen Anklang an
Ennius erblicken dürfen. Denn die seltene Verbindung begegnet
uns bei Ennius ann. 526 freti virtute quiescunt; an gleicher Vers
stelle bei Lucr. 5, 966 et manuum mira freti virtute pedumque.
Ebenso bei Plaut. Amph. 212. Pseud. 581. Dafs der Prosaiker die
Wortstellung umdrehte, um den hexametrischen Tonfall zu ver-
wischen, ist durchaus natürlich. Vergl. Curtius 5, 25, 10 vestra
virtute fretus obviam issem hosti.
Cap, 9, 3 heifst es von den Angreifern: telorum multitudine
iactus facere coeperunt. Quo peracto cum ex castello repugnare
coepissent etc. Dieser Ablativus absolutus ist weder aus dem
Bell. Hisp. oder Afr. noch aus Hirtius oder Caesar bekannt; der
Gedanke ist auch durchaus schief, da mit dem Eröffnen des
Kampfes vom Kastelle aus die Angreifer nicht aufhörten Ge-
schosse zu schleudern. Es kann nur heifsen 'quo facto' im
Sinne von 'hierauf. Der Abschreiber scheint ein unciales F mit
genmdeteni Oberstriche, dessen Zunge auf der Zeile safs (T), als
Minuskel -p mit durchbohrtem Fufse (=perj angesehen zu haben.
Cap. 9, 3 complures ca-pti, in quibus duo ceniuriones, Dafs hier
das Substantiv aus Konjektur ergänzt werden mufste, deutet auf
eine mit f; = centum in Verbindung stehende Abkürzung, viel-
leicht ein umgedrehtes C mit Strich darüber (3), hin. Vergl.
i.'auer, Ephem. epigr. IV 355 sqq.
München. Eduard Wölfflin.
Paricida.
Lber die bisher vorgebrachten Etymologien dieses Wortes belehrt
ims am besten Brunnen meist er in seinem Buche: Das Tütungsver-
brechen im altrömischen Rechte 1887. Die Bildimgen matrieida und
fratricida verleiten uns natürlich, paricida als patrieida zu erklären
imd darunter einen Vatermörder /u verstehen; da aber das Wort
thatsUchlich auch den Brudemn'Jrder, den Schwestermörder, den Hoch-
172 Kd. Wölfflin: Paricida.
Verräter bezeichnet, so hat man das Unglaubliche angenommen, pater
stehe für pater patriae oder für patria selbst. Doch trotz aller sema-
siologischen Konzessionen wäre die Erklärung nicht mit der Laut-
lehre in Einklang zu bringen, da der t-Laut vor r st^^ erhalten
bleibt, wie noch im italienischen padre. Eine Assimilation parricida
ist also ohne Beispiel, wenn man ja auch zugeben könnte, dafs in
der Orthographie des Ennius der Doppelkonsonant noch nicht möglich
w^ar und ein einfaches r an dessen Stelle treten mufste. Endlich
aber bliebe die Frage ungelöst, warum paricidium bei Plaut. Rud.
651, Pseud. 362 lange Ant'angssilbe hat. Diese Bedenken lassen auch
die Erklärung ^Mörder eines vir patricius ( = patricicida) oder eines
civis Romanus' im Gegensatze zu dem Mörder eines Sklaven nicht
aufkommen.
Man hat deshalb in der ersten Silbe das Adjektiv par suchen
wollen, so schon Prise, inst. 1, 33; der par wäre dann ein römischer
Bürger, (juia omnes cives pan iure sunt. Leider hat auch dieses
Woi-t ein kurzes a.
So ist Prof. L. Luiiak an der Universität Odessa in einer 1900
gedruckten Schrift auf den Gedanken gekommen, die «»rste Silbe berge
in sich das Verbum parare. Der semasiologische Teil seiner Beweis-
führung kann auch befriedigen. Der paricida soll derjenige sein ^qui
pai'at caedem', d. h. derjenige, welcher «len Mord plant, im Gegen-
satze zu dem Totschläger Avider Willen, eine Unterscheidung, welche
auch in dem modernen Rechte gemacht wird und wesentlich ist.
Paulus bei F^estus schreibt ja: si (pii hominem liberum dolo
sciens morti duit, paricidas esto. Das Gegenteil linden wir l>ei
Servius zu Verg. ed. 4, 13: in Numae legibus cautuni est, ut si quis
imprudens occidisset hominem, . . . offerret arietem. Der AuvSdruck
parare caedem ist auch gut lateinisch, belegt beispielsweise bei Sallust
Cat. 52, 36, wo es von den V^crschwörern heifst: convicti caedem se
in cives patriamque paravisse. Das kurze a in parare sucht Lunak
durch eine spitze Erklänmg unschädlich zu machen: ursprünglich
habe das Wort gelautet paricida; «lurcb die Aufnahme der griechischen
Tragödie seien die itaxQOY.xovoi in Rom bekannt geworden, und beide
Fomieu seien zusammengeflossen in ein paricida.
Das Bedenklichste aber bleibt die W^)rtbildung; denn Composita
von Yerbum trausitivum und Nomen, wie pecus repandirostrum oder
A^enus verticordia sind sehr selten, während ])aricida ein allgemein
bekanntes imd allgemein gebrauchtes Wort. war. Was der gelehrte
Lucilius vielleicht nach griechischem Muster einmal bildete, ist noch
lange kein Sprachgesetz. Di(» lateinische Sprache würde die umge-
kehrte Stellung verlangen, also etwa caedipara, wie agricola; und
auch w^enn man die Umstellung zugeben wollte, wäre eher paracida
(paracidus) zu erwarten. Hier sehen wir also ein imübersteigliches
Hindernis. — Nach Schrader, Reallex. d. indogerm. Alt.-K. 1901 S. 227
>>edeutet par. so viel als ^Sippenmörder'.
München. Ed. Wölfflin.
Zu Caelius Aurelianus.
Das gröfsere der beiden Hauptwerke des Caelius Aureliauus,
die Chronia, wurde 1529 in Basel von Johann Sichard zum ersten-
mal nach einer seither verloren gef^angenen Lorscher Handschrift
herausgegeben. Sichards Text ging in die Sammlung der Medici
antiqui von Aldus 1 1547) über und wurde in der 1567 zu Leyden
erschienenen Gesamtausgabe Aurelians wiederholt. Diese Leydener
Ausgabe hat zwar zahlreiche Fehler des Textes verbessert, aber
auch an vielen Stellen die richtige Überlieferung der Editio
princeps willkürlich oder aus Nachlässigkeit, vor allem aber, weil
der Gelehrte, der sie besorgte, mit dem Sprachgebrauch der spä-
teren Latinität nicht genug bekannt war, abgeändert oder auf-
gegeben. Die Ammansche Ausgabe (Amsterdam 1722), die neueste,
die wir besitzen, ist vollständig von ilirer Vorgängerin, der Leydener
Ausgabe, abhängig. Sie bietet also einen vielfach getrübten Text.
Unter diesen Umständen sind wir, solange es nicht gelingt, eine
Handschrift aufzufinden, auf die erste Ausgabe angewiesen und
müssen bei der Feststellung des Textes auf sie als die einzige
Quelle . unserer ITberliefenmg zurückgehen. Bei meiner Mitarbeit
an der Sammlimg des Materials zu dem Thesaurus linguae Latinae
habe ich nun die Wahrnehmung gemacht, <Iafs die Editio princeps
an vielen Stellen, darunter auch an solchen, die vielleicht für den
neuen Thesaurus in Betracht kommen können, einen reineren und
zuverlässigeren Text bietet als die Ammansche Ausgabe, dies ge-
wöhnlich benützt und citiert wird.
Dies im einzelnen nachzuweisen ist der Zweck der folgenden
Zeilen.
2, 4, 83 quapropter sicut alias quoque partes in tumore con-
stitutas non detractione, sed mitigatione curamus, sie etiam dentes
c urandos accipimus. Statt curandos bietet die Ed. pr. das Com-
positum concurandos. Dasselbe wird bei Forcellini und Georges
nur mit einer Stelle aus Plautus (Bacch. 131) belegt. Aurelian
174 <»• Helmreich:
dagegen hat es 3 mal: 2^3^ 70 qiiibus etiaiu aurium vicina sunt
iiiaxime concuranda; hier hat auch Amman, resp. seine Vorlage,
die Leydener Ausgabe, die überlieferte Lesart imangetastet ge-
lassen; dagegen hat er 2, 12, 148 recens incisura sive Tulnus . . .
ex mediciiminum regula, quam Graeci pharmacian appellant, diae-
teticAe parti ingesta (= coniuncta) upte curatur, quibus etiam
supni dicta passio curutur (Ed. pr. concuratur), wie 2,4,83 das
von der Ed. pr. bezeugte concuratur mit dem Simplex Tertauscht,
ohne zu bedenken, dafs der Schriftsteller aus stilistischen Grtoden
au beiden Stellen (2, 4, 83 und 2, 12, 148) zuerst das einfache,
dann der Abwechselung halber das zusammengesetzte Verbum
gebraucht.
Aurelian scheint überhaupt eine gewisse Vorliebe für die
(.'omposita mit con, die auch sonst oft nur eine Verstärkung des
Begriffes ausdrücken, gehabt zu haben. Ich möchte dies daraus
schliefsen, dafs er neben concurare noch mehrere sonst nicht oder
nur selten vorkommende Composita mit con hat, wie conflammare
4, 7,98, concrassare 4,3, 62, convariare 1, 1, 7, compeccare 3, 1, 12
und acut. 2, 12, 84.
In dem Text der Ammanschen Ausgabe freilich haben sieh
solrhe seltene Wörter nicht immer erhalten. So steht 4, 3, 43
tum cum linipidft ulcera senserimus, erunt cohibenda (= prohi-
})enda) ea, quae vehementius siccare valeant. Die Ei pr. hat
eonsiccare. Dieses Compositum ist ebensowenig zu beanstanden
als concrassare (4, 3, 62), conterebrare (2, 3, 65), consolvere
(4, 3, 39. 4, 7, 95. f), 1, 10) oder condurare bei Lucretius.
Nocli an einer dritten Stelle ist in unserem Text ein seltenes
('umpositum mit Unrecht vom Simplex verdrängt worden, nämlich
2, o, 90. Hier liest Amman: ab apoplecticis haec discemitur
]iiissio (= die catalepsis), quod in ipsis parvus atque creber pulsus
iiivcniatur et non, ut in cataleptieis, maior atque percussibilis et
necjue incunduni sive tetruni odorem accipiant neque didcia et
amimi sapiant, während die Ed. pr. das Compositimi consapiant
fibcrliefert hat. Es werden hier die cataleptici von den apoplecti
unterschieden. Während von den ersteren weiter oben (§ 88) ge-
sagt war: dulcia atque amara ori admota, labiis vel linguae illita
sentinnt, heifst es von den letzteren hier: Sie riechen weder An-
genehmes noch Lnangenehnies und schmecken weder Süfses noch
Bitteres. Es stecht also ohne Zweifel das Compositum in dem
Sinne des Simplex. Ks aber aus dem Texte zu entfernen, liegt
Zu Caelius AurelianuH. X75
kein genügender Grund vor; denn die nicht umgelautete Form
eonsapio statt consipio bat ihre Analogie an eoncado und praecado
bei Aurelian, von denen das eine acut. 2, 10, 77 und das andere
chron. 5^ 4, 61 sich findet. Auch in die romanischen Sprachen
scheint consapere übergegangen zu sein; wenigstens findet sich
im Italienischen consapevole, consapevolezza und consaputo^ wenn
auch nur in übertragener Bedeutung.
Während an den genannten Stellen die Herausgeber das
seltene Compositum aus dem Texte entfernten, weil es ihnen an-
stöfsig erschien, läfst sich für 2, 4, 85 ein solcher Grund nicht
annehmen. Hier hat die Ed. pr.: item eruca cum aceto apponenda;
seil haec simt primo concoquenda iugi motu versata. Da von
zwei Substanzen, die mit einander gekocht werden sollen, die
Rede ist, von eruca und acetum, ist das Compositum vollständig
am Platz, und nur durch die Unachtsamkeit des Leydener Heraus-
gebers, dem Amman, wie immer, blindlings gefolgt ist, ist coquenda
dafür in den Text gekommen.
Mangel an gründlicher Bekanntschaft mit dem Sprachgebrauch
des Autors und seiner Zeit hat auch 3, 2, 33 zur Vernachlässigung
iler iTberlieferung geführt. Hier bezeugt die Ed. pr.: si plurimum
edax fuerit humor nee tarnen itji superfluus, ut ex sua sponte
per vomituni excludi videatur. iVmman läfst ex weg, weil ihm
wie seinem Vorgänger die Ausdrucksweise nicht geläufig war.
Sie ist aber für Aurelian doppelt bezeugt; denn sie findet sich
in der Ed. pr. auch acut. 1, 11, S9: at si virium solutio non
fuerit, sed ex sponte jirofectus in meliorem partem passionis
fuerit «lemoustratus. Allerdings ist auch hier das seltenere ex
sponte (hirch das üblichere sponte in unserem Texte verdrängt
worden.
Das Femininum ])jiscua die Weide, das Futter steht 4, 3, 55
zweimal rasch hintereinander: siquidem caprae e salsiore pascua
öitienti"« plurimum atque coadcervatim bibant et multum lac, sed
uquatuni faciant . . . Quapropter magis ex capra, quae lentisci
pascua vel murtae aut mbi aut vitis foliis . . . fuerit nutrita,
erit lac acripiendum. An <ler ersten Stelle ist es bei Amman
durch ein Versehen in puscua korruni])iert und am Kand als
Korrektur oder Variante pascuo angegeben. Die Ed. pr. bietet
beide Male die richtige Lesart.
Aurelian geluirte wie sein Gewährsmann und Meister Soranus,
dessen Schriften er ü])ersetzt, bekanntlich zu den Methodikei'n.
176 G. Helmreich:
In deren Lehrsysteni spielen die sogenannten Kommunitäten
ixoivötrftsg) eine grofse Rolle. Daher kommt der Terminus
xoivötr^g bei Aurelian häufig vor^ in der Anmianschen AuBd^W
meist in der griechischen, in der Ed. |>r. in der lateinischen Fonn
<*oenote8. Daneben begegnet auch noch die Form coenoteta, ae,
ähnlich wie sich neben haemorrhois und haemorrhoides die Formen
haemorrhoida und haenioiThoidae finden i3, H, 81. 5, 4, 71. 5, 1, 2).
Diese bei den lateinischen Medizinern häufig vorkommende An-
gleichung griechischer Kunstausdrilcke an das lateinische Idiom
war Amman nicht l)ekannt. Daher hat er ;i, 4, 07 die llber-
lieferung der Ed. pr.: quo iit, ut sit iuxta regulam methodicam
explosum, ut qui intentione coenotetaruni ducitur, corporis
(l. Corpora oder corporis partes) tacilene aut difficile sentiant
curet, sicut latius de coenotetis scribentos docebimus und
2, 12^ 147 solutionis coenotetani i])sam nuigis cogimur iudieare
geändert in xoLvonJTiov, xotvon^öi xuul xoivorrftcc, während er
2, 14, 202 subiacentibus pas.sioiii tenij)oralibus coenotetis, i\ 1, 12
erit enim coenoteta consideranda, acut. i\, 16, 130 urgent iore
cogente coenoteta die rberlieferung unbeanstandet liefs. Vergl.
noch 2, 12, 14r> ue cui i-oenoteti (Ed. pr. coenotetesi, Amm. xot-
vorr^tt) sanguinis tiuor adscribatur. ihid, coeueton lAmni. xoivo-
Ttßiüv) nuitare virtutem. ////V/. ut etiam interiorum eruptio huic
coenoteti (Amm. xotvoriftt) subiciatur. 2, 12, 14(5 in adiutoriis
adhibendis chirurgiae coenoteta lAmni. xoii/od/TC) scribere.
Einer ähnlichen kritiklosen Willkür Ammans begt?gnen wir
4, i\, 09 bei dem Wort attagen. Dafür kommt wiederholt auch
die Form attagena vor, und sie ist 1. l. durch die Ed. pr. bezeugt,
welche liest: dandi turdi atcjuc puUi gallinacvi vel columbarum
atque volantum quaecpie sicci(u*a, ut pimsiani pcctora vel perdicis
aut attagenae agrcstis. Amman glaubte dies in attagenis ver-
])essern zu müssen, obwohl er die Form attagena 2, 13, 10(> ut
sunt pectora turdonnn vel pullonun . . . aut phasiauorum aut
jittagenarum, 2, 13, ISO in volantibus [»erdices, phasiaui, attagenae,
3, 2, 35 ut [»asserum pectora vel perdicum aut attagenanim nicht
beanstandete. Die IMuralform jittag<»nes kommt nur einnuil, acut.
2, 37, 201), vor.
Die eben erschienene erstt» Liefrrung des 2. Kandes des
Thesaurus führt unter apertio die Nebenform aperitio aus Aurelian
3, 8, 1 1 1 auf; dieselbe verdankt lediglich der Nachlässigkeit Ammans
ihre Entstehung; die Ed. ])r. hat richtig: in apertionibus.
Zu Caelius Aurelianus. 177
D»i8 Adjektiv suculentus begegnet mehrfach bei Aurelian,
so 2, 12, 1.^7: Erasistratus facile curabiles suculentos homiues
(lixit, 13>^ Asclepiadea difficile curabileB inquit suculentos atque
carnosos, acut. 8, 3, 1(5 decoctione fici suculenti. Wenn wir aber
bei Amman 1, 4, 88 lesen: post aequatum corpus accipiat sucuni
parvuni »uculentum nioUeni leneni caliduni digestibileni , so ist
eine solche Tautologie wie sucus sucidentus selbst bei einem
Stilisten wie Aurelian sehr befremdend. Er hat aber gar nicht
so gesehrieben, sondern luculentum, wie die Ed. pr. bestätigt,
und dies scheint für eine exquisite Krankensup])e kein übler
Ausdruck.
Das Femininum catula belegen die Lexika mit 2 Stellen,
einer aus Properz und einer aus Aurelius Victor. Hierzu käme
auch eine Stelle aus Aurelian, 1, 4, 13^-^ agninae camis sive hae-
dinae atque porcinae et catularum, wenn man Amman trauen
dürfte. Al>er schlägt man die Ed. j>r. nach, so stellt sich heraus,
dafs hier, wie im folgenden Paragraphen, wo auf unsere Stelle
Bezug genommen wird(neque catulorum camibus), das Masculimmi
catulonim überliefert ist.
Das Adjektiv recorporativus kommt, da in der Lehre der
Methodiker die reeorporatio, die fistaövyxQLöi^^ von grofser Be-
deutung ist, ]>ei Aurelian sehr häußg vor. An einer Stelle wäre
das Neutrum plur. substantivisch gebraucht, wenn Ammans Text
korrekt wäre, l, 4, IHö liest man nämlich: et usui recorporati-
vorum obsistnnt. Aber es ist adiutoriorum ausgefallen, das die
Ed. pr. Viezeugt, cf. ö, 4, 7(> tum ad recori)orativa at<|ue vehementia
redeundura adiutoria, ;5, 1, 12 in impetu vel asperitate passionis
recorporativa adiutoria prohibenda, 1, (I, 183 localia adiutoria atque
mitigativa sive corporativa [l. recorporativa).
Zur Beruhigung der (leisteskranken verordneten manche Arzte
auch das tlötenspiel, wie wir aus 1, 5, 175 utuntur etiam can-
tionibus tibiarum varia moduUitione (nämlich die phrygische
lind dorische Tonart) ersehen. Statt cantionibus steht aber in
der Ed. pr. decantionibus, sodals vielleicht decantationibus zu
lesen ist. Freilich scheint dies(»s Wort in der Bedeutung ,,Spiel"
sonstnicht vorzukommen. Doch vgl. Aur. Vict. de vir. ill. 34, 1
Appius Claudius e]mlandi decantandique ins ti>)icinibus in publico
ademit.
Von der gh^ichen chirurgischen Manipulation wird 2, 1, 11
u. 12 zuerst der Ausdruck circumincisio (nisi ex aliqua hoc
178 ^. Hclmreich:
fuerit circumincisione confectum), dann circumcisio (neque in-
cisura neque circunicisione antecedentei gebraucht. Da dadurch
der griechische Kunstausdruck TctQitoiiijy der Zirkelschnitt, wieder-
gegeben wird, ist dieser Wechsel auffallend. Er verdankt aber
auch nur der Flüchtigkeit des letzten Herausgebers seinen Ur-
spriuig; denn die Ed. j>r. hat an beiden Stellen circumincisio.
Die Namensfonn aeantha für einen stachlichten Baum in
Ägypten, gewöhnlich acanthus genannt, scheint sonst im Latei-
nischen nicht vorzukommen, während im Griechischen beide
Formen axavd-a und äxavd-og gebräuchlich sind. Aurelian hat sie
an 2 Stellen: acut. 2, 37, 197 aeantha Aegyptia, quam nos latine
spinam Aegyptiam dieere poterimus, und chron. 2, 13, 1(>5 vel
Aegyptia spina. quam acantham vocant. So überliefert nämlich
die Ed. pr., während Amman acaciam dafür eingesetzt hat. Man
hätte doch von einem Herausgeber erwarten sollen, daCs er
sich bei der Behandlung der einen Stelle an die andere er-
innert hätte.
2, 14, 2()4 liest man bei Amman sordis mi^^itudo . . . si
fuerit putrosa und einige Zeilen weiter unten iöi nächsten Para-
graphen: at si plurimum putruosum apparuerit ulcus. EJd. pr.
hat an beiden Stellen die gleiche Wortfomi putruosus.
4, l, 9 praeterea })otan<los probant aegrotantes suco nepetae.
Ed. pr. überliefert richtig praepotandos; cf. 1, 1, 20 erit aqua
praepotandus aegrotans, f), 10, 118 praepotandi simt aegri de-
eoctione fici.
Vulgäre Wortfornien, wie sie besonders bei technischen
Schriftstellern der späteren Zeit häufig sind, haben bei den ersten
Herausgebern nicht die Beachtung gefunden, die wir ihnen jetzt
schenken; sie sahen in ihnen Schreibfehler, die sie beseitigen zu
müssen glaubten. Würde uns ein glücklicher Zufall eine Hand-
schrift zu Aurelian })08cheren, würden sich in ihr gewifs zahl-
reiche Vulgiirisinen vorfinden. Denn Sichard hat, wie es auch
andere Herausgeber seiner Zeit, z. B. (yornarius im Marcellus
l*]nipiricus, machten, sicherlich an vielen Stellen für die vulgare
die klassische VVortfonn gesetzt. Dennoch haben sich bei ihm
noch manche Sj)uren solcher Wortformen erhalten, die erst die
späteren Herausgeber, wie Amman, ganz aus dem Texte verdrängten.
So überliefert die Ed. pr. die Form lasar: 2, l, 37 hisare (aW.),
((uod Graeci 6:rov xi'(»^r«rx()r vocant, 3^^ ipsam quoque linguam
lasare fricantes ex aqua soluto, 39 dantes etiam lasar cum aceto,
Zu Caelius Aurelianus. 179
2, 7, 107 dandum etiam lasar, während 108, 124 auch in der
Ed. pr. laser steht.
Die „Filzklette" heilst bei Plinius und Coluiuella personata,
bei MarceUus Empiricns wiederholt personacea; bei Aurelian ist
2, 4, 72 in der Ed. pr. personatia überliefert, an dessen Stelle
Amman die übliche Form personata gesetzt hat.
Für die Stelle des menschlichen Körpers zwischen den beiden
Schultern, die die Griechen mit nBzdfpQhvov bezeichnen, hat das
Lateinische kein Wort; man mufste sich also mit der Umschrei*
bang inter scapulas oder palas behelfen. Später entwickelte sich
in Anlehnung an das griechische Wort ein lateinisches Substantiv
interscapulum, das wiederholt bei Aurelian vorkommt, wie H, 1, 10
Cucurbitae reeorporativae adhibendae thoraci atque interscapulo,
3, 2, 29 sive pectori et interscapulo. Dieses Wort scheint auch
in einer Korruptel zu stecken, welche die Ed. pr. bewahrt hat.
1, 4, 90 überliefert sie nämlich: ut nunc stomachus, nunc vesica,
nunc interscapulam relevetur. Amman macht daraus intersca]mlae
releventnr, während sowohl die Verschreibung interscapulam als
der Singolar des Verbums auf interscapulum hinweisen.
Cyclaminum ist der gewöhnliche Name einer Pflanze, die
mit unserem Alpenveilchen oder Saubrot identisch zu sein scheint.
Eine vulgäre Form dafür ist cyclamen, das sich häufig bei Mar-
ceUus findet. Auch bei Aurelian ist es in der Ed. pr. an 3 Stellen
erhalten: 1, 1, 38 betae nigrae vel cyclaminis herbae suco (gegen
Kopfweh), 2, 1, 37 probamus denique betae nigrae vel cyclaminis
herbae sucum . . . naribus infundenduni, 3, 2, 42 infundendus . . .
naribus sucus cyclaminis. Amman hat dafür die übliche F(»nii
gesetzt.
Auch durch willkürliche Zusätze haben die Herausgeber den
Text des Aurelian vielfach alteriert. Dies im einzelnen nachzu-
weisen ist hier nicht der Ort. Hier sollen nur zwei Stellen be-
handelt werden, welclie für den Lexikographen von Interesse sind.
1, 4, 102 schreibt Amman: praecavens luci (1. lucis) auctoritateni,
quam niox discusso somno intueri minime potest, ne repentino
eins occursu percutiatur visus. Die Ed. pr. kennt die Worte»
eins occursu nicht. Der Zusatz ist auch ganz unnötig, denn
repentino ist das nicht selten vorkommende Adverbium. Indem
Amman dies verkannte, crlaulite er ein Substantiv einschalten zu
müssen.
Ebenso hat er zwei Substantiva ergänzt 1, 1, 7 secunduni
180 G. Helmreich:
qnod nunc diurnas nunc intercapedinatas exacerbationes inter-
positis diebus uno vel duobus sicut quos typicos aut periodicoa
circuitus appellamus ant hemitritaicos pro responsione temporuni
habuerint variantes. Die Ed. pr. hat weder exacerbationes noch
circuitns. Dals ein oder zwei Substantiva ausgefallen «ind, ist
nicht zu bestreiten, weil sich die vorkommendeu Adjeetiva auf
Substantiva beziehen müssen: so, wie die Stelle überliefert ist,
giebt sie keinen Sinn. Aber exacerbationes ist gewifs falsch und
circnitus zweifelhaft. Denn exacerbationes, das sich nach Ausweis
der Lexika nur })ei Salvianus, Pseudocyprian und Rafinus iindet,
kommt bei Anrelian .niemals vor: es pafst überdies nicht in den
Zusammenhang, denn hier ist vom Kopfweh und seinen yer-
schiedenen Begleiterscheinungen die Rede. Weit wahrscheinlicher
also ist es, dafs zu (b'urnas und intercapedinatas der allgemeine
Ausdruck accessiones oder der spezielle febres zu ergänzen ist.
Ganz überflüssig erscheint 1,4, 80 die Ergänzung von cibum.
Hier bietet die Ed. pr.: quae si n(m fuerint, perfecte digestum
iudicabimus; Amman schreibt digestum cibum. Aber digestus ist
vom Kranken gesagt (es geht si nauseantem vel ructanteni fu-
mosas exhalati(mes aegrum viderimus voraus) imd steht im
aktiven Sinn = „einer, der verdaut hat*^. Das (Gegenteil ist
iudigestus. Beide Adjektiva kommen l>ei Anrelian vor; cf. 3, t>, 85
discere, utrum se levem ac digestum sentiat, 5, 2, 48 siquidem . . .
indigestos esse non sinat, acut, i), Xj 87 denique etiam sanos iu-
digestos atque inutiles et implititos facit und M[ircell. Emp. 1(), 3.
20, 144. 22, 17. 1, KM). 28, :34. 35. 54.
Auch die Ergänzung von animi 1, 4, 80 iu den Wollten erifc
statim adhibenda phlebotomia, moderata detractione, ex brachio
scilicet, sed cum praecuutione animi defectus, quem Graeiü Jiaixo-
^v^tav vocant, halte ich nicht für nötig, da Anrelian defectus
absolut im Sinne von Ohnmacht gebraucht; cf. acut. 2, 10, 76
item a ieiunitate vel abstinentiae defectu, offenbar identisch mit
dem Ausdruck im vorigen Paragraphen: item animi defectio per
nimiam ieiunitatem.
Eine genauere Beobac'htung des Sprachgebrauchs hätte über-
haupt die Herausgeber v(u* mancher unbesonnenen Änderung des
Textes bewahrt. Einige Beispiele mögen dies beweisen.
„Klystieren" heilst bei Aun^lian inicere; es wird also nicht
IjIoI's mit sachlichen (ilegenständen verbunden, sondern auch von
JVrsoneu gesagt. Daher hätte 1, 1, 13 die Lesart der Ed. pr.
Zu Caelius Aurelianut«. 181
tunc calidae et oleo rutae admixto melle erit iniciendus B^grotaxia
nicht in erit iniciendus clyster abgeändert werden sollen; es ist
nur das dnrch Dittographie entst^indene calidae in calida zu ver-
wandeln, und die Stelle ist in Ordnung. Vgl. 4, 3, 35 ])erseverante
incendio etiani calida et oleo et lacte sunt iniciendi, 1, 4, 89 tuni
si venter non fecerit suuin ofßciuui . . . erit iniciendus calidae
(L calida) et oleo per clysterem. Dafs hier iniciendus nicht etwa
auf venter zu beziehen ist, sondern dafs der Kranke, aegrotaiis,
als Subjekt vorschwebt, beweisen die zahlreichen vorausgehenden
Konjunktive der Aufforderung ora foveat — accipiat sucum parvum
— cibiini sumat. Dasselbe Verbuni scheint auch vorzuliegen
in der oflenbar korrupten Stelle 2, 1, 55 eos vero qui privati
sensibuH peiore strictura vexantur abstinendos primo, tum ini-
tiandos probat. Initiandos ist unverständlich. Amman vermutet
phlebotomandos cnler inaniendos; beides ohne äulsere Wahrschein-
lichkeit. Es ist vielmehr mit einer ganz leichten Änderung ini-
ciendoH zu lesen. Initiandos ist wohl nur ein Mifsverständuis
Sichards; der ( -odex wird wie die Ed. pr. 4, 3, 35 die Schreibimg
initiendos gehabt haben. Daraus hat dann der erste Herausgeber
verkehrterweise initiandos gemacht.
Nichts ist bei Aurelian häufiger als die Verwendung der
Präposition ex im Sinne eines instrumentalen Ablativs; vgl. 1, 1,50
si dolores mitigati non fuerint ex calidis rebus, 1,4,79 erunt . . .
aliae nutrices exhibendae, ex quanim sano lacte infans nutriatur,
3, 1, V2 ventrem ])urganduni (Ed. pr. richtiger depurgandum) cre-
didit ex diagridio, 2, 1, 38 lasare ... ex aqua soluto, dagegen
5, H^ 124 laser aqua solutum vel aceto. 4, 8, 117 ex bis enim et
animalia interficiimtur ... et ulcera cicatricantur. Deshalb hätte
die Überlieferung der Ed. pr. 2, 7, 109 ex quibus erit caput fo-
vehdimi, 4, 3, 58 timc ex ipsa ferula circumlato ductu movebimus
ci>queBtes, 4, H, 121 cataplasma ex poUine lu])ini consperso ex
decoctione absinthii lucht durch Weglassung der Präposition ent-
stellt werden sollen.
Der Gebrauch von quoniam im Sinne des griechischen on
ist zwar nicht so häufig wie der von quod oder quia, aber doch
nicht so selten, dafs er einem Herausgeber entgehen konnte. Auf
keinen Fall durfte die Überlieferung angetastet werden, wie
2, 12, 145 von Amman geschehen ist. Hier hat die Ed. pr.: Sed
hiB respondemus, quoniam passio non chirurgia, sed diaetetica
traditur curatione. Amman vertauscht quoniam mit dem üblicheren
Arvhiv für lat. Lcxikogr. XII. Heft 2. \^
182 G. Helmreich:
quod^ mit Unrecht, wie unter anderen folgende Stellen beweisen:
3, 8, 100 non advertit, quoniam proprio nomine celer dicitur passio
(dagegen weiter unten § 101 neque advertens qoia omnis species
passionis sua quaeque tempora percurrit), 4, 3, 78 non coniciens
quoniam omni aegrotanti digestibilium rerum usus convenire per-
spicitur.
5, 2, 48 steht bei Amman: plurimi vomitum post eibum lau-
daverunt secundo vel tertio per menses singulos adhibendum,
siquidem et materia redarguit et indigestos esse non sinit, während
die Ed. pr. überliefert siquidem et materiam redarguat et
indigestos esse non sinat, ganz richtig, da Aurelian redarguere
im Sinne von repellere oder avertere gebraucht, wie man aus
1, 4, 120 ersehen kann: f Omentum . . . si, ut putant, materiam
redarguit (= ablenkt), abactum (1. abactam) tamen cutibus ad
cerebrum et eins membranas revocat.
Im Gebrauch des Gerundivs zeigt Aurelian manche Eigen-
tümlichkeiten; so verbindet er es nicht selten mit iubeo, impero,
praecipio, posco an Stelle des passiven Infinitivs, selbst nach caveo
verwendet er es. Die Verkennung dieses Sprachgebrauchs hat
die Herausgeber an manchen Stellen zu einer Textänderung ver-
anlafst, wo die Lesart der Ed. pr. wiederherzustellen ist, so
4, 1, 5 ventrem inter paucos dies leviter deducendum iubet atque
superficiem corporis constringi \mguento myrobalani. Die Ed. pr.
hat richtig constringendam. Ahnlich steht es 1, 4, 78. Hier
ist die Rede von der Behandlung eines epileptischen Kindes, dem
gegenüber auch der Amme «illerlei Vorsichtsmafsregeln empfohlen
werden. Unter anderem heifst es: tunc etiam curationis diligen-
tiam per nutricem aegrotanti praestare tentabimus, iubentes eam
a lavacro abstinere atque sine vino atque camis esu perseverare.
Die Ed. pr. bezeugt iubentes et a lavacro abstinendum und läfst
im Folgenden camis weg, was nicht entbehrt werden kann. Die
Herausgeber haben nun camis eingesetzt und abstinendum in abs-
tinere geändert. Die letztere Änderung ist nicht berechtigt, wie
folgende Stellen beweisen: 4, ;3, 77 Diocles . . . urinalibus medica-
minibus utenduni iubet, 4, 3, (33 usque eo coquendum iubent,
acut. 3, 17, IGO praepotandos autem iubet etiam medicamentis,
ib. 2, 21, 126 Praxagoras . . . praecavendum iubet, ibid, ventrem
emoUiendum iubet et unctionibus utendum pavide persuadet,
127 deponendos in aquani calidam iubet, ib. 2, 8, 36 ut in eins
viceni danduni iiisserit. Also ist an unserer Stelle iubentes ei
Zu CaeliuB Aurelianus. 183
fst. et) a lavacro abstinendum zii schreiben; denn Aurelian ver-
bindet iubeo wiederholt mit dem Dativ. Der Wechsel von Gerundiv
»
und Infinitiv (perseverare ) kommt öfter vor.
Die Phrase sanguinem fluere ist bei Aurelian sehr häufig;
auch in der Ammanschen Ausgabe finden sich dafOr zahlreiche
Beispiele, wie 2, 11, 126. 128. 131 (bis). 132. 133. Gleichwohl ist
an mehreren Stellen die richtige Lesart der Ed. pr. in sanguine
fluere verändert, so 2, 11, 129 üs vero qui ex arteria sanguine
fluunt (Ed. pr. sanguinem), 130 eos autem qui ex hypozygo san-
guine fluunt (Ed. pr. sanguinem), 133 iis vero qui ex gingivis
vel uva vel faucium lateribus vel tonsilüs sanguine fluunt (Ed. pr.
sanguinem), 2, 13, 149 oportet igitur ex qualibet parte sanguine
fluentes iacere loco mediocriter calido (Ed. pr. sanguinem), 2, 13,
171 at si quisquam non plurimum sanguine (Ed. pr. sanguinem)
fluxerit, 2, 13, 183 sanguine (Ed. pr. sanguinem) inquit fluentes
ita esse locandos, 184 si tertia die rursum sanguine (^Ed. pr.
sanguinem) fluxerint atque plurimo (Ed. pr. plurimum).
1, 1, 40 in iis (sc. corporibus) vero quae minus vexata no-
scuntur vel viribus medicamentorum depurgata. Die Ed. pr.
laust medicamentorum weg, mit Recht; denn nicht davon ist die Rede,
dafs die Körper durch die Wirkungen der Arzneimittel gereinigt,
sondern davon, dafs sie überhaupt geschwächt sind. In der Bedeu-
tung „schwächen" wird aber depurgare wiederholt von Aurelian ge-
braucht, wie 5, 10, 114 cum vehementi tussicula viribus depur-
gatis, 5, 11, 139 nam phlebotomia vires depurgatae vexantur,
2, 13, 190 etenim corporis fortitudo necessario depurgatur. Wäre
diese Bedeutung den Herausgebern geläufig gewesen, hätten sie
sich 1, 1, 40 den Zusatz von medicamentorum ersparen können.
Der grölsten Willkür aber haben sich Amman und sein
Vorgänger der so oft gebrauchten kausalen Konjunktion siquidem
gegenüber schuldig gemacht. Aurelian verbindet diese wie Cassius
Felix, dessen Sprache überhaupt mit der seines Landsmannes auf-
fallend übereinstimmt, nach der uns vorliegenden Überlieferung
fast immer mit dem Konjunktiv, nicht blofs wenn eine Begründung
aus dem Sinn und Geist eines andern gegeben wird, sondern auch
wenn der kausale Nebensatz ganz imabhängig von der Anschauung
des Sprechenden einen objektiven Grimd einführt.
Sowohl die Ed. pr. als Amman haben den Konjunktiv an
folgenden Stellen: 1, 24. 28. 53 (videaturj. Hl. 83 (transcendat).
86. 96. 122. 141. 145. 177. 180. 2, 8. 14. 28. 75. 96. 111. 117. 124
IH*
184 <' Helmreich:
i^sit). 124 (videatur). 134. 138. 141. 14(3. 147. 164. 165. 183 (fu-
erit elociitus). 187. 191. 194 ( commoveant). ^94 (turbent atque
Texeiit et vertaiit). 195. 196. 199. 200. 202. 211. 212. 3, 20.
28. 60. 7H. HO ^üant). 124. 125. 130. 144. 4, 9. 21. 33. 55.
60. 61. 79. 86. 88. 98. 107. 110. 112. 5, 28. 33. 37. 43. 45. 46.
54. JH). 92. 110. 112.
Dazu kommeu nac'li der Ed. j)r. noch folgende Stellen^ an
<leiie)i Amnmii mit Unrecht den Indikativ hergestellt hat: 1, 46
(Ed. pr. prohibeat — A. prohibet), 52 (Ed. pr. putent — A. pu-
tant), 54 (Ed. pr. sentiant — A. sentinnt), 54 (Ed. pr. praefocet
— A. praefbcat), 60 (Ed. pr. abiindet — A. abundat), 61 (Ed. pr.
sit — A. est), 71 (Ed. pr. possint — A. possunt), 73 (Ed. pr.
]>ossit — A. potestX 73 (Ed. pr. sit — A. est), 77 (Ed. pr. sit —
A. est), 82 (Ed. pr. sit — A. est), 83 (Ed. pr. veniat — A. venit),
101 (Ed. pr. asperetnr — A. asperatur), 101 (Ed. pr. faciat —
A. facit), 103 (Ed. pr. nioveat — A. niovet), 117 (Ed. pr. faciat
— A. facit j, 127 (Ed. pr. perniittat — A. permittit), ib, (Ed. pr.
faciat — A. facit), 128 (Ed. pr. displicere faciat — A. displ. facit);
ih. (Ed. pr. videatur — A. videtur), 134 (Ed. pr. tollant — A.
tollunt), ib, (Ed. j)r. laxent — A. laxant), r/>. (Ed. pr. vexent —
A. vexant), 135 (Ed. ])r. impleant — A. implent)^ 146 (Ed. pr.
videatur — A. videtur), Ih. (Ed. pr. discematur — A. discemitur),
171 (Ed. pr. videantur — A. videntur), 183 (Ed. pr. patiatur —
A. patiturY 2, 9 (Ed. pr. concurrat — A. concurrit), 90 (Ed. pr.
inveniatur — A. iuveniturj, 124 (Ed. pr. niemoraverit — A. me-
moravit), 136 (Ed. pr. videatur — A. videtur), 144 (Ed. pr. sus-
tineat — A. sustinet), 163 (Ed. pr. solvat — A. solvit), 183
(Ed. pr. iubeant — A. iuheut), ih. (Ed. pr. pracceperit — A.
praecepit), 1S6 (Ed. pr. probent - A. probant), 193 (Ed. pr.
adveniant — A. adveniunt), 216 (Ed. pr. faciat — A. facit).
3, 1 (Ed. ])r. sentiant — A. sentinnt, dagegen nachher spirent),
5 ( Ed. pr. asperetnr — A. asperatur), 51 (Ed. pr. adducantiir
— A. adducuntur), ih. (Ed. pr. afficiant — A. afficiunt), 57
(Ed. pr. voxetur — A. vexatur i, 96 ( Ed. pr. comitetur — A.
comitatur), 107 (Ed. pr. videatur — A. videtur), ih, (Ed. pr. in-
ferat — A. infert), 110 (Ed. ])r. afficiantur — A. afßciuntur), ib.
(Ed. ])r. provocet -- A. [»rovocat), ib. (Ed. pr. faciat — A. facit),
123 (Ed. pr. ingerat — A. ingeriti, 129 (Ed. pr. distendat —
A. distendit), 138 (^Ed. ])r. sit - A. est). 4, 21 (Ed. pr. fiant —
A. fiunt), l\4 (Ed. pr. videatur — A. videtur), 52 (Ed. pr. pro-
Zu CaeliuB Aureliauua. 185
voctet — A. provocat), ()7 (Ed. pr. torqueant — A. torqueut),
ib, (Ed. pr. constringat — A. constringit) , 100 (Ed. pr. sint —
A. sunt), 110 (Ed. pr. abstineatiu* — A. abstinetur), ih, lEd. pr.
antecedat — A. antecedit), ih. (Ed. pr. iaceant — A. iaceut); ib.
(Ed. pr. dormiaut — A. dormiunt), 115 (Ed. pr. videatur — A.
videtur). 5, 5 (Ed. pr. appreheuderit — A. apprehendit), ib. (Ed.
pr. videatur — A. videtur), 7 (Ed. pr. concurrant — A. com^urrunt),
9 (Ed. pr. videatur — A. ridetur), 43 (Ed. pr. videantur — A.
yidentur), ib. (Ed. pr. seqnatur — A. sequitur\ 4S (Ed. pr. red-
arguat — A. redarguit), ib. (Ed. pr. sinat — A. sinit), 52 (Ed.
pr. intelligamus — A. intelliginius), ib. (Ed. pr. teneat — A. tenet),
72 (Ed. pr. faciant — A. faciunt), HO (Ed. pr. perficiat — A. per-
ficit), 81 (Ed. pr. faciat — A. facit), S4 (Ed. pr. exerceant —
A. eiercent), ib, (Ed. pr. vexetur — A. vexatur), 111 (Ed. pr.
sustineant — eonsueverint — Iiabeat — A. sustinent — consueverunt
— habet ), 112 (Ed. pr. ingerat ^=^ A. ingerit), 113 (Ed. pr. eircuni-
fundatur — A. cireumf unditur ) , 117 (Ed. pr. angustetur — A.
angustatur), 129 (Ed. pr. faciat — afiiciat — A. facit — afficit).
Über den Gebrauch von siquidein in den 5 Büchern der
Chronia ergiebt sich also Folgendes: Diese Konjunktion kommt
im ganzen etwa lG2mal vor. An 152 Stellen hat die Ed. pr.
den Konjunktiv überliefert, Amman dagegen hat von diesen
152 Stellen an etwa 82 den Indikativ in den Text gesetzt. Der
Indikativ ist nur an 10 Stellen bezeugt. Von diesen kommen 2
als offenbar korrupt in Abzug. Denn 2, 14, 209 hat die Ed. pr.
siquidem iugis speciei unius oblatio satiat aegrotantes et prop-
terea recusetur (A. recusatur). Der zweite Konjunktiv beweist,
dafs auch an erster Stelle satiet zu schreiben ist. 5, 2, 36 si-
quidem nulla quassatio partium fiet. Das Futur hat keinen Sinn;
es ist dafür offenbar fiat zu schreiben. Es bleiben also noch 8 Stellen
mit dem Indikativ übrig: 1, 2, 53 siquidem neque sensibus privat
aegrotantes neque spasmo id est diverso raptu adficit, 1, 5, 153
siquidem Graeci Siuxvaiv animi laxationem dixerunt, 2, 1, 5(1
siquidem contrariis inter se passionibus haec subiecta monstrantur,
2, 2, 64 siquidem spasmus acuta atque celer passio perspicitur,
3, 3, 47 siquidem potu impleti minus solidos appetimt cibos,
8, 98 siquidem etiam ex plurimis aliis partibus patientibus hj-
dropes generantur. Ich zweifle nicht, dafs an allen diesen Stellen
der Konjunktiv herzustellen ist. Schliefslich will ich noch be-
merken, dafs 3, 8, 100 in der Am manschen Ausgabe ein scKovv
186 ^^. Helmreich: Zu Caelius Aurelianus.
durch seine Stellung auffallendes siquidem mit Indikativ sich
findet (hoc siquidem communiter etiam aliis specialibns passionibus
adscribens non advertit)^ dafs aber die Ed. pr. dafilr das einzig
richtige quidem bietet. — Ahnlich ist die Sachlage mit siquidem
in den 3 Büchern de acutis passionibus; auch hier stehen nur
einige wenige Fälle des Indikativs sehr zahlreichen des Konjunktivs
gegenüber; aber auch hier haben Amman und sein Vorgänger die
Überlieferung der Ed. pr. (Paris. 1533) in der willkürlichsten
Weise geändert.
Ich glaube durch diese Ausführungen nachgewiesen zu habeu^
dafs über der Überlieferung des Aurelianus kein guter Stern ge-
waltet hat. Nicht nur sind die einzigen Handschriften^ aus denen
seine zwei uns erhaltenen Hauptwerke, über die akuten und über
die chronischen Krankheiten, herausgegeben wurden, verloren ge-
gangen, sondern in den auf die Editiones principes folgenden
Ausgaben ist auch der Text in unverantwortlicher Weise entstellt
worden, die Ammansche Ausgabe speziell ist nur mit der gröfsten
Vorsicht zu benützen.
Wenn nun auch eine neue Ausgabe bei dem geringen In-
teresse für diesen Schriftsteller gerade kein „dringendes" Bedürfnis
ist, so wäre vielleicht doch, da seit fast 200 Jahren von dem
Autor nichts mehr gedruckt worden ist, eine Textrecension auf
Gnmd der Editio princeps mit einem ausführlichen Index verborum,
da der Schriftsteller in sprachlicher Hinsicht viele Besonderheiten
aufweist, keine überflüssige Arbeit.
Hof G. Helmreieh.
Pullus 'Hahn'.
Eigentümlich der Pcregrinntio nd lora Gianda ist der Gebrauch
von pnÜHS anstatt des klassischen Wortes gaUus, An etwa zwanzig
Stellen, wo vom Hahneugeschrei am frühen Morgen die Rede ist, sagt
die unbekannte Verfasserin pHÜiis, nie galhis; d. h. doch so viel, dafs
am Schlüsse des IV. Jahrhunderts im Lande, wo sie zu Hause war —
Gallien war ihr Vaterland — , das übliche Wort für Hahn pullus
war. Wo Avird nun im heutigen Frankreich mit pullus der Hahn
bezeichnet? Nach Mistrals Tresor dou feiihrige im Languedoc, wo er
poul^ und in der Gascogne, wo er pmit heifst. Aber auch an der
Rhone, im sogenannten franco - provenvalischen Gebiete, wozu die
französischen Kantone der Schweiz gehören, ist pullus das übliche
Wort, welches hier pu (sprich ;^/V) geworden ist.
"P»«^cr. J. Cornu.
Die neue Epitoma Alexandri.
Während die r()nii8che Historiographie bis auf Augustus der
griechisch -orientalischen Geschichte keinerlei Interesse zugewandt
hat^ taucht in der Weltmonarchie das Bedürfnis auf, sich über
die Vergangenheit des Erdkreises belehren zu lassen, und Trogus
Pompeius, dessen Werk wir noch im Auszuge des lustinus besitzen,
ist demselben in weitgehender Weise entgegengekommen. Aber
noch mehr als Perikles oder Sokrates mufste die Römer der Mann
fesseln^ welcher mit R^cht der erste Welteroberer genannt wird,
Alexander der Grofse. Wohl sagt man, Curtius habe sich diesen
Stoff gewählt, weil es zu seiner Zeit gefährlich gewesen sei, rö-
mische Geschichte zu schreiben; aber er durfte auch sicher sein,
mit dieser Wahl die Wünsche der Leserwelt zu befriedigen, wurde
doch die Geschichte Alexanders sogar in das Syrische und Ar-
menische übersetzt. Den Beweis dafür liefert die spätere Litteratur,
welche den Stoff immer von neuem aufgreift, wenn auch die
Alexandergeschichte in einen Alexanderroman ausartet. Diese
ganze Überlieferung, die griechische wie die römische, in ihrem
Abhängigkeitsverhältnis zu einander vorzuführen, kann nicht imsere
Aufgabe sein; wir werden also weder auf Arrian oder Pseudo-
kaUisthenes, noch auf lulius Valerius oder das sogen. Itinerarium
eingehen; es genüge zu sagen, dals von den 6 Suasorien Senecas
nicht weniger als zwei dem Alexander gelten (an Oc«anum naviget;
an Babylona intret), dafs die römische Litteratur schon im zweiten
oder dritten Jahrhundert nach Christus ein umfängliches Werk
besafs, welches passend den Titel Herum gestarum führte, da ja
in Alexanders Leben seine Feldzüge das Hervorragendste sind.
Diesen Titel trägt ja auch der von Beruh. Kubier herausgegebene
luIius Valerius. Von einer anderen, in einem Metzer Codex des
zehnten Jahrhunderts erhaltenen lateinischen Bearbeitung gab
Wachsmuth in seiner ^Einleitung in das Studium der alten Ge-
schichte' S. 567 Kenntnis, und ein junger, aus Metz gebürtiger
Philologe, Otto Wagner, hat soeben, von seinen Strafsbur^^er
188 Ed. Wölfflin:
Lehrern unterstützt ^ den Text im 2G. Supplenieutbaude der Jalir-
bücher für Philologie herausgeben, Leipz. 19CK).*) Dazu kommen
zwei Aufsatze von Gust. Landgraf in der Berl. Worh.-Schr.
1901, Xr. 8 und 13.
Die Überschrift lautet: INCIPIT ALEXANDKI MAGNI
MACEDONIS EPITHOMAE RERVM GESTAR VM LIBER • I •
Dafs aber dafür über • II • geändert werden mnfs, hat Reitzenstein
richtig gesehen. Denn die Erzählung beginnt mit dem Tode des
Darios, fuhrt uns also in die Mitte des Lebens AU?xanders.
Magnus Alexander rex Macedoniae postquam omne imf>erium
Asiae ad se redegisse credidit^ . . . neque id quidem Dario vivo
ostendere ausus esset, postea patefecit volnntatem. Wenn man
nun aber bedenkt, dafs das fünfte Buch des Curtius mit dem
Tode des Darius schliefst^ wie das zehnte mit dem Tode Alexan-
ders, so wird man nicht nur an eine Beziehung beider Werke
glauben, sondern auch annehmen dürfen, die Epitoma habe zwei
Bücher gebildet. Damaeii möchte dann das Originalwerk zwei
Triaden oder zwei Pentaden umfafst haben. Die Epitoma selbst
besteht durchaus nicht vorwiegend aus Hauptsätzen, sie ist viel-
mehr in lesbarem Stile geschrieben und giebt uns sogar den In-
halt von Reden und Briefen in direkter Form; sie ist ähnlich der
Epitoma de (.'aesaribus und von einem ])elesenen und geübten
Stilisten geschrieben, für ihre Zeit nicht viel schlechter als die
verlorene Epitoma Livii, welche wir uns ja einigermai'sen rekon-
struieren können. Vgl. Arch. f. Lexikogr. XI IflF. XII 14i>. Auch
die Epitome divinarum institutionum von La(*tantius mag ver-
glichen werden.
Die erste Frage wird oline Zweifel lauten, in welche Zeit
wir diese zu setzen haben, und der Herausgeber denkt sich die-
selbe entstanden: 'quarto fere quintove post Christum saeculo'.
So lange wir über die Beziehungen zu Inlius Valerius oder dem
Itinerarium nichts Sicheres wissen, müssen unsere Argumente aus
dem Charakter der Latin) tat gezogen werden, und wir werden
dann auch zufrieden sein müssen, etwa das Jahrhundert zu treffen.
*). Schon einige Jahre früher hatte Dietr. Volk mann das Büchlein
aus der nämlichen Handschrift veröffentlicht, in der zu Ehren von Bonitz
von dem Lehrcrkolle^um in Schulpforte herausgegebenen FesUchrifl, welche
freilich nicht in den Buchhandel gekommen ist. Eine zweite Handschrift
dieser Epitome ist trotz eifriger Nachforschungen in Brüssel, Oxford,
Florenz, Neapel, Rom (Vaticana) bisher nicht gefunden worden.
Die neue Epitoina Alexaudri. 189
DftCs noch manche Stellen des Textes korrupt sind, erschwert die
Losung der Aufgabe bedeutend; über das Vorkommen und erste
Auftreten neuer Wörter sind wir ja zur Zeit nur mangelhaft auf-
geklärt. Immerhin mufs man versuchen, etwa aus einer gröfseren
Anzahl von Beobachtungen ein Mittel zu ziehen.
So lesen wir denn § 65: eo Alexander exercitum duxit eum-
que subiugavit. Dieses Zeitwort im Sinne von ^unterwerfen'
gehört jedenfalls der späteren Latinität an; die ältesten Belege
mögen um das Jahr 3CM) oder wenig früher fallen; Lactantius
bietet dereu nahezu ein Dutzend, wie man aus den Indices von
S. Brandt ersehen kann, und nicht viel weniger lulius Valerius,
aus welchem unser Verf. geschöpft haben dürfte. Nähere An-
gaben sind zur Zeit nicht möglich, und in syntaktischen Dingen
sind wir eigentlich noch 8chle(*hter unterrichtet als in der Lexiko-
graphie.
So ist ja, was wir Epit. 29 lesen: Koxane omnibus formo-
sissima (statt omnium oder richtiger statt formosior), eine bar-
barische Licenz des Spätlateins, welche auf die Vermischimg der
Komparationsgrade zurückgeht, und ich habe auch in meiner
Komparation S. 71 eine vollkommen entsprechende Parallele bei
Sulp. Sev. chron. 2, 3, f) nachgewiesen: Romanum imperium <mi-
nihus ante regnis validissimum. Dafs die Konstruktion im karo-
lingischen Latein üblich war, beweist der eine Fredegar, bei
welchem wir ^ 1 fidelissimi eeteris, 1 2 fortissimus ceteris regibus,
6o fortissimus ceteris finden. Aber wer giebt uns denn Gewii's-
heit, wann die Verwildenmg zuerst auftritt, da ja das Buch von
Ziemer dafür nicht ausreicht? Vgl. Bemhardy, griei'h. Syntax
S. 438. Wir können nur hinzufügen, dafs der Verf. der Epitome
auch sonst den Superlativ für den Komparativ gebraucht, 83
dixit alium alio deterrime (= deteriusj respondisse. Eine er-
schöpfende Geschichte des Verfalles der Komparationsformen ist
noch nicht geschrieben.
Gewifs ist praeminister oder effugare (Epit. 35. 89 j ein
junges Wort, ebenso 78 praedictus rex (= supra dietus oder
scriptus), worauf Landgraf verweist, doch können wir eben nur
die Punkte angeben, an welchen die Untersuchimg später ein-
zusetzen hat. Auch submittere = substituere (87) scheint spät-
lateinisch zu sein.
Noch wichtiger ist es vielleicht, den Grimdzug oder die ein-
zelnen Bestandteile der Latinität zu bestimmen. Dais um das
190 Ed. Wölfflin:
Jahr 40() nach Chr. die römische Historiographie stark sallustia-
nisch gefärbt war, hat Friedr. Vogel in den Acta seminarii Er-
langensis^ vol. I und 11, nachgewiesen; wir müssen daraus schliefsen,
dafs Sallust in der Schule am meisten gelesen worden ist. Allein
es erschöpft die Sa(*>he doch nicht wenn man yon dem Einflüsse
Sallusts spricht; man mufs yielmehr von einer archaisierenden
Richtung sprechen, in welcher auch Catos Origines und vielleicht
Sisenna, von erhaltenen Werken die Komödien des Plautus und
Terenz zur Geltung kamen. Zu dieser gehörte aber auch, im
Gegensatze zu (^aesar, Hirtius und Livius, der Verfasser des Bellum
Africum. Die Berührungen imseres Anonymus mit dieser Schrift
sind denn aucli dem Herausgeber nicht verborgen geblieben^ und
er citiert also fleifsig Parallelstellen imd die sprachlichen An-
merkungen imserer Ausgabe. Nur hat er über diese Details die
gröfseren Zusammenhange aus den Augen verloren. Das hier
Fehlende mufs man bei Landgraf (^Berliner philol. Woch. 19Ö1.
Spalte 253 f.) suchen. Er hat richtig erkannt, dafs unter den prosa-
ischen Vorbildern unseres Verfassers der Auetor belli Africi
neben Sallust zu stellen ist, eine Nachahmung, wie sie bei keiner
anderen lateinischen Sc^hrift beobachtet wird. Daraus geht aber
auch hervor, dafs der Verf. des bellum Africum eine persönliche
Bedeutung gehabt haben mufs, welche man ihm sonst zuzusprechen
wenig geneigt ist, und dafs er sich hierin wesentlich von dem
Verf. des bellum Hispauiense unterscheidet, welcher in der Litte-
ratur gar keine Spuren hinterlassen hat. Der Name Asinius Polio
ist hier nicht die Hauptsache, aber er zeigt uns doch, wie wir
uns den Schriftsteller zu denken haben, und selbst wenn der Name
verfehlt ist, so ist es einer jener Fehler, aus welchen man mehr
lernen kann als aus platten Wahrheiten.
Dieses l)untscheckige, aus Phrasen einiger Lieblingsautoren
zusammengestoppelte Latein steht nicht weit ab von dem des
lulius Valerius, des Ammian oder des Dictvs, weshalb auch der
Verlasser als Zeitgenosse solcher Autoren gedacht werden mag.
Die innere Armut spricht sich schon darin aus, dafe dieselben
I'hrasen auf engem Raum wiederkehren und dem Schriftsteller
die Kunst der variatio nicht zu Gebote steht. Vgl. 64 [PoroJ
postquam ex vulnerilnis melius factum est mit 7S : Macedones suos
süurios in castra abstulerunt. sed ubi Alexandro melius factum
est (= als es ihm besser ging), wo die Phrase an eine bestimmte
Form des Verbums gebunden ist. Wir werden zuerst einige
Die ueue Epitoma Alexandri. 191
Proben archaischen Lateins vorführen^ um dann die Beziehungen
zu Sallust und zum Bellum Africum besonders zu besprechen.
Wenn das archaische Latein den einfachen Verben die mit
Präpositionen zusammengesetzten vorzogt auch wo der Gedanke
den Zusatz nicht notwendig verlangt hätte^ eine Eigentümlichkeit,
welche auch auf die spätere Yulgärsprache übei^ing, so können
wir als Belege die Yerba comprecari xmd denarrare anführen.
Zweimal schreibt der Verfasser, 29 und 85, deos comprecatus,
obwohl der Begriff der Mehrheit schon in dem Plural ausgedrückt
ist; so sagen aber auch Terentius Ad. 699. 704 und Apuleius
met. 4y 1, und das plautinische congratulari bietet eine Parallele
dazu. Ebenso ist 104: Perdiccas Macedonum concursum denar-
ravit zu beurteilen; denn das Verbum gehört nicht der klassischen
Prosa, wohl aber dem Terenz. An Plautus dagegen erinnert das
zum unbestimmten Artikel herabgesunkene unus, 21 cum uno
servulo ad Alexandrum devenit. Vgl. Plaut. Pseud. 948 ibidem
una aderit mulier lepida, wovon der Fall zu trennen ist, wenn
ein Superlativ hinzugefügt wird. Ausnahmsweise finden wir diese
familiäre Ausdrucksweise auch in guter Prosa; bei Cic. de orat. 1,
132 mihi qui sicut unus pater familias his de rebus loquor (wo
Piderit pater familias streichen will), und bei Caes. Gall. 2, 25
scuto ab novissimis uni luiliti (dem ersten besten) detracto, wo
Dittenberger früher uni einklammerte. Den archaischen Gebrauch
yerbürgt Quadrigarius bei Gellius 15, 1, 7 Sulla eduxit copias, ut
Archelai turrim unam incenderet, welchem noch Tubero folgte:
Kegulum j)n)elium fecisse adversus unum serpentem. Und dies
erhielt sich im Spätlatein, z. B. Liv. perioch. 72 unius feminae
opera rec^ptus. lord. Get. 35 cum pastor quidam gregis unam
buculam conspexisset claudicantem. — Plautinisch ist femer 18
homiues volatici und conquexit (vgl. unter Mise).
Epit. 22 e matre sua duos filios et tres filias produxerat
ist archaisches Latein, bekannt aus Plautus Kud. 1173 und Luci-
lius 2G, 1, das Supinuni saltatum (28 in convivium alias suas
saltatum introduxit) nur aus Lucil. 1, 31 nachgewiesen. So ist
auch der Sprache der Komiker entlehnt 20 uxorem quam ma-
gnificabat, 92 mortem interminatus(Iul.Val. 3, 26 interminatus
necem), und anderes mehr, was Landgraf nachweist, z. B. 52 solus
soli parem se existimans. Acta Erlang. II 44. Plaut. CisteU. bei
Priscian 3, 42; Asin. 500.
Da Landgraf noch eine Reihe von Archaismen besprochen
11)2 Kd. Wölfflin:
hat; 80 können wir uns nicht enthalten, die Leser mit denselben
bekannt zu machen; sie betreiFen alle den Plautus. Denn Epit. 10>>
nostra mandata cum cura curare liefse sich wohl mit Ennius
annal. 73 M. vergleichen (curantes magna cum cura), do<*/h noch
besser mit Plautus Pers. r)27, weil hier der Zusatz magna fehlt.
Dieselbe Vorliebe zur AUitteration beobachten wir Epit. 29 multa
multis insperantibus obtingere solere^ was sich mit Plautus
Kud. 40() multa praeter spem scio multis bona evenisse deckte
gerade wie Epit. 6() leonem ad terra m datum (= humi prostra-
tum) mit Plaut. Capt. 797 ut quemque icero ad terram dabo. Der
Pleonasmus omnes universi ist zwar bei Apuleius, tiellius^
Amobius (vgl. Sittl, lokale Verschiedenh. S. 97) nachgewiesen,
aber in letzter Instanz auf Plautus zurückzuführen, Trin. 104G,
und daher Epit. 11 als plautiuische Keminiscenz zu taxieren, und
so wahrscheinlich auch multimodis (Lorenz zur Mostell. 785),
obschon der Ausdruck auch s<mst vorkommt. Das in der Epit.
viermal (12. 45. 48. (i9) auftretende reversionem facere ist
auch dem Plautus geläufig Bacch. 29(). Truc. 39(1 und berührt sich
mit dem weiter unten zu besprechenden impressionem facere.
Speziell sallustianisch ist ohne Zweifel 90: par.s superior
inguinum fine puerilis = Sali. hist. 3, 52 Maur. line inguinum
ingrediuntur mare\ welcher sich selbst berührt mit Cato r. rust.
113, 2 ansanim infimarum fini und B. Afr. 85 per mare umbilici
fine im/ressi.
In der Geschichte der Konstruktion o rat um mitter e, welche
von Plautus bis Dictys vorkommt^ ist ein streitiger Punkt, ob
man mit derselben ein Objekt verbinden könne. Der Oodex Va-
ticanus überliefert nämlich Sali. lug. 24, 2: iion mea culpa vos
oratum mitto, was sich mit l^haedr. 4, 19, 2
canes legatos oüm misere ad lovem
meliora vitae tem[)ora omtum suae
verteidigen Heise, obschon das sachliche Objekt mit dem persön-
lichen nicht identisch ist. Da indessen in allen Sallust- Hand-
schriften steht: ad vos oratimi mitto, so erhalten die beiden
Stellen der Epitome einen gewissen Wert, 42 legatos ad Alexandrum
niittit oratum, uti ignosceret ipsis, 43 ad Alexandrum legatos
miserunt oratum, uti ... liceret.
Epit. 20 virum multis precibus orare coepit stimmt zwar
zunächst mit Livius 2, 2, 8 eadem multis precibus orant; da wir
aber bei Dictys 2, G lesen multis precibus orat und multis precibus
I>ie neue Epitoma Alexandri. 193
Ulixen deprectitur, so dürften weitere Vorbilder in den Historien
Sallusts gestanden haben, was nun die Fragmente von Orleans
bestätigen, bist. 3, 1>8 (' multis precibns cum oraret. B. Afr. 91, 3
schreibt nnr diu inultum(|ue cum precibus orasset, uti . . . ad-
mitterent. Vgl. Landgrat!. Acta Erlang. II 2><.
Die Konsequenzen dieser Interpretationsweise hat schon Land-
graf gezogen. Man wird also Epit. 77 stomachum ac (*aput
Tehementer ictus est nicht aus Livius 21, 7, 10 tulyersum femur
tragnla graviter ictus cecidit herleiten, da diese Konstruktion bei
Livius ttxal^ f tp)//i. ist (vgl. meine Anmerkung z. St.), sondern viel-
mehr ans Dictys 2, 4() ictus femur, 4, 7 inguina schliefsen, ähn-
licher Phrasen habe sich schon Sallust in den Historien bedient.
Noch naher liegt aber B. Afr. 7H caput ictus.
Anderes mag unsicher bleiben. So ist die Konstruktion von
intendere mit Infinitiv besonders beliebt bei Sallust (lug. 92,
H capere, 107, 7 ire) und Tacitus, und noch viel häufiger in
unserer Epitome (3 ducere, 13 iter facere, 27 iter perseverare,
HO proclium committere, 7;") exercitum ducere); da sie aber auch
B. Afr. 87, S in regnum ire intendit (sonst konsequent ire contenditj
herzustellen sein wird, so ist es bedenklich, die Vorliebe auf einen
bestimmten Autor zurückzuführen.
Von den Iteminiscenzen aus dem Bellum Africum hat
Landgraf das Beste vonveggenommen; doch bleibt uns wenigstens
Gelegenheit ihn zu unterstützen. Den ungewöhnlichen Ausdruck
Bell. Afr. 70, o Caesar omnes suos ad unum in castra incolumes
sauciis decem f actis reduxit habe ich bereits in meiner An-
merkimg zu der Stelle gewürdigt. Dafs in der näi*,hsteii Zeile
folgt trec^ntis amissis, multis rnlncratis kann nicht beweisen, dafs
der Autor nur um abzuwechseln, jedoch imgem ho geschrieben
habe, vielmehr hat er sich an Sisenna frgm. 3() Peter angelehnt:
ad binum milium numero sauciis utrimque factis. Weim wir nun
in der Epitome finden Ol: saucii multi facti: 77: saucius fit
femore dextro, so können wir zwar nicht l)eweisen, dal's dies aus
dem Bell. Afr. stamme; aber immerhin liegt, wenn man die Wahl
hat, ein Vorbild ans der historisclien Litteratur, möglicherweise
Cato orig. bei Gellius 3, 7, 19 (cum saucius factus esset), näher
als Plautu.«;.
Nicht anders steht es mit S3 enni missum faciani, S4 missos
fieri iussit im Zusammenhalte mit B. Afr. 54, n vos . . . missos
facio. Sicher ist nur, dafs dieser Ausdruck im Sinne von dimitto
194 Ed. Wölfflin:
der gaten Prosa iremd ist^ weshalb ihn Caesar yermeidet^ Cicera
ihn nur in den Briefen an Atticus anwendet, wogegen er bei
Terentius und im B. Hisp. wiederkehrt.
Schlagend ist das 69 und 70 auftretende re diyina facta,
welches Landgraf mit B. Afr. 86, 3 divina re facta belegt, schlagend,
so lange man nicht nähere Parallelen in der Form des Ablativus
absolutus nachzuweisen im stände ist. Die im Kommentare meiner
Ausgabe angeführten Parallelen liegen mehr abseits. Auch ist
minutatim cedere als Äquivalent von paulatim wahrscheinlich
aus B. Air. 78, 7 oder 31, 1 in die Epitome übei^egangen 16:
minutatim aditum scandentium. TertuUian de anima 53 schreibt
paulatim ac minutatim, und ähnlich der von Schlee herausgegebene
Commentarius antiquior zu Ter. Phorm. 1, 1, 9 unciatim] minu-
tatim et paulatim. (rloss. IV 365, «22 minutatim: paulatim, sensim.
Epit. 17 cum primo mane mittit quendam läfst sich am
besten mit B. Afr. 62, 5 vergleichen: egressus cum primo mane,
wenn auch bei Varro 1. lat. 9, 73 die nämliche Verbindung vor-
kommt. — Cum copia magna (statt Plural) 8, Graiorum copia
9, cum reliqua copia 35 berühren sich mit B. Afr. 10, 3 parva cum
copia. Vergl. meine Anm.
Epit. 86 vim fluminis citatim supprimi senserunt hat schon
der Herausgeber Wagner mit B. Afr. 80, 4 in eum locum citatim
ccmtendit in Verbindung gebracht. Nach Archiv VII 496 kennt
man keine weiteren Belege aus Autoren, wohl aber aus Glossen,
womit die Seltenheit nur bestätigt wird. Vgl. Thes. gloss. emend.
I 217. Wahrscheinlich ist auch Corp. gloss. IV 421, 34 raptim
rescitatim hieher zu ziehen.
Sogar einen syntaktischen Zug können wir beobachten,
welcher speziell dem Bellum Afr. und unserer Epitome gemeinsam
ist, das im Relativsatze durch Tempusverschiebung an die Stelle
des Imperfekts tretende P 1 u s q u a ni p e r f e k t. Vgl. Blase, Geschichte
des Plusquamperfekts S. 45. Begegnen wir diesem Gebrauche öfters
bei fuerat, so doch nur in vereinzelten Stellen bei habere, und es
entsprechen sich also geradezu B. Afr. 43 frumento, cuius in ca-
stris copiam habuerat = (^habebat) und Epit. 49 navibus, quarum
copiam habuerat. Ein Analogon aus der besten Prosa liefert das
B. Gall. 2, (), 4 qui tunt oppido praefuerat = praeerat. Die Ent-
stehung dieses Fehlers wird man sich so denken müssen, dals die
beiden möglichen Formen praeerat und praefuit in die neue prae-
fuerat zusammenflössen.
Die neue Epitoma Alexandri. 195
Landgraf macht auch aut das koordinierende et ita und
atque ita aufmerksam, wofdr man eine subordinierende Kon-
struktion erwartet. Beides findet sich sehr oft im B. Afr. wie in
der Epitome, nicht aber ])ei Sallust. So darf man wohl sagen,
dafs in Berücksichtigung des geringen Umfanges des Bellum
Africum unser Autor aus demselben mehr gezogen hat als aus den
sieben Büchern Sallusts.
Keinen so grofsen Wert dürfen wir yieUeicht auf Epit. 45
impressione facta legen. Wohl finden wir den Ablativ us ab-
solutus nochmals B. Air. 78, 8 impressione facta in fugam adyer-
sarios dederunt, und 78, 3 facere impressionem; allein die Phrase
kann doch nicht als selten bezeichnet werden, da sie aus Yarro
rust. 2, 4, 1, Hirtius Gall. 8, 6, Livius 3, 62, 7. 40, 40, 2 und Dares
(achtmal, aber nicht im ablat. absol.) belegt ist. Die Annahme
der direkten Nachahmung stützt sich also wesentlich auf die Form
des Ablatiyus absolutus. Im Perfekt indicat. act. begegnen wir
der Phrase Epit. 12 zweimal. Zweifelhaft ist wegen Unsicherheit
der Lesart die Berührung von Epit. 11 mentibus destinatis
(SO Landgraf; coiL destinati) non pati eos in terram descensioneni
facere mit B. Afr. 88 mentem in fugam destinatam.
Übereinstimmend finden wir noch B. Afj-, und die Epitome
in dem phraseologischen Gebrauche Yon coepi mit folgendem
Infinitiv, wofür man sich nicht auf Sallust berufen kann. Indessen
wollen wir dem Leser ersparen, Kenntnis von den einzehien Stellen
zu nehmen, weil sich ein strikter Beweis der Abhängigkeit doch
nicht führen läfst. — Zu 65 omnia facturum quae imperasset
vgl. meine Note zu B. Afr. 6, 7.
Diese Zusammenstellungen belehren ims, dafs der Anonymus,
auch wo er einer griechischen Vorlage sich anschliefst, wie gegen
das Ende dem Pseudokallisthenes, doch nicht die einzelnen grie-
chischen Worte übersetzt, sondern seine lateinischen Phrasen be-
nützt, welche er auswendig gelernt oder aus der Lektüre im
Kopfe hatte.
Zwar sind noch zahlreiche korrupte Stellen durch Konjektur
zu heilen; da sie aber zum grofsen Teile Eigennamen betreifen,
so wird von dieser Seite kaum neues Licht auf den sprachlichen
Charakter und die Entstehungszeit dieser Schrift fallen. Zur
Orientierung über die Sachlage mögen diese Zeil(»n genügen.
In Nr. 13 der Berl. philol. Wochenschrift 1?)01 Sp. 410—414
legt Landgraf eine Vermutung über die Vorlage der Epitome
196 K<1. Wölfflin: Die noue Kpitoma Alexandri.
Alexaiidri vor, welche jedenfalls verdient näher geprüft zu wer-
den. Sie gründet sich zunächst auf die enge Verwandtachaft, in
welcher die Sprache der Epitome zu der des Sisenna, des Sallust
und des Bellum Afr. steht. Dafs man um das Jahr 400 die
sallustianisch- archaische Latinität nachgeahmt habe, imterliegt
keinem Zweifel; ob damals auch das Latein des Bell. Afr., bleibt
ungewifs, so lange ein zweites Beispiel fehlt. Es l>esteht daher
die Möglichkeit, dafs die Sallustianismen und Anklänge an Sisenna
sowie an das B. Afr. nicht oder nicht allein dem Epitomator
gehören, scmdem dem älteren epitomierten Werke, welches wir
uns in lateinischer Sprache geschrieben denken müssen. Das
Interesse iiir griechische Uomane und Novellen ist schon in der
Zeit des Sisenna vorhanden (fab. Miles.); nach (^ic. leg. 1, 7 hatte
ja Sisenna den romanhaften Clitarch mehr gelesen als irgend
einen andern Autor. Landgraf wäre daher geneigt, das Original
dem Kreise des Pollio-Timagenes zuzuschreiben, was vom Stand-
punkte der Stilistik gut passen würde.
Sachlich ist zu bemerken, dafs unsere Epitome in zwei
Teile zerfallt, indem § 1 — 87 «ich an ( ■litarch-Curtius etc. an-
lehnt, der Schluf« von dem Tode Alexanders an Pseudo-Calli-
sthenes. Da aber das Werk des letzteren nicht vor 200 n. Chr.
geschrieben ist, so konnte ein Zeitgenosse des Pollio dasselbe
nicht benützen. Allein es steht auch ni(*hts der Annahme im
Wege, erst der Epitomator habe die Kontamination vorgenommen.
Wer dächte nicht an die Dramen mit abgeändertem Schlüsse?
Unbe<|uem wird diese handgreifliche Kontamination nur den An-
hängern der Einquellenhypothese sein. Aber die alten Historiker
und selbst die Epitomatoren sind nun einmal viel selbständiger,
als man glaubt; denn in den Periochae findet sich manches, was
bei Livius fehlt, und ebenso steht es mit der Epitoma Flori, der
Ep. de (^aesaribus, der Ej). lul. Valerii, wohl auch mit der Ep,
Justins. Sogar die Ej). divinarum institutionum, welche Lactanz
seihst schrieb, enthält Umstellungen, Verbesserungen und Zusätze;
und das Werk Novatians De trinitate nannte Hieron. v. ill. 80
(juasi tTTiTo^yv operis Tertulliani, womit er ihr doch eine gewisse
Selbständigkeit zuerkannte. Mit der obligaten ^Abschreiberei*
wird man doch einmal brechen müssen.
Münc heil. Ed. WSlfflin.
Grammatisch-lexikalische Notizen.
Necesse.
Brugmann bat soeben (Bericbte der säcbs. Gesellsch. d. Wiss.
19<X) S. 400) neresstis in seblagend ricbtiger Weise erklärt. Er
geht aus von der Verbindung necessus est und zerlegt dies in ne
cessu^ est d. h. Negation, Abstraktuni von cederp mittelst des
Suffixes 'tu- gebildet, und Kopula. Die Abstrakta auf -tti- drücken
nicht blofs einfach die Handhmg aus, sondern vielfach auch die
Möglichkeit derselben: nuUus (ulitiis est = es ist keine Möglich-
keit heranzukommen u. ä. Ne cessus est heifst also: ^^es ist keine
Möglichkeit auszuweichen'^.*) Das ne steht hier als Hatznegation,
der gcwissermafsen ein Wort bildenden Verbindung von Substan-
tiv und enklitischer Kopula vorgeschoben; genau so sagte man
ne fas est, und erst infolge falscher Zerl^^uug dieser Gruppe
durch die Sprechenden konnte sich ein (scheinbar aus ne luid fas
direkt komponiertes) Substantiv nef'ns ergeben.**)
Brugmann sucht im iViischlufs hieran auch die Formen ne-
cessnm und fiecesse zu deuten, wie mir scheinen will nicht ganz
so glücklich. Er erklärt cessuni und cesse für neutrale Adjektiv-
formen. Aber ein Adjektiv cessis wäre doch wohl von ganz ab-
normer Bildung. Ein gleiches läfst sich zwar von cessxim nicht
*i Herr Kollej^e Fränkel weist mich freundlichst auf eine merkwürdige
Analogie hin. ,.Im älteren Schriftarabisch und auch in modernen arabi-
tjchen Dialekten wird zur Bezeichnung einer absoluten Notwendigkeit wohl
mit am häufigsten die Konstruktion Ui fmdila i modern Id hudd) d. h. 'es
ist kein Ausweichen' verwendet." Dazu bemerkt Herr Kollege ßrockelmann
noch, daJ's ein i marokkanischer» Dialekt jene Konstruktion weiter zu einem
einheitlichen n«'uen Worte umgeschaifen hat lahthl 'notwendig' /'mit d
sonans).
**) Diese zweifellose Erklärung hat Delbrück Grimdrifs IV f)jJ4 gegeben;
ich hatte sie ebenfalls gefunden und auch schon im Kolleg vorgetragen.
Ähnlich wird nun wohl auch m/'wjo =-- nv hhvo und nihil(um) = ne hifum
zu l>eurteilen sein.
Art-hiv für lat. la'xikogr. XII. H.-ft i. 14
198 t\ SkutHch:
sagen; wie im (irriechischen^ so hat bekanntlich noch wiederholt
im Lateinischen das Particip auf -to- die Bedeutung eines Adjek-
tivs der Möglichkeit (cessum = ausweichbar).*) Aber gewifs ist
sehr unwahrscheinlich, dafs der Lateiner zu den drei sich inhalt-
lich völlig deckenden Ausdrücken necessiASy necessum und necesse
drei ganz verschiedene Bildungstypen gewählt haben sollte. Mit
zwei verschiedenen rechnet meine Erklärung allerdings auch, aber
doch mit solchen, die auch sonst im Latein in ähnlichen Doub-
letten neben einander liegen.
Wenn Brogmann mit seiner Erklärung von necessus recht
hat — und das wird man, wie gesagt, nicht bezweifeln können — ,
dann ist eigentlich ein grammatischer Fehler, was wir im Senatus-
consultum de Bacchanalibus lesen: quei sihei deicerent necest^s ese
liacanal habere'^ es müfste n&esiim heifsen. Thatsächlich schreibt
denn auch Plautus Mil. 1118 dican tixorew tibi tiecessuni [esse]
ducere. Trotzdem kann unsere fortgeschrittene grammatische An-
schauung Lachmann nicht mehr recht geben, der ans dem Sena-
tuskonsult schlofs, necessus könne kein Nominativ sein (^zu Lncrez
VI 815); solche Erstarrungen, solchen Verlust der Flexion kennen
wir ja gerade beim Nominativ Singularis auf -us heute mehrfach
(rurstis, mordims etc., Bücheier Archiv I 105, meine Forschungen
I 16; zum Teil irrig Delbrück Grundrifs III 627"). Nur aber
was wird jetzt hindern anzunehmen, dafs ebenso gut wie der
Nominativ necesstis in necessus est, sit, erat, ebenso gut auch der
Akkusativ necessum in iiecessum esse, fuisse, fore erstarren konnte
und dafs also z. B. necessum sit Plaut. Asin. 895 streng gramma-
tisch ebenso falsch ist wie necesus e.se des Senatuskonsults?
Für die dritte Form yiecesse komme, wie gesagt, auch ich
ohne die Annahme anderer Bildtmg nicht aus. Aber diese An-
nahme ist darum unbedenklich, weil auch sonst neben Abstrakt-
bildungen auf 'tu- wie unser cessu- solche auf -ti- stehen, wie ich
deren eine in ca^sc suche. Z. B. neben gratcs St. gräti-, f'ors St.
farfi' stehen gratultus fortultuSy die doch auf r/ratur forfu- (cf. f'or-
tüna) zurückgehen müssen; neben dös St. döti- liegt, mit anderer
Wurzelstufe gebildet, St. datu- Mas Geben', neben dem Substantiv
stafu-s das ehemalige Substantiv *,stfiti'S in stathn, neben nocti-
auch }wctu- Tcf. Adverbium noctü u. a.). Es ist also jedenfalls gegen
*) Vorgl. z. H. nil pur vi ac pensi Lucil. 570 B., d. i. ov iukqöp ovdt
/lia^wrov, Bücheier Rhein. Mus. 43, 292.
Grammatisch-lexikalische Notizen. 199
die Ansetzung eines Abstraktums cessis ^das Ausweichen'; St. cesst-
= ced-ii', neben cessu- nicht das Mindeste einzuwenden ^ ja sie
wird direkt erfordert durch das Adverbium cessim, das wie alle
älteren Adverbien solcher Bildung (partim etc.) der erstarrte Akku-
sativ des -^i-Abstraktums ist. Es steht also auch weiter nichts
im Wege, neben n^cessus est oder sit ein necessis est oder sit im
ganz gleichen Sinne für alte Zeit anzusetzen. Nun hat sich be-
kanntlich auslautendes -26* damals vielfach zu -i abgestumpft
Für die durch Leo Plaut. Forsch. Kap. 5 über jeden Zweifel er-
hobene Thatsache habe ich in VollmöUers Jahresber. über roman.
Philol. rV 81, wo ich übrigens auch iure peritus und consuUuSy
wie ich glaube sicher richtig, aus iuris p. und c, hergeleitet habe,
die spezielleren Gesetze aufzufinden gesucht. Besteht zu Recht,
was ich dort vermutet habe, dafs die Abstumpfung lautgesetzlich
nur vor folgendem konsonantischen Anlaut eingetreten ist — und
einen Einwand weiDs ich weder selbst, noch haben andere einen
gemacht — , dann hat also zunächst neben einander gestanden
necessis est, esset und nccesse sit, foret, fuit etc.; später hat sich
das necesse aus der letzteren Reihe auch auf die vordere, vor
▼okalischen Anlaut verpflanzt, womit man die andern ähnlichen
von mir a. a. 0. beigebrachten Fälle vergleichen möge.
Caepetum.
Dies Wort wird, wie es bei Forcellini steht, so auch im
Thesaurus ein Plätzchen erhalten müssen. Die neueren Gellius-
ausgaben schreiben XX 8, 7 apiul Plutar^hum in qtiarto in Hesio-
dum rommentario legi: ^Caepe tum, revirescH et congenninat decedente
luna, contra autem ifiarescit adolescente, Eam causam esse dicunf
sacerdotes Äegyptiiy cur Pelusiotae caepe non edint" Tum leitet
wohl den Nachsatz nach einem Vordersatz mit 5?' ein (Madvig
Emendat. Livian. * S. 291), nach dem Ablativus absolutus (oder
gar davor) dürfte es aber nicht blofs überflüssig, sondern geradezu
falsch sein. Es liegt ein Wort vor, gebildet wie ficetum nucetum
oüvetum arundinetum viminetum, über die zuletzt Niedermann
Idg. Forschgn. X 256 ff., freilich, wie ich meine, nicht ganz zu-
treffend, gesprochen hat.
luhatas.
Hoffentlich wird für das Wort im Thesaurus nicht der
eigentümliche Beleg Stat. silv. V 1, H3 fehlen, obwohl von allen
14*
200 F. Skutach:
neueren Herausgebern nur Vollmer das Wort im Text belassen
und dieser es falsch erklärt hat. Der Kaiser hnposuit Ahaacatüi
molem immensam nmetis et vix tradabile patidus,
Vollmer erklärt mit Polizian Mie lockenumwallten d. h. knaben-
haften jugendlichen Schultern' und vergleicht 12,2 Faean umero
conianti facuiidum »usfmuiit ebiir. Aber was sich ftlr den Gott
schickt, ist für den erwachsenen Römer selbstyerständlich un-
möglich. Inhatus heifst denn auch hier gerade das Gegenteil von
pucrilis: die gemahnten d. h. die männlich kräftigen. Vergl. Juyenal
XIV 193
viteni posce libelh,
sed Caput iniadum buxo naresque pilosas
adnotet et ffrandes miretur Ladius alas.
Uns mag der Ausdruck ])ei Statins geschmacklos vorkommen,
aber der Dichter gehört zu den Kindern seiner Zeit, die oft im-
jjrobi werden, wo sie nur aurfentes sein wollen, um mit Plinius
ep. IX 2H zu reden.
Ein Plfttocitat?
Apuleius de dogm. Piaton. II 15: hunc tcdeni (ich brauche
das Vorausgehende nicht auszuschreiben, die Stelle ist auch so
völlig verständlich) Plato luaricupidineni atque (wcipitretn pecuniae
ntyfninavit. So die Handschriften übereinstimmend; nur tal^m ist
in einzelnen verschrieben und verstellt. Aber wo steht bei Plato
dergleichen? \md wie ist es überhaupt möglich, dafs ein so
sonderbares Wort wie lutrlcupidhiem aus einem Griechen citiert
wird? Die Herjiusgeber haben sich diese Fragen schwerlich vor-
gelegt, sonst würden sie wohl auch die einfache Lösung gefunden
haben. Die betr. Worte stehen im Plautus: turpilucricupüium Trin.
100, pecuniae accipiter Persa 409. Das kann selbstverständlich
nicht etwa ein neckischer Zufall sein, und also ist zu schreiben:
Inmc talem Plautus lucricujnduni etc. (was wäre auch lucricupidi"
tiem für eine Personenbezeichnimg?). Dafs Plato hier eindrang,
wo ständig von ihm die R^de ist, kann nicht wunder nehmen;
lucricupidum mufs Apuleius juis dem plautinischen Wort gekürzt
liiiben, wofern man nicht etwa das turpi erst in der Überlieferung
ausgefallen sein läfst. Die Plautusherausgeber werden künftig
das Testinumium des Apuleius zu beiden Stellen anzuführen
haben.
(Tramniatisch-loxikalische Notizen. 201
Accipetrina,
Diese bei Plautus Bacch. 274 einstimmig überlieferte Form
anrlem merkwünligerweise die Herausgeber ebenso einstimmig in
€iccipitrina. Offenbar verhält sich doch nccipeirina zu aaipiter
wie genetrix zu genitoTy wie moletrUm zu molitor u. s. w. ; e. sinkt zu
I vor einfachem Konsonanten, hält sich vor doppeltem. Und wir
gewinnen hier also eine Bestätigung fQr die bekannte schöne
Etymologie, die im zweiten Teile von accipiter pefer Teder' sieht
(J. Schmidt, Pluralbildungen der Neutra S. 174).
Älienus laniena noch einmal.
In Vollmöllers Jahresbericht V S. &) habe ich gegen Brug-
mann u. A. meine früher gegebene Erklärung von alieiitts lanienn
aus ali'lmui lani-ina verteidigt und damit wenigstens den Erfolg
erzielt, daJ's Brugmann jetzt zum erstenmal (in den Sitzungs-
berichten der sächs. Gesellsch. d. Wiss. 190() S. 40Sf.) die <lründe
seines Widerspruchs darlegt. Dabei bekomme ich zu hören, dals
ich auch heute noch nicht wisse, worauf es bei jenen Worten
eigentlich ankomme. Und ich mufs allerdings ehrlich bekennen:
worauf es Brugmann ankommt, das weii's ich jetzt sogar noch
weniger als vorher. Denn Brugmann giebt jetzt für alienas zwei
Erklärungen, die mit einander unverträglich sind. Nämlich S. 408
Z. 2 V. u. wird vermutet, dafs -eno- in jenen Worten = idg. -n^ino'*)
sei. Dagegen wird S. 409 Z. 8 v. u. ^die vermutete uritalische
Form alieinos oder alioinos^ coniecturaliter aus einem Tiokativ-
Genetiv aliei nlioi -\- Suffix -no- hergeleitet. D. h. also einmal
giebt Brugmann -eno- als fertiges idg. Suffix, das andere Mal
läfst er es erst im Uritalischen durch Ableitung aus dem Lokativ
sich bilden.**)
Indes ich will diesen Widerspruch nicht weiter urgieren.
Die Frage ist dann einfach: -eno- = -a^iruh oder = -ivo-^^
*) Der freundliehe philologische Leser wolle nicht erschrecken: n^ soll
einfach ausdrücken, dafs die Farbe des Vokals \a, c, ö) dich nicht sicher
angeben läfst.
*•) Wenn hier mit dem Ausdruck ^Kenner der weiteren indogermani-
schen Sprachgeschichte' u s. w. würden gesehen haben, was von Brugmann
gemeint sei, angedeutet werden soll, dafs ich als Philologe natürlich von
solchen Ableitungen aus Kasus nichts wisse, ho kann ich <lemgegenüber
auf meinen Aufsatz ^Zur lat. Wortzusammensetzung' (Jahrb. für Philo).
Supplem. XXVn) verweiseu, der, wie Brugmann nicht unbekannt sein konnte,
selbst dergleichen Bildungen nachweist. ..i
202 F. Skutflch:
Prüfen wir zunächst die erstere Antwort. Binigniann sagt darüber:
.«dafs die Form -a'ino' auf ital. und speziell römischem Boden
unvertreten sei, hat weder Skutsch noch sonst jemand bis jetzt
wahrscheinlich gemacht. In terrenus u. dgl. (?)*") steckt -a'ino-
freilich nicht, wie die neuere lautgeschichtliche Forschung er-
geben hat/'**) Dazu vergleiche man nun Brugmanns Grundrüjs II
S. 150. Dort steht wortwörtlich zu lesen: ,fa'ino- nur im
Arischen und Baltischen mit Sicherheit nachweisbar^.
Also eine nach Brugmann selbst nur in einem kleinen Aus-
schnitt der idg. Sprachen vorhandene Suffixform soll dem Latei-
nischen vindiciert werden, in dem bestenfalls das Suffix den
charakteristischen Diphthong durch Lautwandel verloren haben,
völlig mit andern bekannten Suffixformen (-7m>- und allenfalls
-eno-) zusammengefallen sein müfste. Was bedarf hier des Be-
weises? dafs das Suffix nicht vorhanden ist, oder daüs es vor-
handen ist? und an wem ist es also zu beweisen? an Brugmann
oder an mir? Selbst Stolz, der sich doch nicht leicht zu einer
*) Ed müssen hier wohl die Fälle venenum catetm u. s. w. gemeint sein,
in denen -es- + -wo- steckt; vgl. meine AusfOhrungen Do nomin. snff. -»m>-
ope formatis S. 1 ff.
**) Hier stimme ich völlig bei, kann es aber doch nicht ganz unnütz
finden, etwas schon einmal Gesagtes zu wiederholen. Stolz schreibt in der
„Histor. Grammatik'^ 1 48G, er halte meine Ansicht über cdienus etc. auch
jetzt nicht für berechtigt. „Besonders spricht dagegen das sicher alte ter-
renus^ das offenbar eine gleich geartete Bildung ist.^' Ich würde glauben,
dafs Stolz meine eben genannte Schrift nie gelesen habe, wenn er sie nicht
auf derselben Seite dreimal citierte. In dieser Schrift ist S. 17 nach-
gewiesen, dafs terrefiiis zuerst bei Caesar und Cicero belegt ist. Aber nicht
nur das ist nachgewiesen — denn das könnte ja allenfalls, so unwahrschein-
lich das ist, ein Zufall sein — , sondern weiter ist auch dargethan, dafs die
älteren Schriftsteller für das, was seit Caesar und Cicero terrenus heifst, in
genau entsprechenden Verbindungen allemal terrestris oder terreus sagen.
Wenn also eine Thatsache der lateinischen Sprachgeschichte sicher steht,
dann ist es die, dai's terrenus eine junge Neubildung ist. Ich habe
gleichzeitig a. a. 0. diese Neubildung erklärt, aber diese Erklärung ignoriert
man vollends, obwohl auch für sie der strikte Beweis von mir geliefert
ist. Terrenus als Schöpfung der caesarisch-ciceronischen Zeit kann nur
Analogiebildung nacli einem bereits vorhandenen Adjektivum auf -enus sein;
unter all diesen Adjektiven ist nur eins, das seiner Bedeutung nach sich
dazu eignet, nämlich aenus. Verlangt mau noch mehr Beweis? So schlage
mau CIL IX 516 und 597 auf; vielleicht gelingt es dem T. Ferrenus und
seiner Freigelassenen Ferrena^ mir für die Zukunft wenigstens die Ehre
einer Widerlegung statt blofser Verschweigung zu sichern.
Grammatisch-lexikalische Notizen. 203
4^bweichung von Bmgmaim entschlielBt, sagt a. a. 0. von cUi^nus
laniena: ^allerdings yermag ich den Ursprung dieser Adjektive
auf -enus^ über die auch Brugmann Grundrifs U 151
nichts Sicheres vorbringt, nicht zu ergründen".
Aber Brugmann legt freilich jetzt Gewicht auf eine spezielle
Tibereinstimmung zwischen dem Litauischen und dem Lateinischen,
die vielleicht manchem sehr frappant scheinen wird; er stellt lat.
agnina pardnn vitulina (Lamm-, Schweine-, Kalbfleisch) in Pa-
rallele mit lit. jxirszenä meszkenä ^Ferkel-, Bärenfleisch', und lat.
rapitui caepina 'Rüben-, Zwiebelfeld', „denen salina^ lapicidinac
nioletrifia nahe genug liegen", in Parallele mit lit. ropena rügend
'Rüben-, Roggenfeld'.
Hier begrüfse ich es als einen ersten Schritt zur Verständi-
gung, dafs endlich auch einmal von der Gegenseite klipp und klar
ausgesprochen wird, dafs das -itui von laniena und das -ina von
moletrina sutrina tonsirina etc. identisch sein müssen. Im übrigen
aber bedauere ich, da lit. t nicht auf idg. l zurückgehen kann,
jene anscheinend so frappante Übereinstimmung für einen baren
Zufall erklären zu müssen, einen Zufall, dessen Möglichkeit
wohl schwerlich jemand ableugnen wird. Ich mufs das aber
darum, weil ich einfach ganz ruhig den mir von Brugmann zu-
geschobenen Beweis antreten kann, „dafs Suffix n'ino im Italischen
überhaupt nicht oder wenigstens nicht" (ich setze dafür: 'und schon
gar nicht') „im Kreise derjenigen Formationen gesucht werden dart^
auf die es hier ankommt". Hier ist der Beweis.
Brugmann sagt selbst, z. B. in divinus stecke allerdings -aHno-
nicht, da das Oskische, das die Diphthonge wahrt, eben auch nur
deivinais hat. Wir wollen aber doch etwas energischer formu-
lieren. Im Osk. liegt eine ganze Zahl von Bildungen vor, die im
Lat. auf 'Inus schliefsen würden (Planta O.-U. Gramm. II 34),
und nicht eine zeigt eine andere Suftixform als -mö-. Ich lege
ganz besonderes Gewicht auf die durchaus nicht unbeträchtliche
Reihe von Eigennamen (man wird gleich sehen, weshalb): Kens-
surineis lat. Censarinus, Aifineis, Atiniis, Kcckivigj Tafidins,
Veltineis, fiQLvsLg.*) Planta macht dazu freilich die Bemerkung:
„es sind unter diesen wohl jedenfalls auch solche mit kurzem t",
aber das wird erst dann glaublich sein, wenn lateinische Namen
auf Hnus nachgewiesen werden. Ich will Plantas sonstige Bei-
♦) Aphinis? cf. ThcHaur. lingu. lat. 11 '2'iiK 09; Planta II 612.
204 y Skutsch:
Spiele (es sind noch eine ganz leidliche Zahl) nicht auch aus-
schreiben. Die Thatsache steht ohnehin fest: von jenem bis jetzt
nur für das Arische und Baltische nachgewiesenen Suffix hat das
Oskisehe trotz zahlreicher Bildungen auf -l;^//.s- nicht die leiseste
Spur.
Wir können aber noch eine ähnliche Beobachtung liir das
Latein anfügen. Noch das Senatusconsultum de Bacchanalibus
scheidet bekanntlich streng zwischen altem diphthongischen ei
und dem Monophthong i .*) Und so ist nur das eine bedauerlich,
dafs das SC selbst keine Form auf -UHt- enthält. Aber die zum
Teil noch beträchtlich älteren Münzen mit lateinischer Legende
haben Aisoitino Aqulno Caiathw lAidinod; auf der einen Inschrift
aus dem Pisaureser Hain ("IL 1 171 steht Inno I^urina, Auf
CIL I 182 mit Erinie et Erine jx^trr will ich aus mehreren Gründen
kein Gewicht legen. Dagegen ist <lurchaus verwendbar wieder
CIL IX 3S13; hier sind die Diphthonge zwar schon bis zu e ge-
sunken, aber noch nicht weiter (vecus), und also enthält Auinus
zweifellos altes ?.
Damit ist -7nti.s mit indogerm. l nicht nur als einzige Form
dargethan, die für das Altlatein zu erweisen ist, sondern es ist
auch gerade ,,im Kreise derjenigen Foniiationen, auf die es hier
ankommt^', nachgewiesen. Denn ich habe der wichtigen Rolle,
die die Eigennamen auf -iemis in unserer Frage spielen, zwar
leider nicht mehr an der Eingangs angeführten Stelle, wohl aber
sch(m zehn Jahre früher an der Stelle gedacht, gegen die sich
eigentlich ein ausführlicher Widerlegungsversuch meiner Gegner
hätte richten sollen, in der Schrift de nomin. suflF. -no- ope for-
matis S. 13. Ich hoffe, sie entschliefsen sich jetzt, einmal das
dort beigebrachte Material anzusehen (einiges weitere bei Corlsen
Ausspr. IP 393 ). Und wenn sie sich dann doch kaum werden
unterfangen können zu leugnen, dafs Fttdienus von Fadiw^iy Aientis
von Aitufj AviUlenus von Avil! ins kommt und so fort in infinitum,
und bedenken, dafs wir gerade für das -inus der Eigennamen un-
bedingt ursprüngliches einfaches nicht diphthongisches langes f
nachgewiesen haben, dann wird, denke ich, die Wagschale, in der
die litauischen Formen liegen, federleicht in die Höhe schnellen
*i Ebenso war es bei Plautus («>«, aber mendictisjt wie ja bekannter-
malsen die Scherze Truc. 2G2flF. Rud. 1305 f. beweisen. Von den beiden
Stellen abgesehen ist natürlich der alt« Unterschied in unserer Überlieferung
nicht mehr zu linden.
GrammatiBch-lcxikalische Notizen. 205
lind die Annahme einer Dissimilation von 1% zu ie jedem unum-
gänglich erscheinen.
Doch nein! so leichten Kaufs komme ich nicht weg. Gerade
gegen die Annahme einer solchen Dissimilation richtet sich ja
Brugmanns Eifer ganz besonders. Ich kann nur nicht finden^
dafs der Eifer durch genügende Gründe gerechtfertigt ist. Brug-
mann sagt einfach^ jene Annahme sei nach allem^ was wir heute
über Lautwandlungen wissen, höchst unwahrscheinlich. ,,\Vo findet
sich derlei? Im idg. Sprachgebiet sehen wir ii wie li durch
Kontraktion zu l werden, wohl auch zu ji wie li zu ji, aber weder
ii zu ie noch ii zu ie"*) Dieses Beweisy erfahren zeichnet sich
mehr durch Neuheit als durch Stringenz aus und wird, glaube
ich, auch bei indogermau istischen Kollegen weder Beifall noch
Nachahmung finden. Denn wenn ich Brugmanns Bedenken wirk-
lich recht erfafst habe, so versucht er hier einen Induktionsschlufs :
dieser Lautwandel ist sonst für das indogermanische Gebiet nicht
belegt, folglich ist er überhaupt unmöglich. Oder mit anderen
Worten: wer künftig ein Lautgesetz für eine Einzelsprache nach-
weist, wird dasselbe gleichzeitig mindestens für noch eine andere
Sprache nachweisen müssen. Ich finde nur, dafs Brugmanns
eigene Praxis — und mit Recht — sich um jene Theorie bisher
nicht bekümmert hat. Es wäre lächerlich, wenn ich erst an
einzelnen Beispielen darlegen wollte, an wieviel einzelsprachliche
Lautwandlungen Brugmann selbst glaubt, die sich in den anderen
indogermanischen Sprachzweigen nicht wiederholen.
Also das prinzipielle Bedenken Brugmanns ist kaum enist
zu nehmen. Damit ist aber dami die Sache zu meinen Gunsten
erledigt. Denn Fadienus : Fadius mid diese ganze Reihe hat
nun in ihrer Beweiskraft für die Dissimilation n ; ie nicht ein-
mal den Schatten eines Arguments gegen sich; dal's im Latei-
nischen keine Gegeninstanzen existieren, ist schon in \'olhiK)llers
Jahresbericht a. a. (). gezeigt worden. Und so könnte ich den
Gegenstand verlassen, wenn mir nicht noch zwei Bemerkungen
über Kontraktion und Dissimilation von /«, die zwar auch in der
*) „Vielleicht", fahrt Brugmann fort, „zeigt z. B. tibi uns von tibia, mit
uridg. 'hiO' gebildet, das zu erwartende Kontraktionsprodukt.** Unglück-
licher konnte das Beispiel nicht gewählt werden, denn, wie ich schon Berl.
phil. Wochenschr. 1895, 367 (vgl. Stolz, Hist. Oramm. I 624 1 bemerkt ha!>e,
(»xietiert die« Wort gar nicht.
206 F. SkutBch:
Schrift über das Suffix -wo- schon gemacht^ aber gleichfalls unbe-
achtet geblieben sind, hier eine Auffrischung zu verdienen schienen.
Erstens. Giebt es wirklich keine Spuren der Dissimilation
von ti zu le im Latein? Brugmann u. a. können nur darum ver-
neinend antworten, weil sie pietas societas u. dgl. direkt aus ^piot<is
^sonoUis entstanden glauben, in denen infolge der Nachbarschaft des
i das u überhaupt nicht erst (wie in bofiitas caecitas etc.) bis zum
i gesunken sei. Vielleicht hätte eine chronologische Bemerkung,
die ich a. 0. S. 14 Anra. 3 gemacht habe, etwas mehr Aufmerk-
samkeit verdient, als dergleichen von den meisten Indogermanisten
geschenkt, zu werden pflegt. Ich habe dort nachgewiesen, dafs
von allen Abstrakten auf -ietüfi nur vier im Beginn unserer Über-
lieferung vorhanden sind: pietas satietas hisatietas (Tlaut.), societas
(Cato Ennius). Alles andere tritt nicht vor der ciceronischen
Zeit (ÄppietaSf elmetas und sohrietas, mcdietas proprietas varietus),
das meiste erst weit später auf. Wer da behauptet, dalis das
alles Nachbildungen nach jenen vier ältesten mit ie aus io sind,
der wird sich wohl nicht strikt widerlegen lassen. Aber ebenso
wenig der andere, der so sagt: „Ich zweifle selbst für pietas und
die drei anderen, ob sie so alt sind, dafs man sie noch mit un-
geschwächtem -otas gebildet hat. Aber wenn das auch der Fall
sein sollte, so scheint mir von jenen vieren, da pietas durch seine
Betonung»; eine Sonderstellung einnimmt und satietas wie insatietas
selten sind, höchstens societas ein mögliches Vorbild für Weiter-
bildungen. Es ist mir aber viel wahrscheinlicher, dafs die cicero-
nische Zeit, wenn sie aus einem Worte auf -ins ein Abstrakt
bilden wollte, sich nicht erst immer erinnert hat: halt! wir haben
ja von soüius soriftas gemacht, nun machen wir nur fein säuber-
lich auch von propriiis propHetas. Sondern ich glaube, dafs die
cic^ronisclie Zeit einfach des regulären Abstraktsuffixes -itas sich
bedienen wollte und nur regelmäfsig, wo dies nun wirklich hinter
ein anderes / zu stehen kam, beim zweiten der aufeinanderstofsen-
den / ausglitt und also -ietas sprach." In summa, die Wahr-
scheinlichkeit, dafs wir hier die gesuchte Dissimilationserächei-
nung vor uns ha])en, bezifi'ert sich schlecht gerechnet auf 50 ^/q.
Zweitens. Ein weiterer Punkt, den Brugmann einmal kurz
andeutend berührt, ich schon Suffix -no- S. 26 f. ausführlich be-
handelt hatte, betrifft die Adjektiva wie umbr. Fisovino- von
Fisovio-, lat. Ijonuinnus Latinus von Laniwimn Latium (viel Bei-
spiele a. a. ().). Ich habe dort schon gesagt, dafs deren Bildungs-
(Trammatisch-lexikalische Notizen. 207
weise sich zu der der Adjektiya auf -iemis verhalt wie der Stamm
cUi' {aliqtii^*) alis) zu alio- (alius), wie anxitudo zu anxietudo u. a. der
Art. Aus der auf / schliefsenden kürzeren Stammform Fisovi-
Laii' ist Fisovinus Lafinus abgeleitet^ wie tnarinus piscitia aus
nuiri' pisci'. AUeniis aber ist nicht aus dieser kurzen Stamm-
form rt/t-, sondern der volleren alio- geflossen; niedico- : medieino-,
Wterto- : libefUno- = alio- : aUhw- d. i. alieno-.
Meridie.
Usener hat (Jahrb. f. Phil. 117, 79) die Entstehung von nieri-
dies ans meridie und das alleinige Vorkommen des letzteren bei
Plautus erwiesen: ich hoffe die letzten Bedenken gegen seine aus-
gezeichneten Darlegungen kürzlich in der Festschrift für C. F. W.
Müller (Jahr)), f. Phil. Suppl. XXVII 95) zerstreut zu haben. Leider
ist mir auch da noch die schlagende Bestätigung durch die Cato-
Überlieferung entgangen. Bei diesem steht agr. 31, 2 in den
mafsgebenden Handschriften eidmito post meridies in vento ausiro
d. i., wie ich denke, posf meridie sine vento ausiro. Damach ist
40, 1 herzustellen, wo überliefert ist post nheridietn sine vento austro,
sowie 1, 2 in meridie speciei. Aufserdeni hat Cato nur noch 89
meridie hihere dato.
Emere ^nehmen'.
Als ich kürzlich im Philologus 59, 498 eme als plautinische
Nebenform der Partikel em erwies und damit für Plautus noch
einen Rest der alten Bedeutung 'uehmen' sicherte, zog ich zum
Vergleich juristischen Sprachgebrauch an — nur leider einen un-
sicheren Fall statt des sicheren. Ob nämlich im prätorischen
Edikt wirklich emere jenen Sinn noch liat, ist, wie ich damals
schon hervorhob, zweifelhaft. Ganz anders liegt die Sache in
dem andern Fall, dem der berühmten pompejanischen Wachstafel
Bruns fontes« S. 292 = CIL IV Suppl. Nr. CLV. Dafs wir es hier
mit keiner Verkaufsurkunde zu thun haben, sondern mit einer
fiducia, hat Gradenwitz erkannt. Eck eingehend bewiesen (Litteratur-
angaben bei Bruns). Und wenn es nun hier heifst: ea man<^ipia
•) Was zuletzt Sommer, Die Komparationssuftixe im Lat. (Indog.
Forsch. XIj S. 6 des Sonderabdrucka über dies Wort bemerkt hat, scheint mir
korrekturbedürftig. Ich bemerke hier nur, dafs das Verdikt „aliquis heifst
nicht anderswer" unzutreiFend ist. Siehe z. H. Sonnenschein zu Plaut. Hud.
13.-) und 760.
208 I*'. SkutriCh:
singidu sestertis nnm\tnis sin]guh's JHridia Margaris eniit oh
sest€[rtios x, so weist trotz der Form des Scheinkaufs das bei
Verpfandungen, nicht aber bei entere ^kaufen* übliche ob*) sowie
der ganze Zusammenhang noch deutlich auf den alten Gebrauch
von entere hin. Weitere Zeugnisse und Belege Itir diesen bei
Mommsen, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung Rom. Abteilung VI 26o.
Eck ebenda IX 75.
Die Monatsnamen Septemhri- bis Derembri-,
Diese vier Monatsnamen hal)en eingestandenermafsen noch
keine befriedigende Erklärung gefunden. Ich lege hier eine
Deutung vor, die sich zwar natürlich nicht beweisen läfst, aber
ganz einwandfrei und unter den möglichen gewifs die weitaus ein-
fachste imd natürlichste ist. Das Suffix -ris bildet Adjektiva von
Nominalstämmen wie fumbris für fufies-ris von fumis^ (Jenetiv
*fimeS'is, fenehris für fe^tes-ris u. a. Es steht also nichts im Wege,
sich als Urform jener Namen vorzustellen aeptew^-is, octo-riSy
n^vem-ris, decem-ris. Drei davon mulsten sich lautgesetzlich wan-
deln; inlautend mr wird ?;r, und so entstanden zunächst septeJms,
novebris, deceln-is. Von hier ward -Ms natürlich auf den vierten
der Reihe übertragen: ociobris, und diese Form bewirkte nun ihrer-
seits wieder, dal's die drei anderen, was sich um der etymologischen
Deutlichkeit willen empfahl, sich zu ihrem Cardinale so stellten,
wie ocfobris zu dem seinigen stand, d. h. statt des anscheinend
verstümmelten sei>te nove dece wieder die volle Form des Zahl-
worts einführten.
May n an im US.
Die Geschichte dieses Wortes ist an sich merkwürdig, gleich-
zeitig aber auch in manchem Stücke typisch für eine grofse Reihe
anderer lateinischer Nominalkomposita. Die Thatsachen, die es
zu erklären gilt, sind folgende. Magnanimus tritt zuerst bei
Plautus auf in der hoehpathetischen Schlachtschildenmg Amph. 212
haev id)i Telobois ordine iferarunt quos ptwfecerat
AmpftitruOf magtianimi viri freti rirtide et virUms
süperbe nrmis f'erociter fegatos mtstros Imrepaid.
Der erste, der nach Plautus das Wort wieder braucht, ist
Cicero: offi(». I 65 f'ortes igitur et magvanimi sunt Imhendi ntm (jui
*) Zu den von Eck a. a. 0. S. 73 {gebrachten Beispielen füge u. a. noch
hinzu Plaut. Truc. 144. 214.
Grammatisch-lexikalische Notizen. 209
fiiciuntf se(i (jui pyopuUmit inhiriam, in derselben Verbindung auch
63 viros fortes et magnanhnos. Dann steht es bei Vergil als Bei-
wort von Helden (A. VI 649 mugnummi lieroes), aber auch von
Tieren (III 704 mofffuinimum equorum). Von Vergil ist es zu
Ovid, von ihm oder Cicero zu Gellius gegangen.
Dieser Thatbestand zwingt ohne weiteres zu der Annahme^
dai's wir es mit einem Kunstwort zu thun haben. Es läTst sich
aber auch noch mit Sicherheit sagen, was zu der Verfertigung
und eigentifmiichen Verwendung dieses Homuuculus den Ansiois
gab. Am klarsten liegt die Sache bei Cicero. Gewife ist es doch
kein Zufall, dafs, wie er an beiden Stellen fart4?s und magfianimi
verbindet, so bei Plato uayak6q>Qow und avdQstog verknüpft er-
scheint (rep. r)()7B); man würde das selbst dann nicht als Zufall
ansehen können, wenn man nicht wüfste, wie Panaetius zu Plato
hinneigte.*) Mir scheint es klar: Cicero versuchte mit nKUfv-
animus (leyako-fpQiov seines Originals Glied für Glied wiederzugeben.
Es läfst sich aber sogar noch zeigen, wie er an diesem Versuch
allmählich Geschmack gewinnt. Nämlich wo es sich an der citierten
Stelle der ( )fficien darum handelt, die Eigenschaft des moffiianimtis zu
bezeichnen, setzt Cicero dreimal animi niaymtiuh oder magnitudo
animi: mit anderen Worten, er traut sich noch nicht recht, aus
dem fremdartigen mcufnmihnus ein Substantiv abzuleiten. Erst
S 152 erscheint unter den vier Kardinaltugenden die mugnanimitcui;
der lateinische Ausdruck für iuyukoq)QOöx'}vrf ist geprägt, und mag
Plato in diesem Zusammenhang auch sonst von avögeia sprechen,
so verbindet er doch au<'h ävdgsuc xcd ^eyako(pQo6vv>j sympos.
194 B.
Man kann nun, so zweifellos Cicero hier unter dem Druck
von fisyaXoipgiov steht, doch andererseits natürlich nicht annehmen,
dafs er von dem alten, in der Litteratur bereits vorhandenen
7na(fiianimus nichts gewufst haben sollte. Blofs das wird sich be-
zweifeln lassen, ob gerade Plautus ihm das Wort geliefert hat,
das er zur Wiedergabe von iLtyako^pQiov benötigte. Hohe Worte
entlehnt man schwerli<*h aus einem Komiker, selbst wenn er hier
und da pathetische Stellen hat. Ich möchte also vielmehr glauben,
dafs auch andere archaische Dichter von nuiftnwiimns Gebrauch
gemacht haben, und denke bei der fiir den Hexameter so vor-
trefflich sich schi(»kenden Wortform vorzugsweise an Ennius'
*; (»erade au unserer Stelle <§§ 63 f.; wird Plato zweimal citiert.
210 y^- Skutsch:
Annalen^ sodafs also magnanimus zu jeneu finnianismen bei Cicero
(wie suauiloquens u. a.) gehören würde, über die Seneca im 22. Buch
der Briefe seinen Spott ergofs. In dieser Vermutong fQhle ich
mich bestärkt einmal durch die Wiederverwendung des Wortes
bei Vergil, der es wohl sicher aus Cicero nicht hat, sodauu aber
durch eine Überlegung über das griechische Muster, das dem
Schöpfer des Wortes maff^nanimus vorgeschwebt haben muls. Der
Schöpfer war ein Dichter, und also war sein Muster nicht naya-
^6q)Q(0Vy das durchaus der Prosa angehört, angehören mufs wegen
seiner prosodischen Form. So sicher vielmehr wie Cicero (isya-
k6q)QOv hat ihm vorgeschwebt fieyd^fio^y das alte Wort des
Epos, das bei Homer nicht nur unzähligemal als Beiwort von
Helden sich wiederholt, sondern 77 488 auch vom Stiere steht —
wie magnanimus bei Vergil vom Uosse.
Ich rekapituliere: magfianimus ist von einem archais(*.hen
Dichter nach ^eyäd'Vfiog geschaffen imd späterhin zweimal wieder
aufgegriffen. Einmal von Cicero, als er nach einem Äquivalent
für ii€yak6q)Q(ov sucht, dann wieder von Vergil, als er, wie jener
alte Dichter, das epische Beiwort fieyä^vfiog wiedergeben will.
Cicero und Vergil haben dann dem Wort bei den weiteren Schrift-
stellern Kurs verschafft.
Die -/o-Präsentia.
Lat. fugio capio fmlio einer-, farcio fulcio ferio andererseits
zeigen auch bei näherer Betrachtung so wenig Bildungsverschie-
denheit, dafs ihr Auseinandergehen im weiteren Verlauf des Prä-
sens {fuo^^ capis fodis fugimus capimus fbintis gegenüber farcis
fulcls feris farclmus fnhimus f'erimus) aufs liöchste befi-emden
mufs. Gewifs stuft das präsensbildende -io- auch in andern indo-
germanischen Sprachen sich teils mit V teils mit I ab, aber jede
Einzelsprache repräsentiert entweder den einen oder den andern
Typus, keine läfst in solch anscheinend völlig willkürlicher Weise
wie das Latein bald e bald i zu (Brugmann Grundrifs II 1055ff.\
Nur ein Versuch ist gemacht worden, in dieser anscheinen-
den Unordnung eine Regel zu erkemien. Bemeker (Indogerm.
Forsch. VIII 197 ff.) und mit geringer Modifikation sich ihm an-
schliefsend Mcillet (Bullet, de la soc. de lingu. X, LXXVII) haben
zu erkennen geglaubt, dafs nach kurzem Stammvokal >', nach
langem (auch positionslangem) i erscheine. Sie bringen das in
Zusammenhang mit dem bekannten Sieversschen Gesetz, wonach
Grammatiäch-lexikalische Notizen. 211
z. B. im Germanischen ,// und l nach kurzen und langen Stamm-
silben alternieren: got. Genetiv JiarjiSj aber hairdeis] 3. Sing, nasjiß,
aber frc^wardeiß (Brugmann Grundrifs P 253). Ähnlich schon
Thumeysen, über Herkunft und Bildung der lat. Verba auf -io-,
Leipzig 1879, S. 47. Ich kann die Beobachtung nur teilweise, die
Erklärung gar nicht gutheifsen.
Wie Bemeker selbst zugiebt, hat seine Regel nicht wenig
Ausnahmen; er führt nicht nur rufflre müglre sällre särtre ape-
rlre reperire venire ferlre sepellre, amtcire an, sondern auch das
Schwanken zwischen tnorimur und fnorlmur, oritur und adüritur,
graditur und adgreditur imd weiterhin ganz beiläufig noch parire.
Die Mittel, die er wie Meillet anwenden, um der Ausnahmen
Herr zu werden, sind so vielartig, dafs sie sich schon dadurch
diskreditieren und kaum noch eine Widerlegung brauchen; einer
einheitlichen Erklärung, wenn eine solche möglich ist, wilrde ganz
ohne weiteres der Vorzug zu geben sein.
Zu einer solchen Erklärung verhilft ims nun, wie ich dente,
eine schärfere (ich möchte sagen: mehr philologische) Betrachtung
der Ausnahmen. Sie hat erstens noch manches zuzufügen, vor
allem fodlre^ sodann eine Anzahl unten zu erwähnender plautini-
scher Stellen. Zweitens kann ihr nicht entgehen, dafs beim
Schwanken zwischen -Ire imd ere im allgemeinen das erstere das
ältere ist (siehe das von Neue -Wagener Formenl. IH^ 242 ff.
zusammengebrachte Material). Exfodlri ynorlri gradiri (Langen,
Beitr. z. Krit. u. Erklärung des Plautus S. 82 ff.), sind plautinisch,
parire ennianisch. Aber nicht nur diese Thatsache gilt es zu
erklären, sondern auch die andere, auf die Bemeker und Meillet
gar nicht zu sprechen kommen, dafs, so gewöhnlich Ausnahmen
von ihrer Regel bei kurzem Stammvokal sind, bei langem nicht
eine vorkommt: *f'arcimus ^f'ulcimus etc. sind unerhört. Wen»
wirklich, wie Berneker denkt, fenmus amiclmuSy ferls amicis ein-
fach Analogiebildungen nach farcimus f'idclmus, farcls fulcis wären,
durch die Endungsgleichheit der 1. Sing, und 3. Plur. veranlafst,
dann würde es geradezu ans Wunder grenzen, dafs die Analogie
nicht auch gelegentlich, umgekehrt wirkend, ein farcimus fulcimun
zu Wege gebracht hat.
Wir sprechen jetzt noch einmal ganz scharf aus, was es zu
erklären gilt: nach langem Stammvokal erscheint nur i, nach kurzem
entweder i oder 7. Oder allgemeiner: nach langer Silbe lange,
nach kurzer kurze oder lange. Und sofort drangt sich nun eine
212 *^. Skutsch:
schlagende Parallele auf. ßeuau dieselben proBodischeu Erschei-
nungen zeigen die Verben vom Typus calef'acere. Was einst
liitschl über ihre Messung gefunden zu haben glaubte (üpusc. II
()li>), ist heute Avohl durch meine Gegenbemerkungen (Satura
Viadrina S. 133 f.; Philologus 59, o03) definitiv erledigt und die
Frage dahin entschieden, dafs urs])rünglich cälefacio stüpefacio so
gut langes c hatten, wie die Fälle, wo dem e eine lange Silbe
vorausgeht tähefa<-io fervefaeio etc.*) Ich habe an beiden Stellen
Reste der alten Messung stüpefacio olefacio ohsolefieri nachgewiesen^
die neben den üblichen cälefacio stüpefacio etc. stehen; dagegen
fehlt es völlig an einem ^'fäbefacio ^''fervefaeio u. dgl.
Die Erscheinungen sind hier so völlig gleichartig^ wie bei
den /V>-Präsentien - - nach langer Silbe nur lange, nach kurzer
kurze oder lange --, dafs zweifellos die gleiche Erklärung für
beide Fälle angewendet werden mufs. CaUfaeio u. s. w. habe ich
mm, ohne irgendwelchen Widersprucli zu finden, a. a. 0. aus dem
Lautgesetz erklärt, das mam sich nach meinem Vorgang das lam-
benküjzungsgesetz zu nennen gewöhnt hat. Demnach steht capts
cnpit einfach für *capüs CAipit, cupis cupit für cup%s ^cupU, facis
facti für facis "^fa^rit,**) Das sieht vielleicht sehr hypothetisch
aus. Aber ich konstruiere diese Formen nicht etwa, sondern sie
stehen noch in unserem Plautus:
Mem. 921 potionis illiquid priusquam percipit insania
Cure. 3(>4 laüdo || laudatö quando illud quod <*upis effecero***)
Amph. 555 facis iit tuis nülla apiid te fides sit.
Damit ist der nötige Beweis wohl geliefert, und es bleibt
nur noch übrig, die Folgenmg zu ziehen, dafs fc^cimas facMs^
capimtis capitis, cufumtis cupttis, die nicht wohl Wirkungen des
lambenkürzungsgesetzes sein können f^ für -ImiiS -Vis ein-
*) Dii'Hor ohnehin zweifellose Ansatz hat jetzt seine Erklärung und
zugleich noch eine weitere Stütze - die featc»8t-e — erhalten durch Sto-
wassers und meine Entdeckung, dafs cälefacio einfach = calens facio ist,
Zeitschr für österr. Gymnasien 19(H, Märzheft.
**; So hat Plautus auch neben der für ihn noch normalen Messung
rcnit bereits venit Truc. MU.
*•*) Sogar C. F. W. Müller, der solche Sj)uren alt^r Messung der
schärfst^^n Musterung unterworfen hat, erteilt dieser Überlieferung das Prä-
dikat „an sich gar nicht unw^ahrscheinlich" (Prosodie S. 52 >.
t) Für die Wirkung des lambenkürzungsgesetzes ist Unbetontheit der
Länge Voraussetzung. Diese konnte freilich auch in *caplmns cupimus
''"'facmus eintreten, wenn ein enklitisches Wort folgte, und so mufs sich
(irammatiscli-lexikalisrhe Notizen. 213
getreteii sind, indem man facts facit, ciqns cupit, capis capit durch-
konjugierte wie legis legit legimus legitis. Es mufste zur Er-
reichung dieses Zieles mitwirken, dafs auch die Imperative ^cüjn
^capi *fäct über '^rupi '^rnpi ^'fdci zu eupe cape f(U^ imd also den
Imperativen lege dice etc. endungsgleich geworden waren. Schliefs-
lich sind natürlich auch die Infinitive (V})€re facerv etc., die Im-
perfekte eaperem facereni etc. wie leffere legerem behandelt wor-
den. Bei den Verben venire ferire salire mit festem / hat sich
die Ausgleichung in umgekehrter Richtung vollzogen; venimus
venitis, ferimtis ferlHsy venire venlrem etc. haben venls feris etc.
verhindert, zu venia feris zu werden, oder wenigstens ihren schliels-
lichen definitiven Sieg über die letzteren gesichert.
Apprimus und Verwandtes.
Dies Adjektiv, das nur bei Livius Andronicus Od. IIB. als
Übersetzang von Wb6q)iv fitjöxiOQ uTtckainog (y 110) erscheint,
sieht wie eine Zusammensetzung aus ad und prinms aus, gerade
wie man adsimilis (idprolnis in ad -f- similis oder prohas zu zerlegen
geneigt sein wird, namentlich wenn man sich erinnert, dafs auch
im Sanskrit atl zur Verstärkung von Adjektiven dient {ati-düra
'sehr lang' u. dgl., Whitney Ai. Gramm. § 12H!)ai. Wer genauer
untersucht, kann an der Unrichtigkeit dieser Auffassung nicht
zweifeln. Xeben dem nur einmal belegten Adjektiv ist sehr häufig
und ebenfalls schon sehr früh das Adverb apprinie belegt (dreimal
bei Plautus, ebenso oft bei Terenz; siehe die Belege im Thesau-
rus); adprnbc findet sich früher (Plaut. Trin. 7o7) als sein Adjek-
tivum (Caecil. 22Hi. Ein ganz ähnliches Verhältnis scheint ob-
zuwalten zwischen aff'alnr (^seit Ci(*ero) und äff aber [f'ahref'a^ftun
Paul. F. 28, tvT^x^yj^ 'Philox.' i\ CA. L. II HOO, m, andere Glossen
ebenda VI :;j)), jii neben adaaiHr (Plaut, (/as. i}Xih Sr>7. ('apt. H2S.
QS^\K ('ist. of). Most. ;Mh gie})t es ein Adjektivum so wenig wie
neben dem spätl. npplrnc (siehe den Thesaurus s. v.). Was end-
lich adsiMills angeht, so hat Plautus nur folgende Formen:
x:#i/>i- f:upi' f'aci' auch in Verbindungen wie capiiHtir quidew, cujtitür quoqiu',
fiicitis tanien u. a. «.»rgeben haben, wie etwa bei Plautus steht uteri dolorex
mihi oboriunUtr atitidie (Satura N'iadrina S. 1,'}*2) oder l)ei Terenz, in anderer
Weiue vergleichbar, trrebdmini (ebd. S. 131). An solche Möglichkeit wird
man nameutlich für die Deponentien nriri mann grndlri zu denken haben.
Doch hat auf sie gewifs auch die Analogie von parior ptirinntur, foilior
f'atliuniur etc. gewirkt, die ihr kurzes / ijMH'itur pdriinun^ wie oben gezeigt,
vom Aktiv her bezogen.
Archiv Cnr lat. Loxtkotrr. Xll. Hoft 2. \v>
214 ^' Skutsch: Grammatisch-lexikalische Notizen.
Merc. 957 quasi tu numquam quic(|iiam adsimüe huins
facti feceris;
Tmc. 563 nam hoc adsimüe est quasi de fluyio qui aquam
derivat sibi:
Bacch. 951 .... adsimiliter mi hodie optigit.*)
Die Verhältnisse sind sich in allen diesen Fällen so ähnlich,
dais der SchluTs sicher ist: die Adjektiva sind sämtlich erst durch
Hypostase aus Verbindungen der Präposition a<l mit Adrerbien
resp. dem Akkusativ simile hervorgegangen wie sedulus aas se (M/k
u. dgl. (s. Useners S. 207 citierten Aufsatz). Es bleibt blofs noch
zu fragen, wie diese Verbindungen zustande gekommen sind und
was sie bedeutet haben. Am klarsten scheint mir ad simile zu
liegen; man hat Fälle zu vergleichen wie Cic. Lael. 18 orf istorum
normam fuisse sapientes, insbesondere aber Caesar b. c. III 48 id
efficiebant ad similiiudinem pani^. Genau so ist adsimiliter zu
erklären; nur hat man sich zu erinnern, dafs ad wie alle Pra-
positionen auch starre Kasus und Adverbia regieren kann, worüber
ich in den Jahrb. f. Philol. Suppl. XXVII 95 If. ausführlich ge-
sprochen habe.**) Die Konstruktion von ad ist dieselbe, die Be-
deutung eine andere in adprime adprohe a^i fahre adaeqiie-^ ad kann
hier wohl nur die Annäherung bezeichnen wie in dem angeführten
Beispiel aus bell. Gall. und auch sonst bei Mafs- und Zahlbestim-
mungen. Adacque ist Mem aeqife sich nähernd', ^annähernd gleich";
daraus wird es sich wobl auch erklären, dafs Plautus das Wort
nur in negativen Sätzen hat imd erst Apuleius Metam. X 2 sich
erlaubt, es im affirmativen Satze zu mifsbrauchen. In adpritne
ist offenbar ebenfalls ursprünglich die Bedeutung des ad nicht
eine eigentlich verstärkende gewesen; 'dem prime nahe kommemr
kann aber auch schon ein Lob sehr erheblich steigern. Naevius
schrieb (com. 1) Acontizomenos fabulast prime proha, aber apprimr
praba hätte ziemlich genau dasselbe gesagt.
*) Cato p. 85, 2J. steht freilich forma enim eiim ettt . . . adsimiliji fV/i,
aber man kann nicht blofH zweifeln . ob das echte c-atonische Form ist,
sondern hat sogar gezweifelt, ob es sich überhaupt um eine »Schrift des
alten ('ato handelt.
**i Es wird gerade hier von Int<>resse sein, einen dort übergrangenen
Fall aus Caesar b. <l. II 33, der nicht wesentlich abweicht, zu vergleichen:
occibus ad hominum miHbus quattuor.
Breslau. F. Skntsch.
Zur Phraseologie der lateinischen Grabinschriften.
Prof. James Church aus Reno (Nevada), welcher in den
letzten drei Semestern den Stoff zn einem Buche über die latei-
nischen Grabinschriften gesammelt hat, yeröffentlicht soeben die
enrsten 6 Druckbogen als Münchener Doktordissertation. Gerade
diese drei Kapitel fallen in den Studienkreis des Archives, weil
sie eine Geschichte der Situsformel und der Quiescoformel nebst
eitaer Untersuchung über die Bezeichnimg des Begräbnisortes
enthalten. Die poetischen Grabinschriften, vor allen die Carmina
epigraphica von Bücheier, sind so vollständig ausgebeutet, dafs
Verf. glaubt, keine Stelle übersehen zu haben; die prosaischen
(Corpus inscr. und die Sammlung von Rossi) so weit excerpiert,
dafs nichts Wesentliches fehlen sollte. Dieses reiche Material hat
es dem Verf. beinahe zur Pflicht gemacht, statistische Resultate
zu ziehen, wie sich die poetische Sprache von der prosaischen
unterscheidet, wie die Sprache der Christen von der heidnischen,
wie häufig oder wie selten, wie alt oder wie jung die einzelnen
Ausdrücke sind, wie sie sich auf die verschiedenen Länder des
römischen Reiches, und, was besonders schwierig, wie sie sich
auf Beerdigung und Verbrennung verteilen u. s. w. Und da die
amerikanische Philologie überhaupt eine Neigung zu dieser Art
von Forschung hat, so ist auch hier geleistet, was sich überhaupt
leisten läfst. Unberührt davon bleibt die Frage, welchen Wert
man solchen rechnerischen Ergebnissen beilegen, und wie viel
man auf Rechnung des Zufalles setzen wolle. Dies, worüber sich
der Verf. nicht täuscht, wird immer Geschmackssache bleiben, imd
nach dem Spruche *Sint ut sunt' soll auch nichts gestrichen
werden. Wir dürfen unter allen Umständen dem Verf. unsere
Anerkennimg für seine Zahlen nicht versagen, weil sie oft ein
unerwartetes Licht verbreiten, in anderen Fällen wenigstens zum
Nachdenken anregen. Ein kurzes Referat über die gewonnenen
Ergebnisse dürfte daher unseren Lesern nicht unerwünscht sein;
216 J- E. Church jun.:
der Kefereut hat diesmal nur zu bemerken , dafs er so gut wie
nichts hinzuzufügen gefunden hat^ und dafs also die Mitteilungen
als Eigentum des Verfassers zu betrachten sind. E. W.
1. Die Sitnsformel,
bestehend aus der Bezeichnung des Toten im Nominativ und dem
Verb um situs est = positus est, ist ohne Zweifel der älteste Aus-
druck der bei den Uömem üblichen Grabinschriften gewesen.
Passend wird man sie mit dem griechischen xstöd'ai yergleichen.
Der Begriff ^liegen' ist der sich von selbst darbietende, weil der
Tote in der P]rde wie auf der Bahre gebettet ist. Erst die
Quiescofomiel fügt 4azu den weiteren Begriff der ^Ruhe' nac*.h
gethaner Arbeit, und darum muls sie die jüngere sein und be-
zeichnet zugleich den H()hepunkt des antiken Ausdruckes, des
lieidnischen wie des christlichen. Selten, und fast nur bei den
Christen, begegnen wir dem Ausdrucke dormio, so alt auch bei
den ftriechen die Vergleichung von Tod luid Schlaf ist. Daneben
giebt es indessen nocli eine Reihe sinnverwandter Verba, welche
gelegentlich Verwendung gefunden haben: pono, loco, sepnlcro
^tumulo' condo, mando; iaceo, cubo. Nebeneinander haben
sich die Situs- und die Qu iesco formein bis zum siebenten imd
achten Jahrhundert nach Christus erhalten, nur hat die letztere
mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion eine starke
Zunahme erfahren. Der Unterschied tritt namentlich in den
prosaischen Grabschriften hervor, in welchen der Gebrauch von
situs fast ausschliefslich heidnisch, der von quiesco vorwiegend
christlich ist.
Historische Entwicklung. Den frühesten Beleg bietet
uns das Epigramm auf den im Jahre 183 verstorbenen Scipio
Africanus:
Hie est ille situs, cui nemo civi' neque hostis
Quivit pro factis reddere opis pretium.
wozu Cic. leg. 2, 57: vere; nam siti dicuntur ei qni conditi (be-
graben, nicht verbrannt) sunt. Dann erscheint die Formel wieder
in der satumischen Grabschrift auf einen jüngeren Scipio:
Is hie situs, quei numciuam victus est virtutei.
und nochmals bei Lucilius sat. 22, 2 M.
Lucili columella hie situ' Metrophanes.
Aul'serdem liefern die bis zum Tode Caesars herabreichenden
Inschriften noch 22 Beispiele. Die Formel findet sich nicht nur
Znr Phraseologie der lateinischen Grabinschriften. 217
in Rom und Formiae^ sondern auch in Capua und Xeapel; das
Hilfsverb kann, wie hei Lucilius, weghleihen. Nach Caesar über-
wog sie in den Inschriften wie bei den Autoren; beispielsweise
fand sie sich im Mausoleum des Augustus. Unter etwa ()S5() Bei-
spielen von Situs in Prosainschriften sind nur ungefähr 12 christ-
lichen Ursprunges, wogegen unter 119 Beispielen von situs in
metrischen Grabschriften 15 als christlich bezeichnet werden. Die
Formel ist also in der christlichen Poesie 70 mal häufiger als in
der Prosa.
Geographische Verbreitung, Bin Beweis für die Volks-
tümlichkeit der Situsformel ist das Vorkommen derselben in den
meisten zum römischen Reiche gehörigen Provinzen Euroj)as und
Afrikas. Am beliebtesten scheint sie in Hispanien gewesen zu
sein, da sie unter 2387 Beispielen 1171 mal vorkommt. Dann
folgen der K^^ihe nach Afrika mit 39 Procent; Kleinasien, Syrien
und Arabien mit ^oProc: Nordost- Europa mit 17 Proc; Raetien
mit 11 Yj Proc; Britannien mit 9 Proc; (rallia Narb. Lugd. Aquit.
mit 4 Proc; das aufserrömische Italien mit Sardinien mit 2 Proc:
Rom mit ly^ Procent.
Bedeutung und Gehrauch im allgemeinen. Situs im
Sinne von positus, mit sächlichen Begriffen verbunden, kommt
noch bei Plautus vor; fortgepflanzt hat sich der Gebrauch des
I^articips in Verbindung mit Städtenamen im Sinne von ^gegründet,
gelegen'. Vgl. Plautus Aul. 615 aurum in tuo fano est situm,
woran noch die Bedeutung von situs, sitüs = Rost anknüpft.
Die Composita con situs und in situs sind sehr selten, teil-
weise sogar bestritten. So nahm Bürheler 488 (Tibur) eine Kon-
jektur Gruters auf:
hie in flore cubat longum securus in aevom
post ter vicenos et tres bene conditus annos.
obschon der Stein S'onsitus' giebt; Bücheier hat denn auch in
einer Anmerkung zu 973 V. 2 die Konjektur zurückgenommen
und schon in der Note zu 488, 5 Zweifel geäufsert: an floris
omatu inductus hoc fconsitus) scripter uovavit pro ^situs'V
Er leitet also consitus von consero, consevi = anpflanzen ab
und bringt es damit in Verbindung, dal's Blumen auf dem Grabe
blühen. Allein den richtigeren Weg zeigt uns N. 973, 2
ossua dum cemis consita maesta mihi,
weil die Prosainschrift des Steines lautet: Lezbiae ossa hie sita
sunt. Damach ist das Compositum blofs metri causa im Sinne
218 J. E. Church jun.:
des Simplex gesetzt, was denn auch für N. 488 gilt. Diese Ver-
mutung, daCs consitus = situs beerdigt zu fassen sei, ist durch
die Auffindung des Testamentum Basileeuse (Wilmanns, Ezempla
N. 315) im Jahre 1863 bestätigt worden; in demselben wird der
Tote Zeile 26 bezeichnet mit: combustus sepultusve confossusTe
{^=z contbdiendo terram in fossa oder fovea locatus) conditusTe
<M>nsitu8Ye bezeichnet, wobei die Liebe zur Allitteration die Wahl
iles Ausdruckes beeinfluTst haben mag. Um so weniger ist es zu
begreifen, daTs Henzen imd Kellennann consitusve verwerfen
konnten.
Viel auffallender ist Corp. inscr. VI (Rom) 6421
Ghryseros ... hie insitus est.
Die Beziehung auf den Gärtner wäre hier zwar besonders leicht,
da insero = einpfropfen terminus technicus geworden ist. Allein
wir werden auch hier die Grundbedeutung nou situs anerkennen
und in der Präposition nur einen Hinweis auf den Ort der Be-
stattung finden, im Sinne von inlatus. Corp. VI 1579 (in colum-
bario) hie ego sum inlata. XIV 3328 (Latium) ossa inlata. Die
Grabsehrift auf Chryseros bezieht sich gleichfalls auf ein Colum-
barium.
TJic Sititsf'ormcl in ihrer Beziehung/ zur Vcrhrennumj.
Die Frage, seit wann situs auf die Beisetzimg der Asche bezogen
worden sei, ist kontrovers und äufserst schwierig. Cicero be-
hauptet, dais Ennius richtig situs auf das Begräbnis beziehe, ob-
wohl er hinzufügt, dal's man zu seiner Zeit allgemein angefangen
habe, humare von jeder Art der Bestattung zu gebrauchen, so-
gar v<m dem Versenken des Köri)ers in das Wasser. Die bekannte
Stelle de legibus 2,56 lautet: C. Mari sitas reliquias apud Anienem
dissipari inssit Sulla victor . . . (juod liaud scio an. timens ne suo
corpori possit accidere, primus e patriciis Conieliis igni voluit
cremari. Declarat enim Kimius de Africano: hie est ille situs.
Vere; uam siti dicuntur ii, qui conditi simt ... Et quod nunc
communiter in omnibus sepultis usu venit, ut humati dicantur,
id erat proj)rium tum in iis, quos huums iniecta contexerat. Soll
die Definition nur für die Enuiusstelle gelten, oder auch für den
Sprachgebrauch der Zeit CicerosV Man sollte doch glauben, dafs,
wenn humare trotz seiner Ableitung von humus auf jede Bei-
setzung ü])ertragen wurde, dies noch viel leichter bei situs mög-
licli war, welches von Haus aus keine Beziehung zur Erde hatte.
Darum iiukthten wir das Präsens dicuntur nicht interpretieren:
Zur Phraseologie der lateinischen GrabinBchriften. 219
heutzutage gebrauchen wir situs (ausschließlich) von der Be-
stattung, sondern yielmehr: situs bedeutet, etymologisch genommen,
so Tiel als (positus oder) conditus. Wollte wirklich Cicero von
dem Sprachgebrauch seiner Zeit sprechen, dann ist seine Definition
ungenau, da sie die schon durch Pacuvius bezeugte Bedeutungs-
entwicklung der Situsfonnel ignoriert. Die Grabschrift des Pacu-
yius lautet bei Gellius 1, 24, 4:
Adulescens, tametsi properas, hoc te saxulum*)
rogat ut se adspicias, deinde quod scriptumst legas.
hie sunt poetae Paeuvi Marci sita
ossa. hoc Yolebam nescius ne esses. vale.
In diesen Versen ist ein bestimmter Fortschritt über die von
Ennius festgelegten Grenzen wahrnehmbar; denn nicht nur werden
die sterblichen Überreste des Toten als Subjekt gedacht, im Gegen-
satze zur Person, sondern der Ausdruck ossa deutet auch, wie wir
später nachzuweisen versuchen werden, auf eine vorhergegangene
Verbrennung hin.
Wenn man auch die Grabschrifiien des Naevius, Ennius und
Plan tu 8 als unecht erklärt und dem Grammatiker Varro zugewiesen
hat, so dürfen doch diese Zweifel, wie Bücheier im Rhein. Mus. 37,
521 nachweist, schwerlich auf Pacuvius ausgedehnt werden, da
dessen Epitaphium durch eine Steininschrift, welche sich auf den
von Lucüius besungenen Granius bezieht und welche wir als
Nachahmung betrachten, als alt imd echt sich herausstellt, äie
steht bei Bücheier Carm. epigraph. 53 (Rom) und hat folgenden
Wortlaut:
ALulus| Granius M. 1. Stabilio praeco.
Rogat ut resistas, hospes, te hie tacitus lapis,
dum ostendit, quod mandavit, quoius umbram te|git].
pudentis hominis frugi cum magna flde,
praeconis Auli Grani sunt ossa heic sita.
tantum est. hoc voluit nescius ne esses. vale.
Da hier der Ausdruck * Nachbildung' zu schwach ist und
geradezu von Entlehnuug gesprochen werden niufs, so ist es wahr-
scheinlicher, dafs, wie Pacuvius älter ist als Granius, so auch die
Grabschrift auf den poeta Original, die auf den praeco Kopie sei.
Dazu kommt, dafs rogat ut, ohne dafs man von dem Subjekte
*; saxulum X'erbesseniiig von IJücheler statt saxum, nach Carm. epigr.
lat. 84».
220 J. K. Chiirch juii.:
oder dem angeredeten liospes etwas weil's, einen abrupten Anfang
bildet, während es an der S])itze des zweiten Verses genügend
vorbereitet ist und daher auch nicht verletzt; femer ist saxulum
(der unansehnliche Stein) signifikanter als das triviale lapis, und
endlich enthalten die Worte tametsi properas, welche dem Horaz
od. 1, 28^ 35 (quamquam festinas, uon est mora longa: lic^bit
iniecto ter pulvere curras) vorgeschwebt zu haben scheinen, einen
so feinen Gedanken, dafs wir ihn nur dem ()riginaldi<'hter, nicht
einem Nachahmer zusprechen können. Bei der engen Beziehung
beider Gedichte ist aber unbestreitbar, dafs, wenn die eine Grab-
inschrift sich auf Verbrennung bezieht, dies notwendig auch von
der anderen gelten mufs, da die betreffende Phrase (ossa mit
folgendem Genetiv hie sita sunt) dieselbe ist. Wenn Cicero die
beiden Inschriften nicht kannte, so soll ihm dies darum nicht zum
Vorwurfe gema(»ht werden.
Dafs aber Cicero selbst die Übertragung von situs auf die
Verbrennung*) für zulässig hielt, beweist er uns in einem Frag-
mente seiner Schrift de gloria (bei Gellius 15, 6), wo er die
bekannten homerischen Verse ( Ilias 7, 89 f) folgendermafsen
übersetzt:
Hie situs est vitae iam pridem lumina linquens,
qui quondam Hectoreo perculsus concidit ense:
fabitur haec aliquis, mea semper gloria vivet.
Denn da Homer nur an den Scheiterhaufen imd au die in
<ler Urne aufzubewahrenden Aschenreste denkt, und Cicero sich un-
möglich in Gegensatz zu seinem Vorbilde stellen kann, so kann
bei ihm situs nicht mehr eine Beziehung auf die Beerdigung
haben. Nachdem aber einmal die für den Anfang des Hexameters
passende Situsformel gefunden war imd sich eingebürgert hatte,
war es einfacher, sie mit übertragener Bedeutung beizubehalten,
als eine neue für die Verbrennung zu erfinden. Die Ansicht, dafs
situs stationär blieb imd in der ihm von Ennius zugewiesenen
KoUe beharrte, hat daher von dem Standpunkte der S])rachen-
entwickelung aus nur geringe Wahrscheinlichkeit.
Glücklicherweise brauchen wir uns dafür nicht blofs auf die
zwei poetischen Grabinschriften zu berufen, sondern es kommen
uns noch 7 prosaische zu Hilfe, welche in die Zeit vor Caesars
*; Über die Fiktion des ob reBectuin vgl. Varro ling. lat. 5, 23. Oic.
leg. 2, 57.
Zur Phraseologie der lateiniHchen Grabinschriften. 221
Tod fallen. Corp. inscr. 1 1202. 1204. 1205. 120(>. 1212. 1241.
1243. Sie zeigen alle die nämliche Formel: ossa heic sita sunt.
Nun könnte gegen unsere Erklärung eingewendet wenlen,
ossa brauche nicht auf die Feuerbestattung bezogen zu werden,
sondern es sei eine poetische Bezeichnung für den Körper. Das
gesamte uns vorliegende Beweismaterial, mit Ausnahme etwa einer
Stelle bei Vergil und einer bei Horaz, weist auf das Gegenteil
hin. Wahrscheinlich leitet der Ausdruck seinen Ursprung von
dem nach der Verbrennung stattfindenden Sammeln der Knochen
her, wobei das Wort ossa oder ossa et cineres die natürlichste
Bezeichnimg für die Überreste des Toten war. Vgl. (^^orp. inscr. VI
4060: hie est crematus: ossa relata domi. Die Knochen werden
eingewickelt, während trineres sich auf die Überreste der Fleisch-
teile bezieht. Den entsprechenden Ausdruck ocfraa in Verbindung
mit der Aschenume linden wir schon bei Homer in der Schilde-
rung der Bestattung des Patroklos und Hektor, llias 23. 70.
2n(^{. 24, 782f
Dafs der Ausdruck ossa auf den altrömischen Grabumen
nirgends zu finden ist (vgl. Corp. I 822—1005. I S. 28, N. 74
— 165), bildet keinen Beweis gegen die Richtigkeit der hier ent
wickelten Ansicht, da diese Urnen aufser dem Namen des Ver-
storbenen und der Angabe des Todestages (wobei indessen das
Jahr nicht erwähnt wirdj keinerlei Formeln enthalten. Dagegen
spricht das Zeugnis der Columbarien, welche der Periode nach
Caesars Tod angehören, also einer Zeit, in welelier die Grabschrift-
formeln schon sehr ausgebildet waren, durchaus zu Gunsten unserer
Theorie. Unter etwa 3800 Inschriften ( Corp. VI 4r)03— 8040 )
kommt das Wort ossa öOmal, und in Verbindung mit sita 58 mal
vor, während das persönliche Subjekt ölJmal auftritt. Diese That-
sache macht es wahrscheinlich, dafs ein beträchtlicher Teil der
unbestimmbaren Inschriften, welche nur das persönliclie Subjekt
zeigen, sich auf Verbrennung bezogen.
In den Grabinschriften der Scipionen, welche l)ekanntlich be-
erdigt worden sind (^der Diktator Sulla war der erste, welcher
sich verbrennen liefs), kommt ossa nirgends vor, sondern nur das
persönliche Subjekt; im Gegensatze dazu finden wir in den Grab-
schriften des Mausoleums ininciesteus viermal die Formel ossa
illius, und drei von diesen Fällen beziehen sich sicher, einer
wahrscheinlich auf Verbrennung. Dahin gehört die Grabschrift
auf den Kaiser Tiberius, welcher nach Sueton Til). 75 Ccorims
222 J. E. Church jun.:
Komani per milites deportatum ent crematumque publico ftmere)
verbrannt worden ist. Sie lautet: Ossa Ti. Caesaris Divi Aug.
F. Augusti pontificis maximi trib. pot. TTXXIIX imp. VIII cos. V.
Aus dem Corp. inscr. reihen sich an VI 886 ossa Agrippinae M.
Agrippae [f.], womit zu verbinden ist Tac. ann. 6, 25 und Sueton
Calig. 15; ossa Neronis Caesaris Germanici Caesaris f. (vgl. Suet.
Tib. 54. Cal. 15) und Corp. VI 884 ossa C. Caesaris Augusti f.
principis iuventutis.
Seine erste Anwendung dürfte der Ausdruck ossa in den In-
schriften gefimden haben, welche man an den zur Aufnahme der
Asche und Knochen bestimmten Grabgewölben anbrachte , so in
der Inschrift auf Aulus Granius und in 7 Inschriften (vgl. oben
S. 220) Campaniens, welchen man dann auch wegen der Ähnlich-
keit mit der Graniusinschrift die auf Pacuvius wird hinzufügen
dürieu.
Ohne hier auf die Sepulkralaltertünier näher einzugehen, er-
wähnen wir nur, dafs man zweierlei Arten von Gräbern unter-
scheidet, das bustum und das sepulcrum. In dem bustum (Brand-
grab) wurde der Verstorbene sowohl verbrannt als bestattet.
Aufschlufs geben uns darüber ("ic. leg. 2, 57. Fest Paul. s. v.
bustum. (B. dicitur locus, in quo mortuus est combustus et
sepultus) Serv. Aen. 11, 201. Eine anschauliche Schilaerung ver-
danken wir dem Prop. 3, 5, 15 M.
Deinde, ul)i suppositus cinerem me feeerit urdor,
accipiat Manes parvola testa meos.
Et sit in exiguo laurus super addita busto,
quae tegat extincti funeris umbra locum.
Et duo sint versus, 'qui nunc iacet horrida pulvis,
unius hie quondam servus amoris erat'.
Vgl. auch Verg. Aen. 6, 226. 3, 63. Luc. Phars. 8, 392. 791 ö.
Das Sepulcrum (die Gruft) fällt räumlich nicht mit dem
Verbrennungsplatze zusammen und dient zur Aufnahme der Aschen-
reste (ossa et cineres). Auf dieses bezieht sich Lygd. 3, 2, 17 ff.
Pars quae sola mei superabit corporis, ossa
incinctae nigra Candida veste legent
atque in marmorea ponere sicca domo.
Die Thatsache, dafs die Urne aus Marmor ist, darf wohl als Be-
w«^is gelten, dafs sie nicht in der Erde, wie die testa des Properz,
Zar Phraseologie der lateinischen Grabinschriften. 223
sondern in einer Grruft aufbewahrt werden sollte. Tibull 1, 3, 5
änfsert sich folgendermafsen:
Abstineas, Mors atra^ precor: non hie mihi mater,
quae legat in maestos ossa pemsta sinus,
Non sbror, Assyrios cineri quae dedat odores
et fleat effusis ante sepulcra comis.
Keine Anhaltspunkte f&r die Bestattungsart liefern uns Catull 101
und Ovid am. 3, 9^ ()7. metam. 4^ 166. trist. 3^ 3, 66.
In der von uns vertretenen Ansicht dürfte auch der Schlüssel
zur Erklänmg der Gröfse (oder Kleinheit) vieler römischer Grab-
gewölbe liegen, in welchen imerwartet viele Tote Platz finden
müssen. So wird (Wilmanns N. 283) ein acht Quadratfufs mes-
sendes Gral) (pro portionibus^ qua quis testamento eins scriptus
est) für den Eigentümer, dessen Erben und Freigelassene männ-
lichen wie weiblichen Geschlechtes nebst deren Nachkommen
reserviert; es handelte sich also wohl um ein Gewölbe mit Nischen
zur Einstellung der Urnen.
Wahrscheinlich ist also der Aasdruck ossa auf diese beiden
Arten von Gräbern zurückzuführen; es entspricht dann unserem 'die
Gebeine*. Signifikante Beispiele liefert Bücheier 1075 (Campanien ) :
Sta lapis in longum et luctu defletu parentuni
ne preme^ nam teneri corporis ossa tegis.
ossa parens maculat lacrumis cinereiuq. fatigtit
fletibus : heu Bebryx sie miserande iaces.
Buch. 1234 (Caesarea Mauret.;
Hie lapis ossa tegit miseri collecta Philonis.
Ausnahmsweise wird freilich ossa auch in einem anderen Sinne
gebraucht, doch lassen sich dafür nur zwei Stellen aus Vergil und
Horaz anführen, welche sich beide auf den ungew()hnlichen Tod
durch Schiffbruch beziehen. Bekannt ist das Beispiel aus der
Archytasode des Horaz 1, ^JH, 23
At tu, nauta, vagae ne j)arce nialignus harenae
ossibus et capiti inhumato
particulam dare etc.
Das andere steht im sechsten Buche der Aeneide, V. 379 ff. Paliu-
urus ersucht den Aeneas um eine Überfahrt über den Stvx,
worauf die Sibylle folgende iVntwort giebt:
Prodigiis acti caelestibus, ossa piabunt
et statuent tumiüum et tumulo sollemnia niittent
aeternumque locus Palinuri iiomeu habebit.
224 J- K« Church jun.:
lu diesem Falle ist wohl ossa nichts anderes als ein dichterischer
Ausdruck für den zum Skelett abgemagerten Körper: namentlich
pafst dies für Horaz. Yergil^ dessen Anschauungen sich so oft
mit Homer berühren, wird eher an das Verbrennen des Leichnams
und die damit verbundene Errichtung eines (ifrabhügels gedacht
haben. Dafs in der christlichen Zeit, wo die Verbrennung über-
haupt zurückging, ossa den der Erde übergebenen Leichnam be-
zeichnen konnte, ist nach den Gesetzen der Bedeutungsentwicklnng
an sieh anzunehmen, und in diesem Sinne wird man die ver-
breitete Formel
Te, lapis, obtestor, leviter super ossa quiescas.
verstehen dürfen.
Um also zu der Cicerostelle de leg. 2, 57 zurückzukehren, so
müssen wir bekennen, dafs die Einschränkung der Situsformel auf
die Beerdigung für die Zeit des Ennius richtig sein wird und
auch noch für die Periode Ciceros dem vorwiegenden Sprach-
gebrauche entsprach, dafs aber schon vor Cicero dieselbe in Ver-
bindung mit ossa und sogar früher als humare auf die Verbrennung
übertragen worden war, ein Gebrauch, welcher in dem halben
Jahrhundert vor Christi (ieburt zu mächtiger Entfaltung gelaugte.
Sogar conditus, welches Cicero als gleichwertig mit situs fafste,
ist auf die Verbrennung übertragen worden nach Plin. nat. bist. 7»
1H7: ipsum cremare apud Romanos non fuit veteris instituti;
terra eondebantur . . . sepultus vero intellegitur quoquo modo
ccmditus, humatus vero humo contectus. So schon Lygd. }\, 2, 0.
Ergo cum tenuem fuero mutatus in umbram
candidaque ossa super nigra favilla teget,
ante meum veniat hmgos ineompta capillos
et ileat ante meum maesta Neaera rogum . . .
sie ego componi versus in ossa velim . . .
Lygdamus hie situs est: dolor huic et cura Neaerae
coniugis ereptae causa perire fuit.
Zahlreiche Bestätigungen ergeben sich auch aus den Columbarien,.
so Bücheier 099 (Rom. in columbario familiae Statiliae)
Hie est ille situs, qui qualis amicus »amico
(plaque lide fuerit, mors fuit indicio.
Der Unterschied, welchen ("icero aus der Formel herausgefühlt
hatte als dem auf die Beerdigung bezüglichen Ausdrucke, war
also damals verwischt.
Unter den verschiedenen lateinischen Formeln von Grab-
Zur Phri^8eologie der lateinischen Grabinschriften. 225
Schriften ist die Situsformel eine der kältesten und düstersten^ da
sie selten einen yersöhnenden Zusatz bei sich hat, wie dies bei
der Qiiiescoformel der Fall ist. Von den zwei Ausnahmen ist die
eine: bene consitas schon oben S. 217 besprochen; die andere,
christliche, stammt aus Latium und lautet Corp. XIV 1896
hie s[ita] in pace.
Beide in ilieser Verbindung ungewöhnlichen Ausdrücke, bene wie
in pace, sind als Übertragungen aus der Quiescoformel aufzufassen.
Betrachten wir die Situsformel von dem yrammaiischen
StandpnnJcte^ so sind das Subjekt und die verbalen Bestandteile
auseinanderzuhalten.
Das Subjekt ist meistenteils ein persönliches, unter 119
poetischen Beispielen trifft dies fÖr 108 zu; unter 756 prosaischen
öölmal, wogegen 203 das Subjekt ossu bieten. Selbstverständlich
hat die Dichtersprache mehr synonyme Ausdrücke entw^ickelt, wie
corpus, Corpora, corpusculum (hinfälliger Leib), membra, funus,
während die Prosa sich auf corpus und reliquiae beschränkt. In
der Grabschrift bei Buch. i:U6 (Rom? a. H93 post Chr.)
Hie funus crudele situm primaque iubenta
ereptus iubenis limina mortis adiit.
ist wohl ein Anklang au Verg. Aen. 11, 53 zu erkennen.
infelix nati fimns crudele videbisl
[Vgl. Aen. 4, 30H crudeli funere = cruda morte, id est ante
diem nach (.'orp. gloss. IV 43r), 21 Die Red.|
Die Verbal formen sind wenig über das Perfekt mit Pnisens-
bedeutuug situs est hinausgeg*angen. Ausnahmsweise treffen wir
das Plusquamperfekt Konjunktiv, den Inün. perf.; einigemal auch
das blofse Parti(*ip situs. Aufserdem kann das Hilfsverbum esse
ausgelassen werden, namentlich im Indikativ, wofür eine Scipionen-
inschrift das älteste Beispiel liefert:
Is hir situs quei numquam victus est vii*tutei.
Noch häutiger ist dies in der Prosa der Fall, und durchaus nicht
etwa blofs in llom und Umgebung. An der Spitze steht hier
Lucilius sat. 22, 2 .M.
Lucili columella hie situ' Metrophanes.
Unter 260 solchen Beispielen ist die Ortsbestimmung (hie)
122 mal weggelassen. Wie sehr diese Grrabschriften zu Formeln
herabsanken, beweisen Abkürzungen wie 0. S. (ossa sita), in
Hispanien Hie S.
Die normale War f Stillung ist: hie situs est. Unter den
226 J. K. Church jun.:
Abweichimgeii ragt hervor: hie est situn^ auch iu Prosa; be-
ziehungsweise: hie sum situS; z. B. Büeh. 484^ 15 (Pisaurum).
Ennius begann den Hexameter bekanntlich mit: hie est ille situs,
und mit ihm stimmen manche Inschriften bei Bücheler, z. B. 368
(Rom). 1025 (Tibur). Eine weitere Variation bildet Buch. 1170
(Rom):
EUc iacet ille situs Marcus^ formonsior ullo.
Oft begegnet abgekürzt H. E. 8. = hie est situs. Auch andere
Umstellungen kommen vor^ wie: situs est hie, est hi(*, situs, situs
hie est, wozu der Leser die Belege, falls er ihrer bedarf, bei dem
Verfasser nachschlagen möge.
2. Die Quiescoformel.
Das älteste Beispiel des Verbalgebrauehes bietet ein Vers bei
Ennius, in welchem Thyestes den Atreus verwünscht (Ml MüU.
= Cic. Tusc. 1, 107)
neque sepulerum quod recipiat habeat, portum corporis,
ubi remissa humana vita corpus requiesrat malis.
Als technischer Ausdruck begegnet uns das Wort 1 V4 Jahrhunderte
später bei den augusteischen Dichtem. Vgl. Verg. bucol. 10 3-->
o mihi tum quam molliter ossa quiescant.
TibuU 2, 4, 49
Et ^bene' discedens dicet 'placideque quiescas,
Terraque securae sit super ossa levis'.
Ovid amor. 3, 9, 67
ossa quieta, precor, tuta requiescite in uma,
Et sit humus cineri nononerosa tuo!
Dazu kommen noch Ov. met. 4, 166. Martial 1, 98 1. 10, 61, 1.
Hiermit vergleiche man die nachstehenden Inschriften auf Stein
und den Einflul's Ovids.
Buch. Epigr. 479 (Afrika) V. 9
sit t[ibij t[erra] levis et molliter ossa quiescant.
ibid. IHO (Rom) V. 3
ut ossa eius quae hie sita sunt, bene (|uiescant.
ibid. 1242 (Afrika) 1, 2
Ossa quieta precor Zopyri requiescite in uma
Et sit humus cineri non onerosa [levij.
Auch in prosaischen Inschriften finden wir poetische Anklänge,
so in Corp. inscr. VI 7398 an Buch. N. ISO. Da uns das seltene
Compositum adquiesco schon im ersten Jahrhundert nach Ohr.
Zur Phraseologie der lateinischen G-rabinschriften. 227
begegnet^ so kann man daraus nur schliefsen^ dafs quiesco und
requiesco bedeutend älter sein mufsten. Vorchristliche Belege
haben wir im Corp. I, 1064 (Rom), 1489 (Narbo) und bei Bücheier
536 (Sardinien); in der Litteratur vor Caesars Tod unseres Wissens
keinen. Ja da Lucr. 3, 211. 939 nur von der secura quies spricht,
Cic. Catil. 4, 7 in einer poetisch gehobenen Stelle nur von dem
Tode als laborum quies, so dürfen wir darauf die Vermutung
gründen, dafs die Entstehung der Quiescoformel etwa in das
zweite Viertel des ersten Jahrhunderts vor Chr. zu setzen sei.
Wie weit dem Ausdrucke ein griechischer Tropus entspricht, ist
nicht genauer untersucht; doch findet man im Corp. inscr. gr.
genau entsprechende Beispiele von avanavBö^ai: 1973 Macedonien;
4623 Syrien; 824 Neapel. Vgl. auch Ep. Hebr. 4, 3 xataTtavtSig.
Doch sind diese Beispiele wahrscheinlich so jung, dafs sie eher
als Nachbildungen des Lateinischen zu betrachten sind.
Ob aber quiesco oder requiesco die PrioriiÄt zu bean-
spruchen habe, ist schwer zu sagen. Der oben citicrte Vers des
Ennius beweist darum nicht viel, weil die Allitteration mit re-
cipere und remittere die Wahl des Compositums bestimmt haben
wird. Im ganzen kommt quiesco etwas häufiger vor (288 mal),
requiesco weniger häufig (236 mal); die Blütezeit von beiden fallt
in die christliche Periode, die von requiesco in die christliche. In
der Poesie spielt die Rücksicht auf das Metrum eine Rolle, z. B.
in dem Hexameterschlusse: in pace quiescit (quiescat). Buch.
r)84, 10. 689. 690. 724, 8. 732, 2. 737, 10. 765, 3. 1837, 7.
Die Substantiva quies und requies haben keinen festen Be-
standteil einer Formel gebildet: beide sind in den lieidnischen
Inschriften nahezu gleich häufig (15 : 14), bei den Christen über-
wiegt requies um das Doppelte.
Adquiesco und conquiesco gehören schon der heidnischen
Periode an, wahrscheinlich dem Ende des letzten vorchristlichen
Jahrhunderts; sie sind jedoch sehr selten. Adquiesco tritt blofs
in Jamben auf (Buch. 90. 94. 179. 1538), da es für das daktylische
Versmafs unbrauchbar ist. In Prosa ist es wenig über Rom und
die angrenzenden Landschaften (Corp. VI 7398. 22735. 24227.
25022. 25538 etc. X 2,-]54) hinausgekommen; doch haben das
cisalpinische und narbonensiscrhe (xallien noch einige Beispiele er-
halten, Corp. V 7386. 7392. XII H45. 855«. 3325. Aus der Litte-
ratur können wir Nepos Hann. 13 anführen (perfunctus laboribus
acquievit) und Tac. aim. 14, 64 (nondum morte adquiescebat), wo
228 J- K. Church jun.:
man das Yerbum mit ^entschlafen' übersetzen kann^ während
Valerius Maximus 2, 7, 15 (cineres eins adguiescunfi das Präsens
durchaus nach dem Stile der Inschriften gebraucht.
Conquiesco kommt nur in einer einzigen metrischen und
in zwei prosaischen Inschriften vor: man kann es mit dem oben
besprochenen consitun = situs zusammenhalten. Ganz überflüssig
ist vielleicht die Präposition freilich auch ni(*ht; denn das Yerbum
bedeutet dann ^S(*hlafen^^ während quiesco unter Umständen nur
bedeutet: ^ausgestreckt liegen', wie wir auch 'ruhen' gebrauchen.
Von einem Kinde lesen wir (Buch. 98, 4 [Parma]):
hie conquiescit cunis terrae moUibus.
womit man vergleiche Cic. ün. O; 55 videmus, ut conquiescere ne
infantes quidem possint.
Zweifelhaft ist Corp. II 3015 (Colouia lulia Hispan.)
ooN^ . viES II ( ;entes.
Mommsen glaubt, dafs es vielleicht heilsen müsse: coniuges Cel-
senses; doch werden wir besser an dem Ptirticipe festhalten und
uns dafür auf Corp. VI (Rom) 25433 berufen:
LOOVM IN QVO CO[NQVIESrVNT|.
Um annährend einige zeitliche Grenzen zu bestimmen, müssen
wir die Litteratur beiziehen, so Cic. Rose. Am. 72, wo es von den
Vatermördern heifst: ut ne ad saxa quidem mortui conquiescant.
Liv. 21, 10, 3 non manes, non stirpem eins conquiescere viri
(Hamilcar). Doch wird das Wort, wie es scheint, auch von der
^siesta' gebraucht bei (-aes. Gall . 7, 46 in tabemac^ulo oppressus,
ut meridie conquieverat. Suet. Aug. 78 ronquiescere paulisper
})Ost cibum meridianum.
Die geographische Verbreitung, Wie die Beispiele der
Quiescoformel bis zum Ende des G. Jahrhunderts nur ein Fünftel
<ler Situsfomiel ausmachen (1373 : 61K)6), so ist sie auch örtlich
viel mehr beschränkt, indem aus Ägypten gar kein Beispiel vor-
liegt, aus Kleinasien ( (lalatien. Corp. III 276 ) ein einziges. Auch
in Nordosteuropa ist sie selten, dagegen in Afrika nicht weit
hinter der Quiescofomiel zurückstehend. Am beliebtesten .scheint
sie in Gallia Narbon. Lugdun. und Aquitanien gewesen zu sein;
darauf folgen Afrika, dai's aufserrömische Italien, Hispanien u. s. w.
Die Bedeutung. Dal's schon im klassischen Latein zwischen
quies imd requios kein Unterschied bestand, lehrt eine Vergleichung
von i'icero mit Sallust. In der Senatsdebatte über die Bestrafung
der Catiliuarier sagte Caesar nach <-ic. Cat. 4, 7 mortem (esse)
Zur Phraseologie der lateinischen Grabinschriften. 229
laborum ac miäeriarnni quietem^ nach Sali. Cat. 51^ 20 mortem
aemmnarum (dieses Wort entspricht dem Geschmacke des SaUast)
requiem esse. So wechseln denn auch in den Inschriften quiesco
und requiesco, ohiu» dais sich ein durchgreifender Unterschied fest-
stellen liefse. Das beweisen auch die romanischen Sprachen^ indem
das neufranzösische remplir nicht mehr bedeutet als das lateinische
implere^ recommander nicht mehr als commendare.
Bezeichnet quiesco oder requiesco die Ruhe des Körpers im
Grabe, so steht es meist im Präsens^ selten im Futurum; tritt es
dagegen in der Perfektform auf, so bezeichnet es als Inchoativum
das Anfangen der Ruhe, das ^Entschlafen'. Im Änsclilufs daran
steht bei Dichtem quies geradezu für den Tod. Prop. 2, 21^7 si forte
tibi properarint fata quietem. Sen. Oed. 7^4. Buch. 12H2, 1 (Rom):
immatura quies quos apstulit, hie siti sunt tres.
Martial 10, Ol, 1 Hie festinata requiescit Erotion umbra.
Dir Vcrhrrntninf/, Schon in den iUtesten uns bekannten
Beispielen kommt quiesco ebenso mit persönlichem Subjekte wie
mit dem Subjekte ossa vor: das letztere kann nach unserer An-
sicht nur auf Verbrennung gedeutet werden, und diese Verbindung
finden wir bei Verg. Aen. 0, :'>27. Tib, 2, 4, 41). 2, f), 29. Ov. met.4,
1H6. Ibis i\Ol. Lukan nimmt als Subjekt cineres, S, <>9H
Et regum cineres extructo monte quiescant.
^, 76^< non hac in sede quiescent | tam sacri cineres.
Dafs aber in *ossa' der perscJnliche Begriif mit enthalten ist, er-
kennen wir namentlich aus der Grabschrift bei Bücheier 1191
(Arelate), V. 9
ossa tuis urnis optamus (hthr quiescant.
Beide Substantive sind verbimden bei Buch. 884 (Rom. in umula
marmorea)
ossa piia cineresque sacri hie ecce quiescunt.
J)as (iefiihl des hcfrirdiyttv Wunsches. Von den metrischen
Grabschriften der heidnischen Zeit läfat sich sagen, dafs etwa ein
Drittel die Ruhe weder als etwas Erwünschtes, noch als etwas
nicht Erwünschtes bezeichnet; in einigen wenigen spricht sich
sogar eine Unzufriedenheit aus, so Buch. I0o5, 9 (Beneventum)
Nunc ita in aeterna requiesco se[de sepulta]
et üneni fati conqueror ipsa mei.
Buch. 1170, IH (Ariminumi
Fortuna invisa est, spes est frustrata parentes,
mors cuncta eripuit, dira quies hominum.
ArcbiT für l»t. Lexikogr. XII. Heft 2. 16
230 J. K. Church jun.:
In den anderen zwei Dritteln gelangt das OefÜhl der Befriedigung
zum Ausdrucke; besonders in den christlichen Inschriften.
Die Untersuchung der prosaischen Inschriften führt zu fol-
genden Ergebnissen. In den heidnischen wird quiesco in bonam
partem gebraucht oder auch durch bene naher bestimmt^ z. B. in
der Wunschformel Arcadi ossa bene quiescant. Dem entspricht
das zu quies hinzutretende Adjektiv bonus^ z. B. Corp. VIII 3200
dis Manibus sacrum et bonae quieti Ameliae. Selten sind andere
Verbindungen, wie Corp. III ^76 TAncyra): D. M. Repentina hoc
tumnlo requiescit ab umanis soUicitudinibus. Der christliche Aus-
druck für die selige Buhe ist ^in pace'; aber auch wo dieser
Zusatz fehlt, wird das einfache Verbum quiesco in diesem präg-
nanten Sinne verstanden. Erweiterungen der Formel sind: semper
in pace, in Christi pace, cum bona pace, cum pac« perenni.
Unserer Formel 'ruhe sanft' entsprechen folgende Ausdrücke:
securus (Bücheier 375. 513. ()(>2. 1121): leviter (1192A. 1470.
1472); placidus (541. (;84); gratus (492. 706); molliter (479i;
dulce (1191 V. 9. 1247 ; [inlfloribus (492. 1636 V. 26); recubans
(1106); manibus placidis (559); in gloria (!>19); alma (1407);
mitissima (1416 V. 7). Von diesen sind securus, placidus und
gratus sowohl heidnisch wie christlieh. In floribus ist buchstäb-
lich auf die Blumen zu beziehen, mit welchen das Grab bepflanzt
ist, während es heutzutage auch bildlich von einem genufsreichen
Leben gebraucht wird. Die poetischen (Trabinschriften enthalten
eine viel reichere Phraseologie als die prosaischen.
Die Teilr der Formel, Das Verbum. Neben quiesco
kommt noch requiesco in Betracht, selten adquiesco und
conquiesco.
In der Wunschformol tritt das Verbum meist im Konjunktiv
auf, zuweilen aucli im Imperativ; das Subjekt ist dann gewöhnlich
ossa, seltener cineres oder membra, oder auch ein persönliches,
und als Adver)> gesellt sich dazu bene, welches die Dichter vari-
ieren, z. B. Ovid Ib. l\i)l felicius ossa quiescant; am. 3, 9, 67 ossa
<(uieta, preror, tuta re({uies(»ite in urna. Buch. 492, 1 floribus ut
saltem requiescant membra iucundis: 7)^2, 2 semper in pace
quiescat; 737, 10 jam vale perpetuo dulcis et in pace quiesce.
Die VVunschformel ist fast so alt als die Affirmativformel, da
sie schon bei Vergil, TibuU und Ovid vorkommt, doch ist sie im
grofsen (janzen auf die heidnischen Inschriften beschränkt. Die
meisten Beispiele treffen auf Italien und Afrika, imd in letzterem
Zur Phraseologie der lateinischen Grabinschriften. 231
Lande ist sie so einheimisch, dafs sie häufiger abgekürzt wird
als in Italien. DaTs die Christen die Affirmativformel vorzogen,
ist ein Ausflufs ihres Glaubens; sie brauchten nicht zu wünschen,
weil sie eine feste Zuversicht hatten. Gleichwohl gebrauchten sie
auch den Konjunktiv, weil sie sich durch die heidnischen Vorbilder
beeinflussen liefseu. Viel später, wahrscheinlich erst zwischen dem
achten und zwölften Jahrhundert, bürgerten sieh in Spanien und
den Rheinlanden zwei christliche Formeln ein: requiescat in pace
imd tibi sit requies. — Adquiesco empfahl sich für das jambische
Metrum: bene adquiescas etc. — Bene requiescat ist im Verse
unmöglich und in Prosa selten; daher pflegt der AdverbialbegriflP
eine andere Form anzunehmen. — Quiesc/> wird auch auf den
Stein bezogen:
Te, lapis, obtestor, leviter super ossa quiescas.
Die Variation Buch. 1470
Te, terra, optestor, leviter super ossa quiescas.
ist wahrscheinlich aus dem Einflüsse der Formel 'sit tibi terra
levis' zu erklären.
Mit der Affirmationsformel verbindet sieh gern das
Ortsadverb hie. Das Verbum steht in der Regel (78 mal unter
96 metrischen Beispielen) im Indikativ Präsens, und das Subjekt
ist meistenteils das persönliche. Ausnahme ist das Futurum; das
Perfekt requievit bedeutet: ist entschlafen, ist zur Ruhe eingegangen.
Vgl. Verg. Aen. H, 328
priusquam sedibus ossa quierunt.
Die Infinitivform steht im fünften Fufse des Hexameters:
faciant me quiescere tecum.
Hoc locü ergo meos elegi quiescere proles.
Das Particip lautet bald requiens, bald requiescens.
Das Vorwiegen des persönlichen Subjektes gilt ebenso für
die metrischen wie für die prosaischen Inschriften, und für die
heidnischen Gedichte mehr als für die christlichen. Die sächlichen
Subjekte sind der Häufigkeit nach geordnet: ossa, ossa et cinis,
cinis und reliquiae, honor; in den christlichen raembra, corpus,
ossa, aetas matura. In Prosaiuschriften sind ossa und corpus
namentlich heidnisch. Mit AUitteration sind verbunden Buch.
1354, 2 (Christi.)
sedibus en propriis mens pura et membra quieacunt.
Das Substantiv. Hier himdclt es sich zunächst um quies
und requies. In heidnischen Inschriften ist requies sehr selten.
10*
232 .T. K. Church jun.:
Quiea ist die Ruhe im (jrab<;, aber auch die Rulie im Elysium
oder im Paradiese, ja sogar das Grab selbst; von Adjektiven ver-
binden sich damit bonus (^entsprechend bene quiescere), perpetuus^
perennis und aeternus. Bei Buch. 1170, 14
mors cuncta eripuit, dira quies hominum
ist es wohl synonym mit Tod, und schon Lucr. 3, 211 verbindet
leti secura quies. Das Neue Testament liefert uns den griechischen
Parallelausdnick tiebr. 4, 3
aiöeQxofisd'K aig ri^v xara:idv(Siv oi ntötsvovtsg..
Die S])ra('he der Dichter hat die Zahl der Epitheta erweitert
durch: placida, grata, alma, alta, mitissima. — Xur die prosaischen
Inschriften zeigen uns die zwei Neubildungen requietio und
requietorium. Corp. inscr. V 1014 locum requietionis corporis,
und Orelli 4533 requietorium.
Das Adjektiv. Quietus findet sich nur auf poetischen
(irabschriften. Buch. 149(; (in Sabinis). 1237 (Afrika)
cum moriar, maneant ossa quieta mihi,
nach dem Vorbilde von Ovid am. 3, J), (57
ossa quieta, ])reeor, tuta requiescite in uma.
Buch. 1418, 4 (Rom)
in tu]mulo ])Osita pace quieta iacet.
Huebner, inscr. Hisp. 234 (tituli recentiores).
3. Der Ortsbezeichniing dient in der Regel das Adverb hie,
wie in den moderen Grabschriften Miier' oder ci = ici; besonders
häufig verbindet sich dieser Ausdruck mit der Situsformel: nomi-
nale Ortsbezeichnungen im Ablativ oder Lokativ sind viel seltener,
ünt^r 119 metrischen Beis])ielen erscheint hie 104mal, der Kasus
nur 13 mal. unter 7i>0 prosaischen Grabschriften finden wir hie
()24mal, synonvme Ausdrücke 47 mal. sodafs 129 ohne Ortsbe-
zeichnimg übrig bleiben, z. II die Verbindung ossa sita. In der
Quiescoformel ist die Ortsbezeichnung viel wenigier häufig; wir
treften sie unter 9G metrischen Beispielen nur 30 mal, den Ablativ
dagegen 24mal, keines von beiden an 42 Stellen.
Der Ablativ. Die Poesie zeigt mis in der Situsformel
namentlich tumulus, se]>ulcruni, sedes; auch ager (von einem be-
grabenen Pferde), olla, vas. Die prosaischen Inschriften liefern
zunächst zu agi'O das Analogon in hoc prato; dami in monumento,
in hoc loco. In Verbindung mit quiesco sind gebräuchlich
sepulcruni, tumulus, sedes, uma, locus; seltener solum, humus,
Zur Phraseologie der lateinischen Grabinschriften. 233
moleSy siuuS; gremium^ cuuae; spezifisch christlich sind aula. donius
und porticQS. Die Prosa verfügt nur über eine mäfsige Auswahl
aus diesem Schutze, während sie als neu hinzufügt: in hoc lapide
quiescit.
Viele Formeln erscheinen sowohl im blofsen Ablativ als auch
mit der Präposition in, seltener sub; die erstere Konstruktion
trifft etwa zwei Drittel sämtlicher Fälle. Die Erkläi-ung wird
man für die meisten Beispiele aus dem Versbedürfiiisse herleiten
müssen, nach dem Vorgange von Köne: nur liaben wir in der
Gräberpoesie nicht blofs mit dem Hexameter, sondern auch mit
Jamben und Trochäen zu rechnen. In tumulo fügt sich leicht
in die Daktylen, nicht aber in sepulcro, sondern nur clor Ablativ
sepulcro. Man vgl. Bücheier iM)9 (^Dalmatieu):
Non clausa in tumulo requiescunt ossa sepulcro.
Die Lage ändert sich jedoch durch das Hinzutreten eines Prono-
mens, wie Buch. 1399
Hoc situs est tumulo castus de semine casto.
und nochmals, wenn das Pronomen nicht auf das Substantiv l)e-
zogen ist, sondern Adverbial form annimmt Bücheier 64f) (Sardinien):
Hie situs in tumulo genitus nomeuque Valerius.
So bildeten sich gewisse Formeln aus, wie hoc iacet in tumulo,
oder hie iacet in tumulo; oder Buch. \2(}C) heu tumulo Donata
iaces, verglichen mit Buch. 499 hoc tumulo Pontiane iaces. Buch.
1318 (Ostia)
Hoc ego SU in tumulo Primus notissimus ille.
wird vermutet, statt su in sei zu lesen ^sum', und zur Unter-
stützung verwiesen auf Buch. 103G, 3
Hoc tumulo mmc sum etc.
So werden floribus, lapide, loculo, marmore, sarcophago, saxo,
solo, humo, tellure, titulo, urna, vaso belegt und besprochen von
dem Gesichtspunkte aus, ob die Hinzufügung der Präposition dem
Dichter palste oder nicht, auch mit Kücksicht auf die damit ver-
bundenen Verba, iaceo, condo, tego u. s. w. Die Schlufsfolgerungen
ergeben sich von selbst, und wo zahlreiche Belege vorliegen, sind
sie auch geradezu zwingend.
Aufserdem hat Verf. noch auf einen anderen Punkt sein
Augenmerk gerichtet, ob die der Ortsbezeichnung dienenden Sul)-
stantiva die logisch natürliche Singularform beibehalten, oder,
was ja den Dichtem erlaubt ist, die Pluralform annehmen. Es
trifft dies namentlich die Wörter: bustum, monumentuni, sf»pulcrum,
234 J. K. Church jun.:
templum, locus und tumulus. Mau sagt wohl, tomuli bezeichne
nicht den einzehien Grrabhügel im speziellen Falle^ sondern die
Grabhügel im allgemeinen^ und eine grofse Reihe von Beispielen
lälst sich so interpretieren, z.B. Buch. 133S (Rom):
Suscipe me sociam tumulis dulcissime coniux.
Buch. 424, 2 (Sassina):
Condite perpetuis tumulis sine lucis hiatu.
Buch. 1413, 13 (Mediolanum):
Domnica sed coniunx retinet commune sepulcnuu,
iuncta toris quondam iungitur et tumulis.
Buch. 1002, 1 (Rom) monunienta eitrema. 1375 sepulcra.
Wie genau die Sprache der Inschriften mit der Litteratur
stimmt, bezeugen folgende Stellen:
Ovid met. 11, 429
et saepe in tumulis sine corpore nomina legi.
Ovid ex Ponto 3, 4, TG
et desunt fatis sola sepulcra meis.
(^onsolatio ad Liviam 73
claudite iam, Parcae, nimium reserata sepulcra.
()7id met. S^ TOD
busta meae videam neu sini tumulandus ab illa.
Martial epigr. 9, 3(j, 5
cumque daret sanctam tumulis, quibus invidet, umam.
Die Erklärung aber suchen wir in der Hauptsache lieber in der
nietrisclien Technik als in der Theorie der sogen, 'allgemeinen
Bozeiclmungen'. Allerdings mufs zugegeben werden, dal's Stellen
übrig bleiben, welche sich nicht fiigen wollen, z. B. Bilch. 105T, 3
(Rom)
Pompeia his tumulis cognomine Eleutheris haeret.
Allein wenn der Versbau unter gewissen Umständen die J Mural-
form verlangt hatte, so gewöhnte man sich gedankenlos daran,
wie ja die silberne Prosa solche Plurale sich angeeignet hat, ob-
wohl kein Grund dazu vorlag. Lehrreich ist eine Stelle des
Propertius 3, o, 33iF. M., wo zuerst der Singular dem Sinne ent-
sprechend gesetzt ist und kurz darauf der durch den Vers erprefste
Plural desselben Wortes nachfolgt,
Et sit in exiguo laurus superaddita busto,
quae tegat extincti funeris umbra locum . . .
nee minus haec nostri notescet fama sepulcri,
quam florent Phthii busta cruenta viri.
Zur Phraseologie der lateinischen Grabinschriften. 235
Da efB sich um ein wirkliches Grab handelt^ so war ja eigentlich
der Singular geboten, was ja auch die Form sepulcri beweist.
Dasselbe ist der Fall bei Lucan b, 6G9
Est opus^ o superi; lacerum retiuete cadaver
fluctibus in mediis^ desint mihi busta rogusque.
Vgl. noch Seneca Troad. 370. 950. IIGO. 1174. Am Versschlusse
hat man lieber eine Länge als eine Kürze^ z. B. Prop. 5, 7, 2
Sunt aliquid Manes; letum non omnia finit,
luridaque eyictos effugit umbra rogos.
obschon hier auTserdem evictum Elision nach sich gezogen hätte.
Ist auch Eöne manchmal zu weit gegangen, so ist doch sein
Grundgedanke immer noch fruchtbar. So glaul)en wir denn, dals
hei Ovid trist. 3, 11, 25
Non sum ego, quod fueram: quid inaneni proteris umbramV
quid cinerem saxis bustaque nostra petisV
der Plural busta neben cinerem als Konzession aufzufassen sei,
wie nostra gegenüber ego statt mea. Weitere Belege zu busta
bieten Ovid Ibis 331 metam. 4, 88. Statins silv. ;">, 5, of). Meyer
Anthol. <>39.
Noch häufiger ist der Plural monumenta. N'^gl. Martial 11, 48
Silius haec magni celebrat monumenta Maronis.
Bücheier 1102 (Umbrien):
Parva quidem monumenta tibi pro munere vitae
fecimus et tumulo teximus ossa levi.
Buch. r)17. 2 (Afrika)
hunc tumulum vobis, Manes, monimeiitaque sacra
obsequiumiiue mei Yictoriiius vovi doloris.
Damit haben wir (Umi Weg geebnet, um an die Betrachtung
der Plural formen von lonis heranzutreten. Schon der Singular
ist gewissermafseu termiiius t^H^hnicus zur Bezeichnung des Be-
gnibnisplatzes oder des (irabes geworden. Corp. V 2915:
Hie locus ))atet in front, p. XX et a media fos
intro vers. p. XXV hunc locum monimentumque
diis Manibus do legoque.
Buch. 1(M>7. 2 (Rom)
immatura meo porlege fata loco.
wie auch in griechischen Grabschriften rönog im Simie von ^Trab'
gebraucht wird.*) Wichtig wird aber die Frage für die Interpre-
J
Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Frage geben wir noch
folgende Beispiele. Coq). in«cr. ÜI 3061 LOCVS SEPYLTVR . . ., IH Ö00(»
23G J. K. Church jnn.:
tation des bekannten Verses einer satumischen Scipioneninschrift:
is hie situs quei nnmquani victns est virtutei.
aunos gnatus XX is l|oc|eis mandatus.
Auf Grund der Angabe, dal's der erste erhaltene Buchstabe des
Dativs auch für die hasta von D gehalten werden könne, sind
verschiedene Konjekturen aufgestellt worden, wie Diteist oder
diveis, worunter Bücheier die Manen versteht. Da indessen die
Mehrzahl der Zeugen, welche den Stein geprüft haben, an L fest-
hält, so verdient die Konjektur Mommsens loceis mehr in Betracht
gezogen zu werden. Sie empfiehlt sich durch die Vergleichung
von Buch. 1085 (Rom)
Si quis forte legit titulum nomenque requirit.
Dorchadis inveniet ossa sepulta loco.
Buch. 3()7, 8 (Rom) condere ossa loco, an welchen Stellen locus
geradezu für ^Grab' gesetzt ist. Was aber die Verbindung mit
mandatus anbelangt, so haben wir eine Parallele bei Buch. 1189
(Pandateria)
Reliquiae cineris tumulo mandata quiescunt.
Dazu kommen Buch. 473, 3 (Mailand)
His requiesco locis, vi tarn cui fata negarunt
ac tumulo clusere gravi.
Bücheier 501 (Afiika)
Hisce locis Flori requiescunt ossa sepulta.
Der Plural niui's der Bedeutung nach als identisch mit dem Sin-
gular locus gefaist werden, da ja auch tunmli nur eine metrische
Variation zu tumulus ist; so bei Statins silv. 4, 4, 53
. . . magi tumulis adcanto magistri.
wo der Singular Hiatus oder Elision ergeben hätte. Statins
silv. 5, 3, 106
Pone super tumulos et magni funus alumni.
Bücheier 1181, 5 (Mutina)
ne patiare meis tumulis increscere silvas.
Bncheler 1370, 4 (Rom. 525 nach Chr.)
ne mala sit tumulis extera lingua tuis.
LOCVS M (= monumentimi? . V 90 LOC M. POSTVMI L. F. V 109G Loc.
primufi et loc. sccun. et loc. tert. H. S. T. (= dodit tres Iocor in sepnlcro
et-c.). VI 2183 libcrtis iitriusque Hexiis loca sinjfiila sepulturae causa . . .
M 9167 locus Antonini etc. VI 9919 Bücheier Carm. epigr. 1286 loc. L.
Oemini; 1821 loc(n8) faniil(iae) mit folgendem (renetiv; 1322 L. M. (locus
monumentnni?} Pelagiae etc.
Zur Phraseologie der latciniHchen GrabiiiBcliriften. 237
Und dadurch wurde der Plural zur Gewohnheit. Buch. 4())^, 1. 4
(Afrika)
saepe meis tuniulis avis Attica parvnila venit.
hie viridat tumulis taurus prope Delia iiostris.
Bei Büeheler 1170, 2 (' Ariminum )
marmoreisque meis his iaceo tumuliK
hätte das Verbum durch den Singular drei reimende Nomina
neben sich bekommen. Die Freiheit der Nachbildung wird er-
kannt^ wenn man das ältere Original liei Buch. 141.'> (Mailand)
mundo flente iacens conditur hoc tumulo
vergleicht mit dem Nachahmer Blich. 1412 (Mailand)
mortis sorte iacens ccmditur his tumulis.
Aus metrischen (Tründen jedenfalls erklärt sich der Plural
bei Buch. 1191, 9 (Arelate)
ossa tuis urnis optamus dulce quiescant.
Somit hoffen wir der Konjektur Mommsens loceis eine kräftige
Unterstützung geliehen zu haben.
Der Lokativ findet sich in Verbindung mit der Quiesco-
formel an einer einzigen Stelle, welche aber zugleich die Gram-
matik um ein neues Beispiel bereichert, wir meinen Buch. SOG
TLambaesis)
D. M. M. lulius Alexander veteranus leg. . . .
hie Situs est patriae.
Dazu bemerkt Wilmanns (Oorp. VIII 2885): verba Hiic patriae^
ad similitndinem locutionis ^hic loci' dictum esse puto. Die Kon-
struktion liefse sich dann zusammenstellen mit Apul. niet. 7, 2<i:
nee uspiam ruris reperitur ille. Aber dann wäre auch der Gedanke:
in hac patria oder in hac parte ])atriae, was der Verf. sicher nicht
gewollt hat; er wollte vielmehr sagen: hier ist er begraben, und
zwar in seinem Heimatland. Viele Soldaten wurden ja in frem-
der Erde begraben. Ahnliche Bestimmungen des Ortsadverbiuni.<
hie finden wir (ifters, z. B. Buch. 7t), 4 (Benevent)
hie osfsa in terra cubant.
Buch. 646 (Sardinien)
hie situs in tunmlo.
Buch. 98, 4 (Parma^
hie eonquiescit cunis teiTae mollibus.
Ans dem Bereiche der Litteratur kann man dem Lokativ terrae
zur Seite stellen den Vers Vergils Aen. 11, 598
238 J. K. Church jun,: Zur Phranrologio <1. lat. GrabinBchriften.
Post ego nube (rava miserandae corpus et arma
inspoliata feram tumulo patriaeque reponani.
Darüber äufsei-t sich Drager ihistor. Syntax I 574) dahin, dals
patriae Vohl Dativ' sei. Der Hexameter und die afrikanische
Inschrift berühren sich indessen darin, dafs an beiden Stellen von
einem Begräbnisse die Hede ist, und weil ja auch die beiden
Verben (sino — posino — pono — repono , wie quiesco — requiese< > i
zusammengehören. Somit bedeutet repono im technischen Sinne
^begraben', wie bei Prop. 1, 17, 11:
An poteris siccis mea fata reponere oceUis
ossaque nuUa tuo nostra teuere sinuV
Dieses reponere kcmstruiert aber Vergil Aen. (>, (JöH mit dem
Abhitiv, niflit mit dem Dativ:
. . . quae gratia currum
armorumque fuit vivis, quae cura nitentis
pascere equos, eadem sequitur telhire repostos.
Da der Erklärer verpflichtet ist, den Begriff von ponere möglichst
festznhalteu, und da er nur im Notfälle reponere mit reddere
identifizieren dari\ so gewinnt die Annahme des Lokativs an Wahr-
scheinlichkeit. Bildete terra einen Lokativ terrae, warum nicht
patria (= t^^rra patria) einen Lokativ patriae? Gerade in den (irab-
schriften 'kommt der aus der Litteratur bekannte Lokativ terrae
wiedcrholentlich vor. Buch. 607, o (Rom)
(■(mdidimus terrae arisque saerabimus ipsum.
Buch. 4X1 ; (Ostia, drittes Jahrh.)
hunc coniunx posuit terrae etc.
AVenn man auch den Dativ bei reponere eher verteidigen kann,
so ist er doch für ponere imd condere sicher nicht haltbar, da
die Praxis den Ablativ zeigt.
Bücli. TO-j (V'ercellae) hoc positus tumulo ... quiescit.
Buch. liM)X (Ticini) hoc posuit tumulo corporis excubias.
Buch. 1108 (Mauret.) hoc tumulo positum est.
Buch. 1209 (Pannonien) hoc posita in tumulo . . . sunt ossa.
Buch. InX (Rom) hoc tumulo Baioli <*onduntur membra.
Buch. 141;> (Mailand) iacens <onditur lioc tumulo.
München. .1. K. (-hiii'di jnii.
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. II.
(Fortsetzung von Arch. XI 369 ff.»
I. Hic, ille. Es ist eine alte und im grofsen Ganzen auch
richtige Regel der Grammatiker, dafs sieh hie auf das Nähere
bezieht^ wie ille auf das Entferntere. Dies gilt in erster Linie
von der äufseren Reihenfolge in dem Sinne, dafs der im Vorher-
gehenden zunächst genannte Gegenstand oder Begriif mit hie
bezeichnet wird, wie der weiter vorausliegende mit ille. Dafs
dies wenigstens der Natur entspreche, ersehen wir deutlieh aus
t'omiüeius, welcher 4, 19, 2i\ nach der Definition von membruni
orationis und articulus also fortfährt: inter huius generis (arti-
culi) et illius siiperioris vehementiam hoc interest; illud tardius
et rarius venit, hoc crebrius et celerius pervenit. Itaque in illo
genere . . in hoc ete. Cic. Lael. 20 hoc extremum . . illa superiora.
Daraus lernen wir aber noch ein Zweites, dafs der Stilist nicht
verpflichtet ist, das vorher Gesagte von hinten rückwärts auf-
zurollen, sondern man kann auch von vorne anfangen mit der
umgekehrten Formel ille, hie, wie ('ornifieius gethan. Durch-
schnittlieh dürfte die Stellung hie . . ille mehr dem klassischen
Latein entsprechen, während für ille . . hie (aufser Curtiusi Taeitus
eine ausgesprochene Vorliebe besitzt. Hist. 1, i\ interfeetis Cin-
gonio Varrone et Petronio Turpiliano; ille ut Nymphidii »ocius,
hie ut dux Xeronis, inauditi perierant. 2, TS Antioehiam . . <,'ae-
saream; illa Suriae, bot- ludaeae eaput est. 4, <)8 Domitianus
Mucianusque . . ille 8))e properus, hie moras neetens, und zahl-
reiche weitere Stellen im Lexicon Taeiteum von (ierber-(jreef^
p. 52;). Die Leichtigkeit, ja die Notwendigkeit des Fonnen-
weehsels ergiebt sieh manelinial aus dem Gedankenzusammen-
hange, wie Ter. Phorm. I^ßO hie in noxiast, ille ad dieendam cau-
sam adest: quoni illest (uoxius), liie praestost. Dieser (liiasmus,
in der guten Zeit des symmetrischen Satzbaues noch Ausnahme,
macht sieb in der silberneii IVosa immer breiter und wird als
240 K(l. Wölfflin:
Mittel der variatio ausgenutzt, so schon von Livius 22, *M\ o, wo
Fabius Cunctator zu Aemilius Paulus spricht: nescio an infestior
hie adversarius (der Römer Terentius Varro) quam ille hostis
(Hannibal) maneat te, et cum illo in acie tantum, cum hoc Omni-
bus locis et temporibus sis certaturus. 30, 53, 3 Demetrius etsi
minor aetate quam Perseus esset, hunc iusta matre familiae, illum
paelice ortum esse; illum ut ex vulgato corpore genitum nullam
certi patris notam habere, hunc insiguem Philippi similitudinem
prae se ferre. Man vergleiche damit, wie streng den Parallelis-
mus Cicero dur(!hfiihrt Catil. 2, 25: ex hac parte (Senat, Kitter-
schaft, Rom, Italien, Provinzen) pudor pugnat, illinc (Partei des
Catilina) petulantia; hinc pudicitia, illinc stuprum; hiuc lides^
illinc fraudatio; hinc pietas, illinc scelus: hinc constantia, illinc
furor; hinc honestas, illinc turpitudo; hinc continentia, illinc
libido. Bemerkenswert ist, dals der sonst von dem Geiste der
silbernen Latinität erfüllte Velleius Paterculus 2, 84, 1 noch ganz
auf der Seite von Cicero steht: in hac parte miles atque impera-
tor, in illa marcebant omnia: hinc remiges fortissimi, illinc inopia
adfectissimi; navium haec magnitudo modica nee celeritati ad-
versa, illa specie terribilior; hinc ad Antonium nemo, illinc ad
Caesarem <H)tidie aliquis transfugiebat. Bei dem, nicht gerade
imklassischen, jüngeren Plinius hat die Vorliebe zur Variation
bereits gesiegt, wie Epist. 9, 7, 3 beweisen mag: iÜam (villam)
tragoediam, hanc appellare (*omoediam soleo: illani, quod quasi
soeculis sustinetur . . haec lacu propius, illa latius utitur; haec
unum sinum moUi curvamine amplectitur, illa editissimo dorso
duos dirimit; illic recta gestatio lougo limite super litus eiten-
ditur, hie spatiosissimo xysto leviter inWectitur; illa fluctus non
sentit, haec frangit; ex illa possis dispicere piscantes, ex hac ipse
piscari hamumque de cubiculo . . iacere. Dafs man den Pro-
nominalformen die Ortsadverb ia auf die Krage wo? woher? (^^wo-
hiu?) beimischt, darf kaum befremden, weil der Wechsel sich
v(m selbst einstellt, ohne einen Beigeschmack der Rhetorschule
zu haben; beispielsweise geht (Vprian de cath. eccl. unit. 19 nach
vier regulären Paaren hie . . illie über in die persönliche Form
hie . . ille.
Begreiflich aber ist es, dai's der Chiasmus einen streng
klassisch geschulten Abschreiber in Verwirrung brachte, nament-
lich wenn ilm der Schriftsteller nur in einem einzelnen öliede
anwendet. Einen Fall dieser Art haben wir bei Quintilian
Zur Geschichte der Pronomina denionstrativa. IL 241
10, 1, 106: densior ille ( Demostheues), hie (Cicero) copiosior; ille
concludit adstrictius, hie latius; pugnat ille aeumine, hie pondere;
illi nihil detnihi potest, huie nihil adici; curae plus in hoe
(<,'icerone), in illo (Demosthene ) uaturae. Denn so mufs man
emendieren statt der handsehriftliehen Überlieferung: plus in illo,
in hoc. Da von den zwei durch Reime verbundenen Substantiven
enrae und naturae das dreisilbige an das Satzende gestellt wer-
den mufste, so wurde die Umstellung der Pronomina zur Not-
wendigkeit; allein der Schreiber des Codex arehetypus begriff
dies nicht, und indem er eine scheinbar korrektere Wortstellung
herstellte, verdarb er den Gedanken, welchen merkwürdigerweise
alle Philologen verdaut haben. Vergl. W()lfflin im Rhein. Mus.
47, r>40.
Indessen ist es doch nur eine Durchschnittsregel, welche
Terlangt hie auf das räumlieh Nähere zu beziehen; denn mehr
als auf die äufsere Reihenfolge kommt es auf den (bedanken an,
und für jeden Sprecher oder Schriftsteller ist eben dasjenige das
Nähere, was ihm das Sympathischere ist, das Fernere, was er
verwirft. Dafs Sallust seine I*ronomina von diesem Gesichts-
punkte aus wählt, zeigt seine Selbständigkeit, welche er sich gegen
die Formen der ciceronianischen Xunstprosa überall zu wahren
verstanden hat; zugleich zeigt er ims seine Unabhängigkeit in
der Neuerung, die beiden Pronomina zusammenstofsen zu lassen,
indem er des eine an das Satzende, das andere an den Satzanfang
stellt. lug. 94, 5: Romanis hostibusque proelio intentis, magna
utrimque vi pro gloria atque imperio his (Romanis), illis (Nu-
midis) pro salute certantibus. Cat. 58, 14 sagt Catilina zu seinen
Leuten: licuit vobis cum summa turj)itudine in exilio aetatem
agere; quia illa foeda viris videbantur, haec (die von mir ver-
tretene Sache) sequi deerevistis. lug. 85, 22 sagt Marius: maiores
Buos extoll unt; quanto vita illorum (welche nicht mehr leben)
praeelarior, tanto honim (der Lebenden) socordia tlagitiosior.
Die kühne Wortstellimg liängt mit der Inkonzimiität des Sallust
überhaupt zusammen, und es verdient bemerkt zu werden, dals
sowohl Curtius als der sonst dem Sallust stilverwandte Taeitus
darauf nicht eingegangen sind. Vgl. (^urt. 3, 1, 17 circa Alexan-
drum erat et Phrygum turba et Macedonum, illa expeetatione
snspensa, haec sollicita. ;i, 11, 24 niater coniunxque Darei; illa
non maiestate solum, sed etiam aetate vonerabilis, haec formue
pulchritudine. (>, 1, 8 LacedaenKmii vetera, Macedones praeseutia .,
242 Ed. Wölfflin:
decora intuebantur; illi pro übertäte, bi pro domiuatione pugna-
bant, welche Stelle dem sallustianischen Beispiel von Chiasmus
inhaltlich sehr nahe steht.
So jj^ofse Freiheit nun auch in dem Gebrauche von hie
herrscht, so selten führt sie doch zur Zweideutigkeit, weil der
(Tedankenzusammenhang der beste Interpret ist. Ter. Andr. 233
(di, date facultatem, obsecro, huic pariundi atque illi in aliis
potius peccandi locum) ist die obstetrix zwar in den zwei vor-
hergehenden Versen genannt, aber doch nur Nebenperson und
daher mit illa bezeichnet. Wenn man glauben wollte, dafs für
Florus in der Darstellung des zweiten Bürgerkrieges (4, 2) hie
sich auf Caesar beziehe, auf dessen Seite der Verfasser steht, so
lassen sich zwar eine Reihe Stellen dafür geltend machen, und
doch ist § 15 mit: nee ille abnuebat, si ratio sui proximis comi-
tiis haberetur der in Gallien abwesende Caesar gemeint, und das
Verständnis von § 14 nee ille ferebat parem, uec hie superiorem
kann nur aus dem Zusammenhange erschlossen werden. Bei
Vergil aber Ecl. 7, 21 altemis versibus . . hos Corydon, illos
referebat in ordine Tliyrsis kann man nur sagen, dal's bei dem
Wechselgesange mit lios die ungeraden Verse oder Systeme, mit
illos die geraden gemeint sind. Wie rasch sich aber vor den
Augen des Sprechenden oder Schreibenden die Dinge verschieben
können, erhellt aus einer Stelle der Myrmidonen des Attius, v. 5 Rib.
Tu pertinaciam esse, Antiloche, hanc praedicas,
ego pervivaciam aio et ea me uti volo;
haec fortis sequitur, illam indocti ])ossident.
Zuerst scheint ein Fall von pertinacia vorzuliegen, welche er mit
hanc bezeichnet, doch giebt er der pervicacia den Vorzug, und
darum heifst sie nunmehr haec {= haec mea virtus), während
die aufgegebene pertinacia in die Feme rückt und daher als illa
erscheint.
Das Gemeinschaftliche aller bisher erläuterten Beispiele be-
steht darin, dal's sich die beiden Pronomina auf zwei im Vorher-
gehenden genannte und von einander verschiedene Nominalbegriffe
beziehen, sodals man sie mit %ler (die, das) erstere . . letztere'
oder griechisch mit 6 ^ihv . . 6 Öf- übersetzen könnte; sie kommen
einem alter . . alter gleich, da für ein Drittes neben ihnen kein
Raum übrig l»leibt. Einer Partikel des Gegensatzes (fihv . . Öh) be-
dürfen sie nicht, da die Pronomina an sich schon Gegensätze
bilden.
Zur Geschiebte der Pronomina demonstrativa. 11. 24H
Und doch hat »ioh der Sprachgebrauch nach dieser Richtung
entwickelt, wenn die beiden Handlungen nicht gleichzeitig sind.
Livius spricht 5, 40, 3 bei dem Einzüge des Brennus von den
alten Römern, welche auf dem Forum zu bleiben entschlossen
sind, und den Waifenf ähigen , welche das Kapitol verteidigen
wollen, endlich von den Wehklagen der Frauen nimr hos nnur
illos sequentium. Die Anwendung der Pronomina bleibt sich
völlig gleich, da sie sich auf zwei im Vorhergehenden genaimte
Parteien beziehen, das Handeln der Frauen wird nur durch nun<*
. . nunc auf verschiedene Zeitpunkte verwiesen. Denselben (^e-
danken drückt Livius 2, 51, 9 nur in anderer Form aus: inter
duas acies (Romanorum et Veientium) Etrusci cum invicem his
atque Ulis terga darent = nunc his, nunc illis: denn das Adverb
verbietet ims, die durch atque verbundenen hi und illi zusammen-
zufassen. Wieder eine andere Ausdrucksweise begegnet uns
10,14,2: consules cum inter se agitarent, uti alter Samnites hostes,
alter Etruscos deligeret, quantaeque in hanc auf in illam provin-
ciam copiae satis (essent); denn die beiden Begriffe sind an-
gekündigt, werden jedoch disjunktiv auseinandergehalten. Anio-
bius 1, 59 schreibt in einer Betrachtung über das grammatische
Geschlecht: neque ^adem (nomina) possunt huius (masculini) esse
generis et illius (ferainini), d. h. die Substantiva krmnen nicht
gleichzeitig beide Geschlechter annehmen, wobei er von dem
richtigen Grundgedanken ausgelit, dafs das Neutrum kein drittes
Geschlecht ist, sondern der Zustand der Geschlechtslosigkeit.
Wir mui'sten dieses wenig interessante Mittelstück einfügen,
weil wir von hier ans zu einer vollkommen neuen Sprachentwick-
lung gelangen. Denn wenn Cicero schreibt de nat. d. 1, 47 nani
Cotta mens ))W(1o lioc nuxh illud, so scheint dies grammatisch
nur das Bekannte einzusc hl leisen; von Seiten des (redankens
jedoch hat sich die Lage dadurch verändert, dafs einmal nicht
von der Alternative zweier Anschauungen die Rede ist, sondern
möglicherweise auch von einer dritten, imd dann weiter, dais
diese philosophischen Ansichten vorher weder entwickelt noch
bestimmt angedeutet worden sind. Vielmehr wird dem Leser
überlassen, nach freier Phantasie zu erraten, was für verschiedene
Gedanken der unschlüssige Cotta könnte gehabt haben. Hier sind
also entweder hie und ille keine Demonstrativpronomina mehr,
weil sie nicht auf das znnickweisen, was nie ausgesprochen wor-
den ist, oder sie sind zwar noch demonstrativa, deuten aber auf
244 Ed. Wölfflin:
etwas^ was der Leser erst aus dem Zusammenhange suchen mufs.
Diese beiden Dinge müssen zwar unter sich verschieden sein, ein
aliud und ein aliud, nicht ein alterum und alterum, da sie nicht
den Kreis der Möglichkeiten ausfüllen sollen. Die gleiche Rede-
wendung, nur mit tum . . tum geglie<lert, begegnet uns im Lae-
lius 66: Socrates, cui noii tum hoc tuw ilhid, uti plerisque^ sed
idem semper; sie scheint mehr der familiären Sprache eigentüm-
lich gewesen zu sein. Bei Sallust or. Phil. 11 steht sogar atque
in disjunktivem Sinne: expers consilii^ inquies, haec afque illa
temptans, was wir nicht im Simn» der (lleichzeitigkeit verstehen
dürfen, sondern im Sinn von ^modo haec, modo illa', wie auch
wir namentlich im Gesprächston sagen ^dies und jenes\ als
gleichbedeutend mit ^bald dies, bald jenes'. Genauer wäre hier
die Disjunktivpartikel gewesen, wie sie Cicero benützte de invent.
2, 99 provideri potuisse, si hoc üftt illud fecisset; denn hier soll
der Leser statt der Pnmomiiia aus dem Kreise zahlreicher Mög-
lichkeiten zwei beliebige Beispiele einsetzen, von welchen indessen
nur eines als Thatsache angenommen werden soll.
Bei den augusteischen Dichtern steht hi . . illi oder mit
kollektivem Singular hie . . ille geradezu für alii . . alii, neben
welchen auch noch eine dritte (]rrup])e gedacht werden kann.
Verg. Aen. 7, 637 :
classica iamque sonant; it hello tessera signuni.
. . omnea arma requirunt . . imn; clipeos tergent . .
hie galeam tectis trepidus rapit, ille frementis
ad iuga cogit e(|uos etc.
Aen. 4, lo7. 5,441. Manil. 1, 191. Sü. lt. o, 150. Stat. Theb. 2,589.
Orest. trag. 352. Bei Lucan <>, 277 ist die Stellung umgedreht:
illos terra fugit dominos^ his rura colonis
accedunt douante Pado.
So schon Horaz in den Oden 1, 1, 7: sunt quos . . hunc . . illum
. . est qui . . nniltos, was erst die silberne Prosa nachgebildet
hat. Plin. epist. 6, 20, 14 hi . . illi . . alii. Flor. 1, 18 (2, 2), 35
in hos vel in illos. Mit zeitlicher Trennung Verg. Aen. 6, 315
navita sed tristis nunc hos nunc accipit illos,
ast alias longe summotos arcet harena.
4, 157 iamque hos cursu, iani })raeterit illos.
Wo die Form in der Prosa begegnet, hat sie immer einen
j)oetischen Anstrich, z. B. Macrob. Sat. 1, 24, 1 laudare hie niemo-
riam, ille doctrinam, cuuctl religionem.
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. II. 245
luven. 10, 196
plurima sunt iuvenum discrimina: pulchrior ille
hoc, atque ille alio, multum hie robustior illo.
Mit drei Gliedern Lucr. 3, 311
quin proclivius hie iras decurrat ad acris,
ille metu eitius paulo temptetur, at ille
tertitts accipiat quaedam elementius aequo.
Die Mischung der Pronomina ist bei den Dichtem sehr willkür-
lich, z. B. Hör. sat. 1, 2, 41 ff. hie . . ille . . hie . . hie . . hunc;
od. 3, 1, 10 hie . . hie . . illi. Lucan 7, 774 ille . . ille . . hunc . .
in hoc. Stat. silv. 2, 1, 213 hos . . hos . . bis . . bis . . hos . . illos
. . hos. luven. 3, 09 hie . . hie . . hie . . ille . . hie. 10, 227 ille
. . hie . . hie . . ille . . huius. Claudian in Ruf. 2, 410 bi , . alii
. . ille . . ille . . hie . . hie . . hie . . hie u. s. w. Die Dichter legen
eben gröfseren Wert auf die Variation als die klassischen Pro-
saiker, welche die Symmetrie vorziehen; sie erlauben sich auch
aul'ser alii Ausdrücke wie alter, pars den Reihen einzufügen.
Lucan 2, 183 hie . . alius . . ille. Calp. ecl. 10, 48 hie . . alter . .
ille. Stat. silv. 5, 3, 18o alter . . alter . . alter . . bi . . bi . . hi . .
illi. Ovid met. 11, 29 hae . . illae . . pars. 11, 480 alii . . pars
. . pars. Stat. silv. 3, 1, 118 bis . . illis . . pars. Theb. 2, 551 hos
. . illos . . nee paueos.
Da aus den Anfängen der silbernen Prosa keine Beispiele
notiert sind, beginnen wir mit Plin. nat. h. 13, 40 aliis . . aliis . .
bis . . illis . . quibusdam. Plin. epist. 4, 24, 3 quidam . . alii . .
buie . . hie . . alius . . illum. Paneg. 25 aliquis . . hie . . ille.
Gell. 1, 9, 9 alius . . item alius . . hie . . ille. Apul. met. 2, 29 hi
. . alii. Gellius praef. 0 alii . . alii . . ille . . hie . . alius . . par-
tim . . quidam . . alius . . atque alius . . et item alius . . simt
etiam . . sunt item qui . . sunt adeo qui . . est ({ui . . est qui . .
est item qui . . est praeterea qui . . est itidem qui . . sunt item
multi. Einsebiebung von Eigennamen findet sich, nach dem Yor-
gange von Horaz bei Lucan 7, 770 in (.'acsare, bei Silius 17, 482 ff.
hie . . hie . . hos . . horum . . ijhse ductor Rhoeteius. Plin. epist.
4, 24, 3 quidam . . alii . . buie . . hie . . alius . . illum . . circa ifos
ipsos. Hör. epist. 2, 2, 59 tu . . hie . . ille . . mihi. Stat. silv.
5, 3, 185 alter (dreimal) . . hi (dreimal) . . Uli . . tu. Silv. 3, 1, 118
bis . . illis . . . 125 pater ipse. Der aufmerksame Leser wird be-
merken, dafs bei Prosaikern hie . . ille nicht allein vorkommen,
Archiv für lat. Lexikogr. XII. Heft 2. 17
246 Meader-Wölfflin:
sondern nur in Verbindung mit andern unbestimmten Pronomina oder
gleichwertigen Ausdrücken; der ganze Reichtum der Phraseologie,
welcher sich allmählich entwickelt hat, ist aber aus dem ein-
fachen hie — ille, nunc hos . . nunc*, illos u. s. w. herausgewachsen.
Wenn wir nun die Besprechung der Pronominaladverbia
folgen lassen, so ist dies eigentlich unhistorisch, da diese Reihen
schon mit PI au tu s beginnen und sich dann bis in das Spätlatein
fortpflanzen. Es sind 1) hie . . illic. 2) hinc . . illinc. 3) huc
.«. illuc. 4) hac . . illac. Der Häufigkeit nach sind sie sehr ver-
schieden; die zweite und dritte sehr häufig, die vierte sehr selten.
1) hie. .illic taucht schon bei Plautus Most. 605 auf, kehrt
bei Catull 6, 9 wieder, wenn man hie et illic attritus liest (hec
et illo Cod. Veron.), wie 10, 21 nee hie neque illic ohne Variante
überliefert ist. Auch bei Verg. georg. 1, 54 tritt die Überliefe-
rung für hie segetes, illic veniunt felicius uvae ein; umgestellt
ist georg. 1, 69 illic . . hie. Ovid met. 7, 581 hat hie illic, ubi
mors deprenderat, exhalantes. epist. Pont. 1, 7, 58. In negativen
Gliedern Livius 8, 37, (i hostes nee hie nee illic inventi. Plaut.
Truc. 153 et illic et hie. Varr. rust. 3, 5, 6 aut. Lucr. 2, 575
nunc . . nunc.
2) hinc . . illinc. Lucr. 2, 521 getrennt: hinc flammis illinc
rigidis infesta pruinis. Verg. georg. 1, 509 hinc movet Euphra-
tes, illinc Germania bellum. Curt. 6, 11, 16 hinc ignis illinc ver-
bera ingerebantur (Philotae). 8, 14, 32. Petr. 83. 108. luven.
10, 44 mit umgekehrter Stellung: illinc comicines, hinc praece-
dentia longi agminis officia etc.
Neben einander Catull 68, 133 circumcursans hinc illinc saepe
Cupido. Zweigliedrig mit Chiasmus Ov. met. 1, 618 pudor est
qui suadeat illinc, hinc dissuadet amor. Sen. Med. 108 hinc illinc
. . mittite carmina.
Mit Kopula Plaut. Amph. 229 imperator utrimque, hinc et
illinc, lovi vota suscipere. Most. 565 ita et hinc et illinc mi ex-
hibent negotium. Sen. Med. 516 hinc rex et illinc. — Cic. Tim.
14, 49 cum speculorum levitas hinc illincque (Cod. A illinc) alti-
tudinem adsumpsit. Livius 3, 5, 1 multi impetus hinc atque illinc
facti. 2(), 39, 19 ad inccrtos ventos hinc atque illinc obliqua
transferentes vela. 32, 10, 12 multis hinc atque illinc acceptis
vulneribus. Petr. 32 fimbriis hinc atque illinc pendentibus. 49.
Disjunktiv. Tac. Germ. 44 mutabile hinc vel illinc remigium.
Ann. 2, 6 converso ut repente remigio hinc vel illinc adpellerent;
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. IL 247
Hist. 3, 47 hinc vel illinc adpellere indiscretnm est. — Livius
7, 8, 1 qüidquid hinc aut illinc communis Mars belli aufert.
9; 32, 6 prius quam telum hinc ant illinc emissnm est.
Lncr. 2, 214 nunc hinc nunc illinc abnipti nubibus ignes con-
cnrsant. 6, 199 nunc hinc nunc illinc fremitus per nubila mittunt.
Verg. Aen. 4, 442 Alpini boreae nunc hinc nunc flatibus illinc
eruere inter se certant. Vielleicht ist in gleichem Sinne zu inter-
pretieren Verg. georg. 3, 257 atf/ue hinc atque illinc umeros ad
volnera durat.
3. huc . . illuc kommt schon bei Plautus polysyndetisch
und disjunktiv vor: Aul. 607 hinc ego et huc et illuc potero
quid agant arbitrarier. Capt. 370 vel ego huc vel illuc vortar,
quo imperabitis; asyndetisch nicht, was Zufall sein dürfte, da
wir uns diese Form als die älteste vorzustellen haben. Cic. Att.
9, 9, 2 ne cursem huc illuc via deterrima (teterrima). Liv. 7, 34, 9
dum huc illuc signa vertunt. Verg. georg. 2, 297 bracchia pan-
dens huc illuc. Aen. 4, 363 huc illuc volvens oculos. 5, 408 huc
illuc vinclorum immensa volumina vei"sat. Tib. 1, 3, 70 fagit.
Ovid. Manil. Lucan. Statins oft. Silius und Ilias lat. In Prosa
bei Sen. ben. 5, 25, 4 h. i. frenis motis; epist. 28, 3 vadis h. i. Plin.
nat. h. Petr. 114 convertebat huc illuc obnoxiam ratem. Quintil.
10, 7, 6 salientes huc illuc, und oft bei Tac. Plin. epist. 2, 17, 9
vaporem huc illuc digerit. Vgl. Seyifert zu Cic. Lael. ^5.
Mit Koj)uln. Comif. 4, 11 (genus dissolutum) fluctuat huc
et illuc. Cic. Cael. 13 versare suam naturam atque huc et illuc
torquere ac flectere. Nat. deor. 2, 115 corporibus huc et illuc
casu et temere cursitantibus; 2, 101 aer effluens huc et illuc
ventos efficit; 3, 68 versat huc et illuc cogitatione rationem. Offic.
1, 101 bQiii] hominem huc et illuc rapit. Divin. 2, 80 volucris
huc et illuc vagantis. Fin. 2, 99 huc et illuc vos versetis licet.
Acad. 2, 116 rationes huc et illuc trahuntur. Hör. od. 4, 11, 9 huc
et illuc cursitant mixtae pueris puellae. Sali. lug. 60, 4 corpora
huc et illuc agitare. Cels. 2, 15, 8 lectus manu impellendus;
><, 1, 35 se inclinans. Sen. ben. 5, 6, 2 hoc et illo (sie!) diducit.
Sen. Med. 862 huc fert pedes et illuc. Stat. Theb. 4, 380 huc
tristis et illuc . . pinum deiectat; 9, 849 huc iam fessus et illuc
mutabat turmas; 10, 168 acies huc errat et illuc.
Mit atque. Cic. Rose. com. 37 huc atque illuc tergiversan-
tem. De orat. 184 intuentem. Fin. 5, 8() in quo versos te.
B. Afr. 73 legiones per causam frumentandi — raptare. Sali. hist.
11*
248 Meader-Wölfflin:
(or. Macri) 3, 26 M. huc ire licet atque illuc. Liv. 5, 8, 8 sigua
transferre; 7, 34, 23 signa moveri. Val. Max. G, 8, 7 vestigia —
errautia. Petr. 33 discurrere; 101 vectatur. Celsus 4, 1 (p. 122,9
Dar.) yolutum. Stat. Theb. 2, 545 animum ferens. (^apitol. Maxim.
5, 1 discurrens. Dietys 3, 3 oberrans. lord. Get. 35, 182 circum-
fereiis oculus. — Mit qt^e. Celsus 5, 20 (?uach Targa) oculi quasi
resoluti huc illueque moventur. Mehr bei Sigm. Preufs, De bi-
membris dissoluti usu solemni, 1881, p. 23 — 20.
Disjunktiv. Ter. Andr. 266 animus huc vel illuc inpellitur.
Celsus 7, 7, 3 digito vel huc vel illuc impelluntur. — Gels. 7, 3
haec fortuna huc illucre discemit; 8, 16 prout ossa huc illucve
se dederunt, und so noch mehrmals.
Mit doppelten Icorrelativen Partikeln. Die einfachste Form
liefert das polysvndetische et, doch ist sie sehr selten, und bei
l^etron. 39 treten zugleich die Vulgärformen hoc und illoc an die
Stelle von huc und illuc: Cancer et hoc et illoc quadrat. Vgl.
Arch. VII 332. 458. Häufiger ist nunc . . nunc, und zwar schon
bei Lucr. 2, 131 reverti, nimc huc nimc illuc, in cunctas undique
partis. Verg. Aen. 4, 285 atque animum nunc huc celerem, nunc
dividit illuc. 5, 701 nunc huc ingentis, nunc illuc pectore curas
mutabat versans. Manil. 2, 904 nunc huc nunc illuc sortem mu-
tantis utraque: ebenso 3, 167 am Anfange des Hexameters. Sen.
Med. 938 variamque nunc huc ira, nunc illuc amor diducit. Si-
lius 4, 323 molemque profundi (venti) nunc huc alterno, nunc
illuc ilamine gestaut.
tum . . tum, Cic. div. 1, 120 ut tum huc, tum illuc volitent
alites, timi in hac, tum in illa parte (= hie, illic) se occultent,
wie Laelius 13 tum hoc tum illud. iam . . iam. Flor. 1, 33
(2, 17), 8 per partes iam huc, iam illuc missi duces. Modo , .
modo beginnt mit Catiül 3, 9 (passer) circumsiliens modo huc
modo illuc; 15,7. Cic. div. 2, 145 coniecturam modo huc, modo^
illuc ducentium. Das älteste Latein jedoch finden wir bei Plau-
tus Tnic. 38 dum huc dum illuc (== interdum, interdum) rete
circuravortit. Vgl. Arch. II 234 ff.
4. hac . . illac. Plaut. Rud. 213 hac an illac eam, incerta
sum consili. Ter. Heaut. 512 hac illac circumcursa; Eun. 105
plenus rimarum sum, hac atque illac perfluo. Also ursprünglich
archaisch, und im Vulgärlatein bei Petron 57 erhalten: habebam
in domo, qui mihi pedem opponerent hac illac. Apul. met. 8, 4
genis hac illac iactatis. Die Tacitusstelle (Agr. 28) müssen wir
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. II. 249
darchaus beiseite lassen^ da sie auf Konjektur beraht, imd zwar
einer sehr unwahrscheinlichen: hac atque illac rapti.
Kopulativ und (U^junliiv. Ter. Eun. 105 hac atque illac
perfluo. Cels. 7, 7, 14 hac atque illac movetur. — Tib. 4, 1,96
sive hac sive illac veniat gravis impetus hastae. — Plin. epist.
2, 17, 18 dies modo brevior modo longior hac vel illa (illac
jüngere Handschriften) cadit.
Natürlich sind diese Ausdrücke nicht an Doppelglieder ge-
bunden, sondern sie entwickeln sich öfters zu gröfseren Reihen,
namentlich in der Kaiserzeit. Vgl. Silius 10, 312 hie . . hie . .
illic . . hie . . passim; 10, 403 hie . . hie . . illic . . passim. Sta-
tins silv. 1, 6, 67 huc . . hie . . hoc . . illo . . illic . . hie.
II. Hie . . hie. Man liest zwar bei Raph. Kühner, ausführl.
Grammni. der lat. Spr. 11 679 in dem Kapitel über die 'Ein-
teilungssätze', erst seit Livius finde man hinc . . hinc, von der
einen, von der anderen Seite, nicht aber hie . . hie, sondem nur
hie . . illic. Dies ist als Endergebnis einer zwei tausend jährigen
Beschäftigung mit der lateinischen Grammatik recht wenig. Denn
man kann doch die Adverbia von den andern Pronominalformen
nicht abtrennen, und dann wird man auch über Livius hinaus-
kommen. Beispielsweise war Servius ein so gründlicher Plautus-
kenner, dafs er nach Cic. epist. 9, 16, 4 sagen konnte: hie versus
Plauti non est, hie est. Dies ist nun freilich kein Einteilungs-
satz, sondem mit hie und hie werden nur zwei beliebige Bei-
spiele herausgegriffen, aber die Mitteilung in einem Briefe zeigt
uns auch, dafs man so im Konversationsstile sich ausdrückte,
gerade wie Hör. a. poet. 139 den Ton der Umgangssprache nach-
bildet in den Worten: corrige, sodes, hoc (aiebat) et hoc, und
Lucian Müller bemerkt dazu, das klassische Latein würde hoc . .
illud verlangen. Ebenso beurteilt er Hör. sat. 1, 1, 112 ut . . hunc
atque hunc superare laboret, und gerade Horaz hat eine Vorliebe
für diese Ausdrucks weise. Vgl. a. poet. 45 hoc amet, hoc sper-
nat promissi camiinis auctor; 363 haec (pictura) amat obscurum,
volet haec sub luce videri; 365 haec placuit semel, haec decies
repetita placebit. Vgl. Wölfflin, Gemination, Münchn. Sitz.-Ber.
6. Mai 1882, S. 434 Note. Die geschichtliche Betrachtung mul's
sogar bis auf Plautus zurückgehen, Capt. 1011 pater liic est, hie
servos; 1018 tibi pater hie est, hie für est tuos. Dann kommt
man zu Vergil ecl. 4, 56 huic mater quamvis atque huic pater
adsit. Aen. 8, 357 hanc lanus pater, hanc Satumus condidit
250 Meader-Wölfflin:
arceiii. Durch Vergil aber ist wieder Tacitus beeinflufst, bist.
4, 55 lulius Tutor et lulius Sabinus, hie Trevir, hie Lingouus;
ann. 14, 8 hi molium obiectus, hi proximas scaphas scandere. lu
seiner Erklärung der Historienstelle hat Heraeus den Zusammen-
hang richtig erkannt, wenn ihm auch die Stellung des Horaz
verborgen geblieben ist. Min. Fei. 40 gaudere, quod hie credi-
derit et hie vicerit, wo es sich nur um einen Heiden und einen
Christen handelt. Scr. h. A. Avid. Cass. 2, 8 haec de Cassio Verus,
haec Marcus.
Die Beziehung von hie . . auf beliebige Beispiele begegnet
uns auch bei Terent. Ad. 410 hoc facito . . hoc fugito . . hoc
laudist . . hoc vitio datur. Ad. 425 hoc salsumst, hoc adustumst,
hoc lautumst parum; illud recte. Damit ist nicht gleich Hör.
aat. 1, 4, 134 rectius hoc est. Hoc faciens vivam melius, da in
diesem Selbstgespräche in beiden Sätzen hoc dasselbe bedeuten
könnte (wogegen freilich das folgende hoc quidem non belle
spricht), und im ersten quam illud in Gedanken zu ergänzen ist.
Die genauere Interpretation solcher Stellen glauben wir übrigens
ersparen zu können, da die meisten dem Leser bekannt sind und
der Leser aus dem Belegmateriale mehr lernt als aus dem gram-
matischen Raisonnement ohne zahlreiche Citate. Li der Prosa
beginnt der (xebrauch mit Coniif. 2, 40 hoc out hoc fecissem,
und Cicero übernahm ihn daher De invent. 1, 99 cum vobis hoc
i't hoc sit demonstratum, ohne jedoch denselben weiter sich an-
zueignen. Vgl. Schmalz, Autib. T' 593. Es bleibt nur hinzuzu-
fügen, dafs im silbernen Latein namentlich Quiutilian diese Aus-
drucks weise anerkannt hat: 0, 1, 4 ad preces confugit, cum sciret
haec et haec: <>, 1, 3 quid responsunis sit adversarius his et his:
9, 4, 12S historia, quoniam lubrica est, hac et hac (illac Konjek-
tur) fluit; 4,4,8 ego hoc dico, adversarius hoc. Hör. sat. 1, 112
ut . . hunc af/iiic hunc superare laboret. Mit doppelter Disjunk-
tion Verg. Aen. 10, 9 quis metus aut hos aut hos anna sequi . .
siiasitV (Rutuler, Troianer). Pers. 5, 155 huncine an hunc sequcris.
Dieser Sprachgebrauch hängt damit zusammen, dufs in Doppel-
glied orn auch hie . . hie im Sinne von hie . . ille verwendet wurde.
Verg. Aen. (), 773 hi tibi Nomentum et Gabios urbemque Fide-
nani, hi Collatiuas imponent montibus arces; 7, 506 inprovisi
udsunt, hie torre armatus obusto, stipitis hie gravidi nodis; 1, 106
hi . . his; und schon georg. 4, 84 dum gravis aut hos aut hos
versa fuga victor dare terga subegit. Hör. epist. 1, 17, 39 hie
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. II. 251
onus horret — hie subit et perfert. Oft bei Lucan 2, 30 hae
lacrimis sparsere deos, hae pectora duro adflixere solo; 2, 252
hos . . hos; 3, 687 hie . . hie; 6, 198 hunc . . hunc; 7, 375 haec
. . haec; 8, 196 hos . . hos; 10, 489 hos . . hos. Statins Theb.
2, 246 hi . . hi; 2, 710 huie . . huic.
Die Kunst der Dichter und die Nachahmung der silbernen
Latinität hat sogar zu dreifachen und vierfachen Gliedern geführt.
Verg. georg. 2, 505 hie . . hie . . hunc; Aen. 7, 473 hunc . . hunc
. . hunc. Hör. sat. 1, 3, 49 parcius hie vivit: frugi dicatur. In-
eptus et iactantior hie paulo est. Hör. epist. 2, 2, 67 hie viermal.
Lucan. 2, 154 hie dreimal. Statins silv. 2, 2, 50 haec . . haec; his
. . his. 4, 3, 50 hi . . hi (illi . . hi). Silius 17, 482 hie . . hie . .
hos . . homm. Dieses poetische Kolorit gefiel dem Florus 2, 33
(4, 12), 53 mox ipse praesens hos deduxit montibus, hos obsidi-
bus adstrinxit, hos sub Corona iure belli venundedit. Auffallen-
der dagegen ist eine Stelle der lateinischen Bibelübersetzung
3Jatth. 13, 23 x«i :toiel 6 ^hv ixaröv^ ö dh £|r/xovT«, ö di tqlcc-
xovta, was die Vulgata mit aliud . . aliud . . aliud übersetzt, der
C odex Bobbiensis dagegen mit hoc . . hoc autem . . hoc autem,
doch wohl um das griechische de nicht verloren gehen zu lassen.
Vgl. auch die ITbersetzungen der Parallelstelle Matth. 13, 8.
Die längeren Reihen können indessen auch, wie wir bereits
oben S. 245 gesehen haben, gemischt sein, namentlich durch das
IVonomen alius oder das Substantiv pars. Die Epiker des ersten
Jahrhunderts erlauben sich dies, und Historiker wie Curtius und
namentlich Tacitus als Freund der variatio sind ihnen nachgefolgt.
Vgl. Lucan 10, 12H hos . . alios . . haec . . pars . . pars . . iuven-
tus. Stat. Theb. 3, 129 hae . . hae . . pars . . pars. (^urt. 9, 9, 12
hi . . hi . . quidam . . aliae navium. Tac. bist. 3, 55 his . . alios;
ami. 1, 18 hi . . illi . . plurimi; 2, 13 hie . . alius . . plurimi; 4, 50
his . . aliis . . erant qui; 13, 39 hos . . alios . . multos; 14, 8 hi
. . hi . . alii . . quidaiu. luven. 1, 46 hie . . hie . . Marius.
Diese Geschmacksriehtimg oder dieses Stilgefühl mufsten
notwendig ihren Reflex in dem Adverbial gebrauche finden, sodaTs
hie .. hie für hie* . . illic, alibi . . alibi, Ivd^a ^liv . . tv^ic 06 gebraucht
wurde. Doch ist dies in dieser Form nur selten geschehen, wie
Silius 3, 547 hie sanguine niulto infectae rubuere nives, hie nescia
vinci paulatim glacies cedit tepefacta cruore; 8, 395 hie Seaptia
pubes, hie Fabrateriae vulgus. Dafs die Form nicht vorkomme,
wie Külmer angiebt, beruht demnach auf Irrtum.
2o2 Meader-Wölfflin:
Viel häufiger und älter ist hinc . . hinc, besonders beliebt
in asyndetischen Doppelgliedem bei Livius. Wenn man jedoch
das Vorbild in dieser Form bei Vergil sucht, so findet man es
da nicht, sondern nur syndetisch hinc atque hinc, und Moritz
Müller im Anhange zu Liv. 1, 18, 2 schlägt daher hier die Brücke:
indessen werden wir weiter unten dreifaches hinc bei Lucretius
nachweisen. Die citierte Liviusstelle : Sabinae mulieres hinc
patres, hinc viros orantes ist dadurch bemerkenswert, dafs die
Worte von dem Anon. de vir. ill. 2, 9 abgeändert sind in: hinc
patres, inde coniuges deprecatae pacem conciliarunt, sei es nach
persönlichem Cxeschmacke, sei es nach dem Vorgange der Epitoma
Livii. Es folgen 3, 23, 7 hinc Volscos, hinc Aequos populantes:
1), 15, 3 hinc senatus, hinc plebs; 8, 35, 8 hinc magistro equitum,
hinc dictatori gratulantes. 10, 39, U); und noch häufiger in der
dritten Dekade. Zunächst schliefst sich Curtius an; Sen. dial.
2, 2 hinc Clodius, hinc Vatinius; Tacitus nur Agr. 25 hinc terra,
hinc öceanus, weil er später hinc . . inde vorzieht. Von den
Epikern beteiligen sich Lucan, Statius und Silius, letzterer mit
sehr zahlreichen Beispielen.
Kopulativ verbunden gebraucht schon Lucr. hinc et hinc
(), 89; dann Hör. epod. 2, 31 aut trudit acres hinc et hinc multa
CÄue apros; 5, 97 vos turba vic4itim hinc et hinc saxis petens.
Petr. 79 (vers.) et transfudimus hinc et hinc labellis errantes ani-
mas. Stat. silv. 4, 3, 47.
Mit atqtie. Verg. Aen. 1, 102 hinc atque hinc vastae rupes
. . minantur; 4, 447 adsiduis h. a. h. vocibus heros tunditur:
12,431 Germ. Arat. 50 serpens sinuosa volumina torquet h. a. h.
Stat. silv. 2y2j 14 und Theb. 7,479 im Anfang des Hexameters;
ebenso Silius 1, 375. 4, 274. Dracontius. (Stat. silv. 3, 5, 74 hinc
. . at hinc. Silius 17, 251 hinc . . atque hinc.)
Huc . . huc. Gatull f)l, 34 ut tenax hedera huc et huc arbo-
rem implicat errans. Hör. epod. 4, 9 ut ora vertat huc et hu(*>
euntium liberrima indignatio. Sen. Med. 385 talis recursat huc et
huc motu effero. — Stat. silv. 1, 3, 38 huc oculis, huc mente tra-
lior. Silius 9, 3(50 huc atque huc it summa seges nutansque
vicissim; 8,614 huc atque huc iactas accendit belua flammas.
Hac . . hac kommt nur bei Dichtern imd selten vor. Verg.
Aen. 1, 407 hac fugerent Grai . . hac Phryges. Hör. epist. 2, 2, 75
hac rabiosa fugit canis, hac lutulenta mit sus. Prop. 1, 3, 14
quamvis duplici correptum ardore iuberent hac Amor, hac Liber.
Znr Geschichte der Pronomina demonstrativa. IL 253
Ov. am. 3, 11, 34 hac amor, hac odium. Stat. Theb. 9, 762 exsilit
hac ferrum, velox hac pinna remansit. Pomp. comm. Don. (Gramm.
V 105, 31) Mala, hac ha})et a et hac habet a, inter duas vocales
invenitur i.
Als Beispiel einer längeren adverbialen Reihe eitleren wir
noch Silius Italiens 5, 198 hinc pariter rupes, lacus hinc, hinc
arma simulque eonsona vox nrget.
in. nie . . nie. Wenn man die Formel hie . . ille in hie
. . hie umbilden konnte, so bedurfte es nur eines einzigen Schrittes,
um zu ille . . ille zu gelangen. Der erste Beleg findet sich sogar
bereits bei Ter. Phorm. 332 in illis fructus est, in illis*) opera
luditur. Die Parallelen aber, welche Madyig Advers. crit. II 5()5
aus Quintilian beigebracht hat, passen nur zum Teile. Der Um-
stand, dafs Cicero die Ausdrucksweise in seiner Jugendschrift de
invent. 1, 98 zuläfst (illud docuimus, illud planum fecimus), später
jedoch vermeidet, weist darauf hin, dafs sie gerade so familiär
war wie das oben besprochene hie et hie. Die Bedeutung bei.
Terenz deckt sich mit alii . . alii, ol iihv . . oi öi. In anderem
Sinne schreibt Sueton div. lul. 41, Caesar habe oft an die Wahl-
körper Billets gesandt des Inhaltes: commendo vobis illum et
illum, wie wir sagen 'den und den' (den Herrn so und so), weil
der Name zwar in dem einzelnen Falle ein bestimmter, mit Hin-
sieht auf die vielen Fälle jedoch jedesmal ein anderer, also un-
bestimmter war. Es verlohnt sich, was wir über die Entwicke-
lung wissen, zusammenzustellen.
Den Gebrauch, dafs ille, ille in zwei Teile zerlegt, finden
wir auch bei Manilius 2, 185 (sentit iiterque calorem) ille sene-
scentis veris, subeuntis et ille aestatis; mehrmals bei Lucan. 4, f)3()
conflixere pares, telluris viribus ille, ille suis (Antaeus, Hercules), mit*
chiastischer Stellung; vgl. V. 012. 015. Unzweifelhaft gehört auch
Quintilian hierher, 2, 9, 12 in illo lentiore tarditatem aut in illo
praecipiti (vorher alteri . . alteri, Ephorus, Theopomp) concita-
tionem adiuvandam, wo man freilich das Pronomen als bestimm-
ten Artikel interpretieren könnte; 3, (3, 93 ille . . ille (Cicero,
Brutus); 11, 3, 1(38 neque ille . . nee ille (Demosthenes, Aeschines).
Plin. epist. 1, 23, 3 vel ille cui adessem vel ille quem contra;
G, 20, 15 illud ruisse, illud ardere nuntiabant, Sen. epist. 39, 1
*) Auf Grund der Variante his verbessert L. Havel hibus. Vgl. unten
S. 282. DieKed.
254 Meader-Wölfflin: Zur Gesch. d. Pronomina demonstr. IL
illum auf illum. luven. 10, 91 Uli summas donare curules, iilnm
exercitibus praeponere. Besonders lehrreich ist die Stelle bei
Manilius 2, 518
audire ut cupiant alios, aliosque videre,
horum odio, nunc horuni, idem dueantur amore,
Ulis insidias tendant, captentur ab illis.
Lehrreich nicht nur, weil sich in gleicher Bedeutung alii alii, lii
hi, illi illi entsprechen, sondern weil der des Lateinischen be-
kanntlich nicht vollkommen kundige Dichter ein pluralisches Paar
illi . . illi gebraucht hat, während der gute Sprachgebrauch nicht
über den Singular hinausgegangen ist. Sogar Petron hat sich
diesem Kanon unterworfen 115 illum beUantem arma decipiunt,
illum dis vota reddentem penatium suorum ruina sepelit; 124, 22i>
(vers.) ille manu pavida natos tenet, ille penates occultat greniio.
Pomp. comm. Don. (Gramm. V 205, Irt) et illud lectum et illud . .
ad illud debes consentire et illud in usu habere. Für den Plural-
gebrauch vgl. noch Silius 4, 317 (Itali, Tyrii) aut illi . . aut
illi. — Dreifaches ille giebt luven. 2, 95 S.
An den aus Sueton belegten Gebrauch nähert sich eine
Parallele aus Martial 7, 10, 1 :
quid ad te,
de cute quid faciant ille vel ille suaV
Wir sagen: der X oder Y. Noch genauer stimmt der An-
fang eines Ediktes bei Lamprid. Alex. Sev. 45, 2: illa die, illa hora
ab urbe sum exiturus, weil im einzelnen Edikte Zahl und Datum
bestimmt war, der Scliriftsteller aber dafür nur ein hinweisendes
Pronomen einsetzte. [Fortsetzung folgt.]
Die Origiiialabhandlung des H. Dr. Meader wird in eng-
lischer Sprache veröffentlicht werdeD.
München. Meader-Wölfflin.
Die römische Soldatensprache.
Die Eigensprache bestimmter Stände und Berufszweige, das,
was man ihren „Jargon" nennt, zum Gegenstand systematischer
Erforschung und wissenschaftlicher Betrachtung zu machen, ist
eine Aufgabe, die sich erst die vorgeschrittene Wissenschaft
unserer Tage stellen konnte. Zwei mustergültige Monographien
dieser Art hat im vergangenen Jahrzehnt die Germanistik hervor-
gebracht: 1895 veröffentlichte Fr. Kluge seine „Deutsche Studenten-
sprache", 1899 P. Hom seine „Deutsche Soldatensprache". Auch
die Latinistik hat, nachdem das Interesse für die Untersuchung
der Sprache der einzelnen Autoren allmählich erlahmt ist, der
Trieb ergriffen, die Sondersprache der einzelnen Klassen von
Menschen zu erforschen, ihren Anteil an der Wortschöpfung fest-
zustellen. Den Anfang machte W. Kalb mit der Juristeusprache
(Roms .luristen nach ihrer Sprache dargestellt, 1890; vgl. Archiv
VIII, 190). Ihm ist jetzt ein junger Giefsener Philologe J. G.
Kempf gefolgt mit der Darstellung der römischen Lagersprache,
einem latinistischen Seitenstiick zu Homs deutscher Soldaten-
sprache, in der soeben erschienenen Abhandlung 'Komanoruui
sermonis castrensis reliquiae coUectae et Ulustratae' («lalirb. f.
klass. Phil. Suppl. XXVI, 340—400)*). Die Bedeutung dieses
Unternehmens und das vom Stoff* gebotene Interesse rechtfertigen
es wohl, w^enn wir die Leser des Archivs mit der A])handlung
etwas näher bekannt machen, als es in einer Besprechung im
Anzeigenteil der Zeitschrift geschehen könnte.
Schon ein Vergleich des äufseren Unifangs des S]>rach-
materials, das die Germanisten einerseits, die Latinisten anderer-
seits gesammelt haben, ist freilich geeignet, die alte Klage über
die Trümmerhaftigkeit der römischen Litt(*ratur heiTorzurufen.
Wo stehen auch dem Latinistt»n so reichhaltige und vielseitige
(Quellen zur Verfügung, wie sie Kluge ])eis])ielswei8e in der burschi-
*; Auch »eparat erschienen.
256 W. Heraeus:
kosen Scliriftstellerei des Fr. (?hr. Lankhard (vom grofsen Griiiim-
schen Wörterbuch ganz übersehen!), Hom im Simplicissimus, in
Fronspergers Kriegsbuch, in Moscheroschs Soldatenleben, um aus
der Fülle nur einiges zu nennen, benutzen konnte? Schon da-
durch hatten die Germanisten, die überdies eine lebende, in der
Entwicklung begriflfene Sprache vor sich haben, einen bedeutenden
Vorspnmg, nicht minder dadurch, dafs sie nicht ganz ohne Vor-
gänger waren, so unwissenschaftlich auch die Vorarbeiten früherer
Jahrhunderte waren. Aber wo fliefsen Quellen für die römische
Soldatensprache? Hätte uns ein günstiges Geschick den satirischen
Roman des Petronius vollständig erhalten, wer weifs, ob wir nicht
den Jargon des miles gregarius uns so lebhaft vorstellen könnten,
wie die Mischsprache der Libertinen in den Trümmern des 15.
\md 16. Buches? So mufsten die spärlichen Reste der römischen
Lagersprache zusammengesucht werden aus den Kriegsschrift-
stellem, Historikern*), Scholien, Grammatikern, Inschriften, Glossen,
ein mühseliges Werk voll schmerzlicher Resignation, die auch
durch die Arbeit gelegentlich durchklingt, so oft auch die Freude
des Findens nach langem, vergeblichem Durchsuchen den Ver-
fasser belohnt haben mag. Und mit Bienenfleifs hat Kempf ge-
sammelt, hat manchen Beitrag zur Aufhellung der bei dem Völker-
gemisch des römischen Heeres und bei ihrer steten Berührung
mit fremden Nationen nicht verwunderlichen Dunkelheit der
Soldatensprache gebracht, auch eine allgemeine Charakteristik
derselben zu geben versucht (p. 394 fif.). Freilich wäre der Um-
fang des sprachlichen Materials ein wesentlich ansehnlicherer ge-
worden, wenn das Thema weiter gesteckt w^orden wäre. Aber
mit Recht hat K. die Untersuchung beschränkt auf die Soldaten-
sprache im engeren Sinne, die Lagersprache, dagegen die Militär-
oder Heeressprache abseits gelassen. Man suche also in der Ar-
beit nicht auch eine Zusammenstellung der offiziellen und so in
der Litteratursprache gebräuchlichen termini technici der römi-
*) Diese siud verhältnismäl'sig die ergiebi^teii , besonderH Suetou, die
Scriptores hißt. Aug., Ammian, Aur. Vict. epit. , Caesar, der Verfasser des
Ijclluin Hispanieiise, aus dem schon Albr. Koehler, Act. sem. Erl. I, 367 if.
verschiedene Ausdrücke der Lagersprache vindicierte, wie aquilae = le-
giones (s. S. 262), den Gebrauch von vigiles für vigiliae (sonst nur bei
Hirtius), von bracchium für einen Teil einer Befestigungslinie = munitio
oder niui-us, wie Caesar sagt, während Livius und spätere den Soldaten-
ausdruck bereits als terminus technicus der Kriegskunst anwenden.
Die römische Soldatensprache. 257
sehen Kriegskunst, Soldatenchargen, Kommandoworte und ähn-
liche auch interessante Dinge.*) So ist, um nnr ein Beispiel
anzuführen, wohl campum colligere, was Vegetius r. m. III, 2b
als Soldat^nausdruck für spolia Ugere oder capfre bezeichnet, auf-
genommen, nicht aber rasa colli ff (re o. ä.* Dafs freilich eine strenge
Scheidung zwischen Soldatensi)raclie und Heeressprache nicht immer
möglich ist, ist Kempf nicht entgangen: gar oft mögen ja ur-
sprünglich von Soldaten geprägte Wörter oder Phrasen zum offi-
ziellen terminus technicus geworden sein. Aber alles irgendwie
Unsichere hat K. unberücksichtigt gelassen gemäls seiner Defini-
tion (p. 343) ^sermonem castrensem eum intellectum velim, quem
comprobari aut saltem fide quadam conici potest gregarius niiles
ipse sibi formasse Tel usurpasse, ita ut ab iis, qui communi ser-
moni studebant, alienus ac militum modo proprius esse sentiretur
ideoque evitandus putaretur'. Also Merkmale: durch ausdrück-
liche Zeugnisse erwiesener oder aus Anzeichen wahrscheinlicher
Ursprung vom gemeinen Soldaten und Meidung des von der ge-
wöhnlichen Sprache abweichenden Ausdrucks seitens der Schrift-
steller. Einfach liegt die Sache, wo geradezu ein Ausdruck
Vastrense verbum' genannt wird, wie conterraneus von Plinius
im Eingang der Vorrede seiner Naturgeschichte; aber oft läfst
sich nur ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen. Dal's
Vorarbeiten dem Verf. nicht vorlagen, ist schon bemerkt; die
römischen Altertumsforscher haben wohl Vocabula militaria' zu-
sammengestellt in Büchern Me militari disciplina' nach dem Zeugnis
von Qellius n. A. X, \\ allein diese beziehen sich wesentlich auf
die „Heeressprache", wie die von Gellius angeführten Austlrücke
'frons, subsidia, cuneus, orbis, globus, forfices, serra, alae, turres'**)
*) UiiHrer dienstlichen Meldung „Befehl ausgeführt'* ent^^pricht genau
factum est quod imperncisti, welche Form zu erbchliefsen ist aus der in-
direkten Redeweise Tac. ann. I, 6 nuatianti centurioni, ut mos miUtiae, fac-
tum esse qwjd imperassft ivgl. Suet, Tib. 22. Claud. 2',)).
•*) Die drei selteneren Arten von Schlachtordnungen: forfe.c, serra und
turris finden sich merkwürdigerweise auch in dem Fragment zusammen-
gestellt, das Fest. p. 344'\ 11 s. v. serra proeliari aus Catos Schrift erhalten
hat ^'sive forte opus sit cuneo aut gloho aut forcipe aut turrihils aut serra,
nti adoriare', forf'e.r, bez. forceps, kommt aucli bei Vegetius und Ammianus.
serra nur noch bei Vegetius vor. während das von Serv. zu Aen. X, 428
besprochene vodus (nodus proprie est densa peditum multitudo, sicut turma
equitum, ut lectum est in disciplina militari, wörtlich ausgeschrieben von
Ifiid. or. IX, 3, 60) überhaupt nicht weiter nachgewiesen scheint und viel-
258 W. Heraeuß:
zeigen, und sind nicht philologisch, sondern fach wissenschaftlich,
wie des älteren Cato noch von Vegetius im Anfang des 5. Jahr-
hunderts n. Chr. benutzte Schrift 'de re militari' (Fragmente bei
Jordan, rel. Cat. p. 80). Natürlich haben auch die obigen Schlaeht-
ordnungsarten keine Stella bei K., wohl aber vaput porci, bezw.
c. porcinura, nach Animian XVII, 13, 9 von der ^simplicitas niili-
taris' so genannt und auch von Veget. ÜI, 10 mit *milites nonii-
nant' eingeführt. Hier haben wir echtes Sprachgut des senno
castrensis vorliegen, selbst wenn, wie K. p. 369 A. vermutet, der
Ausdruck blofse Übersetzung eines germanischen wäre (vgl. die
Erklärer zu Tac. G. C, bes. MüllenhoflF, Deutsche Altertumskunde
IV, 180). Andererseits stellt sich drun/jus = globus bei Veget. 1. c.
und Vop. Prob. 19, 2 als eins der zahlreichen ins Lager einge-
drungenen Fremdw()rter dar, nach K. keltischen Ursprungs.
Die Anordnimg der Sammlimg selbst (p. 347 — 363) hat K.
zweckmäfsig so gestaltet: Die reliquiae minores (A) umfassen
I. nomina rerum, II. nomina locorum, III. interiectiones, IV. locu-
tiones, V. nomina hominum; die reliquiae maiores (B): I. canti-
lenae, II. dicta collectanea, III. inscriptiones glandibus plumbeis
impressae. Daran schliefst sich ein ausführlicher Kommentar
p. ;)63 — 393. In der 1. Abteilung nehmen die Sach- und Personen-
bezeichnungen den breitesten Raum ein, wie zu erwarten. Hier
erweist sich der Soldatenwitz besonders schöpferisch, so in dem
schon erwähnten Ausdrucke vaput porci, in der Anwendung von
noi'crca von Unebenheiten des Bodens im Lager (Hyg. m. castr.
57. 58), in der Bezeichnung der zum Tragen der sarcinae dienenden
gabelförmigen Stöcke als mHli Mariani (Paul. Fest.; es erinnert
von fern an den „Affen" unseres Soldaten), was später mifsver-
ständlich auf Leute, die geduldig die schwersten Lasten tragen,
angewendet wurde (Plut. Mar. 13 und Front, strat. IV, 1, 7). In
dieses Gebiet schlagen auch die zahlreichen von Tiemamen ent-
lehnten Bezeichnungen besonders für Belagerungsvorrichtimgen,
wie aries, musculus, testudo, scorpius, cuniculus, papilio u. a.
(Kempf S. 394), von denen sich nur vermuten läfst, dafs sie vom
gemeinen Manne aufgebracht sind; da sie aber durchaus als adop-
tierte Kunstousdrücke in der Litteratur erscheinen, so sind sie
leicht doch blofs ein Soldatenausdruck ist. Die ganze Notiz des GelliuB
macht mir den Eindruck, als hätte er sie aus eben dieser Catostelle, die er
in dem Originalwerk dos Verrius fand, zusammengestellt.
Die römische Soldatensprache. 259
Ton der Betrachtung ausgeschlossen. Doch dürfte wohl pnpilio
= Zelt in die Reihe der Soldatenansdrücke unbedenklich aufge-
nommen werden. Kempf hat an das Wort wenigstens in einer
Anmerkung a. a. 0. einige Bemerkungen geknüpft, die darin gipfeln,
dafs papilio eine bestimmte Art von Zelten bezeichne: auffallend
sei wenigstens, dafs Hygin in der Lagerbeschreibung die Zelte
<ler praetoriani und statores tentorüi nenne, nicht jHtpiliones*),
die auch in einem Glossar mit tentoria modica erklärt würden.
Auf letzteren Umstand möchte kein zu grofses Gewicht gelegt
werden dürfen, da andere Glossare blofs tentoria bieten**), die
bilinguen öxr^vi] oder öx^jvcjiia geben und beschränkende Zusätze,
wie modica, sich öfters in den Glossen nachweisen lassen. Doch
könnte, wie Blümner zum Ed. Diocl. p. 149 vermutet, noch der
Name papilio darauf hindeuten, dals diese Zelte bunter waren als
die gewöhnlichen tentoria. Dafs es aber ursprünglich recht eigent-
lich ein Soldaten wort ist und ein Soldatenzelt bezeichnet, wenn-
gleich es später allgemeiner vom Volk angewendet wurde und
80 in die romanischen Sprachen (it. padiglione, frz. pavillon etc.)
unter Verdrängung von tentorium und tabemaculum überging,
dafür bieten die Fragmente der alten Werdener Glossen ein aus-
drückliches Zeugnis (J. H. Gallee, altsächs. Sprachdenkmäler, 1894,
S. 354): tenforiuni: rasa militarh rel taf)er}m/>ulum , qtiod dirunt
milites papiliones. Das älteste***) litterarische Zeugnis scheint
Tertull. martyr. 3 zu sein: nemo miles de cubiculo ad aciem pro-
cedit, sed de papilionibus expeditis et substrictis, wo es also vom
Soldatenzelt steht, während schon zur Zeit desselben Schriftstellers
in den Acta fr. Arval. zum Jahre 218 ein jHipillio (sie) des Arval-
Magisters erwähnt wird. Häufiger wird das Wort erst seit dem
Anfang des 4. Jhdts. Im Maximaltarif des Diocletian vom J. 301
wird aufgeführt eine gefärbte Decke (ßccjtti] iväQOfiig) in der Breite
und Länge von 16 Fufs lg (= eig) Ttanvkiibva (der latein. Text
*") Einen Unterschied könnte auch Capitol. tr. tyr. 16 sigillata tentoria
et aurati papiliones andeuten.
*•; Auch Augustin locut. 114 d. Genes, sagt blofs tentoria, quos etiam
papili(/nes cocant.
***) Schon in die Zeit Domitians würde dagegen diese Anwendung des
Wortes hinaufgehen, wenn die Genfer Herausgeber eines hochinteressanten,
Militärakten enthaltenden Papyrus (Nicole et Morel, archives militaires au
1 si^cle, Genf 1900 1, worauf Kempf a. a. O. hinweist, richtig gelesen haben.
Eine Partie dieser Akten hat kürzlich Mommsen behandelt: „Ägyptische
Legionare", Hermes 1900 S. 44H tf.
260 W. Heraeus:
ist nicht erhalten). Dann je dreimal in den Scr. hist. Aug.
(Soldatenzelt) und der Vulgata A. T. (allgemein), sehr oft bei
Vegetius r. mil. und Hyg. castr. mun., um von Späteren zu
schweigen; vgl. Itoensch, Itala p. 319 f. Dagegen lieferte dem
Verf. Caesar b. g. VII, 73 bei der Schilderung der Belagerung
von Alesia drei Ausdrücke für Palissadierungen: ('ip2)iis, lUiuw,
stitnidus, die, wie schon die Art der Einführung durch 'hos
cippos appellabant' u. ä. zeigen, keine festen termini technici
waren, es übrigens auch nicht geworden sind, sondern von den
Soldaten ad hoc erfunden wurden. Lil'mm erinnert übrigens an
die Art Wolfsgruben, die calkfili fecfi in der sog. allocutio Ha-
driani C. I. L. VIII, 2532 genaimt werden. Was ri2)pas betrifft, so
nimmt Kenipf mit anderen an, dafs die Soldaten bei dieser Namen-
gebung an den Gebrauch von cip])i als 'Leichensteine' dachten
und damit auf die tötliche Wirkung des Apparats anspielten.
Wir möchten das allenfalls als Nebengedanken gelten lassen, im
übrigen hinweisen auf einen Gebrauch von ripjmSy den uns eine
bilingue Glosse lehrt (in den reinlat. Gl.*) wird das Wort über-
haupt nicht erklärt). Während nämlich die übrigen bilinguen
Glossen nur die gewÖlmlichen Bedeutungen öTr/At/, (Jti/'A?; aTcb Jt»-
Aoi', 6x7\h] xCyv fivjjficcTiüVj xoQfioi; geben, wird in dem sog. Phi-
loxenus- Glossar C. Gl. L. II, 1(K), 53 (i])]nui aul'ser durch fvf6g**\
kCd-tvoi; xoQfLoc; noch durch :Tüdoxäxi] erklärt, d. h. Fufsblock
(Suidas s. v. tb ^rAoi' ev tc5 de6^wx)]Qi(p orrcjs' ixakilroX Hält
man mit dieser Glosse die Worte ("aesars 'quo qui intraverant,
se ipsi acutissimis vallis induebant' zusammen, so wird der
Soldatenwitz erst verständlich, und es erledigen sich Verdäch-
*) Doch will Salmasius zu Tertull. pall. o in einem Glossar cippus mit
soUa lig'n^a erklärt gefunden haben. Solea ist bei Cicero eine Art Fufs-
fe8sol. ZwangHHchuh.
**) Vnloanius wollte arvXog cmondieren, schcm an sich kühn. Wir
wollen lieber aus dieser Glosse ein zweites lernen, dafs nümlich cijypus auch
für einen dummen, albernen Menschen (tvto^ hat ja so in RpiVt<»rer Zeit seine
urspninglicho Bedeutung „stumm, taubstunmi*' verallgemeinert), einen „Klotz**
gebraucht wurde, wie die siimverwandten siipcs, tniticiis, caudex (s. Otto,
Sprichw. der Römer h. v. stipes, Friedländer zu Petr. 43». tbrigens galt
das Wort cippus überhaupt nicht als fein, wie man aus Gell. X\T, 7, 9 8icht,
der es nicht einmal in einem Mimus des Laberius gelten lassen will; die
betr. Stelle hat er leider nicht ausgeschrieben. In der That findet sich das
VV^ort nur bei Komikern und Satirikern und inschriftlich == Leicheustein,
.sonst nur bei Technikern = Grenzstein.
Die römische Soldatensprache. 2G1
tigrmgen der überlieferten Lesart (Kraner yermutete cirros). Diese
Anwendung von cippus, mit der man die von candex^ codex ver-
gleichen kann^ muTs nicht ungewöhnlich gewesen sein^ man sehe
Alihochd. Glossen (ed. Sievers und Steinmeyer) III, 1, 4 cipims:
stochy Aldhelm de laud. virg. 25 et suras iterum cijyporum vincula
laedunt, Osbem Panorm. p. 125 ed. Mai: cippus ilhid, in quo pedes
reorum constringuntiir, Reichenauer 61. n. 463 (Foerster-Roschwitz,
altfrz. Übgsb. p. 12) in nervo: in eiiypo (zu Vulg. lob 13, 27). Auch
ini Romanischen so: ^ceppos (= ital. ceppo) hodie vocamus, quid-
quid pedes vincire potest' sagt Salmasius zu Tertull. de pall. c. 5
(wo cipjw nur Konjektur für das überlieferte cnio). Endlich
kennen die Glossen noch ein Verbum incippare: unter den sog.
Isidor-Glossen, die Loewe als eine Kompilation Scaligers aus ver-
schiedenen, meist noch erhaltenen Glossarien erkannt hat (C. Gl.
V, 601, 40), findet sich itmpjmt mit indudit erklärt, wofür schon
de la Cerda richtig indiulit vermutete, was dadurch bestätigt wird,
dafs in dem Glossar 'Abavus' IV, 351, 47, der Quelle Scaligers
für jene Glosse, zwei Handschriften in der That indudit bieten.*)
Ein Seitenstück zu diesem ificippare bietet imboio: xko^bv tcbql-
rC^fii C. Gl. II, 350, 64, was m. E. auch in der Gl. Loiselii III,
483, 10 inobciti: deöfitoi sich verbirgt, was man allgemein als in-
nodafi fafst. Auch Imia, Halseisen für Sklaven und Verbrecher,
ist übrigens im Romanischen erhalten (prov. boia Kette, frz.
buie u. s. w., s. Groeber, Archiv I, 251); zu den wenigen Belegen
bei Georges kommt noch Prudent. psych, praef. 34 attt'ita boiis
colla und das Glossenmaterial, jetzt zusammengestellt C. Gl. VU, 147.
Unter den Sachbezeichnungen sind reinlateinische bei Kempf
nur noch clav avium (Geld für die Nägel der caligae) und aquila.
Ersteres, nur Tac. h. III, 50 erwähnt: davarium flagitantes mit der
vielfach als Glossem angesehenen Erläuterung donativi nomen est,
fafst K. als Soldatenausdruck für donativum überhaupt, wodurch
sich dann die beigefügte Erklärung für den römischen Leser recht-
fertigen würde, und vei-weist auf die Verallgemeinerung der Be-
*) Man lasse sich nicht beirren durch die Artikel desselben Glossars
IV, 354, 22 illudentes: carinentes (sie), iticippanUs, wo schon die Selten-
heit der zur Erklärung benutzten Wörter zusammen mit der oft überlieferten
Glosse carinantes: illudentes darauf führt, dafs durch Umstellung von Glosse
und Interpretament, wie häufig im Abavus-Glossar, ein neuer Artikel fabri-
ziert worden ist, der dann durch Benutzung des verdorbenen iftcippat: iVt-
bulit noch eine Erweiterung erfahren hat.
Archiv fOr lat. Lexikogr. XII. Heft 3. 18
262 W. Heraeus:
deutnng von salarium und congiarium (so sprechen wir von „Nadel-
geld", „Trinkgeld" und fordern die neapolitanischen Kutscher
sigaro oder maccheroni).
Die Metonymie aquila für legio nach Analogie von signum
und vexillum nimmt K. mit Koehler (s. o. S. 256 Anm.) für die
Soldatensprache in Anspruch auf Grund der Stelle des Verfassers
des b. Hisp. 30, 1 erat acies XIII agtiäis constituta. Die Lex.
führen für diesen Gebrauch noch an Lucan V, 238 und Plin. n. h.
XIII, 23 }uic niercede corruptae aquilney aber selbst bei dem alten
Soldaten Plinius, der übrigens doch so geringe Ausbeute für die
Lagersprache liefert, ist die Wendung eher auf Rechnung seines
Strebens nach poetischem Kolorit zu setzen. Übrigens sei hier
die Frage aufgeworfen, ob der römische Soldat auch die ver-
wandte Metonymie, Truppenarten nach WaflFen zu bezeichnen,
gepflegt hat. Dem Griechen ist ja aönCdag^ o;rAa für äöxtötai^
ftTcklrai ganz geläufig, ebenso sprechen wir von „100 Lanzen" oder
500 Säbeln = 500 Reitern. — Zu diesen reinlateinischen Aus-
drücken gehört vielleicht auch ancentus, das Blasen von Blech-
musik, in der Inschrift von Venafrum C. I. L. X, 4915 (= Anthol.
lat. epigr. 1319 Buech.) Mariios nnrentu stimtdafis gladiantes in
arma vocavi. Wenigstens ist Mommsen a. a. 0. geneigt, das Wort
für ein uraltes VocÄbulum castrense' zu halten, gebildet wie aw-
helnre und antestari, imd will die Form auch bei Ammian XVI,
12, 36 und XXIV, 4, 22 für das überlieferte accentus (aeneatorum)
setzen; doch spricht Buecheler gewichtige Bedenken dag^en aus.
Sicherer scheint mir, dafs postprinripia (Plur.) castrensischen
Ursprungs ist: man sehe Varro r. r. III, 4, 1 Utule relis me in-
cipere, Axi, die, — lUe, Ego vero, inquit, a posipriticipiiSy ut aiunt
in castris^ id est ah Ins temporihus (puim siiperioribus etc. Die
Überlieferung giebt hier freilich post prinnpia statt a p,, und
zwar hinter ut aiunt, allein Schneider hat das Richtige erkannt
und hergestellt (ebenso Keil) auf Gnmd der Fragmente des Varro
bei Gellius XVI, 9, 5 und 18, G, einer Plautusstelle (Pers. 452)
und eines Afraniusfragments bei Cic. Sest. 55, 118 (postprincipiu
atqne exitus vitiosae vitae). An allen diesen Stellen ist die eigen-
tümliche hypostatische Bildung postprindpia im übertragenen Sinne
angewendet von dem Fortgang einer Sache nach dem Anfang,
während zur Erklärung jedenfalls mit J. Gronov, observ. IV, 10
auf den militärischen Fachausdruck 'principia' = Vordertreflfen
zurückzugehen ist; vgl. auch Piasberg im Rh. Mus. LIII, 79. Doch
Die römische Soldatensprache. 263
hier stehen wir bereits auf der Grenze der eigentlichen Soldaten-
sprache und der Heeressprache.*) Sonst liefsen sich noch Aus-
drücke heranziehen wie primOj seeundo, tertio pedatu (ursprüng-
lich rein militärisch: „beim ersten Angriff^, die den alten Gram-
matikern und Lexikographen**) in den Schriften des alten Cato
wiederholt auffielen, obwohl auch Plautus Cist. 525 (ed. Goetz)
pedatu tertio nicht scheute und, was unsere Wörterbücher ver-
schweigen, man nach dem Zeugnisse des Gharisius (C. Gr. L. I,
215, 23) noch zu seiner Zeit *per Cämpaniam' so sprach. Auch
diese Redeweise ist vermutlich von Soldaten zuerst verallgemeinert
angewandt zur Bezeichnung des so und sovielten Males, wie sie
durchaus bei Cato und Plautus erscheint, und bildet ein Seiten-
stück zu der später üblichen Umschreibung mit vicihus, bez. vice
(schol. Terent. ed. Klee p. 140, 17 pritna vice nee secunda, 141, 9
teriia vice; Hist. Mise. VII, 26 p. 184, 5 secunda v,, davon wahr-
scheinlich französisches fois).
Fremden Ursprungs, durch den Verkehr mit den Soldaten
und der Bevölkerung fremder Nationen in die römische Lager-
sprache eingedrungen ist der ansehnliche R^st der von Kenipf
gesammelten sachlichen Bezeichnungen. Das meiste hiervon ist
germanisch, wie hurgus, das spätestens im 2. Jhdt. n. Chr. über-
nommen wurde (zuerst in einer Inschrift, die zwischen 138 und
140 fällt: numerus hurgariarum), ursprünglich = Turm am Limes,
zu Vegetius' Zeit nach seiner ausdrücklichen Erklärung = par-
*) Der Dienstsprache gehört u. a. auch, was nirgends beachtet ist, das
Abstraktum flagitium an, wenn die Zeugnisse nicht trügen: Donatus zu
Ter. Eun. II, 3, DO flagitium more militari dicitur res ftagitation^, hoc est
increpatiofie digna, C. Gl. L. V, 295, 23 flagitium factum malum vel crimen
proprie militare, sed tum et turpiter et ad vitia, quae molUter fiunt, dic-
tum est hoc nomen. In diesem Sinne steht es bei den Historikern von allem,
was gegen die Soldatenehre geht, mit dem Zusatz militiae Sali. Tug. 54, 4,
Tac. ann. I, 27, militare Curt. 8, 14, 11 (vgl. Isidor. or. V, 7, 1 militaris flagi-
tii, si locus deseratur, Cod. lust. XIII, 6, 21, Fronto p. 124 N.). Doch fehlt
es z. B. bei Caesar und seinen Fortsetzen! , und ist auch in der höheren
Poesie von vielen ganz gemieden, wie Vergil, Ovid, TibuU, während es je
einmal bei CatuU (67, 42) und Properz (II, 34, 12j in erotischer Beziehung
steht, wie sonst in Prosa öfters. Horaz hat es dreimal gebraucht in den
verschiedensten Beziehungen.
*•) Die Handschriften des Nonius p. 61 geben übrigens konstant pe-
dafo, ebenso die Glosse C. Gl. L. U, 197, 39/40 rpirrj Tttgioäüg, ix z^itov,
wozu man die Anweisung des Caper (C. Gr. L. \U.^ lOU, 23) heranziehe:
primo 2)€datu, non pidato (sie; dicendum.
18*
264 W. Heraeus:
^1llum castellum, von K. erschöpfend behandelt; femer carratfo
* Wagenburg' (Amm. XXXI, 7, 7 ad carraginem, quam ita ipsi ap-
pellant, sc. Gothi), ti(fa eine Art Banner, angelsächsisch^ wie vor
allem das von K. übersehene Zeugnis des Beda (Grimm, deutsche
Rechtsalt. p. 241) beweist: nee non et ubilibet illo (der angels.
König Edwin) incedente per plateas illud genus vexilli, quod Ro-
mani tufaniy Angli vero appellant th/tfy ante eum ferri solebat.
Unser j^Banner^' selbst hängt zusammen mit dem schon in den
römischen Heeren von den Gothen oder Longobarden entlehnten
hanäHm; das neutrale Geschlecht geht übrigens aus den von K.
citierten Zeugnissen nicht hervor, wohl aber aus Glossen wie
Anecd. Par. IV p. 198, 8 ol ^Irukol ßcivdcc xakovöi tä iv ratg
rd^eöi iz(öj](ia etc. Barritus, urspr. barditus (Tac. Genn.), aus
dem Germanischen und zur Bezeichnung des Schlaohtgeschreies
der fremden Hilfsvölker angewandt, dann volksetyniologisch von
den Soldaten an harrirCf den Ton der Elephanten, angelehnt und
zu harnfus umgestaltet. Keltisch sind drungus, worüber oben
8. 258, und nach Kempf auch herha (eine Art Lanze), wie er bei
Veget. I, 20 für da» überlieferte hehra liest und an keltisches beru
= verutum, femin. *berva erinnert. Griechisch ist viUhantHm^ wo-
mit eine Art runden Tisches nach griech. xillißag noch zu Varros
(1. 1. V, 121) Zeit bezeichnet wurde, und vielleicht auch segestre*)
(öteyaörQov), was derselbe Varro 1. 1. V, 166 als Lagerwort deut-
lich zu erkennen giebt. Barbarischen Ursprungs, aber von zweifel-
hafter Lesart und ungewifs, welcher Sprache entlehnt, ist ein spä-
ter Soldatenausdruck für rineae: quas nunc militari iKirharicoqtiC
usu cantias (so die geringeren Hdschr., die bessere Klasse giebt
amtihiis, was auf cautivos führen würde) vocant Veget. IV, 15.
Endlich das dunkle mattioharhulns bei Vegetius, urspr. eine Art
Bleigeschosse, dann auf peregrine Truppen, die sie führen, über-
tragen, erklärt K. unter Verwerfung von Stowassers phantastischer
Etymologie iiaxxx^o:TäQßokog als Zusammensetzung aus Inirbulus
(Deminutiv des Fisches barbus: C. Gl. II, 28, 21 harbulus (pccyQog
Ix^vg) und ^ matt in (matia), einem Geschofs, wonach die* in spä-
terer Zeit oft erwähnten mattiarii genannt seien, und fafst das
Ganze als einen Lagerausdruck für die offizielle Bezeichnung mat-
tiarii, — Zu diesen Fremdwörtern der Soldatensprache füge ich
*) Die im Ed. Diocl. erscheinende Form kgesire (K. p. 371 A. 1) kennen
auch die Glossen: s. Jahrb. f. class. Phil. 1897 p. 367.
Die römische Soldatensprache. 265
noch ein sicheres hinzu: camisia. Dals dies ein verbum castrense
ist, lafst sich erweisen aus dem Wortlaut der ersten*) Erwähnung
bei Hieronymus ep. 64, 11 volo pro legentis facilitate ahuti sennone
vtdgcUo: solent militantes habere lineas, quas eamisias vo-
cant, sie aptas memhris et adstridas corporibus, ut expediti sint
vd ad cursum vel ad proelia. Spätere Zeugnisse, die das Wort
als Bestandteil der Vulgärsprache überhaupt charakterisieren**),
von der es ja auch ins Romanische (it. camiscia, frz, chemise)
tibergegangen ist, s. bes. Diez, etym. Wtb. der rom. Spr. p. 80,
5. Aufl., wo auch die Kontroverse des Urspnmgs des Wortes ein-
gehend behandelt ist. Trotz Diez' Einwänden ist man übrigens
neuerdings wieder auf die alte Ableitung aus dem Germanischen,
ahd. hamidi (Hemde) zurückgekommen, wenn man es auch auf
dem Umweg über das Keltische übergegangen sein läfst (vgl.
Groeber, Arch. f. L. I, 541 und Thumeysen, Keltoromanisches
S. 51 ff.).
Ortsbezeichnungen der Soldatensprache hat K. nur wenige
gefunden: strava oder straba = Grabhügel, was K. nicht mit
Miklosich aus dem Slavischen, sondern mit J. Grimm vom go-
thischen straujan ableitet; insula glaesaria, eine nach dem
Bemsteinreichtum von den Soldaten benannte friesische Insel;
castra scelerata, Bezeichnimg des Sommerlagers in Germanien,
in dem der ältere Drusus starb, nach Analogie von stadtrömischen
Lokalnamen wie sceleratus vicus u. a. (K. p. 373). Der Soldaten-
witz zeigt sich in der Anwendung von noverca auf Unebenheiten
des Bodens im Lager (Hyg. c. mun. § 57. 58).
Ein merkwürdiges Soldatenwort ist aber übersehen: turturilla.
Schon Buecheler hat in dieser Zeitschrift II, 117 zur obscöiien Er-
klärung von turtur***)j dem aphrodisischen Vogel, bei Plaut. Bacch.
*) Dafs bei Paul. Fest. 311, 4 supparus vesttmentum puellare Uneuw,
quod et subucula, id est camisia, dicituF ein Zusatz des Paulus vorliegt, hat
man längst erkannt.
•*) Z. B. Isid. or. XIX, 21, 1 poderis est sacerdotis linea . . ., quam culyo
camisiam vocant. Daraus sieht man, daljs die Glosse tunica linea, quae vulgo
camisia dicitur, was von Loewe prodr. 418 und C. Gl. VEL s. v. übersehen
ist, keine selbständige Bedeutung und ihr Lemma (poderes) verloren hat,
wie viele andere Glossen.
♦^ Buecheler a. a. 0. S. 118 weist auch auf die gleiche Metapher bei
einer anderen Taubenart hin (Schol. Pers. I, tJO ingentes Titos dicit . . . aut
certe a itiembri virilis magnitudine dicti titi, ebd. titi colunibae sunt agrestes,
Isid. or. Xn, 7, 62 pulumhes quas vulgo titos vocanf). Andere Tiemamen zur
266 W. Heraeus:
68 unter anderem die 'Isidor'-Glosse herangezogen^ welche turtu-
rilla erklärt: ita dicttis locus in quo carniptelne fidxint, quod ibi
turturi opera daretur, id est pefii (alte Konjektur ftlr panem), so-
wie auf die Stelle des Seneca ep. 96, 5, der das Wort auf weich-
liche Personen anwendet: hi .... fortes viri sunt primoresque ca-
strorum; isti qtws putida quies alm laborantibus molliier habet,
ttirturillae sunt, tuti contumeliae causa, Scaligers Quelle fQr jene
Glosse ist dann durch die Edition des Corpus Gloss. (IV, 188, 7,
bez. V, 488, 3) bekannt geworden, zugleich eine, wie scheint,
volksetymologische*) Umbildung purpurilla: locus extra por-
tam, ubi scorta prostant: dictum est autem vocabulum, quod ma-
tronae stola, libertinae toga, prostitutae purpurea veste uterentur
(C. Gl. IV, 153, 8 und anderswo), wo die nähere Bezeichnung lo-
cus extra 'portam uns schon etwas weiter führj als die Isidor-
Glosse mit ihrem allgemeinen locus, bis endlich die Glosse einer
Vatikanischen Handschrift V, 524, 30 dicitur locus in castris
extra vallum in quo scorta prostant etc., zusammengehalten mit
der Seneca-Stelle, die höchste Wahrscheinlichkeit dafür ergiebt,
dafs tnrturilla, bez. purpur. ein Lagerausdruck war, so auffallend
es sein mag, dafs das Wort, wenn es ursprünglich Deminutivum
vom Fem. turtur war**), zur Ortsbezeichnung hat werden können
(die Zeugnisse über das Wort sind vollständig zusammengestellt von
Goetz im Lektions-Verz. Jena 1885y«6 p. 4 und C. Gl. VU s.v.)***)
Auch offenbar fremde Wörter für Lokalitäten im Lager und aufser-
halb, wie canaha, die Krämerbude vor dem Lager (s. Mommsen,
Bezeichnung des männlichen Gliedes sind: curculio ('Komwurm': Pers. 4, 88;
vgl. cermivultis: ßäXccvog ^vägslag (pvöstag C. Gl. II, 522, 13), natrix (Waaaer-
schlange: Lucil. ü, 21 L. M., 52 Lachm.) wie ^%ig, öcptg u. a. (Priap. 83, 33 Buech.
aiigue lentior cuhes)^ sira: aavgcc t6 alöotov C. Gl. II, 186, 9, sopio pisciti
rubeus aut penis Sacerdos C. Gr. L. VI, 462 (cf. Catull 37, 10 und pompej.
Graffito C. I. L. IV, 1700, a. Sonny, Arch. X, 528 und XI, 276, wonach sopio
auch in einer Hdschr. des Sac. sich "findet; Kempf p. 389 A. 1 citiert noch
ropio nach Keils Ausg.), endlich nach dem geilen Sperling sfrutheum in
viimis praecipue vocant ohscetiam paHcin virilem Fest. p. 313*, 23.
*} Man könnte an den Namen der Venus bei Serv. Aen. I, 720 Pur-
imrism erinnern und an das bekannte Schminkmittel purpurissum (C. Gl.
HI. 194, 53 purjmrissa: (pvxog).
**) Vgl. noch die Notiz des ''Auetor de dubiis nominibus' C. Gr. L. V,
692, 3 turtur generis mascuUni , ut Plautus .... quamvis PoUio et alii di-
vant turtureUas.
***) An UituniUa von Tutunus = Priapus mit Nettleship, Joum. of Phil.
XX, 187 zu denken, ist doch angesichts der dargelegten Zeugnisse kühn.
Die römische Soldatensprache. 267.
Herrn. VII, 303 flF. und den Artikel in Pauly-Wissowas Realenc. s. v.),
cantunae (Korrespondenzblatt der westd. Ztschr. f. Gesch. 1898
S. 70), beide in Inschriften, dürften hierher zu ziehen sein.
Von Ausrufen führt K. das bekannte io triumphe an und
feri (Plut. Mar. 8 tcvxvov tb ipsQi tovveöti naU xaQcyyv&ötv
dkXi^loig), das durch Inschriften auf Schleuderbleien (K, p. 362) wie
feri Pompeium illustriert wird, wozu man auch an das von Florus
IV, 2 p. 99, 26 Jahn überlieferte Wort Caesars in der Schlacht bei
Pharsalus ^miles, faciem feri^*) erinnern kann« Überhaupt ist
ja ferire ein echtes Soldatenwort: 'hosten^ qui feriet, mihi erit Kar-
tlmginiensiSj quisquis erit^ läfst Ennius den Hannibal ausrufen; in
der Eidesformel bei Liv. XXII, 38, 5 heilst es: ... neque ex ar-
difie recessuros nisi tdi sumendi aut petendi (? Luchs schreibt mit
Madvig aptandi) et aut liostis feriendi aut civis servandi causa;
Sali. Cat. 7, 5 5C qiiisque hostem ferire , . . properabat u. a. Bei
dieser Gelegenheit sei auch auf eine interessante vulgäre Redens-
art mit ferire aufmerksam gemacht, die uns von Donatus Ter.
Eon. n, 3, 66 erhalten ist: pervulgata^ consuetudinis dictum est
'feri canem foras* hoc est feriendo cunem foras eice.
Wir übergehen die zahlreichen von Kempf anhangsweise zu-
sammengestellten Signa, d. h. Feldgeschreie, die die Soldaten vor
der Schlacht erhielten, und Parolen, die zum Wachdienst aus-
gegeben wurden (beide Arten sind streng zu scheiden), imd wen-
den uns zu den verbalen Redensarten des Soldatenjargons.
Dahin rechnet K. z. B. das noch immer nicht sicher erklärte alte
Verbum fraxare, mit vigiliam circumire Paul. Fest. 91, 9 inter-
pretiert, wo übrigens der Singular vigiliam entweder ein Ab-
schreiberfehler oder ein Irrtum des Paulus ist; das korrekte (vgl.
die Belege in Andresens Programm S. 268) vigilias steht auch rich-
tig im Placidus-Glossar (C. Gl. V, 22, 7), das dagegen die Form
*) Ebenda die bekannte Parole, die Caesar ausgab, ^parce civihits\
die auch von Suet. Caes. 75 und App. b. c. 2, 80 x-^QVxag ig tag Tcc^sig
nccvraxov nsQiinsfinsv ^ ol rolg vixibciv ixilavov Scifyavatslv tav 6(iOid'vobv
etc. erwähnt wird, und, wie man längst gesehen, auch bei Vcll. II, 52, 4 in
einer Lücke ausgefallen ist: neque a^ntiquius quidqiiam hahuit, quam <^uty
in oinnes partes, ut militari verbo ex consuetudine ut^ir, dimitteret ***.
Ruhnken ergänzte prnecones clamantes ^parce ciribus\ allein worin soll das
'militare verbum' liegen? Auch Halms Signum oder tesseram ist doch für
die offenbar entschuldigende Bemerkung des Yelleius nicht signifikant genug
(Liv. IX, 82, 4 tesseram dari iuhet, ut jjrandeat miles etc., Weilsenb. zu ^^I,
35, li. War etwa tesserarius das Wort?
268 W. Heraeus:
fUixare bietet.*) Ausdrücklich als Verbiim castrense' mutzt Gellius
(XVII, 2, 9) dem Historiker 'prope cotidiani sermonis' (Fronto
bei Gell. XIII, 2ü, 2) Claudius Quadrigarius den Gebrauch von co-
pinri nach Analogie von lignari, aquari, pabulari, frumentari auf,
wonach Kempf mit WölflFlin auch das nur einmal in der gesamten
Litteratur erscheinende materiari bei Caesar b. g. VII, 73 als
eine Konzession des Schriftstellers an die Soldatensprache auf-
fafst (das Aktiv nmtcriare = blu8 Holz bauen, bei Cic. und Vitrj.**)
Ich möchte hier noch an eine dritte Bildung erinnern: stra-
mentari bei Hygin fab. 14 (p. 48, 15 M. Schmidt) Idmon (ein Ar-
gonaute) . . . a}yud LyiMm cum stramentatum exisset, ah apro
percussiis decUJit (feb. 18 p. 51, 12 ist derselbe Ausdruck in extra
venatum verdorben). Auch von dieser läfst sich der Ursprung
aus der Soldatensprache vermuten. Nach bestimmten Zeugnissen
ist dies wiederum der Fall bei zwei anderen von K. aufgeführten
Redensarten: caynpum coUigere, wovon schon oben S. 257 die
Rede war, \md haurire aliquem, das nach Serv. Aen. X, 314
die Soldaten sagten ^cum a latere quis aliquem adortus gladio
occidit', daher denn auch an der Mehrzahl der Stellen der Hi-
storiker und Epiker (aufser ihnen ist haurire für perfodere nur
aus Lucrez und Sen. trag, belegt, s. Georges-Mühlmann s. v. Sp. 1108)
*) Tacitua bist. II, 29 scheint in seiner bekannten Abneigung gegen
termini tecbnici einmal obire i'igilias statt circumire gewählt zu haben.
Doch steht am Rande des Mediceus von der Hand des Schreibers circuire,
was G. Andresen, in Tac. bist. stud. crit. et palaeogr. II, "22 (Progr. Askan.
Gymn. Berlin 1900) vorzuziehen geneigt ist, der aber übersieht, dafs auch
der ältere Plinius XIV, 146 matutitias obisse sine iniuria vigilias schreibt
(normal ist Liv. HI, 6, 9 munns vigüiarum senat^res j>er se ipsi obibant).
**) Übrigens heifst materiari nicht allgemein Holz holen, wie bei
Georges steht. Caesar und sorgfö,ltige Schriftsteller unterscheiden bekannt-
lich streng lignum 'Brennholz' von materia 'Bauholz' nach der Definition
Ulp. Dig. XXXII, 55 materia est, qime ad aedificandam fulciendum ntccs-
saria est, lignum, quidq^iid comlmremli causa paratum est. Die meuternden
Soldaten der niederrheinischen Armee bei Tac. ann. I, 35 indiscretis rocibus
pretia vacationum, angustias stipendii, duritiam operum ac propriis nomini-
bus incusant vallum, fossas, pabuJi, materiae, lignorum adgestus, wo man
indiscretis vocibus allgemein von verworrenen Zurufen, wüstem Durcheinander-
schreien versteht, während es doch wohl im Gegensatz zum folgenden pro-
priis nojninikus (mit namentlicher, spezieller Hervorhebung) von allgemein
gehaltenen Wendungen gesagt scheint. Dafs übrigens die Soldaten sich
dabei der Fachverba munire, lignari, materiari etc., bezw. der Verbalsub-
stantiva (lignatio) bedienten, ist wahrscheinlich, liegt aber zunächst nicht
in propria nomiun.
Die römische Soldatensprache. 269
als Objekt latus erscheint, übrigens Livius VII, 10, 10 in der Er-
zählung des Zweikampfes des Manlius Torquatus wohl aus seiner
Vorlage, Claudius Quadrigarius, s. Gellius IX, 13, 17, das Verbum
beibehalten hat. Ich füge noch einiges hinzu. Zu Fest. 449*, 8
sub vineam iacere dicuntur yniliteSy cum astantihis centurionihus
iacere axfuntur sudes bemerkt Otfr. Müller: ^iocus militaris, cuius-
modi multa exstant castrensis hilaritatis exempla: nam vinea haecce
nihil est nisi vites illae, quas centuriones manu gerunt, ex quibus
non uvae, sed plagae capiuntur'. Ein späterer Ausdruck der
Soldatensprache für „töten*^ scheint allevare zu sein, nach Augustin.
quaest. hept. VII, 56. Ich setze nach der Ausgabe von Jos. Zycha
(Wien 1895) die ganze Stelle hierher, da sie für volkstümliches
Latein überhaupt interessant ist: Quid est, quod ait Samson viris
Inda (1. Richter 15, 12): iurate ^mihi ne interficiatis me vos; et
tradite me eis, ne forte occurratis in me vos?' quam locutionem
ita nonnulli interpretati sunt: ne forte veniatis adversum me vos.
Sed hoc eum ne ab bis interficeretur dixisse illud indicat, quod
in Begnorum libro scriptum est iubente Salomone ut homo oc-
cideretur et dic^nte: Vade, occmre illi', quod ideo non intellegitur,
quia non est consuetudinis apud nos ita dici: sie enim quod mili-
tares potestates dicunt: vade, alleva illum, et significat ^occide
illum', quis intellegat nisi qui illius locutionis consuetudinem
novit? Solet vulgo apud nos dici: compendmvit illi, quod est 'oc-
cidit illum'; et hoc nemo intellegit, nisi qui audire consuevit.
Gewifs führten die römischen Soldaten noch melir solcher euphe-
mistischer oder grausam scherzender Redensarten im Munde, wie
iinsere Landsknechte ,jemand schlafen legen*', ,Jemandem das
Licht auslöschen" sagten (Moscherosch, Soldatenleben S. 340 Ausg.
V. Bobertag). — Ob auch ambulare im Sinne von „marschieren^^
hierher gehört, kann zweifelhaft sein. Das Verbum war ja über-
haupt volkstümlich und eines der zahlreichen Ersatzwörter für
das unkräftige ire, als solches im Romanischen unter anderem
auch*) wohl in frz. aller trotz aller entgegenstehenden Bedenken
*) Abgesehen vom Kiuaänischeii sonst auf die Anwendung auf das
Pafsgehen der Pferde beschränkt (prov. amblar, frz. ambler); vgl. amhula-
tura bei Veget. vet. (s. Georges), die Glosse 0. Gl. V, 169, 22 asturco: equus
amhiüator, Hyg. fab. 89 p. 86, 12 Seh. equos, (pii super aquaa et aristas am-
hulahmit. Letzterer Schriftsteller gebraucht es auch vom Laufen der Kinder:
fab. 74 p. 79, 9 cui (Lycurgo regi) respoiisum erat, ne in terra puerum depo-
neret, antequam passet amhulare.
270 W. Heraeus:
erhalten. Yegetios r. m. I^ 27 sagt: divi Augusti atq^te Hadriani
constitutionihus praecavetur, uf fer in mense tarn equites qtiam pe-
dites educantiir ambidatum: hoc enim verbo hoc exerdtii genus no-
minant, nnd wendet selbst das Wort oft von den Soldaten an
(8. den Index in der Ausgabe von C. Lang, ed. U). Danach scheint
das Wort in den Exercierreglements jener Kaiser gestanden zn
haben, die sich vor allen nm die Hebung der Disciplin bemüht
haben.*) Zugleich aber macht die lexikalische Bemerkung des
Vegetius den Eindruck, dafs dieser Gebrauch von ainhuiare aus
der Soldatensprache stammt. Dafs schon Gaelius Cic. &m. VIII,
15, 1 mit müites bellum amhulando confecerunt auf denselben an-
spielt (mit blofsen Spaziergängen — mit blofsen Märschen), hat
man bemerkt, ebenso, dafs Cicero selbst ad Att. VIII, 14, 1 eodem
modo Caesar amlndat etc. ihn ernsthaft verwendet, wenn auch vom
Feldherm, der mit seinem Heere zieht, wie in späterer Zeit der
Anonymus Valesianus § 53 schreibt Odoadier rex ambulavU Me-
diolanum und öfter, s. Boensch, coli. phil. p. 127. Aus den
Glossen sei herausgehoben C. Gl. V, 164, 48 agmen: ordinata
miilfitudo id est exereitus ambula^is. — Der Soldaten- und Fechter-
sprache geläufig ist das ganz vul^re, auch in die romanischen
S])rachen übergegangene battuere^ bez. battere (frz. battre etc.)
'klopfen', das Sueton von Gladiatoren zweimal gebraucht hat,
M. Aurelius von den persischen Soldaten nach Fronto ad M. Caes.
III, 1(5 a. E. (p. 55 N.) qtwm Persarum disciplinum memorares,
hvnv *battunt* ais; denn so ist die Stelle mit Klufsmann, emend.
Frontoii. p. 20 zu interpimgieren, um eine einfache Erklärung
der überlieferten Worte zu gewinnen: der Gebrauch des Aus-
drucks seitens seines hohen Zöglings mufste ja recht nach dem
Herzen des Fronto sein. Davon hat der Soldat unregelmäfsig
battiialia gebildet, qua^e vulgo battalia**) dminhir (frz. bataille):
*) Sie hebt daher auch Spartian v. Hadr. 10, 3 ff. hervor und rühmt
von Hadrian selbst, dafs er vicena nnlia pedihus armatus ambulahat (man
beachte, dafs auch das Verbum ambulare wiederkehrt): die vorschriftsmäfsige
t'bung war nämlich nach Vegetius a. a. 0. decem milia pcissuum in feldmarach-
müfsipfer Ausrüstung ire ac redire in castra.
**) Mit Ausstofsung des ?/, wie im Verbum, romanisch; hattnnt ist auch
bei Fronto überliefert, C. Gl. IV, 272, 28 ptlant: battunt, 494, 8 caedert:
hdttere, Veget. mulom. (s. Archiv X, 421), Lex Sal. 24, 8 delmtteret. Ed. Eoth.
^ oöl et<5. — Von dem sinnverwandten ferire war schon oben die Rede.
Auch Bildungen wie caesa „Hieb" mögen von Soldaten geprägt sein: Veget.
r. niil. I, 12, vgl. C. Gl. IV, 192, 21 ribices: caemt plagarum. Späterer Er*-
Die römische Soldatensprache. 271
exereitatiofies autem militum vd gladiatorum significat sagt Cassio-
dorins de orth. C. Gr. L. Yll, 17S^ 4 f. Dafs der späte Vegetius
r. mil. das Wort nicht gebraucht^ scheint doch dafür zu sprechen,
dafs es kein offizieller Ausdruck war. Endlich sei noch ver-
mutungsweise das Verbum continari hierhergestellt (= congredi,
consequi), das Kiefsling im Ind. lect. Greifs w. 1883 p. 3 wieder
entdeckt und aus den kritischen Apparaten in die Texte ver-
wiesen hat und nach ihm auch anderswo nachgewiesen ist, s.
Weyman, Arch. VI, 128 und meine „Sprache des Petron^' S. 25 A. 1.
Wir wenden uns zu der Rubrik 'nomina hominum', in der
zunächst n. 32 — Ö3 die AppeUativa von K. zusammengestellt sind.
Nicht immer ist die spezielle Beziehung auf das Lager so zweifels-
ohne wie bei muger (n. 38) 'Mogler': diei saht a eastrensium
^momni} hominihus . . is qui Mis male ludit oder bei conterra-
neus (n. 44, s. oben und p. 257) oder bei galearia (n. 40), wie
der Soldat för galearius mit auffallendem Geschlechtswechsel, viel-
leicht in Anlehnung an die synonymen Ausdrücke lioca, ccwula*) u. a.,
sagte nach den Zeugnissen des Vegetius r. m. I, 10 und III, 6,
wo die Lesart der besseren Hdschr.-Klasse lixas bez. Colones, quos
galiarins vocant aufzunehmen ist, sowie des Grammatikers Caper
C. Gr. VII, 103, 3 militis puer galearius rede dicitur, nnm galearia
söloecismus etc., endlich der Glosse C. Gl. III, 208, 42 v7ta6%L6xai
galeariae^ V, 370, 41 lioca: galearia u. a. (s. meine Bemerkungen
Archiv X, 508). Aber das reguläre galearius war wohl von vorn-
herein technisches Wort der Dienstsprache, und zwar schon im
1. christl. Jhdt., da in dem oben S. 259 A. 3 genannten Genfer
Papyrus das Institut des galeariatiis erscheint, worauf K. S. 379
A. 1 hinweist. Für die Soldatensprache nimmt K. auch zwei
weitere in Anspruch, die, wie galearius, einen Soldaten- oder
Offiziersburschen bezeichnen, cacula (n. 39; Paul. Fest. 45, 16
c, sen>us militis, Ableitungen caculahis, -üs ebd. 46, 14, caculari =
servire im Placidus-Glossar C. Gl. V, 29, 6) und haro (n. 41; Schol.
Pers. V, 138 harones diamtur servi militum etc.). Man könnte
hinzufügen: gavius olxhrjs i]toL vTtr^Qtrrfg arQaxKDTov C. Gl. II,
380, 7, was möglicherweise im Zusammenhang steht mit dem
satz scheint ferita zu sein fPaul. bist. Longob. III, 30 die Worte Autbaris: '
talem Auihari feritam facere soht u a.), das noch im Italienischen fortlebt.
*i Nach dem Primitivum cacus, das nach Kellermann in der Vigilen-
Inschrift C. I. VI, 1058, 7, 15 cacus M. Sattius Feluv vorliegt, erwartet man
anch eher ein cacuhis als cacula.
272 W. Heraeus:
seltenen Gentilnamen (Gavius Bassus Grammatiker zn Trajans Zeit^
Eph. epigr. I p. 174 M. Gavius Prothimio aus dem 1. christl. Jhdt.).
Allein Bedenken bleiben immerhin bestehen, inwieweit diese
Wörter der Lagersprache xar' i^ox^iv angehören, was K. auch
gefühlt hat bei den von Festus glossierten tituli = müites und
metalli = mercenarii*), die er in seine Anmerkung S. 378 ver-
wiesen hat. Jedenfalls liegt kein Anlafs vor, tenebrio (n. 33) auf
die Soldatensprache zurückzuführen, indem dies Wort ui'sprüng-
lich vom Spott der Krieger auf diejenigen angewendet wäre, ^qui
ad militiam detrectandam tenebris i. e. latebris se occule))ant\
Weder die Erklärung des Nonius p. 26, 3 L. Mr., noch seine Be-
lege geben dafür irgend welchen Anhalt. Es ist vielmehr wie
das ähnliche nelnUo ein allgemeines Schimpfwort. Mit Recht ver-
mutet dagegen K. für sparteoli (n. 34 K.) als Bezeichnung der
stadtrömischen Feuerwehr, der cohortes vigilum, und für die bu-
cellarii (n. 85 K.) genannte Soldatenklasse der späteren Kaiser-
zeit, die beide eine eigentümliche Stellung gegenüber den eigent-
lichen Soldaten einnahmen, den Ursprung im Soldatenspott, des-
gleichen in dem Beinamen alaudae (p. 377 K.) der vom Diktator
Caesar auf eigene Kosten aus Gallien ausgehobenen Legion, die
wenigstens in älteren Inschriften lediglich legio V Gallica heilst
(von Cichorius bei Pauly-Wissowa I, 1295 zuerst klargestellt).
Letzteres scheint übrigens das einzige sichere Beispiel für einen
von Soldaten aufgebrachten Legionsbeinamen (vgl. den Spitznamen
unserer Garde-Füsiliere „Maikäfer'^ u. a.), wenn man nicht etwa
das fulminata (nicht fulminatrix) der 12. Legion hierher rechnen
will. In das Gebiet des Soldatenwitzes gehört auch murrus
(n. 43 K.), wie man diejenigen nannte, die, um sich vor dem
Kriegsdienst zu drücken, sich den Daumen abschnitten nach
Ammian XV, 12, 3, wenngleich hier die Lesart qtios iocaliter**)
*) Vgl. noch C. Gl. II, 129, 24 metellus /t/ff-O-toff; V, 466, 44 metelbis:
mercennarUis a merendo. In den 'Notae Bemenses' 61, 6 Schmitz steht das
Wort hinter merces, in den Not. Tir. 82, 79 hinter satelles, wodurch der le-
bendige Gebrauch des Wortes in der Lagersprache doch einigermafsen wahr-
scheinlich wird. Ein Synonymum ist das gleichfalls als Cognomen (Porcius
L.) verwendete latro: latrofws antiqui eos dicehant, qui conducti militabanU
ccnb xfig XccxqbUcs Paul. Fest. 118, 16 (cf. 316, 1). Varro 1. 1. VIT, 62. Serv.
Aen. XU, 7 und zahlreiche Glossen, s. C. Gl. VI p. 629 s. v.
**) Die übrigens normale und für die Spätzeit jedenfalls nicht auf-
fallende Bildung ioccUis (gew. iocularis) scheint übrigens nicht ganz unbe-
legt: Paucker, Suppl. lex. lat. s. v. führt an: Ps. Hier, ad Pammach. et
Die römische Soldatensprache. 273
murcos appellant auf Konjektur beruht (localüer codd.); das im
Mittellatein häufige Adjektiv erklären die Glossen (s. C. GL VI s. v.)
mit curtus, truncus u. ä.*) Auch focaria (n. 45), urspr. Küchen-
magd^ als Bezeichnung der Soldatenfrau, schon zur Zeit der Severi
nachweisbar, rechnet K. mit Recht in diese Kategorie und weist
gegenüber der Annahme von P. Meyer, dafs meretrices der Sol-
daten damit gemeint seien, auf die Glosse C. GL V, 501, 29 focd-
ria.^: uxores militum hin (s. auch B. Kubier im Archiv X, 449).
Dagegen scheint es mir gewagt, mit Kempf eine hybride Bildung
hornatores (n. 37) von german. hörn anzunehmen blofs auf Grund
der Glosse C. GL IV, 534, 37 liticines: hornatores^ corniees [aut cor-
nicines]; vielmehr führt ein Vei^leich mit den C. GL VI p. 33 s. v.
aeneator aufgeführten Glossen darauf, dafs eine Korruptel aus
aen(e)ator€H vorliegt. Nachzutragen ist jedoch das Spottwort lit-
terio „Federheld^^, das nach Augustins ausdrücklichem Zeugnis
in der Soldatensprache für litteratus, den Gelehrten, üblich war:
ep. 118, 26 nomen Anaxagorae, quod propter litteratam vetustaiem,
omnes, ut militariter loqnar, liUeriones libenter mfflant, nos
dodas et sapientes twn facit und contra advers. leg. I, 24 leguni
quippe isti litterioneSy sie enim potius quam liUerati appellandi sunt,
qui legendo liUeratos nihil sapere didiceruni (aus dieser Stelle ist
die Glosse C. Gl. V praef. XXXI geflossen, was C. GL VI p. 651
übersehen ist). Damit stimmt überein, was Augustins älterer Zeit-
genosse Ammian XVII, 11,1 erzählt, seine militärische Umgebung
habe den Kaiser lulian als einen loqtiacem talpam et purpuratam si-
miam et Utterionem Graecum verhöhnt. Offenbar ist das Wort
von Soldaten auch gebildet worden.
Eine grofse Vorliebe zeigt der Soldat für Bildungen mit con-,
um irgendwelche Zusammengehörigkeit mit Personen zu bezeichnen.
Ausdrücklich bezeugt der ältere Plinius im Eingang der Widmung
seiner Naturgeschichte an Kaiser Vespasian, wenn er Catull seinen
Ocean. 6 (ne fides nostra magis iocalis sit quam illorum) und adv. Amm.,
letzteres freilich mit Fragezeichen. Auch als mutmafsliches Grundwort zu
altfrz. joiel, neufrz. joyau etc. hat man iocalis vermutet, s. Körting, lat.-
rom. Wtb. s. v.
*} Als Cognomen erscheint es bei der Familie der iStaii (s. Gardthausen,
Augudtus und seine Zeit, II, 1, 03) und der Nonii (Capitol. Clod. Alb. '2, 3),
ist also in der interessanten Zusammenstellung lateinischer, vornehmlich aus
Glossen zu erklärender Cognomina, die Loewe am Schlüsse des Prodromus
corp. GloBs. p. 387 gegeben hat, einzureihen.
274 W. Heraeus:
conierraneus nennt, dieses als Lagerwort mit der Bemerkung ^a^mo-
sds et hoc castrense verbum\ Im klassischen Latein heifst
,Xandsmann^^ dvis (q^ter cmicivis)*), popidaris**), municeps, tri-
hulis (sp. auch contribuUSy & unten Anm. *); nachklassisch sind
patriota und compatriota (s. unten Anm. * a. E.\ sowie die noch
spezielleren Bezeichnungen comprovincialis (aufser Sidon. ep. Ylly 7
auch Gregor. Tur., s. Bonnet, le latin de Gr6g. p. 74 u. 238; C. Gl.
II, 574, 35), f'onforan(e)us (C. Gl. VI s. v.), convicanus (3mal Inschr.,
s. Oleott, studies in the word formation 1898 p. 198; bei Junsten^
s. Georges, in Glossen in der Form -mieus V, 495, 40), campagcmms
(2 mal in span. Inschr., s. Oleott p. 197; cofnpagefisis Lex Sal. 63, I).
Hierzu gesellt sich also conterraneus, das in obigem Sinne Sna^
elQTiiiivov scheint, denn die vielfach citierte Glosse aus Labbaeus'
Onomasticon conterraneus 6^6xG}Qog ist ein modernes Fabrikat.
Erwähnt sei jedoch, dafs dies Wort in den von Ranke heraus-
gegebenen Würzburger Bibel-Palimpsestfragmenten zweimal als
Übersetzung von avt6xd^(ov LXX, das die Yulgata mit indigetia
wiedergiebt, erscheint: Lev. 17, 5 (iutei' conterraneos aut inter prose-
hjtos) und 19, 34, s. Roensch, Itala 2. Aufl., Nachtr. zu S. 224.
Conterraneus also hier = cum terra natus, nicht wie in der Lager-
sprache in eadem terra natus. Zahlreich sind insbesondere die
mit cati- zusammengesetzten Personalnomina^ welche das kamerad-
schaftliche, bez. dienstliche Verhältnis der Soldaten unter einander
zum Ausdruck bringen. Dafs diese der Soldateusprache von Haus
aus angehören, läfst sich zwar nicht durch Zeugnisse erweisen.
*) Zuerst bei Tertull. adv. Marcion. V, 17 in einem Bibelcitat als Über-
setzung von av^noXlvTis Ephes. 2, 19. Aus griechischem Einflufs erklärt
Kubier, Arch. Vm, 187 das Eindringen solcher überflüssigen Komposita, wie
concurialis und cmigentilis in afrikan. Inschriften, comparticeps (=* isvy>\ii-
Toxog Ephes. 8,6) in der Vulgata, consocius (= awitccigog in Bibelübers.
und später, s. Kubier; das Verbum cmisociare wirkte hier auch wohl mit
ein), coaequalvi (schon vor Petron in einer Inschrift aus Augustus' Zeit, a.
meine ^Sprache des Petron', Progr. Offenbach 1899, p. 27). compatruelis (afr.
Inschr. und, für die Entstehung der Bildung bezeichnend, Augustin. in evang.
loann. tr. X, 2, 2 fratres compdtrueles aut consobrini). Dazu kommen con-
trihxilis = <rr/iqpvi^nji? in alten Bibelübers. und sonst (Roensch, Itala p. 224.
C. Gl. VI s. V.), compatriota nach aviLnaxQiiitris (Inschr. und Myth. lat. , s.
Georges; C. Gl. U, 443, 6 conp. aviinoXlTtig , woraus p. 574, 35 conp.: con-
dvis, comprovincialis, U, 110, 50 compatria: ovfimccTQcotrig).
**) Merkwürdig ist C. Gl. II, 153, 44 die Wiedergabe von populäres
durch aTQUTLibtaL, weshalb Hcraldus an Ableitung von populari denkt.
Die römische Soldatensprache. 275
liegt aber in der Natur der Sache. Kempf hat S. 380 die Mehr-
zahl jener Bildungen kurz zusammengestellt. Zur näheren Er-
läuterung, welche das Thema verdient, und zugleich zur Ergänzung
diene Folgendes. Die allgemeinste und gewöhnlichste Bezeichnung
der Kameradschaft ist commilitOy womit nicht nur die Soldaten
selbst einander anreden (z. B. Petr. 82 quid tu, commüito, ex qua
legione es out cuius centurUi?), sondern auch die Feldherren kordialer-
weise die Soldaten, z. B. Caesar nach Suet. lul. 67, Augustus bei
Quint. VI, 3, 95, der allerdings nach den Bürgerkriegen diese An-
rede für ^ambitiosius' hielt und nur noch das streng dienstliche
miliies anwendete, nach Suet. Aug. 25. Das durch seine Bildung
als vulgär charakterisierte Wort (vom Verb, commilitare wie die
analogen Subst. comedo, appeto u. a.) erscheint bei Cicero pro
Dei. 28 zum ersten Male in der Litteratur auTserhalb direkter
Reden von Soldaten; wegen seiner weiteren Geschichte sei auf die
eingehenden Erörterungen von R. Fisch, die lat. nomina person.
auf 0, onis (Berl. 1890) p. 12fiF. verwiesen, inschriftliches Material
8. bei Oleott a. a. 0. S. 84. Neben commüito finden sich einige,
wie scheint, spätere Bildungen, wie commiles, das mit einer In-
schrift Murat. 819, 4 belegt wird, bei Caesar b. c. II, 29, 5 in einem
heillos verdorbenen Kapitel steht, sonst wohl nur noch C. Gl. II,
447, 52 commiles: öwörgarL^Tj^g. Commilitaneus ist Arch. II,
271 aus Bonifatius v. S. Livini belegt, mit einem Suffix, das
aufser in conterraneus auch sonst in diesen Kompositen begegnet
(vgl. noch unten consalaneus). Dazu kommt commilitator,
wiederum vom Verbum commilitare nach später Art abgeleitet,
in der Epistula Alexandri ad Aristotelem p. 211, 23 hinter Kühlers
Ausgabe des lul. Valer. Alex. r. g. cum commilitatorihus nach der
Lesart der Leidener Hdschr., während eine andere das gewöhn-
liche commilitonihis bietet, die Mehrzahl militatoribus. Ebenso all-
gemein ist compar, vom Verf. des b. Hisp. 23, 5 gebraucht und
daher von Koehler a. a. 0. p. 408 der Soldatensprache zugewiesen,
dann*) von Lactanz (s. Georges), in der Glosse C. Gl. 11, 575, 14
als Erklärung von commilito gegeben. Dagegen ist coarmio (oder
vielmehr nach Mommsens Interpretation coarmius) oifenbar ein
Wort der Gladiatorensprache nach der Inschrift des Secutor
*) Vorher Hadrian in der sog. 'adlocutio' an die leg. III Augusta in
Lambaesis C. I. VIII, 2532 cohortem . . . im supplemenium comparum tertia-
norum dedistis, wo compar zugleich auf die Gleichheit der Legionsnummer
(gemeint ist die leg. III Gallica oder III Cyrenaica) geht.
27G W. Heraeus:
Flamma C. I. L. X, 7, 297 Delicatus coarmio nierenti fecit. Ich
vergleiche es mit dem <yvro;rAo^ IJoXvdavxr^g in der metrischen
Gladiatoren-Grabschrift Kaibel epigr. gr. lapid. 529^ nnd gemeint
ist natürlich gladiator eiusdem ^armaturae^^ wie der technische
Ausdruck für die verschieden ausgerüsteten Gattungen von Gla-
diatoren lautet {Studium annaturae TJiraecum prae se ferens heifst
es von Tiberius bei Sueton c. 8).*) Auf die Zeltgemeinschaft
geht das aus Litteratur und Inschriften bekannte eontubernalis,
in Ursprung und späterer Verallgemeinerung dem romanischen
canierata vergleichbar, mit den Nebenformen contubernarius
(s. C. GL L. VI 8. V.) und contabernio (Mai, auct. class.VIII 153
collateralis**): confubernio). Auf das gemeinsame Speisen im Zelt
bezieht Fisch a. a. 0. p. 22 wohl richtig den Ausdruck conciho-
nes in der afrikan. Soldaten-Inschrift VIII, 9060, während Kühler
im Arch. VIII, 187 einen Barbarismus für concives annimmt-, vgl.
Tac. ann. I, 4i) fpios simul vescentis dies simul quietos nox habtierat
und das glossographische coictbuSy mit övvöitog^ bezw. övvxQOfpog
C. GL II, 447, 30 bez. 448, 34 erklärt (ebd. 444, 38 övvSsixvog
co}icivaj concena = concibo oder conviva? concihulus bei Aeth. Ist.
c. 80). Ahnlich scheint consalaneus: övvakog in Glossen (C. Gl.
VI s. V.) aufzufassen, s. Funck, Arch. VIII, 374. Alle diese Aus-
drücke, die im romanischen '^companio eine Analogie haben,
haben wie dieses freilich auch eine allgemeine Bedeutung. Auf
das Zusammensein in einem Manipel, einer Turma oder Ala gehen
folgende Bildungen: commanipnlaris, aufser in zahlreichen, bes.
Prätorianer-Inschriften (s. Oleott a. a. 0. S. 184) auch litterarisch,
nicht nur bei Tacitus bist. IV (Georges irrtümlich V) 46, sondern
auch bei Orosius II, 9, 4, in Glossen mit comciiis, coUega erklärt,
*) Dies das einzige Zeugnis bei Georges. S. aul'serdem Fest. p. 286, 13
iinurmilhmicum geniis armaturae Gallicum est), Plin. n. h. VII, 81, Isidor or.
XVIII, 53 ff., Schol. luv. \Tn, 200 (a. Thracum), 201 (a. Gallica), Inschr. bei
Friedländer. Sittengesch. 11^ 208. Übrigens erscheint armaturae nament-
lich auf rheinischen Soldateninschriften, im Sinne von mifes, s. Henzen 6794
{arm. leg. XIIII) und jetzt besonders den Artikel in Pauly-Wissowa. Dieser
(Gebrauch dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit der Lagersprache zuzu-
weisen sein.
**} Die Frage drängt sich leicht auf, welches der technische, bezw.
Soldaten au sdruck für den „Nebenmann" im Gliede war. Dafs wenigstens
der gemeine Mann sich nicht mit dem farblosen proxinuis begnüg^, das
z. B. Tac. bist. I, 6ö und Caes. b. g. II, 27, 3 (Plur.) gebrauchen, ist wohl an-
zunehmen. War es eine Ableitung vom Subst. latus?
Die römische Soldatensprache. 277
also wieder verallgemeiuert (s. C. Gl. VI b. v.), einmal inschrifkl.
in der synkopierten Form commanuplaris Or. 3555. Die Neben-
form commanipularius findet sich als Variante in den ange-
fahrten Glossen^ vulgarisiert comnmniculuriiis C. I. L. VI, 2625,
gleichfalls als Variante C. Gl. IV, 37, 57, s. W. Schulze, Arch. VDI,
134. Die Länge dieser regelmäfsigen Bildungen führte wohl früh
zu Synkopen und Verkürzungen: commanipiiltis und -qiltis, nur
in Inschriften bei Georges, daneben commanucidus C. I. L. V. 1056*,
16 sq. und X, 1775 (coman.), s. über die Erscheinung Schulze a. a. 0.
und meine 'Sprache des Petron' S. 45 (peduclus = pediculus, fe-
nuclum u. a.). Eine andere Kurzform, commanipulo, findet sich
nur Spart. Pesc. 10,5, endlich ein barbarisches commanipulator
bei dem Kirchenschriftsteller Vitalianus nach Archiv 11, 271, ver-
mutlich im allgemeineren Sinne. Conturrnalis gebraucht Am-
mian wiederholt, es scheint aber in Inschriften noch nicht nach-
gewiesen, die dagegen ein eonalaris*) bieten, s. Henzen, ann. inst.
1885 p. 283. Noch andere Beziehungen bringen zum Ausdruck:
condecurioj das nur in Inschriften von Afrika und Lukanien be-
gegnet, s. Oleott S. 85, übrigens von Kühler (s. oben S. 274 A. 1)
irrig als überflüssige Nebenform von decurio betrachtet; confiro
C. I. VI, 2669 und 2676, von Augustin serm. 216, 2 auf religiöses
Gebiet übertragen, während Myth. lat. I, 232 offenbar nach II, 130
contiroleta = con-^i^()oA£rijg 'Jagdgenosse' zu bessern ist; endlich
conveternnus, das sich aufser bei späteren Juristen in Inschr.
von Dacien, Mösien und Lyon findet, s. Oleott p. 198.
Ehrende und schmeichelnde allgemeine Beinamen, von den
Soldaten ihren Feldherren beigelegt (n. 47 — 52), wie parens le-
gionum (Cn. Piso, der Feind des Germanicus), pater (Fabius Cunc-
tator)**), fiUus militum (Gordian), oder der Kaiserin (mafer ca-
strorum n. 53, zuerst Faustina, dann zahlreiche Frauen der Severus-
Dynastie und spätere Kaiserinnen, bis der Gebrauch mit Diocletians
Zeit verschwindet, s. Kempf p. 3H1), femer die mit dem älteren
Scipio ^Africanus' beginnende, mit der ersten Kaiserzeit auf hcirende,
bezw. auf die Kaiser übergehende Sitte der Akklamation der Feld-
*) Quintilian I, 6, 17 tadelt die Analogisten, die conire sagen. In einer
stadtröm. Inschrift von barbarischer Schreibart VI, 3282 steht cmieres =
conheres, im Amiatinus Vulg. I Petr. o, 13 conelectae, überliefert ist cofi-
angtistatus bei Marc. Empir. p. 24, 29 Helm und sogar bei Varr. r. r. III,
16, 15. Anderes habe ich zusammengestellt Arch. VI, 270.
*•) S. 354 ist zweimal Liv. XXI statt XXII citiert.
Archiv für lat. Lexikoffr. XII. Heft 2. 19
278 W. Heraeus:
herren nach den von ihnen besiegten Völkern, bezw. unterworfenen
Ländern (n. 65 — 67 und die Liste S. 383 A. 1)*), bilden den
Übergang zu den vom Soldatenhumor erfundenen Benennungen,
zu den sog. ^signa' (Mommsen im Hermes I, 158), ^Spitznamen',
wie dem aus Tacitus a. I, 23 bekannten ^cedo alteram'* des Cen-
turionen Lucilius, dem ^manu ad ferrum^ des später zur Kaiser-
würde emporgestiegenen Tribunen Aurelianus, den die Soldaten
also von einem gleichnamigen Tribunen unterschieden**) ( Vop.
Aur. 6, 1). Tapfere Soldaten erhielten den Beinamen Ajchilies
(n. 54 u. 55), ein anderer 'ob egregiam corporis ampliiadinem et
speciem' Colosseros (n. 59), was, wie die beigefügte Erklärung
zeigt, geformt ist nach Niceros, Phileros, Chryseros, Hermeros u. a^
nicht einfache Weiterbildung von xoXoöö- ist, wie Kempf nach
seiner Flexion Colosserum p. 395 anzunehmen scheint. Der ge-
meine Soldat flektierte freilich Cohsseronem , wie die Libertinen
bei Petron 63 Niceronem und zahlreiche Inschriften bezeugen (s.
Buecheler Petron. ed. mai. p. X und Priscian C. 6r. L. II, 254, 16 f.).
In früher Jugend erhielt im Lager der spätere Kaiser Gaius den
bekannten Beinamen CaUgulu (n. 60), der nie in offiziellen Ur-
kunden erscheint und von ihm selbst als Schimpfwort aufgefafst
und bestraft wurde (Sen. const. sap. 18), desgleichen der spätere
Kaiser Tiberius den Spitznamen ' Biberitis Calditis Mero* wegen
seiner Trunksucht (n. 69). Wenn Heliogabal nach seiner Er-
mordung und der Beschimpfung seines Leichnams unter anderen
mit dem Namen Til)erinus (n. 71) belegt wurde (solus omnium prin-
cipum et traetus*^^) ed et in cloacam missiis et in Tiherim prae-
cipitatus Lampr. Heliog. 17, 6), so sei bemerkt, dafs der Witz erst
in seiner Pointe verstanden wird, wenn man sich erionert, dafs
Tiberinus der Eigenname eines Lupus-Fisches ist, der in den Klo-
aken des Tiber sich mästete: luv. V, 104 Tiberinus . . . pinguis tor-
*") So legten die Venezianer ihrem Francesco Moroaini den stolzen Titel
'Peloponnesiacus' bei. Die Russen haben ihren 'Sabalkansky', den t5l)er-
steiger des Balkan, General Diebitsch, die Franzosen ihren Herzog von
Magenta, Mac Mahon, wir den Grafen York von Wartenburg, aber nach
Schlachtortcn und von fürstlicher Gunstbezeigung bestimmte, mit Standes-
erhöhung verbundene Beinamen.
**;i Zwei gleichnamige Ci?nturionen wurden in den offiziellen Listen nach
der Anciennetät als 'superior' und 'inferior' unterschieden, drei als 'summus,
medius, infimus'.
***) Daher der andere Schimpfname 'Tracticius^ (so Aur. Vict. ep. 23, 6, 7,
dagegen ist tiactutidus bei Lamprid. überliefert, weniger wahrscheinlich).
Die römische Soldatensprache. 279
refUe doaca, worüber Buecheler Rh. M. XXXV, 393 gehandelt hat,
der besonders auf Galen, de aliment. fac. IQ, 30 verweist. Wenn
Kaiser Valens, geborener Pannonier, von den Mauern des belagerten
Chalcedon Spottrufe wie Sabamriits (n. 75. Amm. XXVI, 8, 2)
hören moTste, nach dem ßerstentrank sabaia der Armen in lUyrien,
so darf man vielleicht an eine Anspielung auf sahtfuirim denken,
das von den Glossen (s. C. Gl. VII s. v.) mit xaTtrjkoSvtijg, taber-
Barius, ganeo erklärt wird und vergebens in saginarius, taber-
narius, stabularius (so Landgraf, Arch. IX, 429) abgeändert wird,
da doch die Ableitung von dem 'vile Sabinum' nahe genug liegt.
In einem Exkurs p. 385 flF. stellt K. in dankenswerter Weise alle
aus fremden Sprachen (abgesehen vom Griechischen) vermutlich
zuerst in die Lagersprache und von da zum gröfsten Teil in die
allgemeine Sprache eingednmgenen Wörter zusammen; die Haupt-
masse ist keltisch (Waffen, Feldzeichen, Wagen etc.), bezw. ger-
manisch (s. oben S. 263 f.), vereinzelt stehen karthagisches mapalia*),
die Zelte der nomadisierenden Berbern, illyrisches sibina *Jagd-
spiefs'.
Der zweite Teil der Abhandlung befafst sich mit den gröfseren
Überbleibseln der römischen Soldatensprache. Zunächst die Zeug-
nisse und Reste von 'cantilenae' rühmenden und neckenden In-
halts, die bei Triumphaufzügen gesungen wurden (n. 77 — 102).
Daran schliefsen sich n. 103 — 115 Witze vermischten Inhalts, end-
lich n. 116 — 135 Inschriften von Schleuderbleien nach Zange-
meister, Eph. epigr. VI. Doch gestattet uns der Raum nicht, näher
auf diese Abteilung einzugehen, die übrigens der Natur der Sache
nach im allgemeinen weniger Charakteristisches in Wortbildimg
und Wortgebrauch aufzuweisen hat. Alles in allem genommen,
ist der erste Versuch der Darstellung der römischen Soldaten-
sprache Kempf wohlgelungen, mit grofsem Fleifs und Verständnis
durchgeführt, wenn auch manches aus entlegeneren Quellen sich
wird nachholen lassen, da der Bearbeiter das zu durchforschende
•) mapälia ist die Messung der römischen Epiker und so auch die
überwiegende Schreibung in den Hdschr. der Historiker. Doch findet sich
mappalia gelegentlich geschrieben: Liv. XXIX, 31, 8 im Puteancus, Petron.
c. 58, App. Prob. p. 196, 3, fast ausnahmslos in den Glossen (s. C. Gl. YI s v.
magalia u. mapalia). In der IHDti im Medscherda-Thal gefundenen, zur Zeit
Tngans neu aufgeschriebenen Lex Manciana kommt ein Ortsname Mappalia-
siga vor {Siga oiFenbar der Individualname der Ortschaft), s. Ad. Schulten,
das röm. Afrika p. 12. Vielleicht liegt hier Anlehnung an mappa vor.
19*
•280 W. Heraeus: Die rOmlBche Soldatensprache. — Miscellen.
Material in etwas beschränken mufste. Namentlich dürften, wie
schon angedeutet, die Kirchenschriftsteller [vgl. Eucher. pass. Ag.
mart. 4 Exuperio, ut in exercitu appellant, campi doctore. Red.],
bes. Augustinus und Hieronymus, welche die biblische Exegese
so oftmals auf Erörterungen der gemeinen Sprache geführt hat,
noch eine Ausbeute liefern, desgleichen die systematische Durch-
forschung der Inschriften.
Offenbach a/M. Wilhelm Heraeus.
Fufldius.
Cic. epist. 7, 5, 2 schreibt Caesar von Gallien aus an Cicero, dafs
er mit dem von ihm empfohlenen M. Itfivius mit dem besten Willen
nichts anzulangen wisse. Statt des korrupten Eigennamens hat Wesen-
berg Titinius geschrieben, den er als Freund Ciceros aus Suet. rhet. 2
nachweist; andere Orfius. Näher liegt vielleicht Fufidius, und ein
Q. Fufidius aus Arpinimi, welcher Gelder in Gallien einzuziehen hat,
wird epist. 13, 11 dem Brutus empfohlen. Da Cicero im Eingange
dieses Briefes schreibt: non dubito, quin scias, quam diligenter soleam
meos municipes Arpinatis tueri, so ist es nicht unwahrscheinlich, dafs
der dem Caesar Empfohlene in die nämliche Familie gehörte.
München. Ed. Wölfflin.
Ampla.
Für ampla = ansa, das R. Scholl bei verschiedenen Autoren
nachgewiesen hat (Archiv I 534), ergiebt sich ein neuer Beleg, der
Scholl unbekannt geblieben ist. In den Kirchenhistorischen Anecdota
von Caspari 1883 (vgl. Archiv I 255) ist auf Seite 3 in dem Briet^
den Kufinus seiner Übersetzung des Dialoges von Adamantius gegen
die Gnostiker voraufschickt, zu lesen: sed tu, Paide frater, . . bre>'is
otii mei apud Pataviam amplam nactus . . poposcisti. Die Phrase
entspricht ganz der durch Scholl aus Rufin nachgewiesenen, bist eccl.
lU, 12 amplam temporis nactus. Caspari, der das Wort nicht kannte,
glaubte amplam <^partem^ schreiben zu müssen, und auch der neueste
Herausgeber des Adamantius, van de Sande Bakhuizen (Leipzig, Hin-
richs 1901), der Rufins Übersetzung dem griechischen Texte beigiebt,
hat. wie Prof Wevman mir mitteilt, das seltene Wort verkannt.
München. Oskar Hey.
Miscellen.
Coiiquinisco, eonqnexi.
Ein Perfekt conquexi belegt Prise. 10, 3, 17 mit einer Stelle aus
Pomponius. Ein neues Beispiel bietet die Epitome Alexandri von
Wagner § 101. Der vergiftete Alexander hat sich bei Nacht aus
seinem Schlafgemache fortgeschleppt und erkennt, dafs Roxane ihn
sucht. Er kauert zusammen, damit R. an ihm vorübergehe. „Con-
quievit, ut ea posset praeterire." Vielmehr 'conquexit'. Es folgt
Dämlich: cum repente Alexandrum inccntem in terra conspexisset.
München. Ed. Wölffliu.
Die Endung -por in Gaipor, Lueipor etc.
Die uns bekannte Urform von puer lautete pover. Vgl. Büche-
ier Greifswalder Lektionskatalog 1870 n. XI. Die Form puer ist wohl
zu erklären durch Anlehnung des Wortes an ein anderes z. B. tu,
puer! Vgl. denuo aus denovo. Aber die Form -por z. B. in Marcipor
ist aus Marcipover, Marcipuer nicht zu erklären. Ich glaube, sie
verdankt ihren Ursprung einem Mifsverständnis. Auf -noQog oder
-ipoQog endigende Namen griechischer Sklaven endigten im Latein
nicht selten auf -por. Ich führe hier an Bospor: C. I. L. XV 5499
etc., Helpidephor: C. I. L. VI 29212 — das h wie am Anfang, so
am Ende mifsbräuchlich eingeschoben — , Eupor: C. I. L. VI 29183,
Nicepor z. B. C. L L. VI 29035 etc., Pospor: C. I. L. VI 20722 etc.,
Sympor*) C. L L. VI 1057 (1, 81) etc.
Dazu kam noch der thrakische Name Mucapor (Gen. Mucaporis
C. I. L. m 799). Nach diesen Sklavennamen ist offenbar auch aus
Marcipuer etc. ein Marcipor geworden. Die Deklination scheint Mu-
*) In Cloepius Semperrus C. I. L. XIII n. 141 sehe ich zu Sympor die
vulg^e Vollform von 2^viKfOQog^ und es wilrde diese Form eine passende
Parallele bieten zu • Sempro, der Urform von Sempronius, die ich als ent-
standen aus SviKptQcav erklärt habe. Bezüglich letzterer Herleituug vgl.
Niedermann I u. E S. 18: „Wenn diese Erklärung richtig ist — und sie
scheint mir in der That viel für sich zu haben — ". Erwähnung vordient
hierbei der Umstand, dafs die Sempronii wie die Calpumii eine plebejische
gens sind.
282 A. Zimmermann — L. Havet — J. Cornu — W. Christ:
capor entlehnt zu sein. Vgl. oben Mucaporis und Eph. ep. V p. 615
„equiti Mucapori". Sollte der Urahn der gens Calpumia bezw. Cal-
p(h)uria (cf. C. I. L. Vm 7944 Calpuria, VI 20712 Calfuriae Secun-
dillae) Calpor geheifsen haben? Dieser Calpor (vgl. albor, albumusetc.)
könnte dann sehr leicht einem Kakl£<poQog — cf. Bechtel-Pick p. 517 —
seinen Ursprung verdanken, und die Annahme von Calpus als Urahn
der Calpumii bei Paul. Fest. Th. d. P. 33 würde nicht zu sehr von
der Wahrheit abweichen. An Calpumius == Krüger (vgl. Stolz H. Gr.
II 479) von calpar Krug kann ich nicht glauben.
Breslau. August Zimmermann.
Hibns dans T^rence.
Phormio 329—332:
Cedodum, enumquam iniuriarum audisti mihi scriptam dicam? —
Qui istucV — Quia non rete accipitri tennitur neque miluo,
Qui male faciimt nobis; illis qui nil faciunt tennitur;
Quia enim in Ulis fructus est, in iüis opera luditur.
Le troisieme Ulis est remplace dans A'DG par /«'.♦?, qui seul
donne un sens raisonnable (tw? D, peut-etre is A*). His designe las
etres auxquels Phormion se compare et au nombre desquels on peut
le ranger; iUis designe les autres, les etres ayant un caractere oppose
a celui du sujet parlant. — Mais, avec ä/ä, le vers est faux. D'autre
part, apres Hambe -tus est, le texte f« Ulis est mitriquement suspect.
;fetant donnees les habitudes de Terence, in Ulis devrait compter ici
pour un anapeste.
II est bien probable que Terence avait employe le viel ablatif
hUyus par un i long, encore si vivant dans Piaute. Hibus convient
au metre conune au sens; la leQon de A^DG en est la glose; l'autre
levon Ulis est une correction superficielle du his substitue a hibtts, et
qui taussait le vers.
Paris. Louis Havet.
Cathedra.
Die Bedeutung von mollcs cathcdras bei Juvenal 6, 90 f.:
Cantnupsit pelagns: famam ccmtempserat olim,
CnitfS apud mollcs minima est iaeiura eatheUrciS
haben Komnientiitoren und Übersetzer nicht selten in absonderUcher
Weise erklUrt oder geradezu niifsverstanden, obgleich die Verwendung
von ap}(d vor moUes eathedras gegen eine falsche Deutung hätte
schützen sollen. Der alt« Erklärer, welcher ntoUes eathedras durch
m<ttronas gedeutet, verstand sehr wohl die Stelle. Auch Forcellini
giebt die einzig richtige Deutung, indem er sagt: MoUes caGiedrae
Miscellen. 283
dicuntur muUeres delicatiores et luxurioshres] ob mit vollem Verständ-
nisse, bleibt allerdings fraglieh.
Würden die Erklärer an den einen Sinn von caderas cadera im
Spanischen imd von cadeiras im Portugiesischen ^ CATHEDRAS ge-
dacht haben, dann hätten sie nicht weiter gesucht und sich genügen
lassen. Denn in diesen Sprachen bedeutet cctderas, cadeiras, was der
Deutsche 'Glesafs' oder 'Hinterbacken', was der Franzose ^fesses* nennt.
Es sei hier weiter erwähnt, dafs der Spanier aufser nalgas dafür auch
noch posas und asentaderas hat. Somit gehört cathedrae zu den
bildlichen Ausdrücken, welche die Volkssprache zur Bezeichnung der
Körperteile so gerne verwendet. Das älteste Zeugnis für cathedrae in
dem angegebenen Sinne ist der angeführte Vers Juvenals, der hier
mit bekannter Derbheit, aber nicht ohne Witz, die pars pro tofo ge-
setzt hat.
Prag. J. Cornu.
Die Captiyi des Plantns.
Lindsay spricht p. 106 der unten S. 295 besprochenen Ausgabe
von der Abfassungszeit des Stückes und dem griechischen Originale,
und zwar rechnet er die C. zu den späteren Stücken, indem er sie
wegen sachlicher Anspielungen nach 193 vor Chr. setzt. Er hätte
dabei auch auf Maurenbrecher verweisen können, welcher S. 146 aiLS
metrischen Gründen, und namentlich aus dem seltenen Vorkommen
der alten Formen med und ted den Beweis liefert, dafs das Stück zu
den letzten Schöpfimgen unseres Dichters gehört.
Bezüglich des griechischen Originales beschränkt sich L. auf die
Bemerkung, dafs die Figur des Parasiten Ergasilus und die Eingangs-
scene der Captivi die gröfste Ähnlichkeit mit den Menächmen hat,
welche man mit guten Gründen auf die lOftoto* des jüngsten Komikers,
des Makedoniers Poseidippos, zurückführt. Verlegt ist die Seene
unseres Stückes nicht, wie die der meisten Komödien, nach Athen,
sondern nach einer ätolischen Stadt mit einem frequenten Hafen.
Als diesen dürfen wir unbedenklich die bedeutendste Stadt Atoliens,
Pleuren, bezeichnen. Nun haben neuere Reisende und nach den An-
deutungen Früherer allerneuestens die jungen Gelehrten Herzog und
Ziebarth in Neu-Pleiu-on die Reste eines Theaters aufgedeckt (Athen.
Mitteil. XXTTT, 1898, tab. XH), des einzigen in ganz Atolien. Das-
selbe wurde zugleich mit der Mauer bald nach dem Einfall des
Makedonerkönigs Demetrios Aitolikos um 235 erbaut. Aischylos
dichtete bekanntlich fiir Hieron zu Ehren der neu gegründeten Stadt
Aitna ein Lokalstück Alxvatai. Darf man da nicht die Vermutung
wagen, dafs auch Poseidippos, der aus Makedonien stammende Dichter,
für die neue Stadt imd das neue Theater ein Lokalstück, eben unsere
Captivi oder AtxfidXcDxot, gedichtet hat?
München. Wilh. Christ.
284 ^' Wessner — Gustav Landgraf: Miscellen.
Zu den Donatscholien.
(deturpo. inft-uctifer. similitudinarie. specifico.)
Da meine kritische Ausgabe der Terenzscholien noch nicht im
Drucke vollendet ist, werden sich aus der unzuverlässigen Yulgata
leicht Fehler in die Arbeiten der Lexikographen einschleichen.
Ein Beispiel giebt soeben Heraeus, welcher Arch. Xu 42 detur-
pare mit Don. Eun. 4, 4, 3 belegt. Allein diese Lesart gründet sich
nur auf die Recension der Itali, während in den mafsgebenden Hand-
schriften die ganze Stelle fehlt.
Similitudinarie hat Georges aus Don. Andr. 4, 5, 19 aufge-
nommen, wo es bei Besprechung von grandis und maior heifst: maior
et ad summam aetatis refertur et ad comparationem pariliter [et
comparative et similitudinarie] positum. Nun finden sich aber die
eingeklammerten Worte nur in den jungen interpolierten Handschrif-
ten, und nach Du Gange kommt das Wort erst bei Alanus de Insulis
(gestorben 1202) vor.
Zu Ad. 5, 3, 10 heilst es: putarc est falsa et cassa (casta die
unverdächtige Überlieferung) a veris et utilibus resecare. Die Masse
der jüngeren Handschriften giebt jedoch: falsa et infructifera,
welches als Glossem zu cassa zu fassen ist. Dieses Adjektiv ist gar
nicht bekannt; infrugifer steht angeblich Schol. Hör. Od. 2, 15, 4.
Zu Hec. 1, 2, 75 lesen wir: vigilanter quod est 'integram' spe-
cificat, id est talem, qualem accepi a suis. Li den guten Hand-
schriften fehlt das Verb, welches Du Gange erst im Gatholicon des
Joannes de lanua gefunden hat; auch das Folgende: id . . . qualem ist
Interpolation.
Bremerhaven. P. Wessner.
Causator.
Für das Substantiv causator in der Bedeutung von arcHsator
bieten unsere Lexika keinen Beleg, während Paucker Supplem. Lex.
Lat. p. 66 f. sowohl causari im Sinne von gravari oder accusare ala
rausafio im Sinne von accusatio mehrfach aus der späteren Latinität
nachweist. Als ich in diesem Winter den Codex Leidensis Voss. Lat.
Quart. 130, der auf 54 Blättern den sog. Scholiasta Gronovianus zu
Ciceros Reden enthält, für meine Neubearbeitung der Bosciana kolla-
tionierte, fand ich, dafs der Scholiast sein Interpretament zu Ciceros
Worten § 51 ^Neque haec profero, quo conferenda sint' nicht, wie
alle Ausgaben seit Gronov bieten, mit den Wort-en beginnt: ^Quasi
hoc accusator obiciat', sondern mit ^qu. hoc causator obiciat'. Ich
zweifle nicht, dafs sich beim aufmerksamen Durchlesen der kritischen
Apparate von Ausgaben spätlateinischer Schriftsteller noch mehr Be-
legstellen für dieses bis jetzt nicht bekannte Substantiv finden lassen.
München. Gustav Landgraf.
Litteratur 1900. 1901.
G. Goetz: Thesauras glossanun emendataram. Pars posterior.
Fase. I. Lips. 1901. 438 pgg. Lex.-8®.
Mit der vorliegenden Lieferung sind die lateinischen Glossen von
A bis Z abgeschlossen, und es ist nur der von W. Heraeus über-
nommene Halbband rückständig, welcher die alphabetisch geordneten
griechischen Lemmata oder Glossen umfassen soll. Haben sich die
früheren Bände des Corpus glossanim darauf beschränkt, die hand-
schriftliche Überlieferung vorzulegen und dieses Bild durch keine Ein-
griffe oder Zuthaten des Herausgebers zu trüben, so hat der alpha-
betische Thesaurus oder Generalindex um so mehr nachzuholen, nicht
nur alles, was in die Konjektur alkritik gehört, sondern auch die
Angabe der Fundstellen, denen die Glossen entnommen sind.
Um mit dem letzteren anzufangen, so kann von einem Abschlüsse
keine Rede sein; sogar die Hauptquelle aller Glossen, Vergil, ist noch
nicht vollständig ausgeschöpft, oder man kann auch schwanken, wie
weit man gehen dürfe. So ist pandas carinas auf Verg. Georg. 2. 445
zurückgeführt, die Glosse pandis curvis dagegen ohne Beleg. Die
Thatsache, dafs Vergil das Adjektiv nur zweimal gebraucht, nUmlich
abgesehen von der citierten Stelle noch Georg. 2, 194 lancibus pandi?«,
was Ser\'ius mit curvatis, der Bemer Scholiast mit incurvis erklärt,
läfst darauf schliefsen, dafs sich die zweite Glosse auf die zweite
Vergilstelle beziehe, zumal die Kasusform übereinstimmt. Einleuch-
tend ist aber auch, dafs man solche Untersuchungen im Zusammen-
hange machen müfste, indem man die einzelnen Werke, aus denen
Lemmata gezogen sind, systematisch durcharbeitet. Noch viel mehr
aber sind wir im Rückstand mit der Litteratur des Spätlateins. Erst
in den letzten Jahren sind wir beispielsweise belehrt worden, dafs
Orosius und die Regula Benedicti excerpiert worden sind; welche
anderen Autoren aufserdem noch, vermögen wir nicht zu überblicken.
Das ana^ eLQYjfi, oculis tenus ist mir nur aus Caelius Aurelianus ac.
3, 104 bekannt; um aber über die Quelle ins Klare zu kommen,
müfste man den ganzen Autor untersuchen. Ebenso kenne ich omnia
potens aus Paulinus Nolanus, ohne darum sicher zu sein, dafs das
Lemma aus ihm stamme. Oder wenn die Etymologie paricida qui
homines occidit pares natura (= pari iure, freie Römer) sich auch bei
Prise. 1, 33 findet, so ist damit noch nicht bewiesen, dafs sie aus
dieser Quelle in die Glossare übergegangen sei. Vgl. oben 171.
286 Litteratur.
Und noch weniger sehen wir heute das Ende der Emendation.
Reiche Beiträge sind gesammelt, und besonders viel hat Bücheier
beigesteuert, doch reicht dies nur zu einer Grundlage. Das unver-
ständliche rescitatim Corp. IV 421, 34 ist im Thes. übergangen,
während darin wohl citatim als Glosse des vorangehenden raptim
steckt und das überschüssige res aus der folgenden Glosse religio res
Sacra eingedrungen ist. Wir möchten nur noch empfehlen, in der
Emendation nicht die spätlateinische Orthographie zu Gunsten der
ciceronianischen zu unterdrücken. Wenn z. B. s. v. Sebastos zweimal
Augustus emendiert wird, während die Handschriiten Agustus geben,
so ist die letztere Lesart beizubehalten, weil sie der italienischen
Form Aosta und dem französischen Namen des Monats August ent-
spricht, worüber man Näheres bei Schuchardt finden kann; auch
geben alte Handschriften wie Inschriften zahlreiche Belege. Der
Diphthong au sinkt vor folgendem u zu a, wie auscultare, ascultare,
ecoiiter; auguriosus, agur[iJosus, heureux.
Wir gehören nicht zu denjenigen, welche es als Pflicht der
Presse erachten, dem Verf. jedes guten Buches ausdrücklich zu dan-
ken; denn wem es vergönnt ist zu schreiben, wozu er Lust hat, der
mufs genügende Befriedigimg in sich selbst finden. Anders steht es,
wenn man das bearbeiten mufs, was die Wissenschaft gebieterisch
verlangt, damit die gröfsten Lücken unserer Kenntnisse ausgefQllt
werden, und wenn man auf eine lange Heihe von Jahren das zurück-
stellen muTs, wofür man mehr Interesse hätte. Für solche Aufopfe-
rung gebührt der öffentliche Dank, damit nicht die Männer aussterben,
denen die Bedürfhisse der Wissenschaft höher stehen als die privaten
Interessen.
F. Teichmüller: Ambire, ambitio, ambitiosus, ambitiöse, ambi-
tus. Osterprogramm. Witistock 1901. 28 S. 4^
Zu den Wörtern, welche in sehr verschiedener Weise übersetzt
zu werden pflegen, gehört ohne Zweifel ambitus. ^Amtsbewerbung,
(lunstbuhlerei , Ehrgeiz' sind ja nur eine magere Auslese; das Pro-
gi-ainm bietet uns Dutzende von Varianten wie: Popularitätshascherei,
Courtoisie, Ehrenbezeigung, Strebertum. Selbstpräsentation (dieses
vom Verf. wohl zuerst vorgeschlagen), Umtriebe, Intrigue, Protek-
tionismus, (weit getriebene) Herablassimg, Agitation, Renommisterei,
Marktschreierei, Eff'ekthascherei, Sensationssucht, Gröfsenwahn, Reprft-
sentationssucht, Liebedienerei u. s. w., und andere werden als verfehlt
bezeichnet. Wenn der Verf. seine Kritik namentlich gegen die *Langen-
scheidtsche Bibliothek' richtet, so wird man ihm zugeben müssen,
dafs d^r Titel derselben * Musterübersetzimgen ' nicht inrnier gerecht-
fertigt ist.
Er geht vom Verbum aus, und zwar von der sinnlichen, lokalen
Bedeutung, imtersucht dann die übertragene und schliefst mit dem
jüngeren Sprachgebrauche der silbernen Latinität. Die Bedeutung
ändert sii:h in der Kaiserzeit, weil die Sitten sich ändern, und zwar
Litteratur. 287
nicht zum Besseren. So tritt das Wort bei denselben Autoren in
verschiedenem Sinne auf, wodurch dem Interpreten Schwierigkeiten
bereitet werden. Ambitus wird in dem Schlulkkapitel besonders be-
trachtet, jedoch viel kürzer. Das Programm wird für den Thesaurus
mit Dank benützt werden.
Ciustav Körting: Lateinisch - romaniBohes Wörterbuch. Zweite
vermehrte und verbesserte Ausgabe. Paderborn 1901. VII, 1262
Spalten. 4®.
Ohne Zweifel hat das aus den Arbeiten Gröbers (Vulgär-latei-
nische Substrate, Archiv I — VIj herausgewachsene Buch der Wissen-
schaft grofsen Nutzen gebracht, indem es den Latinisten den Einblick
in die Entwicklung der romanischen Sprachen vermittelt. Die her-
gestellte Verbind imgsbrücke zwischen zwei Disciplinen wird um so
häufiger betreten, als die alphabetische Anordnung des Stoffes das
Nachschlagen erleichtert und reichhaltige Indices dem das lateinische
Grundwort Suchenden Hilfe gewähren. Wenn wir auch noch keine
Vollständigkeit erwarten dürfen, so sind inmierhin die 8954 Artikel
der ersten Autlage auf 10469 angewachsen. Ebenso unmöglich ist
es, die sämtlichen Formen der romanischen Dialekte anzufiihren, weil
die Vorarbeiten noch zu lückenhaft und mangelhaft sind; ein Beispiel
giebt das Wort pullus in der Bedeutung von *Hahn', aus welchem
man auf die Heimat der sogen. Silvia, der Verfasserin der Peregri-
natio ad loca sancta, schliefsen kann. Vgl. Comu in diesem Hefte
S. 186. Die Superlativbildung *abismus, franz. abime Abgi'und, wird
man auf ein lateinisches abysus mit kurzer Mittelsilbe (Arch. VUI
293) zurückführen dürfen. Die Stemform *anxio ist belegt durch
Itala (codex Corbeiensis) epist. lac. 5, 13. — Das nicht belegte
♦besta wird bezeugt diu-ch Corp. gloss. V 443, 52. — ♦Fortia, franz. force,
erscheint schon bei Firm. Mat. als Substantiv im Sinne von Cicwalt-
thätigkeit. — Die Stemform *inodiare inschriffclich und handschrift-
lich bezeugt Arch. XII 49. Über *manuculus =- manupulus vgl. Arch. XII
20. — *Maretimus anzusetzen wegen Maremme. — Stropa (ital. stroppa.
Tau) schon in der Appendix Probi; daher *stropare die Sehnen ent-
zweischneiden. — Es wäre die schönste Art des Dankes, wenn die
zahlreichen Benutzer des Buches ihre Bemerkungen dem Verf. l^rief-
lich mitteilen würden. Non omnia possumus omnes. Wer ermessen
will, wieviel der Verf. zugesetzt und nachgebessert hat, der vergleiche
den -\rtikel ambulare (= aller?) mit der ersten Auflage.
Pas so WS Wörterbuch der griechischen Sprache. Neu bearbeitet
von Wilh. Crönert. 2 Bände. Göttingen.
Wie das Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik zu
der Gründung der Zeitschrift tiir deutsche Wortforschung von Friedr.
Kluge geführt hat, so beginnt auch der Thesaurus linguae latinae
288 Litteratur.
seine Schatten zu werten. Natürlich machte sich in erster Linie die
Sehnsucht nach einem neuen griechischen Stephanus geltend; allein es
stellte sich doch bald heraus, dafs die filnf deutschen Akademien
nicht zwei so grofse Werke gleichzeitig in Angriff nehmen können.
So reifte der Gedanke, einstweilen das antiquarisch schwer zu be-
schaffende Werk von Franz Passow neu zu bearbeiten und nament-
lich die Masse der seit einem halben Jahrhundert neu gewonnenen
altgriechischen Sprachdenkmäler (Inschriften wie Autoren) dem Sprach-
schatze einzufügen. Dr. W. Crönert hofft, unter Ausschlufs der Eigen-
namen, in etwa vier Jahren die Excerption des Stoffes zu vollenden
und etwa im Frühjahr 1905 mit der ersten Lieferung hervorzutreten.
Auf vollständige Sammlung der Belegstellen mufs selbstverständlich
verzichtet werden, doch soll die Entwicklung der Bedeutungen, das
erste Aufkommen und das Absterben der Wörter gebührende Berück-
sichtigung finden. — Diese vorläufige Mitteilung ist durch den Um-
stand veranlafst, dafs von Athen aus eine Übersetzimg des griechi-
schen Wörterbuches von Liddl und Scott angekündigt wird, (P. S.
Herr Dr. Crönert wird auch sämtliche bei griechischen Autoren vor-
kommenden lateinischen Wörter excerpieren.)
0. Hiemaun und H. Goelzer: Phonötique et ötude des formes
grecques et latines. Paris 1901. 540 pgg. Lex.-8^
Das genannte, glänzend ausgestattete Werk bildet die Ergänzung
zu der Areh. XI 444 angezeigten ^Syntaxe', sodafs beide zusammen
die 'Grammaire comparee* in zwei Bänden darstellen: eine ver-
gleichende Grammatik, nicht im Sinne der Linguisten, sondern des
Griechischen und Lateinischen, wenn auch den Verfassern die Beziehimg
zu den indogermanischen Sprachen nicht fremd ist. unter diesen ist
auf dem Titel der 1892 verstorbene 0. Riemann (vgl. Arch. Ml 623)
an erster Stelle genannt, weil seine handschriftlich hinterlassenen Auf-
zeichnungen, welche zunächst dem Unterricht dienten, den Grundstock
des Buches bilden. Sein jüngerer Arbeitsgenosse konnte sich unmög-
lich darauf beschränken, einige ergänzende Noten zu diesem Entwürfe
zu schreiben, sondern er mufste ihn neu formen, um ihn auf die Höhe
der Zeit zu bringen. Das Werk umfafst nach einer kiurzen Einleitung
über die griechischen und lateinischen Dialekte die Lautlehre, die
Deklination und die Konjugation, nicht aber die Komparation; be-
stiimnt ist es flir die 'etudiants de nos Facultes et de nos Eeoles
superieures, sodafs man es nicht etwa mit dem Werke von Brugmann
vergleichen darf. Es wird aber auch in Deutschland Nutzen stiften
können, weil uns ein Analogon fehlt und weil die deutsche Litteratiur
fleifsig benutzt ist. Jedenfalls bietet das Buch eine vorzügliche Über-
sicht, und die Details kann sich ja der Gelehrte selbst nachtragen.
Wenn es also § 119 heifst, der lateinische Diphthong au sei gewöhn-
lich zu o gesunken, in einzelnen Fällen auch a geworden, so beruhen
diese Ausnahmen auf der Dissimilation, wenn entweder in der Silbe
Litteratur. 289
auf au ein u folgt (Augustus, Agustus, Aosta; auscultare, ascultai*e,
altfrz. ascouter), oder wenn zwei o zusammenstofsen würden, wie
Pisaurum, *Pesoro, Pesaro oder Tauromenium, ♦Toormenium, Taormina.
Ähnlich ist zur Erklärung der Grenetivformen fabrum, virum, liberum,
amphonun die Vermeidung des Rhotacismus beizuziehen, wie denn
barbarum = barbarorum nicht nur oft in Prosa, sondern bei Phaedrus
und Prudentius unzweifelhaft dreisilbig vorkommt. Für die Super-
lativformen optumus, optimus wäre jetzt auf die Schrift von Arthur
Brock (Arch. X 455) zu verweisen. Die Appendix Probi ist nicht
mehr nach der Ausgabe von Keil zu eitleren, sondern nach der von
Heraeus Arch. XI 301.
K. Brugmann: Über das Wesen der sog. Wortzusaxmnensetsung.
Eine sprachpsjchologische Studie. Berichte der philol.-hist. Klasse
der K. Sachs. Gesellschaft der Wissensch. 1900, S. 359— 401.
Mit eindringender Schärfe und Verwendung reichen Materiales,
w^ie man es bei ihm erwarten duri'te, tritt Brugmann in der vor-
liegenden Abhandlung an das Problem des Kompositums heran.
Die Frage ist die: Gehört Lautkontinuität, äufserliche „Zusam-
mensetzung^^ zum Wesen des Kompositums? B. verneint sie, in Über-
einstimmung mit Wundt, der in seinem bahnbrechenden Buche über
die Sprache (Völkerpsychologie, erster Teil) auf analytischem Wege
zu der gleichen Anschauung gelangt. Den Ausgangspunkt der Be-
trachtung bilden Beispiele, wie „loskaufen", „antreiben", die wir schon
durch die Zusammenschreibung zu Komposita stempeln, während die
Bestandteile gesondert auftreten können: „er treibt ihn . . . an".
Solche Fälle des Schwankens zwischen Kontinuität und Trennung
finden wir allenthalben in den indogermanischen Sprachen. Soll man
hier, mit H. Paul u. a., eine Zwischenstufe zwischen syntaktischem
Gefiige und Kompositum setzen? Nach B. beginnt die „Komposition"
mit einem semasiohgischcn Vorgang ^ der ganz unabhängig von der
Stellung der Wörter zu einander erfolgt, mit der „Modifikation der
Bedeutung des syntaktischen Wortverbandes" (S. 362), d. h. dem be-
grifflichen Zusammenwachsen der einzelnen Bestandteile zu einer Ein-
heit, mit der yyBef1euitmgsverei)iJieiüicJimig",
Vom semasiologischen Betrachtungsstandpunkt aus ist also der
überlieferte grammatische Begriff der Wortkomposition zu erweitern,
indem von der „Kontaktkomposition" die „Distanzkomposition" zu
unterscheiden ist (S. 382), und folglich manches als Korapositimi zu
bezeichnen, was die traditionelle Grammatik nicht als solches aner-
kennt, z. B. ne — quidem, um — willen.
Wie ist es nun aber möglich, dafs zwei in einem Satze von
einander getrennte Wortgebilde eine vollkommen untrennbare Begriffs-
einheit bilden können? Das Problem löst nach Brugmann Wundt
durch seine psychologische Analyse des Satzes^ der in der Seele des
Sprechenden vor seiner Aussprache als VorstcUimgsehiheit vorhanden
290 Litteratur.
ist und nicht erst succesiv nach seinen Teilen appercipiert wird (vgl.
S. 390 ff.); der Satz ist der primäre BewuTstseinsinhalt, aus dem erst
im Sprechen die Einzel Vorstellungen entwickelt werden, nicht dafs
umgekehrt aus den einzelnen Vorstellungen sich der Satz zusammenbaute.
Der enge Rahmen der Anzeige verbietet es, näher auf diese
sprachpsychologische Fundameutalthatsache einzugehen. Ebenso müssen
wir ims damit begnügen, auf die weiteren Ausfuhrungen Brugmanns
in dieser fär ihren mäfsigen Umfang sehr inhaltreichen Abhandlung
andeutend hinzuweisen. So bespricht B. eingeh^id die Momente,
welche die Bedeutungsvereinheitlichimg bei Kontaktstellung und somit
auch das äufserliche Verwachsen der sprachlichen Bestandteile einer
Komposition fordern, bezw. Symptome der bereits vollzogenen Verein-
heitlichung sind, S. 365 — 382, wie z. B. die Bedeutimgsänderung
eines Bestandteiles aufserhalb der Verbindung („ob" ist aufserhalb
des Kompositums obviam nicht mehr lokal, sondern kausal), oder die
lautliche Änderung eines Bestandteiles aufserhalb derselben (pro neben
prod-est u. s. w.), oder das vollständige Absterben eines Teils (venum,
Akk. von venus „der Verkauf" in venum-dare) u. s. w.; acht Klassen
von Erscheinungen werden unterschieden, besonders mannigfaltig zeigen
sich die Symptome der Bedeutungsverschmelzung auf dem Gebiet« der
Syntax und Wortformation (Klasse 7). Inwieweit diese Erscheinungen
auch für die Distanzkomposition gelten, zeigt S. 393 f.
In einem eigenen Abschnitt bespricht B. die Erscheinung der
Ellipse, welche auch eine Wirkung der Bedeutungsvereinheitlichung,
freilich imter Mitwirkung des konventionellen Charakters eines syntak-
tischen Komplexes, ist.
Die „schwierige Frage", welche Gründe in vielen Fällen den
schliefslichen Sieg der Kontakt- über die Distanzstellung herbeigeführt
haben, streift B. nur, ohne näher auf sie einzugehen.
Den Schlufs der Abhandlung bilden Vorschläge zur Ersetzung des
als unzulänglich en\'iesenen grammatischen Terminus „Komposition".
Anschliefsend hieran sei darauf hingewiesen, dafs Brugmann
a. a. 0. S. 403 — 411 zwei lat. Komposita, bei denen die Verwachsung
freilich weit vor die historische Zeit fällt, etymologisch untersucht,
procerus und sinccrus. Ersteres ist aus *pro-cre-ro-s entstanden (r
dissiniilatorisch geschwunden) und mit crvsco zusammenzustellen,
während sincerus auf ein *sem-cr5-ro-s zurückzuführen ist und zur
Gruppe von ccrno „siebe" gehört: also sincerus = gesiebt, wobei sem
(sin) der Verstärkung des Begriffes der Ungemisohtheit dient.
München. 0. Hey.
Theod. Birt: Der Hiat bei Flautus und die latein. Aspiration
bis zum 10. Jahrh. nach Chr. Marburg 1901. 374 S. 8^.
Gegen Ritschis Versuche, die Hiate bei Plautus zu beseitigen,
erhob zuerst Andr. Spengel Einspruch, indem er in seiner Plautus-
Litteratnr. 291
kritik (1865) namentlich die Kraft der Gäsur zur Entschuldigung
der Hiat« geltend machte. Nach ihm behandelten die Frage 1869
C. F. Müller mit seiner ^phnitinischen Prosodie' und neuerdings Mauren-
brecher 1899 mit dem Buche ^Hiatus und Yerschleifung im alten
Latein' Heft 1. Einen neuen Weg schlägt Birt ein, indem er in
dem h die Entschuldigung des Hiatus sucht. Er behandelt im ersten
Abschnitte das h der Republik, indem er behauptet, Varro habe
zuerst das lateinische h dem griechischen Spiritus asper gleichgestellt.
Da indessen die Römer zur Bezeichnung dieses Buchstabens das von
den Griechen för den Spiritus asper gebrauchte Zeichen anwen-
deten und ihm im Alphabete die nämliche Stelle gaben, so mufsten
sie doch längst beobachtet haben, dafs beide Laute sich deckten
oder doch nahe berührten. Birt behauptet dagegen, dafs h noch zur
Zeit des Plautus den Charakter eines halben Konsonanten gehabt
habe. Zu diesem Behufe giebt er S. 5 5 ff. auf Grund einer früheren
Abhandlung im Rhein. Mus. 54 eine Zusanmienstellung der Verse
(430 an der Zahl, worunter 346 aus Plautus), wo das h im 2. und
3. Jahrb. vor Chr. konsonantische Funktion gehabt habe. Zuerst habe
Ennius im daktylischen Hexameter dem h den Wert des griechischen
Spiritus asper gegeben, und für die ganze sogen, klassische Verskiinst
Roms müsse die hiatustilgende oder positionbewirkende Kraft eines h
forte geleugnet werden.
Der 2. Abschnitt, S. 93 — 161, handelt von dem h der römischen
Kaiserzeit. Während man firüher allgemein der Ansicht war, dafs
gerade in dieser Zeit das lateinische h zugleich mit dem Spir. asper
der Griechen inmier mehr verklungen und deshalb so oft bald ausgelassen,
bald fälschlich zugesetzt sei,, sucht jetzt B. das umgekehrte Verhältnis
aus metrischen und orthographischen Gründen zu erweisen. Zuerst also
spricht er von dem konsonantischen h, welches Verschleifung ver-
hindert haben soll, sodann von den Gnunmatikem, deren einige neben
einem schwachen h auch ein stärkeres anerkennen; endlich von dem h
omissum und dem h spurium mit reichen Belegen aus Inschriften und
Handschriften.
Der 3. Abschnitt gilt dem lateinischen h vom 7. bis zum 10.
Jahrb. (S. 162 — 29 7 j. Wenn die Romanisten aus dem Verstummen
in den modernen Sprachen geschlossen haben, die Entwertung müsse
schon im Lateinischen eingetreten sein, so tritt Verf. auch diesem
Satze entgegen; zum mindesten macht er Unterschiede und läfst das
h in Spanien und Sicilien länger bestehen als in Südfrankreich. Der
Wert der Beispiele wird dadurch gemindert, dafs das Lateinische damals
eine tote Sprache geworden war und die Schrift nicht immer den
Rückschlufs auf die Aussprache gestattet.
Ln 4. Abschnitte kehrt B. wieder zu Plautus zurück. Nach Aus-
scheidung von 430 Beispielen der * zuverlässigen* Geltung des konso-
nantischen h im Altlatein bleiben doch noch zahlreiche Fälle von
Hiaten vor Wörtern übrig, welche nicht mit h anlauten, und diese
schwächen natürlich die Argumentation von Birt. Er versucht daher
auch die widerstrebenden Beispiele aus der Natur der lateinischen
292 Litteratur.
Sprache zu erklären. Dafür mufs die volkstümliche, bezw. rustike
Aussprache herhalten; diese habe eine Reihe von Wörtern, welche
weder in der Etymologie noch in der Orthographie ein Anrecht, auf
h hatten, fälschlich mit h gesprochen. Li diese Klasse werden ab,
abeo, in, intro, ebrius, ob, obviam, obsecro, occido, omnia gerechnet
I wobei daran erinnert sein mag, dafs Havet onmes von homines
ableitet. Hed.J, sodafs also Plautus geschrieben und skandiert haben
soll Mere. 259
insc^ndo hin lembimi atque ad navem devehor.
Mit solchen und ähnlichen Mitteln wird die Zahl der Hiate bei
Plautus bedeutend verringert; der Rest wird in einen Anhang ver-
wiesen und teilweise wegemendiert. Den Schlufs machen zwei Indices,
ein Autoren- und ein (unvollständiges) Wörterverzeichnis.
Man vermifst in dem Buche eine Erwähnung des Lautes, welcher
im Griechischen eine ähnliche Schwächung erfahren hat, des Digamma,
welches bei Homer noch Position macht, bei den Attikem abgestorben
ist, bei Pindar noch ausreichend ist, um einen Hiat zu beseitigen. Die
Oeschichte des Digamma lehrt uns, daiJs es nicht bei aUen Wörtern
zu gleicher Zeit und in gleichem Grade verloren ging, sehr frühe bei
olKog imd olvog^ nämlich schon in der Odyssee. Da es dem latein. h
ähnlich gegangen sein wird, so stellt B. S. 201 den Romanisten die
Aufgabe, die Lautgeschichte jedes einzelnen Wortes zu schreiben; nur
fragt man sich, warum Verf. nicht selbst diesen Versuch gemacht hat.
Ein zweiter Punkt betrifft die Statistik. Wenn wir die Zahl
der Verse mit kräftigem h kennen, so möchten wir auch wissen, wie
oft vor h der vorausgehende Vokal elidiert worden sei, in welchem
Verhältnisse also das abgeschwächte h zu dem starken stand. Mauren-
brecher würde uns sicher nicht im Stiche lassen. Ich selbst taxiere
nach Stichproben die Proportion auf 8:1. Das giebt der Sache ein
anderes (lesicht; denn man wird mm bedenklicher werden, der Lehre
von Birt zuzustimmen. Jeden Hiatus bei Plautus auszumerzen wird
doch nicht gelingen, und Nachlässigkeiten des Dichters werden stehen
bleiben, über deren Entschuldigung und Verteidigung er selbst lächeln
würde.
Die Entschuldigungen des Hiates sind teils sprachlicher Nat^ir,
wie die nachwirkende Kraft eines anlautenden h oder eines auslauten-
den m oder eines ablativischen d, teils logischer, wie Personenwechsel,
starke Interpunktion, teils endlich metrischer Art, sodafs die Gründe
bald einzeln, bald vereint wirken. Von diesen dreien hat B. den
ersten Faktor mit spezieller Beziehung auf h zimi Thema gemacht,
den zweiten gelegentlich berührt, den dritten fast ganz vernachlässigt,
iiaiuentlich die Cäsm* des jambischen Trimeters, worin wir eine Ein-
seitigkeit erblicken. B. mufste sich mit Spengel und Maurenbrecher
auseinandersetzen, und er durfte sich nicht den Schein geben, als ob
Gegnt^r Ritschis nicht existierten. Selbst die Kraft der Nebencäsur,
so heikel diese l^Vage auch ist, durfte er nicht einfach beiseite schie-
ben. Das ultimum refugium })leibt immer die Emendation, die metho-
disch-kritische Textbehandlung. An weit mehr Stellen, als B. zugiebt.
Litteratur. 293
verdienen alte und neue Konjekturen den Vorzug vor seinem h spuriiun
oder selbst dem h genuinum. Seitdem es feststeht, dafs Plautus illic
neben illi, horunc neben horum gebraucht hat, darf man die alten
Formen auch ohne die Autorität der Handschriften herstellen, z. B.
rusus neben rusum, Aul. 649. Da namque bei Plautus fehlt, nam
aber ein dutzendmal Hiatus nach sich zieht, sollen wir da nicht ver-
muten, dafs die alte Form nanc durch das geläufige nam ersetzt
wurde?
Und nun zimi Schlufs. Wenn wir das h spurium, d. h. das fälschlich
geschriebene, verwerfen und die Kraft der Hauptcäsur im jambischen
Trimeter herstellen, wollen wir dann die ganze neue Lehre von dem
konsonantischen h im Sand verlaufen lassen? Zu dem letzteren möchte
ich doch nicht raten; denn es bleibt doch ein Drittel der Stellen
übrig, bei welchen eine andere Entschuldigung nicht zur Verfägimg
steht. Das Hauptkontingent stellen hodie, homines, habeas. Da wäre
es doch möglich, dafs gerade bei diesen Wörtern die Aussprache
kräftiger gewesen wäre. Denn darin stimme ich Birt durchaus bei,
dafs eine Restitution der Bergkischen Archaismen hocedie, homones
äuDserst bedenklich ist. Eine feste Entscheidimg wage ich nicht zu
geben, da mein statistisches Material über das Verhältnis dieser
Wörter zu andern nicht ausreicht; allein es sollte mich freuen, wenn
genauere Untersuchungen zu einem sicheren Ergebnisse führen würden.
München. Wilh. Christ.
D. Detlefs en: Pote und seine Verwendung im Lateinischen.
Progr. Glückstadt 1901. 14 S. 4^
Das * Programm handelt nicht blofs über pote und utpote,
sondern auch über die verkürzten Formen wie quippe und nempe.
Die Beispielsammlung geht im Ganzen nicht üLer die Klassizität
hinaus und deckt sich vieKach mit der von Haph. Kühner; doch ist
die Erklärung der einzelnen Stellen vielfach eine bessere. Dräger
scheint nicht benützt.
Bei der Erklärung von possum = pote sum hätten wir ein Ein-
gehen auf die Frage gewünscht, warum die Neutralform durchge-
drungen, und ob nicht potis sum (Svvaxog et(ii) neben pote est als
die ältere Form zu betrachten sei. Bei utpote qui und ut qui kommt
die Modusfrage zur Erörterung, und es wird der Indikativ verteidigt,
auch wo ihn moderne Kritiker angefochten haben, z. B. Tac. Germ. 22
ut apud quos plurimum hiems occupat. Die Parallelle bei Cic. Att.
2, 24, 4 utpote qui nihil contemnere solemus kann noch gestützt wer-
den durch Justin 24, 6, 5 ut qui solemus und andere Belege aus
dem Spätlatein, wie ut qui animadverterat (Apul. flor.). Das pte in
snopte u. ä. wird übersetzt mit 'kann sein'= pote est als Parenthese,
wofür wir Sielleicht' setzen können. Plaut. Truc. 471: ego, quod
mala sum, matris opera mala sum et meapte malitia. In der Stelle
Archiv für Ut. Lexikogr. XU. Heft 2. 20
294 Litteratur.
Paulus Festi 78 ipsippe) ipsi neque alii empfiehlt Verf. mit Ursinus
ipsipte zu schreiben.
Die Deutung von quippe ist bekanntlich immer noch kontrovers.
Die von Weifsenbom behaupteten Verbindungen quippe ut und qaipi>e
si werden mit Recht zurückgewiesen. In der Modusfrage bei quippe
qui trennt sich bekanntlieh Cicero von Sallust, während Caesar die
Partikel vermeidet. Verf. betrachtet quippe als elliptischen Fragesatz,
den sog. Relativsatz als Hauptsatz, welcher die Antwort enthftlt. —
tlber quispiam u. ä. wollen wir hinweggehen, da von sicheren neuen
Ergebnissen nicht gesprochen werden kaim.
Job. Wolfg. Freund: De C. Suetonii TranquUli usu atque genere
dioendi. (Bresl. Doct.-Diss.) Berol. 1901. 68 pgg. 8^
Die Herrn Prof. K. F. W. Müller gewidmete, gründliche Abhand-
lung hat den Vorwurf, mit den Arbeiten von Thimm und Bagge zu
kollidieren, dadurch vermieden, dafs sie in ihrer ersten, gröfseren
Hälfte nicht die Grammatik, sondern die Stilistik behandelt. So
bietet sie in der That eine erwünschte Ergänzung zu den Disserta-
tionen der Vorgänger. Deutlichkeit, Kürze, Ellipse, Wortstellung,
Konzinnität, Asyndeton, das sind einige der Hauptkapitel. Es soll
damit nicht gesagt sein, dafs sich nicht filr Undeutlichkeit, Breite des
Ausdruckes, Inkonzinnität, auch einzelne Beispiele finden liefsen, z. B.
Aug. 1 ara Octavio (= ab Octavio) consecrata, wo der Leser doch auch
einen Dativ hineininterpretieren könnte, so gut dies bei Tac. Germ. 3
aram Ulixi consecratam geschehen ist.
Der zweite Teil folgt den üblichen Rubriken der Grammatiker
imd bietet Nachträge zu Thimm und Bagge. Besonders wertvoll ist
S. 00 die Zusammenstellung der chca^ eiQrifiiva. Eine wichtige Be-
obachtung ist S. 63 in einer Fufsnote versteckt, dafs quotiensque
= quotienscunque ^uch bei dem Juristen Paulus Dig. 26, 7, 24, bei
Hilarius und Sidonius Apollinaris vorkommt. Vgl. Arch. XI 402.
Im zweiten Teile wird auch die Sprache Suetons öfter ipit der
Sprache des Cicero, Livius u. s. w. verglichen, was im ersten kaum
der Fall ist.
Adolf Zaun er: Bomanisohe Sprachwissensohaft. Leipzig 1900.
167 S. kl. 8^
Wenn auch die BUndcben der ^Sammlung Göschen', welche eine
Wissenschaft oder eine Einzeldisciplin zu 80 Pfennig gebunden liefert,
sogar mit Tafeln und Abbildungen, an Weii: ungleich sind, so konunen
doch die meisten einem Bedürfnisse entgegen. Nicht nur der an-
gehende Romanist oder der bildungsdiu'stige Laie, auch der Latinist
wird einen Überblick über den heutigen Stand der sog. Romanistik
mit Freuden begrüfsen. Die Teilung des StofiFes in zwei Hauptkapitel
Litteratur. 295
(Vulgärlatein und Bonianische Sprachen) bringt es mit sich, dals
manches an zwei Orten besprochen wird und daher auch Wieder-
holungen unterlaufen; man vgl., was S. 24. 25 imd 65 über den
Diphthongen au gesagt ist. Auch läfst die Gruppierung im einzelnen
noch zu wünschen übrig, so gleich in den vier ersten Paragraphen
der Lautlehre: Accent. Vokale. Diphthonge. Konsonanten. Denn die
Überschrift ^Quantität imd Qualität' gehört nicht zu dem Accente,
sondern zu den Vokalen, und im Paragraphen ^Diphthonge' stehen Dinge,
welche die Vokale betreffen. Weiter wird bei dem Leser zu viel
vorausgesetzt, wenn ohne ein Wort der Erklärung die 'gedeckten'
Silben oder die Zeichen e und f eingeführt werden. Endlich aber
fehlt es auch nicht an Ungenauigkeiten, so wenn von einer heute
längst aufgegebenen lateinischen Form coena gesprochen, oder gesagt
wird, das Volk habe manducare statt edere gebraucht: dies gilt für
Frankreich imd Italien, nicht aber für Spanien (comedere). Der-
gleichen wäre in einer zweiten Auflage zu verbessern. — Noch sei
erwähnt, dafs die Lautlehre und Formenlehre (Deklination, Konjugation,
Komparation) ausführlich behandelt sind, die Wortbildung sehr kurz,
die Syntax fast gar nicht.
W. A. Lindsay: The Captivi of Plautus. Edited with introduction,
apparatus criticus and commentary. London 1900. 384 pgg. 8®.
Die Ausgabe läfst sich am ehesten mit denen von Brix, Nie-
meyer, Lorenz vergleichen; in dem Punkte steht sie über denselben,
als sie sich nicht als ^Schulausgabe' giebt und in der gewissenhaften
Benützung der Einzeluntersuchungen deutscher Philologen geradezu
grofsartig ist. Da wir sie als den ersten Band einer grofseren Serie
betrachten dürfen, so wai- eine allgemeine Einleitung notwendig,
welche in drei Kapiteln über die Plautushandschriften, über Prosodie
und Metrik handelt. L, hat mit Ausnahme des Anibrosianus die
mafsgebenden Handschriften neu verglichen und auch ü])er die un-
bedeutendsten Varianten genauen Bericht erstattet; über die Kol-
lation der Tumebushandschrift vgl. Arch. X 442. Eine Hauptkon-
troverse, die Übereinstimmung des Versictus und des Wortaccentes,
ist von der * Litroduction ' ausgeschlossen und in einen Anhang ver-
wiesen. Dafs der Herausgeber, dem Vorbilde seines grofsen Lands-
mannes Bentley untreu, den Leser nicht durch das Setzen von Accen-
ten unterstützt hat, werden nicht blofs die Anfänger bedauern, da
Leo wenigstens in schwierigen Fällen und bei Übergängen das Skan-
dieren erleichtert hat; auch ist zu bedenken, dafs in imserer Zeit die
Vorkenntnisse der Studenten nicht besser geworden sind. Wenn man
im Texte V. 760 surripuit schreibt, dieses aber dreisilbig (surpuit)
gesprochen denkt, so raufs jedermann anstofsen, bevor er die Note
gelesen hat. Und wer wird V. 840 hinter gaudiis einen Daktylus
suchen? Im ganzen schenkt L. der handschriftlichen Ül)erlieferung
viel mehr Glauben als Gottfr. Hermann und Ritschi, und es gilt dies
296 Litteratur.
nicht nur von der Konjekturalkritik , sondern auch von der Vers-
abteilung; eine schöne Verbesserung ist es übrigens, dafs das tempo-
rale cum (cum emi hosce homines) an den Schlufs des Verses 499
statt an den Anfang von V. 500 gestellt wird, woraus sieh eine
schöne Synunetrie des Versbaues ergiebt.
Der Hauptwert der Ausgabe liegt in dem Kommentare, und
zwar in der Exegese, namentlich in den lexikalisch -granmiatischen
Bemerkungen, weniger in der Sacherklärung, fEbr welche Brix und
Ussing mehr geleistet haben. Man wird so zu V. 287 belehrt, dafs
der Genetiv ipsius an dieser einzigen Stelle bei Plautus vorkommt,
oder zu V. 818, dafs orbus bei Plautus mit Genetiv und Ablativ, bei
Ennius, Terenz und Afranius nur mit dem Ablativ verbunden wird.
Auch werden Parallelstellen aus alter wie neuer Zeit in reicher Fülle
vorgelegt, ohne dafs man freilich sagen könnte, dafs alle zur Lösung
der Schwierigkeiten beitragen. So wird ^ mit dem Hinweise auf die
bekannten Phrasen nuptum dare, essum vocare nicht bewiesen, dafs
V. 179 age sis roga emptum die Supinform anzunehmen sei, weshalb
Salmasius sich mit einer Konjektur (rogo), Brix mit Personenwechsel
geholfen haben. Zu V. 947 (libella argenti) und 795 (plateam) ver-
mifst man eine sachliche Erklärung, an letzterer mit Bezug auf die
aktuelle Frage der schmalen Bühne zur Zeit der neuen Komödie.
Noch mehr muTs man bedauern, dafs L. zu V. 335 über die sachliche
Bedeutimg von huius in Verbindung mit der Frage der Personenver-
teilung nicht die einsichtsvolle Bemerkung von üssin^ berücksichtigt hat.
Dafs L. in der Kritik konservativ ist und viel Worte auf die
Verteidigung der handschriftlichen Lesarten verwendet, wurde bereits
bemerkt; er scheut sich nicht, allen neueren Herausgebern, oder doch
fast allen gegenüberzutreten, z. B. V. 521. 939. 1022. Dafs man es
früher mit der Annahme interpolierter Verse zu leicht genommen hat,
mag ja zugegeben werden; aber ebenso ist es ein Extrem, V. 266
Seyfferts geistreiche Konjektur (nunc iam cultro es attinet statt cul-
tros) nicht einmal zu erwähnen. Die eigenen Konjekturen, welche
li. hier und da gewagt hat, sind grofsenteils schwache und wohlfeile
Versuche, die zwar äufserlich den Zügen der Handschriften sich eng
anschliefsen, aber innerlich geringe tll)erzeugimgskrafk besitzen. Vgl.
201 oculis multa mira aitis (statt miraclitis) oder 1014 illi ^hi^*
statt illic.
Orthographischen Neuerungen ist L. nicht abgeneigt, selbst wenn
sie in den Handschriften keinen Halt haben, wie 289 pertenax, 449
tarpezitae; verfehlt ist es, V. 820 eum ego in der Bedeutung von eorum
ego zu nehmen und gegen die Konjektur von Brix eorum ego zu
verteidigen; das Richtige war schon bei üssing und Leo zu sehen.
Wenn aber auch niclit alles in dem Buche Gold ist, eine gute Leistung
bleibt die Ausgabe doch. Sehr zu wünschen ist es deshalb, dafs die
englische Sprache, welche Hsgb. statt des internationalen Lateins wählte,
der Verbreitung des Buches in Deutschland nicht im Wege stehen möge.
München. Wilh. Christ.
Litteratur. 297
Begnlae S. Benedioti traditio oodieiiin mss. Casinensiam. Monte-
casini 1900. XXHI, 86 pgg. 4®.
Eine allen Anforderungen der wissenschaftlichen Kritik genügende
Ausgabe der Regula Benedicti ist zunächst eine Aufgabe der Wiener
Kirchen väterkommission, welche auch die Arbeit einem Benediktiner
de Meuron übergeben hat. Die Montecasiner Ausgabe will nur eine
Vorarbeit dazu sein, indem sie zunächst die Varianten der nicht über
das IC). Jahrhundert hinaufreichenden Handschriften des Stammklosters
zasammenstellt; diese werden durch die Katalognummem 175. 179
u. s. w. bezeichnet, während wir grofse lateinische Buchstaben vor-
gezogen hätten. Diese Lesarten erscheinen jedoch nur im Apparatus
criticus, während den Text ein genauer Abdruck des Cod. Sangallensis
914 saec. IX bildet, welchen Traube (vgl. Arch. XI 295) als die ge-
naueste Abschrift des bis 896 in Montecasino vorhandenen ürexem-
plares des Verf. erkannt hat. Da St. Gallen einen älteren Codex der
Regula (N. 916 saec. VIII) besitzt, so hatte man über diesem den
jüngeren, aber kritisch wichtigeren vernachlässigt, imd Ref. selbst
hatte bei seinem kurzen Aufenthalt in St. Gallen nur den älteren
koUationiert. Nur die Casinenser Überlieferung will also die neue
Ausgabe herstellen; die älteste Oxforder Handschrift und die Tegem-
seer kommen gar nicht in Frage. Der Herausgeber ist nicht der
verdiente Abt von Montecasino, Amelli, sondern die Vorrede ist unter-
zeichnet mit G. M., aus welcher Abkürzung man unschwer den durch
seine Entdeckungen berühmten Germ. Morin herausliest.
Ale. Mac e: De emendando differentiarum libro, qui Isidori
esse fertur. Paris (1900). 170 pgg. 8®.
Neben der Sammlung der lateinischen Glossen vermifst man eine
solche fär die lateinischen Synonyma, zu welcher bereits J. W. Beck
dankenswerte Vorarbeiten geliefert hat. Auch Mace schliefst sich in
dieser der Pariser Fakultät vorgelegten 'These' dessen Untersuchungen
an, indem er die Prolegomena zu einer Ausgabe des sogen. Traktates
De proprietate sermonum (Titel nach Nonius) ^Inter poUiceri et
promittere* etc. vorlegt. Nur die Specialisten würde es interessieren,
wenn wir über die 28 Ausgaben dieser Schrift berichteten; über
den kritischen Ertrag von neun Handschriften wird uns die Aus-
gabe aufklären, und dafs man daraus Neues lernen wird, möge ein
Beispiel darthun. Von dem bei Cic. Balb. 45 genannten M. Tugio
sagt schon Baiter im Onomasticon: videtur ei iuris parti se maxime
dedisse, quae est de im-e aquaeductuum. Nun heifst es in unserem
Traktate: tuga, quibus aqua deducitur, wonach dann ein Substantiv
tugum für die Zeit des Cicero gewonnen zu sein scheint, da ja der
abgeleitete Name ein Stammwort voraussetzt. Vgl. linteum linteo,
libellus libellio, littera litterio. Frz. tuvau Brunnenröhre. Der Verf.
ist ein Schüler von Louis Havet.
298 Litteratur.
Hermann Peter: Der Brief in der römisehen Litterator. (Ab-
handl. d. Sachs. Ges. d. Wiss. XX 3.) Leipzig 1901. 259 S. gr. 8^.
Der Vert*. hat sein Buch ^litterargeschichtliche Untersuchungen
und Zusammenfassungen' betitelt, woraus man ersieht, dafs es 8i(*h
nicht um eine Geschichte des Brietstiles handelt, tür welche es aller-
dings an Vorarbeiten nicht fehlen würde. Wir erinnern nur an die
Arbeiten von Stinner (Oppeln 1879), HeUmuth (Würzburg 1888),
Köhler (Nürnberg 1890), an die Aufsätze von Landgraf (bayr. Gymn.-Bl.
Band 16) und Schmalz (Zeitschr. f. d. Gymn.-W. Band 35) und an das
Arch. XII 147 besprochene zweite Programm von Paul Me^-er. Der
Verf. schreibt vielmehr als Litterarhistoriker, und so wird man
gerne von ihm hören, wie er über die imdecim volumina Briefe denkt,
welche Nepos bei Atticus sah, wie über die Zeit der Veröffentlichung
der Briefe ad Atticum, in welcher Kontroverse er sich an Bücheier
anschliefst. Neue Ansichten hat er ü])er die Entstehung der Samm-
lung ad familiäres vorgetragen, zu welchen die Philologie wird
Stellung nehmen müssen. Warum die Briefe der Cornelia und die des
Alcimus Avitus nicht erwähnt werden, entzieht sich unserer Kenntnis.
Nur in einem einzelnen Punkte berührt sich der Verf. mit dem
Gebiet« des Archives. Die Sprache mufs doch auch gewürdigt wer-
den, wo sie für die Echtheit oder Unechtheit der Briefe zeugt, oder
auch, wenn der ^Stil' zur (Charakteristik des Verfassers beiträgt,
obschon hier Lexikographie und Grammatik links liegen bleiben müssen.
Mit Recht betont daher der Veri*., dafs die sprachlichen Besonder-
heiten der Briefe an Brutus nichts gegen die Echtheit beweisen, weil
hier die grofse AkkommodationstUhigkeit Ciceros in Betracht kommt.
Er schreibt an Paetus oder an Trel)atius Testa in witzigem Tone,
weil diese auch Humoristen sind, also gewifs auch nüchterner an
Brutus, weil dieser dem dürren Atticismus huldigt. Wenn wir wissen,
dafs man den zu beantwortenden Brief neben sich hatte und nach
der Disposition desselben Punkt um Punkt erledigte, so hat dies
weiter dazu geführt, dafs Cicero die Ausdrücke des Adressaten bei-
behielt, auch wo sie mit seinem eigenen Latein nicht übereinstimm-
ten. Von zahlreichen Beispielen nur eins: Cato an Cic. epist. 15, 5
quod tu maluisti, factum esse gaudere; Cicero an Cato epist. 15, 6, 2
si id, quod maluero, acciderit gaudeas.
Das Volumen epistularum tuarum bei Cic. Att. 9, 10, 4 erklärt
Peter richtig so, dafs Cicero die einzelnen auf Papyrus (nicht auf
Wachstafeln) geschriebenen Briefe des Atticus aneinandergeklebt und
aufgerollt hatte, wofür uns ein Papyrus der Sammlung Erzherzog
llainer ein Beispiel liefert.
Jules Pirson: La langue des inscriptions latines de la Gaule.
Bruxelles 1901. XVI, 328 pgg. 8^.
Das Buch, welches den elften Fascikel der Bibliotheque de la
faculte de philosophie et lettres de Tuniversite de Liege bildet, ist aus
einer Preisaufgabe hervorgegangen (vgl. Arch. XI 137). Der Verfasser,
Litteratur. 299
geborener Belgier, damals junger Doktor, ist mittlerweile Liektor, dann
Privatdocent in München geworden imd kürzHch zum Extraordinarius
in Erlangen befördert. Er hat seine Arbeit begonnen, wie der Land-
mann, welcher in seinem Weinberge einen Schatz suchte; er hoffte (und
mit ihm wohl auch sein Lehrer, Prof. Waltzing, welcher die Preisauf-
gabe stellte) in dem Latein der Inschriften Galliens lokale Sprach-
unterschiede zu finden, welche auf das moderne Französisch hinüber-
leiten würden. Aber wenn er auch S. 324 enttäuscht eingesteht, nur
wenig gefanden zu haben, so ist seine Arbeit doch nicht umsonst ge-
wesen. Denn wenn auch die meisten Lautveränderungen, wie der Fall
des auslautenden s und t sich ebenso in anderen Provinzen findet, so
ist doch für andere Wandlimgen ein Einfiufs des Keltischen nicht aus-
geschlossen. Manche Abschnitte bringen Neues für die lateinische
Grammatik und Lexikographie. So werden S. 219 ff. unter *Deriva-
tion' die interessanteren Wörter nach den Suffixen aufgeführt, wobei sich
folgende bei Georges fehlende finden: algo, buccio, escurüio, furo, galeo,
occellio, pedo, poppo, puello, soricio, stabulo, tato, vertico, villo, vitio
— pattosus, Veneriosa, Bellosa, Carusus, Tryphosa, Oharistosa — Assi-
darius, barbaricaria, caracteraria , cycnariimi, laudecenarius(V), manu-
pretiarius, prossaria, saponaria. Das in weiblichen Namen auftretende
Suffix -itta, welches man für afrikanisch halten wollte, begegnet uns
auch in Gallien mit Nonitta und lulianeta. Von Fremdwörtern können
wir anführen: anabolium, anuboforus, Harpagius; faraburis, aliberga.
S. 237 ff. folgt dann noch eine lange alphabetisch geordnete Liste von
^Mots rares ou nouveaux': alleetura, calculatura, pateratus, tutatrix,
vinitator, virginiuni. Adjektiva: aevalis, Anubiacus, conmaemorialis,
consacranius, invictrix, incorporatus, lunilicia (Name eines Festes),
obmerens, perassiduus, profallax, patillus, septinaris, sexarbor, vestibula.
Verba: eoinlucisco u. s. w. S. 253 ff. werden die Bedeutungs Verände-
rungen besprochen, z. B. compar (Gemahl, Gemahlin), fascia, filins,
bomo, infans, memoria, parens, patres, parvulus, popiili, titulus; iugalis
(Gatte, Gattin) u. s. w.
Es liegt in dem Buche vielleicht eine Aufforderung, die Inschriften
anderer Länder in ähnlicher Weise zu untersuchen; f(ir Spanien und
Afrika können wir auf Hübner und Kubier verweisen. Ein Lob aber
müssen wir dem Verf. noch ausdrücklich aussprechen, dafs er die
neueren Forschungen auf dem Gebiete der lateinischen Grammatik
kennt, wie wenige seiner Kollegen.
Bitte für den Thesaurus.
Die Materialsammlungen des Thesaurus müssen jetzt im wesent-
lichen als abgeschlossen gelten; das Biu-eau hat mit der Ausarbeitung
der Artikel und Erledigung der laufenden Korrekturen alle Hiinde
voll zu thun. Es bleibt aber natürlich höchst wünschenswert, dafs
die Ergebnisse der überall fortschreitenden wissenschaftlichen Arbeit
fortwährend dem Thesaurus für die noch nicht ausgearbeiteten Artikel
300
Vollmer: Bitte für den Thesaurus.
zugeführt werden. Als solche dankenswerte Ergänzungen kämen in
Betracht: neue und seltene Wörter und Konstruktionen von neu
gefundenen Inschriften und Münzen oder Papyri, desgleichen aus ab-
gelegenen Texten, aus neu gefundenen oder neu verwerteten guten
Handschriften, lexikalische Monographien oder verstreute Bemerkungen,
sichere Konjekturen oder Erklärungen schwieriger Stellen u. ä. Un-
erläfslich für derartige Beiträge ist absolute Zuverlässigkeit der
gemachten Angaben als Citate, Lesungen, Zusammenstellungen, nament-
lich für abgelegenere Quellen, die im Thesaurusbureau nicht nach ver-
glichen werden können.
Am einfachsten und erwünschtesten ist uns naturgemäfs die Zu-
sendimg der Publikationen selbst, in welchen solche Bereicherungen
unseres Wissens gegeben werden, und es sei den Herren, welche schon
ohne Auffordenmg uns in dieser Weise bedacht haben, im Namen
der Sache der wärmste Dank gesagt. Aber willkommen imd dankens-
wert sind uns auch schon blofse Verweisungszettel, d. h. querliegende
Oktavzettel (16 X 10,5 cm) folgender Form:
amhitiosus
F. Teichmüller, Beilage zum Oster-
programm 1901 des Gymn. zu
Wittstock.
oder
tocor
H. Peter, d. Brief L d. röm. Litteratur
(Abb. Sachs. Ges. d. Wiss. XX, EI
1901) p. 73.
Zettel von solcher Form können einfach in unser Material eingereiht
werden: so wird uns viel Zeit gespart, der betreffende Verfasser aber
hat wenig Mühe davon.
Der Thesaurus hat schon so viele dankenswerte Hilfeleistungen
erfahren: wir hoffen, dafs auch diese kleine Bitte nicht vergeblich
ausgesprochen sei.
Die Redaktion des Thesaurus linguae Latinae
(München, Neuhauser Strafse 51'^)
Fr. Vollmer.
Analogiebildungen auf -ellns, -ella, -ellum.
Die beiden Hauptschriften über die lateinischen Deminutiva
von Ludwig Schwabe und Gustav Müller ergänzen sich glück-
licherweise so, dafs der erstere mehr die Form, der letztere mehr
die Bedeutung untersucht hat. Wir gedenken im Folgenden einen
einzelnen Punkt der Wortbildungslehre zu besprechen. Bekannt-
lich ergeben sich durch die Ansetzuug des Deminutivsuffixes -lo
Formen auf -allus, -ellus, -illus, -ollus, -uUus. Indem nämlich
das dem Suffixe vorausgehende kurze u durch Synkope ausge-
stofsen wurde, was nach den Warnungen der Appendix Probi
(speculum non spedum, masculus noh masclus, vemaculus non
vernaclus, articulus non articlus, angulus non anglus) und nach
dem Zeugnisse der romanischen Sprachen später im Vulgärlatein
allgemein üblich gewesen sein mufs, führte die Assimilation zu
folgenden Formen:
grallae = grad'lae Stelzen; rallum = radlum Pflugschar;
ralla vestis = rad'la = rasilis C. Gl. (nach Müller u. a. von rarus);
vallus = van'lus Getreideschwinge; Messalla = Messan'la; Hispal-
lus = Hispanlus.
libellus = liber Ins; capella = caper'la; misellus = mi Berl-
ins; catella = catenla; opella = oper'la; sella = sed'la; Stella
= ster*la (dötrJQ); asellus = asen'lus = asin'lus.
Pulvillus = pulvinlus; catillus = catin'lus Schüsselchen;
villum = vin'lum; pistrilla = pistrinla, auch mit Metathesis pri-
stilla; Balbinus Balbillus; lapillus = lapid'lus; hilla = hirla Darm;
capillus = capit'lus.
CoroUa = coronla; persolla = person'la; olla = aiü'la(?),
nicht = aula, wie Georges angiebt.
Sulla = surla, nicht = suilla (caro); satullus = satur'lus;
uUus = im'lus; ampulla = ampor'la, mit Vokalvertauschimg;
ebenso homullus = homon'lus; Marullus = Maronlus; Semprulla
== Sempron'la, und nach dieser Analogie CatuUus = caton'lus,
obwolü man es scheinbar auch von Catululus herleiten könnte.
Archiv fftr lat. Lexikogr. Xn. Heft .1. 21
302 Ed. Wölfflin:
Dafs unter diesen Bildungen die auf -allus und -oUus eine
schwache Minorität bilden, wie umgekehrt die auf -ellus den
Löwenanteil beanspruchen, muis jedermann in die Augen springen;
denn der Substantive wie liber und der Adjektive wie miser
giebt es eben so viele, dafs die Beispiele kaum zu zahlen sind,
namentlich wenn man, was doch geschehen mufs, die Feminina
auf -era und -ra noch dazurechnet. Es genügt hier, diese lange
Reihe anzudeuten durch Beispiele wie: agell us, austellus, can-
cellus, cultellus; camella, patella, puella, tessella; macellus,
nigellus, pulchellus, tenellus. Dazu ergiebt die Aussprache pagena,
lamena, femena, fiscena, gemenus, Sabeni, weitere Bildungen wie
pagella, lamella, femella, gemellus, fiscella, Sabelli, und
da man bellus kaum von dem Adverbium bene ableiten darf^
sondern nur belle von bene, so mufs man vielleicht eine Form *benu8
a= bonus ansetzen. Diese Formen mufsten sich also den Ohren
am meisten einprägen.
Nächst -ellus hat -illus ein weites Gebiet erobert, schon weil
es bei der engen Verwandtschaft von e und i als Nebenform von
-ellus erscheinen konnte. Dann dürfte der Häufigkeit nach -ullus
folgen. Priscian spricht daher 3, 27 von den Deminutivsufüzen
-ellus, -illus, -ullus, nicht aber von -allus und -ollus.
Um die Ausdehnung von -illus klar zu machen, lassen wir
den Doppelkonsonanten zunächst aus nl entstehen. Dahin ge-
hören suilla (= suinla) nämlich caro, ovillus = ovinlus, bo-
V illus == bovin'lus, obwohl die Deminutiva in der Litteratur
früher nachweisbar sind als die Bildungen auf -inus. Eigennamen
wie Faustillus und Rufillus können daher von Faustinas und
Rufinus abgeleitet sein, obwohl, wie sich später zeigen wird,
nichts im Wege steht, direkt auf Faustus und Rufus zurückzu-
gehen. Diese Namen kommen besonders häufig als Feminina
(Faustilla, Rufilla) vor, weil die Koseform — und eine solche
ist das Deminutivum unter Umständen — besonders gerne den
Mädchen gespendet wird. Sigillum imd tigillum setzen ein
*sigLnum und *tiginum voraus, lauteten also ursprünglich sigin-
lum und tiginlum (vgl. techina = tixvi}), wogegen Tigellius
aus tigenum hervorgegangen ist. Ob anguilla = anguin'la sei,
wie Kühner glaubt, ist nicht sicher; Priscian leitet es direkt von
anguis ab, während Thumeysen es im Thes. ling. lat. mit dem
griechischen iyxeXv^ vergleicht. Und so bleibt auch anderes
unklar, wie pastillus, welches sich lautlich bequem auf *pasti-
Analogiebildungen aaf -ellus, -ella, -ellum. 303
nus zurückführen läfst, bei Festus dagegen yon panis abge-
leitet wird.
Kontrorers ist auch die Assimilation cl zu Doppel-1, da
vicla = yilla zwei Bedenken gegen sich hat. Hier befremdet
zunächst der Wechsel des Genus, welcher sicher gegen die all-
gemeine Regel verstöfst. Allein wer bürgt uns dafür, dafs es
nicht neben vicus (pixog) eine Nebenform vica gegeben habe?
Ahnliche Schwankungen begegnen uns auch sonst, nicht nur bei
rana und rannnculus, welches nicht so beweiskräftig ist, weil
daneben das regelrechte ranula besteht und das zweite Suffix -co-
einen Unterschied bewirkt haben könnte. Vgl. Jeep, Redeteile
S. 157. Aber den Zusammenhang Ton rota und rotulus wird
niemand in Abrede stellen wollen. Vgl. ricos ac villas in der
neuen Epitoma Alexandri 25. Leugnet man andrerseits die
Assimilation Yon cl, so ist diese allerdings in den meisten Fällen
unterblieben, vollzogen bei oricla, franz. oreille. Und da schon
Lachmann paullus = pauclus erklärte (Komment. Lucr. p. 204),
80 möchten wir noch vervella = vervecla hinzufügen. Corp.
Gloss. Corssen, Aussprache I 83. Vgl. auch vigilia, veglia, franz.
veüle. — Lapillus = lapid'lus und hilla = hir la wurden schon
oben erwähnt.
Es bleiben die Fälle übrig, in welchen das doppelte 1 nicht durch
Assimilation entstanden ist. Pupillus und tantillus fafst man
gewöhnlich als zweite Deminutionsstufen Ton pupulus (kleiner
Knabe) und tantulus auf, unter der Annahme einer Entwicklungs-
reihe tantus, tantulus, *tantululus, *tantullus, *tantilulus, tantil-
lus, und das ist der Pimkt, welcher der Nachprüfung bedarf.
Sind codicillus, pauxillus, vexillum, veretilljum, regil-
lus weitere Entwicklungen von codiculus, pauculus, regulus u. s. w.?
Bevor wir dieselbe Frage für die Bildungen auf -ellus auf-
werfen, müssen wir auf die Berührungen beider unseren Blick
richten. Wenn auch in der klassischen Latinität Doppelformen
kaum oder selten vorkommen, so müssen wir solche doch für
die romanischen Sprachen annehmen, z. B. anellus, ital. anello,
Ring; *anillus, wovon span. anülo. Ja im Spätlatein waren, wie
die Glossen beweisen, solche Schwankungen ganz gewöhnlich. So
armilla armella, ascella ascilla, avillus avellus, buccella buccilla,
cavillum cavellum, penicillum penicellus, scamillum scamellum,
wozu noch, um das hohe Alter zu bezeugen, das oben erwähnte
tigillum Tigellius hinzukommt. Mag auch die eine Bildung die
11*
304 Ed. Wölfflin:
üblicliere sein, oder mögen die beiden semasiologisch difPerenziert
sein, eine gegenseitige Ansteckung steht auüser Zweifel.
Schon Diomedes fafste die Formen auf -ellus (-illus) als
Doppeldeminution auf, da er als Paradigma die Reihe arca,
arcula, arcella, arcelliüa giebt, deren Wichtigkeit durch Ver-
gleichung von Parallelen wie fabula, fabella, fabellula, tabula,
tabella, tabellula, agnus, agnulus, agnellus, agnellulus nur um so
mehr hervortritt. Raphael Kühner nennt lat. Gramm. I 6H6 cista,
cistula, cisteUa, cistellula; anca, ancula, ancilla, ancillula. Die
älteren wie die neueren Grammatiker mit Einschlufs der Lexiko-
graphen, an deren Spitze Georges steht, stellen sich also vor, aus
arcula hätte eigentlich *arculula, *arculla werden sollen, es habe
sich jedoch durch eine Zwischenform *arcelula zu arcella ge-
wandelt. Und es ist auch ganz natürlich, dafs man zu dieser
Auffassung kam. Demi wenn in der sogen. Normalendung -ulus
das einfache 1 der Träger der Deminution war, so muTste in 11
eine Doppeldeminution gesucht werden. Besafs populus das Volk
bereits die Endung -ulus ohne Deminutivbedeutung wie oculus
das Auge, so wurde ja davon popellus, das gemeine Volk, ocel-
lus der Augenstern, das liebe Auge, abgeleitet. Gleichwohl Lat
diese Erklärung, ganz abgesehen von der Vokal vertauschung,
mehrfache Bedenken gegen sich.
Schon an sich erscheint die dreifache Deminution als ein
Luxus, welcher auf dem Gebiete des Verbums unbekannt ist, da hier
nur Doppelstufen vorkommen, z. B. dico, dicto, dictito; cano canto,
cantito; lego, *lecto, lectito. Ebenso in der Komparation dexter
(ds^(tBQog) dexterior; pluros, *plusiores (franz. plusieurs); pessimus,
pessimissimi^p (Seneca philos.) ; extremus, extremissimus (Tertullian).
Weiterhin mufs es auffallen, dafs agnellus und haedillus bei
Plautus vorkommen, codicillus bei Cato, agnulus erst bei Cassio-
dor, haedulus bei Juvenal, codiculus bei Priscian; dafs codicillus
sehr häufig, codiculus äufserst selten ist. Damach haben wir
den Eindruck, dafs die Formen auf -ellus, bezw. -illus direkt vom
Stammworte, und viel früher gebildet worden seien. Ein *novu-
lus giebt es gar nicht, sondern nur gleich ein in den romanischen
Sprachen erhaltenes novellus, welches in den Glossen mit vBog
oder mit novus deminutive erklärt wird. Umgekehrt erklärt sich
das Nebeneinanderbestehen von fabula fabella, tabula tabella
gerade wie bei populus popellus, nämlich daraus, dafs Stamm-
formen wie *faba (Gerede), *taba nicht existieren.
Analogiebildungen auf -ellus, -ella, -ellum. 305
Endlich dürfen wir ein Analogon der Wortbildungslehre
heranziehen. Schnorr von Carolsfeld hat uns Arch. I 177flF.
gezeigt, wie das Suf&x -nus durch falsche Abtrennung zu -anus,
-ianus gesteigert worden ist. Vgl. dig-nus, mag-nus, Asia-nus,
SuUa-nus, Africa-nus, Mari-ani, Caesar-iani. Diese Erscheinung
zeigt uns den Weg, dafs aus agellus und misellus fälschlich ein
Suffix -ellus abgelöst worden sei, welches der Bedeutung nach
dem sog. -ulus gleichstand. Misellus ist aus miserulus hervor-
gegangen, weil diese Form bei Turpilius und Laevius sich noch
erhalten hat, während miscellus (miscillus) nach diesem Typus
gebildet ist, ohne dafs wir das doppelte 1 auf r zurückführen
könnten. Einen ähnlichen Vorgang zeigt das Augumentativsuf&x
-o, -onis, welches in der Litteratur mit Formen wie aleo, ganeo,
lustro, verbero, combibo, comedo, mando, auch bei Plautus korrekt
mit esurio auftritt, welches dann der Dichter zu der Bildung von
saturio benützt; diesem sind dann mir-io, tenebr-io, libell-io u. a.
nachgefolgt, imd so finden wir in der Monographie von Rieh.
Fisch 'die lateinischen Nomina personalia auf -o, -onis* (Berlin
1890) eine grofse Zahl von Formen, welche zwischen -o, -onis
und -io, -ionis schwanken.
Fragen wir aber, warum -ellus (-illus) das einfache -ulus
zurückdrängte, so hatte es den Vorzug, dafs es eine lauge und
betonte Paenultima ergab, wodurch das Wort mehr wirkt, sodafs
die Volkssprache die Form vorzog und den romanischen Sprachen
zuführte. Indem wir nun nicht mehr verpflichtet sind, das
das doppelte 1 aus Assimilation zweier Konsonanten entstehen zu
lassen, eröffnet sich für uns eine ganz neue Betrachtung. Da
grallae und coroUa seltene Wörter sind, so konnten sie kaum
einen Einflufs auf die Wortbildung ausüben; wohl aber dürfen
wir dies bei -uUus voraussetzen, da die Namen Sulla, CatuUus,
TibuUus (Tibur) schon alt sind. So begegnen wir denn Eigen-
namen wie Primullus, Tertullus, LucuUus, Fabullus,
Caesulla. Primulus, der kleine Erstgeborene, war ein durchaus
passender und verständlicher Name, doch führte das Streben nach
betonter Paenultima zu der neuen, inkorrekten Nebenform. Statt
Tertullus erwarten wir Tertiolus, der liebe Dritte, welcher in
der Eaiserzeit wegen des ins trium liberorum sich besonderer
Gunst erfreute. Vgl. Arch. VIII 76. Die Bildung tertiolus lebt
auch in den romanischen Sprachen fort (vgl. Körting, lat.-roman.
Wörterb.* Nr. 9488), in der Namensform dagegen behauptete sich
306 Ed. Wölfflin:
Tertullus, wie die Ableitung Tertullianus beweist. Vergleichen
lassen sich Secundilla, Quartilla und Septumillus. Nach
Analogie müssen wir auch *Luciolu8, *Fabiolu8, *Cae8iola ent-
sprechend dem Sergiolus ansetzen und annehmen, dajQs die Bil-
dungen durch die Macht der Analogie ihr i verlieren, das 1 ver-
doppeln und das o in u verdumpfen lassen (anders Livia Livilla).
Über die ünwahrscheinlichkeit, dafs codicillus zweite Demi-
nutionsform sei, ist schon oben gesprochen; ebensowenig möchten
wir dies für pauxillus annehmen, weil es dazu eine weitere
Deminutionsstufe giebt, pauxillulus, und zwar schon bei Plau-
tus. Wie man auch das x erklären möge, die Endung -illus
scheint als einfach gedacht zu sein, als Nachbildung von tantillus.
Über pausillus vgl. Bitschi opusc. II 250 und Fleckeisen epist.
crit. Xn. Der hinzutretende Sibilant macht auch Schwierigkeiten
in vexillum, weshalb wir auf eine Deutung verzichten, zumal
wir nur durchgreifende Bildungsarten in das Auge fassen wollten.
Allgemeineren Charakter trägt, was wir gegen codicillus als
Doppeldeminution einzuwenden hatten; denn das Gleiche gilt von
ancilla und armilla (Annband), insofern ancula nur ein spätes
Sjtu^ HQi]iiivov zu sein scheint, armula gar nicht belegt ist, so
wenig als veretrula neben veretilla, oder ein pugnulus (von
pugnus, Faust) neben dem schon von Cato gebrauchten pugil-
lus. Vgl. [*Dru8ula] Drusilla.
Die Hauptährenlese wird für -ellus übrig bleiben. Wie weit
diese Bildungen auf lateinischem Boden jünger sind als die auf
-ulus, läfst sich nicht mehr nachweisen. Die Reihen
Marcus (Marculus selten) Marcellus
agnus (agnulus selten) agn ellus
taunis (taurulus Petron) taurellus roman.
albus albulus alb ellus, franz. anbei Weifspappel
können uns nicht sehr viel beweisen, da das litterarisch erhaltene
Sprachgut sich nicht immer mit dem Schatze des gesprochenen
Lateins deckt. Man darf im einzelnen Falle aus den Belegstellen
des Lexikons keine Wortgeschichte konstruieren.
Wo beide Bildungen neben einander bestehen, ist die auf -Uüs
in der Regel die jüngere; das Säulenkapitell heifst bei Vitruv
capitulum, erst in der patristischen Litteratur capitellum;
sportula ist die plautinische Form, sportella die jüngere; campa-
nula und eampanella sind beide sehr jung, da campana = Glocke
Analogiebildungen auf -ellus, -ella, -ellum. 307
selbst nicht viel vor dem Jahr 5CX) entstanden sein dürfte; catu-
1ns und catellus beide schon bei Plautus. Manchmal auch findet
man semasiologische Differenzierungen^ z. B. vitulus Tierbezeich-
nung ^ vitellus Kosename^ ähnlich dem französischen biche;
pupulus kleiner Knabe, pupillus Waisenkind. Dies kann jedoch
kein Ghnind sein, darum eine Entwicklungsreihe sportula, *spor-
txdula, *sportelula, sportella anzusetzen. In den romanischen
Sprachen gewinnen die kräftigeren Formen immer mehr Boden,
wie denn fratello und sorella italienisch sind, nicht lateinisch.
Dagegen müssen wir noch eine andere Eigentümlichkeit der Bil-
dung durch eine längere Liste von Beispielen belegen. Wir finden
nämlich dolabra DolabeUa, fenestra Fenestella, umbra umbella
(neben franz. ombrelle = *umbrella); castrum castellum. flagrum
flagellum, labrum labellum, lucrum lucellum, monstrum mostel-
lum, plostrum plostellum, rastrum rastellum, sacrum sacellum,
scalprum scalpellum. Die Mittelformen wie *dolabrula, *castru-
lum (fenestrula ausnahmsweise bei Apuleius) versagen; ebenso
*veretrula als Mittelglied von veretrum und veretiUa. Die Frage
hängt mit dem Schwunde des r zusammen, welchen man nicht
mit der bequemeren Aussprache entschuldigen darf, da Formen
wie castrare und flagrare nicht beanstandet sind und sogar
castrellum oder flagrellum ein einziges r enthalten hätten. Viel-
mehr sind die Stänmie Castro-, umbra- auf die Formen castr-,
umbr- reduziert, welche, um sprechbar zu sein, caster^ umber
lauten mülsten. Somit ergab die Ableitung caster-lum, ploster-
lum, mo(n)ster-lum, fenester-la, mit Assimilation castellum,
plostellum, mostellum, Fenestella. Statt des Stammes pistri
wurde angesetzt pistr-, mundgerecht pistir, woher pistirlus, pistil-
lus. Ebenso statt transtro ein transtr = transtir, woher tran-
stirlum transtillum.
In gleicher Weise ist das n gefallen. Von columna giebt es
kein columnula, sondern nur columella, Columella. Wenn
von dem Stamme a abgeworfen wurde, so mufste column- ge-
sprochen werden wie columen, mid die Ansetzung des Suffixes
-lo führte zu columenla = columella, welches bekanntlich schon
bei Lucilius vorkommt. Nach demselben Gesetze wurde scam-
num zu scamellum.
Oft hat sich dem Suffixe -lo ein anderes -co vorangestellt,
wie inmeliusculus, grandiculus, flosculus, pulvisculus, centun-
culus, musculus, avunculus (von *avo, avonis oder Analogiebil-
308 Sd- WOlfflin: Analogiebildungen auf -ellns, -ella, -ellum.
duDg zu tirunculuSy matercula u. ä.), und dieser Akkumulations-
prozefs ist im Italienischen am weitesten gediehen. Man vergleiche
die Namen für Franz: Francesco, Francescino, Francescinello
(neapolitanisch). Die Grundlage dazu ist schon im Spätlatein
gegeben. Die Glossen haben uns erhalten: blandicella verba. dimi-
nutive, wofür erst das Spätlatein blandulus besitzt, obwohl das
Wort in der Umgangssprache früher existiert haben mag. Gra-
vescella wollen wir als unsicher übergehen. Dagegen stelle man
zur Belehrung zusammen:
avis avicula *avicella, ital. ucello.
mons monticulus *monticellus, frz. monceau.
pars particula *particella, Parzelle.
vas vasculum *vascellum, frz. vaisseau.
Allein dies ist nur die regelmäfsige Fortsetzung des Spätlateins^
da Cicero und Caesar von navis nur ableiten navicula, erst die
Spätlateiner navicella, frz. nacelle, Nachen. Als die Spätlateiner
und Rom.anen das kurze Wort mus die Maus fallen lassen muTsten,
und den Ersatz mit musculus verlegt sahen, da dieses bereits den
Muskel und die Muschel bedeutete, da hätten sie noch zu muscel-
lus oder muscillus ihre Zuflucht nehmen können, bevor die Fran-
zosen die Spitzmaus (sorex, souris) dagegen eintauschten, die
Italiener den Maulwurf (talpa, topo), die Spanier die Ratte.
Wenn Stolz, histor. Gr. der lat. Spr. I 575, eine erschöpfende
historische Darstellung der lateinischen Deminutive vermiist, so
möge diese kleine Probe bestätigen, wie viel noch nachzuholen
ist. Aber mit der Masse der Beispiele ist es nicht gethan; wir
müssen alle dem Verse folgen: Mer Geist lebt in uns allen'.
München. Ed. WSlfflin.
Zu Oaeliiis Aurelianus Acutarum passionum
libri III.
Wie bei den Chronia sind wir auch bei den Acutae passiones
nach dem Verlust der Handschrift, aus der die Editio princeps
(Paris. 1533J geflossen ist, auf diese selbst angewiesen, und wie
der Text der Chronia durch die späteren Herausgeber in der
willkürlichsten Weise alteriert worden ist, so haben auch die
Acutae passiones in der Leydener (1567) und Ammanschen Aus-
gabe (1722) an vielen Stelle eine gewaltsame, über die Spuren
der Überlieferung ohne viel Bedenken sich hinwegsetzende Be-
handlung erfahren. Es gilt also auch hier den Text der ersten
Ausgabe wiederherzustellen oder ihren Lesarten folgend unter
sorgfaltiger Beobachtung des Sprachgebrauchs durch Konjektur
das Richtige, soweit möglich, zu finden. Dafs auf diesem Wege
auch in den Acutae passiones manche Stellen gebessert werden
können, werden die nachfolgenden Beispiele zeigen.
Lib. I.
Praef. § 6: qui in statu vigore passionis septima vel octava
die saepe mentis erroribus agitantur. In einer Anmerkung sagt
Amman selbst, das eine oder andere der beiden Wörter statu
vigore erscheine als ein erklärender Zusatz; hätte er die Ed. pr.
nachgeschlagen, so hätte er gesehen, dafs diese vigore nicht hat,
und mit Recht, denn der Ausdruck status passionis ist ein so
häufiger, dafs er keiner Erklärung bedarf.
ib. § 7 quia consensu vehemens fit aliquando phreuitis.
Überliefert ist: siquidem cum sensu atque vehementer fiat a. phr.
Weder an siquidem noch an fiat ist zu ändern; denn das kausale
siquidem verbindet Caelius, wie in unserm ersten Aufsatz (Arch.
Xn, S. 183) nachgewiesen wurde, immer mit dem Konjunktiv.
Ebenso ist § 9: siquidem vis locutionis nihil aliud designat, mit
der Ed. pr. zu lesen designet.
ib. § 10: nam primum ad aliud ex alia re transire vide-
310 G. Helmreich:
bimur. Die Ed. pr. läfst nain weg und bietet primo. Das letztere
mit dem klassischen primum zu vertauschen ist unberechtigt;
denn nichts ist bei Caelius häufiger als primo — dehinc u. dgl. bei
Aufzählungen zur Angabe der Reihenfolge, cf. Acut. I 11, 95
primo — tunc — ultimo, I 17, 173 primo — secundo — tertio u. a.
ib. § 11: utrumne partitionum sive adscriptionum an appel-
lationum sint causae. Warum sive besser sein soll als das über-
lieferte aut, ist nicht abzusehen; denn dafs es weiter oben in
§ 10 scriptionum (viell. adscript.) sive partitionum quas Graeci
xarrjyoQiag appellant geheifsen hat, darf uns bei einem Autor^
der die adversativen Konjunktionen ziemlich unterschiedslos ge-
braucht, zu keiner Änderung bestimmen.
ib. § 15: sed hoc tardans, inquit, ac sine febribus furor vo-
catur. Das überlieferte intardans entspricht dem Sprachgebraucli
des Schriftstellers, wie folgende Stellen beweisen: Acut. I 4, 43
magis intardans aut perseverans perspicitur. Chron. 11 3, 70 intar-
data corporibus emoveri. III 5, 69 nimc celeriter circumscripta,
nunc corporibus intardans et propterea chronia appellata.
ib. § IG: mentitur etiam aptissime. Die Ed. pr. richtig aper-
tisshnc] auch Almeloveen, der zur Ammanschen Ausgabe Notae
et animadversiones beigesteuert hat, hat dies gefühlt und schüch-
tern bemerkt: forte scripserit Caelius apertissime; cf. I 17, 170
apertissime delirabunt. Chron. I 5, 176. 11 13, 191. 192.
Den Stil eines Schriftstellers wie Caelius durch Zusätze ver-
bessern oder glätten zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen;
daher ist es verkehrt, § 18 zu den Worten: cum febribus quidem,
sed ex causa obtrusionis das Participium natis, das die Ed. pr.
wegläfst, hinzuzufügen. Das Gleiche gilt für Acut. I 1, 24 haeo
enim signa communia sunt passionum, quae vexata membrana
cerebri fiunt atque inde (om. Ed. pr.) male laborantium aegronun
nee (non Ed. pr.) necessario omnium. Beide Änderungen sind
gleich imnötig.
ib. § 29: siquidem non necessario sequitur, mit Recht dagegen
die Ed. pr. sequatur.
ib. 2, 32: aeris inquiunt habitum, ne is calescat, quod eins
cansis plurimos afficiat; Ed. pr. habitu ne quis calescat, quod
eins causa pl. atf. Die Änderung habitum ist leicht und nötig;
ne is bleibt zweifelhaft, causis ist unverständlich, wenn es nicht
als Fremdwort = xavöig aufgefafst wird; dann läge aber xav6og
oder xav[ia der Überlieferung näher.
Zn Caelius Aurelianus Acutarum passionum libri III. 311
Eine seltene, wie es scheint, vulgäre Wortform hat uns die
Ed. pr. ib. 3, 37 erhalten: urinae aquatae vel felleae cum nube-
culis portentuosis, statt deren A. mit Unrecht das übliche porten-
tosis eingeführt hat. Vgl. monstruosus.
Unbekanntschaft mit dem Sprachgebrauch der späteren Lati-
nität hat den Herausgeber auch § 40 zu einer unbegründeten
Abweichung von der Überlieferung veranlafst; hier giebt die Ed.
pr.: gravius affici dicunt iuvenes a ceteris aetatibus. Die Prä-
position durfte nicht gestrichen werden; denn der komparative
Gebrauch von a, ab läfst sich durch zahlreiche Parallelen bei
Caelius beUegen (Progr. v. Hof 1900 S. 40); vgl. I 8, 56 plus a
cetero corpore docuit id pati. 9, 04 maior enim ab intemporali
somno vigiliarum est vexatio. 4, 42 stomacho patiente aut plus
a ceteris corporis partibus aegrotante. H 1, 2 gravior . . non
aliter quam negatus in toto visus ab ex parte impedito vel silen-
tium ab impedita locutione.
ib. § 41 ist wohl nur durch ein Versehen das Pronomen
illos vor dem Relativsatz qui natura fuerint tristes^ das die Ed.
pr. hat, bei A. ausgefallen; denn es absichtlich zu tilgen liegt
kein Grund vor. — ib. ist nach siquidem mit der Ed. pr. re-
mansisse videantur st. r. videntur zu lesen; ebenso 4, 42 esse
rideati^r.
ib. § 45: quando furentes sive insanos a phreniticis . . omnes
sectarum principes secreverunt. Für quando hat die Ed. pr. quo-
modo'^ da das letztere in kausalem Sinne = griech. ort oder öioxi
bei Caelius ziemlich häufig ist, liegt zu einer Änderung kein
Grund vor, vgl. 6, 49 quomodo phrenitici aliqui augmento pas-
sionis in lethargiam, aliqui declinatione in somnos devenerint.
I 9, 58 quomodo curationibus principio locus aptandus est. I 9, 63
quomodo turbatio atque motus et iactatio corporis celeritatem
asperat passionis.
ib. 0, 50 in lethargicis, dagegen Ed. pr. lethargis. Da „der
Schlafsüchtige" bei Caelius sowohl lethargicus als lethargus heifst,
wie zahlreiche Stellen beweisen (cf. 11 10, 60. II 9, 41 his etiam
lethargos similiter curandos existimat. 9, 36 vinum omnibus
ante declinationem aegritudinis adversum est et magis lethargis),
ist hier wie im immittelbar Folgenden lethargis etiam praecordia
distenduntur und § 51 lethargi a capite lecti ad pedum loca
labantur und lethargorum maior atque aspera febricula invenitur
die Überlieferung nicht anzutasten.
312 G. Helmreich:
Dojch einen willkürlichen Zusatz hat A. den Text alteriert
ib. 8^ 56 siquidem praenoscentes animae regalia in capite consti-
tuta exinde mentis alienationem capitis offensa fieri acceperimns.
Die Worte capitis offensa fehlen in der Ed. pr., und sie sind nach
dem vorausgegangenen exinde^ das hier kausal steht, ganz über-
flüssig. Der Sinn ist: exinde i. e. ex capite mentis alienatio oritur.
ib. § 57: nunc yero cucurbitam occipitio apponitis, quasi
quidmi per apertionem, quam Graeci anatomiam dicunt, didiceritis
sensuales vias inde sumere exordium. Statt quasi quidem, das in
mehr als einer Hinsicht anstöfsig ist, steht in der Ed. pr. siqui-
dem, das dem Sinn der Stelle und dem Sprachgebrauch des
Schriftstellers entspricht und deshalb nicht geändert werden darf.
ib. 9, 58: etenim ultra modum fervens cur naturaliter febri-
cula Caput incendit. Das Wort aer rührt von A. her, die Ed.
pr. kennt es nicht, und mit Kecht; denn im ganzen Paragraphen
ist von dem Orte die Rede, an welchen die Himwütigen (phre-
nitici) gelegt werden sollen, nicht von der Luft (aer) des
Krankenzimmers. Hätte A. nur mit einiger Achtsamkeit die un-
mittelbar folgenden Worte: item nimium lucidus membranam
percutit cerebri immodici splendoris causa gelesen, in denen doch
nicht vom lucidus aer, sondern vom lucidus locus die Rede ist,
so hätte er einsehen müssen, wie überflüssig und unrichtig zu-
gleich sein Zusatz ist. Auch im Anfang des nächsten Abschnittes
§ 59 begegnet ein ähnliches Einschiebsel: parvus etiam locus si
fuerit; locus fehlt in der Ed. pr. Es ist überflüssig, da es in
den beiden vorangehenden Sätzen Subjekt gewesen ist und als
solches noch fortwirkt.
ib. 10, 70: principaliter moneutes, ne usque ad animi de-
feetum . . adiutorium intendere nitamur. Statt des Kompositums
intendere hat die Ed. pr. das Simplex tendere, das ohne Anstols
ist. In gleicher Weise steht das Simplex Chron. II 13, 169 quan^
tum medicaminis vii*tutem tendere voluerimus.
§ 71 Anfang ist, wie es scheint, nicht ganz heil; doch ist
sicherlich an dem überlieferten quamquam, an dessen Stelle A,
quam vis setzt, und an siquidem, das er mit si vertauscht, nichts
zu ändern. — ib. Similiter etiam vertebris, quae Graeci iiöxut
vocant. Ed. pr. bietet quas, und es wird wahrscheinlich beizu-
behalten sein. Dann wäre damit die Femininform vertebra statt
des sonst bei Caelius üblichen Neutrums vertebrum gestützt.
ib. § 72: praeseutibus etiam his, ut supra docuimus, aegro-
Zu CaeliüB Aurelianns Acutarum passionum libri III. 313
tantes yerecundiam debent. Es leuchtet yon selbst ein, dafs hier
nach his durch ein Versehen das Relatiyimi quibus, welches die
Ed. pr. hat, ausgefallen ist. Der gleiche Ausdruck kehrt § 80
in praesentibus, ut saepe diximus, his quibus yerecundiam aegro-
tantes debent unverändert wieder.
ib. § 74: et acrimonia, quae ex ipsis nascens ex alienatione
quadam capitis tummtiam asperabat, detrahetur. Auch hier hat
A. die Überlieferung ohne Grund und gegen den Sprachgebrauch
des Autors abgeändert; denn die Ed. pr. hat tumentia, und dieses
Neutrum plural. im Sinne yon „geschwollene, entzündete Stellen"
(tumentia loca) findet sich ebenso wieder Acut. III 8, 92 omnis
etenim impressio et tumentia proyocat et dolorem geminat. 1 17, 172
negligens tumentia. 168 oportebat tumentia congruis relaxare vir-
tutibus. ibid. percutiens tumentia. Ist diese Auffassung richtig,
so ei^ebt sich auch daraus, dafs Klotz und Georges in ihren
Wörterbüchern mit Unrecht ein Substantiyum gen. fem. tumentia,
die Geschwulst, angenommen haben.
ib. 11, 89: At si yirium solutio non fuerit, sed sponte pro-
fectus in meliorem partem passionis fuerit demonstratus. Für
sponte überliefert die Ed. pr. ex sponte. Diese Ausdrucksweise,
zu der ein Analogon bei K^nier inscr. Afric. 4112 (sua ex sponte)
vorliegt (s. Georges, Lex. col. 2488 u. Arch. XII 175), ist durch-
aus nicht zu beanstanden und durch eigenmächtige Änderung zu
yerwischen, da sie zu den Belegen für die auch sonst auftretende
Afiricitas des aus Sicca in Nordafrika stammenden Autors vor-
treflFlich stimmt. Vgl. Arch. VI 5.
ib. 12, 100 hat die Ed. pr. phlebotomare iuvenes fortes atque
plurimum sanguinis abundantes, A. korrigiert sauguine. Da aber
abundans sich auch sonst mit dem Genitiv findet (bei Virgil,
Nepos u. a.), besteht kein Grund zur Änderung.
ib. § 101: miseris erat melius debilitate potius quam vana
corporis fortitudine laborare, ut tantis cladibus errantis medici
vexarentur. A. scheint ohne Rücksicht auf den Sinn der Stelle
lediglich durch das vorausgehende potius quam veranlafst worden
zu sein, an Stelle des überlieferten ne tantis etc. das unver-
ständliche ut tantis zu setzen. Dafs ne richtig ist, beweist der
Gedankenzusammenhang. Um nicht durcli solche Schindereien
eines unwissenden Arztes gequält zu werden, wäre es für die
Patienten besser gewesen an körperlicher Schwäche als an wert-
loser Körperkraft zu leiden.
314 G. Helmreich:
ib. § 102 hat die Ed. pr.: phlebotomia qnoque mgulatione
non differt; A. glaubte a iugulatione yerbessem zu müssen, während
er I 15; 119 die gleiche Konstruktion: phlebotomiam etiam nihil
inquit iugulatione differre in phreniticis unbeanstandet liefs. Da
sie II 38, 219 noch einmal wiederkehrt: etenim phlebotomiam
nihil iugulatione differre ratio testatur, ist zur Genüge bewiesen,
dafs Caelius differre sich unterscheiden mit dem blossen Ablativ
verbindet.
ib. 14, 105 ist von der Atomenlehre des Arztes Asklepiades
die Rede, von dem gesagt wird: primordia namque corporis
primo constituerat atomos, corpuscula intellectu sensa, sine ulla
qualitate solita . . . aetemum se moventia. Se rührt von A. her,
die Ed. pr. hat es nicht, und wenn man sich an den auch sonst
üblichen reflexiven Gebrauch von movere und besonders an den
juristischen Ausdruck res moventes oder moventia (bewegliche
Habe) erinnert, wird man an der Richtigkeit der Überlieferung
nicht zweifeln.
ib. 111 in synanchicis vero, ut supradictis etiam utitur et
(paQvyyorofiCtt läfst die Ed. pr. et weg; es ist auch nach etiam
überflüssig; man braucht nur die Interpunktion zu ändern, und
die Stelle ist klar: in synanchicis vero, ut (sc. in) supradictis,
etiam utitur tpaQvyyoro^Ca,
Einige Zeilen weiter unten begegnet uns eine den Sinn ganz
entstellende Änderung A.s; während nämlich die Ed. pr. bietet:
item in (richtig eingesetzt von A.) hydropibus paracentesin probat,
qua inquit si forte plus modo fuerit facta humoris detractio,
erimt aegri aqua calida replendi tantum, quantum plus videbamur
abstulisse, schreibt A. statt des ganz sinngemäfsen qua, das sich
auf paracentesin bezieht imd der Satzverbindung dient, quia^ wo-
durch der Gedanke unlogisch wird.
ib. 112 hat die Ed. pr.: dectractionem sanguinis ex talo factam
hoc est ex eins vena interiore similiter mederi dicit; hoc est, das
A. wegläfst, dient dem besseren Verständnis und entspricht dem
Sprachgebrauch des Autors; cf. § 131 odoramentis utemur, hoc
est castoreo, peucedano, ruta et aceto. 144 hoc est meraeum
et salsum.
Das XV. Kapitel trägt in der Ed. pr. die Überschrift Item
ad Asciepiadem phreniticos mrans. So kann natürlich Caelius
nicht geschrieben haben, A. korrigiert also curantem. Aber diese,
wie er meinte, fehlerhafte Lesart der Ed. pr. hätte ihm vielmehr
Za Caelins Aurelianus Acntarnm passionum libri IIL 31&
ein Fingerzeig sein sollen, dafs wir es mit einer unverkennbaren
Dittographie zu thun haben. Mit den Worten Phreniticos eurans
(sc. Asclepiades) beginnt das Kapitel; sie sind also aus dem Text
in das Lemma geraten, das, mag es nun vom Verfasser selbst
oder von einem Späteren herrühren, wie Kap. XIV Ad Ascle-
piadem, so hier ursprünglich Item ad Asclepiadem gelautet hat.
ib. 15, 116 siquidem velut hortamento quodam Immer liqui-
dier faciat ad caput asc^nsum et in constrictionem atque tensionem
membranam cogit In diesen Worten liegen vier Abweichungen
vom Text der Ed. pr. vor; diese hat velut und humor überhaupt
nicht, femer constructionem st. constrictionem und cogat st. cogit.
Die ganze Oberflächlichkeit der Ammanschen Recension tritt uns
hier an einer Stelle entgegen: der eine von siquidem abhängige
Konjunktiv wird beibehalten, der andere in den Indikativ ver-
wandelt; richtig ist nur die naheliegende Verbesserung con-
strictionem; denn, statt humor vor liquidier einzuschieben, liegt es
naher, dieses in liquor, das Caelius von verschiedenen Flüssig-
keiten gerne gebraucht, zu ändern, und dafs der Zusatz von velut
vor das bildlich gebrauchte hortamentum (es giebt wohl das
griechische 6Qfir} wieder) ganz überflüssig und gegen den sonstigen
Sprachgesprauch ist, beweist das ähnlich gebrauchte hortatio; cf.
Chron. V 4, 62: mulieres denique etiam digitis immissis in mu-
liebrem sinum sibimet ipsae hortatione quidam (durch einen ge-
wissen Reiz) lapidem provocando dimiserunt (die Entfernung
[Abgang] eines Blasensteines bewirkt).
Wie A. I 14, 105 den medialen Gebrauch von movere ver-
kannte, so § 117 den von tondere; er korrigiert deswegen die
Lesart der Ed. pr. homines si post ribum totonderint durch Ein-
schaltung von se, und doch hätte ihn, wenn er auch die aus
Varro u. a. für diese Bedeutung angeführten Belege (s. Georges
Lex. 2825) nicht kannte, das in § 120 reflexiv gebrauchte Parti-
cipium tondentes eines Besseren belehren können; cf. 1. 1. sanos
post cibum tondentes noceri manifestum est, vgl. auch lavantes
I 16, 162.
ib. 119 lies mit Ed. pr. siquidem . . . facta videatur statio;
A. videtur, obwohl noch zwei gleichfalls von siquidem abhängige
Konjunktive afficiantur — sustineant nachfolgen.
ib. 127: betam cum lenticula, quod appellavit teutlophacen.
Es besteht kein Grund, die gemeingriechische Form seutlophacen,
welche die Ed. pr. bietet, abzulehnen; sie kehrt II 39, 229 cibum
316 G. Helmreich:
dat betam cum lenticola^ quem appellavit seuÜophacen wieder
luid hat hier selbst vor A. Gnade gefunden.
§ 131 stofsen wir wieder auf ein willkürliches Einschiebsel
A.s; er glaubte die Lesart der Ed. pr. dehinc explicita passionis
ayertendae praecautione praesentis durch den Zusatz (praecau-
tione) et cognitione (praesentis) verbessern zu müssen; aber wir
können dieses Interpretament leicht entbehren.
ib. 135: tamquam hgitima putans schreibt A., wahrend die
Ed. pr. das Neutr. sing, legitimum aufweist, und das ist richtig;
denn Caelius gebraucht legitimum im Sinne von aequum, naturae
conveniens und läfst darauf einen Satz mit ut folgen, ut haec
aliis adhibentibus noceant, ipso (erg. adhibente) medeantur.
ib. 143: bietet die Ed. pr. nocte gestari atque post cibum
aegros aestimavit. Da A. nicht erknnnte, dafs Caelius, wohl
durch seine griechische Vorlage beeinflufst, aestimare hier im
Sinne von iubere anordnen gebraucht, ändert er aegros in aegris
prodesse. Zur Konstruktion vgl. I 15, 154 in nutriendis virgini-
bus vinum dari constituit.
ib. 142: grave est etiam oleo rosaceo tumentia refrigerare.
So A., die Ed. pr. hat das Simplex frigerare, das wir um so
weniger verschmähen werden, als Caelius dieses Verbum häufig
gebraucht, z. B. Chron. IV 1, 9 esse frigerandam et siccandam cor-
poris superficiem. II 14, 217 frigerantia (sc. adiutoria). IQ 8, 150
cataplasmata frigerantia u. a.
I 11, 7(3 wird die Anwendung von Blutegeln gegen die phre-
nesis empfohlen: sub ipsa fronte sanguisugas facimus inhaerere
quatuor vel quiuque, ut non ex una parte detractio fieri sanguinis
videatur, sed veluti circularis, ut totum spiret atque relevetur
Caput. Die Ed. pr. hat circulatis imd läfst ut vor totum aus.
Caelius wird also geschrieben haben: sed veluti circulatim totum
spiret atque relevetur Caput. Das Adverbium circulatim ist ziemlich
häufig in seinen beiden Werken; cf. Acut. 11 29, 153 circulatim
cerotaria apponimus. Chron. I 4, 91 erunt sanguisugae circulatim
apponendae. I 5, 156 appositis lanis mollibus ac limpidis capitis
coUo et thoraci circulatim.
I 11, 85 tunc vaporationibus et fomentis et cataplasmatibus
et unctione utendum. Da die Ed. pr. punctione überliefert, liegt
die Vermutung nahe, dafs dasselbe einem Lesefehler des ersten
Herausgebers seinen Ursprung verdankt; die Handschrift hatte
wohl perunctione mit dem üblichen Kompendium geschrieben.
Zu CaeliuB Aurelianus Acutarum passionum libri III. 317
I 9; 60 ist von dem Lager die Rede, auf dem die Kranken ruhen
sollen; es heifst: sit etiam leetus omni ex parte firme locatus, ut
cum faerint impatienter iactati vel necessitate cogente deTincti,
immobilis perseveret, foribus etiam atque fenestra aversi, ne in-
gressu hominum asperentur. Statt aversi ist aversus zu schreiben,
auf leetus bezogen; vgl. Chron. I 5, 155 est etiam leetus firmissime
atque aversus ingressum (lies ingressu) cubiculi locandus.
Lib. IL
II 1, 3 sed neque iste somnus est, impeditus omnibus natu-
ralis actionis officiis, sed est oppressio. Dafs es impeditis heifsen
muTs, würde man bei näherer Betrachtung leicht durch Kon-
jektur finden; ein Blick in die Ed. pr. zeigt aber, dafs impeditis
überliefert und bei Amman vielleicht nur durch ein Versehen des
Setzers entstellt ist.
U 1, 4 in qua diffinitione ambiguum est, quo sit accipiendum
frequenter. Es ist von einer Definition der Lethargie die Rede,
welche der Herophileer Demetrius aufstellte, indem er diese
Krankheit als eine passio acuta cum pressura et obtrusione sen-
suum <frequenter> cum febribus bezeichnete, und es fragt sich,
wie das Wort frequenter zu verstehen ist. Quo in dem Sinne
von „wie" ist selbst bei einem Caelius Aurelianus auffallig; es
ist aber gar nicht bezeugt, denn überliefert ist quod. Dies ist
entweder beizubehalten oder, wenn man eine Änderung für not-
wendig hält, mit quid zu vertauschen; vgl. Quint. Dl 1, 10 intuen-
dum est, quid accipere debeamus figuram.
II 1, 7 non enim somnus in lethargis esse advertitur. Ncmi
nullum pcriculum sequeretur. Statt nam ist in der Ed. pr.
cetef'uni überliefert; dies steht, wie bei Apuleius u. a. im Sinne
des griechischen &kk(o$ imd des deutschen „sonst", ist also nicht
zu beanstanden; vgl. Apul. met. 7, 28 ceterum titione delirantis
Altheae Meleager asinus interissem.
n 2, 11 pulsus etiam inaequalis, post cdiqtiot saltus ordinatus
aut inordinatus. Statt aliquot hat die Ed. pr. aliquando, und
dies führt auf aUquanios] aliquanti für aliquot ist dem späteren
Sprachgebrauch ziemlich geläufig, vgl. Cass. Fei. ind. lat. s. h. v.;
bei Aurelian freilich scheint es nicht weiter vorzukommen. Der
Abfall des Schlufs-s ist durch den gleichen Anlaut des folgenden
Wortes veranlafst.
II 2, 12 aetatem quoque (sc. attentendam aiunt), utrumne
Archiv für lat. Lexikogr. XU Heft 3 22
318 0. Helmreich:
sit media<!, et aeris habitum. Durch Dittographie scheiut mediae
aus media verderbt; denn es liegt näher, aetas als Subjekt zu sit
zn nehmen als febricitans aus dem vorhergehenden Satze zu ergänzen.
n 2, 12 tunc enim frequentare istam passionem putavenoU,
Für putaverunt ist mit der Ed. pr. prohaverunt zu schreiben, das
Aurelian vielleicht als Übersetzung des griechischen ä^iovv viel-
fach gebraucht = „annehmen", und zwar in aktiver und passiver
(persönlicher) Konstruktion; cf. 11 9, 41 nam tonsuram noxiam
phreniticis probat. In einer Randbemerkung erklärt A. probat
mit putat, imd doch ändert er II 2, 12 die Überlieferung! Cf.
Cass. Fei. 15: Scabies a veteribus duae esse probantur.
II 3, 13 iam lethargum suis signis intelligere debemus. Die
Worte suis signis sind ein willkürlicher Zusatz des letzten Heraus-
gebers; die Ed. pr. kennt sie nicht, und sie können ohne Schaden
für den Sinn wegleiben.
ib. que^nadmodum supra diximus. Die Ed. pr. bietet ut für
quemadmodum, und so gut es einige Zeilen weiter oben geheifsen
hat: sicut in phreniticis diximus, ist auch hier ut am Platze.
Doch ist die ganze Stelle, wie der Text der Ed. pr. zeigt, stark
verderbt imd vielleicht unecht.
II 13, 15 neque enuntiationis ordinem servet, sed potius
intercipiat Als ein Kennzeichen des Lethargischen wird u. a.
auch angeführt, dafs er eben Gesagtes vergifst, ungeordnet spricht
und die Rede auf einmal abbricht. Intercipiat ist Konjektur des
Herausgebers; überliefert ist intercedat, und im Hinblick darauf
ist wohl intercidat zu schreiben; vgl. sententias intercidere bei
Gell. 13, 30 und intercise dicere bei Cic. part. or. 24.
n 6, 31 manu mentum, quod laxius propendet, sublevandum,
ut infusa, priusquam in somnum revocentur, transvorent. Dem
Kranken soU mit dem Löffel eine Flüssigkeit eingegeben werden^
bevor er wieder in Lethargie versinkt. Damit dieselbe von dem
Patienten hinuntergeschluckt werde, soll sein Kinn ein wenig in
die Höhe gehalten werden. Dies ist der Sinn der Stelle, die in
der Ed. pr. so überliefert ist: ut infusa priusquam revocentur,
transvoratione vorentur. Der Znsatz im somnum erscheint un-
berechtigt, weil sich revocentur doch wohl auf infusa bezieht^
und auch die Verbindung transvoratione vorare ist bei einem
Stilisten wie Aurelian nicht befremdlich; cf. Chron. I 3, 59 passio
. . levioribus admonita monitis. Acut. II 35, 185 praefocabili
spiramento respirant.
Zu CaeliuB AurelianuB Acutarum passionnm libri IIL 319
Ganz ohne Grund hat der letzte Herausgeber die Überliefe-
rung geändert II 6, 32. Hier hat die Ed. pr.: Antiquorum vero
Hippocrates et Erasistratus es Herophilus ad earuni (i. e. lethar-
gorura) curationem nihil posuerunt, ganz entsprechend, während
Amman schreibt: huius passionis curationem non posuerunt.
U 9, 45 sub sole autem dormientes gravari etiam nos asse-
rimus, sed ob eontrarietatem afficientium causarum. Lux enim
solis atque vapor relaxat: e contrario somnum astringit. Statt
somnum ist in der Ed. pr. somnus überliefert, und eine Prüfung
des Gedankenzusammenhanges bestätigt die Richtigkeit dieser Lesart.
ib. neque splendore radiorum perfusum corpus graviter afficit
aegrotantis. Die Ed. pr. überliefert afficüitr, an dem nichts aus-
zusetzen ist.
n 9, 46 Forsitan enim ob nimiam stricturam retinetur et
non solum nihil egerit, verum etiam ipsa remanet. Die Ed. pr.
bezeugt die Konjunktive retineatur und remaneat, die dem Sprach-
gebrauch des Autors entsprechen; vgl. H 39, 230 forsitan hoc et
fervens dederit.
U 9, 54 post haec acetum cum melle ob virium tutelam
adhibeyidam probat. Es ist leicht einzusehen, dafs es st. adhiben-
dam, das auch die Ed. pr. bietet, heifsen mufs ddhibendam , auf
acetum bezogen; cf. § 49 sinapi probaverit adhibendum.
Wie oberflächlich die Ammansche Ausgabe gearbeitet ist,
können neben anderen zwei Stellen zeigen, an denen von der-
selben Sache die Rede ist, nämlich von dem Namen, mit dem
der Arzt Praxagoras die Krankheit bezeichnete, die man später
xaxakri^Lg, Starrsucht, nannte. U 10, 56 liest man bei A.:
Praxagoras secundo libro peregrinarum passionum x(0(iaTcö6y]v
appellavit und § 58 Praxagoras eani cathoden appellavit. Die
Ed. pr. hat an beiden Stellen cathoden, und dies ist wohl in
xaroxiiv zu verbessern. A. aber bringt an der einen Stelle eine
wenig wahrscheinliche Konjektur — denn ein Substantiv, kein
Adjektiv wird durch den Zusammenhang gefordert — , an der
andern läfst er die Überlieferung unbeanstandet, nur am Rande
notiert er xcj^arcjdriv und xaroxiiv.
n 10, 57 bezeugt die Ed. pr. den Gebrauch von equidem bei
Aurelian; sie überliefert nämlich: equidem nihü ei novitatis ascri-
bentes. Da auch der Landsmann Aurelians, Apuleius, diese Par-
tikel öfter gebraucht (cf. Apul. Metani. 7, 9), darf sie nicht mit
A., der nihil quidem schreibt, aus dem Texte entfernt werden.
22*
320 G. Helmreich:
Hydrops, das so oft bei Aurelian vorkommt, bildet den
Akkus, regelmäfsig auf em (cf. Chron. III 8, 98. 99. 101 u. a.);
nur n 10, 63 stöfst man bei A. auf hydropen, das einer unrich-
tigen Auflösung einer Abkürzung in der Ed. pr. (bydrope) seine
Entstehung verdankt.
Ein Beispiel unrichtiger Interpunktion scheint 11 10, 70,
allerdings auch schon in der Ed. pr., vorzuliegen. Denn statt
adeo, ut sit quaedam interiecta distantia. Oris hiscens atque
dimissa hebetudo mufs es heifsen: ut sit quaedam interiecta
distantia oris hiscens atque d. h., wie lU 5, 50 atque oris hiscens
distantia beweist.
II 10, 71 nihil dicentes, sed volentium respondere vultum
aemtdantes. Statt aemulantes bietet die Ed. pr. das einzig richtige
simulantes'^ cf. II 37, 199 ita ut crassitudinem mellis similarent
n 35, 186 male redolens, ut saniem vel cruorem simulet. Chron.
y 3, 56 veluti adipis qualitatem simulans.
n 10, 77 Discemuntur autem hoc modo, quod primum oculos
hahent distentos. Statt des Indikativs im Kausalsatze hat Ed. pr.
den Konjimktiv habeant, der nicht geändert werden darf, da er
an sehr vielen Stellen bezeugt ist, z. B. weiter unten in einem
ganz ähnlichen Zusammenhang matricis praefocatione oppressae
discemuntur, primo quod ipsa matrix se sustoUat. Ebenso 11
14, 95 eos . . intelligimus ex eo, quod dolor infixus eodem per-
maneat loco. II 16, 18 illa causa est, quod . . pressa materia
refugiat. 11 17, 102 ab empyicis . . . discemitur pleuritis, quod
febres noxiae atque acutae et inordinatae in pleuriticis invenian-
tur. in 5, 48 apoplexia dicta est quod tamquam ex letali per-
cussu repentinum faciat casum. Umgekehrt findet sich nach cum
causale wiederholt der Indikativ; man darf also bei einem Autor,
der im Gebrauch der Modi so stark schwankt, den Text nicht
nach den Regeln der Schulgrammatik umändern.
II 10, 77 attestante pulsu parvo atque imbecillo, ita ut ali-
quando interire videantur cum frigido torpore. Statt videantor
hat Ed. pr. videatur, imd das ist richtig; denn nicht vom Tod
der Patienten, sondern vom Aussetzen des Pulses ist die Rede;
vgl. zum Ausdruck II 4, 20 densus atque parvus et coacervatim
interiens pulsus efficitur.
II 10, 80 tuiic vaporationes spongiarum atque cerötaria.
Diese Worte stehen aufscr allem Zusammenhang. Durch eine
leichte Änderung fügen sie sieli in die Konstruktion des vorher-
Zu Caelins Aurelianus Acutarum passionum libri III. 321
gehenden Satzes. Man schreibe vaporatione sp. atque cerotario,
dann erhalten wir folgende Periode: iniectione parva olei per
clysterem ntimur et Cucurbitae appositione . . . tunc vaporatione
ßpongiarum atque cerotario. Vaporationes ist durch Dittographie
entstanden und hat den Fehler cerotaria nach sich gezogen.
Von dem Zusammenklappen der Zähne gebraucht Aurelian
nicht nur das Verbum concadere, z. B. II 10, 77 dentium conca-
dente iunctione, sondern II 12, 85 auch das Substantiv concasus:
qnamobrem dentium cojicasus vehementior fiet. So die Ed. pr.;
A. hat dafür collisus in den Text gesetzt, und das ist der Grund, dafs
Georges das Wort concasus nicht aufführt, während es Forcellini,
hier genauer als Georges, erwähnt, aber mit dem sonderbaren
Zusatz: Legitur a quibusdam apud Cael. Aurel. 2 Acut. 12 n. 85,
sed rectius leg. cum aliis collisus. Das Gegenteil ist richtig: con-
casus ist die überlieferte und durch das von dem Autor gleich-
zeitig gebrauchte Verbum hinlänglich geschützte Lesart, collisus
eine blofse Vermutung.
II 14, 93 aliqua ruptis vasculis funduntur, quapropter ea
neqne saniosa qualitas post sanguinea perseverat, sed spumosa
rursuni fiet. So die Ed. pr., während A. ea neque streicht und
fiet in fit verändert. Aber durch die Entfernung von neque,
welches, wie öfter, im Sinne des griechischen oväe steht, wird
das folgende sed unverständlich. Es ist also zu schreiben: qua-
propter neque saniosa qualitas, post sanguinea perseverat, sed
Bpumosa rursum fit.
Im Anfang des lü. Kapitels wird eine Anzahl Arzte auf-
geführt, welche behaupteten, bei der Pleuritis leide die Lunge;
es sind Euryphon, Euenor, Praxagoras, Herophilus, Philotimus.
A. stellt die beiden letzten um, aber ohne hinreichenden Grund.
Beide waren Schüler des Praxagoras, und wir wissen nicht, dafs
Herophilus der ältere gewesen ist. Unmittelbar darauf folgen die
Worte: Item quidem vm^oxora niembranani quae latera et interiora
cingit (sc. pati dixerunt), ut Diocles, Erasistratus, Asclepiades.
Es ist leicht einzusehen, dafs es mit der Ed. pr. heifsen mufs quidam.
In demselben § ist, wie die Vergleich ung mit der Ed. pr.
zeigt, eine ganze Zeile im Ammanschen Text ausf/cfallcn und da-
durch die Stelle ganz unverständlich geworden. Es mufs nämlich
heifsen: accedit etiam quod facile supra id latus quod patitur
iacere possint aegrotantes, supra aliud vero quod passione lilKTiim
videtur si se iactaverint, difficultas spirationis accedat.
322 G. Helmreich:
II 16, 97 singula etiain extussita de pulmone venire mani-
festum est. Ed. pr. hat et tussita, und dies deutet auf die Form
etussitUf die dem Gebrauch Aurelians entspricht, der das Wort
dreimal und immer in der Form etussire hat; vgl. § 98 Et tus-
sita (1. Etussita) itidem sputa per pulmonem feruntur und Chron.
V 10, 103 quo liquida et purulenta etussiantur. Mit etussire
kann man auch die bei Aurelian vorkommende Form esudare
vergleichen.
II 18, 106 sed si venter fluxerit, pultem dabimus crassiorem,
sed calidam, quoniam in tumentes prius partes incurrat. Statt
fluxerit überliefert die Ed pr. ebenso wie § 104, wo A. gleich-
falls fluxerit korrigiert hat, influxerit, und wenn man sieht, dals
der Autor Chron. II 7, 94 den Katarrh mit influxio bezeichnet^
möchte man auch hier das Verbum influxerit für richtig halten.
Unzweifelhaft richtig aber sind die beiden anderen Abweichungen,
welche die Ed. pr. an unserer Stelle aufweist, nämlich liquidem
st. quoniam und die Weglassung der Präposition in, Incuiro
mit dem blofsen Akk. ist häufig bei Aurel.; vgl. 11 36, 189
diaphoresin incurrerunt. II 3, 19 absolutam phrenitim incurrunt.
II 13, 90 hanc passionem pueros difficulter incun-ere. I 15, 147
nervös incurrens atque penetrans.
ib. vigiliarum atque corruptae digestionis causa ungendi sunt
Es ist aus dem Zusammenhang nicht ersichtlich, warum eine
Einreibung vorgenommen werden soll, und die Ed. pr. bietet st.
ungendi initiandi. Es liegt also die Vermutung nahe, dafs dafür
iniciendi zu schreiben sei, und diese wird bestätigt durch § 108,
wo es in der Ed. pr. heifst urgente etiam solutione iniectione
utemur supra dicta, während A. auch hier unctione schreibt. Da
sich die letztere Stelle oflenbar auf die erstere bezieht, dient die
Lesart iniectione zur Stütze meines Vorschlags iniciendi sunt.
Dafs die Kritik eines Schriftstellers sieh auf die genaueste
Beobachtung des Sprachgebrauchs desselben stützen mufs, ist ein^
unbestreitbare Regel. Aber Amman hat dieselbe, wie wir schon
wiederholt gesehen haben, nur sehr mangelhaft befolgt; sonst
hätte er auch gesehen, dafs II 18, 107 die Überliefenmg der Ed.
pr. richtig ist: Etenim alia quaeque nimium constrictivae virtutis
vol multorum admixtione coniposita inimodica densatione maiores
menibranarum fkri j)royocant. Der Infin. fieri schien ihm be-
fremdlich, und er hat ihn weggelassen; aber Aurelian gebraucht
j)r()vocare in der Bedeutung „Veranlassung geben zu" und kon*
Za Gaelius Anrelianus Acutarum paHsionum libri III. 323
struiert es wie facere mit dem Acc. c. Inf.: vgl. 11 24, 137 eadem
clyster per ventrem detrahi provocet und namentlich Chron. III
8, 110 siquidem exitum liquorum fieri provocet fervor aestatis.
II 19, 113 in aeneo vasculo sive t€sia/*eo. Die Ed. pr. bietet
die Adjektivform testeo, welche beizubehalten ist, da sie der
Autor auch sonst verwendet; cf. HI 17, 150 vitrea apponimus
vascula vel testea. Chron. II 13, 168 vasculo novo includitur
testeo. in 2, 22 aliquando etiam testea vascula, quae Graeci
amphoras vocant. IV 7, 94 vascula quae a^ißixag vocant et sunt
materia testea vel vitrea confecta. Bildl. V 11, 134 psychrolu-
tarum corpora densa ac veluti testea sentiuntur.
ib. spongiam mollem, magnam, ex ferventi aqua expressam
atque pannis involutam. Die Ed. pr. läfst pannis weg, und es
kann als selbstverständlich fehlen. Bei Hippokrates, aus dem der
Anfang dieses Kapitels entlehnt ist, variiert die Lesart zwischen
nsQiötdyscv T€ ciV(o rr^v ^akil>iv xqi^i und üt. r. liiuritö ri]v %.
%Qr^, Littre und Kühlewein geben der ersten Lesart den Vorzug,
der Hippokratesübersetzer Fuchs der zweiten; aber er irrt, wenn
er meint, „sowohl Galenos (XV 522) als Caelius Anrelianus
(morb. ac. II 19) stützen fftc^rt«". Für Aurelian jedenfalls gilt
das nicht; in seinen Text ist pannis erst aus der Vulgata des
Hippokrates eingesetzt worden.
Ebenso ist weiter unten in den Worten ut spiramento ad-
ductus vapor suo ingressu laxamentum partibus ministret das
Substantiv vapor ein fremder Zusatz; in der Ed. pr. fehlt es und
steht adducta (auf spongia bezogen) für adductus.
ib. § 116. Dafs die Textüberlieferung Aurelians eine viel-
fach mangelhafte ist, kann man am besten an den aus Hippo-
krates entlehnten Stelleu ersehen. Eine solche liegt § 113 — 116
vor. Sie ist dem Inhalte nach identisch mit Hipp, de diaet. in
acut. § 7 Littr. = 21 — 25 Kühl. Ohne das griechische Original zu
vergleichen, ist es unmöglich, dem lateinischen Texte einen Siim
zu entlocken; so stark ist derselbe alterlert. Ich will hier nur
darauf aufmerksam machen, wie die Überlieferung der letzten
Sätze dieses Abschnittes in der Ed. pr. lautet: Etenim dixit
melius esse statim sorbendi initium sumere et in omnibus magis
ventris antecedentibus deductionibus sumendo. ergo est initium etc.
Dafs esse (A. schreibt est) richtig ist, zeigt das griechische ä^snov
sivai. Wie aber das Übrige zu bessern ist, wage ich nicht zu
entscheiden. Nur den Schlufs möchte ich mit einer leichten
324 G. Helrareich:
Änderung so gestalten: sumendum ergo est initium. Freilich
stimmt das nicht recht mit dem griechischen Wortlaut; aber es
ist recht wohl möglich^ dafs ihn Aurelian nicht yerstandeu und
xmrichtig übersetzt hat.
Dafs A. durch willkürliche Zusätze den Text vielfach ent-
stellt hat^ haben wir schon an mehreren Beispielen gesehen;
auch II 19^ 124 liegt ein solcher Fall vor. In der Ed. pr. ist
überliefert: in ceteris relinquendum temporibus aegrotantem aper-
tissime indicavit; A. schaltet absque nutrimento nach temporibus
ein. Dem Sinne entspricht zwar diese Ergänzung , aber sie ist
in sprachlicher Hinsicht zu beanstanden , weil Aurelian absque
niemals gebraucht.
II 21, 126 sed eos qui non per frictionem incurrerint. Es
liegt auf der Hand, dafs die Lesart der Ed. pr. perfrictlonem
richtig ist. Ihr werden wir uns auch weiter unten anzuschliefsen
haben, wo es heifst: atque ex illo quotidie, während A. mit Un-
recht tempore nach illo einschiebt; zu ex illo = ex eo vgL
Ovid Fast. V 670 ex illo est haec tibi festa dies.
II 22, 132 qui iugibus afficiuntur febribus quoties initium
ex die siimpseriL Es ist mit der Ed. pr. sumpscrint zu lesen, wie
der unmittelbar folgende Satz beweist: qui maiore hemitritaeo
aegrotant et ex nocte sumsseriut initium.
II 24, 138 ut e contrario resistente, neque imbecillibus. Statt
ut bietet die Ed. pr. utque, was auf atque hinweist.
II 25, 141 antecedente pleuritica peripneumonia sequetur,
quo fiet, ut. Mit der Ed. pr. ist zu lesen sequitury und fiet ist
in fit zu verbessern.
II 29, 153 siquidem tussiculam commovent. Ed. pr. richtig
commoveant.
ib. 154 wird ein Mittel gegen die Lungenentzündung ans
Hippokrates angeführt mit den Worten: Hippocrates vero libro
regulari, quem diaeteticum vocavit, peripueumonicae inquit reme-
dium aptandum ex cocco atque galbano atque attico melle. A.,
der die Stelle im Corpus Hippocraticum nicht finden konnte,
meint, die hier als Über regularis bezeichnete Schrift sei verloren
gegangen. Aber die Stelle steht in ZleQt dialti]c: o^cW, und
zwar in den unechten Absclmitten {y6%a) c. 34 Kühl. = vol. U
p. 46(5 Littr. Sie ist deswegen interessant, weil sie zeigt, dals
Aurelian seine griechische Vorlage nicht immer richtig verstand.
Bei Hipp, heifst es nämlich: n£Qi:tvevnovCi]g ixksixröv x^^ß<^^V
Za Caelius Aurelianus Acutarum passionum libri III. 325
xal xöxxttXog iv ^ektti, Aurelian hat also xoxxog und xoKxakog
verwechselt; das letztere hätte er mit nucleus übersetzen müssen.
II 30, 162 ist zweimal der Konjunktiv nach siquidem mit
der Ed. pr. herzustellen, nämlich ptitent st. putant und appell^t
st. appellat:
II 31, 163. Bei Aurelian finden sich definire und diffinire,
definitio und diffinitio neben einander. Wo aber die klassischen
Formen überliefert sind, besteht für uns kein Grund, sie abzu-
lehnen. Es ist also § 163 mit der Ed. pr. Definitioties etiam
Soranus dicere declinavit zu schreiben.
II 32, 166 ist mit Ed. pr. ut peiorantibus febribus dissolutio
fiat (A. fit) zu lesen. In den unmittelbar folgenden Worten ad-
dunt vel attendunt quidam etiam aeris aestus scheint ein Glossem
vorzuliegen; die Worte addunt vel sind zu streichen.
ib. § 167 attestiinte hallucinatione, animi desponsione cum
vigiliis iugibus, et quibusdam repentino atque coadcervato per
totuni corpus sudore. Die Ed. pr. läfst animi weg; es ist auch,
wie III 18, 176 desponsio, vigiliae, hallucinatio, sitis beweist,
nicht notwendig; desponsio steht absolut im Sinne von desporatio.
Auch im Folgenden ist die Lesart der Ed. pr. richtig: repentinus
atque coacervatus per totuni corpus mulor, wie aus den folgenden
Attributen parvus, tenuis, aquatus, die sich doch nur auf sudor
beziehen können, hervorgeht.
ib. § 168 Dehinc veheme^itins deficiente. Da die Ed. pr.
vehementius nicht kennt und deficiens bietet, so ist dies auf das
vorausgehende cordis saltus crebrior zu beziehen; damit fällt die
Veranlassung zu einer Textesänderung weg.
ib. § 171 neque vini datione neque varietate ciboruui ad
sublevandas constantius vires uti possumus. Dafs die hier vor-
genommene Umstellung der Worte constantius vires (Ed. pr. hat
vires comtantixis) nicht am Platze ist, beweist § 175 utendum igitur
clysteribus in his qui sine febribus fuerint iubet constantissime.
Ebenso ist im Folgenden der Zusatz von accidit überflüssig;
denn der Satz tunc cum quadam maestitudine latenter disici
per sudorem ist von gravius est abhängig. Der Schhifssatz des
§ lautet in der Ed. pr. richtig: Sic enim (A. etiam) aegrotantes
. . . moriuntur.
II 33, 177 quoniam non adsunt secundum ipsum febrium
signa. Die Ed. pr. richtig: siquidem non adsint.
II 33, 175. Dafs die Überlieferung in der Ed. pr.: Item
326 (J. Helmreich:
aliqui uoYelli scriptores aiunt siguum esse periculosae passionis
non sine febribus aegrotare richtig ist, scheint aus den Worten
des § 178, die sich auf die angeführte Stelle zurückbeziehen,
hervorzugehen. Die von A. vorgenommene Umstellung von non
nach aiunt ist also nicht zu billigen.
II 34, 180 Praepati in cardiacis Erasistratus et Asclepiades
cor dixerunt, alii membranam, quae cor circumtegit, alii dia-
phragma . . alii pulmonem. Die Ed. pr. fügt vor den letzten
Worten alii siomachum ein; sie sind vollkommen am Platz, wie
namentlich c. 35 zeigt, und nur durch ein Versehen bei A. weg-
geblieben.
ib. Est autem cor praestans atque salutaris corpori 2)arti-
cula. Die Ed. pr. hat corporis, dessen Richtigkeit der unmittelbar
vorhergehende Satz aliqua corporis i»arte principali atque propria
patiente beweist.
ib. § 181 qiwd gravedo etiam quibusdam cardiacis oc<;urrit.
Die Konjunktion quod fehlt in der Ed. ])r.; sie scheint nicht
nötig, da das vorausgehende quomodo (= griech. cbg) fortregiert
ib. 55 1^2 (ptouiam inultis ante praecisis partibus vulnus
possit accipere. Für quoniam bietet die Ed. pr. siquidem, das
dem Sprachgebrauch des Schriftstellers entsprechend wiederher-
zustellen ist.
II 34, 183 sed bis quoque respondemus, quod signa sibi
fingunt, Vera existimantes. An dem statt quod in der Ed. pr.
überlieferten quomodo ist kein Anstofs zu nehmen. Denn häutig
gebraucht der Schriftsteller naeli den Verbis dicendi quomodo im
Sinne des griechischen J)j?.
II 35, 185. Der Sehlufs des vorigen und der Anfang dieses
Paragraphen scheint schwer verderbt zu sein, sodafs die W^ieder-
herstellung des Ursprünglichen kaum möglich ist. Nur einzelnes
läfst sich bessern. Dahin gebeert die Stelle: gravantur tarnen
(om. Ed. ])r.) quidam thorace atque praefocabili spiramento respi-
rant, quidam stomacho patiente defectione virium sola (om. Ed.
pr.) fueruut vexnii. Für vexati überliefert die Ed. pr. deptirgatiy
das dem Sprachgebrauch des Autors ganz entspricht. Derselbe
verwendet dieses Verbum wiederholt im vSinne von „schwächen"
vgl. C'hron. II 13, 190 etenim corporis fortitudo necessario depur-
gatur. V 11, 139 ])hlel)otomia vires depurgatae vexantur. V 10, 114
vehementi tussicula viribus depurgatis. I 1, 40 in iis vero (cor-
poribus) quae minus vexata noscuutur vel viribus (sehr mit ün-
Zu Caelius Aurelianus Acutarum passionum libri III. 327
recht schaltet A. hier medicamentorum ein, das die Ed. pr. nicht
kennt) depurgata.
ib. si defectione fuerit stomachus aflFectus, fluor sequitur
saliyamm et humecta aquositas et nausea. Für das Vorkommen
des Substantivs aquositas wird von den Lexikographen, Forc^llini
und Georges, nur diese Stelle angeführt. Wenn es sonst nirgends
sich findet, steht es schlecht um seine Beglaubigung; denn hier
ist es Vermutung der Herausgeber; die Ed. pr. hat dafür callo-
sifm, und ich kann nicht finden, warum das nicht in dem Sinne
von „Unempfindlichkeit" vom Magen sollte gesagt werden können;
ist doch Chron. III 2, 13 von einer duritia stomachi die Rede,
und ib. § 42 findet sich der Ausdruck summitas stomachi
eallosa.
ib. § 186 in cholericis et tetanicis vel tumentibus matrice
aut prnefocatis. Die Ed. pr. hat tumentibus aut matrice praefo-
catiSy und diese Stellung ist die richtige; vgl. II 9, 37 quae epi-
lepticis vel matrice praefocatis adhibuit odoranda. Chron. I, 4, 71
a matrice praefocatae mulieres und das oft vorkommende matricis
praefocatio.
II 36, 188 quoniam etiam prosperi sudores, quos Graeci cri-
ticos vocant, habent quiddam circa visum similitudinis cum car-
diacis etc. Die Ed. pr. überliefert st. quoniam qxiomodo. Dies
ist wiederherzustellen, denn Aurelian verwendet quomodo gerne
in kausalem Sinne und öfters zu Anfang eines Abschnittes; vgl.
I 5, 45 quomodo (A. quando) furentes sive insanos a phreniticis
sola febrium sinceritate omnes sectarum principes secreverunt.
6, 49; 9, 58; 16, 155 immer am Kapitelanfang.
ib. § 192 sed neque plus satis brevia (loca) esse convenit.
Die sonderbare Verbindung von plus satis verdankt hier und im
nächsten Paragraphen den späteren Herausgebern ihren Ursprung,
die Ed. pr. kennt nur satis hier und § 193 lecti concubatio neque
dura . . neque satis mollis . . erit procuranda. Weil man aber den
Gebrauch von satis im Sinne von „sehr'' nicht kannte, glaubte
man der Ausdrucksweise des Schriftstellers durch Hinzufügung
von plus nachhelfen zu müssen.
ib. 196 überliefert die Ed. pr. frigidae infundentes spongias
. . . ac iugiter mutantes, A. hat geändert in frigidam infundentes
spongiis. Näher scheint mir die Änderung frigidä infundentes
spongias zu liegen; die Konstruktion infundere aliqua re mit
etwas benetzen ist häufig bei Aurelian; vgl. II 38, 218 lanas oleo
328 G. Helmreich:
infasas. III 5, 59 panis aqua calida infusus. II 37, 200 palmulae
saepe vino infusae u. a.
II 37, 200 rubi, quem Graeci ßdrov appellant. Die Ed. pr.
bezeugt quam, und diese Lesart wird als richtig erwiesen da-
durch, dafs auch yon andern rubus als Femin. gebraucht wird,
wie von Prudentius, und dafs bei Aurelian selbst wiederholt das
Femin. in der Ed. pr. überliefert ist, während A. willkürlich ge-
ändert hat; so Chron. II 7, 103 aut rubi, quam (A. quem) ßdrov
appellant. lY 3, 52 aut rubus, quam Graeci baton appellant (hier
hat auch A. die Lesart der Ed. pr. beibehalten). Dagegen bietet
Chron. 11,8 auch Ed. pr. das Masculin.: aut rubi, quem Graeci
ßdrov a])pellant.
ib. 201 ist in der Ed. pr. überliefert rhiis Syriaci sextariis
(1. -arii) quatuor; A. glaubte den Genit. rhois herstellen zu
müssen, mit Unrecht; wie aus zahlreichen Beispielen bei Marcellus
und Theodorus Priscianus (s. Ind. verb.) ersichtlich ist, lautet
der Genit. von rhus Syriacum rhus Syriaci.
Ebenso ist einige Zeilen weiter unten die Lesart der Ed. pr.
beizubehalten: donec quarta liquoris remaneat. A. schiebt pars
ein; aber diese Auslassung ist doch zu gewöhnlich, als dafs man
daran Anstofs nehmen sollte.
ib. 208 demus aliquid pomorum aut pira duracina et cetera,
quae stringere valent. Statt aut hat die Ed. pr. ut. Dafs dies
richtig ist, beweist die Parallelstelle III 21, 203 dabimus quic-
quam pomorum, ut pira vel mala cydonia.
ib. 212 et ex frigido corpore vexari sine uUa febricula. Das
unverständliche Wort corpore ist erst durch die Unachtsamkeit
der späteren Herausgeber in den Text gekommen, die Ed. pr.
hat richtig torpore,
ib. 214 non aliter corporis virtus insumpta immodicis nutri-
mentis oppressa mortis dal>it effectum. Auch hier hat die schon
früher gerügte Unl)ekanntschaft des Herausgebers mit dem Sprach-
gebrauch der späteren Latinität zu einer willkürlichen Änderung
Aiilafs gegeben. Die Ed. ])r. überliefert nämlich ex immodicis
uutrimentis oi)pressa, was keinen Grund zur Beanstandung giebt,
da der Gebrauch von ex statt des blofsen Abi. instrum. bei
Aurelian sehr häufig ist; cf. ('hron. 111 1, 12 ex quibus stomachus
necessario vexatur. I 3, 59 ex supra dictis adiutoriis aegritudo
solvetur.
ib. 220 cum ad ventrem vel intestina fuerit conversa fiuentia.
Zu Caelius Aurelianus Acutarnm passionum libri III. 329
Wäre die Stelle so überliefert, müfste man ein Subst. fiuentia,
das sich allerdings bei Cael. Aurel. de sign, diaet. pass. 89 (s.
Rose, Anecd. II 234) findet, annehmen. Die Ed. pr. hat aber
fiierint, und das stimmt zu den übrigen Stellen in den beiden
Hauptwerken über die akuten und chronischen Krankheiten, wo
fluentia nur als Neutrum plur. vorkommt; s. § 221 yidemus . .
fluentia augeri potius quam minui. Chron. V 8, 88 constrictione
enim atque densitate fluentia retinentur.
II 39, 231 siquidem ante declinationem dandum iussit. Die
£d. pr. bietet den nach siquidem üblichen Konjunktiv iusserit;
vgl. 40, 234 siquidem post cibum fieri iubeatur.
Lib. m.
1, 10 in quibusdam tantum rumor increscit, ut stricturam
faciat in faucibus atque gutture. Da von der synanche die Rede
ißt, leuchtet es von selbst ein, dafs die Lesart der Ed. pr. tnmor
richtig ist. Ihr hat man sich auch § 12 anzuschliefsen und zu
lesen: si (sit A.) tunc necessitas emerserit faciendi.
ib. § 18 wird ein Arzneimittel dyamirrhion erwähnt; die Ed.
pr. bietet dyamirrhinon. Es ist klar, dafs diamyrrhinon {6iä
livQQtvöv) zu schreiben ist Ebendaselbst wird in der Ed. pr.
ein Mittel mit Andronios bezeichnet; A. schreibt dafiir Andronis,
wie ich glaube, nicht mit Recht. Denn Andronios findet sich
auch bei Marcellus 11, 29 als Name eines Medikamentes.
ib. humorem praet«rea fervore nutritum si glutinosum vide-
rimus factum; Ed. pr. richtig ex fervore; denn nichts ist bei
Aurelian häufiger als der Gebrauch der Präposition ex statt des
instrumentalen Ablativs; vgl. 4, 28 quorum ex acrimonia magis
tumentia provocantur.
4, 38 cataplasmatum et gargarismatum usus aeger atque
difficilis aegrotanti videtur. Ed. pr. hat hier anagargarismatuw
und ebenso § 42 an<igargarisniaie st. gargarismate, beide Male
richtig. Aurelian hat das Wort ohne Zweifel aus seiner griechi-
schen Vorlage herübergenommen; ävayuQyaQiiio ist nicht selten
bei den griechischen Ärzten, auch avayaQyccQiöiia, das die griech.
Lexika nicht kennen, findet sich ])ei Galen vol. XII 976. Von
den Lateinern hat der Landsmann Aurelians, Cassius Felix, das
Wort wiederholt gebraucht.
4, 45 cetera quoque ciborum prohibet. So auch die Ed. pr.;
aber quoque giebt keinen Sinn, denn im Vorhergehenden ist von
330 0. Helmreich:
keinem Verweigern von Nahmngs- oder Arzneimitteln die Rede,
sondern mit den Worten fulciendos etiam omnes iudicat vel
nntriendos sola aqua vel mulso wird eine bestimmte Anweisung
zur Behandlung der Patienten gegeben. Da nun Aurelian quae-
que sehr oft im Sinne von omnia gebraucht, liegt es nahe, auch
hier cetera quaeque zu schreiben. Zu diesem Gebrauch von
quisque vgl. Acut. III 8, 81 praecaventes . . dura quaeque . .
dare mandenda. 85 ait frigida quaeque esse inimica ossibus,
nervis, dentibus. 17, 152 praecaventes . . frigida quaeque. Chron.
V 11, 136 pinguia quaeque reprobamus. 4, 78 ut cetera quaeque
nimia. Acut. III 4, 46 et cetera quaeque nervorum. 11 37, 214
ad omnia quaeque. Chron. III 8, 139 vel aliis quibusque . . inflatis.
ib. oportet phlebotomari promittentibus viribus. Ed. pr. richtig:
permittentibus v. wie 8, 76 viribus permittentibus u. a.
9, 98 ceterorum quoque animalium, quae sint simili rabie
noxia. Für noxia bietet die Ed. pr. obnoxia, das dem Sinn voll-
kommen entspricht; rabie ist dann als Dativfonn aufzufassen.
15, 119 sed ob astrictionem probandae novae passionis aiunt.
Statt des unverständlichen astrictionem hat die Ed. pr. astrudioiiem.
Für astructio in der Bedeutung ^Beweisführung' bieten die Lexika
verschiedene Belege, und in diesem Sinne ist das Wort hier wohl
am Platze. Die Stelle heifst dann: ,,Um zu beweisen, dafs die
Wasserscheu eine neue Krankheit sei, sagen sie, keiner von den
alten Ärzten habe diese Krankheit erwähnt."
16, 131 si calidam atque oleum clystere per podicem iniciamus.
Dafs das in der Ed. pr. überlieferte ex clystere ohne Anstofs ist
und dem Sprachgebrauch des Autors entspricht, wurde schon
oben erwähnt; cf. Chron. I 3, 59 ex supradictis adiutoriis a^ri-
tudo solvetur. Acut. III 8, 90 ex siccis autem vaporationibus sic-
cantur u. a.
17, 153 comniuniter incjuit refrigeranda superiora. Statt des
Kompositums überliefert die Ed. pr. das Simplex frigeranda, das
sich so häufig bei Aurelian findet, dafs es die Herausgeber nicht
hätte befremden sollen; vgl. Acut. III 21, 208 frigerandos inquit
cholericos. Chron. IV 1, 9 inquiunt esse frigerandam et siccan-
dam corporis superficiem u. a.
21, 209 lautet die Überlieferung in der Ed. pr. neque de-
raonstravit quia . . dimissionis tempore erunt aegrotantes nutriendi.
Weil aber Amman den Gebrauch von quia = griech. Zxi im
Sinne des Akkusativs mit Infinitiv bei den Spätlateinern nicht
Zu CaeliuH Aurelianus Acutarum paBsionum librilll. 331
kannte^ änderte er an unserer Stelle quia in quando, obwohl ihn
die Stelle III 4, 45 non advertens quia omnes synanchicos ob
stricturae vehementiam oportet phlebotoari davon hätte abhalten
sollen. Die gleiche unbedachtsame Änderung hat sich Amman
in 21, 219 zu Schulden kommen lassen; hier ist in der Ed. pr.
tiberliefert: erat melius dicere quia cessante vomitu, emergente
febricula abstinent ia est adhibenda, Amman hat den Akkusativ
mit Infinitiv abstinentiam esse adhibendam dafür eingesetzt.
Diese Belege werden genügen, um zu zeigen, dafs jeder, der
Aurelians Schriften zu grammatischen oder lexikalischen Studien
benützen will, neben der Ammanschen Ausgabe die Editio prin-
ceps zu Rate ziehen mufs, wenn er nicht Gefahr laufen will,
willkürliche Änderungen für die handschriftlich bezeugte Über-
lieferung zu nehmen.
Hof. (t. Helmreich.
Animaequitanlare.
Im zweiten Band des Thesaurus Sp. 77 findet sich das Wort
aniniaequitas und — mit ziemlich vielen Belegen — das Adjektiv
animaequus, das, wie dort mitgeteilt wird, nach Skutsch aus dem
Substantiv gebildet sei. Aus Rönschs Itala und Vulgata hätte sich
für das Adjektiv noch die eine oder andere Belegstelle entnehmen
lassen (Sap. 18, 6; Herrn. Fast. 11,3. II 5, l); ebenso für das Sub-
stantiv, für das im Thesaurus kein Beleg aus der Litteratur angeführt
ist, Herrn. Fast. II 5, 2 (Vatic). Dagegen fehlt auch bei Rönsch wie
noch im Thesaurus völlig das Verbum animaequitardare = uaTigo&v-
fieiVy das man seit 1887 im Wiener Corpus scriptoruni ecclesiasti-
corum latinorum Bd. 12 S. 407 Z. 7 in einem Gitat aus Eccli 29, 8
(11) liest.
Verumtamen super humilem amimaequUarda
et pro elemosyna non trahas illum.
nXriv inl ransivco ^ci7CQod"v^7}<5ov
xal in iks7]iioCvvtjv fti) TraQeluvCrjg «itoi/.
Die ganze Stelle 406,4—407,12 mit den Citaten aus Eccli 4,
1—8. 7,10. 32. 12,2. 14,11—17. 17,22. 29,8. 10—12 (11.13
— 15) ist nur in dem vorzüglichen Codex S (Sessorianus 58, VIII.
oder IX. s.) erhalten und fehlt in der anderen Handschriftengruppe
MVLC. Nach Weihrichs Vorwort p. XL ist das sogenannte Speculum
oder der Liber de divinis scripturis aus dieser Handschrift von Mai
im Spicilegium Romanura IX 2, 1 — SS und in der Nova Fatrum
Bibliotheca I", 1 — 117 (1852) herausgegeben worden; da Mais Aus-
gaben mir nicht vorliegen, weifs ich nicht, ob er auch schon so wie
3:-52 Kb. Nestle — Ed. Wölfflin: MiBcellen.
Weih rieh ^'edruckt hat. Nach des letzteren Apparat hat die Hand-
iM;hril't aniinae | quitarda; in der lateinischen Bibel liest man heute:
V<?niiritumen super humilem animo fortior esto; ebenso citiert Augustin
im ««cht«!! Spoculuni (bei Weihrich a. a. 0. 143, 14). Das animae-
qui tarda gi«bt den Sinn des fia7iQO^v^7}aov entschieden besser wieder
aU das animo fortior esto.*) ümsomehr darf wohl die Aufmerksamkeit
auf di«*8<i Bildung gelenkt werden.
Maulbroun. Eb. Nestle.
Lucania.
All ihn Worten des Cicero Tusc. 1, 89: cum pro patria cadentis
Hi'ipioiifH llispania vidisset, Paulum Cannae, Yenusia Marcellum, Li-
taim Alliinuui, Lucaui Qracchum hat man an dem die KonzinnitHt
VfMit'l/eiuleii Vtilkenunuen in dem Grade Anstofs genommen, dafs Klotz
die Koiij<*ktur Lucania in den Text gesetzt hat, obwohl man sich
eher vt^rwimdern nulfste, wie der geographische Name nach anderen
vorausgehenden sollte verdorben worden sein. Man wird jedoch zur
V«»rsii'ht genuihnt, weim man bei Varro ling. lat. 5, 32 liest: Europae
Iura noniinata aut translatieio nomine ab hominibus, ut Sabini aut
Lui'ani, aut declinato ab hominibus« ut Apulia et Latium; denn hier-
luii'h luit Varro einen Ländernamen Lucania nicht anerkannt, gerade
^vie es ja nur Sequaui giebt, kein Sequania. Schon Cato schrieb
Orig. 1*J6 Ktruriam Samnites, Lucanos inter se natinari; Caes. civ.
1, 30, 4 in Lueanis BrutiisK[}iK^i Nepos Hann. 5, 3 Gracchimi
in Lucanis in insidias induetum, wie Livius 25, 1, 5 Sempronius
^(iraeehus^ in Lucauis multa proelia parva . . . fecit. Da wir nun
wissen, djifs die Römer nie Brutium gesagt haben, sondern nur ager
Brut ins oder Brutii, so ist offenbar ein Ahnliches für Lucania in der
archaischen und klassischen Prosa anzunehmen. Völkerschaften, welche
keine grofsen Städte und politisch organisierten Gemeinden, sondern
nur Weideland, Wald und Gebirge hatten, bedurften auch weniger
eines Landscliaftsnamens, wie auch Livius nur Ligures kennt, keinen
Ländeniamen Liguria. Der Name Lucania fehlte schon dem Dichter
der saturnischen Grabschrift auf den Scipio Barbatus, von dem er sang:
Subigit omne\^m^ Loucanam oi>sidesque abdoucit,
also mit Ellipse von terram. Aus diesem Grunde dürfen aber die
Lucani bei Cicero nicht angezweifelt weixlen. Die fixeste Stelle fär
Lucania ist vielleicht Hör. Sat. 2, 1, 38 quod Lucania bellum incuteret
violenta.
München. Ed. Wölfflin.
* Oder wän» das Wort nur eine hall» ausgt^führte Korrektur, dafs der
Sviirciber auimaequior esto sschri^ihen wollte und. nachdem er bis animae-
qui- gekommen war, zu tanlu überirius;: Nach freuniUicher Mitteilung von
Vh Thielmanu haben *2 ^eiuer Sirach- Handschritten der Complutensis 1 und
Met: 7, letzterer \ou erster Hand animequior für da? animo fortior derVulgata.
I
I
Epitome.
So deutlich auch das Wort Epitome seinen griechischen
Ursprung auf der Stime trägt, so wenige Beispiele bietet doch die
griechische Litteratur dafiir, dafs das Wort als Buchtitel gebraucht
worden wäre. Zwar hatte schon Philochoros selbst die 17 Bücher
seiner Atthis in einen Auszug gebracht \h%itoii^ rrig läiag
l4r^Cdog)f Suidas citiert von Theopomp eine iziro^ii 'Hgodötov
(Frg. hist. Graec. 1 278 M.), und bei der ausgedehnten Schriftstellerei
eines Theophrast oder Chrysippos sind solche Excerpte leicht er-
klärlich (vgl. Wilmanns De Varronis lib. gramm. pg. 46); allein
da sie sich nicht erhalten haben und da wir die Zeit ihrer Ent-
stehung nur selten kennen, spielen sie auch in der klassischen
Altertumswissenschaft keine grofse Rolle.*) Im Gegensatze dazu
sind ftlr den Latinisten Florus, Justin, Festus, Eutrop, Faventinus,
Aurelius Victor, Vegetius bekannte Namen, und das Beispiel des
Philochoros schlagen wir damit aus dem Felde, dafs wir von den
Divinae institutiones des Lactantius (ähnlich wie bei den Contro-
versien des Seneca) Original und Auszug besitzen. Kommt dazu
die Thatsache, dals wir noch nicht darüber einig sind, was wir
in der Römerzeit unter einer Epitoma zu verstehen haben, so
können wir die Pflicht nicht abweisen, die Entwicklung des
Wortes und der Sache historisch zu untersuchen. Neuerdings hat
Herm. Peter in seiner * Gesehich tl. Litter. der röm. Kaiserzeit'
n 365 auf diese Lücke in unserem Wissen aufmerksam gemacht.
Die klassische und die alexandrinische Zeit der griechischen
Litteratur kann hier beiseite bleiben, insofern sie für unsere
Zwecke nichts abwerfen. Wenn wir einige Worte über die spätere
Litteratur vorausschicken, so soll damit kein Unterschied zwischen
Griechentum und Römertum behauptet werden, vielmehr halten
wir es für wahrscheinlich, dafs die griechischen Epigonen unter
•) Unter den Quellen der Naturgeschichte des Plinius wird von Buch
14 an mehrmals genannt: Diophanes qui ex Dionjsio epitomen fecit.
Archir für Ut. Lexikogr. XTI. Heft 3. 'i^
334 Ed. Wölfflin:
dem Einflüsse der römischen Anschauungen stehen. Es mag
zunächst bemerkt werden, dafs bei dem Verbum iTtua^vco die
Bedeutung * abkürzen' sich später entwickelt hat als bei dem
Substantiv und dafs sie auch selten geblieben ist. Hierocl. veter.
p. 226 rä TtsQl q>vös(Dg ^gxdi/ ix röi/ ^AQiötotiXovg izirifivaa'.
Vgl. auch övvtofiog^ zusammengeschnitten, kurz. Das nächst-
liegende Beispiel von ijtLtofiTJ müssen wir bestreiten. Denn dafs
die Schrift De placitis philosophorum von Plutarch oder dem
uns unbekannten Verfasser betitelt worden sei: tcbqI tcbv äge-
öxömcov q)t.Xo66q)otg (pvötxcbv doy[idrG)v ijctroinjj das beruht auf
einer nach unserer Ansicht nicht genügend begründeten Kon-
struktion. Wohl schreibt der Verfasser zu Anfang des dritten
Buches: jteQtodevxcDg iv tolg JtQorBQotg iv i7ti.ro[ifi toi/ X€Qi x&v
ovQuvCav Xoyov, allein damit ist doch nur gesagt, dafs der Verf.
die Astronomie in einer gedrängten Darstellung gegeben habe;
und wenn man auch zugiebt, dafs auch die folgenden Bücher
3 — 5 denselben skizzenhaften Charakter tragen, und zwar einen
solchen, wie ihn die anerkannten Schriften Plutarchs nicht haben^
ja sogar, dafs sie von Theodoret graec. aflf. cur. 4, 31 so citiert
wird, was aus 3, 1 geflossen sein dürfke, so ist damit doch
nicht bewiesen, dafs der Ausdruck i:t tr ofirl geg^ii das Zeugnis
der Handschriften, welche nur von fünf Büchern reden, in den
vom Verf. gegebenen Titel gehöre. Noch viel weniger hat der
Verf. andeuten wollen, dafs er einen bestimmten Vorgänger excer-
piert habe, da die Schrift selbst vielmehr den Eindruck einer
Kompilation macht. Ob gerade der Philosoph Aetios excerpiert
worden sei (Diels Doxogr. gr. p. 48 coli. 273), haben wir weder
zu beweisen noch zu widerlegen, weil die Überlieferung darüber
vollkommen schweigt. Man müfste denn aus dem Titel Vegetii
Epitoma rei militaris schliefsen, der Verf. habe damit erklären
wollen, irgend einen älteren Militärschriftsteller epitomiert zu
haben, was daran scheitert, dafs Vegetius 1,8 eine ganze Reihe
von Quellenschriftstellern nennt, den alten Cato, den Cornelius
Celsus, den Frontin, den Patemus, den Augustus, den Trajan, .
den Hadrian. Solche Anschauungen erklären sich nur aus dem
unglückseligen *Einquellenprincipe', welches der alten Litteratur^
selbst im Widerspruche mit den Versicherungen der Alten, auf-
genötigt werden sollte.
Richten wir unsere Betrachtung auf die römische Litteratur,
so ist der Philosoph und Redner M. lunius Brutus, der Mörder
Epitome. 335
Caesars und Freund Ciceros, der erste, welcher eine Epitome des
Polyb, des Coelius Antipater und des Fannius nicht nur geschrie-
ben, sondern auch veröflfentlicht hat. Von welchem Standpunkt
aus er diesen Auszug aus dem umfangreichen Werke Poljbs
gemacht hat, entzieht sich unserer Kenntnis; Plutarch sagt im
Brutus cap. 4 nur, er habe auf diese Arbeit die Nachmittagsstun-
den verwendet: äxQt' tflg söjcegag iyQa(p6 öwrärtov iTtirofiiiv
IloXvßlov; dafs sie aber nicht blol's einen privaten Charakter
hatte, beweist Suidas s. v. Bgovrog: lyga^av , . IloXvßCov rov
löTOQLXOv ßißUcov ijttrofmiv. £inen solchen könnte man eher
für Zenobia annehmen, von welcher die Hist. Aug. (30 tyr. 30, 22)
meldet: historiae orientalis ita perita, ut eam epitomasse dicatur.
Der Auszug aus den sieben Büchern Historiarum des Coe-
lius Antipater wird etwas verständlicher, wenn man sich er-
innert, dals der Umfang des Volumen in der archaischen Litteratur
grölser war als der in der klassischen, beispielsweise ein Buch
der Annalen des Ennius oder des Lucretius gröfser als ein Buch
des Vergil oder des Lucan. Für Fannius werden wir unter
allen Umstanden einen gröfseren Umfang ansetzen müssen, da
das Fragment des achten Buches (Drepana neben Drepanum)
sich wahrscheinlich auf den ersten punischen Krieg bezieht (mög-
licherweise freilich auf den zweiten nach Livius 28, 41,5) und
die Darstellung des Verfassers noch bis in seine Lebenszeit
hinunterreichte. Dafs Brutus diese Arbeiten für seinen Gönner
Cicero gemacht hätte, als derselbe sich . mit dem Gedanken trug,
eine römische Geschichte zu schreiben, wie etwa Atticus seinem
Freunde mit genealogischen oder chronologischen Forschungen
an die Hand ging, das ist sehr wenig wahrscheüilich: denn
zwischen den beiden bestanden doch auch Diflferenzen, und
dann hätte wohl Cicero nicht nötig gehabt, sich den Auszug
zu erbitten, wie in der erhaltenenen Korrespondenz Att. 13, 8 ge-
schehen ist. Der Brief fällt in das Jahr 709 urb. cond. = 45
vor Christus, also in eine Zeit, wo Cicero mit seinen Werken
De natura deorum und De divinatione beschäftigt war und das
liistorische Projekt aufgegeben hatte. Da nun aber Cicero aufser
der Coelius-Epitome noch den Panaitios xsqI :tQovolug verlangt
(Epitomen Bruti Coelianorum velim mihi mittas et a Philoxeno
UavairCov xsqI jCQovoLag\ so beziehen sich diese Wünsche aller
Wahrscheinlichkeit nach auf Ciceros philosophische Schriften
und im ersten Buche De divin. wird ja Coelius mehrfach citiert.
336 Ed. Wölfflin:
Vgl. Rud. Hirzel, Untersuchungen zu Cic philosoph. Schriften
I 194 flf.
In diesem Zusammenhange wird dann auch einigermafsen
klar, was in der korrupten Stelle Cic. Att. 12, 5, 3 (708 urb. cond.
= 46) mufs gestanden haben. Es ist offenbar die Rede von
einer Bruti epitoma Fannianorum, auf deren Autorität sich
Cicero beruft im Gegensatze zu einer abweichenden Ansicht des
Atticus. Sollte die Lesart epitome Bruti Fanniana den Vorzug
verdienen, so ist dieser Ausdruck in dem nämlichen Sinn zu ver-
stehen. Darnach hat denn Brutus, und nicht nur fiir seinen
Privatgebrauch, die Auszüge aus Polyb, Fannius und Coelius
gemacht wie herausgegeben.
Etwas später hat Varro sein 25 Bücher umfassendes Werk
De lingua latina auch in 9 Büchern herausgegeben, indem er
die Triadengruppen auf je ein Buch reduzierte und das Einleitungs-
buch beibehielt. Der Titel lautete: Epitome de lingua latina e
libris XXV libri Villi, wie wir aus dem vor einem halben Jahr-
hundert entdeckten Briefe des Hieronymus erfahren, welcher uns
über die grofsartige SchriftsteUerei Varros die zuverlässigsten
Nachrichten giebt. Man braucht durchaus nicht anzunehmen,
dals der Verf. sich streng an das Original angeschlossen habe;
im Gegenteile benützen die Alten die zweiten Auflagen zu Ver-
bessenmgen, und wenn die Epitome eine Reihe von Jahren später
geschrieben wurde, so mufste dem Verf. manches in anderem
Lichte erscheinen. Und wie uns Cicero mit seinen Academicae
quaestiönes das Beispiel einer zweiten vermehrten Auflage giebt,
warum soll es aucli nicht einmal eine verkürzte und verbesserte
Auflage gegeben haben? Fragt man aber nach dem Grunde der
Neubearbeitimg, so liegt die Vermutung sehr nahe, dafs schon
die Rücksicht auf den holien Preis so umfänglicher Werke es
wünschenswert erscheinen liefs, dem weniger bemittelten Publikum
billige Ausgaben zugänglich zu machen und damit zugleich denen
zu dienen, welche weniger Zeit auf diese Studien verwenden
wollten. In ähnlicher Weise hat derselbe Varro seine 45 Bücher
Antiquitatum auf 9 reduziert, die 15 Bücher Imaginum auf 4.
Um chronologisch vorzugehen, so wissen wir heute, dafs
schon um das Jahr IM) nach Chr. ein Auszug aus Livius existierte,
welcher bald sellist bei Autoren wie Valerius Maximus, Seneca
imJ Quintilian solchen Eingang fand, dafs die Lektüre des Original-
Averkos dadurch stark zurückgedrängt wurde. Der Verfasser war
Epitome. 337
nicht Livius selbst, denn er schrieb einen moderneren Stil und
schlofs sich gaite den Neuerangen der silbernen Latinität an; und
wie wir den Stilisten nicht mit Namen nennen können, so steht
auch der Titel nicht sicher. Das Wichtigste aber ist, dafs in
diesem Abrisse, wie auch in den daraus durch weitere Ver-
dünnung geflossenen Periochae, Einzelheiten standen, welche bei
Livius fehlten, und dafs auch manches abweichend zum gröfseren
Ruhme Roms dargestellt war: es ergiebt sich also die uner-
wartete Neuigkeit, dafs der Epitomator den aus Livius gezogenen
StofiF mit einer Nebenquelle verbunden haben mufs. Die Akten
über diese Untersuchungen findet man in den Schriften von
Sanders und Drescher, dann im Archive X 563, XI 1 flf. 79. 273,
Xn 146. Etwas Genaueres über diese Ergänzung des Livius (aus
Valerius Antias?) oder über die Abänderungen des Originales
festzustellen ist bisher nicht gelungen. Das Werk mufs noch so
umfangreich gewesen sein, dafs es nicht den Eindruck eines Aus-
zuges machte.
Aber schon unter Hadrian und in dem folgenden Jahrhundert
war die Zeit gekommen, wo die Ansprüche auf wissenschaftliche
Grründlichkeit noch tiefer sanken. War der verkürzte Livius der
Umarbeitung des Varro de ling. lat. zu vergleichen, so umfafste
er immer noch 40 Bücher und darüber; die aufserrömische Ge-
schichte des Trogus Pompeius, in gewissem Sinne eine Ergänzung
des Livius, umfafste deren 44; für das lexikographische Werk des
Verrius Flaccus mag man 50 Bücher herausrechnen, da der Buch-
stabe A vier Bücher, P fünf Bücher füllte. Alle diese Gelehr-
samkeit mufste fallen, und wenn wir die verschiedenen Phasen
der Schwindsucht des Livius auch nicht genauer kennen, so geben
uns doch Justin und Festus einen Mafsstab. Versuchte dieser
noch relativ viel zu erhalten, nämlich 20 Bücher, so ist er dafür
zur Strafe von Paulus Diaconus nochmals excerpiert worden.
Als eine solche Mittelstufe, zwischen dem Livius der Kaiser-
zeit und den Periochae, müssen wir den Florus betrachten, nach
der handschriftlichen Überlieferung eine Epitoma de Tito Livio
bellorum omnium annorum DCC in zwei Büchern, welche von
Abschreibern und Herausgebern in vier gespalten worden sind.
Möglich, dafs der Verf. seine Arbeit nur als ein Buch betrachtete
(praef. in brevi quasi tabella totam imaginem amplectar), welches
aus praktischen Rücksichten in zwei Hälften zerlegt werden
mochte, wie der jüngere Plinius epist. 3, 5, 5 von seinem Onkel
338 Ed. Wölfflin:
schreibt: studiosi (libri) tres, in sex Yolumina propter amplitadi-
nem divisi. Die Hauptsache für uns wird aber ^in, dafs Florus
zwar im wesentlichen ein Livius en miniature ist^ dab aber da-
neben auch Caesar und Sallust benützt sind. Wir werden ako
hier nochmals gezwungen, den Titel Epitoma de Tito Livio nur
a parte potiori zu verstehen und nebenbei eine Zuleitung neuen
Stoflfes einzuräumen, so wenig dies auch mit dem modernen Be-
griffe von Epitome übereinstimmt.
Wie CS nun mit Justins Epitoma historiarum Philippicarum
stehen mag, bleibt eine offene Frage, weil wir die Spuren des
Trogus Pompeius nicht mehr verfolgen können; aber eine Parallele
haben wir doch an Florus, und zwar eine lehrreiche, insofern
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, ja die Wahrscheinlichkeit
nahe gelegt ist, es könnten mit dem Originale noch andere histo-
rische Angaben verschmolzen sein.
Leider ist die Vorrede des Festus verloren gegangen, in
welcher er über sein Vorlialten gegenüber Verrius Flaccus Rechen-
schaft gegeben hatte; allein schon die erhaltenen Reste belehren
uns, dafs er seinen Vorgänger kritisiert und sich Zusätze ge-
stattet, z. B. Verse aus Lucan und Martial, worüber man eine
ausführlichere Littoraturgeschichte nachlesen möge. Ob Festus
sein Werk den Lesern als * Epitome' vorlegte, wissen wir nicht,
weil die ganze erste Hälfte verloren gegangen ist. Die zweite
Kürzung des Paulus wird in den Handschriften ^Excerpta' ge-
nannt, wie überhaupt in der spätlateinischen Litteratur dieser
lateinische Ausdruck das Fremdwort zurückdrängt. Es genügt,
an den Scarapsus Priminii de singulis libris canonicis zu er-
innern, welchen Caspari in den kirchenhistorischen Anecdota I
(1883) 149 ff. herausgegeben hat. Mehr bei Du Gange s. v. Scarp-
sus. Auf Aveitere Nebenformen wie Escarsus brauchen wir hier
nicht einzugehen. Das Excerpt aus den Controversien des älteren
Seneca wird in das vierte oder fünfte Jahrhundert nach Chr. ge-
setzt; Excerpta Bobiensia aus Charisius giebt Keil Ghramm. I
533 ff., Excerpte aus Probus IV 2Üo, aus Cassiodor VII 210 u. s. w.
Aus dem dritten Jahrhundert nach Chr. besitzen wir aber
noch eine handschriftlich bezeugte Epitome, nämlich die, welche
Jjactantius von seinen sieben Büchern Divinarum institutio-
num gemacht hat. Vgl. die Vorrede: quamquam Divinarum In-
stitut ionum libri ita legen tium meutes instruant, ut nee prolixitas
pariat fastidium nee oneret ubertas, tamen horum tibi epitomen
Epitome 339
fieri, Pentadi frater, desideras etc. . . . difficile videtur ea quae
Septem maximis Yoluminibus explicata sunt, in unum conferre . .
tanta rerom multitudo in angnstam coartanda . . . enitar difiFosa
snbstringere et prolixa breviare. VgL Arch, V 286. DaCs dieser
Epitome eine gewisse Selbständigkeit nicht abzusprechen ist,
dürfte bekannt sein; denn der Verfasser hat neue Belegstellen ein-
geflochten, welche in dem Originalwerke fehlen, und ebenso zwei
Vergilverse cp. 19, 3. 48, 11.
Dem folgenden Jahrhundert gehören zwei gleichfalls auf uns
gekommene Bücher an, die sogenannte Epitome de Caesaribus,
welche in den Handschriften betitelt ist: libeUus de vita et mori-
bus imperatorum breviatus ex libris Sex. Aurelii Victoris, und
die Epitoma rei militaris von Flavius Vegetius Renatus.
Die erstgenannte Schrift kann nur für die julischen und flavischen
Kaiser eine Überarbeitung des Aurelius Victor genannt werden, mit
Zusätzen aus Sueton u. s. w. In der Überschrift des letzteren, aus
vier Büchern bestehenden Werkes erscheint das Wort Epitoma
geradezu in einer neuen Bedeutung, da zwar viele ältere Autoren
benützt sind (apud diversos historicos vel armorum disciplinam
docentes dispersa pro utilitate Roniana proferantur in medium.
Praef. lib. 1), aber keiner excerpiert ist. Dies ist auch darum
geradezu außgeschlossen, weil das aktuelle und Reformen an-
bahnende Buch nur aus der Gegenwart zu verstehen ist und die
gelehrten Notizen nur untergeordneten Wert haben. So möchte
man Epitoma (in hoc parvo libello. Praef.) etwa als ^kurzgefafstes
Handbuch' verstehen. Vgl. 1, 8 quae dispersa sunt, velut in ordinem
(systematisch) epitomata conscribo. Vgl. oben S. 334 atsQuodsv-
xag iv inixo^f]. Ebenso ist aber auch die Mulomedicina des-
selben Verfassers in 6 (bezw. 4) Büchern als Epitome gedacht,
nach Praef. § 6: haue operam non invitus arripui, ut conductis in
unum Latinis dumtaxat auctoribus universis, adhibitis etiam mulome-
dicis . . . plene ac breviter omnia [in speciem?] epitomae dige-
rerem, worin zugleich ein Beweis für die Identiät der beiden Ver-
fasser liegt. Über die Epitoma Alexandri Magni vgl. Arch. XII 196.
In noch spätere Zeit wäre das Schriftchen des Exuperantius
über den ersten Bürgerkrieg zu setzen, welches als Excei'pt aus
Sallüsts Historien zu betrachten ist; indessen sind wir über den
Titel desselben nicht unterrichtet. Epitome darf als wahrscheinlich
bezeichnet werden, da auch die beiden Auszüge aus Valerius
Maximus so überschrieben sind; vgl. Julius Paris, praef.: decem
340 Ed. Wölfflin:
Valerii Maximi libros dictonun et factorum memorabilium ad
unum Volumen epitomae coegi. Bekannt ist aber durch Kempf,
dafs Paris den Val. Max. gelegentlich aus den Quellen berichtigte,
auch den Originalausdruck derselben herstellte^ z. B. 2, 1 Marium
praetorem . . . per singulos artus puniens mori coegit = Sali!
bist. 1, 44 ut per singulos artus expiraret = Val. Max. 2, 1, 1
per singulas corporis partes. Schlägt man aber die Epitome des
lanuarius Nepotianus nach^ so findet man am Rande vieler
Paragraphen: ^omittit Valerius'; und doch sagt der Verf. von
«einem Opus: nemo epitomata cognoscat. Also auch hier ein
Auszug mit Zusätzen. Ebensosehr nimmt der Verf. aber auch
das Recht in Anspruch^ ganze Partien zu übergehen: recidam
redundantia et pleraque transgrediar, nonnulla praetermissa co-
nectam. Von Novatian schreibt Hier. vir. ill. 80: scripsit de tri-
nitate grande volumen, quasi i:nrofiiiv operis Tertulliani faciens.
Auson. epigr. 23 (19) de tribus Suetonii libris (de regibus) in
epitomen coegisti etc. Die 'dimensuratio provinciarum' bei Riese
Geogr. min. p. 9 ff. wird am Schlüsse § 31 als epitome totius orbis
bezeichnet.
Bestand eine Epitoma aus mehreren Büchern^ so konnten die
einzelnen Epitoma genannt werden, und diesen Pluralgebrauch
finden wir schon in früher Zeit. Diomedes Gramm, lat. I 365, 7
apud FenesteUam in libro epitomarum secundo. Columella 1,
1, 10: Diophanes Bithynius Uticensem totum Dionysium, Poeni
Magonis interpretem, per raulta diffusum volumina sex epitomis
circumscripsit. So wird man wohl zugeben müssen, dafs das
Wort Epitome in der Geschichte der römischen Litteratur viel
häufiger begegnet als in der griechischen; in der tironischen Steno-
graphie lautete die Abkürzung: E(p)Ma. Die Glossarien erklären
das Wort mit adbreviatio oder breviarium; die wörtliche
Übersetzung ist ^supercisio' (^:ti-zmv(o), quae de maiore corpore
librorum carptim ac defloratim excerpitur, quae alio nomine bre-
Tis expositio*) ac succincta potest appellari: quo nomine solent
Graecorum auctores succinctas ac defloratas ex aliis doctoribus
*) Nach diesem Zeugnisse der Glossographen kann ich der Ansicht
von Ritschi und Opitz nicht mehr beipflichten, wonach die Caesares des
Aurelius Victor, weil sie ^Historia abbreviata' betitelt sind (vgl. die Ausgabe
von Franz Pichlmayr, Monach. 18i)2), ein 'Auszug' sein müTsten und kein
Originalwerk sein könnten. Vgl. Herm. Peter, Geschichtl. Litter. der röm.
Kaiserzeit 11 132.
Epitome. 341
expositiunculas appellare . . . Cassiod. Gramm. VII 199, 9 quasi
per epitomam repetere.
Da wir damit auf die Synonyma gekommen sind, so ver-
steht man unter xsQtoxrj eine blofse Inhaltsangabe, wie wir
solche Yon den Büchern des Livius besitzen; sie sollten dem
Leser bei dem Nachschlagen behilflich sein und vertreten gleich-
sam die Stelle von Sachregistern, während eine £pitoma einen
an sich lesenswerten Te^t geben sollte. So hat auch Ausonius
(oder des anonyme Verf.) seine Inhaltsangaben zu Homers Ilias und
Odyssee Periochae betitelt, die einzelnen Bücher jedoch sehr un-
gleich behandelt, z. B. das 23. Buch der üias mit drei Zeilen
abgethan, während er sich für andere Bücher bis gegen 20 ge-
stattet hat. Dafür heifst es in der Vorrede: breviter et in epito-
mae sj)eciem belli Troici causam, origines . . . retexuimus. Im
Unterschiede dazu hat Baehrens die Ilias latina des Italiens nicht
mit Unrecht Epitoma genannt, weil auf die 24 Bücher 1070 Verse
verwendet sind, in sehr ungleicher Verteilung, obschon nach der
Handschrift diese Überschrift nicht von dem Dichter herstammt.
— Gloss. emend. II 72.
Als Lucilius von Seneca (Epist. 39, 1) seine Kommentarien in
an'gnstum coactos verlangte, versprach ihm dieser ein solches Bre-
viarium nach modernem Sprachgebrauch: olim, cum latine
loqneremur, summarium vocabatur. Da breviarium kein Fremd-
wort ist, so meint wohl Seneca, es sei eine schlechte, unlateinische
Bildung, da man Neutra auf -arium nur von Substantiven ableite,
z. B. pulvinarium, granariura, vinarium, cibarium, oneraria, ferraria.
Aber wenn summarium gewifs von dem Substantiv summa, nicht
von summus abgeleitet ist, so gut wie consummare von summa,
wer kann uns verbieten, breviarium auf ein substantiviertes breve
zurückzuführen, wie bellaria auf ein substantiviertes bella, Süfsig-
keiten? Von diesem alten Summarium wissen wir freilich weiter
nichts. Breviarium hat Sueton mehrmals gebraucht, z. B. Gramm. 10,
nach welcher Stelle Ateius Philologus den Sallust, als er sich der
Geschichtschreibung zuwandte, mit einem Breviarium rerum omnium
Romanarum unterstützte. Auch hat ja Eutrop sein Büchlein
Breviarium ab urbe condita betitelt, anklingend an den Titel des
Livius. Er versah am Hofe des Kaisers Valens das Amt eines
magister memoriae und war also gewissermafsen eüi Nomenciator
höheren Stiles. Und in der That bedurften manche Kaiser einer
solchen gelehrten Nachhilfe, wie schon der Kaiser Macrinus sich
342 Ed. Wölfflin:
bei L. Ampelius einen möglichst kurzen ^Liber memorialis' be-
stellt hatte. So entstand auf allerhöchsten Wunsch das Brevia-
rium, dessen Verf. in der Vorrede schreibt: res Romanas brevi
narratione coUegi strictim; ebenso das Breviarium des Rufus
Festus, welcher gleichfalls magister memoriae war (Praef. bre-
vem fieri dementia tua praecepit). Dafs aber Eutrop nicht nur
eine Epitoma Livii kürzte, sondern ein Fünftel anderweitiger
Nachrichten beimischte, dafs er für die Kaiserzeit nicht nur Sue-
ton, sondern die Scriptores historiae Augustae und die Chronik
vom Jahre 354 benützte, ist längst bekannt. Vgl. Herrn. Peter,
Hist. Litt. II 349. Also gilt nur a parte potiori, was Suidas
schreibt p. G6 Beruh.: ^£Tciq)Qcc6tv ri^g i7cnoaf\g EvtqojtCov 'JRbj-
liui'örl tziTeuövrog ACßiov^ epitoma aber deckt sich mit dem
lateinischen Ausdrucke breviarium. Aiübros. Tob. praef. strictius
comprehendamus quodam brevi ario colligentes. Über das Bre-
viarium (raediciiia) Plinii vgl. Praef 7 ut undique valetudinis
auxilia contraherem et velut brevi ario c olligerem.
Dafs übrigens von dem Philosophen Seneca an breviarium
durchdrang, beweist nicht nur die Litteratur des Spätlateins,
sondern auch das Fortleben des Wortes in unserem *Brevier\
Vor allem jedoch ist zu beachten, dafs das Wort nicht notwendig
eine abgekürzte Fassung eines ausführlicheren Originales, sondern
ebenso gut eine 'kurze Darstellung' bezeichnen kann. So schon
bei PI in. nat. hist. 7, 97 nach einer Aufzählung der von Pompeius
in Asien erfochtenen Siege, wie sie im Minervatempel zu lesen
war: hoc est breviarium eins ab Oriente; 18, 230 ut omnis cul-
turae quoddam breviarium peragatur, eodem tempore conveniet
arbores stercorare. Ja schon Augustus hatte ein Breviarium
totius imperii mit Angabe der Stärke der Garnisonen (Snet. Aug.
101 ) hinterlassen; im Leben des Galba (cp. 12) wird ein brevia-
rium rationum { = rationarium Suet. Aug. 28) des Dispensators
erwähnt, und im Vespas. 21 sind die officiorum breviaria genannt.
Wenn derselbe Sueton gramni. 10 berichtet, dufs Ateius Philo-
logus auf Wunsch des Sallust ein breviarium rerum omnium
Komanarum verfällst habe, so mag damit freilich nicht bewiesen
sein, dafs er selbst seinem A))risse diesen Titel gegeben hatte.
Tertullian bezeichnet in der Schrift de orat. 1 das Vaterunser als
ein breviarium totius evangelii. Vgl. noch Paul. Nol. epist. append.
2, 14 totius iustitiae breviarium. Cassian inst. 4, 43 qnae latiore
Sermone digesta sunt, ex his breviarium colligam. Boet. vol. 11
Epitome. 343
251, 9 Meis. huius libri quoddam breviariuin facimus. Itin. Alex.
2. Symmach. epist. 6, G5 (66), 1. S. Hieron. epist. 148, 14. Leo
Magn. epist. 113, 3. Corp. gloss. Wenn wir nun oben gezeigt
haben, dafs Epitoma manclunal die Bedeutung von ^Abrifs, Hand-
buch* habe, so ist es nicht unwahrscheinlich, dafs diese Ver-
schiebung durch das Wort breviarium beeinflufst worden ist; denn
in den Glossarien werden breviarium und epitome gleichgestellt.
Für die Formen brevis (sc. liber) und breve (=3 brevia-
rium, woraus Brief) giebt schon Forcelliüi zahlreiche Belege,
welche mit den Script, bist. Aug. beginnen. Wir tragen nach:
Optat. Mil. p. 20, 5 Z. brevis (Verzeichnis) auri traditur. Veget.
epit. 2, 19 nomina eorum brevibus inseruntur; ibid. quando quis
commeatum acceperit, adnotatur in brevibus. Cassiod. var. 4,21, 1.
5, 31, 1 reliquos quos brevis subter adnexus eloquitur; ähnlich
12, 8, 2. Cod. Theodos. 1, 16, 3 (a. 319); 10, 16, 3 (377); 11,25, 1
(393). Cod. lustin. Reg. Bened. 32 abbas brevem teneat (ferra-
mentorum vel vestium). Corp. inscr. lat. VI 1711.
Häufig ist im Spätlatein das Verbum breviare und abbre-
riare geworden. So schrieb schon vor der Mitte des 4. Jahr-
hunderts Faventinus einen 'artis architectonicae privatis usibus
abbreviatus liber', welchen schon Palladius benützte: es war nicht
nur eine Epitome aus Vitruv, sondern die Disposition ist abge-
ändert und ein Anhang aus ganz anderer Quelle beigefügt.
Über die Epitome de Caesaribus (libellus breviatus) vgl. oben S. 339.
Oros. 1, 12, 1 praeterire plurima, cuncta breviare (1, 8, 1 Pompeius
historicus eiusque breviator lustinus). Hieron. epist. 65, 7. 120, 10.
lord. Rom. 114 opus breviatum.
Es ergiebt sich daraus von selbst, was wir von der Abbre-
•viatio chronicorum (de origine actibusque Getarum) des Jordanes
zu halten haben, von welcher es im Vorworte § 1 heifst: suades,
ut nostris verbis duodecem Senatoris (Cassiodori) volumina de
origine actusque Getarum ab olim et usque nunc per genera-
tiones regesque descendentem in uno et hoc parvo libello choar-
tem. Unbeschadet der Thatsache, dafs Jordanes ein Abschreiber
und Plagiator war (wir erinnern nur an die Behandlung des
Florus und des Rufinus), mufs man immer die Möglichkeit oflfen
halten, dafs er einzelne Notizen von sich aus eingeschaltet habe,
wie dies nun einmal in dem Charakter aller Auszüge jener Zeit
liegt. — Breviatio pedum (Versfüfse) ist = brevis expositio.
Der moderne Ausdruck compendium scheint nicht unlatei-
344 Ed. Wölfflin: Epitome.
nisch: Solin nennt sein Excerpt aus Plinius einen liber ad conpendium
praeparatus; dafs aber auTser Plinius noch eine Chorographia und
anderes Unbekannte benützt ist^ hat Mommsen nachgewiesen.
Nonius betitelte sein Werk Compendiosa doctrina; aber über die
Quelle sind wir ungenügend unterrichtet, weil die Vorrede ver-
loren gegangen ist. Priscian inst, praef. 4 stellt gegenüber spatiosa
Yolumina und compendiosa scripta. Offenbar ist der Ausdruck
von compendium viae (abkürzender Weg) ausgegangen, und der
Tropus ist schon bei Quintilian 1, 1, 24 vorbereitet: brevia do-
icendi monstrare compendia. Gleichwohl ist mir keine Stelle be-
kannt, an welcher ein ^Buch' compendium genannt wäre; doch
kommt schon nahe lulius Sever. praef. 1 certos ad compendium
gymnasii forensis tramites constitui. Auch erklärt Halm das
Substantiv mit *breve praeceptum' in der Stelle des Victorinus
p. 179, 7 primum hoc debemus scire compendium = p. 189, 38*
197,5.
Überall zeigt sich bei den Römern, auch wo sie nur kürzen
wollen und sollen, das Bestreben, Abänderungen oder Zu^tze zu
machen; die Benützung einer zweiten Quelle (Kontamination) ist
ihnen zur Gewohnheit geworden. Wie viel mögen nun diejenigen
beigemischt haben, welche sich nicht als Epitomatoren geben,
Eondem versichern, den Stoff selbständig dargestellt zu haben?
Oder, mit anderen Worten, wie grofsen Schaden müssen wir an-
gerichtet haben, indem wir glaubten und andere glauben machten,
alle römischen Historiker hätten nur jeweilen eine ältere Vorlage
•in neue Worte umgegossen und gleichwohl ihre Leser so düpiert,
dafs man sie für Geschichtsforscher hielt? Wie kann man Origi^-
nal und Überarbeitung identifizieren, wenn beide sich oft nicht
decken? Wohl wissen wir, dafs ein modemer Kunsthistoriker ab-
schrieb, ohne seine Quelle zu nennen; allein die alten Klassiker
würden sich doch mit Recht bedanken, wenn man über sie das
Urteil verhängte, welches sie so hinstellt, als hätten sie ohne Aus-
nahme das Gleiche gethan. Suum cuique!
München. Ed. Wölfflin.
Plinius und Oluvius Eufas.
Die heatzutage beliebten Forschungen über Quellenbenützung
seitens der alten Historiker haben bekanntlich manchmal auch
eine sprachliche Seite, und es ist dies immer mit Freuden zu be-
grüfsen, da auf diesem Boden sicherere Resultate erzielt werden
können als bei der Rechnung mit unbekannten Gröfsen. Der
Verlust so vieler alter Autoren hat uns allmählich in die Lage
versetzt, dafs wir oft als gegeben hinnehmen, was nur als denk-
bar erscheint oder was nicht als unmöglich erwiesen werden kann.
Ein Beispiel dieser Art führt uns auf Tacitus.
Da die Worte des Tacitus bist. 1, 81 cum timeret Otho,
timebatur sich mit Plutarch Otho «S decken (poßov^svog . . . {v
fpoßeQogf so kann dies um so weniger Zufall sein, als beide Sätze
sich auf dieselbe Situation, auf eine durch die Prätorianer über-
raschte Gesellschaft bei Hofe, beziehen. Für dieses Zusammen-
treffen mufs also, wie Herm. Peter, Geschichtl. Litter. H 275,
richtig bemerkt, eine Erklärung gesucht werden. Wer also für
Tacitus und Plutarch eine gemeinsame Quelle annimmt, mufs die
Phrase diesem Autor zuweisen. Nach Nissen, Herm. Peter,
Gercke u. a. wäre dies der ältere Plinius, welcher ja auch ge-
schichtliche Werke geschrieben hat. Dieser soll sich nach Gercke,
Senecastudien S. 176, der Form timendo timebatur bedient haben,
da wir in der Nat. bist. 24, 5 die ähnliche Konstruktion vincendo
victi sumus finden. Und dies giebt uns das Recht wie die Pflicht,
mit der sprachlichen Laterne hineinzuleuchten.
Zu den berühmtesten Antithesen aktiver imd passiver Verbal-
formen gehört wohl der Ausspruch, welchen der Philosoph
Aristipp mit Beziehung auf die Hetäre Lais that: ixcs^ ovx ex^fiai,
Diog. Laert. 2, 75. Athen. 12, 544D und mehr in dem Kommentare
des Menagius zu Diog. Laertius. Dafs dieses Wort auch den
römischen Schriftstellern bekannt war, beweisen Cic. epist. 9, 26, 2:
Aristippus ille Socraticus, cum esset obiectum habere eum Laida,
Habeo, inquit, non habeor. Lact. inst. 3, 15, 15 multum inter
346 Ed. Wölfflin:
se et ceteros Laidis amatores Interesse^ quod ipse haberet Laidem^
alii a Laide haberentur. Daran erinnert auch der philosophische
Satz des Sallust lug. 2^ 3 animus aetemus^ rector humani generis,
habet cuncta neque ipse habetur. Der Geist ist über alles er-
haben und kennt keinen Herrscher über sich. Darum kehrt auch
die Phrase bei dem Philosophen Seneca wieder, Dial. 3, 17, 1:
haec arma^ quae Aristoteles yirtuti dat, ipsa per se pugnant, non
expectant manum, et habent, non habentur. Vgl. auch DiaL 7, 14, 1
ceterum non ipsi voluptatem, sed ipsos voluptas habet. Episi22, 11.
Aber nicht immer schliefsen sich Aktiv und Passiv streng aus,
es kann auch vorkommen, dafs beide ineinanderfiiefsen, wie in
dem anonymen Tractat De divitiis cap. 2 (Caspari, Briefe, Ab-
handlungen und Predigten 1890 S. 26): si tamen avarus possidet
et non potius possidetur. Dies ist offenbar eine jüngere Form
und die den Gegensatz ausschliefsende Negation im zweiten Satz-
gliede das Ursprüngliche. Und da man teuere so gut wie possi-
dere als Sjnonymum von habere betrachten mufs, so sei hier
gleich auf Cicero Tim. 48 verwiesen: illi (ambitus) in flumen
immersi neque tenebant neque tenebantur. Die mit Homer be-
ginnenden griechischen Parallelen findet man am besten in dem
Programme von Ed. Aug. Diller, De vocibus eiusdem originis
copulatis, Meifsen 1842, p. 20 sq.
Dem Begriffe des Beherrschens und Beherrschtwerdens liegt
nahe das Verbum vincere, welches uns eine zweite Reihe von
Beispielen liefert; der Autor aber ist der nämliche Philosoph
Seneca. Dial. 4, 34, 5 von einem Erzürnten, welchem mit Wohl-
thaten vergolten wird: victus est qui vicit. Epist. 51, 6 armis
vicit, vitiis victus est; 94, 61 hi quoque, ut vincerent hostem,
cupiditate victi sunt; 120, 6 eiusdem animi fuit, auro non vinci,
veneno non vincere. Lucan 1, 128 victrix causa diis placuit, sed
victa Catoni. Livius 23, 13, 4. Flor. 1, 22 (2, 6), 1. Plato Tim.
43 A (cd %bqIoSol '^vxfiq) . . . oör' bxqcctovv oiJr' ixQarovvto, Auch
hier also kann der victor mit dem victus identisch sein, und dieser
scheinbare Widerspruch ist es eben, welcher einem rhetorisch
und philosophisch ausgebildeten Schriftsteller gefallen wird. Und
so hat denn Plinius in einer philosophischen Betrachtung Nat.
bist. 24, 5 die Worte ^geschrieben: magnitudine populi R. periit
ritus viucendoque victi sumus, welche gleichsam eine Weiter-
bildung der alten Phrase pugnando vincere ist. Wir haben hier
die auftauchende Form des Genmdiums zu beachten und zu be-
PliniuB und Cluvius Rufus. 347
merken^ dafs dieselbe im Kirchenlatein, wenn auch mit veränderter
Bedeutung y weitere Verbreitung gefunden hat. Hier drückt die
Konstruktion keinen Gegensatz aus^ sondern^ wie die meisten
Formen der Figura etymologica, eine Verstärkung, und zwar ist
das Gerundium Übersetzung des hebräischen Infinitivs, welcher
einer aktiven oder passiven Verbalform beigegeben wird. Also
finden wir in der Übersetzung von Reg. 19, 10 aemulando
aemulatus sum, wofür Hieronymus änderte: zelo zelatus sum.
Die griechische Septuaginta hat I Sam. 2, 25 cc^UQtccvov cc^iaQtdvrj,
Cyprian delinquendo peccet (mit Eintausch eines Synonymums,
wie proelium pugnare), Hieronymus aber blofs peccaverit.
lerem. 38, 3 ist tradendo tradetur (Septuag. nuQadiÖoaavrj
xagado^r^aerat) auch in der Vulgata stehen geblieben. Vgl.
G. R. Hauschild, Die Verbindung finiter und infiniter Verbalformen
desselben Stammes in einigen Bibelsprachen, Frankf. am Main
1803, S. 22 (= Sonderabdruck aus den Berichten des freien
deutschen Hochstifkes, Jahrg. 1893, Heft 2).
Einen dritten Gegensatz bildet bei den Griechen 'beherrschen'
mit dem Medium 'sich beherrschen lassen', &Q%Btv und &Qii6%'aiy
schon bei Solon (Diog. Laert. 1, 60) a^xt %qg}xov (lad-iov aQxsfJ&ca.
Sopk Ant. 633. Plato leg. 12, 942 C. Demoer. bei Stob. flor. 44, 14.
Da aber im Lateinischen imperare nicht transitiv ist, so nahm
der Gegensatz die Form an: sibi, aliis imperare.
Wenden wir uns zu der vierten Gruppe, den Verben des
Fürchtens, so hat hier die Form des Gerundiums, welche Gercke
voraussetzt, gar keinen Eingang gefunden; auch ist die ursprüng-
liche Anwendimg des Ausschlusses mit der Negation in einem
Gliede Seltenheit geblieben, z. B. Novatian, Tractat p. 69, 2 Batif-
fol: leo, dum nihil timet, ipse timetur ab omnibus. Gewöhnlich
ist der Gedanke der, dafs der Gefürchtete selbst fürchtet, wie die
meisten Gewalthaber. Wahrscheinlich sind auch hier griechische
Vorbilder anzunehmen, doch kann den Sprüchen, welche später
unter dem Namen der sieben Weisen liefen, keine vollständige
Autorität beigemessen werden. Vgl. Antonius Melissus Scrm. I
162, 19 Orelli opusc. mor. (von Solon) 6 :tokXoig (poßsQog iov
jtoXXovg q)oßBC(i^(o. Auson. VH Sap. (Periander) Multis terribilis
multos timeto. Die ältesten Belege der römischen Litteratur
reichen bis an das Ende der Republik zurück. Laber. Rib. 126
Necesse est multos timeat, quem multi timent. Publil. Syr. 338
Multos timere debet, quem multi timent. In passiver Form. Anon.
348 . Ed. Wölfflin:
de mor. 61 qui a multis timetur, multos timet (^ Sen. Monita
14). Sen. epist. 105, 4 qui timetur, timet. Noch schärfer der-
selbe im Oedip. 705 qui sceptra duro saevus imperio regit, timet
timentes: .metus in auetorem redit. Cic. rep. 2, 45 (von Tarquinius
Superbus) cum metueret ipse, metui se volebat. Sen. Mon. 199
nemo timeri potest sine suo timore. Noch viele andere Varia-
tionen liefsen sich hier anführen, z. B. Cic. nat. d. 1, 8(3 vidi qui
ea, quae timenda esse negaret, timeret. Cic. p. Mil. 66. p. Plane.
99 non qui minus timeret, sed si acciderent ea, quae timerentur,
mecum ea subire. Laber. 126. Anon. de mor. 99 qui paupertatem
timet, quam timidus est. Lact. inst. 6, 17, 5 nemo dubitat, quin
timidi sit animi metuere egestatem. Paneg. p. 227, 13B. nihil
magis timuisti quam ne timereris: 302, 31 qui nihil magis timue-
rat quam timeri. Sidon. Apoll, epist. 1, 2, 8 timet timeri; 4, 21, 4
sie deum timens, ut ab hominibus metueretur. Damit ist das
Leben der Phrase in der Rhetorschule bewiesen.
Nach allem dem ist es für einen methodisch geschulten
Philologen unmöglich, die taciteischen Worte cum timeret, time-
batur auf ein hypothetisches timeudo timere des Plinius zurück-
zuführen; denn die Gerundialform kann nicht belegt werden, und
für den Nebensatz mit cion oder dum haben wir Parallelen aus
Cicero und Novatian.
Die Diskussion über die zweite Erklärung, die Worte aus Cluvius
Ruf US herzuleiten, den man als die gemeinsame Quelle des Tacitus
und Plutarch bezeichnet hat, ist gegenstandslos, da wir von Cl.
K. kein lateinisches Wort besitzen und somit eine Vergleichung
des Lateins nicht angestellt werden kami.
Die dritte Erklärung bestünde nun offenbar darin, die Worte
dem Tacitus selbst zuzuteilen, und sie scheint in der That nahe
genug zu liegen. Ja Ilerra. Peter nennt dieselben 'echt taciteisch',
und mir seine Quellenforschungen nötigen ihn, einen älteren Autor
zu suchen, den er freilich nicht findet. Die philosophischen
Schriften des Seneca, welche Tacitus so fleifsig gelesen hatte (vgl.
Arch. XII 121. Max Zimmennaim, De Tacito Senecae imitatore),
erklären ims ja, wie Tacitus auf die Wendung kommen mufste,
und indem er seinen Worten den Satz beifügt: ut evenit inclinatis
ad suspicionem mentibus, erscheint ihm der Gedanke als ein der
Psveholoffie entnommener. Nun hat aber aufeerdem Tacitus
denselben schon im Dialogus 13 ausgesprochen, wo es von den
Sachwaltern heifst: quid habent in hac sua fortuna concupiscen-
Plinius und Cluvius Rufug. 349
dum? quod timent an quod timentur? Auch hier hat er sich an
die Antithese aktiver und passiver Form gehalten, und der Ge-
danke stimmt insofern mit der Philosophie des Seneca überein,
als dieselben Advokaten sowohl gefürchtet werden, als selbst in
Furcht schweben. Denmach führt die unparteiische Prüfung
darauf, das taciteische Gepräge der Worte anzuerkennen und das
Suchen nach einem älteren Historiker aufzugeben. Die Schwäche
der Beweisführung von Gercke zeigt sich schon darin, dafs er die
Worte des Plinius 33, 25 signantem signent zur Unterstützung
seines willkürlich konstruierten Sprachgebrauches heranzieht, wäh-
rend doch, wer alle, auch die heterogensten Spielarten, der Figura
etymologica zusammenmengt, den Boden unter den Füfsen ver-
liert. Wenn auch die Geschichte der behandelten Ausdrucksform
noch nicht geschrieben ist, so liefsen sich doch viel nähere Be-
lege beibringen, z. B. das bekannte Wort des Horatius: Gra^cia
capta ferum cepit victorem, oder der Vers des Ovid: spectatum
veniunt, veniunt spectentur ut ipsae. Und es darf nochmals aus-
drücklich betont werden, dafs gerade der Philosoph Seneca solche
schiUemden Farben liebt. Dial. 7, 14, 2 (voluptates) in magnum
malum evasere, captaeque cepere, unmittelbar nach dem bereits
erwähnten Satze: non ipsi voluptatem, sed ipsos voluptas habet.
Epist. 86, 11 decoquebatur — concoqueret. 90, 31 haec inventa
sunt, postquam sapientem invenire desimus.
Wenn G. Andresen in der Besprechung meiner Akademie-
abhandlung 'Zur Komposition der Historien des Tacitus' (Münchn.
Sitz.-Ber. 1901 S. 3 — 52), in welcher ich mit Vermeidung per-
sönlicher Polemik die Cluviushypothese zu widerlegen versuchte,
die von mir zuerst nachgewiesene Dialogusstelle 13 nicht einmal
der Erwähnung wert erachtet, obwohl sie entscheidend ist, so
mufs ich ihn doch auffordern, statt subjektiver Ansichten
(Wochenschr. f. klass. Philologie 1901, 438 * scheint mir', S^er-
mute ich') lieber positive Sätze zu formulieren, die sich diskutieren
lassen, bezw. die Priorität der Worte Plutarchs q)oßov^€vog . . tjv
ipoßsQÖg zu erweisen.
Dies führt uns auf die Abfassuugszeit der drei ersten Histo-
rienbücher des Tacitus, sowie der Otho- und Galbabiographie des
Plutarch. Der neue von mir geltend gemachte, aber von Andresen
mit Stillschweigen übergangene Gesichtspunkt besteht darin, dafs
wir nach Analogie der Schriftstellerei des jüngeren Plinius und
anderer Litteraturwerke nicht mit einer Gesamtausgabe der 12
Archiv fttr lat. Lexikogr. XII. Heft 3. 24
350 Ed. Wölfflin:
(14?) Bücher Historien, sondern nur mit einer Trias zu rechnen
haben. Dafs die ersten Bücher Aufsehen erregten, wissen wir
aus Plinius, und es begreift sich deshalb, dafs Plutarch eine
solche Darstellung benützte, um einen Galba imd Otho zu schrei-
ben. Wenn nun Andresen, um zu widersprechen, auf eine ver-
loren gegangene Biographie des Vitellius verweist, so hat er im
Eifer übersehen, dafs er damit nur Wasser auf meine Mühle ge-
leitet hat; denn dann erst recht entsprechen die drei Biographien
Plutarchs der halben Hexade des Tacitus. Dieser komponierte ja
auch die Annalen nach Hexaden und Triaden, und die ersten drei
Bücher Historien umfafsten die Regierung des Galba, Otho und
Vitellius. Dafs Plutarch Biographien nach Triaden gegliedert
hätte, davon wissen wir nichts.
Übrigens verlohnt es sich, in dieser Frage das Urteil von
Lipsius zu hören, welcher wohl seinen Tacitus besser gekannt
hat als jeder von uns. Er schreibt zu Tac. bist. 2,39: totum
himc locum verbatim expressit Plutarchus, etsi haud multum
aetate nostro inferior. Zu bist. 2, 77: Plutarchus, quamquam aevo
compar, multa verbatim ex hac historia convertit. Wir können
hinzufügen, dafs auch die neueren Herausgeber, Halm, Müller^
Heraus, Meiser, derselben Ansicht sind, beziehungsweise gewesen
sind, und dafs sich Schwabe in Wissowas Realencyklopädie VH 1579
ihnen anschliefst. Ja Prof. Otto Hirschfeld, welcher in seiner Special-
vorlesung das Gleiche gelehrt hat, gedenkt eine Miscelle zu ver-
öffentlichen, in welcher er ein neues historisches Argument für die
späte Abfassung der drei Einzelbiographien Plutarchs vorlegen wird.
Umgekehrt läfst sich die Herausgabe des Anfanges der
Historien viel weiter hinaufrücken, als man gewöhnlich annimmt.
Der Panegyricus des jüngeren Plinius enthält zahlreiche Anklänge
an das erste Buch der Historien, weil die Adoption Nerva-Traian
unwillkürlich an Galba-Piso erinnerte. Vgl. bist. 1, 15 in domo
(Augustus) succesorem quaesivit = Paneg. 7 an successo-
rem . . intra domum tuam quaeras, und mit Recht hat Morawski
in den Rhetonim ampullae p. 7 (1901) die Wendung des Plinius
als Nachbildung bezeichnet. Da nun der Panegyricus nach dem
Konsulate niedergeschrieben ist, so mufs Plinius, welcher das Mskr.
des Tacitus zur Durchsicht erliielt, dasselbe schon im Jahre 101 in
Händen gehabt haben. Dafs Tacitus mit den Worten 1, 16 (adoj)-*
tandi iudicium integrum) an Nerva-Trajan gedacht, bemerkt Momm-
sen Rom. Staatsrecht IP 1081, Note 1.
Plinius und Cluvius Hufus. 351
Weiterhin hatte ich ausgesprochen^ dafs die historische Ein-
leitung (cap. 4 — 12) von Tacitus verfafst sein müsse, weil sie nur
für die Historien pafst und den Leser für den abrupten Anfang
des Werkes mit dem Neujahr des J. G9 entschädigen soll. Nun
hat aber Plutarch einen Satz dieser Überschrift sich angeeignet,
nämlich Galba 18 ix dh rovtov xal tä nstQias XQatrö^eva dia-
ßoJiiiv alx^v = Tac hist. 1, 7 seu bene seu male facta perinde in-
vidiam adferebant. Es ist in der That merkwürdig, dafs bisher
niemand die Identität beider Stellen beachtet hat, obschon durch
Plutarch die Richtigkeit der Konjektur Bezzenbergers (invidiam)
bestätigt wird. Andresen stellt in Abrede, dafs die Stellen sich
decken, da Plutarch nicht seu bene facta sondern etiam {xaC)
bene facta übersetzt habe, was nicht bei Tacitus stehe. Dagegen
wies ich nach, dafs Tacitus mit augenfälliger Vorliebe sive — sive
(seu — seu) gebrauche, und gegen die Zumutung, dafs Plutarch
nur Wort um Wort und Silbe um Silbe übersetzen, nicht einmal
eine freiere Wendung gebrauchen dürfe, müssen wir Einsprache
erheben, da wir die Klassiker unmöglich in solche Zwangsjacken
stecken können. Man kann wohl darüber streiten, ob man /if-
xqCg}^ im Sinne von äÖuc^6Q(og oder von 6(oq)Q6v(og verstehen
solle; allein darauf kommt es gar nicht an, da die Verwandt-
schaft der beiden Stellen doch bestehen bleibt. Im Gegenteil:
die von Andresen angenommene Übersetzung (6(oq)Q6v(og) verrät
die Abhängigkeit noch viel deutlicher. Es war doch eine rheto-
rische Übertreibung des Tacitus, wenn die vernünftigen Mafsregeln
des Galba in gleicher Weise Hafs einbrachten wie die verkehrten,
und man kann es nur (ausnahmsweise) als eine stillschweigende
Verbesserung des Plutarch betrachten, wenn er dafür den Sinn
eintauschte: auch (sogar) die guten Regierungshandlungen machten
den Kaiser verhafst. Wer an der Beziehung der beiderseitigen
Stellen festhält (die Leser können ja selbst entscheiden), der mufs
in dem allzu spitzen seu bene seu male facta das Original, in
T« fiexQCag TC^arroiLavu eine Abschleifung finden, unmöglich um-
gekehrt. Andresen seinerseits bezeichnet das Argument als 'hin-
fällig'. Wenn er aber noch hinzufügt, Tacitus bringe die Notiz
an anderer Stelle, d. h. in anderem Zusammenhange als Plutarch,
so müssen wir diese sich überall wiederholende Petitio principii
ablehnen. Immer und immer müssen wir das Unglaubliche lesen,
dafs die alten Historiker nur wörtlich und buchstäblich abge-
schrieben, bezw. übersetzt, dafs sie die einzelnen Züge immer genau
24*
352 Ed. Wölfflin:
in der gleichen Reihenfolge belassen, nie anders gruppiert, endlich,
dafs sie immer nur einen Autor ausgeschlachtet, nie zwei kom-
biniert hätten. Diese ehernen Gesetze sind ja nur Nebelwolken,
und wenn wir uns lange genug redlich bemüht haben, diese An-
schauungen zu den unserigen zu machen, so gebietet uns doch
auch die Pflicht der Selbsterhaltung, dafür zu sorgen, dafs unser
logisches Denken nicht verwirrt werde und Schaden nehme.
Einstweilen haben wir es in diesem Hefte S. 333 flf. unter-
nommen, den Verfassern von Epitomen ihre Freiheit geistiger
Bewegung zurückzugeben. In die Interpretation einzelner Stellen
dürfen wir uns hier um so weniger einlassen, als nur selten
lexikographische oder grammatikalische Fragen in Betracht kom-
men. Nur einige allgemeinere Gesichtspunkte mögen hier noch
mit kurzen Worten hervorgehoben werden:
Auf meine Bemerkung, das beide Hände in Anspruch neh-
mende Lesen der Papyrusrolle mache ein Abschreiben unmöglich,
entgegnet Andr. die Schwierigkeit hätte sich mit Hilfe eines
Sklaven leicht überwinden lassen. Wir werden ims hier an die
Darstellungen der bildenden Kunst halten müssen, welche uns den
Akt des Lesens nicht verborgen hat. Es wird daher Sache von
Andr. sein, eine Abbildung nachzuweisen, welche uns den zu
Hilfe gezogenen Sklaven und den schreibenden Autor zeigt.
Was aber die Umstellung der einer älteren Quelle entnom-
menen Angaben betrifft, welche für A. das letzte Notargument
bleibt, um direkte Benützung zu leugnen, wo alles für eine
solche spricht, so haben die griechischen wie die römischen
Historiker sich eine grofse Freiheit in der selbständigen Disposi-
tion gewahrt, und dies ist auch ganz begreiflich, ja notwendig,
da sie zum Zwecke ihrer Vorstudien die Papyrusrollen aufmerk-
sam lasen, nicht abschrieben.
Als im ersten Jahre der sicilischen Expedition die drei
athenischen Strategen in Rhegion Kriegsrat hielten zum Behufe
der Entwerfung eines Operationsplanes, da läfst Thukydides zuerst
den Nikias votieren, dann den Alcibiades, zuletzt den Lamachos.
Der am wenigsten weitgehende Antrag des Nikias macht den
Anfang, dann folgt der auf die Künste der Diplomatie vertrauende
Alcibiades, und Lamachos macht mit seinem direkten Angriffe
auf Syrakus den Schlufs. In Plutarchs Biographie des Nikias
dagegen ist dieser der Hauptheld, weil er ja auch nach der Ab-
})erufung des Alcibiades imd nach dem Tode des Lamachos allein
Plinius und Cluvius Rufus. 353
das Oberkommando führte, und ihm gehört das Hauptverbum der
Periode, während die Voten des Alcibiades und Lamachos im
Gen. absolutus vorausgehen und nur den Wert von Nebensätzen
haben. Darum aber die handgreifliche Benützung des Thukydides
durch Plutarch in Abrede zu stellen, wie Fricke gethan, ist durch-
aus unzulässig. Vgl. Holm, Gesch. Siciliens II 347.
Oder wenn Polyb bei Aufzählung der Streitkräfte Hannibals
dessen Lieblingswaffe, die Reiterei, voranstellt, Livius dagegen
nach römischer Auffassung das Fufsvolk zuerst erwähnt, so darf
man aus dieser äufserlichen Abweichung nicht (wie geschehen ist)
einen Grund der Nichtbenutzung ableiten, da ja alle Ziffern über-
einstimmen. Und nicht anders dürfen wir das Verhältnis Fron-
tins zu Livius beurteilen. Bei der Schilderung der Schlacht von
Zama spricht Livius 30, 33 zuerst von der Aufstellung Scipios,
dann von der Hannibals, wogegen Frontin strat. 2, 3, 16 die Sache
umkehrt. Da indessen die beiderseitigen Angaben übereinstimmen,
so hat Gundermann mit vollem Recht den Livius als die direkte
Quelle des Frontin bezeichnet, zumal er von diesem 2, 5, 31 und
34 als Gewährsmann citiert wird. Hier gehen wir grundsätzlich
auseinander, indem wir den alten Klassikern die Freiheit viudi-
cieren, den Stoff nach eigenem Ermessen zu gruppieren, während
unsere Gegner sich dieselben lieber als beseelte Maschinen vor-
stellen.
Betrachten wir doch einmal die Konsequenzen dieser nicht
etwa von den Verächtern des klassischen Altertumes, sondern von
den Philologen (bezw. Historikern) selbst ersonnenen Irrlehre. Wir
lebten bisher in dem Glauben, das Beste der antiken Litteratur
sei uns erhalten. Eitler Wahn! Livius hat den Polyb nicht be-
nützt, Plutarch den Tacitus nicht, Frontin den Livius nicht u. s. w.,
sondern die wirklichen Gröfsen sind untergegangen, und die
moderne Wissenschaft mufs sich damit begnügen, die Werke derer
zu rekonstruieren, deren Namen man nicht einmal bestimmen kann.
Es wird mir vorgehalten, ich hätte mich zu s^hr von der
Sorge um den schriftstellerischen Ruhm des Tacitus leiten lassen,
und allerdings möchte ich nicht die alten Klassiker gegen das
wirkliche oder vermeintliche Wissen einzelner modemer Gelehrter
abtauschen. Das Neueste ist jetzt, dafs Thukydides aus einer
Biographie des Hennokrates geschöpft, dieselbe aber ungeschickt
benützt habe. Wenn Steup dagegen mit einem Quousque tandem?
opponiert hat (Rhein. Mus. 56, 443ff ), so ist das eben auch mein Fall
354 Ed. Wölfflin: Pliniufl und CluviuB Rufua. — Miscelle.
Wenn Andresen mit dem offenen Bekenntnisse schliefst, die
Ergebnisse seiner Nachprüfung seien nur negativer Natur, so ist
dies gewifs zu beklagen; denn eine Wissenschaft, welche in dem
Zeichen der Hyperkritik und der Destruktion steht, mufe unter-
gehen. Wenn Tacitus nicht der Schöpfer des ergreifenden Ge-
mäldes war, wer ist es denn? Cluvius Rufus oder Plinius oder
ein Dritter? Hier versagt das Wissen von A.; er sagt von meinen
Darlegungen nur, es sei 'nicht nötig, dabei zu verweilen', was
die bekannte Phrase ist, wenn man in Verlegenheit ist zu antworten.
Zu einem Neuaufbau oder zur Befestigung der bisher vorgebrach-
ten Hypothesen hat er keinen Stein und kein Steinchen beige-
tragen. Einzelne Stellen mag man anders interpretieren; an der
Hauptsache lindert dies nichts.
München. Ed. Wölfflin.
Titalas Manimianas.
Die metrischen Schwierigkeiten, welche der Schlufsvers dieser
Inschrift dem Erklärer bietet, sind allgemein bekannt und auch von
den neuesten Herausgebern, Zander (Versus Italic! 55) und Bücheier
(Carm. epigr. Nr. 3), noch nicht gelöst. Mit Recht ist die den Satur-
niem nachhinkende V'lausula trochaica' heute aufgegeben, da sie mehr
einer Ausrede als einer Erklärung ähnlich sieht. Auch muls man
Bücheier zugeben, dafs der uns erhaltene Stein weder das Original
noch die getreue Kopie des Originales sein kann. Augenscheinlich
ist, dafs die Inschrift nicht mehr aus 6, sondern wahrscheinlich mit
distichischer Gliederung aus 4 Versen besteht; nur enthält der letzte: hanc
aedem et signu | Herculis Victoris | imperator dedicat einige Silben
zu viel. Die vorgeschlagene Form: hanc imperator aedem et signu
dedicavit verstöfst in mehr als einer Hinsicht; einmal weil es bedenk-
lich ist, die Hauptsache (Herculis Victoris) wegzulassen, aber auch
weil das Praesens historicum durch ähnliche Parallelen (subigit, reci-
pit, fundit fugat prosternit) geschützt ist. Dagegen erscheint vor
allem entbehrlich Imperator*, weil die Aufschrift den Namen L. Mummi
(= Mummis = Mummius) cos. enthält und es im ersten Satumier
heifst: ductu auspicio imperioque eins Achaia capta. Giebt man dafs
zu, so gewinnt man eine annehmbare Form, wenn man schreibt:
Ob hasce res bene gestas quod in hello voverat
Haue dedicat aedem et signu Herculis Victoris.
München. Ed. Wölfflin.
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. IIL
(Fortsetzung von Arch. XU 239 ff.)
Seit unserer letzten Anzeige ist das angekündigte Buch von
Dr. C. L. Meader, Instr. an der Universität von Michigan, im
Dnicke erschienen unter dem Titel: The Latin pronouns is: hie:
iste: ipse. A semasiological study. New York 1901. XVI, 222
pgg. 8**. Der Bericht wird sich also kürzer fassen dürfen, weil wir
auf das gedruckte Original verweisen können.
1. Iste. Waren in den zwei ersten Kapiteln die Pronomina
is und hie behandelt, so wendet sich die Darstellung im dritten
zu iste. So wenig wir über den ursprünglichen Gebrauch des
Fürwortes im Unklaren sLod, so wenig kennen wir die Geschichte
des Mifsbrauches und der Entartung. Man mufs Raph. Kühner
für die Notiz dankbar sein, dals in der ^späten Latinität' iste für
hie stehe, was dann mit einem Beispiele aus Augustin bewiesen
wird. Dafür legt uns Verf. den Gebrauch bei den wichtigsten
lateinischen Autoren vor, sei es auf Gh*und von grammatischen
Monographien, sei es auf Grund eigener Beobachtungen. Hat er
auch nicht alles gelesen, so flöfst doch das Verzeichnis der })e-
nützten Autoren S. 218 — 220 allen Respekt ein. Ein gutes Fun-
dament bilden die 30 Beispiele von iste tuus bei Plautus (bezw.
iste vester), und es bleibt also nur festzustellen, wer zuerst iste
zur Bezeichnung der dritten oder der ersten Person gebraucht
habe. Da stöfst man denn zunächst auf CatuU 41, 3: Ameana
puella . . . tota milia me decem poposcit, ista turpiculo puella
naso. Der Begriff des Verächtlichen ist noch deutlich ausgeprägt,
docli ist die Beziehung auf die angeredete Person verschwunden.
Auf den Sprechenden (erste Person) hat bekanntlich Horaz das
Pronomen angewandt Sat. 1, 4, 130
mediocribus et quis
Ignoscas vitiis teneor; fortassis et istinc
Largiter abstulerit longa aetas, liber amicus,
da hier istinc steht für: a meis vitiis. Doch er nicht zuerst,
356 Meader-Wölfflin:
sondern nach dem Vorgange des Catull 17,21: talis iste mens
Stupor nil videt, nihil audit. Wie nun dies in die silberne Prosa
eindringt, wie der jüngere Seneca die früher beobachteten Regeln
umstöfst, wie bei Fronto und Apuleius die Verbindung gewöhn-
lich wird (Front, epist. 1, 2 qui ego istam meam fortunam satis
luxerini. Apul. met. 1, 1 1 sermones istos nostros), das mufs man
bei M. nachlesen. Damit ist iste geradezu der Nachfolger von
hie geworden, und zwar zuerst bei den Dichtem. Denn schon
Obermeier hatte beobachtet, dafs iste bei Lucan die Demonstrativ-
pronomina verdrängt hat. Dafs erst der Philosoph Seneca diese
Licenz in, die ungebundene Rede eingeführt habe, ist freilich nicht
ganz richtig, da die ersten Spuren sich bei Valerius Maximus und
Celsus finden. Losgelöst von der zweiten Person ist also das
Pronomen bei Val. Max. 4, 3 praef quo istae generis humani
certissimae pestes penetrarunt; 4, 3, 6 Fabricius istam (Epicuri)
sapientiam deprecatus est; 2, 8, 7 ut necessariae istae, ita lugubres
existimatae sunt victoriae; 9, 14 praef. ista quaestio in ambiguo
versatur; 5, 1; 11 ne ista quidem generosissimae indignationis
verba inviti audierunt; 6, 4 ext. 1 melius istud nostri sanguinis
homines dixissent quam audissent; 2, 2, 8 apud ista altaria. Liest
man die Stellen im Zusammenhange nach, so überzeugt man sich
leicht, dafs in dem Pronomen der Sinn der Geringschätzung,
Mifsbilligung u. s. w. liegt. Der Verf. mufste aber nicht nur voll-
ständigere Sammlungen anlegen, er mufste auch die Beispiele auf
ihren kritischen Wert prüfen. So hat er wohl mit Recht bei
Vell. Pat. 2, 7, 3 die auch von EUis angenommene Konjektiu-
von Cludius ^memoria istius saevitiae' gebilligt, obwohl ipsius
überliefert ist.
Leider habe ich versäumt, meinen jungen Freund auf einen
besonders charakteristischen Sprachgebrauch aufmerksam zu
machen, über welchen ich schon im Rhein. Mus. 29, 295 f ge-
sprochen habe. Der anonyme Verfasser der sogen. Epitome de
Caesaribus hat die Kaiser, welche er in einzelnen Kapiteln
schildert, bald mit dem Eigennamen, bald mit hie, bald mit iste
bezeichnet. Korrekt war ohne Zweifel hie, sanktioniert durch
das Beispiel des Cornelius Nepos, des Sallust (Cat. 5, 1 huic ab
adulescentia etc.), ja der Scipionenelogien (hone oino ploirume
ccmsentiont etc. hie cepit Corsica u. s. w.). Aber wie kam nun
der Verfasser darauf, mit hie und iste geradezu abzuwechseln, da
man einen Sinminterschied nicht herausfinden kann? Man über-
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. III. 357
zeuge sich selbst. Cap. 1 (Octavianus Augustus) § 3 iste tribuni-
ciam potestatem per se exercuit, 6 huius tempore, 7 iste Canta-
bros populo Romano coniunxit, 8 huic Persae obsides obtulerunt,
9 ad hune Indi legatos miserunt, 13 huius tempore. Cap. 4
(Claudius) § 2 iste a militibus imperator eflFectus est, 3 hie ventri
obediens, 4 huius tempore, 5 huius uxor, 9 huius temporibus,
10 hie Agrippinam uxorem duxit. Cap. 5 (Nero) § 2 iste quiii-
queimio tolerabilis visus, 3 hie amphitheatrum construxit, 8 hune
Persae dilexerunt. Cap. 6 (Galba) § 2 iste ad vescendum intem-
perans fuit, 3 hie multas provincias egregie administravit. Da
wir in den ersten Kapiteln der Epitome, soweit sie die julisch-
flavischen Kaiser betreffen, die benützten Quellen nachzuweisen
im stände sind, so ergab sich, dafs die mit hie eingeführten An-
gaben auf Sueton zurückgehen, die mit iste eingeleiteten auf
Aurelius Victor. Dies hat die Zustimmung von Herm. Peter,
Geschichtl. Litter. der röm. Kaiserzeit II 361 Note, gefunden.
Wiederholte Durchsicht des Büchleins hat mich aber auch auf
die Beobachtung geführt, dafs iste nur im Nomin. sing, vor-
kommt, während neben hie auch huius, huic, hune, horum u. s. w.
gebraucht werden. Es ist auch ganz natürlich, dafs zuerst der
Nomin. sing, fiel wegen der Kollision mit dem Ortsadverb hie.
Femer ist zu bemerken, dafs in der Mittelpartie der sogenannten
Epitome der Gegensatz hie und is auftritt. Cap. 20 (Septimius
Severus) § 1 hie Pescennium interemit, 2 sub eo Albinus occiditur,
3 hie Severiis filios suos successores relinquit, 4 hie in Britaiinia
Valium . . deduxit. Cap. 23 (Heliogabalus) § 2 huius avus . . fuerat
Solis sacerdos, quem Phoenices Heliogabalum nominabant, quo
iste Heliogabalus dictus est; 3 is probris se contaminavit,
0 huius corpus. Cap. 28, § 2 filius eius, 4 is PhiUppus humil-
limo ortus loco fuit. In den letzten zehn Kapiteln, in welchen
der Verfasser von seinen Quellen verlassen als Stilist auf eigenen
Füfsen steht, fliefst alles ineinander, z. B. Cap. 42 § 8 eius
morte audita, 13 iste infinitas hostium copias delevit, 15 hie a
militibus Augustus pronuntiatur. (Vgl. Ammian 16, 12, 47 illi . .
hi . .; isti . . illi.) Und da wir einmal die Lupe in die Hand
genommen haben, notieren wir, dafs die Verbindung von hie und
is mit folgendem Eigennamen eine Eigentümlichkeit des Epito-
mators ist, nicht eine des Aurelius Victor. Vgl. 19. 21. 34.
41. 45. 46. 48. Man möchte amiehmen, dafs ein solches hie
Theodosius dem griechischen o &£od6aiog entspreche, womit
358 Meader-Wölfflin:
wir freilich dem Verfasser des zu besprechenden Buches vor-
greifen.
Es folgt S. 132 ein Abschnitt, welcher in dem Inhalts-
verzeichnisse mit iste, ille = hie, ille bezeichnet ist, und der
Leser ist auch darauf vorbereitet, da er in iste einen Nachfolger
von hie hat kennen lernen. Wenn jedoch dieser Tausch schon
im archaischen und im klassischen Latein soll erfolgt sein, so
wird man zur Vorsicht gemahnt und sich mindestens, wie auch
M. selbst gethan, nach Entschuldigungsgründen umsehen, welche
das Unerwartete erklären könnten. Wir werden zuerst auf Plautiis
Rud. 808 verwiesen: age, alter istinc, alter hinc adsistite. Allein
die erste Aufforderung gilt dem Sklaven Sparax, welcher im
V. 807 direkt angeredet war: age, accipe illinc alteram clavam,
Sparax; und so bedeutet alter istinc so viel als 'tu alter istinc*.
Eine ähnliche Verteidigung mufs man den Worten Ciceros leihen
Epist. 2, 11, 1 ista vestra . . . haec nostratia. Bei Livius 3, 47, 7
spricht Verginius zu der umstehenden Menge: passurine haec isti
sint (dafs die Heiligkeit der Ehe verletzt werde), nescio: non
spero esse passuros illos, qui arma habent. Allein da die un-
mittelbar vorausgehenden Worte: placet pecudum ritu promisce
in concubitus ruere? zugleich an das Publikum gerichtet sind,
bedeutet im ersten Satze isti etc. so viel als: passurine vos sitis,
nescio. Dazu kommt, dafs der Ausdruck: passurine haec hi sint,
nescio, nicht wohl zulässig war. Liv. 22, 60, 27 sagt Manlius im
Senate: ego non magis istos redimendos censeo, quam illos de-
dendos Hannibali, qui per medios hostis e castris eruperant. In-
dessen sind diese um Loskauf Bittenden unmittelbar vorher von
dem Redner mit den Worten apostrophiert worden: cum erumpere
e oastris oportet, cunctamini ac raanetis etc., und so steht istos
gewissermafsen für vos und hat sogar den Vorzug, die Gering-
schätzung auszudrücken. Man darf somit nicht schlechtweg be-
haupten, iste — ille sei schon in der klassischen Zeit gleichbedeutend
mit hie — ille. Im silbernen Latein freilich sind die Grenzen des
Gebietes von iste durchbrochen, und im Spätlatein stellt sich
sogar neben die Reihenfolge iste — ille die andere ille — iste. Bei
Kirchenvätern bedeutet oft iste mundus, ista vita, in isto saeculo
so viel als "diese Welt', woneben j)arallel läuft hie mundus, hoc
saeculo. Vgl. Index zu Paulinus Nolanus.
Sogar Historiker, welche keine direkten Reden einschalten,
machen von dem Pronomen häufigen Gebrauch, weil es ihnen mit
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. III.
359
hie gleichbedeutend ist, z. B. Oros. 1, 17, 3 isto qualiscunque est
praesentis temporis statu; 4 praef. 6 delicatis istis et querulis
nostris. Vict. Vit persec. Afr. 51 iam persecutionis nostrae iste
sit finis; 2, 34 ista voce clamabant, worauf direkte Rede folgt;
3, 28 ista dicens zurückweisend auf die vorangehenden Worte;
3, 42 fuit iste (Antonius) in quadam civitate proxima heremo.
Nicht überflüssig wäre es, diejenigen Spätlateiner zu kennen,
welche diesem Gebrauche nur selten gehuldigt haben, und zu
diesen gehört Animian mit nicht mehr als einem halben Dutzend
von Beispielen: 14, 11, 31. 16, 10, 16. 24, 8, 1. 25, 2, 5 u. s. w.
Besonders lehrreich sind die Übersetzungen aus dem Grie-
chischen. Der Verf. hat dafür die Briefe des Ignatius, den Hirten
des Hermas, die Novellen lustinians, den Grammatiker Dositheus
und die verschiedenen Bibelübersetzungen herangezogen. Während
die versio Palatina des Fast. Herrn, oirog mit hie übersetzt, zieht
die Vulgata iste vor, wie folgende Parallelen veranschaulichen.
Vis. 1, 2, 4 TÖ TCQäy-
(la rovTO.
Vis. 3, 8, 1 nsQl Tcdv-
rcDV rovT(oi'
Vis. 3, 8, 9 ij ijtü-
[ivr^öLg cStt}
Mand. 4, 3, 5 rriv fia-
ravoittv Tavrr^v
Sim. 8, 2, 7 tö Öev-
ÖQOv rovro
Mand. 8, G tavrd
BÖXiV
Palat.
hoc negotium
de Omnibus bis
commonitio haec
hanc poenitentiae oc-
casionem
arbor haec
haec sunt
Vulgata
res ista
de Omnibus istis
commemoratio ista
istam potestatem poe-
nitentiae
arbor ista
ista sunt Edit. princ.
haec Vulg. illa
Varr.
Für das Neue Testament läfst sich voraussetzen, dal's Hiero-
nymus (= Vulgata ) auf seiten der Klassiker stehen wird, wogegen
in den älteren, sogen. Italaübersetzungen iste wiederholt auftaucht.
So heifst es denn evang. Matth. 7, 28 statt des griechischen tov^
Xdyovg xovtovg: vorba haec: in dem alten Bobiensis dagegen
saec. IV oder V sermones istos. Matth. 18, 10 evog rüv ihxqCjv
rovT(op = Vulg. ununi ex bis pusillis = Itala: istis. Matth. 19, 20
Tcävrcc Tuvra = Vulg. haec oninia, Itala: omnia ista.
360 Meader-Wölfflin:
Es folgen die bilinguen Glossen im zweiten Bande des
Corpus von Götz. Hier finden wir:
n p. 390, 32 ovrog hie iste is
390, 33 ovroL hi isti ei
457, 49 tovto id hoc istud
452, 6 ruvtri hac istac
92, 57 iste is ovro«?.
Aus den Zeugnissen des IV. und V. Bandes heben wir heraus
V 108, 7: hec • ste. Dies führt auf die verschiedenen romanischen
Formen, in welchen sich das Pronomen iste erhalten hat. — Den
Schlufs machen die Zeugnisse der alten Grammatiker, welche
übrigens nichts von Bedeutung ergeben.
Wenn der Verf. versucht, die geographischen Grenzen des
Gebrauches von iste = hie zu bestimmen, so ist dies natürlich
ein schwieriges Unternehmen, und ohne Fragezeichen geht es
denn auch nicht ab. Immerhin spricht sich Verf. über das afri-
kanische Latein dahin aus, dafs iste = hie nicht, wie man oft
geglaubt hat, eine Eigentümlichkeit dieses Landes sei.
Leichter sind die chronologischen Linien zu ziehen, und da
müssen wir denn den grammatischen Sündenfall von Valerius
Maximus an datieren, während man bisher glaubte, für die Prosa
weiter hinab greifen zu müssen. Nicht weit davon entfernt liegt
dann der Encyklopädist Celsus mit seinem Werke De mediciua.
Für das Spätlatein (5. Jahrhundert?), d. h. für den afrikanischen
Grammatiker Pompeius imd sein Commentum artis Donati (Keil
vol. V, p. 95 — 203), erhalten wir S. 150 eine überraschende
Statistik, aus welcher sich Folgendes ergiebt. Während der Xomin.
sing, hie gänzlich fehlt, kommt iste 24 mal vor; umgekehrt finden
sich für das Ortsadverb hie 15 Belege, wogegen istic (oft fälsch-
lich isthic geschrieben) fehlt.*) Im Nomin. sing. fem. stehen
7 haec gegen 39 ista; also auch hier ein energisches Vordringen
unseres Pronomens. Wir gewinnen daraus eine Stütze für unsere
oben S. 357 geäufserte Vermutung, dafs das Eindringen des Pro-
nomens iste in das Gebiet von hie von dem Nomin. sing, aus-
ging. Femer zählt M. für Neutrum hoc bei Pompeius 235 Bei-
spiele, für istud 1; d.h. eine nach damaligem BegriflFe unregel-
*/ Vcgctius Ei)it. rei mil. hat iste zehnmal gebraucht, nämlich sechs-
mal Xeutr. plur. iHta, zweimal Xom. Bing, femin. ista, zweimal Nom. plur.
fem. istae; alle andern Kasusformen gar nicht. Der Dichter Avien dagegen
gebraucht iste 90 mal in allen Kasusformen.
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. III. 361
mäfsige Form auf -d konnte sich nicht halten. So behaupten
sieh bei Pompeius von hie siegreich nur das Neutrum sing, und
das Ortsadverb, während in sämtlichen übrigen Formen iste be-
deutend überwiegt, um das Dreifache bis Siebenfache.
Nachdem abo ausführlich dargelegt ist, wie iste an die Stelle
von hie trat, wird S. 151 ff. dieser Tausch vom Standpunkte der
Semasiologie erläutert. — Dagegen treten die Fälle zurück, in
denen iste = ille oder hie gebraucht wird.
2. Ipse. Das vierte Kapitel ist dem Pronomen ipse ge-
widmet, behandelt indessen dem Titel des Buches entsprechend
nicht die formellen Fragen, wie Bildung des Pronomens, Kon-
kurrenz von ipse und ipsus, Quantität des zweiten i in ipsius u. ä.,
sondern nur das Semasiologische, wobei von der Darstellung von
Nägelsbach-Müller (Stilistik § 91) ausgegangen wird.
So hat denn der erste Abschnitt die Überschrift: ipse =
idem. Diese Berührung erinnert zunächst an das griechische
icvTog und 6 avrög ; Verf. weist sie aber auch im Englischen nach,
und die Deutschen können vergleichen: selber imd ebenderselbe.
Wie leicht ipse Identitätspronomen werden konnte, zeigt die Ver-
gleichung von
Ennius ann. 8 M. terra corpus, Cic. sen. 72 hominem eadeni
quae dedit, ipsa capit. quae conglutinavit natura
dissolvit.
Es bedarf also keines weiteren Zusatzes, um diese Bedeutung in
ipse hineinzulegen, und dieser Gebrauch ist auch im Spätlatein
ganz gewöhnlich. Vgl. Servius zu Verg. Georg. 1, 39 Proserpiua
ipsa est, quae et Luna. Salv. gub. 4, 11 ipsi in nobis mores sunt,
qui in servolis nostris. Wenn wir dagegen oft finden is ipse,
ilJe ipse, hie ipse, iste ipse, und namentlich die Neutralformen
id ipsum und hoc ipsum, so wird man die ersten Pronomina
dieser Verbindimgen als Ersatz für den bestimmten griechischen
Artikel betrachten dürfen. Vgl. Ammian 16, 10, 16 is ipse . . .
aiebat; 26, 3, 5 is ipse . . . incubuit maculae; 31, 16, 16 is ipse . . .
narravit. Das auf ipse folgende Relativum qui, welches die beiden
citierten Beispiele aufweisen, läuft auch auf dasselbe hinaus. Zur
Beweisführimg werden, wie schon im dritten Kapitel, die Über-
setzungen aus dem Griechischen herbeigezogen, wobei sich Unter-
schiede zwischen der Vulgata des Hieronymus und der sogen.
Itala ergeben, wie schon llönsch, It. und Vulgata S. 424, bemerkt
hat. Die Neutralform id ipsum erweitert sich auch zu der
362 Meader-Wölfflin:
Präpositionalverbinduug 'in id ipsum* = exl rö avro. Im Authen-
ticum der Novellen lustinians 22 , 11. 22, 29 wird rov avrov und
tccvrö mit hoc ipso und hoc ipsum übersetzt. Da bei Florus auf
die Darstellung des Brennuskrieges (1, 7 Bellum Gallicum, wobei
der Name Brennus nicht genannt wird) ein weiteres Kapitel Bella
Gallica (1, 8) folgt ^ so lautet die Ubergangsphrase: ac primum
quidem illam ipsam (schon im Vorhergehenden besprochene)
Gallicam gentem non contentus moenibus expulisse sie persecutus
est etc. Sogar das stereotype imum atque idem (ßv xal t6 ccvto)
mufste sich die Auflösung gefallen lassen, da Gellius 6 (7), 21, 2
schrieb: unum atque id ipsum in utroque verbo ostenditur.
Wenn auch dieser Gebrauch von ipse nicht unbekannt war (vgl.
Schmalz in Reisigs Yorles. III Anm. 369: manchmal mulis es in
der späteren Latinität die Stelle von idem vertreten), so fehlte
doch bisher eine Übersicht über die Ausdehnung und vor allem
ein sicheres Wissen von den ersten Anfangen. Die Neuenmg
fällt auch hier mit den Bahnbrechern der silbernen Prosa zu-
sammen. Vgl. Vell. Pat. 2, 125, 4 his ipsis gladiis, quibus. Val.
Max. 4, 5, G inter ipsum illud tempus quo, woran sich Celsus und
der Rhetor Seneca anschliefsen.
Da der Gebrauch so häufig ist, so lassen sich bestimmte
Abarten und Unterarten unterscheiden. Einmal lösen sich idem
und ipse als gleichwertig ab, so schon bei Tertullian spect. 21
idem . . . ipse . . . idem. Amob. 4, 22 ex Latona et eodem (love)
Delius et Diana; ex Leda et eodem . . .; ex Alcmena et eodem
Hercules; ex Semela atque ipso Liber . . .; ex ipso rursus et Maia
Mercurius. Optatus 5, 1 eadem fides, ipsa fidei instrumenta, eadem
mysteria. Hier wäre auch Vopiscus Firm. 3, 3 nachzutragen:
idem cum Blemmyis societatem maximam tenuit . . . ipse qiioqtie
dicitur habuisse duos dentes elephauti pedum denum; id. 12
(Proculus), 5 idem fortissimus, ipse quoque latrociniis adsuetus:
ein Gebrauch, welchen andere Scriptores historiae Augustae, wie
Spartian, nicht kennen. Ausgeprägt ist er dagegen bei Ammiau,
bei welchem man ipse quoque (vgl. et ipse) mit ^gleichfalls'
übersetzen mufs. 14, 1, 10 Thalassius . . . ipse quoque adrogantis
ingenii. 14, 11, 27 hoc immaturo interitu ipse quoque sui pertae-
sus excessit e vita. 16, 10, 13 reverenter modum ipse quoque
debituni servans. 17, 10, 7 oravit ipse quoque veniam. 18, 2, 1
ni ipsi quoque ad ceteronim stemerentur exempla. 18, 5, 8.
19, 12, 1 u. 8. w.
Zur Geschichte der Prouomina deinonstrativa. III. 363
Manchmal tritt auch ipse (idein) in Gegensatz zu alius oder
alter, so in den merkwürdigen Stellen bei Ennodius 190, a (Vogel)
aliter de eodem; 190, b aliter de ipso; 190, c aliter de ipso. Der-
S3lbe Autor schreibt auch carm. 2, 94
alter te dominus, sed manet ipse labor.
Ambros Exam. 2,2,5 quid sit firmamentum, utrum ipsum sit
quod in superioribus caelum appellavit an aliud.
Eine Gruppe für sich bilden die Zeitbestimmungen sub ipso
(= eodem) tempore, tempore sub ipso, in ipso tempore, ipso
tempore, ipsis diebus u. ä. bei Commodian, Alcimus, Optatus,
Victor Vitensis, lordanes, (Silvia) peregrin., Cassian. Doch finden
sich daneben auch in ipso loco, in ipso itinere, in ipsa ecclesia
u. ä., wenn auch seltener und weniger formelhaft.
Weiteres Material liefern die Übersetzimgen aus dem Grie-
chischen, welche bereits im früheren Abschnitte genannt sind.
Pastor Herm. mand 10, 3, 3 ßSfiiyßeva i%l rb ccvro = versio Pa-
latina commixtum in id ipsum = versio vulg. mixtum. Id. vis. 3, 1 , 2
avrf} XI] wxrt (man beachte die Wortstellung) = vers. Palat.
ipsa nocte = vers. vulg. eadem nocte. Evang. Luc. 10, 21 ev avxfi
xfi &Qa = Vulg. i?i ipsa hora; andere Handschr. eadem oder illa.
Nov. lustin. 22, 18 ax xCjv avxöv aixLcbv^ ex ipsis causis; 22, 40
xuig avxatg TCoCvaig . . . 6:io(atSy ipsis poenis . . . quas. Auch die
Lex Romana Visigothorum, in welcher die Institutionen des Gaius
für Spanien umgearbeitet sind, trägt die Spuren des Spätlateins,
Vgl. Gaius 3, 151 in eodem consensu perseverant; lex Rom. Vis. 2,,
9, 17 in ipsoc.
Während die bilinguen Glossen idem richtig mit 6 avrög
erklären (Götz 11 76, 14. 37S, 47), wird in den Glossen des cod.
Vatic. 3321 saec. VII ideni umgekehrt mit ipse erklärt, d. h. also:
für altes idem sagt man heutzutage ipse.
Über die örtliche Verbreitung des Gebrauches läl'st sich sagen^
dafs die afrikanischen Autoren einen starken Anteil daran haben;
doch fällt auf, dafs man ihn nicht bei Apuleius gefunden hat.
Wahrscheinlich taucht er zuerst bei TertuUian auf, in der Schrift
De pudicitia (um 220 nach Chr.), eventuell schon 203 nach Chr.
(De resurr, camis). Minucius Felix, welcher hier ebenfalls in
Frage kommt, hat an einer Stelle ipse = item gebraucht, 1, 4:
sie solus in amoribus conscius, ipse socius in erroribus, nämlich
des Verfassers Jugendfreund Octavius. (Anders übersetzt Dombart.)
So deutlich der Gebrauch ipse = idem ausgeprägt ist, so
3G4
Meader-Wölfflin:
schwierig ist es, andere Bedeutungen desselben Pronomens sicher
festzustellen. Man hat ipse das Kontrastpronomen genannt, weil
es bedeute: er, und kein anderer. Dafs diese Bedeutung im sil-
bernen Latein an Schärfe und Kraft verloren haben wird, läfst
sicli schon vermutungsweise voraussetzen. So bemerkt denn
Dräger bist. Synt. P 81, bei Curtius bezeichne es manchmal blofs
das Subjekt, ohne dasselbe hervorzuheben. Man vergleiche etwa
4, 3, 12: tris (naves) ante ipsa moenia opposuerunt (Tyrii), quibus
rex invectus ipsas demersit. Auch Rönsch hat in den Collect,
philol. 180 die Gleichung aufgestellt: ipse = is, ille, hat dies aber
in Vollmöllers romanischen Forschimgen 11 287 nicht festgehalten,
sondern die Stellen anders interpretiert. Doch Greef stellte sich
in Lexicon Taciteum wieder auf die Seite von Dräger, indem er
eine Anzahl von Stellen unter der Rubrik Vi quadam (also un-
definierbar!) imminuta' vereinigt. So wird man die Thatsache
der Abschwächimg kaum bestreiten dürfen, wenn es auch jedem
Intefrpreten leicht sein wird, einen gewissen Nachdruck in das
Wort hineinzupressen. Unter solchen Umständen mufs es uns
doppelt erwünscht sein, lateinische Übersetzungen mit griechischen
Originalen zusammenzuhalten, am bequemsten den Pastor Hermae
und das Neue Testament.
Palatina
Vulgata
Vis. 3, 2, 2 ii€T airöv
cum ipsis
cum eis
Vis. 3, 7, 6 ixl ri\v
in corde eorum
in cor ipsorum
xccQÖiav avT(bv
*
Mand. 3, 1 TtuQ avta
apud eum
in ipso
Mand. 6, 2, 4 octco töv
a factis ipsis
ab operibus eins
€Qy(DV uvtov
Mand. 10, 1, oivrcclg
in actibus ipsorum
in negotiis ipsorum
TCQccy^atsCutg av-
(Var. eorum)
T(bV
S im. 8, 9, 4 ersQOt. i^
aliqui ex ipsis
alii ex his ( — iis?)
avtcjv
Vulgata
Ante Hieron.
Ev. Matth. 23, 21 iv
in ipso
in eo
ra xaroixovvn av-
Tor
23, 22 i:ic(V(o avxov
super eum
super ipsum
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. III. 365
Vulgata Ante Hieron.
11,22 avTcjvövöTQS- conversantibus eis ipsis
q)0[uvc3v (Var. illis)
17,2 €(i:tQO(S^ev ccv' ante eos (in con coram ipsis
Töi/ speetu eorum)
Ev. loh. 6, 50 i^ av- ex ipso (eo) ex eo (illo).
rov
Das fünfte Kapitel zeigt, wie zur Wiedergabe des bestimmten
Artikels der Griechen is, hie, iste, ille, ipse, idem verwendet
m
worden sind, ein seltener Fall starker Konkurrenz. Als Sieger
ist in den romanischen Sprachen ille aus dem Kampfe hervor-
gegangen. Doch davon im nächsten Hefte.
München. Ed. Wölfl'liii.
Zar lateinisehen Wortbildnn^.
Fortsetzung. (Vgl. Arch. XII, p. 13*2.)
3. Opter = propter C. gl. Lat. IV 265, 15. Eine Bildung von ol)
nach Analogie von prope propter. Wir haben nun auch keinen Grund,
opter quod C. I. L. VI 14672 mit dem Herausgeber in propter quod
lunzuändem.
4. Albams X€va6g C. gl. Lat. III 264, 33 verhält sich seiner
Form nach zu albus wie osk. casnar zu cänus urspr. casnus und der
Bedeutung nach wie nigellus zu niger. Somit haben wir auch in
einem lat. Appellati vum dieses Suffix ar, das bei Eigennamen doch
sich häufiger fimdet. Vgl. Caesar neben Kaeso, Firmanis (Bramb.
n. 233) neben Firmus, Flufsname Aesar neben Personennamen Aesius
C. I. L. X 3512, Longarenus (Hör. sat. 1, 2, 64) neben Longenius (z.B.
C. I. L. VI 21500).
5. Q. Clodius Q. 1. Stolus C. I. L. VI 4925, Sfolus lib(ertus)
€. I. L. VI 43. Es gab also ein Adjektivum stolus. Stolus : Stolo
= Catus : Cato; stolus : stolidus = albus : albidus, und stolus : stultus
(vgl. ,9^o/^>inalus C. gl. Lat. IV 176, 10) = Sancus : sanctus.
6. Indolis minovog C. gl. Lat. IT 80, 54; indoles Inlnovoi ibid.
II 81, 3. Dadurch wird zur Evidenz bewiesen, dal's auch sedulus von
dolus herzuleiten ist, wie ja freilich auch vorher schon angenommen
wurde. Indolis gebildet wie inanimis und sedulus wie securus.
7. Comniorani = cöram (co-öram) C. gl. Lat. V 14, 30 und 56, 12.
Vgl. com-itari neben co-ire. Wenn contra : com sich verhält wie
eis : citra — die urspr. gleiche Bedeutung ersieht man noch daraus,
dafs neben pugnare cum pugnare contra möglich war — , dann war
com ^it contra wohl auch in der Bedeutung „nach einem Punkte
hin" gebräuchlich (natürlich dann mit dem Akkusativ), und dann konnti'
coöram (os : ora = opus : opera) bedeuten „ins Gesicht hinein". Be-
Archiv für lat. Lexikogr. XII. Heft 3. 25
366 Miscellen: A. Zimmermann — Ed. Wölfflin.
weisend hierfür sind besonders Stellen wie Ter. Ad. 2,4,5 vereor
cor am In ns te laudare, wo in os nur eine Wiedergabe des in coram
liegenden Gedankens ist.
8. Tellor = homo C. gl. Lat. II 595, 16. Wenn tellus cf. Pon-
tica tellus Ovid ex Ponto 4, 9, 15 auch das Volk, die Menschen be-
zeichnete, dann konnte vielleicht auch der einzelne Mensch in masku-
liner Form als tellor bezeichnet werden, vgl. decor neben decus;
ähnlich ist auch in pecus (pecoris) die Einzelbedeutung aus der Kol-
lektivbedeutung erwachsen. Vgl. noch zu tellor die männliche Gott-
heit der Erde bei Mart. Cap. 1 § 44 Tellurus. Tellor : tellus = homo
: humus.
9. Neoessis. Als Substantiv von Lachmann schon eingesetzt
Lucr. VI 815 und zwar mit Beziehung auf Donatus zu Ter. Eim. V
997. Ich habe mit Berufung auf das Substantiv-Adverb cessim ne-
cessis als das Verbalsubstantiv von cedere (vgl. raessis) in Verbin-
dung mit ne bezeichnet, im Progr. Mar.-Gvmn. Posen 1891. Vgl.
Archiv Xn 197 ff.
Breslau. A. Zimmermann.
A^nellus, agellus.
Auf S. 306 oben ist darauf hingewiesen, dafs agnellus schwer-
lich von agnulus w^eitergebildet sein kann, weil dieses äufserst selten,
jenes häufig und schon plautinisch ist. Es bleibt noch nachzutragen,
dafs nach der Analogie von tignum Tigellius, signum sigillum (S. 302)
die Deminutivbildung ag(e)n-lus = agellus ergeben hätte, welches mit
ag(^e)r-lus = agellus zusanmienfiel und darum nicht gebraucht werden
konnte.
München. Ed. Wölfflin.
SalHamentarins.
Was man bekanntlich in vielen älteren Büchern liest, Hoi*az sei
der Sohn eines Salzhändlers gewesen, geht auf die Suetonvitu zurück:
patre, ut creditum est, salsamentario. Aber der Salzhandel allein kann
doch kaum ein Gewerbe gewesen sein, und ganz gewnfs ist salsamen-
tum nicht mit Salz identisch, sondern bezeichnet, ähnlich wie pulpa-
mentum, etwas mit Salz Bereitetes. So hat man denn an Salzfische
gedacht. Die Donatscholien zu Ter. Ad. 380 erklären: salsamenta aut
salsi pisces sunt aut laridum; die von Schlee herausgegebenen Scho-
lien: salsamenta] cames sale conditas. Gloss. Plac. 79, 24 D. salsa-
menta omnes res salsae. Die Richtigkeit dieser Deutung haben mir
meine Wanderungen nach dem Süden bestätigt: denn schon in Lugano
fand ich eine Salsa mentaria, d. h. einen Laden, in welchem Schinken,
Würste u. ä. zu haben waren. Darum braucht freilich die Vorliebe
des DichtiTs für laridum nicht aus dem elterlichen Hause hergeleitet
zu werden, da die nieiston Römer diesen Geschmack mit Horaz teilten.
München: Ed. Wölfflin.
Die Bildungen avif -eiius.
Lateinische Wörter auf -cnus sind in letzter Zeit mehrfach
Gegenstand lebhafter Erörterung gewesen. Namentlich um ah'enus
hat sich die Diskussion gedreht. Skutsch Suff, -no- 13 ff., VoUm.
Roman. Jahresber. V 60, Arch. XII 201 ff. erklärt alientis aus
*alümis mit Übergang von ü zu /e, Brugmann Ber. d. Sachs.
Ges. d. Wiss. lüOO, 407 ff. bestreitet diesen Lautwandel und führt
alienus auf ^alieitios zurück, wo ei wegen . des vorausgehenden i
zu e statt wie sonst zu f geworden sei. Auch Verf. hat sich
Osk.-Ümbr. Gramm. II 34 f skeptisch gegenüber Skutsch verhalten
und verharrt noch heute bei seinem Zweifel. Diesen näher zu
begründen, sei eine kurze Besprechung der Bildungen auf -enus
gestattet.
Zunächst sind diejenigen Wörter auszuscheiden, wo -cnus für
-esnos steht: aemis, venenmn, verhetui, wahrscheinlich auch sacena,
caiena, (avena?), seremis. Diesen reiht sich vielleicht tolleno
'Hebebalken, Schwungbalken' an, indem ^tol-es-no- mit tol-er-o
verglichen werden könnte (11 von tollo bezogen). Zweifelhaft ist
egeniiS trotz eges-tas, da letzteres vielleicht mit potestas vom I^ar-
ticip ausgeht (über das Lautliche Verf. a. a. 0. II 70, Anm.). Also
eher ege-fius mit dem primären (participialen) -no- von plenus etc.?
So femer habe-mi, von habe- in der Bedeutung 'halten' (vgl. /re-
num von W. dher dhrc 'halten'). Wegen des e in zweisilbigem
Stamm vgl. man acutum, oletum, Moneta u. dgl. Zu einer dieser
beiden Kategorien gehört jedenfalls auch (h)arena\ die Beziehung
zu areo ist, wie sabin. fasena zeigt, blofs volksetymologisch.
Nun kommen wir zu alienus und Genossen. Beim lat. Suffix
-inus sind drei Möglichkeiten zu unterscheiden: entweder es ist
überall = urit. -1)10-, oder es steht teils für -Ino-, teils für -eino-
(eventuell auch -aino, -o/«ö-), oder es ist überall = -eino-. heiz-
teres scheint die Ansicht von Meyer -Lübke MisceUanee Ascoli
417 zu sein. Meyer-Lübke geht vom Keltischen aus, wo er mit
25*
368 Robert Planta:
Recht die Fomi -e)io- aus -eino- statuiert.*) Nun steht allerdings
nach allgemeiner Annahme das Keltische in besonders naher
Beziehung zum Lateinischen, aber ungleich näher verwandt sind
doch die italischen Dialekte. Diese bieten fast durchweg 'Ino-,
also war diese Form zweifellos auch im Lateinischen vorhanden.
Die erste der drei genannten Möglichkeiten vertritt Skutseh.
Ich stimme Skutseh darin bei, dafs dlienus und Iwiietm das lat.
Suffix -inus enthalten, kann aber nicht finden, dafs dadurch laut-
licher Übergang von il zu ie erwiesen und das Vorhandensein
der Suffixform urit. -eim- widerlegt sei. Skutseh legt oben S. 204
besonderes Gewicht auf sein drittes Beispiel für il zu ?e, die
Eigennamen auf 'imtiSy aber gerade hier ist seine Position recht
schwach. Die lat. Inschriften des oskisch-sabellischen Sprach-
gebietes bieten neben den Gentilicia auf -ienus ungefähr gleich
häufig solche auf -enns. Diese einfach beiseite zu schieben,
geht nicht an. Auch der Notbehelf, sie als Neubildungen für
-Inns nach den Formen auf -ienus zu erklären, ist schwerlich zu-
lässig; eher noch liefse sich das umgekehrte verteidigen: wenn
man z. B. VariuSj Vnrenus und Varienus neben einander hat, aber
m. W. keinen Varinus (jedenfalls nicht auf dem genannten Sprach-
gebiet), so sieht doch viel eher Varienus nach einer Kontamina-
tionsbildung von Varins und Varenns aus. Aufserdem aber
dürfen die Personennamen auf -emiH nicht von den Ortsnamen
auf -enns, -emini, -ena getrennt werden. Die lat. Nomina genti-
licia endigen bekanntlich durchweg auf -ins aufser denjenigen auf
'änus, -Imis und -enns (und einigen spezielleren Fällen, s. Hübner
in Iw. Müllers Handb. P &u). Genau wie die Ortsnamen auf
'äwtm, -Inum neben den Gentilicia auf -änus, -Inus, stehen die
Ortsnamen auf -enunt neben den Gentilicia auf -enus. Dieser
Parallelismus darf nicht ignoriert werden.
Sehen wir uns nun einige der Namen etwas näher an. Da
haben wir u. a. einen Bach Fibrenns im Volskischen. Dafs dies
filtrlnus der Biber-Bach sei, ist angesichts der Häufigkeit der Be-
nennung von Bächen und an Bächen gelegenen Ortlichkeiten nach
diesem Tier keinen Augenblick zu bezweifeln. Andere Ortsnamen
auf -mus, deren Besprechung hier zu weit fiihren würde, findet
*i Für afranz. bcsaine obwald. hazeina 'Bienenkorb' möchte ich jedoch
nicht ein kelt. Wort *hcsena eigens konstruieren, sondern 8ehe darin ober-
deutsches hi-ze'uia 'Bienen -Korb'. Die »/-lose Form ahd. 6m, mhd. bk ist
noch jetzt im Schweizerdeutschen verbreitet, elienso das Wort zcine == Korb.
Die Bildungen auf -enuH. 369
man in meiner Gramm. II 35. Ich erwähne noch Auflnum im
Vestinischen, weil der Name jetzt Ofena lautet, worin sehr wohl
der echtere Vokal erhalten sein kann. Vermutlich ist der Name
identisch mit Aufidena (in Samnium), wie auch der Personen-
name Aufiiis = AufdiuSy Aufidins sein mag (Assimilation wie in
osk. iossa aus ^iosdum, eJckiim aus *ekdum Verf. a. a. 0. 1 418 f.,
II 465 f.). Dafs Aufulenus auch als Gentilicium vorkommt (zwei-
mal im C. I. L. IX), führt uns zu den Personennamen auf -enn$,
Skutsch oben S. 202 Anm. filhrt einen an: Ferrenus CLL. IX
f)16 und 597, in der Absicht, dadurch seine Erklärung von ter-
renus als Neubildung nach cmius zu stützen. Es wäre also nach
aemts ein Adj. * ferrenus gebildet worden, und obiger Ferrenus
wäre Mer Eiserne'. Das möchte allenfalls hingehen bei einem
Cognomen Ferrams (obgleich ich im C.I. L. I, IX, X kein Cogn.
Äenus od. ä. finde), das Gentilicium aber darf keinesfalls aus
dem Zusammenhang mit den übrigen Gentilicia auf -enns gerissen
werden. Das rr in Feyirenus steht wohl für r durch Anlehnung
an fhrum wie auch Ferroniiis für Feronim vorkommt (vgl. auch
Ferennhis C. L L. IX 105S).
Wir nennen nun einige etymologisch durchsichtige Genti-
licia auf -enus, Alfenus : alhusj Rufrenus : ruber, Canenus : canus,
Caesenus : cacsius 'grauäugig' (^caesus ohne / ist auch voraus-
gesetzt durch dneso, Caesonius, Caesidlns), Vareniis : varuSf Septi-
wenns, Lupenns. Diese Namen sind allerdings nicht direkt von
den Grundwörtern als solchen abzuleiten. Bekanntlich sind ja
die lat. Gentilicia mit wenigen Ausnahmen Adjektivbildimgen
(Patronymika) zu alten Individual- oder Übernamen (die letzteren
waren in ähnlicher Art als Cognomina auch nach Einführung des
Dreinamen-Systems noch üblich). Wir müssen also Buf'renus von
einem Rufer, Lupenus von einem Lupus j Torcnus von einem Tau-
rus U.S.W, ableiten.*) Die Adjektivfunktion dieses -enus ist also
ähnlich derjenigen in Fibrenus, fibr'mus, auch hier findet sich ver-
einzelt 'Inus nebeji -onus, z. B. Vettinus neben Vetfenus. Meistens
jedoch steht in diesen Fällen die erweiterte Form -Inius neben
-enus (und -Inius). Dies erklärt sich wohl daraus, dafs es viele
(Jognomina auf -inus (aber wenige auf -enus) gab, sodafs dem
*) Ißt etwa das gauz abnorme Gentilicium Verres (Hübncr a. a. 0. GG7
mit Anm.) dadurch entstanden, dafs Verrenus in osk.-sabell. Form Verre(u)8
vom Cogn. Verres und SubHt. verres attrahiert wurde? Noch unerklärt sind
die merkwürdigen römischen liamnes, Tities und Luccres {'insis oder -enus?).
370 Robert Planta:
Gentil. zur Unterscheidung vom Cogn. -ins angefügt wurde, z. B.
Gentil. Rufrerms und Bufrinius, Cogn. Rufrimis. Die Form auf
-mus war eben die erstarrende, daher im Gentil., das selbst ein
erstarrtes Adjektivum ist, häufig, während auf dem Gebiete der
lebendigeren Namengebung, des Cognomens, die lebendige Suffix-
form 'Inus verwendet wurde.*) Schon hier sei bemerkt, dafs
einer Erklärung dieses -enus aus urit. -einos lautlich (wie schon
Gramm. 11 35 erwähnt) nichts im Wege stände, da e statt f aus
ei einfach die Form des ländlichen oder Italiker-Lateins wäre wie
p, h, f in popina, hos, rnfus u. dgl.
Nun gehen wir zu dem anfangs noch beiseite gelassenen
Kest von Substantiven und Adjektiven über. Von Substantiven
erwähnen wir zuerst snrena 'eine Art von Muscheltierchen'. Varro
1. 1. V 77 sagt ausdrücklich, dafs das Wort echt einheimisch und
dafs die Muschel nach der äufseren Ähnlichkeit benannt sei, also
oflfenbar von siira (oder siirus). Dafs die Form der ländlichen
Sprache entstamme, ist leicht möglich; man ist sogar versucht,
darin einen Vorläufer des romanischen, aus dem Begriff der Ähn-
lichkeit entwickelten Deminutiv- Gebrauches von -Inus zu sehen,
denn 'Wädchen' (oder 'Pflöckchen') würde recht gut passen.**)
So findet sich colnmhinl 'Täubchen' Martial 13,66 (in der Über-
schrift)***) und Edict. Diocl. 4, 29, aufserdem gehört vielleicht
hierher pedicini Cato r. r. 18, 4 und iomacinae Varro r. r. II 4, 10
als Parallelform zu iomac-uhün (Keil liest jedoch comatinae).
Paucker Spicilegium 204 erwähnt (femininus aus den Not. Tir. Man
beachte auch Cogn. Rusficinus als jüngeren Bruder eines Rustieus
etc., Pott Personn. 201, Schwabe De Deminutivis 57. Femer
Verrintis im Wortspiel mit Porcellns im Testam. Porcelli? Bei
*) Bei don Namen auf -iin'ns osk. -inis ist übrigens oft die Quantität
zweifelhaft, wie ich Gramm. TI 34 bemerkt habe. Skutsch wendet ein, i
werde „erst dann glaublich sein, wenn lat. Namen auf -huis nachgewiesen''
seien. Dabei sind die lateinischen Namen mit sicherem t übersehen , wie
FIdtfnuius, Asinius, Licinins, Geminius, Stertinius, Terminius, CotHtnius.
Wie Flami)nus von flamen kommt, so glaube ich, dafs noch mehrfach bei
-inius w-Stämnie zu Grunde liegen, auch wo -önius daneben liegt. Die
b'orm -hiius wäre ein Rest der alten, sonst zu Gunsten von -öw- ausge-
glichenen Stammabstufung (vgl. Gramm. II 63 über Xaseiniius : Ktrsonius
etc. und II 00 über osk. 'Tintiriis : Tintttrius etc.).
**) Auch das Altirische verwendet das Suffix -eno- = -eino- deminutiv
(Zouss-Ebel 274).
***) Neuere Ausga})en schreiben wohl mit Unrecht columhae.
Die Bildungen auf -enus. 371
dem von Paucker a. a. 0. erwähnten mollicinus ist jedenfalls Volks-
etymologie im Spiel. Die Form -enus erscheint wieder in pulli'
cenus bei Lampridius, das von Skutsch Suff, -no- 18 Anm. mit
Unrecht angezweifelt wird (rätorom. pulschain). Das im Nord-
italienischen vorliegende *miculena 'Brosamen' (Meyer-Lübke II
492) mag wenigstens erwähnt sein. In crumina crumenn 'Geld-
säckchen' die Deminutivform zu sehen, wäre freilich trotz der
Bedeutung gewagt, da das Wort etymologisch unklar ist. Die
Form crnmena aber ganz zu verwerfen (Skutsch a. a. 0., Solmsen
K. Z. 34, 14), braucht man sich vielleicht doch nicht zu ent-
schliefsen, wenn sie einfach als rustikane Nebenform betrachtet
werden kann.
Cantilena von cantuhis erinnert seiner Bildung nach an Cati-
lina, THtilina (wegen -//- vgl. auch inquilinus). Die Annahme,
das e sei rustik-vul^r, liefse sich dadurch stützen, dafs das Wort
in älterer Zeit verächtlichen Sinn hatte, etwa 'abgedroschene
Leier, gemeiner Singsang'. Deminutiv- und Pejorativ-Bedeutung
stehen sich bekanntlich sehr nahe (vgl. auch pdrietivae 'alte zer-
fallende Mauern'?). Postilena bei Plaut, nebst antilena (Vorder-
und Hinterriemen am Geschirr) könnten direkte Ableitungen von
2)0stid, antid (vgl. posiid-ea, antid-eOj anfid-hac) sein, wie sup-
'Inus von *siipj suh. Die dreifache Dentalkonsonanz f-d-n kann
den Übergang zu / begünstigt haben. Ital. posoUno zeigt die
/-Form, aber das wird sekundäre Suffixvertauschung sein.
Der Vollständigkeit wegen erwähne ich noch das etymologisch
dunkle Caniena, Am nächsten liegt der Vergleich mit camiUus
'vornehmer Knabe' (= camln-hisY), doch beachte man auch den
alten König Cameses. Aus dem Griechischen stammt gaJena.
Eine andere Entwickelung der Ahnlichkeitsbedeutung ist die
im Deutschen* durch -lieh ausgedrückte, wie in gelblich, säuerlich
etc. Im Spanischen haben wir hier -eno in moreiw. Vielleicht
könnte man einen Vorläufer in helveiv-nms 'gelblich' sehen. 'Säuer-
lich' haben wir in ital. amarena 'Sauerkirsche'. Sollte etwa das
volsk. Flüfschen AmasmiHs von einem säuerlichen Beigeschmack
des Wassers den Namen haben? (Sehr unsicher.)
Überblicken wir nun das vorgebrachte Material, so scheint
uns bei dem offenbaren Parallel isnius der Funktion die Annahme
sehr wohl verfechtbar, dafs -enus = urit. -e'inos, Nebenform zu
urit. 'inos, sei. Im Arischen und Littauischen ist das Nebenein-
ander beider Formen noch klar vorhanden, und dafs es einst auch
372 Robert Planta: Die Bildungen auf -enus.
im Germanischen und Slavischen bestand^ ist sehr wohl möglich
(die beiden Formen mnfsten urgerman. und urslav. zusammen-
fallen). In „italokeltischer Zeit" hätten die beiden Formen eben-
falls neben einander gestanden^ das Kelt. hätte -eino - bevorzugt (ein
Rest von -hio- wäre Tiäntis), das Italische hingegen -luo-, doch so,
dafs noch zahlreiche Spuren des absterbenden -ei)W- vorhanden
wären. Im Stadtlateinischeu mufsten beide Formen lautgesetzlich
zusammenfallen. Die Möglichkeit, dafs aliemis, laniena ic aus iei
enthalten, bleibt also durchaus bestehen. Anunus von Anio scheint
ein ähnliches Problem aufzugeben wie Virglnius von virf^o (vgl.
IlaQd^iviog). Aus ^Virgin-lnius'^ Dann wäre Anienu,i =*An^en'
enus und das Adjektiv hätte sein e auf Genetiv Anienis etc. über-
tragen. Bei Nerien- kommen beide Messungen des e vor (s. For-
cell. Onomast. s. v.) Liefse sich die Konfusion etwa auch daraus
erklären, dafs der vulgärlateinische Tonwechsel von ixtrietemy
-iolus etc. im Sabinischen schon frühzeitig eingetreten wäre? An
die idg. Ablautsstufe -mi- zu glauben, kann ich mich nicht ent-
schliefseu.
In Norditalien scheinen die noch etwa übrig gebliebenen
-eno' des Italiker- Lateins*) einigen Zuzug erhalten zu haben
durch das kelt. -eno-. So trat hier ^medienus neben media-
uns: lombard. mezzcna, engad. masein ^Speck8eite' (Meyer -Lübke
Mise. Asc. 415 Anm.), woneben auch der Ortsname Masein = Mitte
vorkommt. Namentlich in Ortsnamen hat -eno- an Stelle von -7wo-
in diesen Gegenden eine gewaltige Ausdehnung gewonnen, bis
hinein in die Flurnamen wie rätorom. Lavrain hporenu Hasen-
feld, Pudrain petrenu Steinwiese, Novain novenn Neufeld und zahl-
lose andere.
Zum Schlufs erübrigt uns noch ein Wort über terrenus.
Skutschs Deutung als Neubildung nach avmis könnte uns gut
l>a8sen, da die Erklärung als rustikane Form hier wenig für sich
hat. Jedoch ziehen wir vor, das Urteil über dieses Wort noch
aufzuschieben.
*) t'ber Italiker-Latein und Romanisch vergleiche man das Buch von
Mohl, La Chronologie du Latin vulgaire.
Zürich. Robert Planta.
Moderne Lexikographie. *)
Es giebt zweierlei Arten von Wörterbüchern, je nachdem
dieselben rein praktische oder wissenschaftliche Zwecke verfolgen.
Die ersteren stellen gewöhnlich zwei Sprachen sich gegenüber
und sollen uns anleiten, welche Wörter der beiderseitigen Spracjh-
gebiete sich decken oder entsprechen, beziehungsweise wie man
ein Wort in eine andere Sprache zu übersetzen habe. Die andern
ruhen nicht auf bilinguer Grundlage, sondern sie wollen die Ge-
schichte eines Wortes innerhalb der Einzelsprache, die Ent-
wicklung der Fonn wie der Bedeutung, uns vorführen. Zu den
letzteren gehört der Thesaurus linguae latinae.
Wie überall, spielen auch in der Lexikographie die Begriffe
Zeit und Raum eine Hauptrolle. Auf das quis? imd quid?
folgt das quando? und das ubi?, denn ohne beide giebt es keine
wissenschaftliche Erkenntnis. Die Bedeutung des ersten Faktors
wird indessen immer durch die praktischen Interessen zurück-
gedrängt. Wer das Lateinische erst erlernen will, wird zuerst
von der mustergültigen Litteratur ausgehen, darnach fragen, was
ein Wort bei Cicero bedeutet, und erst in zweiter Linie wissen
wollen, wie es im älteren und ältesten Latein gelautet, und was
es im Spätlatein bezeichnet hat. Da nun ein Handwörterbuch,
wie das vorzügliche von Georges, ebensogut für Schüler wie für
Lehrer bestimmt ist, so darf man sich nicht darüber wimdem^
wenn die historische Betrachtung entweder unvollständig oder in
der Disposition des Artikels nicht streng durchgeführt ist. Für
den Gelehrten kann die erste Frage immer nur lauten: wo taucht
*) Da ich namentlich seit dem Erscheinen der Thesauruslieferungen
öfter» um meinen Akademievortrag vom 3. März 1894 'Die neuen Aufgaben
des Thesaurus linguae latinae' gebeten wurde, die Separatabzüge aber ver-
griffen sind, benütze ich gern den Anlals, in freier Umarbeitung die sowohl
gekürzte als erweiterte Abhandlung an dieser Stelle zu wiederholen.
Der Verf.
374 Ed. Wölfflin:
ein Wort zuerst auf? In keinem Artikel darf die älteste Beleg-
stelle fehlen. In dem Artikel facio mufs die fibula Praenestina
mit der reduplicierten Perfektform fefaced, welche man bis
450 vor Chr. hinaufrückt, obenan stehen. Supplico ist nicht
erst bei Plautus bezeugt, sondern schon durch das Carmen saliare,
foederatus nicht bei Cicero, sondern im Sen. Cons. de Bacana-
libus, eximo wiederum nicht zuerst bei Plautus, sondern bereits
in der Inschrift der Columna rostrata, deren Wortbestand wir in
die Zeit unmittelbar nach dem J. 260 vor Chr. setzen müssen.
Ja unsere bekannten Klassiker sind für die Wortgeschichte
noch lange nicht ausgenützt, und so erscheint uns nach Georges
manches Wort jünger zu sein, während es thatsächlich ein oder
zwei Jahrhunderte älter ist. Beispielsweise tritt septemtrio
nicht zuerst bei Varro auf, sondern bei Plautus Amph. 273;
marita nicht bei Horaz, sondern bei demselben Plautus; obnitor
nicht bei Lucretius, sondern bei Ennius; obiter nicht bei dem
Philosophen Seneca, sondern bei dem Kaiser Augustus (Charisius
p. 209); aquilo nicht bei Cicero, sondern bei Naevius; re-
quiesco nicht bei Cicero, sondern bei Ennius; magistra nicht
bei Terenz, sondern bei Plautus Stichus 105, während in dem
Senatus Consultum de Bacanali})us magister generis communis ist:
magister (sacrorum) neque vir necjue mulier quisquam eset, was
bei Georges nicht verzeichnet ist. Bei dem Worte campana ist
der Nachweis der ältesten Stelle so wichtig, dafs derselbe das
einzige Mittel ist, um das approximative Alter der Glocken zu
bestimmen (Arch. XI 537), und durch das Studium der Lexiko-
graphie ist es möglich geworden, die Erfindung vorläufig um
2 Jahrhunderte weiter hinaufzurücken. Neubildungen mit Sicher^
heit an den Namen bestimmter Männer zu knüpfen, ist uns leider
nur selten vergönnt; doch möge man sich an das erinnern, was
♦Sueton Div. lul. ()7 von Caesar sagt: milites pro contione blan-
diore nomine commilitones appellabat. Von ad o rare ist
glaublich, dafs man es dem Vergil Georg. 1, iM)) verdankt. Vgl.
Iloerdegen, Semasiol. Unters. Heft 3, S. 101. Pacalis geht auf
Ovid zurück, ist aber ])ald verschollen. Weitere Beispiele zu
Dutzenden und Hunderten aufzuzählen ist zwecklos; es genügt
nachgewiesen zu liaben, dafs man aus dem Buche von Georges
keine Wortgeschichte auf])auen kann und also die Vorstellung
abwerfen nuifs, als könne man sicli auf dieses Hilfsmittel ver-
lassen.
Moderne Lexikographie. 375
Die Berücksichtigung dieses historischen Faktors soll sich
indessen nicht nur bei dem ersten Auftreten eines Wortes zeigen,
sondern auch bei dem ersten Auftreten der Formen, Verbindungen,
Konstruktionen und Bedeutungen. Unter apud müssen wir also
nicht nur die längst bekannte Festusstelle finden, welche uns von
einer altlateinischen Form apor berichtet, sondern auch den Beleg
der Fuciner Bronzeplatta apur finem, welcher denn auch im
Thesaurus neu hinzugekommen ist. Wer zuerst die Form circa
statt des älteren circum gebraucht, mufs man zuerst wissen, be-
vor man die Form zu erklären unternimmt. Wenn man die
Form circumcirca aus dem Spiele läfst, finden wir circa zuerst
in den Verrinen Ciceros (Arch. V 295) dreimal, und wenn wir
auch nicht an dem Jahre 70 vor Chr. festhalten wollen, so wird
doch damit die Zeit des Auftauchens annäherungsweise bestimmt
sein. Vgl. Stowasser, Wiener Studien 1900, S. 120 S.
Soweit die Formenlehre Neues reicht, besitzen wir an
diesem Buche einen verlässigeren Führer, obwohl einem die Nach-
prüfung nie erspart bleibt.
Es ist hier unter anderem darauf zu achten, welche Neu-
bildungen durch das Bedürfnis des Hexameters hervorgerufen,
von Dichtem geschafi'en und von den Prosaikern der Kaiserzeit
übernommen worden sind. Maximitas für das ungefüge magni-
tudo hat Lucretius gebildet und sein fleifsiger Leser Arnobius
sich angeeignet, gerade wie auch nominito; super vacuus da-
gegen (Arch. XI 509), seit Horaz bekannt, hat in weiteren Kreisen
Aufnahme gefunden, und das vergilianische eloquium für elo-
quentia ist ein Lieblingswort der Kirchenväter. Wie weit darin
Ennius vorangegangen, läfst sich bei dem Verluste seiner Annalen
höchstens vermuten.
Wir bezeichneten es oben als Aufgabe der Lexikographie,
womöglich die Prägung gewisser Formeln und Wortverbindungen
auf das Jahr zu bestimmen. Wer hat also die bei Cicero und
Sallust häufige AUitteration mansuetudo et misericordia zuerst
in Umlauf gesetzt? Alle Spuren leiten darauf, dafs Caesar sich
dieser Wendung ])edient habe in der berühmten Senatsdebatte
über die Bestrafung der Catilinarier, und auf ihn beziehen sich
also Catos Worte })ei SaUust Cat. 52, 11: hie mihi quisquam
mansuetudinem et misericordiam nominat, auf ihn 52, 27 nae ista
vobis mansuetudo et misericordia in miseriam convortat; und
die politische Erregung machte aus der Phrase bald ein ge-
376 Ed. Wölfflin:
flügeltes Wort. Caesars Liebe zur Allitteration ist ja bekannt,
nicht nur sein Veni, vidi, vici, auch sein Ausspruch, den er nach
der Schlacht bei Munda gethan, non de victoria, sed de vita cer-
tasse (Arch. VII 568). Cicero hat sich jenes Ausdruckes mehr-
fach bedient in den nach seinem Konsulate gehaltenen Beden
und schon in der Niederschrift der Mureniaua 90; in den Verrinen
5, 115 schreibt er noch dementia m mansuetudinemque. Einen
Vorläufer der Substantiwerbindung haben wir übrigens bei
Cornificius 2, 25 mausuetus et misericors.
Das Wagnis, neue Konstruktionen auf ihre Urheber zurück-
zuführen, bleibt trotz allem Fleifse darum ein gefährliches Unter-
nehmen, weil so grofse Massen der Litteratur verloren gegangen
sind und man abgesehen von der Litteratur noch mit der Um-
gangssprache zu rechnen hat. Und gewifs nicht leichter ist es,
die sich verändernden Wortbedeutungen chronologisch zu fixieren.
Es wird daher nicht unpassend sein, wenn wir einige Beispiele
aus der Muttersprache heranziehen, um aus unseren eigenen
Lebenserfahrungen einige allgemeine Gesichtspunkte abzuleiten.
Nehmen wir das Wort ^Übermensch', so werden wir zuerst an
die Philosophie von Nietzsche erinnert, und doch ist das W^ort
viel älter. N. hat die Münze allgemein in Kurs gebracht, aber
selbst geprägt hat er sie nicht. Durchqueren wird auf die neuen
Afrikaforschungen zurückgehen. Noch weifs ich davon zu er-
zählen, wie man anfänglich schwankte zwischen Telegraphem
und Telegramm; doch siegte bald das letztere. Ein besonders
lehrreiches Beispiel für die Raschheit des Wechsels geben uns die
verschiedenen deutschen Ausdrücke zur Bezeichnung der schöneren
Hälfte des Menschengeschlechtes. Die ursprünglichen Gegensätze
sind wohl Mann und Weib, männlich und weiblich; allein dem
Ausdrucke Weib hat sich mit der Zeit etwas Unedles angeheftet,
und als daher die weltbewegende Frage auftauchte, ob und wie
weit den Universitätsstudium betreibenden Jünglingen weibliche
Kolleginnen an die Seite gestellt werden könnten, war man um
ein Wort verlegen. Mädchen durfte man die Studentinnen nicht
nennen, da die ^Mädchenschulen' einem tieferen Lebensalter ent-
sprechen, und so siegte über das ^D amen Studium' das 'Frauen-
studium'; die Trauen' mufsten die verheirateten wie die unver-
heirateten umfassen, indem der Begrifi* ^erweitert' wurde. Die
neue Bedeutung fällt mit einer grofsen Kulturbewegung zusammen
und findet in derselben ihre Erklärung. Über das Sinken des
Moderne Lexikographie. 377
Wortes Jungfrau, Jungfer und über Fräulein ist schon früher im
Archiv gesprochen.
Will man also die Ursachen einer Bedeutungsverschiebung
erforschen, so mufs man für das betr. Wort nicht nur reiche
Materialien aus allen Zeiten haben, sondern meist auch die kon-
kurrierenden Svnonvma in die Betrachtung hineinziehen. In
neuester Zeit haben wir zwei Monographien erhalten, welche zur
Aufklärung beitragen können, Elementum von Herm. Diels
(Arch. XI 443; XII 141) und Species von dem Unterzeichneten
(Arch. XI 540 ff. = Münchn. Sitz.-Ber. 1900, 1—30). Weiter ver-
schlungene Wege, welche bisher nur nach einer Seite verfolgt
sind, hat ohne Zweifel das Wort species zurückgelegt, indem es,
ursprünglich Übersetzung des aristotelischen sldo^j durch das
Medium der juristischen Litteratur bis zu dem modernen Spezerei-
laden führte. Was aber in der Untersuchung einzelner Wörter
gewonnen wird, trägt neue Frucht, indem man es nach den Ge-
setzen der Analogie auf bisher unerklärte Fälle anwendet.
Dafs comp lex ursprünglich den Amtsgenossen bezeichnete,
lehren uns die Wörterbücher; der Papst Gelasius hat indessen
das Wort zur Bezeichnung der Parteigenossen, und zwar in
malam partem des Sektenanhängers gebraucht, was im Zeitalter
der Häresien nicht auffallen kann. Indem er eine Stelle des
Acacius (consors insaniae) erklärte, änderte er die Worte in
*complex insaniae Petri' und behielt dann den ihm zusagenden
Ausdruck an einigen 30 Stellen bei. Allein genau betrachtet
steht die Sache doch wie bei dem Übermenschen. Gelasius hat
den neuen Ausdruck durchgesetzt, wenn er auch nicht der Ur-
heber ist. Denn schon Simplicius (um 480) hatte ihn einmal
gebraucht; die Erklärung der Bischöfe (404) verbindet das Alte
mit dem Neuen (Petri complicibus atque consortibus); zum Siege
verholfen hat dem letzteren Gelasius, und im Französischen wie
im Italienischen bezeichnet das Wort nur noch den Mitschul-
digen. Vgl. Arch. XII 7 f. Zu solchen Beobachtungen gehört
aber eben zweierlei: dals die Philologen erkennen lernen, was zu
wissen notwendig sei, um die Lebensgeschichte eines Wortes zu
schreiben, und dann, dafs sie auch den erforderlichen Fleifs ein-
setzen, um das Material zu sammeln.
Wenn man im Spätlatein neue Bedeutungen nachweist, so
kann es ausnahmsweise auch unsere Aufgabe sein, die Urbedeu-
tungen im archaischen Latein zu rekonstruieren. Ein Beispiel
378 Ed. Wölfflin:
dieser Art bietet uns praesens in der Inschrift der Colnmna
rostrata, wo es von Duilius heifst, er habe praesented [AnibaledJ
dictatored die karthagische Flotte besiegt. Dafs man mit der
Ubersetzunff ^in Gegenwart des Oberadmirales' zu einem Nonsens
gelangt, „L .„g^.W. werde., „r i,* d„ A^..t, d^i.
die Unechtheit zu begründen, zu schwach. Das Altlatein besafs
nicht nur die Dii consentes (övvövreg)] es existierte auch ein
'insens' nach Carm. epigr. 36G Buch, und neben absens wahr-
scheinlich auch ein adsens, welches freilich nach vollzogener
Assimilation mit jenem zusammenzufallen drohte. Um den Gegen-
satz schärfer auszudrücken, griflf man zu absens — praesens (voran
befindlich, z. B. unter den Zeugen vor Gericht = anwesend).
Aber was muTste nun praesens vor diesem Tausche bedeutet
haben? Es war einfach Particip zu praeesse, sodafs praesented
dictatored bedeutete 'Siyox^iiivov vavccQxov^ gerade wie Polyb 1,
23, 4 schreibt fiystro d' 'Avvißag. Man hat nun verschiedene
Versuche gemacht, das Particip praesens in diesem Sinne auch
anderswo nachzuweisen; ob mit Erfolg, möchte ich nicht ent-
scheiden. Ausou. epigr. 26 (p. 320 Peip.)
Phoebe potens numeris, praesens Tritonia bellis, nach cod. M,
während gewöhnlich praeses ediert wird. Vergil. gramm. p. 19, 2 H.
Beherrscht nun auch die historische Betrachtung die ganze
moderne Wissenschaft, so reicht doch aller Fleifs nicht aus, um
aus der erhaltenen Litteratur ein Bild der lebenden Sprache und
ihres Reichtums zu gewinnen. Wie viele Wörter blühten, welche
in der geschriebenen Litteratur keine Spur hinterlassen haben!
So kennen wir scribo, -onis erst aus den Schriften Gregors
des Grofsen. Für die romanischen Sprachen nützt uns dies nicht
viel, da diese ein scribanus entwickelt haben (frz. ecrivain).
Gleichwohl mufs die Form scrilx) viel älter sein, da der Xame
der geus Scribonia nur von scri})0 abgeleitet sein kann. Wäh-
rend die Litteratursprache an scriba festhielt, schuf die Volks-
sprache oder Soldatensprache ein scribo mit Augmentativsuffix.
Möglicherweise konnten die Soldaten den die Skripturen führen-
den Feldwebel so nennen, oder der Geist der Bureaukratie
bauschte die scribae zu scribones auf.
Müssen wir allen W^ert darauf legen, dafs uns der Thesaurus
unter allen Umständen die älteste Belegstelle biete, so wäre
theoretisch genommen auch die Forderung zu stellen; dafs er
auch das letzte Zeugnis von Wörtern biete, welche in den roma-
Moderne Lexikographie. 379
nischen Sprachen untergegangen sind. Allein diese Untersuchung
hat nur einen geringen praktischen Wert. Wenn nämlich ge-
wisse Wörter in der Volkssprache zurücktreten und schliefslich
absterhen, so erhalten sie sich immer noch in den Schriften
gelehrter Autoren, welche dieselben aus der Lektüre der Klassiker
schöpfen. Durch dieses Fortleben im Treibhause dürfen wir uns
freilich nicht täuschen lassen, vielmehr erwächst uns die neue,,
schwierige Pflicht, auf anderem Wege dem Untergange der Wöi-ter
in der lebendigen Umgangssprache nachzuforschen. Hier gelten
die ungebildeten Autoren mehr als die gebildeten ; denn sie allein
geben die Sprache ihrer Zeit wieder, während diejenigen, welche
eine gute Schule durchgemacht haben, und Männer der Wissen-
schaft, welche litterarische Quellen benützen, durch ihren Unter-
richt und ihre Lektüre beeinflufst sind. Wo die Quellen noch
erhalten sind, wie bei Solin die Naturgeschichte des Plinius, bei
Orosius die Weltgeschichte des Justin und andere historische
Werke, da läfst sich die Sprache eines Autors scheiden in »eine
eigene und in die von Vorgängern übernommene; in den meisten
Pällen jedoch ist dies nicht mehr möglich. Apuleius und Ammian
haben so viel gelesen, dafs wir namentlich bei dem ersten oft
gar nicht entscheiden können, ob ein Wort dem afrikanischen
Sprachschatze und dem zweiten Jahrhimdert angehört, oder ob
es aus einem alten für uns verlorenen Autor gezogen ist. Durch
genaue Beobachtungen, wie sie freilich zur Zeit noch nicht ge-
macht sind, kann es indessen gelingen, das Absterben eines Wortes
nachzuweisen. Saepe ist nicht nur in den romanischen Sprachen
spurlos verschwimden, es mufs schon in der römischen Kaiserzeit
auffallend zurückgegangen und durch subinde (souvent), fre-
quenter u. a. verdrängt worden sein. Denn wenn man bedenkt,
dafs bei Pomponius Mela auf 3 saepe ein Dutzend subinde
treffen, in den ersten 4 Büchern der Astrologie des Firmicus
Maternus auf etwa 3 saepe annähernd 60 frequenter, bei Cassius
Felix auf 3 saepe mehr als 7U frequenter, ein Adverb, welches
Caesar, Sallust u. a. gar nie gebraucht haben, so zeigt dies doch
wohl, dafs saepe keine festen Wurzeln hatte, mögen es auch ge-
lehrte Autoren noch so oft gebrauchen. Oder wenn diu bei
Caelius Aurelianus fehlt, wie in den romanischen Sprachen, abge-
sehen von den Komposita tandis und jadis, so erkennen wir auch
darin eine Bestätigung davon, dafs die sogenannten romanischen
Veränderungen im Sprachgebrauche viel weiter hinaufreichen.
H80 Kd. Wölfflin:
Länger als saepe und diu haben ohne Zweifel saepius, saepicule,
saepissime, saepenumero, persaepe, diutius, diutissime, diutule,
<liutume u. a. gelebt.
Wenden wir uns von der Zeit zum Räume; also zu den ört-
lichen Verschiedenheiten der lateinischen Sprache, so kommen
wir auf eine Art der Betrachtung, welche den Alten fremd ge-
wesen ist, während sie für die Unterschiede des älteren und des
jüngeren Lateins ein offenes Auge gehabt haben. Wohl wissen
wir, dafs das Latein von Praeneste nicht identisch war mit dem
von Rom ; ob aber das Latein ganzer Länder, wie Gallien, Spanien,
Afrika, verschieden war von dem Italiens, d. h. ob sich die Vor-
läufer der romanischen Sprachen schon im Lateinischen erkennen
lassen, darüber gehen die Ansichten der Gelehrten auseinander,
was auch ganz begreiflich ist, da die Untersuchungen erst in
-den letzten Jahrzehnten begonnen haben. Nur der vielgereiste
Hieron vmus kommt uns zu Hilfe in der vielcitierten Stelle
Comment. Gal. 2,3: cum et ipsa latinitas et regionibus cotidie
mutetur et tempore. Wenn aber ein Sprachkenner ersten Ranges
so etwas schreibt, so dürfte damit bewiesen sein, dafs für seine
Zeit sein Ui*teil richtig ist; ob auch für das erste Jahrhundert
der Kaiserzeit, wäre eine andere Frage. Wir möchten daher die
Frage offen lassen, ob das Latein, welches die römischen Le-
gionen nach Hispanien brachten, durch den Einflufs der iberi-
schen Landessprache schon damals modifiziert wurde und ob die
Sprache der Soldaten Caesars in Gallien ähnliche Veränderungen
durch die Einwirkung des Keltischen erlitt; stehen uns doch für
«in hispanisches Latein höchstens Litteraturdenkmäler des ersten
Jahrlmnderts nach Chr. zur Verfügung und Werke von Ver-
fassern, welche eine gründliche grammatisch - rhetorische Bildung
hatten. Aber für die späteren Jahrhunderte der Kaiserzeit
müssen wir die Frage aufnehmen, um so mehr, als es Gelehrte
giebt, welche die Spalt imgen des Lateins nach Ländern zwar
nicht grundsätzlich leugnen, aber doch die Forschung darnach
für vergebliche Mühe erklären. Wir geben zu, dafs manches von
dem, was man als gallisches oder afrikanisches Latein ausgegeben
hat, nicht stichhaltig ist, aber auf das weitere Suchen verzichten
wir darum nicht.
Das schlagendste Beispiel seheint mir die Umschreibung des
Komparativs zu sein, da das Spanische und Portugiesische magis
wühlten, das Französische und Italienische plus, und das spa-
Moderne Lexikographie. 381
nische^ das gallische^ das italienische Latein des 5. Jahrhunderts
im grofsen und ganzen die nämliche Scheidung zeigt. Die
Spanier sind also die besseren Klassiker, und es hat sie nicht
geniert, ihr raas in doppeltem Sinne anzuwenden, im Sinne von
mehr und im Sinne von vielmehr, aber (frz. mais, ital. ma). Aber
eben darin sehen wir auch den Grund der Wandlung in Frank-
reich und der Apenninhalbinsel. Denn das Spätlatein hat es in
den meisten Fällen vermieden, einem und demselben Worte zwei
verschiedene Funktionen aufzulegen, und lieber zu zwei Wörtern
gegriffen, um zu differenzieren. Da aber die Verbindung von
plus mit Adjektiv nicht klassisch ist, so mufs man auf die An-
fänge des Gebrauches zurückgehen und erstaunt, schon bei Ennius
trag. 261 R. plus miser sum zu finden, noch mehr vielleicht, bei
Tertnllian de spectac. 17 wieder plus miser. Derselbe Ennius
hatte aber auch in den Annalen 315 M. die beiden Komparative
durcheinandergeworfen :
Ergo plusque magisque viri nimc gloria claret,
während die Klassiker magis magisque sagten. Dafs nun Hi-
Spanien an dem guten Sprachgebrauche festhielt, beweist uns
nicht nur Columella, sondern auch Orosius im Anfange des
5. Jahrhunderts, 1, 2 magis utilis — celeber; 4, 23 m. deformis;
7, 1 m. suadibile; 7, 33 m. miser, m. novus. In Gallien ist da-
mals Sulpicius Severus noch unberührt von der Neuerung, wäh-
rend Sidonius ApoUinaris entschieden plus bevorzugt, z. B. Epist.
3, 13, 2 plus rusticus; 3, 13, 4 p. fetidus; 6, 4, 3 securam. Ebenso
Alcimus Avitus von Vienne.
Damit wäre der Principienstreit erledigt. Was wir roma-
nisch zu nennen pflegen, kann man auch als spätlateinisch be-
zeichnen. Auf die lateinischen Gallicismen hat neiierdiags
namentlich Paulus Geyer die Aufmerksamkeit gelenkt, Arch. 11 25 ;
Vn4Gl; VIII 469. Nur im gallischen Latein hat apud die Be-
deutung von cum angenommen, woraus sich das französische
avec = apud hoc erklärt. Also le roi avec la reine: der König,
daneben die Königin = der König nebst der Königin. (Nach
Thes. ling. lat. U 344, 54 ist im gallischen Latein loqm apud ali-
quem dem klassischen ^cum' substituiert worden.)
Oder wenn wir das lateinische quare mit wenig veränderter
Bedeutung im Provenzalischen zu quar, im Französischen zu car
(denn) verkürzt finden, im Italienischen aber nicht, so werden
vriT die Schlufsfolgerung wagen dürfen, schon im gallischen
Archiv für lat. Lexikogr. XII. Heft 3. 20
382 Ed. Wölfflin:
Latein habe quare die nämliche Funktion übernommen, wie ahn-
lich qnippe 'denn' und VeiF, quamquam ^allerdings' und ^ob-
schon' bedeutet^ also sowohl einen Hauptsatz als einen Nebensatz
einleiten kann. Und wirklich heiist es an einer Stelle der aus
Aquitanien stammenden sogen. Silvia, Peregr., welche der Ex-
cerptor Petrus Diaconus p. 33 Kiant erhalten hat: naves ibi
miiltae sunt; quare (denn) portus famosus est pro adyenientibus
ibi mercatoribus de India. Hat hier der Benutzer den Wortlaut
des Originales beibehalten^ so hätten wir den Gebrauch für das
Ende des 4. Jahrhunderts bezeugt.
In derselben Peregrinatio wird, wie Prof. Cornu Arch. XH 18Ö
beobachtete, der Hahn konsequent pullus genannt, statt gallus^
und im franko -provenzali sehen Gebiete hat sich dieser Gebrauch
erhalten. Es wird nun Sache des Latinisten sein, nachzuforschen,
ob nicht dem spanischen gallo ein span.-lat. gallus entspricht.
Kaum hat man bisher versucht, hispanisches Latein auf-
zudecken, imd doch verdient das Land um so mehr Beachtung
als es vor Gallien der römischen Herrschaft unterworfen worden
ist. Nur in Spanien heifst das Gesicht rostrum (Schnabel)^
das Bein perna (Schinken), der Bruder germanus (statt frater),
essen comedere (statt manducare). Einer der ältesten Vertreter
Hispaniens in der römischen Litteratur, der Verfasser de re rustica,
Columella, nennt uns 12,39,2 bris a = Weintrichter als Landes-
ausdruck, welcher sich denn auch heute noch erhalten hat. Ja
der Name des Verfassers, Columella, erscheint uns echt spa-
nisch. Denn versteht mau das Wort in dem Sinne, wie es bei
Varro vorkommt, nämlich = Stockzahn, so kann nicht wohl ein
Maim nach einem fast unsichtbaren Körperteile benannt sein;
bedenkt man dagegen, dafs das spanische colmillo (eigentlich
kleine Säule) den Augzahn bedeutete, so pafst dies ungleich
besser zu einem Eigennamen. Vgl. Isidor orig. 11, 1,52: dentes
caninos pro longitudino et rotiinditate vulgus columellos vocant.
Die Römer haben solche Leute Dento oder Dentatus genannt.
Nur im Spanischen und Portugiesischen heifst der Roggen nicht
sccale (Schhittkorn, Sichelkom, im Gegensatze zu dem gemähten
Weizen), sondern centenum, weil er himdertfältige Frucht tragt.
Doch wurde der Ausdruck auch in anderen Ländern wenigstens
verstanden. Vgl. Edictum Dioeletiani, de pretiis rerum venalium
1, ;^>: centenum sive sicale. Pliu. IH, 40.
Um so mehr ist über die Africitas geschrieben worden,
Moderne Lexikographie. 383
imd der Name klingt uns heute so bekannt, als ob er von den
Alten zur Bezeichnung einer dialektischen Verschiedenheit ge-
braucht worden wäre, was freilich nicht der Fall ist, da Spartian
im Leben des Septimius Severus cp. 19, 9 nur von der afrikani-
sehen Aussprache des Kaisers berichtet, nicht von den der Afri-
citas eigentümlichen Wörtern und Strukturen. Über den Verlauf
der Untersuchungen und den gegenwärtigen Stand der Frage
vgl. man Arch. X 533 f. Die romanische Sprache, welche sich in
Afrika gebildet hatte, wurde leider von den Arabern zerstört.
Man gestatte uns, auf ein bisher blofs in Afrika nachgewiesenes
Wort aufmerksam zu machen.
In einer neugefundenen Predigt des Afrikaners Augustin
ist von der Himmelfahrt Christi die Rede und dem, was er uns
hinterlassen habe. Der Redner vergleicht dieses Vermächtnis mit
dem Geldstücke der itoria (sc. pecunia), welche der in die Fremde
Ziehende den ihn geleitenden Freunden hinterläfst, damit sie sich
gütlich thun und seiner gedenken sollen. Nach den beigefügten
Worten, sicut dici solet, mufs diese uns nicht bekannte itoria,
wenigstens in Afrika, etwas ganz Gewöhnliches gewesen sein.
Zur Bestätigung schreibt der afrikanische Bischof Optatus gegen
die Donatisten 1, 1, 1: antequam in caelum ascenderet, christianis
nobis Omnibus itoriam per apostolos pacem dereliquit; denn so
mufs ohne Zweifel nach der älteren Petersburger Handschrift
geschrieben werden statt des in jüngeren Hdschr. überlieferten,
aber kaum erklärbaren storiam (=*= stoream?). Arch. VIU 139
und Weyman Arch. IX 52. Es dürfte sich verlohnen, in anderen
Pfingstpredigten, z. B. denen des Hieronymus (ed. Morin), nach-
zusehen, ob das nämliche Bild wiederkehrt und welcher Aus-
druck für dieses 'Trinkgeld' gebraucht ist.
Nahe aber liegt die Vermutung, dafs die punisehe und grie-
chische Sprache in Afrika auf die Syntax des Lateins gewirkt
haben. Nachdem wir Arch. X 535 auf die Verbindungen ex
summo studio, ex summis opibus bei Florus, Fronto, Apuleius
hingewiesen haben, bringt uns Helmreich Arch. XII 313 aus der
Editio princeps des aus Sica stammenden Caelius Aurelianus ex
sponte profectus, womit Renier Inscr. Afric. 4112 (sua ex sponte)
vortrefflich übereinstimmt.
Ebenso klingt Caralls urbs urbium bei Florus 1, 22 (2, 6, 35),
Moesi barbari barbarorum bei demselben 2,26 (4, 12, 13) wie
ein Punismus, gerade wie in saecula saeculorum oder caeli caelo-
26*
384 Ed. Wölfflin:
rum aus der PsalmenübersetzuDg. Vgl. Arch. VIII 452. Damit
vergleichen sich die bekannten afrikanischen Identitätsgenetive
wie cupiditates libidinum, superbiae fastus, imperii iussio. Thiel-
mann, Arch. VII 503. Dagegen wage ich nicht, die spätlateinische
Konstruktion doctior ab aliquo als Semitismus aufzufassen, da
die Präposition zwar mit dem hebräischen 'min' stimmt, dieses aber
den Positiv zu sich nimmt. Wenn also die strenge Übertragung
doctus ab aliquo ergeben hätte, so braucht darum nicht in Ab-
rede gestellt zu werden, dafs nicht die hebräische Konstruktion
von einigem Einflüsse auf die lateinische könnte gewesen sein;
denn diese tritt zuerst und besonders stark in Afrika auf. Dafs
man aber auch anderwärts auf das nämliche verfallen konnte,
beweist das mittelgriechische und neugriechische TtkovötrCJteQog
iL%6 rivog. Denn die Präposition bezeichnet nur deutlicher, was
der alte Separativus - Ablativus hatte ausdrücken sollen, sodafs
Donat Gr. lat. IV 433, 18 mit Recht schreibt: quando dico doctior
ab illo, re vera eadem invenitur elocutio (wie bei dem blofseu
Ablativ).
Wenn wir nun den historischen Entwicklungsgang jedes
einzelnen Wortes genauer verfolgen und uns daran gewöhnen,
auf die geographische Verbreitung zu achten, wo sich etwas
Bestimmtes ermitteln läfst, so nähert sich die Philologie der
Biologie und damit den Naturwissenschaften. Dies wird noch
mehr geschehen, wenn wir einen dritten, bisher gänzlich ver-
nachlässigten Gesichtspunkt dazu nehmen, die Beobachtung des
Fehlens der Wörter; wir fügen der positiven Angabe, wo und
wann ein Wort vorkomme, die negative hinzu, wo es nicht vor-
komme, noch nicht oder nicht mehr. Wir wollen nicht daran
erinnern, dafs die Römer das Wort gratitudo nie gebildet haben,
weil sie kein Bedürfnis dazu empfanden, während sie doch
latitudo von latus ableiteten; sie haben es auch versäumt, die
Wortgruppe salus, salvus mit salvare imd salvator zu bereichern,
was erst die Christen gethan haben. Also wie lange fehlten
ihnen die beiden, wie man glauben sollte, unentbehrlichen Wörter
(frz. sauver, sauveur), und womit hing dies zusammen? Es fällt
dies um so mehr auf, wenn man die griechische Reihe öaog 0(o^(o
acoTY^Q acofVfQCa vergleicht. Die salus rei publicae, die Phrase
rem publicum salvam velle ist allen geläufig, aber salvare
rem p. oder salvator rei p. hat kein Heide gesagt. Dafür sagen
sie servare rem p. und sorvator rei p., indem sie die Wort-
Moderne Lexikographie. 385
familie zusammensetzen wie fero, tuli, latum. Salvator konnte
nicht gebildet sein, sonst hätte Cicero Verr. 2, 154 nicht ge-
schrieben: is est soter, qui salutem dedit. Und sich selbst nennt
er pro Plancio 89 und an anderen Stellen servator rei ])ublicae.
Die Korinthier begrüfsten den Quinctius Flamininus bei seiner
Abreise aus Griechenland nach Liv. 34, 50, 9 als servatorem libe-
ratoremque, d. h. als Soter. Bei Plinius nat. h. 34, 75 wird der
Zevg ZatTJQ lupiter servator genannt. Von dem Freigelassenen
Milichus, welcher die Verschwörung gegen Nero entdeckte, schreibt
Tacitus ann. 15, 71 conservatoris sibi nomen, graeco eius rei voca-
bulo, adsumpsit, ein lehrreiches Beispiel, wie lingstlich Tacitus
als Purist das Fremdwort Soter vermied. Warum er aber nicht
salvator schrieb, wird uns nicht erklärt. Vgl. Hermes 15, 593.
Ebenso konsequent wird das Verbum salvare vermieden.
Die gute Prosa hat, abgesehen von servare, mit salvuni reddere,
parare, saluti esse u. a. die Lücke auszufüllen versucht, und auf
diesem Standpunkte der Umschreibung stehen noch alte Bibel-
übersetzungen, wie 1. Timoth. 1, 15 öcböat] salvos facere, auch
von Hieronymus beibehalten; Hebr. 7, 25 öA^slv] salvos perficere;
1. Tim. 1, 4 6(od^r]vav] vult salvos fieri, und allgemein bekannt
ist ja das Domine, salvum fac regem, welches aus Psalm 19, 10
stammt.
Das Fehlen der Substantivbildung fiel schon dem Martianus
Capella auf, welcher 5, 510 bemerkt: Cicero soterem salva-
tor em noluit nominare, sed ait 'qui salutem dedit'; illud enim
nimium insolens videbatur. Auch dem Augustin ist die That-
sache nicht unbekannt, da er de trinit. 13, 10, 14 schreibt: verbum
(salvator) latina lingua antea non habebat, sed habere poterat,
sicut potuit, quando voluit. Und in den Sermon. 299, 6 heifst
es: lesus, id est Salvator: nee quaerant grammatici, quam sit
latinum, sed Christiani quam verum. Salvare et salvator non
fuerunt haec latina, antequam veniret Salvator; quando ad Latinos
venit, et haec latina fecit. Richtig fühlt der Kirchenlehrer, dafs
der Ausgangspunkt der Wortbildung für die Christen die Person
gewesen sei, nicht der Verbalbegriff*. Solange aber salvare fehlte,
durfte man von salvus kein salvator ableiten, so wenig als bona-
tor oder malator von bonus oder malus. Darum schreckte Cicero
vor salvator zurück, und Augustin erkennt die grammatischen
Bedenken an. Hier half das sachliche Bedürfnis über die for-
mellen Schwierigkeiten hinüber. Die Christen konnten ihren
386 Ed. Wölfflin:
Heiland nicht wohl servator oder conservator nennen^ weil dieses
die Nebenbedeutung des 'Erhalters' hatte. Dafs der Geist der
Latinität noch einen Genetiv verlangt hätte, wie servator honii-
num oder generis humani; wie Arnobius schrieb und auch in der
gallikanischen Messe zu lesen ist, bildet eine Frage für sich; die
Hauptsache war, dafs die genaue Wiedergabe des griechischen
öorr^Q einen Anschlufs an salus, salvus verlangte. Dies zeigt
sich schon bei TertuUian, welcher es mit salutificator, salu-
taris, salvificator versuchte (pudic. 2. res. carn. 14. ieiun. 6. adv.
Marc. 2, 19. llönsch, Itala 50), doch auch schon salvator wagte
adv. Marc. 3, 18. 4, 14. adv. lud. 10. Salutifer erinnere ich mich
nicht bei ihm gelesen zu haben. War es nun ein Fehler, von
salvus abzuleiten salvator, so korrigierten die Christen denselben
sofort, indem sie auch das Verbum salvare (retten) bildeten. Auch
dieses war ihnen nötig, da servare auiser 'bewahren' und 'erhal-
ten' auch 'beobachten' (observare) bedeutete. Vgl. Thielmann
Arch. VIU in dem Aufsatze über die Sirachübersetzung. Ob auch
die hispanische Kirche diese Übersetzung annahm, kann ich darum
nicht bestimmt behaupten, weil im Spanischen salvar Lehnwort
ist. TertuUian hat salvare nur in zwei Bibelcitaten gebraucht,
also selbst das Verbum noch nicht gebilligt. Auch Lactanz
schwankt noch Instit. 4, 12, 0 lesus, qui latine dicitur salutaris
sive salvator, quia cnnctis gentibus salutifer venit, doch zieht er
selbst ibid. § 9 salvator vor.
Und nicht viel weniger verwickelt wäre die Geschichte des
Wortes mediator (fisötrr^gf Mittler). Man versuchte es mit Seque-
ster, arbiter, Sponsor, interventor wiederzugeben; die wörtliche
XJbersetzimg mediator verbot sich, solange das Verbum mediare
fehlte; dieses mufste nachfolgen, sobald das Bedürfnis den media-
tor erzwungen hatte. Übrigens gehört es auch zur Geschichte
der Semasiologie, dafs ein so edles Wort wie mediator auf die
Bedeutung von 'leuo' herabsinken konnte, d. h. leno wird im Corp.
gloss. V ()02, GO mit mediator erklärt. Sobald man aber die Wort-
geschiclite von diesem höheren Standpunkte betrachtet, wird uns
die Lexikographie nicht mehr als mechanische Arbeit erscheinen,
sondern es muls einer ein durchgebildeter Philologe sein, wenn
er sich mit solchen Studien beschäftigen will.
Noch in einem anderen Sinne ist die Beobachtung der nicht
zufällig fehlenden, sondern konsequent vermiedenen Wörter wün-
schenswert imd notwendig. Wer die von den Alten dem Caesar
Moderne Lexikographie. 387
nachgerühmte elegantia voll würdigen will, mufs dieses Lob
auf den delectus verborum beziehen, und da wissen wir denn,
dafs Caesar, als strenger Analogist, eine grofse Anzahl von Wör-
tern von seiner Prosa ausschlofs, welche von Zeitgenossen unbe-
denklich gebraucht wurden. Eine vollständige Zusammenstellung
steht ja noch aus; doch habe ich einiges Arch. VIII 143 heraus-
gehoben und nenne hier als fehlende Wörter: fluvius, amnis,
nequeo, nescio, reor, igitur, quamquam, absque. Seine
Gründe lassen sich meist noch erraten. Für necopinans bildete
er in op in ans. Rhein. Mus. 37, 101.
Dieses Fehlen führt uns von selbst auf die zwei weiteren
Paktoren in der Sprachgeschichte, die Konkurrenz und den
Ersatz. Wenn Wörter fehlen, weil der Inhalt einer Schrift
die Begriffe ausschliefst, z. B. militärische Ausdrücke bei einem
Mediziner oder umgekehrt, so kann uns dies selbstverständlich
nicht berühren. Anders steht es mit dem Begriffe 'Flufs' bei
Caesar. Dafs er das von Sisenna nach Analogie von pluo pluvia
gebildete fluvia verwarf, wird jedermann begreifen; er schrieb
ilumen wegen der Analogie nuo numen, acuo acumen. Und dits
ist die leichtere Aufgabe, aus dem Reichtume des Vorhandenen
auszuwählen. Wemi aber ein W^ort aus irgend einem Grunde
abstarb und sich nicht behaupten konnte, z. B. weil es in seiner
lautlichen Entwicklung mit einem Homonym zusammenfiel, woher
soll die Sprache die Lücke ausfüllen, wemi kein passendes Syno-
nymum vorhanden istV Solche Fragen kann der Thesaurus noch
nicht im Zusammenhange behandeln; denn wenn auch Vollmer
bemerkt, das längere angiportus (angiportum) sei später durch
vicus verdrängt worden, so müfste man auch den Gebrauch dieses
Wortes überblicken können, und daim wäre die weitere Frage
aufzuwerfen, ob nicht vicus seinerseits durch vi Ha oder ä. ent-
lastet worden sei. Alle diese Untersuchungen sind, wie alle,
welche eine Vergleichung des ganzen Wortschatzes voraussetzen,
erst nach Vollendung des grofsen Werkes möglich; was heute
geschehen kann, mufs sich darauf beschriinken, den Sinn für diese
Art der Betrachtung zu öffnen, und darum wird es nicht unpassend
sein, einige allgemeine Bemerkungen zu machen.
Konnte man bisher nicht einmal das Absterben eines Wortes
konstatieren, so noch viel weniger, was an dessen Stelle getreten
sei, weil die einzelnen Vokabeln in den Wörterbüchern nach
amerikanischem Zellensystem abgesperrt und in keine Verbindung
3>^8 Ed. Wölfflin:
mit einander gebracht wurden, obwohl sie doch nicht als Jung-
gesellen, sondern in Pamiliengemeinschaft leben. Und doch ist
neben der Produktion der ersten Wörter für die einzelnen Be-
griffe, also gewissermafsen der Ursprache, die Ausfüllung der ent-
standenen Lücken eine der grofsartigsten Leistungen der Sprache,
deren Sorge einem Kriegsministerium gleicht, welches nicht nur
die Gefallenen durch Nachschub ersetzt, sondern auch sich alle
Mühe giebt, die Kranken und Verwundeten am Leben zu erhalten.
Oder wie der Finanzminister Ausgaben und Einnahmen im Gleich-
gewichte halten mufs, so hat der Sprachgeist als Nationalökonom
dafür einzustehen, dafs alle Bedürfnisse gedeckt werden. Es ist
freilich ein ungenauer Ausdruck, wenn man sich vorstellt, erst
nach dem Absterben eines Wortes habe sich die Sprache nach
einem nicht vorübergehenden Stellvertreter, sondern nach einem
bleibenden Ersätze umgesehen; denn dann kämen sie viel zu spät.
Vielmehr tauchen die Neubildungen schon zu dessen Lebzeiten
auf und erdrücken dasselbe.
Die Wörter werden krank durch den häufigen Gebrauch, wie
die Münzen durch das Abschleifen. Auslautende Konsonanten
verstummen, Endsilben fallen ab, lange Vokale werden kurz, kurze
ausgestofsen. So wurde das viersilbige griechische ^Icociwr^g durch
Aufgeben des Anfangsvokales lateinisch dreisilbig Johannes, zwei-
silbig mit abgeworfener Endung Johann, wie im Altfranzösischen
Jehan, zuletzt einsilbig Hans oder franz. Jean. Wenn es aber
allen Wörtern ähnlich ginge, so ])ekäme die Sprache zu viele
Einsilbler, die sich als vielfach homonvm nicht alle neben einander
halten könnten. Die Sprache begegnet dieser Einschrumpfung
durch Ansetzung von Suffixen, namentlich der sogenannten
Deminutiv- imd Augmentativendungen. Hatten diese in der klassi-
schen Zeit den Zweck, das Nomen in die Sphäre des Kleinen,
Zierlichen, Gemütlichen zu rücken, oder umgekehrt unter ein Ver-
gröfserungsglas zu bringen, so dienen sie im Spätlatein wesent-
lich dazu, das Woii ohne Verändening des Sinnes länger zu
machen. Auricula mufs ursprünglich ein kleines Ohr bezeichnet
haben, aber der Arzt Marcellus Empiricus benützt die Form,
während er an den dreisilbigen Genetiven und Dativen festhält,
um den zweisilbigen Formen, wie dem Genetiv oder Dativ Singu-
laris, durch auriculae aufzuhelfen (Arch. VHI 591), und schliefs-
lich heifsen bei den Franzosen alle Ohren oreilles.
Furo, furonis mufs als Schimpfwort ui'sprünglich einen 'Erz-
Moderne Lexikographie. 3811
dieb' bezeichnet haben, wovon weiter furunculus 'gemeiner Dieb',
auch in der übertragenen Bedeutung von ^eiterndes Geschwür'
(nicht = furvunculus, wie Georges glaubt), abgeleitet worden ist.
Aber in der St. Galler Epitome des Codex Theodosianus ent-
spricht furone dem einfachen *fur' der Quelle, ist also ohne Be-
deutungssteigerung blofs verlängerte Form, wofür auch Du Gange
8. V. weitere Beispiele aus späteren Gesetzbüchern anführt, und
das Frettchen, welches die Italiener mit Deminutivsuffix furetto
nennen, heifst bei Isidor orig. 12, 2, 39 mit Augmentativsuffix
furo. Vgl. über cardus (Distel) und cardo Arch. IX 6.
Wie man dann von taurus nicht nur zu taurulus, sondern
zu dem kräftigeren, nach Analogie von ager agellus gebildeten
taurellus kam, ohne dafs das Tier darum kleiner geworden wäre,
ist in diesem Hefte S. 306 auseinandergesetzt. Durch Kombina-
tion mehrerer Suffixe, wie -co, -lo, konnte man weiteren Silben-
zuwachs schaffen, und so entstanden Wörter wie soliculus, ur-
sprünglich wohl die liebe Sonne, im Französischen (soleil) die
Sonne überhaupt. Da nun auch die Adjektiva Suffixe anhängen,
so bot sich nicht nur die Möglichkeit, medius zu medianus
(moyen), aetemus zu aeternalis (etemel) zu entwickeln, sondern
diese Adjektivformen konnten zu Substantiven erhoben werden,
z. B. mons, montanea, montagne; hiems, hibernum (hibernus),
hiver; medicus, medicinus, medecin; pectus, pectorina, poitrine.
Für die Verba war das lebenserhaltende Element die Fre-
quentativ- oder Intensiv form. Auch hier verblafste der Begriff
der wiederholten oder der gesteigerten Thätigkeit immer mehr,
und schon zu Plautus' Zeit zog der gemeine Mann die volleren
Formen auf -are denen auf -ere vor. Denn während die Klassiker
sagen tibiis canere, wie fidibus canere, finden wir bei Plautus,
Nepos, Gellius und in der Vulgata zu Lucas 7, 32 tibiis cantare,
offenbar ohne Bedeutungsunterschied. Die romanischen Sprachen
haben oft nur die Intensivfonnen erhalten, welche also an die
Stelle der Stamm verba geschoben sind, wie chanter ^^ canere),
casser (quatere), jeter (iacere), oser (ausare = audere). Dazu kam,
dafs in den Zeiten der Völkerwanderung für die das römische
Reich überschwemmenden Fremden die regelmäfsige erste Kon-
jugation leichter zu handhaben war als die unregelmäfsige dritte.
Am wenigsten war den einsilbigen Partikeln zu helfen,
und sie haben daher auch die gröfsten Verluste erlitten: cum als
Konjunktion (präpositioual in ^con' erhalten), die Präpositionen
390 Ed. Wölfflin:
ab, ob und ex, die vieldeutigen ut (Arch. X374f.), vel und seu,
sed und at, quin und nam sind so gut wie spurlos yersch wunden;
daneben auch manche zweisilbige, wie autem, enim, quia, ergo,
selbst dreisilbige wie igitur mit Ausnahme des Altfranzösischen
{wenn giers von igitur herzuleiten ist) und itaque.
Liefs sich hinten kein passendes Suffix anhangen, so konnte
vom durch die ursprünglich verstärkende, aber nunmehr abge-
schwächte Präpositionalzusammensetzung eine Silbe ge-
wonnen werden. In consoler gegenüber solari, depouiller neben
spoliare, conduire neben ducere, annoncer neben nuntiare sind
die Präpositionen nahezu zu Imponderabilien herabgesunken.
Natürlich ist diese Entwertung schon im Lateinischen vorbereitet
oder vollzogen, namentlich ist aus con die Bedeutung der Ge-
meinschaftlichkeit verschwunden, so wenn Megaronides im Tri-
nummus des Plautus V. 23flF. sagt, Freunde zurechtzuweisen sei
ein undankbares Geschäft (aniicum castigare ob meritam noxiam),
gleichwohl werde er diesmal ihm 'tüchtig' den Kopf waschen
(concastigabo pro commerita noxia). Bei dem streitsüchtigen
Lucifer ist sogar con eine Schimpf partikel geworden in Zusammen-
setzungen wie: coarrianus, conblasphemus, concamifex, condesperatus,
condetestabilis, coeiTaticus, cohaereticus, cohomicida, coidolatres,
coimmundus, conperiidus, conpestilens, consacrilegus, conspurcatus,
contyranuus, conviperinus. Wie frühe diese Bildungen ein-
drjuigen, zeigt uns der Verfasser des Bellum Africum, welcher an
neun Stellen nur convulnerare gebraucht statt des bei Caesar
allein üblichen vulnerare; der nämliche Kommentar teilt auch
mit dem Bellum Hispaniense eine sichtbare Vorliebe für con-
vallis = vallis.
In diese Reihe der Präpositionen ist auch das uns oft un-
verständliche re einzufügen, da ja nach dem Absterben von
linquo das zusammengesetzte relinquo dem griechischen kil^tio
entsprach; ebenso gebrauchten Dicliter gelegentlich recurvus statt
curvus, wenn ihnen eine Silbe fehlte, und in Grabschriften wech-
seln quiesco und requiesco ohne merklichen Unterschied. Arch.
XIT 227. Dafs das französische remplir inhaltlich dem latei-
nischen iniplere entspriclit, wird kaum bestritten werden; allein
es muls doch bemerkt werden, dafs im Altfranzösischen emplir
und rera])lir neben einander stehen und dafs das letztere 'wieder
(oder seinerseits) füllen' bedeutet. Vgl. Bonnet, Latin de Gre-
goire de Tours 288. Meyer-Lübke, roman. Gramm. U 631.
Moderne Lexikographie. 391
Als drittes Mittel stand die Umschreibung oder die Auf-
lösung in zwei Teile zur Verfügung, z. B. longum tempus
(= longo tempore), frz. longtemps, für diu, vereinzelt mindestens
seit Catull, der regelmäfsige Stellvertreter bei Caelius Aurelianus;
multum (auch magnum) tempus, altfranzösisch multemps für
saepe; medium (dimidium) tempus, frz. mitan, mittlerweile;
und anderes der Art im Arch. VIII 595 f. Primum tempus,
frz. printemps, statt ver, Frühling; vernum tempus (neben
aestas, auctumnus und hiems bei Augustin de gen. ad litt. lib.
imperf. 13, p. 487, 20 Zycha), wofür im Italienischen der Plural
prima vera (Ephem. epigr. 11 310 Nr. 409) eintritt, da vemo
(= hibernumj den Winter bezeichnet, wie frz. hiver. An die
Stelle von semper ist im Französischen toujours (vgl. aUeweil)
getreten, an die Stelle von medietas Mitte medius locus,
milieu u. s. w.
Wenn aber alle diese Mittel versagen, so mufs die
Sprache imter den Synonymen Umschau halten, ob eines ent-
behrlich sei, wobei dann nicht vermieden werden kann, dafs
einem und demselben Worte zwei verschiedene Funktionen (Be-
deutungen) auferlegt werden, falls es nicht gelingt, für den in
das vordere Glied vorrückenden Hintermann selbst einen Ersatz
zu finden. Und Doppelbelastung hat die Sprache im ganzen zu
vermeiden gesucht und sich lieber bemüht, durch andere 6e-
echäftsverteilung abzuhelfen. Wie nun das Recht bei einem
Todesfall bestimmte Erben einsetzt, oder bestimmte Personen,
welche Vaterstelle zu vertreten haben, so greift auch die sprach-
liche Logik auf die nächste Verwandtschaft, auf das Allgemeinere
oder das Besondere, auf das genus oder die species. Paist dem
Dichter gladius nicht, oder erscheint ihm das Wort als zu
trivial, so hilft er sich mit ferrum oder mit mucro (Schwert-
spitze, Klinge), indem er den Teil für das Granze setzt.
Die in den romanischen Sprachen untergegangenen Sub-
stantiva urbs und oppidum hatten schon von Plautus an Kon-
kurrenz an civitas (Merc. 035 civ. Eretriam, Corinthum). Wie
das Italienische und das Spanische beweist, fiel diesem Worte
die rechtliche Nachfolge von urbs zu. Anders in Frankreich seit
der Zeit, wo man die Landhäuser vor den Thoren, die villae,
in den erweiterten Stadtrayon hineinzuziehen begann: denn durch
diese Einverleibung der Vorstädte konnte nun auch villa zu der
Bedeutung von Stadt aufsteigen, mit der Beschränkung freilich,
392 Kd. VVölfflin:
dafs die Altstadt oder die Innenstadt immer noch civitas liiefs^
die cite von Paris wie die eity von London.
So haben wir nicht nur verschiedene Lösungen der Probleme
nach den verschiedenen Ländern, sondern auch verschiedene in
verschiedenen Zeiten, und gar oft liegt zwischen den klassisch-
lateinischen und den vulgär -romanischen Ausdrücken mancherlei
in der Mitte, was über den Versuch nicht hinausgekommen und
für die heutige Lexikographie in Vergessenheit begraben ist.
Zwischen parvus und dem italienischen piccolo (frz. petit)
liegen minor, minimus, minutus, dann modicus, exiguus, pu-
sillus, brevis (?), was sich am bequemsten aus der Ubersetzungs-
litteratur nachweisen liefse, gerade wie neben grandis Wörter
wie ingens, enormis, immensus als Erben von magnus konkiuTiert
haben. Vgl. Rönsch, semasiologische Beiträge II 3, und Arch. IX 93.
Die Gründe dieses immerwährenden Wechsels im Sprachschatze
sind sehr verschieden, wenn auch Kürze des Wortes und Zu-
sammenfallen mit einem Homonymum die hauptsächlichsten.
Nehmen wir mus, muris, die Maus. Das Monosyllabuni fiel,
während davon musio für Katze abgeleitet wurde, vielleicht unter
germanischem Einflüsse, da man eher murio erwartet. Vgl. Papias
und Isidor orig. 12, 2, 38: musio appellatus, quod muribus infestus
sit; hunc vulgus catum . . . vocant. Als Nachfolger von mus
hätte das Deminutiv musculus sehr gut gepafst, wie apicula für
apis; allein die Form war nicht mehr frei, weil musculus sogar
doppelt, für 'Muskel' und 'Muschel', in Beschlag genommen war.
So wählten denn die Franzosen die Species Spitzmaus, sorex,
souris; die Italiener griflen sogar in der Verzweiflung auf talpa,
der Maulwurf, ital. topo, und die Spanier nennen alle Mäuse
Hatten.
Andererseits sieht man von formeller Seite aus kaum recht
ein, warum das Wort für Krankheit, morbus, nicht auf das
Italienische und die romanischen Sprachen übergegangen ist.
Heifst corbo (corvo) der Rabe, warum nicht morbo die Krankheit?
Der Arzt vermied eben das Wort, um den Kranken nicht zu er-
schrecken; er sprach lieber v(m einem Schwächezustande, einer
infirmitas (ital., altfranz., span.), oder einem schmerzhaften Leiden,
einer *dolentia (portug.), oder einem Ubelbefinden, einer xccxs^Ca
(franz. maladie von male habitus). Das Latein der späteren
Arzte hat aber aufserdem noch die Ausdrücke passio, aegritudo,
Vitium, inaequalitas, affectus (vgl. Herzaffektion), languor,
Moderne Lexikographie. 393
querela (etwas, worüber man zu klagen hat), malignitas, in-
commoditas u. a. gebildet. Vgl. August, eiv. d. 14, 9 morbos seu
vitiosas passiones. Auch causa, ursprünglich der Grund, aus
welchem einer aus dem Militärdienste entlassen wurde (woher
causarius, Tert. pudic. 20), ist für Krankheit gebraucht worden.
Während Min. Fei. Oct. 25, 8 noch sagt morbi et malae valetu-
dines, verwendet die lateinische Übersetzung des Muscio Soranus
das einfache valetudo in dem nämlichen Sinne. Isid. rer. nat. 39
languor . . . aegritudo. Aufser den Medizinern bietet namentlich
der Astrolog Finnicus Matemus reiches Material, und ein kleines
Buch darüber zu schreiben wäre keine Kunst. Vgl. Münchener
Sitz.-Ber. 3. Juli 1880, S. 386—394. Wenn nun der Artikel mor-
bus bei Forcellini ohne Ausblick in die Zukunft schliefst, so wäre
doch zu wünschen, dafs der Thesaurus, wenn auch nur durch
Verweisung auf diesen Aufsatz oder meine eben angeführte Aka-
demieabhandlung, die Leser auf den überaus reichen Wechsel
aufmerksam machte. Das Interessante daran ist, dafs jedes
Wort, welches zur Hilfe herangezogen wird, da es sich doc^h
nicht verdoppeln kann, eine Lücke hinterläfst, deren Ausfüllung
oft einen zweiten und dritten Tausch nötig macht. Causa erfüllte
doch nicht alle Bedingungen, um bleibend morbus zu vertreten.
Denn da das einsilbige res unterging, bot causa (chose, cosa)
den natürlichsten Ersatz; dann konnte es aber auch nicht mehr
den *Grund' bezeichnen (cause ist mot savant), sondern wurde
durch ratio (raison) ersetzt, wie dieses selbst wieder in der Be-
deutung von 'Art und Weise' durch modus (maniere) abgelöst,
und modus (Mafs) nochmals durch mensura. Oder hätte 8i<"h
passio für Krankheit festgesetzt, dann konnte es nicht daneben
die Leidenschaft oder die Leidensgeschichte Christi bezeichnen.
Diese Verschiebungen, diese grofsartige sprachliche Bilanz werden
uns später die Lexikographie und die Semasiologie darzustellen
haben, wenn es durch den Thesaurus möglich werden wird, die
Wörter nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenhange mit ihrer
Verwandtschaft zu betrachten.
Um noch an einem Beispiele zu zeigen, was wir alles zu
leisten haben, wählen wir das Wort ^dere, essen. Form wie
Etymologie sind durchsichtig; denn es entspricht dem griechischen
idfo, womit zugleich auch die Quantität gegeben ist im Gegen-
satze zu edo = ex-do, herausgeben.
Ob man nun die sogenamiten unregelmäfsigen Formen esse
394 Ed. Wölfflin:
= edere, essem = ederem, est = edit, estur = editur^ edim = edam
(eserim oder esserim = ederim ist falsche Lesart bei Apul. met.
4, 22), edundo = edendo im Thesaurus nochmals aufführen soUe^
während sie doch bereits in der Formenlehre von Neue zu finden
sind, ob alle Belege beizuschreiben seien oder nur ausgewählte^
ob nur die Namen der Autoren oder auch die Titel der Werke,
sowie die Buch-, Kapitel- und Paragraphenzahlen, darüber könnte
man verschiedener Ansicht sein; wenn der Thesaurus das ganze
oder doch ein sehr reichliches Material giebt, so geschieht es^
weil in der Regel einzelne bei Neue oder bei George« (Wort-
formen) fehlende Beispiele hinzukommen oder andere bisher auf-
geführte gestrichen werden müssen. Notwendig aber ist unt^r
allen Umständen, dafs die Angaben über die Bedeutungen aus den
lateinischen Glossaren zusammengefaTst werden, da dies bisher
nicht geschehen isi
Dann wird der intransitive Gebrauch als der ältere an die
Spitze zu stellen und mit den ältesten Beispielen zu belegen sein,
z. B. mit Plautus bibite este, namentlich mit denjenigen, wo durch
Gegensätze oder Synonyma die Bedeutung besonders klar hervor-
tritt; auch Cicero wird nicht fehlen dürfen, z. B. edit et bibit
iucunde. Aber ebenso wäre der bekannte Spruch des Sokrates
aufzunehmen: non ut edam vivo, sed ut vivam edo, teils weil hier
das Verbum einen andern Gegensatz hat, teils weil Beispiele mit
abgeschlossenem Sinne den erst aus dem Zusammenhange ver-
ständlichen vorzuziehen sind und in sprichwörtlichen Redensarten
das Gemeinlatein, befreit von jeder individuellen Färbung, zum
Aus<lrucke zu gelangen pflegt. Klotz und Mühlmann, welche das
Beispiel haben, führen es aus dem Citate bei Quintilian 9, 3, 85
an, wo auch die Ausgabe Halms keine ältere Quelle nachweist,
während wir besser auf den nahezu zwei Jahrhunderte älteren
(;omificius 4, 28, B9 (ut edas etc., wo Codex H die Konjunktiv-
form ^edis' giebt) zurückgreifen Averden. — Die öfter befolgte
Praxis, von den Verbindungen mit Objekt auszugehen \md dann
mit einer Rubrik zu schliefsen ^omisso obiecto*, erweist sich ge-
wölmlich als unhistorisch; a priori ist sie nicht berechtigt und
nur da zulässig, wo aus der Prüfung sämtlicher Beispiele der
absolute Gebrauch des Verbums als der jüngere sich ergiebt.
Nach einer neuerdings beliebten Methode würden nun die
Subjekte zu unterscheiden sein, miles, puella, luppiter edit u. ä,,
allein dies hat für den wissenschaftlichen Lexikographen durchaus
Moderne Lexikographie. 395
keine Bedeutimg; wohl aber hat der Thesaurus, was bisher nicht
geschehen ist, anzugeben, wie weit, abgesehen von den Menschen,,
das Wort edere auf Tiere Anwendung findet. Edere und essen
im Gegensatze zu fressen decken sich nicht, da die Tiere, welche
grünes Futter fressen (pabulmn, pasci) doch nur einen Teil bil-
den; Mäuse oder Raben, welche sonst für Menschen bestimmte
Speisen geniefsen, haben im Lateinischen Anteil an dem edere.
Ja in den Prodigialaufzeichnungen wurde nach Lirius 30, 2, 9
von Raben berichtet: aurom edisse.
Bei der Darstellung des transitiven Gebrauches spielen
selbstverständlich die Objekte die Hauptrolle; indessen kann es
doch kaum unsere Aufgabe sein, alle Speisen, welche gegessen
werden, in einer alphabetischen oder historischen Reihenfolge auf-
zuzählen. Beispiele der verschiedenen Arten von Lebensmitteln^
wie edere panem, caseum, camem, pisces, ova, mala, werden ge-
nügen, da eine Übersicht der Reichhaltigkeit römischer Menüs in
die Privat- oder Kochaltertümer gehört. Allenfalls mögen aus
kulturhistorischen Rücksichten Delikatessen, welche erst die
Kaiserzeit kultiviert hat, wie muraenas edere bei Seneca dem.
18, 2, boletos (Champignons) bei Juvenal und Martial, durch die
früheste Stelle des Vorkommens zu markieren sein; oder es mögen
Gerichte, welche halb fest, halb flüssig (sorbilia) sind, wie weich-
gesottene Eier, in den Lexikonartikel Aufnahme finden, weil hier
edere mit sorbere konkurrieren kann (vgl. Suppe essen ), möglicher-
weise ein Brei (puls) in verschiedenen Jahrhunderten verschieden
zubereitet sein kann, wodurch sich das Verbum verändert. Nur
der noch nicht ganz ausgerotteten Vorstellung, als ob es ein Ver-
dienst und eine Erweiterung der Philologie sei, zu zwei Belegen
von caseum edere einen dritten hinzuzufügen, müssen wir mit aller
Entschiedenheit entgegentreten.
Bei dem bildlichen Gebrauche des Verbums wird vor allem
darauf zu achten sein, ob der Tropus im Lateinischen zuerst auf-
tritt, oder ob er im Griechischen vorgebildet ist, wie sich das
horazische ^si quid est animum' (animam bei Georges scheint
Druckfehler) offenbar an Homer anschliefst, zumal schon Cicero
Tusc. 3, 63 das homerische bv ^vfibv xccriSav mit ipse suum cor
edens übersetzt hatte. Hier ist es ein Vorrecht der Dichter, den
Sprachgebrauch zu erweitem, wie es Vergil, Horaz und Ovid ge-
than haben, und darum müssen auch die Belege zahlreicher sein
als bei dem allgemein üblichen Sprachgebrauche, weil hier Indi-
396 Ed. Wölfflin:
viduelles hervortritt. Wenn also unsere Lexika die Phrase des
Vergil Aen. 4, 66 ^est mollis flamnia medullas' von der Liebe der
Dido zu Aeneas anführen, so fehlt zweierlei, einmal, dafs dieselbe
schon dem älteren CatuU gehört (35, 14. 66, 23), welcher auch
medullas an das Ende des Hexameters gestellt hat, zweitens, dafs
das Vorbild bei den Griechen zu suchen ist, wie bei Theokrit
30, 21 6 xöd^og TOP iaa (ivsXbv iö^ui.
War das Bisherige nur Kritik der bestehenden Lexikographie,
80 haben wir noch auf unsere zukünftigen Aufgaben einzugehen.
Über das erste Auftreten des Wortes können wir uns kurz fassen,
da es so alt ist als die lateinische Sprache und bereits bei Nae-
vius vorkommt; dagegen ist es schwierig und darum auch noch
nicht versucht, das Ableben zu beobachten. Abgestorben ist edere
sicherlich, da es in sämtlichen romanischen Sprachen fehlt; es
fragt sich nur, wann und warum, und wie wir dies beweisen sollen.
Nun fehlt sowohl in der um das Jahr 525 geschriebenen
Diätetik des Anthimus als auch in den acht Büchern des afrika-
nischen Arztes Caelius Aurelianus, welcher im fünften Jahrhundert
nach Chr. schrieb, das Wort gänzlich, was unmöglich auf Zufall
beruhen kann. Denn wenn auch Caelius als praktischer Arzt bei
der Regulierung der Diät meist von dem 'Verordnen' der Speisen
spricht (dandus cibus, dandi porcini pedes, dabimus ostrea u. ä.),
nicht von dem Genüsse seitens der Kranken, so kommt doch der
Begriff 'essen' an Dutzenden von Stellen vor, ohne dafs er übrigens
je mit edere ausgedrückt wäre. Bei Anthimus wird vollends
gegen 60 mal vom Essen gesprochen. Aber schon in der um 385
geschriebenen, ohne zwingende Gründe der Silvia beigelegten
Peregrinatio nach Jerusalem, in welcher doch oft vom Essen die
Rede ist, wird man das Wort vergeblich suchen, was so viel be-
deutet, als dafs es in der Umgangssprache Galliens fehlte, wäh-
rend der gelehrtere Gregor von Tours, welcher Litteratur- und
Volkssprache mischt und daher als Mafsstab weniger in Betracht
kommt, das Verbum mehrfach verwendet hat. Noch bedeutsamer
indessen ist das auffallende Zurücktreten in den um 200 ent-
standenen lateinischen Bibelübersetzungen. Denn obschon das
iöd-io der Septuaginta (welches freilich frühzeitig durch xQ<a}'(Oy
nagen, zurückgedrängt worden ist, vgl. Hausleiter in Arch. IX,
Heft 2) und des Xeuen Testamentes das lateinische edere schützen
mulste, weil man es liebte, griechische Wörter mit lateinischen
desselben Stammes wiederzugeben (vgl. Arch. IX 83), so ist doch
Moderne Lexikographie. 397
edere viel seltener, als man glauben sollte, und wo es in einzelnen
Rezensionen auftritt, bieten andere Varianten und Konkurrenz-
ausdrücke. Die Vulgata des Alten Testamentes hat edere kaum
30 mal, comedere über 500 mal, und nicht selten als Gegensatz
zu bibere.
Es giebt übrigens noch andere Mittel und Wege, den Krebs-
gang eines Wortes zu konstatieren. Wenn der bekannte Aus-
spruch des Appius Claudius Pulcher, als er die Hühner der Auguren
ersäufen liefs, lautete: ut biberent, quoniam esse noUent, nach
Cic. nat. deor. 2, 7 (die Stelle fehlt bei Merguet s. v. edo, weil der
Sammler esse von sum ableitete), Val. Max. 1 , 4, 3, Suet. Tib. 2,
sodafs höchstwahrscheinlich auch Livius diesen Ausdruck gebraucht
hatte, nach der Periocha Livii 19 dagegen: pullos, qui cibari
nolebant etc., so wird der in die letzten Jahre des Tiberius fallende
Epitomator von der Überlieferung abgegangen sein, weil für seine
Leser esse nicht schön oder nicht deutlich genug war. Auch
mufs es ja befremden, dafs in Glossaren edere und die davon
abgeleiteten Wörter so oft erklärt werden, so Corp. gloss. V 164,
21 ff. esus, esum (Particip), V 565, 6 edit] comedit, V 192, 7
edulium.
Nun besafs das einen Tribrachys bildende edere nicht die
nötigen Eigenschaften zum Fortleben; im Spanischen wäre es zu
*er' zusammengeschmolzen, da ja aus comedere geworden ist
comer; zudem aber kollidierte es, seitdem man die Quantität zu
vernachlässigen begonnen hatte, mit dem daktylischen edere; end-
lich hatte es Nebenformen ohne Bindevokal, es, est, esse, essem,
welche mit Formen von sum zusammenfielen — Grund genug, ein
so trügerisches Wort aufzugeben.
Den nächsten Ersatz hätte das Frequentativum esitare
bieten köimen, nach unsem oben S. 389 gegebenen Darlegungen.
Diese Form ist auch gebildet worden, doch hat sie nie die fre-
qnentative Bedeutung ganz abgelegt und auch wegen der Kom-
bination von Supinalableitung und dem Suffixe -it die Pflicht
gehabt, etwas mehr auszudrücken als das Verbum simplex. Was
mir Schmitz einmal schrieb, esitare sei nicht durchgedrungen
wegen der Konkurrenz mit haesitare, klingt mir nicht sehr wahr-
scheinlich, da beide Verba verhältnismäfsig selten sind.
. Lieber griff man auf das Kompositum comedere, ursprüng-
lich zusammenessen, aufessen, sodafs nichts mehr übrig bleibt.
Die Volkssprache, welche gern übertreibt, macht von solchen ver-
Archiv für lat. Lexikogr. XH Heft S. <il
398 Kd. Wölfflin:
stärkenden Zusammensetzungen so unmäfsigen Gebrauch, dafs sie
dadurch an Wert verlieren. Vergl. oben S. 390. Und siegreich
durchgedrungen ist comedere in Spanien und Portugal mit com er,
und schon dem Bischof von Sevilla, dem gelehrten Isidor, fühlt
man es nach, dafs für ihn, wenn er auch gelegentlich das klassische
edere gebraucht, doch comedere der Normalausdruck ist; schreibt
er doch Orig. 20, 1, 1 a comesu mensa (spanisch ohne Nasal
mesa); 20, 1,21 coctum usui comestionis aptum; 20,2,37 favum
comeditur magis quam bibttiir] ipaysiv (woher er favum ableitete)
enim comedere 10,58; und aus dem von ihm zuerst gebrauchten
comestibilis, efsbar, hat die gelehrte Sprache des XVI. imd XVII.
Jahrhunderts franz. comestibles, spau. comestibiles abgeleitet. So
stimmt das spanische Latein mit dem modernen Spanisch. FreiUch
wäre es ein Irrtum, zu glauben, dafs nur auf der iberischen Halb-
insel dieses Wort als Ersatz benützt worden sei; vielmehr tritt
es auch bei Anthimus und anderen Autoren kräftig auf, und wer
darüber mehr zu wissen wünscht, vergleiche nur die alten latei-
nischen Übersetzungen des Irenaeus, des Hirten des Hermas, des
Clemensbriefes an die Korinther (Arch. IX 81 flf.) mit den griechi-
schen Originalen, um den Gebrauch und den Wert von comedere
kennen zu lernen.
Durchgedrungen ist comedere nördlich der Pyrenäen aller-
dings nicht, sondern diese Länder haben das Problem auf anderem
Wege gelöst. Denkbar wäre zunächst, dafs man den für die
Tierwelt gültigen Ausdruck auf die Menschen übertragen hätte,
etwa wie das Volk * fressen' oder ^futtern' (intrans.) für 'essen'
gebraucht, oder wie das Lateinische pellis fiir cutis, dorsum für
tergum, rostrum (Schnabel, span.) für os, oris. Dergleichen mag
von Einzelnen versucht worden sein; allein in den romanischen
Sprachen finde ich keine Spuren, welche auf eine allgemein betretene
Landstrafse hinwiesen. Nur im Griechischen ist tQ(oy(o (nagen)
frühzeitig als Konkurrent von iö&i^o aufgetreten. Der Occident
hat sich eines anderen Hilfsmittels bedient.
Das ^Essen' zerfällt nämlich in drei Akte: das Beifsen, was
zunächst in edere lag nach der Etymologie dens = edens = dÖovgj
der Zahn (Vergil. Gramm, p. 100, 38 H.); das Kauen oder Mischen
mit Speichel, endlich das Schlucken. Aufgabe war es, eine Be-
zeichnung eines Teilbegrifi'es frei zu machen und mit der Figur
^pars pro toto' zum Ganzen zu erheben. Vgl. oben S. 391.
Mord er e könnte nicht aushelfen, da es seinen ursprünglichen
Moderne Lexikographie. 399
Platz zu schützen hatte und auch in den romanischen Sprachen
für 'beifsen' erhalten ist. (Dialektisch kenne ich zürch. *hüre-
beifs' von heuer = primitiae.)
Dafür war ^kauen' mindestens doppelt besetzt, durch m an-
dere und das von manducus (vgl. cadere, caducus) abgeleitete
manducare (vgl. Verg. Gramm, p. 102, 1. 2 H.), und dieses letztere
ist durch Bedeutungserweiterung der Erbe von edere geworden,
itaL mangiare, franz. manger. Diese Yerba, zu denen noch die
Komposita commandere und commanducare hinzukommen, iden-
tisch mit griech. iia6do(iai, kauen, essen, sind übrigens nicht erst
zur Zeit des Absterbens von edere herangezogen, sondern schon
in der alten Volkssprache in diesem Sinne gebraucht worden, wie
das Substantiv mando, mandonis bei Lucilius beweist; deshalb
besafs auch das Stammwort mardere die gleichen Erbschafts-
ansprüche. Beispielsweise hat der oben genannte Caelius Aure-
lianus mandere für essen, manducare gar nicht, und für ^kauen'
das jüngere masticare. So blieb den einzelnen Autoren ein
grofser Spielraum übrig, ihre Wahl unter den verschiedenen kon-
kurrierenden Ausdrücken zu treflfen; doch sind die beiden vul^ren
Worte für essen erst in der Kaiserzeit in die gute Litteratur
eingedrungen. Wenn Augustus (Suet. 76) schrieb Muas bucceas
manducare', so geschah dies eben in einem Briefe, dessen volks-
tümliche Färbung auch buccea verbürgt, und mit derselben Frei-
heit, mit welcher er in einem andern Briefe comedere für edere
gebrauchte; aber bei dem Naturforscher Plinius wird mandere
mehrfach von dem Essen zubereiteter Speisen gebraucht (8, 210.
22, 92), wie bei anderen umgekehrt von dem nicht Gekochten.
Siegreich ist manducare beispielsweise in den vorhieronymianischen
Übersetzungen des Neuen Testamentes imd in der Peregrinatio ad
loca sancta.
Von den Verben des Schluckens konnten gluttire imd [de]-
vorare in Betracht kommen und sind auch wohl versuchsweise
an die Stelle von edere eingerückt; schon Cicero sagte nat. d.
2, 122 von den Tieren: alia carpunt, alia vorant, alia mandimt;
doch behielten die Worte in den romanischen Sprachen die ur-
sprüngliche Nuance ihter Bedeutung, wie auch Caelius Aurelianiis
den letzten Akt mit transvorare bezeichnet.
Wenn wir nun in den romanischen Sprachen den sauberen
Rechnungsabschlufs vor Augen haben, indem comedere jenseits
der Pyrenäen fortlebt, manducare im Osten, so ist doch damit
27*
400 Ed. Wölfflin: Moderne Lexikographie.
das Ringen der Sprache von ferne niclit zur Anschauung gebracht.
Wir wollen nicht von gustare, ysveöd^ai, sprechen, welches eine
Specialität des Essens, unser 'kosten', d. h. mit Genufs essen, be-
zeichnet, auch nicht von Wörtern wie prandere, cenare, meren-
dare (Isidor, Orig. 20, 2, 12, eigentlich von dem Mittags- oder dem
Abendbrote, welches man erst durch die Tagesarbeit verdienen
mufs). Die Sprache hat auch, wie wir schon oben sahen, auf
cibari gegriffen, und so heifst die Essenszeit für den Kranken
bei Caelius Aurelianus acut. 2, 204. 207. chron. 1, 171 tempus
cibandi, und schon früher sagte Commodian instr. 2, 20, 19 'laute
cibatum' für laute cenatum. Ein vulgäres Wort war, da es nur
bei Plautus imd Persius (abgesehen von den Glossen, vgl. Index
gl. emend.) vorkommt, pappare, welches im Corp. gloss. II 141, 53
mit [laöaxai (kauen) erklärt wird imd in den romanischen Sprachen
zwischen 'essen' und ^fressen' schwankt. Vgl. auch Varro de
liberis educandis bei Nonius 81, ?n cum cibum ac potionem
pappas ac buas vocent.
Der vorstehende Aufsatz ist nicht als Reklame für den
Thesaurus geschrieben; wir bedürfen derselben nicht, da der Ab-
satz schon jetzt das Dreifache dessen beträgt, was Sachverständige
gerechnet hatten. Wohl aber möchten wir gegenüber dem stark
entwickelten Sammelfleilse der Philologen betonen, dafs nicht die
Quantität die Wissenschaft ausmacht, sondern der Standpunkt des
sprachgeschichtlichen Ausblickes, und wir sind noch viel zu wenig
daran gewöhnt, unsere Augen nach der Feme zu richten. Vor
Jahrhunderten sind die Holländer mit vorwiegend stilistischen
'Observationen' vorangegangen; es gilt, dieselben auf die höhere
Stufe der Sprachentwicklung zu heben und statt des einzelnen
Autors die ganze Latinität zum Objekte zu nehmen.
München. Eduard WSIfilin.
Besta; similitudinarie; inft*agifer; anxio.
Das zur Erklärung der romanischen Formen vielgesuchte besta
findet sich bei Lact. inst. 5, 23, 3. mort. persec. 52, 2; similitudi-
narie, Arch. Xn 284 besprochen, in den Scholien zu Lucan 6, 63;
infrugifer Vict. Tun. de paonit. 20; infructifer (vgl. Arch. XII 287)
bei [August.] ad fratr. ereni. serm. 3; anxio bei [Ambros.] serm.
37, 6. Greg. M. dial. 1, 4 u. s. w.
Cambridge. John E. B. Major.
Zur Mulomedicina Chironis.
I.
Die Entdeckung der Mulomedicina Cliirouis verdanken wir
W. Meyer *)^ die Herausgabe der entsagungsvollen Arbeit Oders**),
nachdem bereits Wölflflin auf die sprachliche Bedeutung dieses
Stückes der antiken Litteratur hingewiesen hatte.***) Die Bedeu-
tung, welche dem Werke nicht nur sprachlich, sondern auch
sachlich (als ältestes erhaltenes Werk über Tierheilkunde und
Hauptquelle der Bücher des Vegetius) zukommt, und die Sorgfalt,
mit welcher sich Oder seiner dornenvollen Aufgabe unterzogen
hat, dabei namentlich von Bücheier unterstützt, werden es recht-
fertigen, wenn das Archiv eine über den Rahmen einer gewöhn-
lichen Besprechung hinausgehende Würdigung der Ausgabe und
des Werkes selbst bringt.
Die Handschrift (Cod: Mon. lat. 243), aus dem 15. Jahrhundert
stammend, enthält die Mulomedicin fol. 104' — 159.f) Sie ist in
10 Bücher eingeteilt, am Anfang verstümmelt, ohne Überschrift;
den Titel geben einige Subskriptionen: Buch I nennt (Itirouis
centanri, II Chirmis c. vetcrimani liber-, Buch LX giebt Chiron
centaurus et Absi/rtits, endlieh am Schlufs des Werkes die wichtige
Subscriptio (p. 291 Od.): Clmulius Hermeros Veterinär ins Über deci-
mus Explicit felicit^r. Die noch folgenden §§ 977 — 999 sind aus
anderen Rezeptbüchem hinzugefügt ff), wie ja ähnliche Werke von
selbst zur Ergänzung einladen.
Es werden also drei Namen genannt: Chiron, Apsjrtus,
Claudius Hermeros. Unter den Werken des Chiron erwähnt
*) Sitzungsber. Münch. Akad. 1885, p. 395.
*•) Claudii Hermori mulomedicina Chironis edidit E. Oder. Lipsiae,
B. G. Teubner 1901.
*♦*) in diesem Archiv X (1898), p. 413—426.
t) Oder p. VI. Über eine verschollene Handschrift im Besitz des
(j. ThomasiuH, ebd. p. VII, 1.
ff) Hie iterum exjJicat fhwm operis heilst es zu § 980; nichil fuü
plus in exemplari sed /hu's rohiminis huius f'uit carta .7^' autecedenti zu § 999.
402 ^\' Lommatzsch:
Suidas*) iTCTtiatQixov dtb xal KsvravQog arofidödi]. Auch Colu-
mella**) scheint eine griechische Mulomedicin unter dem Namen
des Centauren Ch. vorgelegen zu haben, wie die Zusammen-
stellung mit Melampus zeigt. Oder ist nun geneigt, Chiron für
den Namen eines wirklichen Mulomedicus zu halten (p. XV ss.),
der aliquanto antiquior (p. XVI n. 2) als Apsyrtus gewesen sei,
zumal er bei Vegetius stets nur als 'Chiron* citiert werde und
wir ihn in unserer Mulomedicin analog den anderen Autoren be-
handelt sehen; der Zusatz ^centauriis^ mufs dann durch spätere
Identifikation hinzugekommen sein. Doch scheint mir dieser
Schlufs nicht zwingend. Dafs es ein altes Werk über Tierheil-
kunde unter Chirons Namen gab, zeigt jene Stelle des Columella;
vielleicht ist es nicht zufällig, dafs die Zusammenstellung des
Chiron und Melampus sich in gleicher Weise bei Vergil findet,
georg. 3, 550: cessere magistri, Fhülyrides Chiron AynyÜiaoniusquc
Melampus. ***)
Dies Werk des Chiron wurde verbunden mit einer R^ihe
anderer Schriften über Tierarznei, vor allem des Apsyrtus, dessen
Name neben Chiron in der Überschrift erscheint; dieselben beiden
werden zusammen genannt in der Stelle des Vegetius f) ^Chiron
vero et Apsyrtus diligentia (quam Pelagonius et ColumeUä seil.)
cuncta rimati eloquenf^iae inapia ac sermonis i2)sius v^ilifafe sor-
descunt\ Dafs Vegetius hier ein lateinisch geschriebenes Werk
meint, ergiebt sich ohne weiteres aus seinem Urteil über die
Sprache im Hinblick auf Pelagonius und Columella, auch sagt
er selbst ausdrücklich, dafs er sein Buch zusammengestellt habe
comluctis in unum Latinis dumtaxat auctoribus unioersis, adhihitis
etiam tmdomedicis et medicis non omissis (praef. § G). Das von
Vegetius genannte Werk ist die Mulomedicina Chironis; das
stellen die vielen, zum Teil wörtlichen Entlehnimgen ganzer Par-
tien aufser allen Zweifel ff), und bei genauerem Eingehen auf
*) s. V. Xtigbjv.
**) praef. § 3*2: in pecoris cidiu doctrinam Chironis ac Melampodis.
***) Die Stelle citiert auch [Lactanz] mort. perrf. 33, 4.
f) mul. praef. § 3.
tt.) wenn auch von den Stellen, die Vegetius ausdrücklich als au»
Chiron [1, 17, 16 = 109; 6, 8, 1 = 201 ; 6, 14, 1 = 902. 3; 6, 27, 6 = 634;
6, 13, 2J und Apsyrtus [2, 10, 5 = 157; 6, 13, 4; 14, 5; 22, 1; 27, 1] stam-
mend angiebt, einige dort nicht vorkommen; es ist also einiges weggelassen
worden, cf. 199 p. 60, 27 sicitt in alio libro docui. Die Bearbeitung des
Vegetius erstreckt sich, wie es scheint, nur auf die er8t<in sechs Bücher.
Zur Mulomedicina Chironis. 403
die Quellen des Yegetiu^ zeigt es sich, dafs er die Hauptmasse
seines Materials jener Mal. Chironis et Apsyrti verdankt*), trotz
seiner vielfachen Beteuerungen (Oder p. XI n. 2), dafs er ^omnes*
^diversos* etc. Autoren herangezogen habe: er citiert auch nur
diese vier.**)
Durch die Benutzung des Yegetius ist zugleich ein terminus
ante quem gegeben; einen terminus post quem giebt die That-
sache, dafs Pelagonius jene Übersetzung des Apsyrtus noch nicht
kennt bezw. benutzt, sondern die betreffenden Partien anders
tibersetzt***), sodafs die Mulomedicina um das Jahr 400 verfafst
sein mufs. Sie liegt natürlich nicht in der ursprünglichen
Fassung vorf): diese ist noch kenntlich in einigen zusammen-
hängenden Stücken (c. 115 flf. 266 flf.), welche die Namen der
Autoren als Lemma tragen: Sotion, Apsyrtus, Polycletus, Chiron,
Famax. Die Zusammenarbeitung dieser Autoren dürfte bereits
auf die griechische Vorlage zurückgehen. Chiron ist bei weitem
nicht am häufigsten citiert (Oder p. XV n. 3); wenn er also in
dem Titel der Schrift neben Apsyrtus besonders genannt wird,
80 scheint sich mir auch daraus der Schlufs zu ergeben, dafs wir
in Chirons Werk ein den Namen des alten magister Achillis
tragendes anonymes Buch zu sehen haben, nicht einen späteren
Vorläufer des Apsyrtus. Am Schlufs des Werkes c. 976 nennt
sich der Bearbeiter des lateinischen Werkes: Claudius Hermeros
veterinarius. Es wird schwer sein, seinen Anteil aus dem Wüste
herauszuschälen. Das ursprüngliche W^erk hat sicher im Laufe
der Zeiten mannigfache Überarbeitungen, Zusätze, Veränderungen
der Anordnung etc. erfahren; durch den Vergleich mit Vegetius
läfst sich vieles feststellen, auch Sprachliches. Denn dafs Clau-
dius Hermeros, trotzdem er sermonis vilitate sordescit, doch nicht
in diesem barbarischen Latein geschrieben hat, wie es die Hand-
schrift bietet, scheint mir sicher; mit Recht warnt Oder davor
*; Daneben kommen nur noch Pelagonius und Columella (für Buch IV Sehn . i
in Betracht.
**) Zweimal hat er aus seiner Quelle ein Citat herübergenommen:
Celsus (4, 15, 4) aus Columella .6, 14, 6); aus Chiron 160 Famax (2, 10, 10,
wo vulg. pharmaco. de la.rif> . . . Das richtige hat ein Florentiner Codex:
Fanicuc de laxis).
***) Darüber die Gegenüberstellung mit der Übersetzung bei Vegetius
bei Oder p. 14() tf.
f) cf. Oder p. XVIII n. 2.
404 ^^- Lommatzsch:
(p. XXI), Fehler der Handschrift für vulgäre Formen zu halten;
wir haben eben noch keinen rechten Mafsstab, nach dem wir
die Volkssprache um 400 messen könnten. Denn wes Geistes
Band der Verfasser ist, zeigt jene köstliche Übersetzung (p. XXI):
xcd rovto dl ix r&v FeaiQyix&v Mdymvog tov KuQiriöoviov
BVQr^riu: et hoc quod a rnsticis magis {y, ficcyiov) inventum est von
prdetennittamus quod appellant ostium churcedonium (dörov K.).
Bei dieser Unsicherheit in der Beurteilung des Möglichen dürfte
das von Oder eingeschlagene Verfahren das richtigste sein, die
Handschrift möglichst intakt wiederzugeben, wobei er mit Recht
manches ohne weiteres korrigiert hat (p. XXII); falsche Wort-
trennung, y und i, e und ae. Schwanken der Aspiration u. ä.,
wie überhaupt in solchen Fällen, wo die Handschrift die gewöhn-
liche Form neben der barbarischen hat.
Die sprachliche Ausbeute des Autors hat Oder durch seine
musterhaften Indices auf serordentlich erleichtert: auf den index
nominum folgte ein index grammaticus p. 300 — 314 und ein
reichhaltiger index verborum p. 315 — 455, endlich ein index
specierum.
Ich hebe das Wichtigste hervor und beginne mit dem
Wortschatz. Bei der Ungeschicklichkeit, mit der der Übersetzer
zu Werke geht, ist es natürlich, dafs er viel griechische Worte
mit einmengt, nicht nur technische Ausdrücke*) für Krankheiten,
Arzneimittel**) u. a., die sich zum Teil auch in den anderen
medizinischen Schriften finden, sondern selbst in dem Text hat
er ohne weiteres das griechische Wort stehen lassen. So c. 491 ***)
umor . . a eine tos faeit nervös, wofür Vegetius an der entsprechen-
den Stelle (5, 21, 2) immobiles hatf); ähnlich hat er c. 249
qiiaseumque valitudines aterapeutae sunt et cronia und 456
*) unter denen sich manches neue griechische Wort befindet: SiTtkaym-
aTQoetd7]g, intl.a\ntd6iov ^ Xi7tccQOY.riQ(ar6i\ Xi^ovXuog^ n^coxoxouiov. Nur
Hellen werden diese Ausdrücke erklärt; z. B. venae mesocincte quae latine
clavicidae, 426. ecedermia quod latine corraginem appellant 404. clerocoelids
hoc est qui non solvuntur 11. heterosceles . . qui alterna genua habetU 753.
Aber auch umgekehrt: pupilla core quae dicitur G8. corruptio sanguinis
quam Oraeci diaftoram appellant 256. 266.
**) Interessant c. 252 ex onzn cel ex rafanida agrea (<iypta).
***) Ich citiere nach cap., da diese Citierweise auch im Thesaurus 1. 1.
durchgeführt ist.
t) Auf diese Ersetzung der griechischen Worte durch lateinische bei
Vegetius komme ich unten zurück.
Zur Mulomedicina Chironis. 405
tanquam halani jüenitudinem das griechische Wort übernommen;
544 cJiamum (Maulkorb, xr^^ög). 37. 110 chiesis. acontiyare 9. 24.
25 (Veg. 1, 22y 5. 1, 26, 4. 1, 27, 2). Nicht selten sind lateinische
Weiterbildungen griechischer Worte: bohdare und holiitailo (von
ßolLTov gebildet) 148. 433. 139. hotronatim (= ßoxQvdov) 213.
236.*) bubomdum (= ßovßüv) lib. E, 19. VII 51 tit 98**).
100. 649. caustkare 222. 444. 594. 606. 997 (davon camtieatio
654). cenietalis (xsvthv) 679. 708. 402 (Veg. 5, 24, 4). cretiare,
creticus, cretiatims {xQi^iav) öfters. emplastellum 402. 679.
epitogium 318. 463. fantasiari {(pavra6iat,a6^ai) 304. para-
staticare 393. 41(5 (= lenire). percatapsare 161. 216. 341.
spasmare {öTtaöfiög) 329. 339. 526. 733. stremmare (örQeniKc)
443. 662 (daraus bei Veg. 1, 26, 4 herzustellen). tragonatio
(xQccyavov) 183. 354. 687. Bemerkenswert femer Zusammen-
setzungen wie aerovariciits 294.
Was den lateinischen Wortschatz anbetrifft, so finden wir
nur wenig ganz neue Worte: ncceus, circius, va'ogo 165 als Name
ansteckender Krankheiten bei den Tieren genannt; blaiteia (479.
655. 656. 684) und blatieiare (734. 739), davon jenes bereits aus
Glossen (blafta : blattia d-gö^ßog oL^arog) bekannt, capus (= sca-
diis i. veretrum Veg. 5, 14, 17) 461. cliendio (Marienkäfer?) 225.
185. 236. curcHha (corbis sparteus) 23. 296. 545 (Veg. 3, 33, 2).
tarcimen und -inalis und -inostis passim. lacca 26 (Veg. 1, 27).
pilupia (717) Name der unbekannten Krankheit pispisa (687. 689.
707. 992). c. 544 werden die dentes columellares (Veg. 3, 33)
colomelli genannt, eine Form, die nach Isid. orig. 11, 1, 52 ein
vulgärer Ausdruck dafür war.
Bei weitem überwiegen unter den neuen Worten die Neu-
bildungen***); ich stelle sie nach Gruppen zusammen:
Verba:
alimentäre 277. experimentare 198. 893. 935.
ameniatus 260 (danebeif , aber zweimal amens),
axungiare 661.
butlizare 630 (statt bidlescere). stercorizare 461 (neben sterrorare).
*) Veg. 2, 24 coUectos.
**) bubo<^nac{ay qua^i idiotae huculas appdlant.
***) Oder bat die sonst unbelegtcn Wörter mit * bezeichnet: ich habe
einige weggelassen, anderes zugefügt. Wo Vegetius das Wort üliernommtii
hat, ist die Stelle beigefügt.
406 £• Lommatzsch:
caldare 381 intransitiv, 798 transitiv gebraucht.
can^erare 184. 523.
discoriare 509.
excalig(u)larc 733. 629. eacarnarc 574. cxU'^üinarc 493.
fasciolare 544 (Veg. 3, 33 dafür fnsciare ).
forfic/ire 62.
ö^are = offam dare öfters.
pituitare 140.
sulphorare 673.
Dazu die Composita:
circumhaerere 312.
compisare 769. comiodure Verknorpeln' 596. consnh'ujete 790.
(lepurare 571.
exfervefaeere 614. 761.
interamiitere 648.
percmifirmare 654. perfrußdare 214. iwnjyrare 214. perinf mo-
dere 264. persalire 258 (Veg. 3, 53, 3 salire),
pracdureHcerc 653. 661. 699. pravfjyrare 420. 261 (Veg. 3, 5, 2
profricare 212. 232. 320. 455.
$uhnai<ire 115. 147. 311. sugijluttio 420. *j
superohlinirc 343.
ifnpra venire 132.
Substantiva:
dedurta 987 cf. Oder im Index s. v.
€///m/e 427. 501. 69H. Daneben (•(//(//<'.
öWo/a 102. viricfdae = Yires 133. 411.
aliitia 700. 36 (daneben altitudo).
vennicles (= vennigo) II 39 tit. (i!>7 (davon vemiiciosus l>r>0.
i>42).
dodimen 173 (sonst daudigo bezw. chdigo). ocdunmi ()28. sHsp-
ramentam 115.
amlmlatura 261 (Veg. 3, 5. (>, 6, 6); öfters amhnlatlo, decodnra
893.
^7^y;/f?//o 12. foUicatio 736. 502. /bv/fe 472. 771. .7//m//ö 122
(Veg. 2, 2j. 371 (Veg. 5,44). inhahilitailo 118. nioles'.atio III 7
*i Ühersotzun^sfohler, durch Verwechselung von xa^Trroi und xcL-?rrfo
entstanden, den Veg. 5, 59, 1 übernommen hat.
Zur Mulomedicina Chironis. 407
tit. 244. reversatio] 475. sinapidiatio 254. viscatio 659. snu-
cursio 187. 349. 396.
limositas 94. lyituitas 350.
laritudo 763. muccihido 169.
spartilago 503. tilillago 393 (titillatio Veg. 5, 64, 4 = Chiron
c. 214).
Dazu dieComposita: concavationes 371. stibüia 461. s?/^;er-
rew« 682. supragamha 45 (Veg. 5, 19. 3, 47, 1).
Adiectiva:
commissuralis, von cotnnmsura 'Gelenk' 52 (Veg. 3, 51). 59 (Veg.
3,13,4). 654. complemifudis 776. subnervalis 119. visceraJis
439. 694. v/to//s 613.
dorsanus 452.
hracchiolaris 19. curricidaris 504. iugülaris 284 (Veg. 3, 12). 291.
mldaris 250 (Veg. 3, 6, 3 calidam),
liciaria vena 584.
hrumaticus IIb. dodicus 468 (daudtis 41). morsicus 977. ne-
fr Ulcus 28. oleaticus 57.
canceraticius 570 (Veg. 3, 43 canceraÜcus), extrusicius 22 (Veg.
1, 26). 734. sujfusicius 694 und sonst, uficticius 473. vulsicius
25. 28. 242. [?co;wjpo5i7fM5 6 (Veg. 1, 22, 3 comjwsiVws)].
patidus 97 (Veg. 3, 27 patens). 117. Daneben einmal patulus.
productilis 112. 620. 641. pandatile 639 (Name einer Krankheit).
veterilis 392.
caelestinus 930 (ri^ytia c). ficurninus 587. posterinus 146. i?ß/e-
mms 555. 835.
circum<nsorius 22 (Veg. 1, 26, 2. ;r£()tT0/ii£i'5). succissorium 58. 85
(Veg. 3, 22, 1). potimiatmiiis 818.
distentiosus 17 (distenUis Veg. 1, 25). fartosus IV, 48 tit. 403.
feforosus 992. fleminosus 873. gambosus 693. 47. laccosus
46 (Veg. 5, 18). vermiciosus (neben vermiculosus) 630. 942.
Composita: S2iim//s 125 (=8ubcutaneu8), sublacrimans 121
(Veg. 2, 2). siibturbidefitKs 306.
Adverb ia bieten nichts Merkwürdiges; ich notiere:
craticidatim 187. 676. 689 (Veg. 5, 2, 5, aber nicht aus Chiron).
praesta(n)tim 811. metraliier 223 (Veg. 2, 15, 3 or/ menmram),
securifer 736.
Unter den Präpositionen fallen die vielen mit f/c zusammen-
gesetzten auf: decotitra 391. deintro 135. deiuxta 135. deretro
40^^ ^- Louimatzsch:
113. 624. G40. desub oft, desuhfus 455. desnper Hl. (567; ferner
antepridie 6. 73. 393. 683. adidji 495. 625. 705. incofrtm 52. 113.
Zur Semasiologie ist zu bemerken der Gebrauch von
dormüio = Lager 481 ( Veg. 5, 4, 2), compendium = Heilmittel
4, 32, indignatio = Entzündung 568. 699. Die 'Krankheit' heifst
neben morbus gewölinlich causa y auch einmal cura (sonst = 'die
Kur*j. fictns = vesanus 9S2. creptdae ungulae fmut = crepant
'bersten' 664. admiseere = coitum facere, attrahere = extrahere,
amUre = reagieren, efficere = leben, aushalten 119.
Die grammatischen Formen sind von Oder in einem
besondern Index grammaticus p. 300 — 314 zusammengestellt. Ge-
rade auf diesem Gebiete zeigt sich die Unsicherheit im weitesten
Umfange: ist das, was wir hier vor uns haben, Vulgärlatein aus
dem Anfang des 5. Jahrhunderts oder Verhunzungen eines un-
gebildeten oder mehrerer ungebildeter Schreiber? Es ist schwer,
eine bestimmte Grenze zu ziehen; ich hebe das heraus, was mir
sicher vulgärlateinisch zu sein scheint. Dafs die griechischen
Neutra auf -a meist als Feminina behandelt werden, ist selbst-
verständlich, wie wir überhaupt hier ein Durcheinandergehen der
Genera und Deklinationen haben, das ans Unglaubliche grenzt;
davon wird viel auf Rechnung des Schreibers zu setzen sein,
nicht jedoch Formen wie: colenhus (zu colera, -ae), siran^fmrihus
(zu stranguiria), hnnbn'dhus (wie von lumbrcx zu lumbricus),
fleminum (zu flemen), unguine, unguinibus (zu unguis). Auch
(ludere wird überwiegend geschrieben, dagegen claudicare etc.;
bilibrae neben bilibres, so auch acrum neben eure* stets paupero
loco, pauperi pedes. Dasselbe gilt für die Konjugation der Verba;
auch hier macht das Schwanken ein sicheres Urteil unmöglich.
Ich hebe hervor nngu^as u. a. Formen nach dec 2. Deklin., misciio,
miscis etc. nach der 3., die ziemlich häufig vorkommen; Futura
wie lenibis, munibis, sitiebit dürften gleichfalls der Vulgärsprache
augehören, so gut wie battere, dccndit, imndit etc., difpremes etc.,
perscdiet und axJspargem,
Dem Gebrauch der späteren Zeit entspricht ierno die für tertio
d. 427. Die Unsicherheit in den Komparationsformen (acerrimus,
(icrissiiHus und arerissimus u. ä.) ist ebensogut auf Rechnung
des Cl. Hermeros zu setzen, wie diejenige in den Komparations-
graden, für die ihm jedes (jefülil abhanden gekommen zu sein
scheint. Man sehe die Zusammenstellung p. 309: celeritis etc.
f. celeriter, c(ddr . . . quam etc., daneben Ausdrücke wie: magis de-
Zur Miilomedicina Chironis. 409
terior, magis niaior, m. plm, sogar mag^is maxime, maxime plus,
nimis amarioribus^ hierher gehört auch der Gebrauch von inferms
quam mit Accus. = infra: z. B. qtme (vmae) sunt . . ad latus oculo-
rum . . inferms qwim hos 16, von foris quam = extra 18 und
deorsum quam = sub 593.
Dem Streben nach Deutlichkeit, vielleicht auch der Unge-
schicklichkeit des Verfassers, werden wir den häufigen Gebrauch
der figura etymologica zuschreiben (p. 310) und pleona-
stische Ausdrücke wie appellationis nomen, dnritatem hicis, mtium
morbi; foras excludere u. ä.; deinde postmodum u. ä., die p. 310
— 311 zusammengestellt sind: wie ja natürlich in syntaktischen
Fragen mehr Verlafs auf die Handschrift ist als in grammati-
scher und lautlicher*) Beziehung. Durchaus der Umgangssprache
angehörig ist die Stellung des Relativums hinter dem betonten
Wort: gypsodes qua^, dicitur, ilia ubi cinguntur u. a.; so werden
auch die Konjunktionen gestellt: altius eyiim si penctraveris , in
oculo albor si erit, de visceribus cum mitterc voles, facito i2)S0 dir
ne m^nducet. Dahin gehört auch der Gebrauch des Infinitivus
imperativus.
IL
Die Untersuchung der Sprache der Mulomedicina Chironis
hat durchaus das Urteil des Vegetius (praef. § 3) bestätigt: elo-
quepitiae inapia ac sermofiis vilitate sordescunt. Selbst wenn wir
von den Fehlern der Handschrift noch so viel abziehen, recht-
fertigt das Übrigbleibende vollauf jenen Tadel.**) Ob auch das,
was Vegetius in sachlicher Beziehung an Chiron und Apsyrtus
auszusetzen hat***), in gleicher Weise berechtigt ist, das zu be-
weisen bedürfte es zunächst einer Herstellung der Mulomedicina
Chironis in ihrer ursprünglichen Form, d. h. in derjenigen, welche
dem Vegetius vorgelegen hat.f) Was uns hier interessiert, ist
*) Formen wie cretellae, scarpellum , crunes, hersellum sind möglicher-
weise alt.
**) Der griechische Apsyrtus entschuldigt sich übrigens wegen seiner
vilitas sermonis: Hippiatr. p. 1: iv a){ßißXico) ftr) ini^riti^orjg XoyiotTira, cclXu
Tjfjv ix, ri)s Tttlgceg q>vafiir}%' i^LichiQiav iniyvbid'i.
***) § 4 praeterea indigesta et confusa sunt omnia, ut partem aliquam
curationis quaerenti uecesse sit errare per titulos, cum de eisdem passionibus
alia remedia in capite, cdia inveniantur in fine.
t) Wie Vegetius sein 'digercre' verstanden hat, mag ein Beispiel
verdeutlichen. 3, 12 handelt de insania in der gewöhnlichen Reihenfolge:
410 S> Lommatzsch: Zur Mulomedicina Chironis.
die sprachliche Seite der Umarbeitung. Vegetins will offenbar
die beinahe unverständliche Sprache der Mulomedicina umsetzen
in die Umgangssprache seiner Zeit: cuitis — sagt er von seinem
Buch IV praef. § 1 — erit praecipua felicitas, si cum nee schola-
sticus fastidiat et hvbulcus intellegat Ein Vergleich des Vegetius
mit der Mulomedicina Chironis mufs also wenigstens das Resultat
ergeben, uns zu lehren, was Vegetius für unangemessen hielt;
vielleicht läXst sich dadurch ein Mafsstab für die Beurteilung des
Vulgärlateins im 4. Jahrh. gewinnen. Ich setze zunächst eine
Stelle her, die deshalb von Wichtigkeit ist, weil Apsyrtus citiertwird:
§ 157 Apsyrtttö de coactionibus. si eqiius de via coactus venerii,
sie intelligis: oculi eim intro erunt sive versabufUiir, et spirai cali-
dum crebre, et ociUos tensos habebit et auriculas, et reliquum corpus
extensum erit et suspirat graviter. Vegetius transkribiert das
folgendermafsen (2,10,5)*):
A, huiusmodi de coactionibus prodidit medidnas, si equus, in-
quit, coactus de via vetierit, ocidi eius intro abibunt vel versa-
buntur, spirat calidum frequenter atque suspirat ^ auriculae ac rdi-
quum corpus extensum erit.
Wir sehen, wie Vegetius das Zusammengehörige zusammen-
gestellt hat; anstatt crebre schreibt er frequenter**), und durch
Änderung des erunt in abibunt erhält das * intro' seine richtige
Beziehung. Die Änderungen, welche Vegetius vorgenommen hat,
beziehen sich also einmal auf die Syntax, sodann — und das
ist das wichtigste — auf den Wortschatz durch das Ersetzen
vulgärer Worte und Bildungen durch solche der korrekteren
Ausdrucks weise; nach diesen beiden Gesichtspunkten haben wir
im weiteren die Umarbeitung der Mulomedicina Chironis durch
Vegetius zu prüfen. (Schlufs folgt.)
erst die sigtia^ darauf die curae; die Mulomedicin giebt c. 284 ff. Stücke aus
Sotion und Polyclet, sodafs füniinal signa morbi vorkommen, darunter drei-
mal aus Sotion. Vegetius giebt einen Teil nach Polyclet 288 p. 85, 23 — 27,
den andern nach Sotion 290 p. 86, 16. 292 p. 86, 29. In den curae hat er
folgende Reihenfolge: § 2 = c. 284. 291. 293. § 3 = 291. § 4 = 289. § ö
= 286. § 6 = 288. — 3, 22, 1—3 ist aus Chiron c. 85. 86; ebenso 3, 23—30
(= Chir. 87 — 98); dazwischen ist ein Stück aus Pelagonius geschoben
(3, 22, 4—16 = Pelag. 412—434).
*) Wo der Text des Vegetius von dem der Ausgaben abweicht, beruht
er auf den Lesarten der Handschriften.
**) cf. E. Wölfflin, Sitzungsber. Münch. Akad. 1880, p. 410 ss.
Freiburg i. B. £. Lommatzsch.
Miscellen.
Brnta.
Bei Deutung der Glosse Heronalacah (-aiacah Epinal., -iacaJi
Amplon.) brufae (butre Epinal.) diuersarum würde ich Büchelers Vor-
schlag Ilero machinarum structor diuersarum zustimmen, wenn ich
nicht in brutae den festen Punkt für eine andere Lösung sähe. Bru-
iae ist das durch die Römer entlehnte germanische Wort, dessen Be-
deutung und bisher bekannte Beispiele ich in Kluges Zeitschrift für
deutsche Wortforschung I (1900) 240 flf. behandelt habe. Das voran-
gehende Wort ist sichtlich griechisch, aber nicht rig^vai und nicht
eine Glosse zu Ovid, etwa zu Amores 2, 18, 19 ff. 28. Vielmehr ist
T^Qiocav aXoxoL brutae diucrsorum vermutlich Glosse zu Od. 11, 329
oCöag 4iQ(6iov akoxovg töov rjöh Wyarpag oder zu Od. 11, 227 oaaat
igiarrjatv SIoxol ?Cav i}di ^yaxQSg, Die ursprüngliche und bei der
Entlehnung noch lebendige Bedeutung des germanischen Wortes „junge
Frau" ist hier besonders deutlich. In diuersarum soll man nicht etwa
diuinorum suchen wegen ähnlicher Erklärung von h^ros in den Glossen.
Hesych mit seiner Glosse i]Q(06g' ot öutcpiQOvxBg aqBxri "^^ Gloss. 11
276, 31 öuKfBQtü praesto^ 43 diraipoQog diuersus praestantior weisen
den Weg. In der ursprünglich rein griechischen Glosse war 'fjQcjiov
durch öuetpoQoav erklärt, in der griechisch-lateinischen wurde öuxtpoQoav
zu diuersarum. Schottenmönche, auch in diesen Glossaren (V 337 ff.)
durch angelsächsische Zusätze kenntlich, wie in den ^Glossae nominum'
(11563 ff.), haben in ihren Übersetzungen aus dem Griechischen so
manches Rätsel aufgegeben.
Griefsen. G. Gundermann.
Oruia.
Erst aus den Glossaren ist das Wort Oi'uia ans Licht gekommen.
Aber weder seine Herkunft, noch seine genaue Bedeutung war bisher
bekannt; nicht einmal die einzelnen Glossen sind sicher gedeutet.
Diese lassen sich in zwei Gruppen scheiden. In der ersten Gruppe
heifst es Orbia: getius qnoddam escnrum, quod quidam Saturn i obiam
uocant (Placidus) und kürzer Orbia: genus escarum (Gl. N.); in der
412 ^- Gundermann:
zweiten dagegen heilst es 0. sifanatunda (Amplon.) und 0. ftffaninda
(Lib. Gloss.).
Die Bedeutung scheint in der zweiten Gruppe spezieller an-
gegeben zu sein als mit dem allgemeinen genus quo d dam escanim
der ersten Gruppe; eine Vermutimg, die sich sofort bestätigt. Bei
Hesych ist oQova' xoqöi]' xal aiwtQifinoc TtohnTiov^ slg o ^Emjagfiov
dgäfici „Wurst" und an anderer Stelle genauer dgva' xoQÖrj i(pd^ „ge-
kochte Wurst". Das ist gerade die Erklärung der zweiten Gruppe.
Denn sifa (ßffii) ist i/;t^«, wie die Hesychglosse t\)icpd' Itp^ra Xsnxa lehrt
In nutunda (runda) = rutunda liegt wahrscheinlich nicht Adjektiv,
sondern Substantiv „Magenwurst" vor, wie bei den Medizinern rotuffda,
rotundula „Klofs" bedeutet.
Aus dem eben Gesagten ergiebt sich schon die Herkunft: oruia
ist ein latinisiertes OQva, Das Lehnwort gehört der Volkssprache an.
Es wiurde übernommen vermutlich schon beim ersten Vordringen der
Römer nach Unteritalien und Sicilien. Auf das Sprachgebiet mit
griechischem Untergrund weist auch die zweite Glossengruppe mit der
Erklärung sifa = t/^t^a. Hesych nennt Epicharm als Gewährsmann
für das Wort in übertragenem Sinne. Einen schlagenden Beweis
daflir, dafs OQva in Sicilien besonders heimisch war, liefert Athenaios
III 94'. ioq6G)v xb fiifivijrai ^EjiC^aQ^og^ ag OQvag övo(id^st^ iTtr/Qciiffag
TL oial T€i)v dgcc^ccToai' ^ÖQvav^ ebenso IX 366^. Nach zwei Citaten
aus Epichann, deren erstes ö^i»«, deren zweites x^Q^^^ enthält, fährt
er fort: vvv 6 ^EnixcnQ^og x«l xoqö^v ojvofiacev^ ad noxE OQvav
xaAwv; vgl. Eustathios 1915, 22. Also volkstümlich und dialektisch
OQVce^ gemeingriechisch und litterarisch x^Q^V-
Die Form orhia, die sich im Lemma aller Glossen findet, beruht
auf dem Übergange von rv zu rh im Spätlatein. Volksetymologische
Angleichung an orbis ist aufserdem möglich wegen der Erklärung
mit rutunda. Für die ältere Zeit ist nur die Form orvia berechtigt
Ungewöhnlich ist aber die Wiedergabe des griechischen v durch uL
Bei einem frühen Lehnwort wäre zwar nicht y oder i, aber u zu er-
warten. Lateinisches ui für griechisches v steht sonst nur nach
Gutturalen (Schuchardt II 273 ff.), nicht wie hier zwischen r und
Vokal. Von Wörtern wie caryon, Caryae und ähnlichen scheidet sich
oruia gewifs nicht inmaer durch das Alter der Entlehnung. Man
könnte in oruia den Beleg sehen für Meinekes Vermutimg (Philol.
Exerc. in Athen. I (1843) S. 10), dafs es griechisch ogvue gelautet
habe nach der Angabe bei Theognost. can. (Gramer, Anecd. Oxon. II)
106, 21 AglaxaQxog övCxikXeir xb a %al ixxelvei xb v %al ngon^tgo^vvEi^
fvaXkayriv xopov 7t£7T0i,Y}}i(og^ üg cprjölv ^Hgcoöiavog. Aber der Wortlaut
hier führt doch nur auf oQva. Herodian selbst (I 303, 10. 306, 29
Lentz) hat jedenfalls ogva betont und in dieser Betonung sehe ich den
Anlafs der auffälligen Wiedergabe: -v- mufs dem römischen Ohr wie
-ui- geklungen haben. Denn dieselbe Erklärung gilt zweifellos auch
für das einsilbige t/i, die lateinische Benennung des Buchstabens v.
Vielleicht finden sich zii diesen zweien noch weitere Beispiele von
lateinischem ui + Vokal = griechischem betontem v + Vokal. Die
Miscellen. 413
Form oQOva der ersten Hesjchglosse darf man schwerlich für die Aus-
sprache orwa gegen orua verwerten, zumal die Herkunft nicht an-
gegeben ist wie bei xdgova' otaQva AaxcDVBg, Die handschriftliche
Lesart oQsa bei Athenaios (II 300, 11 Kaibel) giebt die spätgriechische
Aussprache, wie sie in nachchristlichen lateinischen Inschriften belegt
ist (Schuchardt U 264).
In dem Zusatz der Placidusglosse quod guidam Saturni ohiam
uocanf liegt dasselbe Wort mit Schwund des r vor. Ob hierbei Dissi-
milation gewirkt hat, weil Safurni oi'uiam^ unter einem Accent ge-
sprochen, zwei auf einander folgende mit r auslautende Silben hat,
oder ob r durch palatale Aussprache — sonst nur in unmittelbarer
Berührung r + y wie in peiuro — verdrängt oder dialektisch {qui-
dam) nur ganz schwach hörbar war, wie in Fotunate = Fortunatac
und anderen inschriftlichen Formen Mittelitaliens, läfst sich schwer
entscheiden. Für die zweite Möglichkeit könnte der Umstand sprechen,
dafs auch das Lenmia in Gloss. V 377, 24, obwohl in der Ör-Reihe
stehend, Ohia lautet.
Zur Deutung des Sinnes von Saturni ouia kann satura „allerlei'^
nicht helfen. Wurde der mit Fleisch und Blut vom selben Körper
gefüllte Darm im Scherz benannt nach Satumus, der seine eigenen
Kinder verschlang?
Giefsen. G. Gundermann.
Glos. Glnttit. Olnma.
Die Bedeutung dieser Wörter läfst sich schärfer fassen, wenn in
den Glossen Gloss. II 34, 29 — 32 die Verwirnmg, die auch der The-
saurus glossarum nicht beseitigt hat, aufgeklärt wird. Die Glossen
lauten: 29 Glos >/ tov avögog aösXtprj yakiog naga TtkBvtu). 30 GJuitii
%qo%%u OQPig. 31 Gluma kenvgov XQi&qg. 32 Glumea ikGiQctg aöeXcptj
yafuxrj (og nkavrog, Dafs in 32 zwei Glossen zusammengeflossen sind
und vor ad£X(ptj als Lemma Glos gehört, hat man längst erkannt.
Die Wiederkehr desselben Lemma mit ähnlicher oder derselben Er-
klärung kurz hinter einander fällt in diesem Glossar nicht auf. Diese
Erscheinung hat Dammann (de Festo Pseudo-Phüoxeni auctore, Jena
1892, p. 12flf.) genügend aufgehellt. So wäre auch das Plautuscitat
am Ende sowohl von 29 wie von 32 nicht auffällig. Merkwürdig
ist nur, dafs es in 29 nccga TcAcvrco, aber in 32 co^ TtXavtog heifst.
Wenn man von anders gearteten Citaten, wie 24, 38 Kätcc Buqqcopu
und 32, 64. 34, 10 iv to5 (3' r&v recoQytx&v^ absieht, haben alle Citate
die Form wie in 32, z. B. cog Ulavtag 13, 9; üg JIwKovßiog 18, 32;
&g "Epviog 18, 33; 16, 3; wg Tirlvinog 18,34; &g Nalßiog 17,34;
mg AovKlkhog 20,37; üg BtgyiUog 26, 18; mg 'Oßolötog 22,40; mg
'lovßBvdlLog 1,19; 19,29; 21,42; 22,16; &g Hofinriiog 8,21 und
so überall. Auch in 20, 42 Äntelahra eiöri axenov mg xaißovxmv
liegt wohl ein Citat vor und ist wegen des eng verwandten Festus
Archiv für lat. Lexikogr. XTT. Heft 3. 28
414 ^- Gundermann — J. M. Stowasser:
(Paul. 11, 11), der för Sakralwesen öfter Capito citiert, vielleicht zu
schreiben Anclahria höi] axeva)v mg Kamrcov, Schon die Ausdrucks-
weise in 29 TtaQa nlsvxG) hätte also Verdacht erwecken müssen.
Wenn naga Ttlevroa in 29 stört, so fehlt andrerseits etwas in
Glosse 30, die Danimann (p. 39) mit Recht aus Festus ableitet: Paul.
98, 6 Gluitire et glocidare galUnnrum proprium est, cum ouis in-
cuhlturac sunt. Den letzten Worten entspricht in unserer Glosse
genau ein aus naga 7tlivx(o gewonnenes naga veorrw. Vgl. die Glossen
unter Nitlus imd PuUus im Thes. gloss.
Wie aus Raummangel in 30 nach oben, so ist in 31 nach imten
abgebrochen worden: 32 x^atgag gehört zu 31 Kgi&rjg. Durch diesen
Zusatz wird die grüne Frucht auf dem Halme von der reifen auf der
Tenne wie bei Varro r. r. I 48 — 50 geschieden: ijluma bedeutet nicht
etwa die Schale um das Mehl des Kerns, sondern die Hülse, in der
das Korn der Ähre steckt. Glumva ist Nebenform von gluma wie
glutteum von gluium.
Solches Abbrechen längerer Zeilen nach oben oder unten kommt
gerade in Glossarhandschriften, die gern mit Raum sparen, sehr oft
vor und hat zahlreiche, aber meist recht durchsichtige Irrtümer ver-
anlafst. Ein einfaches Beispiel in unserem Glossar ist 11 4, 52 Ah-
scdif anoicogei ccTieKgvtlJSVj wo aneTigvil^Bv natürlich aus der voran-
gehenden Zeile 51 Äbscondit anoKgvTtxsi wegen Raimimangels nach
unten abgebrochen wurde; dadurch hat sich schon der Schreiber der
Hs. von Laon irreführen lassen, als er seine Glosse II 554, 50 ano-
XogsL a:T£xgv\l>ev absedit aus derjenigen 4, 52 mit allen Fehlem getreu
abschrieb. Dieses Beispiel und die oben behandelten verraten, dafs
irgend ein Vorfahr unserer Handschrift schmales Format oder schmale
Kolumnen hatte. Früher noch, als Glosse 30 nach oben abgebrochen
wurde, in einem älteren Exemplare, ist auf demselben mechanischen
Wege Glosse 29 gespalten imd im zweiten Teile hinter 32 gesetzt
worden. Vor diesen Wirren haben also die Glossen folgendermafsen
gelautet: 29 Glos 7} rov avdgog adekcp}} yalcog aöektpr] yafisxt] (og TlXav-
rog. 30 Gluttit x(>oxxa ogvig nctgct veoxxco, 31. 32 Gluma Glum<a
ksTtvgov Tigid'jjg x^^Q^9'
Nach der bisherigen Auffassung war glos in zwei verschiedenen
Bedeutungen aus Plautus belegt, 'Schwester des Gatten' und 'Gattin
des Bruders': es waren also mindestens zwei verschiedene Plautus-
stellen anzunelimen. Nunmehr gilt das Plautuscitat vielleicht nur der
letzten Bedeutung allein.
Giefsen. G. Gundermann.
Die sogenannte Interjektion EN.
Noch Lindsay weifs (S. 708) über sie nichts zu sagen als: = gr.
fjv. — Es wird sich zeigen, dafs dies völlig verfehlt ist. Zuletzt hat
ferner A. Köhler (Nürnberg) im Archiv VI 25 ff. diesem Worte eine
Monographie gewidmet, die als Materialiensaramlung recht verdienstlich
Miscellen. 415
ist, dem Worte aber auch im entferntesten nicht beikommt. Da bleiben
wir lieber auf unserem Standpunkt und vertrauen den eigenen Augen.
Bibbeck (Beiträge zur Lehre von den lat. Partikeln S. 34) hat
zuerst erkannt, dafs in dem Worte zwei ursprünglich getrennte Par-
tikeln liegen, ein interrogatives und ein deiktisches en, also
scharf zu trennen sind. Er hätte aber noch weiter gehen müssen,
denn in einem en age rumpe moras kann weder dies noch jenes liegen,
er mufste also — wie Heinichen- Wagener — ein drittes, ein horta-
tives en annehmen. Sie alle aber sind gewifs nichts als volle Wort-
formen.
Ich gehe zuerst an die Betrachtung des Wortes als
Interrogatives en.
Wenn dieses Wort Fragesätze und nur solche einleitet und dabei
auf n ausgeht, so ist der Schlufs nahe gelegt, dafs es wie am, leiden,
vin, dan u. a. selbst Fragesatz ist. Daher nun frage ich: Wenn die
Komiker Sätze bilden, wie estne haec patera? Fl, estne hie Famphi-
Itts? Ter,, wie hat man dieses fünfbuchstabige estne thatsächlich aus-
gesprochen? Die Antwort ist leicht zu finden; denn wenn postne zu
pöne wird, so ist estne? gesprochen worden ene?, antevokalisch en?
Und dieses ist das interrogative en. Es bedeutet also en so viel als
fot* Touro; ,4st's möglich?" ,ja kann das sein?"
Die Exemplifikation ist einfach. Trin. 588
0 pater, en? umquam aspiciam te?
Vater, ist's möglich? werd' ich dich sehen?
Besonders deutlich ist Vergil. Aen. VI 346
en? haec pr amissa fides est?
Ist's möglich? Ist das die verheifsene Treue?
Und so begreift sich, dafs die Konmientatoren das Wort als
Ausdruck der Empörung*) bezeichnen (*ew' habet vim indignationi^
Donat zu Phorm. 348):
en? umquam quoiquam contumeUosius
audistis factam iniuriam quam nunc mihi?
Noch deutlicher ist dies in den späteren Dichterstellen, wie Ovid
met VI 206
en? ego vestra parens
an dea sim duhitor!
Ist's möglich? Man zweifelt, dafs ich Göttin bin!
Oder Aen. VTI 452, wo Allecto den Turnus ironisierend
en? ego victa situ . . .
sagt, ganz unser ironisches: „Ist's möglich?"
•) Sueton Aug. 40: visa quondam pro coniione pullatorum turha in
dignabundus et clamitans: en? —
^ Bomanos rerum domiiws gefitemque togatam'
negotium aedilibus dedit e. q. s.
28*
41f5 J. M. Stowasser:
Hortatives hi.
Vergilisches en, age, seines rumpe moros läfst wohl kaum
eine andere Deutung zu als die, dafs dem durch das eingeschobene
age ohnedies eingeleiteten Imperativ noch ein Fragesatz vorausgeschickt
ist. Man würde nin? age, segnes rumpe moros ganz gut verstehen.
Welches Verb liegt nun in solchen Wendungen? Antwort: tm ist nichts
als Aussprachevariante von In (=isne, eisne)*). Ich brauche blofs
auf die Doppeldarstellung im Dativ hinzuweisen, wo Iimonei, arborei
als Innoni und lunone erscheint, um dies plausibel zu machen. Der
Verffilvers sagt also gerade so viel, wie wenn im Griechischen i^t dem
Imperativ vorausgeht. Ob ich i, age, rumpe moros oder ein? age,
rumpe moros sage, bleibt sich im wesentlichen gleich. Ribbeck hat
insofern Recht, diese hortative Anwendung des en mit der interroga-
tiven zu verknüpfen, als ja thätsächlich auch hier ein Fragesatz vor-
liegt* aber die Entstehung ist eine andere.
Übrigens scheint dieses en auf die Verbindung en age beschränkt
zu sein, und en incipe oder en perage (Seneca) sind erst späte Um-
bildungen. Viel wichtiger aber ist die Frage, ob nicht ein thatsäch-
lich erhalten ist (in dieser Orthographie) und zwar bei Vergil selbst
Wenn nämlich die Hss. georg. III 42 konstant en age rumpe
moros haben, so stimmt damit Aen. IV 569 nicht, wo zu lesen steht
eia, age, rumpe moros.
Hätte ich einen Vergil zu edieren, ich schriebe
ein? age, rumpe moros,
Deiktisches en.
Dieses — in der Quantität völlig verschieden — isk die Sandhi-
form für em. Bekanntlich habe ich in der Z. f. ö. G. em als isolierten
Imperativ (= ewc) erklärt, eine Annahme, die eine litterarische Pole-
mik von Köhler und Maurenbrecher hervorrief. Ich schwieg und
dachte mir: audientes audiant. Skutsch aber führte die Sache im
Philologiis LIX 481 ff. siegreich durch, nachdem schon Lindsaj sie
aufgenommen hatte.
Solange man die Saudhierscheinungen nicht beachtete, mochte wohl
zwischen em und en sich keine Brücke schlagen lassen. Aber heute,
wo es ganz sicher steht, dafs em nunc en-nunc, em tibi en-tibi ge-
sprochen wurde, wird man begreifen, dafs diese Aussprache auch
graphisch dargestellt wurde, so auf der beifsenden Grabschrift:
profuit — en tibi! — quod fana coluisii deorum.
„Da hast Du's." Daraus erklären sich die hundertfachen Beispiele
für en tibi, variiert nachmals zu en vobis^ und zwar zuerst bei dem
^ataviner'' en vobis iuvenem V 18, 3.
Wenn Sallust en illa . . . libertas schreibt, so schrieb er zwar
80, sprach aber ella. Und so begreifen sich Cicerostellen wie en
causa, cur ... da hast du den Grund, weshalb.
*; Ein Beleg der Form 'eis' ist wohl nicht nachzuweisen. Die Red.
Miscellen. 417
Naturgemäfs beschränkt wäre also en auf konsonantisühen Nach-
laut (adsum en, C. Cotta Sali. hist. II 41, 10 verglichen mit em,,»ad'
sum bei Varro r. r. I 56); Sallust schreibt es auch vor h, das er offen-
bar konsonantisch (man denke an die toskanische Aussprache) las,
lug. IX 2: en! hahes virum . . . Nimm ihn hin, du hast an ihm . . .,
gesprochen efwhahes.
ENIM und NEMPE.
Lexikographie föhrt unbedingt zur Etymologie, und viel eher
kann der wissenschaftliche Lexikograph der etymologischen Basis ent-
raten, als der Schulwörterbuchmacher, dem fttr das Bestreben, die
Wortgeschichte in nuce darzustellen, die Aufstellung des richtigen
Etymon nötig ist wie das tägliche Brod. Nim ist weder enim noch
nempe bis heute erklärt, die Linguistik hat ratlos Halt gemacht.
Also will ich die Sache philologisch angehen imd, meinem bekannten
horror Oangeticus folgend, wieder einmal, wie Nettleship sagte, „Latein
mit Latein erklären^^
Enim ist ein Affirmativum*) — ich vermeide absichtlich das
Wort „Partikel" — und ist nie etwas anderes gewesen oder gewor-
den. Die alte Litteratur bis auf Terenz und Lucilius kennt keinen
andern Gebrauch als den rein affirmativen. In nachscipionischer Zeit
hat sich dieser affirmative Gebrauch namentlich in den Formeln
enimvero, enimtamen, etenim forterhalten; daneben aber haben* sich
zwei weitere Gebrauchsweisen des Wortes gebildet: 1. War der Ge-
danke, in den man das enim einschob, eine Exegese des Voraus-
gehenden, so diente es ebenfalls nur der Bekräftigung; aber die Be-
deutung, die wir dem Ausdruck heute beilegen, ist die unseres
*nämlich'. 2. War andererseits in dem nachtretenden Gedanken eine
bekräftigte Begründung ausgesprochen, so gewann der ganze Satz
Kausalitätssinn, und daher kommt es, dafs wir heute dem Worte die
Bedeutung 'denn' beilegen.
Aber was wir an Bedeutung dem Worte heute beilegen, ent-
scheidet blutwenig für den BegriflFsinhalt, der ursprünglich in der
Wurzel des Wortes liegt. Ausgehen mufs man immer von den alten
Anwendungen bei Plautus, und das A und 0 bleibt:
enim ist ein Affirmativum.
Die Stellung von enim ist ursprünglich frei. Es steht in der
Komödie satzeinleitend ebenso gut wie eingeschoben. Und so hat sich
diese Stellung am Satzanfang gleichfalls durch die ganze Litteratur
erhalten in enimvero, enimtamen imd, wie ich ausdrücklich bemerke,
auch in etenim; denn da et ursprünglich 'auch' ist, so ist eigentlich
hinter et ein Doppelpunkt zu denken, und der Satz beginnt mit enim.
Sonst aber steht enim genau in der Stellung eingeschobener
Sätze: regia, crede mihi, res est — oder die, sodes, araice — oder
tu, puto, nihil invenies und was dergl. mehr ist. Dies erweckt die
*) Priöcian. XVI p. 103, 28 H. nennt es coniunctio aifirmativa.
418 J. M. Stowasser — Ed. Wölfflin:
Vorstellung, dafs enim selbst ein eingeschobener Satz affirmativer Be-
deutung ist. Man vergleiche die drei Verse:
regia, crede mihi, res est succurrere lapsis
regia res, puta, sit niiseris succurrere lapsis
regia, enim, res est miseris succurrere lapsis.
Sie sagen alle drei „mit etwas andern Worten" dasselbe. Und wenn
man sie vergleicht und bedenkt, dafs enim sich mit Adverbien ver-
binden kann (enimvero), so liegt der Schlufs nahe, zu sagen: enim
ist ein eingeschobener Satz, mufs demnach verbalen Ursprungs sein,
und kann als nachdrückliche Bekräftigung genau wie crede oder puta
nur Imperativ sein. Aber woher?
Es ist mir seinerzeit gelungen, in em den Imperativ eme wieder-
zuerkennen, und schon vor Jahren habe ich in den Wiener Studien
darauf auftnerksam gemacht, dafs die sog. „Partikel" immo nichts ist
als die isolierte erste Person Praesentis von *in-emo, *in-imo, die
nach dem Muster von como, promo, demo, sumo zu inmo (wie die
Nonius- und Plautushss. noch oft haben) und zu immo regelrecht
sinkt. Ich ziehe hier den Schlufs aus den beiden Prämissen in der
Aufstellung der paradoxen These:
ENIM ist der Imperativ von IM3I0.
Die Erörterung beginne ich mit dem Formellen. Vor der allgemein
rezipierten Lautgestalt in lautet die Präposition en (iv), so noch in
endo, so auf der columna rostrata und anderswo (Lindsay 257).
Grundform ist also ^en-emo, Imperativ dazu +en-eme, apokopiert
^en-em: Im Umbrischen heifst das Wort enem. In der alten Laut-
gestalt der Präposition aber mit bereits geschwächtem Stammvokal
des Verbs haben wir +en-imo, ^enime, +enim. Im Lateinischen
heifst das Wort enim. Tritt schliefslich auch in der Präposition die
Lautschwächung ein, so haben wir ^in-imo, ^in-ime, *inim. Im
Oski sehen heifst das Wort in im, sicher ebenso zu inimo (immo)
gehörig, wie em zu emo. Das steht fest wie der bekannte rocher de
bronze.
Bleibt die Bedeutung. In(ijmo heifst und kann nur heifsen: an-
nehmon, glauben. Wenn also es heifst:
§ numquid, Simo, peccatumst? § immo maxume, so sagt das:
Ist denn ein Fehler geschehen? Ich glaube, ein sehr grofser. Darüber
habe ich in den Wiener Studien geschrieben. Hier braucht also nur
mehr aufmerksam gemacht zu werden, dafs enim die gleiche Bedeu-
tung hat, wie crede oder puta, somit ein Affirmativum ersten Banges
ist. Den Zusammenhang von immo und enim hat übrigens Spengel
zu Andria 91 schon geahnt auf Grund von Pers. 670, Stich. 600,
Cist. V 4. Ja im Pseudolus stehen die Wörter direkt neben einander
V. 31. Cetera proferre taedet.
Wenn ich noch ein paar Worte über nempe beifüge, so will ich
mich auch hier aller Kürze befleifsigen ; denn viel reden macht's nicht aus.
Ich halte nämlich nempe (gesprochen, wie Skutsch erwiesen hat,
nemp) überhaupt nicht für lateinisch, sondern für umbrisch, in die
Miscellen. 419
Litteratiir eingedrungen offenbar durch einen grofsen Umbrer, den
Sarsinaten, den Maccius Plautus.
An umbrisches enem tritt nämlich pe, das umbrische Äquivalent
von lat. que; so wird *enenipe die gleiche Bedeutung zu teil wie
«tenim. Aber dieses Wort hat den Anlaut eingebüfst: *nempe', viel-
leicht das älteste Beispiel für derartige Prokope, die ja im Italieni-
schen und Vulgärlateinischen und Yulgärgriechischen so häutig ist:
^ Tccv K(o nemico 'st, 's, 'ste ('sta, 'stud) u. dgl.
Wien. J. M. Stowasser.
Das SnfBx -aster.
Dafs die Adjektiva auf -aster fast nur in der Volkssprache
lebten, zeigt ihr Fehlen in der klassischen Litteratur; denn surdaster
bei Cic. Tusc. 5, 116 wird ja von den Erklärem als tcia^ si^tjuivov
in der guten Latinität bezeichnet. Arch. I 404.
Wie man deminutive und augmentative Suffixe unterscheidet, so
hat man in neuerer Zeit -aster als ein deterioratives Suffix bezeichnet,
und Etienne hat in einer Dissertation von Nancy 1883 De noraini-
bus in malam partem abeuntibus gesprochen, während Meyer-Lübke,
Gramm, der roman. Sprachen II 56 J, sich vorsichtiger äufsert: -aster
ist im Lateinischen meist verschlimmernd. Man wird jedoch besser
thun, den Ausiruck ^Verschlechterung' (pejoratif) überhaupt zu ver-
meiden, schon aus dem Grunde, weil man kein verbesserndes Suffix
kennt. Die Widerlegung kann sich kurz fassen. Der oben genannte
surdaster ist doch nicht schlimmer daran als der surdus; im Gegen-
teile leidet er nur an partieller Taubheit, er ist 5?f6surdus. Ebenso-
wenig ist der calvnster im Nachteile gegenüber dem calvus; um-
gekehrt hat er nur eine halbe Glatze. Der claudaster ist noch nicht
olaudus; crudastrum bei Anthim. 21 ist *paene crudum', wie in einem
Codex erklärt wird.
So haben denn die alten Grammatiker nicht so ganz Unrecht,
oder doch besseres Recht, wenn sie das Suffix zu den deminutiven
gerechnet haben. Priscian 3, 27 stellt neben einander: tantulus, agel-
lus, codicillus, homullus, parasitaster, nepotulus. Das Beispiel
stammt aus Ter. Ad. 779 est alius quidam parasitaster paululu.^ und
die von Schlee herausgegebenen Schollen erklären mit parvus para-
situs. Im Corp. gloss. V 585, 16 heifst es: parasitaster diminutivum
nomen est a parasito. Da Priscian auch noch an anderen Stellen
auf den Vers des Terenz verweist, so lieferte dieser offenbar das
Musterbeispiel der Schule. Nach dieser Auffassung ist poetaster ein
kleiner oder halber Dichter, *medicaster ein schlechter, d. h. eben
kein ganzer Arzt, *matrastra nicht die wahre Mutter (franz. maratre),
Antoniaster ein Antonius en miniature, mit demselben Rechte dann
aber auch calvaster nur ein halber Kahlkopf, avnq)akavTlag, mit kahlem
Vorderkopfe. Schon Dio Cassius 67, 11 erwähnt einen lovkiog Kct-
XovdaxQogj und loannes Diaconus in der vita Gregorii Magni (vol. IV
420 Kd. Wölfflin:
edit. Maurin. 1705) erklärt genauer: ita (nur insoweit) calvaster, ut
in media fronte gemellos cincinnos rarusculos habeat. Über medius,
mediaster, mediastrinus vgl. Arch. VIII 38. Statt des Begriffes der
Deminution kann man auch den der ^Annäherung' substituieren: pal-
liastnim, was einem ordentlichen pallium einigermafsen ähnlich sieht;
Oleaster, wilder Olivenbaum; mentastrum, wilde Münze (fitV^t/); mula-
ster, halb Esel halb Pferd, Arch. IV 412 (Mulatte von der Kreuzung
zweier Bässen); filiaster, Stiefsohn, Grofssohn, Konkubinenkind nach
Paul Meyer, röm. Konkubinat; patraster Schwiegervater, auf Inschriften
mit bene merenti verbxmden. So auch alydövQiog = at; aygtog Etymol.
Gud. col. 14 Sturz. Arch. VI 508.
Wenn wir beobachten, dafs sich im Französischen das Sufiix
namentlich für Farbenbezeichnungen erhalten hat, rougeatre, bleuätre,
ital. biancastro, so können wir nachweisen, dafs ein Ähnliches schon
im Lateinischen der Fall war. Vgl. fulvast^r, canaster, nigraster
Firm. Mat. math. 3, 4, 1, nigellaster Gloss. *gravaster (gravastellus,
Graukopf?). Über miniastrum vgl. Arch. XII 78.
Zu den späten Neubildungen gehört franz. opiniätre, *opiniaster,
franz. acariätre, *achariaster von äxaQLg: beide mit verwischter Derai-
nutivbedeutung, da das Suffix in opiniast«r eher augmentativen Sinn
zu haben scheint. Ein solcher Gegensatz ist, so sehr er auf den
ersten Blick befremden mag, in der Sprachgeschichte nicht ohne
Beispiel. Das lateinische -o, -onis gilt allgemein als augmentativ;
dann schwächt sich die Bedeutung ab, und furone in einer Epitome
des Codex Theodosianus entspricht dem für des römischen Rechtes,
vgl. Du Gange. Endlich aber bezeichnet Teverone einen Neben fiufs
des Tiber, camevalone den kleinen Karneval (Nachfastnacht) und
franz. aiglon den jungen Adler. Und nicht-s anderes ist es, wenn
Studemund bei Paulus Festi 379, 8M. emendiert: ungulastros (cod.
ungulatros) magnos atque asperos Cato appellavit, nur dafs wir die
beiden verschiedenen Bedeutungen als gleichzeitig annehmen müssen.
Vgl. Arch. I 116. Übrigens bedarf es wohl der Emendation nicht,
wenn wir an die inschriftlich bezeugte Nebenform patrater erinnern.
Man wird es dann auch fllr möglich halten, bei Augustin unter philo-
sophaster einen grofsen Philosophen zu verstehen, civ. dei 2, 27 vir
gravis et philosophaster Tullius; ibid. 6, 18 acutus et dialecticus et
philosophaster vult videri. Vielleicht ist dann auch Corp. gloss. IV
487, 43 (= Thes. gloss. emend. 126) balastrum: balneum mit dem
Suffixe ein grofses Bad bezeichnet, jedenfalls kein kleines, da sonst
deminutive dabei stehen würde.
Um aber nochmals die allgemeine Regel zu fixieren, so bezeichnet
das Suffix (die Präpos. ad) eine Annäherung an etwas. Ist dieses
etwas Wünschenswertes oder etwas Gutes, dann ergiebt sich der Be-
griff der Verringenmg; drückt dagegen das Nomen etwas Unerwünschtes
aus, so bringt das SufÜx eine Verbesserung.
Der Gefälligkeit des H. Prof. Dr. Herrn. Stadler verdanke ich
den Stoff zu einem inhaltsreichen Nachtrage. Aus dem latein. Galen
ad Patemum Cap. 171: lapis galactitis est quasi ceraster (cod. Palat.),
Miscellen. 421
oder richtiger nach cod. Lucc. und Cam. (Chartres) cineraster, über-
einstimmend mit Dioscor. 5, 149 Xvxitpqoq zi\v iQoav, Cap. 192 malo-
bathrum ...nigrastrum; 232 radix nigrastra. Cap. 213 radix colore
obfuscastra. Cap. 170 lapis Phrygius . . . pallidaster. Cap. 274
ratyrium . . . flos purpurastrum, exalbidum. Cap. 201 omfacium
subeastrum. Dazu kommen noch Cap. 246 odore cepastrum; Cap.
216 odore mellastrum; Cap. 272 Smymium semen . . . nigrum mur-
rastrum; Cap. 203 opobalsamum . . . 5u5rubeum et resinastrum;
Cap. 90 diptamnus . . . semen nigrum et similastrum. Auch hier
bezeichnet das Suffix (ad + tro) die Annäherung an etwas.
München. Ed. Wölfflin.
Propitins, Komparativ propior.
Propitius hat, soviel wir wissen, weder einen Komparativ noch
einen Superlativ gebildet, während wenigstens das archaische Latein
einen Superlativ egregüssimus aufweist. Über industrius und neces-
sarius vgl. Neue-Wagener lat. Formenl. II 113 = 11^ 203. Dafs
Quintilian 10, 1, 91 geschrieben haben sollte: quem praesidentes stu-
diis deae propitius (die Handschriften propius) audirent? glaubt
heute kein Mensch mehr, da derselbe Autor 4, praef. 5 korrekt ge-
schrieben hat: quo nee studiis magis propitium numen est. Es
scheint nun, dafs man propior für propiti-ior gebraucht hat, in der
Meinimg natürlich, propitius sei kein Compositum (wie compitum),
sondern eine blofse Suffixerweiterung von propis. Wenn man be-
kanntlich bildete ferus, ferocior (statt ferior), und fidus, fidelior, so
wäre propitius, propior als Analogon dazu aufzufassen. Schon Becher
im Philol. 39, 181 machte auf die Parallelstelle bei Verg. Aen. 1, 526
aufmerksam, wo es von der Dido heifst: parce pio generi et propius
res aspice nostras, da hier der Begriiff der Nähe in den der Teil-
nahme imd Hilfe übergeht. Auch den Martial dürfen wir hierher
ziehen, welcher 1, 70, 15 schreibt:
Nulla magis toto ianua poste patet.
Nee propior quam Phoebus amet doctaeque sorores.
Giebt man dies zu, so werden bei Quintilian die Konjekturen promp-
tius, pronius, propitiae, potius überflüssig. Jedenfalls darf man die Kon-
jektur propitius bei Quintilian nicht mit Juvenal sat. 11, 12 verteidigen:
egregius cenat meliusque,
da Juvenal ein Dichter ist und der folgende Komparativ melius die
ungewöhnliche Form entschuldigt. Dafs Quintilian sein propius audi-
rent im Sinne von magis propitie verstanden habe, beweist er uns
4, 2, 27 ut propitius iudex defensionem axaUat^ und 7, 1, 12 ut id
. . . audire propitius incipiat. [Über proprior als Komparativ von pro-
prius vgl. Neue, Formenl. IP 206.]
München. Ed. Wölfflin.
422 Karl Brugmanu — Friedr. Vogel:
Salus.
Es ist merkwürdig, was für Anstrengungen immer wieder ge-
macht werden, die Bildung dieses Substantivimis zu erklären. Um
nur die zwei neuesten Deutungen zu erwähnen: Ciardi-Dupre in
Bezzenbergers Beitr. 26, 207 meint, von *sal€UO- (Isitsaliws saJvos^ umbr.
saluHom) sei das Abstraktum * saleuo-tüt- *salouo-tiit- gebildet worden,
hieraus durch Synkope *saloutüt-^ dann *salüiUt-^ schliefslieh durch
haplologische Kürzung salüt-, und Prellwitz in einer Fufsnote zu dieser
Aufstellung bemerkt, vielmehr stecke das altind. Substantiv üii'
(^Labung, Stärkung, Erquickung, Hilfe') im zweiten Teil. Man braucht
doch wohl nur an die morphologische Gleichartigkeit von salübcr salütäir
SaWta mit volühiUs voVutäre voUnnrn, sccfffus, lovTdus u. dergl. zu
denken, um zu sehen, dafs snlüs ein primilres //-Abstraktum von
derselben Art ist, wie saüm -ätis neben satiäre satiübili^, quies -vih
neben quiesco qnictus, dös, mens, ars u. s. w. (Verf. Grundr. 2, 282 f.,
Stolz Hist. Gramm. 1, 545, Lindsay-Nohl Die lat. Spr. 389 flf.); vgl.
auch die Adverbia auf -/im, wie solütim, iolUtim, certätim, exqu'isUim,
sccretim, vacsim, partim, die ja nichts anderes als Akkusative eben
solcher mit -//- gebildeter Abstrakta sind (Delbrück Vergleich. Syntax
1, 6<)8ff.). Natürlich gehören das Element -uo- von sahios und das
Element u von sftlüs etymologisch zusammen, vgl. voluo volvo und
volniam, ron-secnos und secütus*) u. dergl. Aber das lange u von
Salus war, wie das von saluher volütum u. s. w., ein urindogermani-
sches ?/, nicht Fortsetzung eines urlateinischen ?/ -Diphthongs; es mag
genügen, auf homerisch iikvicti etkvfia und auf Solmsen Stud. zur lat.
Lautgesch. 2 f.. Untersuch, zur gr. Laut- und Versl. 232 ff. und
Osthoff in V. Patrubanys Sprachwiss. Abhandlungen 2, 62 ff. zu ver-
weisen.
Die richtige Auffassung von sahls bietet bereits Corssen Krit.
Beitr. (1863) S. 51i», freilich vermischt mit Unhaltbarem, und gerade
seine Zusatzbemerk nng, dafs das ü von salüs möglicherweise eine
Kontraktion aus dem ho von sahios sei, mag späteren Forschem den
l^lick getrübt haben.
Leipzig. Karl Brugmann.
Ipse etiam. Domo. Latro.
1. Ipse etiam. Cicero war kein Staatsmann, vielleicht auch kein
Mann in des Wortes strengster Bedeutung; aber seine menschlichen
Tugenden sollte man ihm lassen. Einer der schlimmsten Vorwürfe in
*) Dafs "man *}<ectus^ das alte Parti cip zu seguor := ^no^uti (vgl. sectorj,
gegen secutus zun'ickHtellte und fallen liefs, daran war augenscheinlich die
[omonymität mit sn-tus ^geschnitten' schuld. Neben *sectw 'Folge' (secütio)
lag aufser sectio Mas Schneiden' auch noch In-sectio 'ErzJlhlung' {znin-sque).
Miscellen. 423
dieser Beziehung gründet sich auf ep. ad. Att. IV 1, 1. Auch der
neueste Erklärer Bardt schreibt darüber (Kommentar S. 43): *Der
erste Brief nach der Heimkehr (aus der Verbannung Sept. 57) beginnt
nicht, wie man erwarten sollte. Nur Dank, heifsen Dank erwartet
man für den treuen Freund, der mit Rat imd Trost neben dem Ver-
zweifelnden gestanden hat, . . . und was kommt? Nach kurzem Danke
folgt die Vorhaltung, dafs er nicht mehr Mut und Klugheit gezeigt
habe als der Gefährdete selbst, dafs der Freund für seine Rettung
nicht so bemüht gewesen sei, wie er es nach seinen Aufinerksam-
keiten für ihn hätte erwarten dürfen, und erst dann die Anerkennung,
dafs er doch recht viel gethan.'
Dafs Cicero in seinen Briefen aus der Verbannung oft recht
bitter und ungerecht gegen Atticus wird, ist nicht zu bestreiten, aber
in anbetracht seiner verzweifelten Lage doch zu entschuldigen; dafs
er aber jetzt nach seiner glücklichen Heimkehr dem Freunde, dem er
zum gut^n Teil seine Rückberufung zu danken hat, Vorwürfe machen
soll, weil er sich nicht genug um seine Rettung bemüht habe, gegen
eine solche Annahme sträubt sich unser Gefühl, und wenn wir näher
zusehen und vor diesen anstöfsigen Worten lesen, dafs er, kaum in
Rom angekommen, nichts Eiligeres zu thun habe, als dem Freunde
zu schreiben und zu danken, und ebenso hinter denselben die Ver-
sicherung finden, dafs zur Vollkommenheit seines Glückes nur das
eine fehle, dafs er seinem Freunde ins Auge blicken oder vielmehr
in die Arme sinken könne, so lehnt sich auch unser Verstand gegen
eine solche ungleiche Gedankenverbindung auf Der Stein des An-
stofses liegt in folgenden Worten: cognoram enim, ut vere scribam,
te in consiliis mihi dandis nee fortiorem nee prudentiorem quam me
ipsum nee etiam propter meam in te observantiam nimium in custo-
dia salutis meae diligentem eunderaque te, qui primis temporibus
erroris nostri aut potius furoris particeps et falsi timoris socius fuisses,
acerbissime diseidium nostrum tulisse plurimuraque operae studii dili-
gentiae laboris ad confieiendum reditum meum contulisse. Der logische
und psychologische Anstofs wird gehoben, wenn ^dr nee streichen
und hinter me interpungieren , sodafs sieh die gut ciceronianische
Verbindung ipsum etiam ergiebt statt der kaum eriräglichen Zusammen-
stellung nee etiam (Fr. Hofmann sehrieb dafür me etiam). Alsdann
tadelt Cicero nicht seinen Freund, weil er nicht genug für seine
Rettung gethan habe (was mit den folgenden Worten plurimum operae
studii diligentiae laboris contulisse in direktem Widerspruch stände),
sondern er entschuldigt seine Mutlosigkeit und Kopflosigkeit damit,
dafs er zu sehr auf die Erhaltung seines Lebens bedacht war. Was
das heifst, lehren die vorausgehenden Briefe, besonders der Brief ad
Att. in 15, worin er sich und seinem Freunde Vorwürfe macht, dafs
er seinen Feinden nicht Trotz bot und so leichten Kaufes das Feld
räumte; hätte Atticus ihm den Mut gestärkt, so wäre er entweder
mit Ehren untergegangen oder freute sich jetzt seines Sieges (aut
occubuissem honeste aut vietores hodie viveremus). So aufgefafst
sind auch die Worts propter meam in te observantium durchaus sinn-
424 Friedr. Vogel — Uv. Densusianu:
gemäfs, während bisher die Herausgeber sie in pro praeterita mea in
te observantia ändern zu müssen glaubten. Cicero hält also, wie
schwache Leute zu thun pflegen, an seiner Torgefalsten Meinung fest,
dafs man mit mehr Mut den Sturm hätte beschwören können, im
übrigen aber läfst er den guten Absichten und Verdiensten seines
Freundes um ihn volle Gerechtigkeit widerfahren.
2. Domo. In der 1. Phil. Rede sucht Cicero das Thun des
Antonius als bare Willkür nachzuweisen. Während er auf der einen
Seite wichtige und regelrecht zustande gekommene Gesetze Caesars
abschaffe, trotz des Beschlusses acta Caesaris servanda esse, erlaube
er sich andererseits mit Berufung auf die hinterlassenen Schriften und
Konzepte Caesars allerlei Eigenmächtigkeiten; fClr jene Notizen, die er
dem Senat vorlege, biete er keine andere Beglaubigung als sein
Zeugnis, ja manchmal bekomme sie der Senat überhaupt nicht zu
sehen. Zornig fragt daher Cicero (Phil. I 16): an in commentariolis
et chirographis et libellis se (= Antonio) uno auctore prolatis, ne
prolatis quidem, sed tantum modo dictis acta Caesaris firma erunt:
quae ille in aes incidit, in quo populi iussa perpetuasque leges esse
voluit, pro nihilo habebimtur? Den nämlichen Gedanken wiederholt
er § 24: ergo haec uno, verum optimo auctore domo prolata defendi-
mus; eas leges, quas ipse nobis inspectantibus recitavit pronuntiavit
tulit, . . '. evertendas putamus? Halm-Laubmann bemerkt zu domo pro-
lata: *Im Gegensatz zu dem folgenden quas ipse nobis inspectantibus
tulit\ und dieselbe Anmerkung, nur umgestellt, macht Eberhard:
^Caesar hat vor unsern Augen (im Gegensatz zu domo prolata) das
Gesetz zur Abstimmung gebracht*. Das ist nicht falsch, enthüllt aber
die boshafte Pointe nicht, die in dem doppelsinnigen domo liegt. Mit
domo zielt Cicero nicht sowohl auf das Haus des Antonius, worin dieser
den schriftlichen Nachlafs Caesars verwahrt, sondern er will damit
vielmehr die von Antonius vorgelegten Schriftstücke als selbst fcibri"
zierte bezeichnen, da domo auch heifsen kann ^aus eigenen Mitteln,
aus eigenem Vorrat, aus eigener Fabrik' (cf. Brix zu Plaut, mil. 194).
Dadurch erhält unsere Stelle erst die richtige Beleuchtung imd zugleich
die angefochtene Stelle Cic. or. 186 domo depromebatur eine neue Stütze.
3. Latro. Die Sage, dafs Rom von Räubern gegründet worden
sei, ist doch zu eigenartig, als dafs sie ganz frei erfunden sein könnte.
Ich wenigstens kann den Gedanken nicht los werden, dafs dahinter
ein sprachliches ^lifs Verständnis steckt, das auf dem Bedeutungswandel
des Wortes latro beruht: während das Wort bei Plautus imd Ennius
noch Söldner oder Heisläufer bedeutet, nimmt es später den bekannten
üblen Sinn an. Nun erscheinen Bomulus und Remus in der Sage
als Führer bewaffneter Jünglinge, die in der alten Sprache wohl als
latrones bezeichnet werden konnten. Später verstand man darunter
fälschlich Räuber, und daraus mag sich weiterhin die Sage vom Asyl
gebildet haben, wie denn das Wort asylum erst spät in der lateini-
schen Litteratur auftritt.
Fürth. Friedr. Vogel.
Miscellen. 425
Zn 'bubia' Arch. X 228.
Lindsaj hat zuerst auf dieses Wort auftnerksam gemacht, wel-
chem er die Bedeutung von * männliche Brust' vindiciert. [Vielleicht
w&re besser ^Brustwarze' zu übersetzen, da die Redensart ^a bubia
usque ad imgulas', welche bei der Besprechimg von Längenmafsen
Torkonmit, einen bestimmten Punkt voraussetzt, von welchem aus ge-
messen wird. Die Red.] Die Existenz eines vulgärlateinischen bubia
läfst sich wohl auch durch die rumänische Sprache stützen, und zwar
durch das Verbum imbuibare, welches weder = imbibere sein kann
(L. Säineanu, Dict. romin.- german., Bukai-est 1889, p. 200), noch das
slavische b^bn^ti (Cihac, Dict. d'etymologie daco-romane, Frankfurt
1879, 21). Vielmehr setzt es ein yulgärlateinisches *imbubiare voraus,
und seine Bedeutung ^übersättigen, sich satt essen' hat sich leicht aus
der von bubia entwickeln können. Vgl. das franz. se gorger.
Wenn man das ital. bogia vergleicht, so darf man daran er-
innern, dafs auch papilla sowohl Brustwarze als EQtzbläschen be-
deutet. [In letzterem Sinne gebraucht man im Baseldeutschen : Bibeli
(=bubula). Die Red.J
Bukarest. Ov. Densusianu.
Carrns, das Sternbild des Bären.
Diese Bedeutung von camis, welche dem griechischen cfiaga und
dem deutschen ^ Wagen' entspricht, findet sich in keinem lateinischen
Wörterbuche verzeichnet. Und doch ist sie uns erhalten in den Her-
meneumata Vaticana (Corp. gloss. III 425, '20 — 23), ohne dafs freilich
das Wort in den Thesaurus gloss. emend. übergegangen wäre. Die
Stelle lautet:
aqv,xoq septentrio
ovyiva (ovTtva d. Red.) quemque
KaiaxQ£aiLK(og vulgo
afia^av (a^ia^av) KakovOiv carrura vocant.
Auch in allen romanischen Sprachen hat sich carrus in dieser Be-
deutung erhalten. Wir haben in imserer Histoire de la langue rou-
maine (Paris 1901, § 92) bereits citiert: rumän. car, ladin. (Muggia,
Archivio glottologico XII 329) car^ franz. charioty hisp. portug. carro'^
wir könnten noch hinzufügen: istr. caro, trientin. car (G. Vesnader,
Usi, costumi e credenze del popolo di Postole, Pola 1901, 176.
G. Azzolini, Vocab. pei distretti Roveretano e Trentino, Venedig
1855, p. 72).
Bukarest. Ov. Densusianu.
Litteratur 1900. 1901.
Car. Lessing: Scriptorum historiae Augustae lexicon« Fase. I.
Lips. 1901. ni, 80pgg. Lex.-8^
So grofs und anerkannt auch der Nutzen von Specialwörter-
büchern ist, so werden doch wenige mehr gedruckt. Die Arbeit ver-
langt so viel Entsagung, dafs der Fleifs oft nicht aushält; die Verleger
machen schlechte Geschäfte, und das kaufende Publikum tröstet sich
jetzt mit dem Credanken, im Thesaurus linguae latinee alles beisammen
zu finden. Um so mehr freuen wir uns, dafs ein Wunsch von
Mommsen in Erfüllung gegangen ist, und zwar in Berlin selbst. Vgl.
Arch. X 4 53. Reichte die erste Probe nur bis adytum, so umfafst
die erste Lieferung- den Wortschatz bis congero und das gesamte
Manuskript bis P liegt druckfertig vor. Ausgeschlossen sind die Eigen-
namen, welche man in Peters Index oder auch in der Prosopographia
finden kann. Dagegen hat sich der Herausgeber eifrig bemüht, alles
zu sagen, was für die Bestimmung der Verf. der einzelnen Bio-
graphien in Betracht kommt, beispielsweise, dafs Spartian barbaricus
nicht gebraucht hat. Es werden weder sämtliche Beispiele vorgefElhrt,
noch weitschweifige Erklärungen gegeben; bei codicillaris mufs man
mit einem Verweise auf Herzogs Rom. Staats verf. zufrieden sein. Nur
so ist es möglich, das Werk auf einen mäfsigen Umfang einzuschränken.
Bei der Berechnung des Gesamtpreises (36 Mk.) scheint ein
Irrtum untergelaufen zu sein: höchstens 8 Liefenmgen zu 3 Mk.
60 Pf. würden kaum 30 Mk. ergeben. Der Verfasser, als tüchtiger
Latinist geschätzt, bietet volle Bürgschaft för die Gediegenheit des
Inhaltes. — Durch den Vorsprung, welchen der Verf. gewonnen hat,
wird der Thes. ling. lat. für das Litteraturpensum gedeckt sein.
P. Scr. Da uns bereits Fase 2 und 3 vorliegen, so können wir
beifügen, dafs dieselben bis 'honor' reichen. Daraus läfst sich der
Gesamtumfang auf 7 — 8 Lieferungen berechnen.
loa. Fred. Lederer: Fragmentum indicis ( verborum) in O. lulii
Solini collectanea rerum memofabiliiun. Progr. Bayreuth.
1901. 90 col. 8^.
Die Latinität Solins bietet uns namentlich dann eine interessante
Seite, wenn sie von der seiner Hauptquelle Plinius abweicht, weil
man daran erkennt, welche Veränderungen in dem Sprachbestande
Litteratur. 427
zwei Jahrhunderte hervorgebracht haben. Da Verf. diesen Vergleich
nie aufser Acht läfst, auch die Überlieferung des Textes in den ver-
schiedenen Handschriften, sowie die Leistungen der Konjekturalkritik
gewissenhaft berücksichtigt, hat die von cacumen bis continuus
reichende Probe einen wissenschaftlichen Wert erhalten, welcher dem
Thesaurus linguae latinae zu gute kommen wird. Für die mit A
und B anfangenden Wörter hat der Verfasser bereits früher reichliche
Materialien der Redaktion zur Verfügung gestellt, und wir können es
nur mit Dank begrüfsen, wenn sein Privatfleifs den Vorsprung vor
dem naturgemäfs langsam erscheinenden grofsen Werke beibehalten wird.
J. S. Speyer: SdepoL Leiden 1901 • (Festschrift zum Jubiläum von
Prof. Boot. 8. 55—60.) 4^.
Der Groninger Philologe Sp. behandelt in den zu Ehren des
Ciceronianers Boot herausgegebenen Abhandlungen die Etymologie der
Schwurformel edepol, welche man bisher nach dem Vorgange des
Varro imd Gellius (11, 6)== per Pollucem gedeutet hat. Dafs die
Analogie von ecastor die Form epoUux ergeben hätte, übersah man;
noch viel weniger aber bemühte man sich, die zwei ersten Silben 'ede'
zu erklären. Vergleicht man mehercules = ita me Hercules amet
(iuvet) und die Doppelformen mecastor und ecastor, mediusfidius und
ediusfidius (Charis. p. 198 Keil), so kommt man auf die Etymologie
(m)ed-epol, wobei man med als Accus, sing, fassen mufs, wie in der
fibula Praenestina (Manios med fefaced Numasioi). Dann aber mufste
der Gott, bei welchem geschworen wurde, vokalischen Anlaut haben,
nicht konsonantischen. Dafs es ein griechischer Gott war, ist von
vornherein anzunehmen, da 'equirine' (Paulus Festi 81, 13 M. ) eine
Ausnahme bildet. Aber trotz der scheinbar nahe liegenden Parallele
ecastor (wie die Frauen schwuren, indem sie an castus dachten), ist
es nicht Pollux, sondern Apollo, die ursprüngliche Form also med-
apol. Durch die Komposition in die nicht accenttragende Mittelsilbe
gerückt, mufste freilich das a zu 6 oder i sinken, was zu erläutern
überflüssig ist. Eine einzige Schwierigkeit bleibt bestehen, dafs die
Komiker Sdepol messen, während wir edepol zu erwarten berechtigt
wären. Allein in der Volkssprache werden bekanntlich die Quantitäts-
regeln vielfach verletzt.
Zum Schlüsse vergleicht Verf. den Schwur mediusfidius, den
er (im Gegensatze zu dem ecastor und edepol der Komiker) der
höheren Litteratur zuweist, wenigstens für die klassische Zeit. Er
glaubt diese Form auch bei Apul. met. 1, 18 zu finden, wo 'medici
fidi' überliefert ist. Der Leser vermutet anfänglich, Sp. werde einen
Accus, med (med lovis fidius) herauskonstruieren; doch begnügt sich
dieser mit der Bemerkung *in quo Summi Tonantis nomen inest', ohne
sich auf die Diskussion der weiteren Fragen einzulassen. Über die
Statistik des Gebrauches von mediusfidius liefse sich natürlich viel
mehr sagen.
428 Litteratur.
C. Wagen er: Formenlehre der lateinisohen Sprache. I. Band.
Dritte, sehr vermehrte Auflage. Leipzig 1901. 1019 Seiten. 8^
Nachdem schon Friedr. Neue die zweite, auf 692 Seiten er-
weiterte Auflage ohne Vorwort in die Welt gesandt hatte, folgt auch
die dritte diesem Beispiele. Der erste Band enthält bekanntlich die
Deklination des Nomens nebst der Lehre von dem Genus. Wenn
auch Franz Büchelers Grundrifs nicht übertroffen werden kann, so ist
doch das Werk von Neue- Wagener unentbehrlich durch die Fülle der
Gitate aus der goldenen, silbernen imd späteren Latinität. Ohne
Noten, ohne Fettschrift und Kursive, in blofser Antiqua und mit Hilfe
des gesperrten Satzes wird das Riesenmaterial so übersichtlich vor-
gelegt, dafs man Indices entbehren kann. Vielleicht hätten sich zur
schnelleren Orientienmg oben neben den Seitenzahlen kurze Inhalts-
angaben anbringen lassen. Dem Leser wird seine Aufgabe erleichtert,
indem in den Citaten die Abkürzungen auf ein Minimum reduziert
sind, z. B. Hieronym. = Hieronymus, Senec. = Seneca. Die Plautus-
stellen werden sowohl nach Akt, Scene und Vers als nach der Zählung
Leos citiert. Diskrepanzen der Handschriften werden in reicher Fülle
mitgeteilt; doch möchten wir bemerken, daijs für die Kritik des Bell.
Hispan. der Leidensis keinen Wert mehr besitzt Neue Beispiele für
Gen. plur. barbarum giebt Rand in den Supplem. der Jahrb. f. class.
Phil. 26, 449. 450.
Wünschenswert wäre eine Übersicht der excerpierten lateinischen
Schriftsteller. Die Patrologie von Migne scheint (mit Recht) nicht
benützt, wogegen die bisher erschienenen Bände des Wiener Corpus
verwertet sind.
C. L. Babcock: A study in case rivalry. Comell Studies of
Classical Philologj Nr. XIV. Ithaca NY., 1901. 74 pgg. 8^
Der Verfasser untersucht die Konkurrenz zwischen Akk. und Gen.
im Gebrauch der Verba des Erinnems und Vergessens bis in die
Zeit der silbernen Latinität hinein und kommt dabei zu folgenden
Resultaten (S. 73):
I. Bei Beziehung auf Personen
a) stehen persönliche und reflexive Pronomina im Gen. bei me-
mini und obliviscor, ausgenommen im Altlatein,
b) andere Beziehungen auf Personen stehen regelmäfsig im Gen.
bei obliviscor, zu allen Zeiten.
Bei memini ist der Akk. die Regel bis zum ciceron. Zeitalter;
dann der Gen.
(Selten ist die Person bei memini eingeführt durch den Abi. mit
de). Reminiscor wurde selten gebraucht. Wahrscheinlich bekam es
mit Beziehung auf Personen den Akk.
IL Bei Beziehung auf Sachen:
Memini, reminiscor und obliviscor haben bald den Gen., bald den
Akk., ohne augenscheinliche Bedeutungsunterschiede. Memini imd
Litteratur. 429
reminiscor zeigen eine entschiedene Hinneigung zum Akk., auilser im
späteren Latein. Obliviscor dagegen bevorzugt den Gten., aufser im
Alüatein. Reminiscor wird selten gebraucht.
a) Doch stehen die Neutra der Pronomina und substantivierte
Adjj. im Neutrum regelmälsig im Akk.
b) Nomina im Neutrum bei memini stehen zu Giceros Zeit eben-
falls im Akk.
m. Recordor nimmt niemals den Gen. zu sich. Es nimmt nie-
mals ein direktes Objekt mit Beziehung auf Personen zu sich.
Anmerkung: Bisweilen regiert recordor den Abi. mit de, dabei
kann es sich auf Personen wie auf Sachen beziehen.
IV. Hierher gehört auch die Verbindung Venit mihi in mentem',
welche bisweilen den Grenetiv regiert, wahrscheinlich nach Analogie von
memini und obliviscor. Die Verbindung gehört der Umgangssprache an.
Anmerkung: Man findet sie etwa hundertmal bei Plautus,
Terenz imd Cicero, während sich weniger als ein Dutzend Beispiele
in der übrigen Latinit&t einschliefsrich der augusteischen Periode finden.
Im allgemeinen ist das Ding, an welches man sich erinnert, das
Subjekt zu venit, und zwar entweder das Neutr. ehies Pronomens oder
ein Infinitivsatz. Selten regiert die Phrase de mit Abi. H.
Frank Fr. Abbott: The use of repetition in latin. Studies in
classical philology, vol. IIL University of Chicago 1900, p. 67
—87. gr. 8^
Die amerikanischen Philologen haben in der letzten Zeit auf
dem Felde der lateinischen Grammatik eine rege Thätigkeit entwickelt,
teils indem sie auf bisher unbebauten Gebieten selbständige Forschungen
anstellten, teils indem sie Bekanntes zusammenfafsten und unter ein
neues Licht zu bringen versuchten. Zu der letzteren Gattung ist
auch die vorliegende Studie zu rechnen, deren voller Titel lautet:
the use of repetition in latin to secure emphasis, intensity, and
distinctness of Impression. Denn wie wäre es möglich, auf 20 Seiten
die Wiederholung (Gemination) im Lateinischen gründlich und quellen-
mälsig darzustellen, namentlich wenn man den Begriff so weit faüst,
dals auch magis maior, perpetuo gestare und parva fabella imter den-
selben fallen? Spricht man aber von quisquis und quamquam, so
müfste man vielleicht bis auf die Perfektreduplikation zurückgehen, in
welcher man eine mangelhafte Form der Wiederholung finden könnte.
Ob das italienische subito subito, piano piano mit lente et lente, sen-
sim sensim^tie, longe longe^tie direkt zusammenhänge, bleibt nach wie
vor imklar, da kein neues lateinisches Material beigebracht ist. (In
Zürich sagt man: wowohl = wohl wohl = ja ja.) Auch kann bezweifelt
werden, ob tum deinde, deinde postea emphatische Wiederholungen
seien, da die ursprüngliche Bedeutung wahrscheinlich ist: dann im
Anschluis, unmittelbar darauf.
Der Ver&sser leitet alle diese Ausdrucksformen wohl mit Reoht
ArohiT tat Ut. Lezikogr. Xn. Heft S. %^
430 Litteratur.
aus der Umgangssprache ab und will sie nur insofern auch als
'rhetorisch' bezeichnet wissen, als die Rhetorik ein Mittel der Volks-
sprache sich angeeignet habe. Eine erschöpfende historische Darstellung
der genannten Probleme könnte freilich nur in einem Buche gegeben
werden und müfste noch viel weiter ausgedehnte Beobachtungen zur
Voraussetzung haben. Über parva fabella imd Verwandtes vergleiche
man meine Anmerkimg zu Bell. Afr. 27, 1 lapillos minutos, piscicoli
minuti, bestiolae minutae.
Jules Lebreton: ifetudes sur la langae et la grammaire de
Cicöron. Paris 1901. XXTV, 472 pgg. gr. 8^.
Eine ^Syntaxis Tulliana', welche schon Orelli im Kopfe ge-
tragen, welche aber aller Wahrscheinlichkeit nach Baiter hätte aus-
arbeiten müssen, liegt heute vor ims, hervorgegangen aus der Feder
eines Franzosen. Obschon ^Sprache und Grammatik' nicht identisdi
sind mit ^Syntax', so dürfen wir doch das Buch von L. mit dem
Plane Orellis in Verji^leichimg setzen, da thatsächlich der Schwerpunkt
in der Syntax liegt. Die Formenlehre vdrd gar nicht berührt, was
auch nach Neues Leistung kaum nötig ist; ebenso wenig der Delectus
verborum. Abgesehen von einer Einleitung über die Kongruenz, sind
es ein halbes Dutzend grofser Kapitel über die Syntax der Redeteile,
Substantiv, Pronomen, Verbum (Tempora, Modi, transitive Kraft) und
Partikeln, wobei also Adjektiv imd Zahlwort leer ausgehen. Von den
Präpositionen wird nur ah behandelt, und dieses nur in Verbindung
mit passiven Verben (der Thesaurus wird noch nicht citiert), von den
Konjimktionen nur que, ve, ne, insofern sie einem auf kurzes S
schliefsenden Worte angehängt werden können. Die ganze Syntazis
casuum wird kaum gestreift. Aus diesem Grunde hat der Verf. sein
Buch als etudes betitelt, da die Darstellimg nicht systematisch voll-
ständig ist, sondern sich auf eine Auswahl besonders wissenswerter
Partien beschränkt. Darin sehen wir übrigens so wenig einen Nach-
teil, dalJs wir mit Dank annehmen, was ims geboten wird.
Andrerseits läfst sich wohl die Frage aufwerfen, ob die Latinität,
wie sie uns in den verschiedenen Schriften Ciceros vorliegt, eine ein-
heitliche genannt werden dürfe. Man kann dieselbe fär den Gebrauch
der Modi und die Consecutio temporum vielleicht mit besserem Ge-
wissen bejahend beantworten, obwohl es auch hier nicht an Unter-
schieden fehlt; denn die Ausdehnung des Konjimktivs und der sub-
ordinierten Sätze ist Produkt der Reflexion, also mehr der littera-
rischen Prosa eigentümlich, während die Umgangssprache, und der
dieselbe getreu wiedergebende Redner, sich mit dem Indikativ begnügt,
z. B. nunc quid respondemus? quid ad haec dicimus? Der Wortschatz
zeigt bedeutendere Abweichungen, wie denn dem quicquid in buccam
venerit der Briefe in den Beden imd philosophischen Schriften ent-
spricht quicquid in meutern venit; oder die nachlässige Formel des
Briefstiles: de villa, laudo, müfste in korrektem Latein lauten: quod
pertinet ad villam. In einem Falle freilich wo L. einen Unterschied
tiitteratar. 431
anerkennt, vermögen wir demselben kein (Gewicht beizulegen. Denn,
wenn er S. 97 schreibt, Konstruktionen wie hac vestrum freqnentia^
dixit in oontione vestrum, consensns vestrum , splendor vestrum
kftmen nur (selten) in den Reden vor, in den rhetorisch-philosophischen
Schriften gamicht, so geht dies darauf zurück, dafs nur der Redner
(jelegenheit hat, sein Wort an die anwesenden Zuhörer zu richten.
Und nochmals dürfen wir dem Verf. des Buches entgegenhalten,
dafs der Verf. de ofßciis nicht mehr derselbe ist wie der Verf. de in-
ventione. Der Jüngling hatte noch abs te geschrieben, während der
senex bei ^a te' anlangte. Wenn wir aber auch an diesen beiden
Gresichtspunkten theoretisch festhalten müssen, so werden wir doch
gerne zugeben, dafs in ihnen nicht alles Heil liegt, ja dafs sie nur
nebensächlich sind und dafs Tyrrell in der Trennung deir Briefs von
den übrigen Schriften zu weit gegangen ist, so wenn er die figura
etymologica gaudium gaudere mehr den Briefen und den Komikern
zuweist. Jedenfalls darf man über den Unterschieden das Gleichartige
der Sprache nicht vergessen.
Die Übersicht der benützten Litteratur, d. h. die Titelangabe der
Bücher füllt die Seiten XIX bis XXVm und flöM dem Leser Achtung
ein. Obenan stehen die Arbeiten der Deutschen, dann folgen die
Franzosen, denen man Riemann wohl beizählen mufs, die Italiener,
die Engländer, die Amerikaner, die Russen, die Schweden u. s. w.
Vermifst haben wir nur die Untersuchungen von Thielmann u. a. über
den Einflufs der Sprache des Comificius auf die Bücher de inventione.
Die Regeln über die Syntaxis congruentiae (ein Verbum auf
mehrere Subjekte bezogen) gehen darum auseinander, weil man die
Hunderte und Tausende von Beispielen doch nicht studiert, sondem-
aus einer willkürlich getroffenen Auswahl Schlüsse zieht. Daher ist
es nötig, die Sachnamen (Konkreta und Abstrakta) nebst den Kollek-
tiven von den Personennamen zu trennen, worauf man finden wird,
dafo im ersteren Ealle der Singular überwiegt, wie im letzteren der
Plural, vgl. xarha iöUj oiroC Biaiv, Schwierigkeiten entstehen natür*
lieh durch die Mischung verschiedener Subjekte; doch bleibt die Regel
bestehen, dafs das dem Verbum näher stehende Subjekt einen stärkeren
Einfluis ausübt als das entferntere. Da aut, vel, ve, sive nicht ver-
binden, sondern auseinanderhalten, so ist selbstverständlich hier der
Singular als Regel zu betrachten.
Eine zweite Kontroverse betrifft die Attraktion des relativen und
demonstrativen Pronomens, welche schon Riemann in den M^langes
Renier S. 311 — 318 behandelt hatte, imd zwar abweichend von Dräger,
Kühner und Schmalz. Verf. hat noch mehr Beispiele gesammelt als
Riemann und die Umstände der vollzogenen oder nicht vollzogenen
Attraktion (affirmative, negative Sätze) genauer studiert. Nach ihm
steht ganz vereinzelt or. Phil. 1, 26 quod ita erit gestum, id lex erit;
Rose. Am. 106 dagegen: nihil est, quod suspicionem hoc putetis, früher
als Musterbeispiel verwendet, ist sehr zweifelhaft geworden.
Im Gebrauche der Substantive hat namentlich der Plural der
Abstr&kta die Aufinerksamkeit auf sich gezogen; denn schon Dräget'
432 Litteratur.
gab eine sechs Seiten lange Liste, und Biemann liat mit Recht aus
gesprochen, dsü kein Autor diesem Plural mehr huldige als Cicero.
Wenn wir denselben am meisten in den philosophischen Schriften
finden, so dürfen wir annehmen, dafs die griechische Philosophie einen
starken Einflufs ausgeübt hat, ja, dafs beispielsweise medietates
(Tim. 23) nichts anderes ist als eine Übersetzung von fucorrfteg. Noch
eingehender wird die Personifikation der Abstrakta und der Gebrauch
derselben in konkretem Sinne imtersucht, wobei L. die Verbalsubstan-
tiye nach den Suftixen gliedert, also Suff, «io, advocatio = advocati,
vgl. Klägerschaft (nicht Suff, -tio oder -sio, weil auch coUutIo, con-
dicio, regio, religio hierher gezogen werden); Suff, -tus, fetus; Suffl
-ura, armatura levis (nicht -tura oder -sura wegen figrura) u. s. w.
Der kollektive Singular von Personenbezeichnungen scheint sich
unter dem Einflüsse der Soldatensprache entwickelt zu haben, wenig-
stens ist das früheste und allgemeinste Beispiel hostis (noch nicht
adversarius bei Cicero), dann miles, und zwar nicht nur unter dem
Einflüsse der Konzinnität wie Tusc. 2, 61 eosdem labores . . . impera-
tori et militi; eques, abgesehen von der zweifelhaften Stelle Epist. 8, 1, 4
(Caelius) equitem perdidisse, wo vielleicht eine Zweideutigkeit (kollek-
tiv— strenger Singular) beabsichtigt ist, nur noch Epist. 9, 25, 1, ein
Gebrauch, den Livius gewaltig ausweitet. Daneben stellen sich dann
die Völkemamen, wie Parthus; auch sie sind später stärker ent-
wickelt, doch unter Umständen zweideutig, indem man Poenus = Poeni
oder = Hannibal interpretieren kann.
Auch das Problem des Ersatzes f&r den fehlenden bestimmten
Artikel wird hier erörtert. Die ängstlichen Grammatiker von Grellius
an haben bekanntlich, wenn sie ein Wort nicht in seiner Satzfunktion,
sondern f[lr sich allein verstanden wissen wollen, statt des griechischen
t6 zu der Umschreibung *id quod est' gegriffen, welche dann auch
moderne Stilisten angenommen haben, während die älteren Philologen,
wie die holländischen Editoren und Kommentatoren herzhaft t6, rot),
Tf9 dem lateinischen Worte vorsetzten. Keines von beiden ist cicero-
nianisch, sondern Cicero erlaubte sich entweder zu schreiben ain pro
aisne, exin pro deinde (Orat. 154; doch schwerlich vor Declinabilia,
in welchem Falle der Ablativ folgen mufste), oder er bediente sich
der abgeschwächten Pronomina hoc, istud, illud, denen sich auch
ipsum angereiht hat. Vgl. Arch. III 73 ff.: Die Substantivierung des
lateinischen Infinitivs. Mehr findet man in dem Buche von Meader;
vgl. oben S. 365.
Aus dem Kapitel über die Pronomina möchten wir folgenden
Punkt herausheben. Biemann hatte behauptet, dafs, wenn ein Belativ-
satz durch eine Kopula (que, et) eine Fortsetzung erhält, das Pro-
nomen ^le plus souvent^ in das Demonstrativ (is, selten ille) zurück-
sinke. Dies mufs einem Vertreter der historischen Syntax befremdlich
erscheinen, da doch die Sprache des ciceronianischen Zeitalters nicht
mehr auf dem Standpunkte Homers steht. Eine genauere Statistik
lehrt jedoch das Gegenteil, indem 20 Beispielen von is 84 von wieder-
holtem Relativum gegenüberstehen. Denmach ist Brut. 258 omnes
Litteratur. 433
qui nee extra urbem hanc yixerant nee eos aliqua barbaries in-
fiiseaverat, reete loquebantur zwar nicht anzufechten, aber auch nicht
gerade zu empfehlen, schon darum nicht, weil weder Caesar noch
Sallust den Bückfall in das Demonstrativiun kennen. Ja wenn man
Cicero mit Cicero vergleicht, mufs man die homerische Konstruktion
als die nachlässigere bezeichnen, weil aus den Reden nur zwei Bei-
spiele, und zwar aus den eine Sonderstellung einnehmenden philippi-
schen, dafür notiert sind, während ein Dutzend aus den besten Beden
das Belatiyum wiederholen. Den Übelstand, dafs die Formen cuius-
que, cuique, quemque mit quisque kollidierten, muDste man mit in
den Kauf nehmen; denn in diesem Falle war que die Normalkopula,
et fast so selten als autem, häufiger nee (neque); ac vor qui nicht
belegt, und auch ac quam Leg. agr. 2, 98 Sna^ sig, — In ähnlicher
Weise wird über fireien Gebrauch von quisque, über alii = ceteri und
das Beflexivpronomen gehandelt, z. B. über se ipse und se ipsum.
Das suus sibi der Komiker hat man zu oft bei Cicero finden wollen
und nicht bemerkt, dafs die äufserlich gleichartigen Beispiele dem
Sinn nach verschieden sind. Übrigens hätte schon das Fehlen der
Ausdrucksweise in der guten Prosa zur Vorsicht mahnen können.
Vgl Arch. XI 137.
Das erste Kapitel des dem Yerbum gewidmeten Hauptteiles be-
trifft die Verba transitiva ohne (ausgesprochenes) Objekt; doch kann
die Darstellung nicht abschliefsend sein, weil es fQr die annähernd
gleichzeitigen Prosaiker an guten Vorarbeiten fehlt und auch Delbrück
(vgl. Synt. I 376) sich mit einer Verweisung auf Schmalz genügen
l&Tst. Darauf folgt dann eine Betrachtung der bald transitiv bald
intransitiv gebrauchten Verba.
Den Kern des Buches bildet die Tempus- und Moduslehre, welche
durch die neuesten Forscher ebenso sehr verwickelt als aufgeklärt
worden ist. Jedermann kennt diese Streitfragen und die Namen der
beiderseitigen Vorkämpfer. Ein Urteil in wenige Zeilen zusammen-
zufassen dürfte kaum möglich sein, und die ganze Diseiplin hat auch
mit dem Thesaurus nur wenig zu thun. Es sei nur bemerkt, dafs in
der Behandlung der Kondizionakätze L. nicht überall mit Blase (Arch.
Band 9 und 10) übereinstimmt; darin aber geht er mit ihm zusammen,
dafs er die Reden, die Dialoge, die rhetorischen Schriften imd die
Briefe sondert.
Noch glauben wir ein Wort über die Erklärung des Gerundiums
imd Gerundiviuns (Verbaladj. auf -ndus) beifügen zu sollen. L. billigt
weder die von Weis weil er, welcher der Form einen Futuralsinn zu-
weist, noch die von Dosson, welcher in ihr eine präsentische Kraft
anerkennt; sie ist nach ihm frei von jeder Tempusbedeutung; nur die
Verba dare, tradere, committere, attribuere u. ä. mit Accus, gerundivi
bezeichnen eine destination oder intention. — Reiche Indices rerum
und locorum machen den SchluTs.
Wir fassen kurz zusammen: Der Verf. hat fleifsig gesammelt und
scharf beobachtet; seine Darstellimg zeugt von Besonnenheit und Be-
scheidenheit; seine Polemik liegt oft in dem einzigen Worte malheu-
434 Litteratnr.
rausement; wir glauben ihm also kein besseres Lob spenden ^u können,
als wenn wir es aussprechen, dafs er durchaus selbständig auf den
Grundlagen von Otho Riemann weitergebaut hat, welcher ihm, wie
es scheint, nicht, mehr Lehrer, sondern nur durch seine Schriften Vor-
bild gewesen ist.
Jul. Lebreton: Caesariana syntaxia quatenus a Cioeronlanä
differat. Paris 1901. Vn, 118 pgg. 8^
Wie Verf. mit Recht bemerkt, hat man bisher mehr das der
Sprache des Cicero und Caesar Gemeinschaftliche hervorgehoben, als
das, worin sie auseinandergehen. Und das ist auch ganz nat&rlich,
da Cicero im grofsen Ganzen dasselbe anstrebte, was er dem Caesar
nachrühmt: rationem (Analogie) adhibentem consuetudinem vitiosani
. . . emendasse. Dies zeigt sich sowohl im Delectus verborum als in
der Syntax. Caesar kannte also kein Adverb deinceps, weil ihm
diese Bildungen wie princeps, manceps, auceps persönliche Substantive
waren; «r billigte weder nescio noch nequeo, weil er die Komposition
von ne mit Verben (doch nec-lego) verwarf, also Formen wie nevis
'oder das plautinische neparcunt, und mit non po'sse, ignorare voll-
kommen ausreichte, auch je an einer Stelle non scire und haud scire
gebrauchte; er hat et und etiam streng geschieden und nicht das
erstere für das letztere gesetzt.
Schwieriger ist es, die Erklärungen der syntaktischen Eigentüm-
lichkeiten xmter einen Hut zu bringen. Womit hängt es zusammen,
dafs Caesar, wie schon Riemann beobachtete, auf erzählendes Tempus
im Hauptsatze öfters das Perf. coniunet. im Nebensatze folgen läCst,
Cicero angeblich nirgends? Allerdings liebt er die Kürze, aber nicht
um den Preis der Undeutlichkeit. Die Vorliebe für Wiederholung des
Substantivs im Relativsatze fafst L. als Konzession zu Gunsten der
perspicuitas , wogegen zu bemerken ist, dafs in den meisten Fällen
ein Mifsverständnis immöglieh war (itinera duo, quibus itii^eribus).
Deutlicher liegt die Sache bei den vermiedenen Neutralformen der
Fürwörter, an deren Stelle die Umschreibungen mit res treten. Wenn
eo mit Komparativen verbunden wurde als ablativus mensurae, wenn
es daneben so viel als 'dahin' bedeutete, so konnte es nicht auch noch
für 'darum' gebraucht werden, weshalb auch ideo (mit Ausnahme
einer Stelle des bellum civile) fehlt. Im Ganzen glaubt L. herzhaft
behaupten zu können, dafs Caesar mehr als Cicero die Ausdrucks-
formen der Umgangssprache vermieden habe; freilich müfste man
dann billigerweise die Briefe Ciceros in Abzug bringen. — Der Verf.
hat fleifsig gesammelt, die Arbeiten der neueren Gelehrten genau studiert,
\md seine Darstellung zeugt durchweg von Ruhe und Bescheidenheit.
Aug. Thiel: luvenalis graeoissans sive de vooibus graeois apud
luvenalem. Vratisl. 1901. X, 153 pgg- 8®.
Die Schrift darf als das Ergebnis sehr eingehender Studien be-
trachtet werden, wenn auch die Methode aus verschiedenen Gründen
Litteratur. 435
anfechtbar ist. Als Grundlage dient ihr, was die alten Grammatiker
und die neueren Philologen über die in die lateinische Litteratur auf-
genommenen griechischen Fremdwörter geschrieben haben, wobei wir
nur den Aufsatz von Gabel -Weise im Arch. VIII 359 — 368 vermissen.
Yerf. geht von dem Gedanken aus, dafs die Satire von Anfang an
mehr Graeca aufgenommen habe als eine andere Litteraturgattung,
und Juvenal mehr als Horaz (Sat. und Episteln) imd Persius. Dies
bestätigt sich, wenn man bei Juvenal über 700 Fremdwörter zählt;
«8 bestätigt sich durch die Fragmente des Lucilius, wie durch die
Änlserungen von Hör. sat. 1, 10, 20 ff. Verf. bespricht die Wörter
einzeln, indem er sie nach Litteraturgattungen sondert; die Bedeutung
von elenchus als ^Respektsperle' ist ihm trotz Friedländer unklar; da-
gegen erklärt er Psecas anders, wenn auch seh wei lieh besser. Den
Unterschied in dem Gebrauche von moechus und adulter hätt« er aui
besten dahin definiert, dafs moechus aus metrischen Gründen die casus
obliqui zu adulter liefert.
Prosper Spindler: De Amobii genere dioendi. Diss. inaug
Strafsburg i. E. 1901. 78 pgg. 8^
Der Verfasser dieser Dissertation hat es sich zur Aufgabe ge-
macht, den Stil des Arnobius genauer zu analysieren, als es bisher
geschehen war. An Vorarbeiten ist nur das Programm von Stange,
de Amobii oratione, Saargemünd 1893, zu nennen, der die aus der
archaischen und der Umgangssprache entlehnten Wörter bei Arnobius
zusammenstellt und, wenn auch nicht glücklich, den Rhythmus be-
handelt.*) Der Verfasser handelt im 1. Kapitel über die Vorbilder
des Arnobius, d. h. über die poetischen und auch von diesen nur
über Lucrez und Vergil.**) Diese Beschränkung hat hie und da zu
schiefen Urteilen Anlafs gegeben; so sollte z. ß. zu ^pausam facere*
181, 28 eher Enn. ann. 572 V. oder Lucil. 16 Lachm. angefahrt wer-
den als die Lucrezstellen. Auch ist der Stoff nicht durchaus voll-
ständig behandelt. So vermifst man die archaische Form \safiguen\^
die Arnobius mit Lucrez, aber auch mit Ennius und andern gemein-
sam hat. Auch ^comptus^ 172, 8, das Reifferscheid (ind. lect. Breslau
1877/78) selbst als richtig erkannt hat, sucht man vergeblich. Für
Vergil erklärt der Verf. ausdrücklich, nur das Wichtigste geben zu
wollen. Dazu hätte aber, meine ich, ^pellax^ gehört, das sich auTser
bei Vergil und Arnobius nirgends findet. Auch zu Arnobius 132, 12
^nulln soror et coniunx omnipotentis reperietur lovis* hätte auf das
•) Die Görzer Programme von Schamagl, de Amobi latinitate, sind
mir hier nicht zugänglich. Der Verf. scheint sie auch nicht benutzt zu
haben. [Vgl. eine Anzeige der beiden Programme Archiv X, Seite 30!i und
460. Die Red.]
**) ^Querquera* sucht man allerdings bei Lucrez vergeblich; aber dafs
bei Stange p. 5 Liu^, Druckfehler für Lucil. ist, konnte ein Blick in das
Lexikon lehren. Zu Amob. p. 157, 24 sei noch bemerkt, dafs ^i- vutu^ von
Ehwald, Philol. LI (1892) p. 747 wohl mit Recht als Glossem getilgt wird.
436 Litteratur.
Yergilische Vorbild verwiesen werden müssen. So ist der Abschnitt
über Vergil eine ziemlich willkürliche Auswahl von imitationes.
Vielleicht wäre es überhaupt besser gewesen, wenn der Verf. sich
nicht mit der einfachen Aufzählug der gemeinsamen Wörter und
Redensarten begnügt, sondern die Stellen mehr hervorgehoben hätte,
die von Amobius wörtlich ausgeschrieben sind, vgL z. B. 283, 16 und
Lucr. n 428. Manches wird auch als speziell amobianisch bezeichnet,
was in der spätem Latinität allgemein üblich ist; so ^ tarier = schwarz.
Das zweite Kapitel behandelt den rhetorischen Schmuck der Rede
hauptsächlich nach den drei Kriterien der Kunstprosa: Figuren, poe-
tische Sprache, Rhythmus. Die Figuren werden übersichtlich durch
gut gewählte Beispiele erläutert. Die poetische Diktion kommt etwas
kurz weg. Hier wäre vielleicht ein passenderer Platz gewesen für
die poetischen Vorbilder, die ja besonders in der Wortwahl für
Amobius bestinmiend gewesen sind. Man vermiüst hier noch eine
Behandlung der gelehrten Worte. Denn solche Reihen wie 121, 18
^capitones cilunculos frontofies* etc. und 257, 12 apexaones hirciae sUi-
cemia longavi u. ä. stammen nicht, wie Stange p. 11 anzunehmen
scheint, aus der Umgangssprache, sondern aus einem gelehrten Werk.
Bei der Behandlung der Klausel sind ein paar kleine Mifsverständ-
nisse untergelaufen. So bemerkt der Verfasser zu der Klausel facultas
possefj 47, 2 ^hic hohes (üiam clau$ulam*\ es ist aber der ganz regu-
läre Dispondeus. ^ odiis nos esse^ 3, 15 i ^ l - ^ l ist wohl ein Ver-
sehen. Natürlich konnte der Verfasser nur Beispiele geben, die ja
genügen, um die Thatsache, dafs Amobius in rhythmischer Prosa
schreibt, zu beleuchten. Indes wären noch einige Stellen erwünscht
gewesen, in denen die Wortstellung und die Wortformen sich dem
Rhythmus angepafst haben. Übrigens macht der Verf. mehrmals
richtig darauf aufmerksam.
Das dritte Kapitel handelt über den Satzbau. Das vierte bringt
hübsche Zusammenstellungen über die Wariatio'; das letzte ist der
Wortstellung gewidmet, die sich natürlich nicht nach den Gesetzen
der Deutlichkeit und Klarheit regelt, sondern nach rhetorischen Rück-
sichten.
Das Latein ist leider nicht einwandfrei. Ein öfters wieder-
kehrender Fehler im Satzbau ist folgender: bei der Dispositionsangabe
heifst es: ^postqu^m . . tractavimits, agemtis* p. 2, p. 3 u. a. Unzulässig
ist unter anderm p. 30 ingressi . . transcribam. Auch eine verhältnis-
mäfsig grofse Anzahl von Dmckfehlem findet sich, die besonders in
den Gitaten unangenehm stören.
Man mufs dem Verf. das Zeugnis ausstellen, dafs er den Stoff
im ganzen übersichtlich dargestellt hat. Der Einflufs von Nordens
Werk macht sich in vorteilhafter Weise geltend. Wir sehen, dafs
nicht die ^glühende Sonne Afrikas' den Stil des Amobius beeinüufst
hat, sondern die rhetorische Schulung.
München. Alfred Klotz.
Litteratur. 437
H. Glaesener: Grammatik und Lexikon des Laetanz. Musee
Beige, 1900, S. 26 — 37: L'emploi des modes chez Lactance;
S. 223 — 235: La syntaxe des cas chez Lactance (mit Nachtrag,
1901, S. 316f.); 1901, S. 5 — 27: Les changements de significa-
tion dans Lactance (Mots du domaine religieux, Mots du domaine
profane); S. 293 — 315: Les neologismes de Lactance (Les mots
^grecs, Les mots nouveaux).
Es ist anzuerkennen, dafs der Verf. seinen Autor genau studiert
hat, sodafs sich Beobachtungen und Stellenangaben bei ihm finden,
die im Lidex der Wiener Ausgabe fehlen. Auch versprach die Be-
handlung der Partien, die er gewählt hat, einen guten Ertrag, nur
dafs die Kasussyntax des Laetanz bereits von Limberg (vgl. Archiv
X 302), und zwar genauer als hier, untersucht worden ist. Doch
können wir der Methode dieser Abhandlimgen in zwiefacher Hinsicht
nicht beistimmen. Einmal ist das Verfahren in den beiden ersten
allzu eklektisch: weder die sämtlichen hier in Betracht kommenden
Erscheinungen werden besprochen, noch werden die besprochenen er-
schöpfend und mit dem vollständigen Stellenmaterial behandelt; die
„concordance des temps^^ bei L. läfst sich nicht in drei Zeilen und
mit zwei Citaten erledigen (1900, S. 29). Sodann werden, abgesehen
von Anfahrungen aus Draeger und Goelzer (ffieronymus), die granima-
tischen und lexikalischen Aufstellungen nicht durch Hinweise auf die
Fachlitteratur und auch nicht durch Mitteilung von Belegstellen aus
den hier zu vergleichenden lateinischen Autoren in weiteren wissen-
schaftlichen Zusammenhang gebracht imd gestützt; das Kapitel „Mots
du domaine religieux^' z. B. hätte sich durch Anlehnung allein schon
an Boensch und Koffmane ganz anders gestalten lassen. Lnmerhin
aber sind namentlich in den beiden letzten Abhandlungen nützliche
Materialien enthalten, Beiträge zu einer Darstellung der Sprache von
Laetanz.
Heidelberg. S. Brandt.
Gas im. Morawski: Bhetoruni Romanorum ampnllae. Cracov.
1901. 20pgg. 8^
Li einer Reihe von kleineren Schriften und Aufsätzen hat Verf.
ein Thema behandelt, dessen hohe Bedeutung immer mehr hervortritt,
den Einflufs der Bhetorenschule auf die silberne Prosa und sogar
auch auf die Poesie. Li dem Mittelpxmkte der Betrachtung steht
natürlich der Philosoph Seneca. Dafs der Vater auf den Sohn ein-
gewirkt hätte^ wäre an sich schon wahrscheinlich; genauer genommen
aber sind es die Phrasen und Sentenzen der Rhetoren, welche Vater
(Controv., Suas.) und Sohn verbinden, und am üppigsten blühen diese
^ampuUae' in der Consolatio ad Helviam. Man vergleiche etwa Sen.
tranq. an. 11, 4 saepe causa moriendi est timide mori mit Sen. suas.
7, 4 causa illis vivendi fuit fortiter mori. Durchmustert man aber
die Parallelen über das Lob des Selbstmordes, so findet man weiter,
dafs auch der ältere Plinius in diese Gesellschaft gehört; man gelangt
438 Litteratur.
eu Lucan u. a., ja man sieht kaum ein Ende. Und auch die Be-
stimmung des Anfanges (Yalerius Maximus?) ist nicht so leicht. So
werden uns die Variationen von Sen. Oed. 98 (occidere est vetare
cupientem mori) vorgeffthrt, an deren Spitze wir Hör. epist. 2, 3, 467
stellen möchten: invitum qui servat, idem facit occidenti. In endlosen
Lichtbrechimgen strahlt auch die Antithese von vincere und vinci,
welche wir oben S. 346 in anderem Zusammenhange besprochen haben.
Dafs die Geschichte der rhetorischen Phrasen der Lexikographie Licht
bringt, ist selbstverständlich; als Beispiel nennen wir: nocentem
facere S. 5 ff.
Max Ihm: Biohard BentleyB Suetonkritik. Sitz.-Ber. der BerL
Akad. d. Wiss. 1901. N. XXVH.
Näheres über die Vorarbeiten Bentleys zu einer Ausgabe der
Caesares des Sueton ist durch Gustav Beckers Quaestiones criticae
(Memel 1862) in die Öffentlichkeit gedrungen. Ihm hat nun die im
Britischen Museum befindlichen Handexemplare des grofsen Gelehrten
nebst deren zahlreichen Randnoten vollständig ausgebeutet und den
Ertrag seiner Arbeit dem philologischen Publikum vorgelegt. Bentl.
besafs die Kollation einer Reihe minderwertiger Handschriften, welche
heute gegenüber dem Memmianus nichts mehr bedeuten. Von seinen
eigenen Konjekturen sind manche bestechend, wenige brauchbar.
Sollten sich an dem Rande des Handexemplares von Karl Lud-
wig Roth noch Notizen finden, so müfste man wohl auf der Stadt-
bibliothek St. Gallen nachforschen, an welche die Bibliothek des
Baseler Philologen verkauft worden ist; sein Kollegienhefb über Suetons
Augustus wird auf der Basler Universitätsbibliothek liegen. — Eine
neue kritische und dem Vernehmen nach auch exegetische Ausgabe
dürfen wir von Ihm erwarten. Einen Vorläufer derselben finden wir
im Hermes 36, 343. 364.
Josef Sorn: Bemerkungen zum Liber memoriaUs des L. Ampe-
liuB. Progr. Laibach 1901. 15 S. gr. 8®.
Der in den spätlateinischen Historikern wohlbelesene und imsern
Lesern wohlbekannte Verfasser bietet uns hier eine übersichtliche Be-
trachtung der Latinität des Ampelius nebst einer grofsen Anzahl von
Verbesserungsvorschlägen. Wenn der Schriftsteller um das Jahr 200
nach Chr. angesetzt wird, so können wir uns einverstanden erklären,
da wir unter dem Macrinus, welchem das Büchlein gewidmet ist, den
Kaiser der J. 217. 218 verstehen. Die Schrift ist dann ein Vorläufer
der von Rufin und Eutrop auf Wunsch von Kaisem verfafsten Bre-
viarien, imd da beide Verfasser magistri memoriae waren, so fällt
auch ein Licht auf den Titel Liber memorialis. Charakteristisch für
den Verf. sind die zahlreichen griechischen Wörter, auch wo sie nicht
Litteratur. 439
nötig waren (z. B. carcinus für Cancer), und die griechischen Easus-
'endungen; gegen die Annahme von Afrikanismen sind wir dagegen
mifstrauisch. Von den kritischen Bemerkungen schliefsen wir uns am
liebsten denen an, welche die handschriffcliche Überlieferung verteidi-
gen; unter den neuen Vorschlägen ist zwar manches beachtenswert,
namentlich zu den wichtigen Kapiteln 8 (miracula mondi) und 9
(quot fuere loves etc.); doch ist nicht zu verschweigen, dafs Verf.
manchmal zu kühnen Mitteln greifen und viele Glosseme und Rand-
glossen annehmen mufs.
£ug. Oder: Claudli Hermeri mulomedicina Chironis. Lipsiae
1901. Bibl. Teubn. XXXVII, 467 pgg. 8^
Zur rechten Zeit kommt diese bisher imbekannte Schrifb des
-4. Jahrhunderts nach Chr., die Hauptquelle des Vegetius und für uns
ein lehrreiches Denkmal des Vulgärlateins. Da Ref. die Aushänge-
bogen des Textes schon 1899 besafs, so konnten schon damals die
nötigen £xcerpte für den Thesaurus gemacht werden. Mittlerweile
\sind die Praefatio sowie die reichhaltigen Indices verborum gedruckt,
und der Leser kann nun selbst an der Untersuchung teilnehmen,
welche auch heute noch nicht ganz abgeschlossen ist.
Die Hoffnung, welche der Entdecker des Autors, Prof W. Meyer,
Jahre lang mit sich herumgetragen hat, eine zweite Handschrift auf-
zufinden, hat sich leider nicht erfüllt. Den erhaltenen Cod. Monac.
lat. 243 saec. XV zu entziffern war nicht leicht, nicht dafs er be-
schädigt wäre, sondern weil jenes Jahrhundert zahlreiche und an
Willkür streifende Abkürzungen zuläfst, welche auch einem geübten
Philologen nicht bekannt sein dürften. Indessen ist für die Kollation
80 viel Sorgfalt aufgewendet worden, dafs von einer Nachprüfung nichts
naehr zu hoffen ist; für die Emendation hat Bücheier so viel beige-
■steuert) als etwa von drei Herausgebern zu erwarten wäre; Prof
Oder, der Kenner der griechischen Hippiatriker, hat die gerade in
diesem Falle ungewöhnlich grofsen Mühen des Herausgebers auf sich
genommen.
Wir sind mit dem künftigen Herausgeber der Mulomedicin des
Vegetius, E. Lommatzsch (vgl. oben S. 402 ff.), darin einig, dafs wir
in Chiron nicht einen Verfassemamen erkennen möchten, sondern ein
altes Kompendium über Tierheilkunde, welches sich mit dem Namen
des berühmten Centauren schmückte. Da Vegetius unser Buch stoff-
lich benützt, aber zugleich in stilistischer Hinsicht verbessert hat, so
müssen die chronologischen Untersuchungen noch weiter geführt wer-
den. Oder begnügt sich (Praef p. XIII), unsere Schrift um 400 nach
Ohr. anzusetzen; wir möchten auf Christ. Schöner verweisen,
welcher (vgl. Arch. V 6021) die Abfassung der Mulomedicina des
Vegetius etwa in das Jahr 387 gesetzt hat.
440 Litteratur.
Grani Lioiniani quae aupersunt rec. et com. instruxit Guido
Camozzi, ex off. tjpogr. Forocomeliensi MDCCCC.
Für die vorliegende Ausgabe, die einem dringenden Bedürfnis
entgegenkommt, seitdem die dem gegenwärtigen Stande der Granius-
forschung übrigens ja nicht mehr entsprechende Ausgabe der Bonner
Heptas (Leipz. 1858) nun auch vergriffen ist, wftre eine neue Kolla-
tion des Londoner Palimpsestes äufserst wünschenswert gewesen.
Nachdem eine solche aber durch die zerstörenden Wirkung^, welche
die von K. Pertz angewendeten Reagenzien auf die Pergamentblatter
ausgeübt haben (vgl. Zeitschr. f. d. Gjmnasialw., 12. Jahrg., p. 341 ff.),
unmöglich gemacht ist, mufste sich der Herausgeber mit einer Revi-
sion des von der Heptas zwar verbesserten, aber immer noch sehr im
Argen liegenden Pertzschen Textes begnügen. Er hat sich dieser
Aufgabe mit grofser Gewissenhaftigkeit unterzogen und durch sorg-
fältige Verarbeitung der bis zum Jahre 1900 in verschiedenen Fach-
schriften veröffentlichten konjekturalkritischen Beiträge, sowie durch
eigene Emendationsversuche einen in manchen Punkten nicht un-
wesentlich verbesserten Text geliefert. Leider waren ihm aber die im
Jahre 1900 erschienenen Arbeiten (eine Miscelle von Wölfflin im
1. Heft der Jahrb. des arch. List, und eine Dissertation des Unter-
zeichneten: Granius Licinianus, eine text-, sprach- und quellenkritische
Untersuchung, gedr. im Auerschen Verlag in Donauwörth) noch nicht
bekannt, und so kommt es, dafs manche Konjektur in den Text auf-
genommen oder aus demselben nicht entfernt worden ist, die dem mit
grofser Umsicht zu Werke gehenden italienischen (belehrten bei Kenntnis
der genannten Arbeiten wohl weniger zuverlässig erschienen wäre, dala
auch manche Lücken stehen geblieben sind, die auf Grund dieser
jüngsten Beiträge zum Teil wenigstens wohl hatten ausgefElllt werden
können. Auch in manchen Punkten des sachlichen Konunentars, sowie
in der Gesamtbeurteilimg des Granius wäre der Herausgeber vielleicht
zu einer andern Ansicht gekommen. Es trifft z. B. nicht zu, wenn in
der Einleitimg (p. IX) anscheinend im Anschlufs an die Dieckmannsche
Abhandlung ^de fontibus et auctoritate Grani Liciniani' von einer
'incredibilis negligentia et imperitia scriptoris' gesprochen wird, *qui
aut tempora confundit aut facta transponit aut tam inepta brevitate
auctorem suum contrahit, ut saepe obscura potius canere quam histo-
riam narrare videatur'. Der wirkliche Sachverhalt dürfte wohl in
der oben angeführten Dissertation des Unterzeichneten annähernd
richtig festgestellt sein.
Kann darum die vorliegende Ausgabe mit Rücksicht auf den
eben besprochenen, übrigens nicht in dem Verschulden des Heraus-
gebers gelegenen Mangel einer vollständigen Verarbeitung des ge-
samten Materials nur bedingten Wert für sich in Anspruch nehmen,
so hat doch, soweit es sich um Verarbeitung des dem Herausgeber
bekannten Materials handelt, das Wort der Einleitung zu gelten:
'cum adhibuerim ac diligenter perpenderim in duplici commentario,
quo has Licinianeas reliquias instruxi, quidquid ad eas sive supplen-
Litteratur. 441
das siye emendandas sive illustrandas eruditi yiri usque ad hoc
tempus disputaverunt, nemo certe aequus iudex negabit me expolitio-
rem materiam praebuisse facilioremque Tiam quodammodo aperuisse
si quifl posthac in scriptorem tarn din neglectum novas aliquas curas
Gonferre yelit'* Namentlich ist die Ausgabe in ihrer in Form eines
textkritischen Kommentars sich darbietenden Zusammenstellung aller
bis zum J. 1900 veröffentlichten Konjekturen für den Unterzeichneten
ein schätzbares Mittel, um in einer neuen, auch die jüngsten Arbeiten
berflcksichtigenden und dadurch dem Mangel der italienischen ab-
helfenden kritischen Ausgabe ein Gesamtbild der auf dem Gebiete der
Textkritik wohl zu einem vorläufigen AbschluTs gekommenen Granius-
forschung zu geben.
Was die äufsere Form des aus Einleitung, Text, einem text-
kritischen uud sachlichen Kommentar, sowie einem Index bestehenden
Buches anbelangt, so wird man, nachdem dieKonjekturalkritik für absehbare
Zeit geleistet hat, was sie unter den gegebenen Umständen wohl leisten
konnte, es nicht vermissen, dafs die von der Heptas noch beigegebene
Pertzsche Kollation weggeblieben ist. Aber als nicht sehr günstig mufs die
Anordnung des Stoffes bezeichnet werden. Dadurch, daJDs der Heraus-
geber hinter die einzelnen Textseiten, deren Umfang den Palimpsest-
seiten entspricht, den einschlagigen doppelten Kommentar setzt, wird
der Zusammenhang zerrissen, ein MiTsstand, der sich besonders beim
35. Buch, das im allgemeinen eine zusammenhängende Darstellung
des marianischen Bürgerkrieges giebt, in störender Weise geltend
macht. Der textkritische Kommentar, dessen ziemlich bedeutender
Umfang in der korrupten Überliefenmg der Fragmente begründet ist,
wäre besser anhangsweise an das Ende des Buches, der sachliche
Kommentar zweckdienlicher unter den Text gesetzt worden. Unnötig,
weil zwecklos, ist wohl die Begistrierung aller derjenigen Seiten des
Palimpsestes, auf denen schon Pertz ein zusammenhängendes Wort
nicht mehr entziffern konnte. Der Index verborum der Heptas ist
vielleicht mit Unrecht auf einen Index nominum et rerum zusammen-
geschrumpft.
Lohr. M. Flemisch.
Edw. Kennard Rand: Der dem Boethius BTigeschriebene Traktat
de flde oatholioa. Münchner Doktordissertation = Sep.-Abdr.
aus den Jahrb. ftlr klass. Philol. XXVI. Suppl.-Band. Leipz. 1901.
Das hyperkritische neunzehnte Jahrhundert war gerade so weit
gekommen, dem Boethius einige theologische Traktate abzusprechen,
als eine Entdeckung Holders diese ganze Weisheit zu Schanden
machte. Und wenn die grofsen Gelehrten gefunden hatten, dafs die
CSonsolatio philosophiae nur eine dramatische Darstellung der Lehren
der alten Philosophie sei, so werden sie durch Band beschämt, welcher
diese Auffassung schon bei einem frühmittelalterlichen Autor nach-
weist. Zweifelhaft blieb allerdings der Traktat De fide catholica.
442 Litteratnr.
An Urteilen fehlte es freilich nicht, und man sprach sie herzhaft aus,
ohne sich zu bemühen, die handschriftliche Überlieferung und die
Latinität zu studieren. Diese klaflfende Lücke hat B. ausgefüllt. Die
Echtheitsfrage wird durch die Karlsruher Handschrift saec. IX ent-
schieden, welche den dritten Traktat mit den Worten AGTENYS
BOETIYS schUefst und darauf die Schrift De fide cath. folgen lä(st
Die Ausrede, dafs diese Worte späterer Zusatz seien, erweist sich
nach Einsicht eines photographischen Abdruckes als eine Lächerlich-
keit. Das Latein zeigt starke Verwandtschaft mit Augustin; die
Theologie aber weicht von der des Boethius ab, wie nicht minder die
Sprache, was u. a. an dem Gebrauch von igitur, itaque, ergo nach-
gewiesen wird. Verf. geht noch einen Schritt weiter, den Autor der
Schrift De fide catholica vermutungsweise zu bestimmen. Er glaubt
ihn in der Person des Johannes Diaconus zu finden-, welchem
Boethius die Tract. 1 (?), 2, 3, 5 gewidmet hat. Ein zuerst von
Mabillon herausgegebener Brief dieses Mannes («=» Migne, Patr. 59,
399 ff.) zeigt nämlich einige auffallende Berührungen mit dem Traktate
De fide catholica. Ein SchluTskapitel giebt noch Beiträge zur Kritik
der verschiedenen Traktate. — Einen kritisch gesicherten Text mit
Beifügung des Apparatus criticus und des noch ungedruokten Kom-
mentars des Johannes Scottus wird Verf. in der Wiener Sammlung der
lateinischen Kirchenväter geben.
Bich. Webster: The elegiee of Maximianus. The Princeton Press,
1900. 126 pgg. 8<^.
Die Ausgabe führt uns, abgesehen von ein paar Einzelheiten im
Konmientar, nicht weiter. Was vor allem zu leisten war, die Dar-
legung der Überlieferungsgeschichte, fehlt vollständig; W. kehrt zwar
(das betont er selbst im Vorwort) von Petschenigs prinzipiell auf
dem Etonensis allein beruhender Ausgabe zu Bährens' eklektischem
Standpimkte zurück, aber auch das ist nur ein Spiel: von ernsthaftem
Erwägen ist hier keine Bede. Geradezu kindlich sind die Gründe,
die er S. 17 gegen den Etonensis vorbringt (Fehlen von Ä, Ver-
tauschung von h und ?*), und in Wahrheit unterscheidet sich sein
Text, wenn es überhaupt der Mühe wert ist, davon zu reden, niu: an
wenigen Stellen von dem bei Petschenig, und nicht zu Gunsten der
neuen Ausgabe, ja er acceptiert hie und da (z. B. I 142 mit Recht)
eine Lesart des Etonensis gegen Petschenig. Was er in der Vorrede
bemerkt: „I have admitted no conjectural reading^^ und, wie es scheint,
für einen Vorzug hält, verrät in dieser Form auch eine zum minde-
sten merkwürdige Anschauung. Wenn ich noch hinzufüge, dafs im
Text eine Reihe von groben Druckfehlem (I 111 inutüe, I 283 ipse)
steht, dafs der Apparat ohne neue Kollationen, nur mit neuen
Fehlem aus den älteren Ausgaben zusanmiengestellt, dafs der Kom-
mentar recht dürftig ist, dafs in der Einleitung mit nichtigen Grün--
den die Beziehung zu Boethius, ja der Name des Dichters selbst ver-
Litteratur. 443
flüchtigt wird (dies nicht, ohne dafs der nie vorhandene Grammatiker
Maximianus des 12. Jahrh. hineinspukt *): so erhellt, denke ich, zur
Genüge, dafs das vorliegende Buch keinen Fortschritt bedeutet.
Ich möchte mm aber nicht die Ansicht aufkommen lassen, dafs
ich Petschenigs radikalen Standpimkt teile. Der Etonensis ist nicht
die einzige imd allein zu gebrauchende Quelle für unsem Text. An
einigen, wenn auch nur wenigen, Stellen (z. B. V 55, V 57; auch
I 272?) haben die sonst stark interpolierten jüngeren Hss. altes Gut.
Andererseits verrät sich der traditionell als „langobardisch" bezeich-
nete Etonensis, von dem eine neue Kollation vor allem not thut, ganz
deutlich als unmittelbare Kopie einer alten, wahrscheinlich insularen,
Hs. des IX. Jahrh. durch seine Orthographie (16 otror 41 ospes
137 perhenni 245 anela u. s. w.; I 109 trait 215 contraimur u. s. w.;
176 hiduo 106 iübenile 133 ntbeo 135 nerhi 109 voluuUe u. s. w.;
I 28 traici si tragici 35 pluiasque und besonders I 46 oposUas 68
efugiens 93 dimisaque 211 gresus 268 iasa 11 41 posunt III 36 supli-
cHs m 52 aloquiis und I 89 suffussa)] von ihm hat also durchaus
die Textgestaltung auszugehen, und namentlich an Stellen, wo die
jungen Hss. oflfen die Interpolation verraten (z. B. V 138, wo etwa zu
lesen ist non requies poenis, non es amica inälis?)^ in erster Linie
seinen Spuren zu folgen. So ist die von Traube (Rh. Mus. 48, 1893,
284 ff.) geratene Vorsicht im höchsten Grade zu empfehlen, zumal da
uns die sechs Verse des Manno-Godex (Paris. 2832 saec. IX ex.) deut-
lich verraten, dafs vor dem Etonensis noch eine ältere und reinere
Textform liegt; denn auch v. 2 ist nicht, wie Traube meinte, verderbt,
sondern sicher sind die beiden ersten Verse so zu lesen:
Äemula quid tardas mortem properare senedus?
an et in effeto corpore pigra venis?
an als Länge ist in dieser Zeit unbedenklich (vgl. Thes. ling. lat. 11
p. 1, 24), und effeto hat Traube trefflich aus effesso des Paris, ge-
bessert (vgl. Boeth. cons. 3 v. 12). Die als Eugenii de sene früh, vor
dem Einzug Maximians in die Schule, abgetrennten sechs Verse haben
die reine alte Fassung gewahrt. Wenn wir unter diesen Umständen
die Hoffnung hegen können, je den echten Wortlaut Maximians
wiederzugewinnen, so beruht sie im wesentiichen auf der Erwägung,
däfs der Anfang eines jeden Werkes (und bei Max. stehen die ersten
sechs Verse als eine Art von Programm besonders gefährdet) unter
der Hand des Interpolators stärker zu leiden hat, während spätere
Teile besser wegkommen, genau so wie der Scholienschreiber zuerst
kaum Platz zu finden pflegt für seine Glossen, gegen Ende aber nur
noch spärlich seine Weisheit auskramt.
•) Denn dafs er je existiert, können auch die, übrigens von W. nicht
Ssnannten, Mitteilungen von Schatz (Zeitschr. des Ferdinandeums, UI. Folge,
eft 41, Innsbruck 1897, S. 15—20) aus der Innsbrucker Hs. A 35 saec. XV
über ein Geschichtenbuch Über de nugis Ma<cimiani nicht erweisen.
München. Fr. Vollmer.
444 Litteratur.
Hermann Stadler: Diosoorides Iiongobardus. [Fünftes Buch.]
= VollmöUer Eoman. Forsch. Xm 161—243. Erlang. 8®.
Der in der Geschichte der alten Botanik wohlbewanderte Heraus-
geber, jetzt Privatdocent am Polytechnikum in München, bietet uns
hier den Schlufs der lateinischen Dioscoridesübersetzung. Leider ist
es für den klassischen Philologen etwas umständlich, das Ganze in
fünf Bänden einer romanistischen Zeitschrift zusammenzusuchen, da
für Separatabdrücke unseres Wissens nicht Sorire firetrairen worden ist.
Um so' .ehr sind wir den. Hsgb. zu Dank fer/fliÄ, da es Dun
gelungen ist, die bedeutenden Lücken in der Überlieferung des CSodex
Monacensis lat. 337 wenigstens zum grofsen Teile aus Codex Parisinus
9332 zu ergänzen. Wenn der Thesaurus reiche Mitteilungen aus
dieser Quelle zu machen im stände ist, so verdankt er es dem Ent-
gegenkommen des Herausgebers. Das gedruckte Buch enthält in seiner
ersten Hälfte eine Beschreibung der verschiedensten *vina', welche die
Weinkarte eines groOsen Hotels in den Schatten stellt. Eine Be-
schreibung der benützten Handschriften, ein Neudruck der ersten 30
Kapitel mit vervollständigtem Apparate und ein sachlich-sprachliches
Register sollen nachfolgen.
Adriano Cappelli: Lexioon abbreYiatararum. Leipzig 1901.
LI, 548 pgg. kl. 8^
Die Entzifferung geschriebener Schrift hat schon manchem Ge-
lehrten grofse Verlegenheiten bereitet; heutzutage klagt man über
Sudelschrift, während im Mittelalter die einzelnen Buchstaben zwar
deutlicher hervortreten, aber ein weitverzweigtes System von Ab-
kürzungen uns nötigt, viele ungeschriebene Buchstaben zu ergänzen.
Diese Aufgabe ist eine andere für den Epigraphiker, den Philo-
logen, den Historiker; Inschriften, Klassikerterte, Urkunden sind
unter sich verschieden, und die vorkarolingische Schrift anders als
die der Reformation. Was nun Verfasser geben will, verrät sein
Titel: Archivar in Mailand; die von ihm ausgebeuteten Denkmäler
reichen vom 8. Jahrh. hinab bis in das achtzehnte, und um seine
Nationalität nicht zu verleugnen, hat er den lateinischen Abkürzungen
auch italienische beigemischt. Das 1899 in italienischer Sprache er«
schienene Werk erscheint jetzt in deutscher Übersetzimg, durch zahl-
reiche Nachträge vermehrt. Vielleicht werden nun die deutschen
Leser auch deutsche Abkürzungen suchen, allein umsonst. Die theo-
retische Einführung ist in eine Vorrede verwiesen; das Werk selbst
ist als Nachschlagebuch alphabetisch angeordnet, ähnlich den Werken
von Walther und Ohassant. Die römischen und arabischen Zahlen
sind in einem Anhange besonders behandelt. Der Abkürzungen sind
es mehr als 16000; die graphische Wiedergabe ist anerkennenswert,
wenn auch nicht die Eigentümlichkeiten der verschiedenen Jahrhunderte
und Länder reproduziert werden konnten.
Zur Latinität der Epitorae Oaesarum.
Nachdem wir in neuerer Zeit von den Caesares des Aurelius
Victor, von dem Liber de viris illustribus sowie von der Origo
gentis Romanae Spezialausgaben erhalten haben, ist nur noch die
sogen. Epitome im Rückstande geblieben. Da indessen die kri-
tische Ausgabe aller vier Schriften, welche Prof. Franz Pichl-
mayr für die Bibliotheca Teubneriana übernommen hat, noch
geraume Zeit auf sich warten lassen dürfte, seien hier einige Be-
merkungen zur Charakteristik der Epitome gestattet.
Während Aurelius Victor seine Caesares im Jahre 360
nach Chr. geschrieben hat, mufs die Abfassung der Epitome
mindestens eine Generation später fallen, da sie bis auf den Tod
des Theodosius (395) hinabreicht, und gerade in dieser Schlufs-
partie (cp. 40 — 48) zeigt sich das eigene Latein des von seinen
Quellenschriftstellem verlassenen imd seine Erlebnisse mit seinen
eigenen Worten erzählenden Verfassers; seine Sprache sinkt unter
das Niveau Victors. Aber auch sein geschichtlicher Standpunkt
ist ein anderer. Die Caesares wollen vier Jahrhunderte der rö-
mischen Monarchie darstellen, die Epitome löst das Ganze in Kaiser-
bilder auf; jene Schrift, historia abbreviata betitelt, steht auf
der Seite des Tacitus und Ammian, diese, mit der Überschrift
de vita et moribus imperatorum, gehört zu Sueton und den
Scriptores historiae Augustae. Wie dort stilistische Anklänge an
Tacitus nachgewiesen sind (Rhein. Mus. 29, 302 flf.), so hat der
Epitomator in den julisch-flavischen Kaisem cap. 1 — 11 nichts
Besseres zu thun gewufst als die den Caesares entnommenen
Stellen mit Excerpten aus Sueton zu versetzen; und auf diese
Partie pafi^t dann der Titel Epitome ganz besonders, während für
die Mittelpartie das Verhältnis des Verfassers zu seinen Quellen
weniger klar vorliegt.
Dafs die grammatische Schulung des Epitomators manches
zu wünschen übrig läfst, fällt umsomehr auf, als er in Rom ge-
lebt zu haben scheint. Wenigstens schreibt er 20, 6 über die
Archiv für lat. Lexikogr. XII. Heft 4. äO
446 Ed. Wölfflin:
Bauten des Septimius Severus wie ein Augenzeuge: aedibus
memoratu dignis^ quarum praecipuas videmus Parthomm quae
dicuntur ac Laterani. Vergl. auch 15, 7: apud Lorios, villa
propria, milibus passuum duodecim ab urbe, wie 40, 3 sepulcro,
quod ab urbe abest per Appiam milibus noTem; 40, 2 in villa
sex milibus ab urbe discreta itinere Lavicano. 3, 9. 13, 13. 14, 1.
31, 2. 40, 7. Die Art, wie er seine Quellen benutzt hat, ist lehr-
reich, nicht für die Historiographie des Altertums (denn das Ver-
allgemeinem bleibt immer ein Fehler), wohl aber für die Licenz
minderwertiger Autoren des fünften Jahrhunderts nach Christus.
Schon die klassischere Färbung des Lateins der ersten vier Fünfkel
des Werkchens kann nur aus strenger Anlehnung an ältere Ge-
währsmänner erklärt werden; die Sorglosigkeit der Kopie wird
aber noch durch ein schlagendes Beispiel illustriert. Epit. 5, 5
folgt auf die Einverleibung von Pontus und der cottischen Alpen
in das römische Reich der Satz: eo namque dedecore (Nero) re-
liquum vitae egit, ut pudeat memorare huiuscemodi quemquam.
Inwiefern die Sittenlosigkeit mit der Erweiterung des Reiches
zusammenhänge, vermag niemand einzusehen, doch wird alles
plötzlich klar, sobald man die Quelle Caes. 5, 6 vergleicht: omissam
adulescentiae legem pemiciosius repeti. Namque eo dedecore
reliquum vitae egit, uti pigeat pudeatque memorare huiuscemodi
quemquam.
Wenn wir im Folgenden grammatisch -stilistische Eigentüm-
lichkeiten des Anonymus besprechen, so wünschen wir das, was
er abgeschrieben hat, aus dem Spiele zu lassen, imd vielmehr das
herauszusuchen, was ihm angehört, sei es, dafs wir es in den
SchluTskapiteln finden, sei es, dafs es in den ersten auftritt, von
Aurelius Victor aber abweicht. Bei dem mäfsigen Umfange des
Materiales freilich werden wir genötigt, unser Augenmerk auf
Ausdrucksformen zu lenken, welche sich öfters wiederholen; denn
nur aus einer Fülle von Beispielen kann das sprachliche Eigen-
tum des Verfassers mit einiger Sicherheit erkannt werden. Wenn
wir in philologischen Erstlingsschriften, welche ähnliche Fragen
behandeln, so oft lange Listen der Substantiva auf -tor, -tas, -tio
u. s. w. lesen müssen, aus denen man absolut nichts lernt, so
möchten wir hier zugleich eine Anleitung geben, wie man beob-
achten mufö. Zu einer Probe eignen sich zunächst die Prono-
mina und Präpositionen, und unsere Beobachtungen sollen zugleich
Beiträge zur historischen Grammatik der lateinischen Sprache sein.
Zur Latinität der Epitome Cacsarura. 447
Das Pronomen possessivum suus (resp. mens, tuus) setzt
der Lateiner bekanntlich nur dann zu Verwandtschaftsnamen,
wenn ein Gegensatz bezeichnet werden soll, sodafs also patrem
suum zu übersetzen ist mit 'seinen eigenen Vater', patrem mit
'seinen Vater'. Während nun Aurelius Victor die Regel der
Grammatiker befolgt, huldigt der Epitomator yielfach dem mo-
dernen (romanischen) Gebrauche; denn in den Schlufskapiteln 40
bis 48 wird suus fast ebenso oft zugesetzt als weggelassen.
41, 4 sororem suam Constantiam Licinio coniimgit filiumque
suum Crispum, item Constantinum . . . Caesares eflFecit. 41, 11
Fausta coniuge suggerente Crispum filium necari iubet. Dehinc
uxorem suam Faustam interemit, cum eum mater Helena . . .
increparet. 42, 1 Constantms Gallum fratrem patruelem Caesarem
pronuntiat, sororem Constantiam illi coniungens. Magnentius
consanguineum suum trans Alpes Caesarem creavit. 45, 4 Va-
lentem consanguineum suum sibi socium in imperio adscivit . . .
Gratianum filium Augustum creavit. 46, 1 cum Valentiniano
germano suo regnavit. 47, 1 regnayit cum patre Valentiniano
annos octo, cum patruo et fratre tres. 48, 19 rem publicam
filiis, id est Arcadio et Honorio, quietam relinquens. Mit der
verschiedenen Stellung von Eigennamen und Appellativum hängt
der Zusatz oder Wegfall des Pronomens nicht zusammen.
Da nun aber der Gebrauch von suus in den Kapiteln 1 — 39
der Epitome nicht viel seltener ist, so raufs man annehmen, das
Pronomen gehöre hier dem Epitomator, und die Vergleichung der
Caesares bestätigt dies in der That. Vgl. Epit. 3, 3 sorores suas
stupro maculavit = Caes. 3 sororum stupro. Ep. 4, 10 Agrippinam
Germanici fratris sui filiam = Caes. 4, 12 fratris filiam. Ep. 20, 3
filios SU OS successores reliquit zu vergleichen mit Caes. 9, 4
successores fidebat liberos fore. Epit. 10, 7 Berenicen nuptias
suas sperantem = Suet. Tit. 7 cui (Berenicae) nuptias poUicitus
ferebatur. Und damit ist dann so viel als bewiesen, dafs Epit. 10
uxoris suae, 23 consobrinum suum, 29. 32. 32. 33 (fraude servi
sui) die Pronomina von dem Epitomator geschrieben sind. Einen
ähnlichen Luxus in dem Gebrauche von suus wird man finden,
wenn man Pseudofrontin lib. 4 mit Frontin lib. 1 — 3 vergleicht.
Hermes 9, 72flF.
Bevor wir indessen diesen Punkt verlassen, möchten wir
daran erinnern, dafs die Verwandtschaftsnamen im Spätlatein
allerhand Veränderungen erfahren haben. Denn Epit. 11, 1
30*
448 Ed. WOlfflin:
Domitianus germanus Titi = Caes. 11 Domitianus fratris nece
weist auf das spanische hermano hin^ und weil das Wort in der
Schlufspartie cap. 46, 1 cum Yalentiniano germano suo wieder-
kehrt, gehört es eben dem Epitomator. Ahnlich wird consan-
guineus = Bruder Epit. 41. 42. 45 zu beurteilen sein, während
jenes in den Caesares nur an einer Stelle, 16, 5 vorkommt: alterum
(vulvae frustum) germano porrexit. Das Vorkommen des Wortes
in dieser Bedeutung bei Cic. Att. 2, 23, 3 deutet auf Vulgärlatein.
Auch consobrinus hat seine Bedeutung verschoben, und es wird
nicht Zufall sein, dafs es in den Caesares fehlt, in der Epit. 14. 23,
1. 4. 48, 10 vorkommt.
Werfen wir einen Blick auf die Pronom. demonstrativa,
so muTs die Verbindung von hie mit ei!nem Eigennamen auffallen.
41 hie Licinius, 45 hie Valentinianus, 46 hie Valens, 48 hie
Eugenius. Dann haben wir aber auch in Epit. 19 ab hoc Severo,
21 hie Bassianus, 34 hie Claudius den Stil des Epitomators zu
erkennen. Dieser Gebrauch ist in dem schönen Buche von
Meader: the Latin pronouns (is. hie. iste. ipse. New- York 1901)
mit Stillschweigen übergangen.
Noch mehr jedoch überrascht uns das massenhafte iste,
welches geradezu mit hie wechselt.*) Dafs in der biographischen
Litteratur hie auf den geschilderten Helden zurückweist, ist aus
Cornelius Nepos zur Genüge bekannt und schon in den satur-
nischen Grabschriften der Scipionen vorgebildet; neu und auch
von Meader nicht beobachtet ist, dafs der Epitomator iste in
gleichem Sinne gebraucht. Ich habe bereits im Rhein. Mus. 29, 295
darauf aufmerksam gemacht, dafs in den ersten elf Kapiteln die
Excerpte aus Victor mit iste, die Zusätze aus Sueton mit hie
eingeführt werden, und Herrn. Peter hat dies in seiner geschicht-
lichen Litteratur über die römische Kaiserzeit II 361 Note eine
*feine' Beobachtung genannt. Die Caesares sind von diesem Ge-
brauche vollkommen frei. Der Wechsel beider Pronomina zieht
sich nun aber durch die ganze Epitoma hindurch, ohne dafs wir
hier freilich die verschiedenen Quellen zu benennen imstande
wären. Als Beispiel genüge cap. 35 ( Aurelian): iste haud dissi-
milis fuit Alexandro Magno - iste victor fuit — huius tem-
pore — iste — hie — hie Tetricum provexit. Jedenfalls dürfen
*) Ei)it. 40, 2 quoruni exitus iste fuit, worauf die Angaben über die
Todesarteu folgen.
Zur Latinität der Epitome Caesarum. 449
wir diese Pronominalyerwirrung nicht den Quellen des EpitomatorS;
sondern nur diesem selbst zuschreiben.
Bei der Präposition *ob' ist es vor allem der gegen die
Präposition propter geführte Kampf, welcher unser Interesse in
Anspruch nimmt. Seitdem man weifs, dafs Tacitus in seinen
historischen Schriften mit Ausnahme vielleicht einer zweifelhaften
Stelle hist. 1, 65 (Arch. XI 141) ausschliefslich ob gebraucht hat,
und dafs sein Fortsetzer und Nachahmer Ammianus Marcellinus
sich in demselben Falle befindet (Arch. I 161 ff. XII 141), kann
es nicht mehr überraschen, wenn sowohl die Epitome mit nahezu
20 Stellen als auch die Caesares einzig für ob eintreten. Dafs
Aurelins Victor den Tacitus gelesen hat, ist im Rhein. Mus. 29, 302 ff.
auseinandergesetzt, imd da der Verf. der Epitome in den julisch-
flavischen Kaisem von ihm abhängig ist, so hat er auch den
Gebrauch von ob von ihm angenommen. Zwar sind manche
Stellen der Epitome so geartet, dafs auch wir der Präposition ob
uns bedienen, wenn sie nämlich ausdrückt, dafs ehrende Aus-
zeichnungen *im Hinblicke auf gewisse Verdienste (z. B. ob res
bene gestas) erteilt werden; gleichwohl gehörte ein gewisser Ent-
schlufs dazu, wenn beide Autoren propter konsequent vermieden
haben. Dies wird deutlich, wenn wir die Worte der Epit. 2, 2:
Caldius Biberius Mero ob vinolentiam nominatus est, mit der
Quelle vergleichen: Suet. Tib. 42 propter vini aviditatem pro
Tiberio Biberius etc.
Unter den neuen Anwendungen, welche sub schon im sil-
bernen und noch mehr im Spätlatein gefimden hat, tritt die
Verbindung mit Kegentennamen, bezw. Namen von Oberfeld-
herm, besonders hervor, und der Gebrauch ist so allgemein ge-
worden, dafs Schmalz im Antibarbarus die angehenden Stilisten
zu warnen für nötig erachtet hat. Man kann einen zwiefachen
Gebrauch unterscheiden; denn entweder bedeutet sub Augusto,
sub Gorbulone so viel als sub imperio Augusti, auspiciis Augusti,
und der Satz enthält eine Thatsache, für welche der Regent oder
der General gewissermafsen verantwortlich ist, welche ihm zum
Lobe oder zum Tadel angerechnet werden kann, oder sub Augusto
ist nichts weiter als eine Zeitbestimmung. Beide Anwendimgen
sind nachklassisch. Tac. hist. 3, 24 ut sub Gorbulone Armenios
pepulissent; Agr. 45 praecipua sub Domitiano miseriarum pars
erat. Wie verhält sich nun der Epitomator dazu? Er hat in
zahlreichen Fällen den Gebrauch der Pniposition vermieden durck
450 Ed. Wölfflin:
Ausdrücke wie: huius tempore, huius (horuin) temporibus, hoc
tempore, 32, 5 his imperantibus. Allein auch sub taucht auf die
Oberfläche, zunächst in der Form 24, 2 sub hoc imperante, und
dann ohne Particip Epit. 2, 3 satis fortunatus ante sumptum
imperium sub Augusto fuit; 10, 5 iura (die Justiz) sub patre
venundata; 13, 12 eo tempore multo perniciosius quam sub Nerra
Tiberis inundavit; 20, 2 sub eo Albinus occiditur, wo Closs ohne
Grund übersetzt Velcher durch ihn seinen Tod fand'; 31, 1 sub
his Aemilianus in Moesia imperator effectus est; 48, 5 Hunnos
et ßothos, qui rem publicam sub Valente defatigassent. Da
der Epitomator diesen Sprachgebrauch schon bei Sueton fand
(Claud. 25 religionem sub Augusto interdictam; Calig. 21 opera
sub Tiberio semiperfecta; Tit. 8 sub eo tristia accidenmt), so
können wir ihm keinen Vorwurf machen; der Vergleich mit
Aurelius Victor, welcher denselben vermeidet, zeigt nur dessen
Reinheit in hellerem Lichte.
Damit stimmt überein, dafs der Epitomator auch sonst sub
nach der Licenz der silbernen Latinitat gebraucht hat: 42, 16
lulianus mandatis moUioribus refert se sub nomine celsi imperii
(so lange er den Augustustitel trage) multo officiosius pariturum.
Vgl. das spätlateinische sub titulo, sub specie u. ä.
Apud hat sich nicht nur zur Bezeichnung der Ortsruhe bei
Ländernamen eingedrängt, es hat auch den Lokativ der Städte-
namen nahezu ausgerottet. Nach dem Thes. tauchen die Länder-
namen zuerst bei Tacitus auf, imd sie scheinen in der Volks-
sprache namentlich beliebt gewesen zu sein, da die Itala die
Stelle des zweiten Korintherbriefes 1, 8 {iv ry läöLa) mit apud
Asiam übersetzt, die Vulgata mit in Asia. Das Erscheinen des
Vogels Phoenix in Ägypten unter Kaiser Claudius hatte schon
Aur. V. Caes. 4, 14 mit den Worten Visus apud Aegyptum' be-
richtet, welche dann auch in die Epit. 4, 9 übergegangen sind;
allein dies steht doch ziemlich vereinzelt, und umsomehr muls
auffallen, dafs der Vf. der Epit. in den letzten Kapiteln, d. h. da,
wo er auf eigene Faust schreibt, die Konstruktion regelmälsig
angewandt hat. 37, 3 apud Moesiam; 39, 3 a. Aegyptum imper-
atores eflfecti; 41, 7 a. Bithyniam; 42, 13 in campis Argentora-
tensibus apud Gallias; 45, 7 a. Mauretaniam regnum invadens;
47, 7 a. Britamiiam tyrannidem arripuisset. Wir werden daraus
schliefsen dürfen, dafs Aur. V. die Ausdrucksweise absichtlich
vermied^ während der Verf der Epitoma sie als die regelmäfsige
Zur Latinität der Epitome Caesarum. 451
anerkannte. Das korrekte ^in Campania' findet sich in der Epit.
nur selten: 10^ 12 in Campania^ wie entsprechend in den
Caes. 42, 15 in ßallia. Der Ersatz ist offenbar von den Yölker-
namen hergeholt: Ep. 10, 15 apnd Sabinos interiit; 35, 3 a. Dal-
matas imperator effectus; 32, 4 a. Macedonas dominatam invasere.
Caes. 12, 2 a. Sequanos (Sequania nicht gebildet, so wenig als
Parthia) imperium capere; 42, 13 ne quid a. Gallos novaretur,
und die Gleichstellung beider Wendungen verbürgt uns Tacitus
aim. 4, 5 in Pannonia ... in Moesia . . . apud Delmatiam (legiones
collocatae). Mit apud konkurrierte übrigens auch, obschon mit
weniger Glück, per: Tac. 1, 47 per Germaniam (ursprünglich in
ganz Germanien) . . . apud Pannoniam. Aur. V. Caes. 27, 1 per
Africam (Augustum creavere). Epit. 40, 1 creatis Caesaribus per
Italiam, gleichbedeutend mit 31, 1 in Moesia imperator effectus
est; 32, 3 in Gallia imperatores effecti sunt. Fragt man aber
schliefslich, warum ^in Campania' nicht mehr gefallen habe, so
wird es die Kollision mit ^in Campaniam' sein, dessen Schlafs-
konsonant sich in der Ansprache verflüchtigte.
Was die Städtenamen betrifft, so sind die Beispiele nach den
Verben auseinanderzuhalten. Denn es macht einen grofsen Unter-
schied, ob von einer Schlacht die Rede ist (welche in der Nähe
einer Stadt geschlagen wird), oder von einem Todesfalle oder
einer Gefangennehmung. Da man diese Stellen sowohl mit 'in'
als auch mit 'bei' übersetzen kann, so läfst sich nicht leugnen,
dafs oft eine Zweideutigkeit des Ausdruckes entsteht. Wir dürfen
jedoch für das Spätlatein annehmen, dafs apud im Sinne des
Lokatives stehe. Vgl. Aur. Caes. 16, 14 Vendobonae interiit (M. An-
tonius) mit Epit. 16, 12 apud Vendobonam morbo consumptus.
Spart. Hadr. 25, 6 apud ipsas Baias perit = Spart. Anton, phil. 6, 1
Hadriano Baus absumpto. Capitol. Max. Balb. 12, 5 otiosus apud
Ravennam = Herod. 8, 17 öiaxQißoav iv 'Paßivvri, Von den Loka-
tiven haben sich die auf -ae am besten erhalten, namentlich
Romae (Epit. 41, 2 in urbe Roma); Epit. 1, 26 Nolae interiit deckt
sich mit Caes. 1,2 Nolae consumptus, aufserdem 14, 1 Adriae
orto; 28, 2 Veronae interfectus; 29, 1 Bubaliae natus; 38, 1 natus
Narbonae; 21, 1 Lugduni genitus; 32, 4 Mediolani (dominatum
invasit); 47, 1 genitus Sirmii. Viel häufiger sind dagegen die
Umschreibungen, besonders in den Schlufskapiteln: 38, 2 apud
Ctesifonta interiit; 39, 5 apud Nicomediam fasces relinquens
40, 5 apud Carthaginem imperator fit; 40, 5 a. Massiliam obsessus;
452 Ed. Wölfflin:
40, 8 a. Tarsum periit; 41, 23 a. Helenam interficitur; 41, 25 im-
perium a. Marsiam corripuit; 42, 6 a. Lugdunum coangnstatus;
42, 17 a. Mopsocrenen interiit; 45, 8 a. Bergentionem exspiravit:
48, 1 a. Sirmium Imperator effectus; 48, 19 a. Mediolanum ex-
cessit. Für den Ersatz des Lokatives konnte die Präposition ad,
welche später im Jb^ranzösischen den Sieg davongetnigen hat,
so lange nicht in Betracht kommen, als sie die Bewegung nach
einem Orte hin bezeichnete. Dafs die Wahl auf apud fallen
konnte, erklärt sich aus einer Licenz des archaischen Lateins, welche
zwar Varro getadelt hat; denn schon im S. C. de Bacanalibus
heifst es: cos. senatum consoluerunt apud aedem Duelonei. Darauf
bezieht sich Corp. gramm. lat. VII 31, 7: vitiose dicitur ^senatum
habere apud aedem ApoUinis', quod *in aede' dici oportet. Oft
wird auch der Lokativ eines Städtenamens umschrieben, wie 41, 4
natum oppido Arelatensi; 35, 4 in urbe Roma rebellarunt.
Bei den Adverbialbildungen auf -iter fällt auf, dafs manch-
mal die Umschreibung mit modo vorgezogen wird; also finden
wir neben pariter (20, 0. 39, 1) sowohl pari modo (32,4. 40,2)
als pari tenore (26,2), ähnlich simili modo 40,2. Die Ver-
mutung liegt nahe, dafs der Proceleusmaticus similiter mifsbeliebig
gewesen sei, da doch 9, 10 vulgariter unbedenklich gebraucht ist.
So wird in der Astrologie des Firmicus Matemus frequenter an
unzähligen Stellen gebraucht, während simili ratione (3, 5, 29.
30. 37) und simili modo (3, 5, 38) übliche Umschreibungen
sind.
Die Entwertung des Komparativs und Superlativs hat be-
kanntlich schon früh begonnen; Victor selbst hat sich dem
modernen Gebrauche angeschlossen, z. B. Caes. 2, 1 Tiberius sub-
dolus et occultior = Tac. aun. 0, 57 occultum ac subdolum. Die
imverdorbenen Naturmenschen heifsen auch bei den Kirchenvätern
oft simplices, simpliciores, simplicissimi (Epit. 41, 25). Einmal
hat der Epitomator sogar korrigiert, indem er für Caes. 4 pavi-
dus animi et ignavior abänderte in: ignavus ac pavidus. Nur
auf einen Punkt möchten wir noch hinweisen. Das unklassische
atrocius longe, longe tetrior (Epit. 0, 5. 12, 10) statt multo wird
wohl damit zusammenhängen, dafs multum mit dem Positiv (ital.
molto) statt valde eindrang. Epit. 1, 22 vini multum abstinens;
32 stolidus et multum iners; 42, 18 somno multum temperans;
48, 1 1 multum diligens u. s. w. In der Aussprache aber fiel
multum mit schwindendem Schlufskonsonant mit multo zusammen.
Zur LatinitrU der Epitonio Caesaruni. — Matrem gerere. 453
Die Proben können genügen, um den Kanon für die Be-
stimmung des Sprachgebrauches des Epitomators aufzustellen.
Derselbe kann darum nicht aus Epit. cap. 1 — 39 abstrahiert wer-
den, weil in diesen Abschnitten manches wörtlich aus den Quellen
herübergenommen ist. In erster Linie kommen also die Cap. 40
— 48 in Betracht, in zweiter alles, was sich durch die ganze
Epitome gleichmäfsig hindurchzieht, namentlich wenn es von
Sueton imd Victor abweicht. Dahin gehört das in der Epitome
16 mal gebrauchte imperator effectus (efficitur), wofür der
Verf. der Caesares nur f actus sagt. D eh ine findet sich min-
destens ein dutzendmal von Cap. 3 — 42, imd von 40 an fünf-
mal. Aber 4, 5 dehinc atrocius accensa ist wörtlich aus den Cae-
sares abgeschrieben, deren Verf. selbst die Partikel aus Tacitus
übernommen hatte. Mit ajca^ elgr^^ava der Cap. 1 — 39 ist nicht
viel anzufangen; eher kann man sich darauf stützen, wenn sie in
der Schlufspartie vorkommen; 41, 2 Constantinus iuvenculus; 41,9
agraris = agrarius; 41, 20 nationes circumsocias. So darf aus
Epit. 42, 18 felix bellis civilibus, extemis lacrimabilis ; 46, 2 cum
GoOiis lacrimabili hello commisso wohl geschlossen werden, dafs
dem Verf. der Vergilvers Aen. 7, 604 sive iTetis inferre manu
lacrimabile bellum im Sinn lag. Was wir aber alles dem Epito-
mator zuteilen, das wird um das Jahr 400 nach Chr. in Rom
geschrieben sein.
München. Ed. WSlfflhi.
Matrem gerere.
In der Erzählung des Florus von Romulus und Remus las man
früher 1, 1, 3: lupa ubera admovit infantibus matrem que se ges-
sit (cod. Nazar. secessit), während Rofsbach nach dem Vorgange von
Jahn und Halm mit cod. Bamberg, matrem que egit schreibt. Dies
ist insofern eine Verbesserung, als sich die Konstruktion matrem se
gerere überhaupt nicht nachweisen läfst, sondern nur pro colono se
gerere. Schmalz, Antibarb. I 509. Es bleibt nur das eine Bedenken,
dafs der Ausdruck matrem agere, von der Bühne hergenommen, wört-
lich bedeutet: die Rolle der Mutter spielen, nicht Mutterpflichten er-
füllen. Vgl. Tac. bist. 1, 30 cum Otho aniicum imperatoris (Galhae)
ageret, als er den Freund spielte, wie ein Komödiant. Und so ver-
stand es auch Florus selbst, als er von dem Könige Antiochus schrieb
(2,8,9): ne non aliquo genere ducem agere videretur, virginum
pueronimque dilectus habebat, was das gerade Gegenteil von ducis
454 Ed. Wölfflin: Miscellen.
ofQcia praestare ist. Zugehen muls man allerdings, daTs das Spät-
latein an dieser Bedeutung nicht mehr festgehalten hat, was indessen
flir Florus kaum mafsgehend sein kann. Vgl. Liv. per. 52 Mummius
abstinentissimum virum egit. Aur. Vict. Caes. 39 Diocletianus domi-
num dici passus parentem ejs^it. Wollte man aber diese Bedeutung
zugeben, so wäre egit zum mindesten zweideutig.
Somit wird es sich empfehlen, einen dritten Weg einzuschlagen
imd die Wendung matrem gessit näher zu prüfen. Sie mufs sich
parallel mit agere entwickelt haben, da Cicero neben dem bekannten
personam agere auch schreibt personam gerere, de offic. 1, 115. 124;
nur verlor sie frühe den Theatergeschmack. Vgl. Val. Max. 4, 1, 4
Cincinnatus qualem consulem gessit! (= qualem consulem se praebuit).
Plin. pan. 44 principem geris, meliorem immo te praestiis^ quam tibi
alium precabare. Sen. Troad. 715 gere captivum posito genu. Apul.
met. 1 , 24 annonam curamus et aedilem gerimus (= aedilis munere
fungi). Claud. IV cons. Hon. 294 tu civem patremque geras. Diesen
Gedanken brauchen wir, imd matrem gessit ist der richtige Ausdruck
dafür. Auch Jordanes mufs so gelesen haben, da er die ihm un-
bekannte Konstruktion umschrieb mit: matrisque gessit officium. Die
im Bamberg, erhaltene Lesart beruht nicht auf einem Lesefehler,
bezw. Schreibfehler, sondern geht auf einen Grammatiker zurück,
welcher glaubte, matrem agere sei der korrektere Ausdruck.
München. Ed. Wölfflin.
Agricola = agricolas.
Neuerdings erklärt Lindsay agricola als Femin. = agricultura,
Ackerbau, welches erst später die konkrete Bedeutung von 'Acker-
bauer' angenommen habe (Lat. Spr. cap. 5, § 2; cap. 6, § 1.) Ent-
sprechend Stolz, bist. Gramm. 417 scriba = Schreibthätigkeit, dann die
Gesamtheit der dieselbe Ausübenden, endlich der einzelne Schreiber.
Dem gegenüber dürfte es nicht überflüssig sein, daran zu erinnern,
dafs als älteste Form von paricida bei Paul. Fest. p. 221 überliefert
wird paricidas, welchem noch bei Paul. 102 ein hosticapas] hostium
captor zur Seite steht. Dies giebt schon Bücheier an, doch in einer
Note, wo es leicht übersehen werden konnte. Wagener-Neue fügt
noch Agrippas hinzu aus Corp. inscr. lat. III 14, 19, was möglicher-
weise Neubildung nach griechischem Muster ist, und Nov^tag {No^t&g)
= Nmna, nonhuoXag u. ä. sind ja allgemein bekannt.
München. Ed. Wölfflin.
über das Alter der Martial-Leniniata in den
Handschriften der Familie B.
Die Martialhandschrifken der Familie B gehen bekanntlich
auf eine im Jahre 401 n. Chr. von einem gewissen Torquatns
Gennadius yeranstaltete Recensio dieses Dichters zurück (vgl.
Friedländer in der Einl. seiner Ausgabe S. 69 und 78 ff.). Eine
neue wertvolle Handschrift dieser Familie (saec. XII) hat kürzlich
die Berliner Bibliothek (lat. fol. 612) erworben (= L), ja W. M.
Lindsay^ der sich schon durch frühere Arbeiten um die Er-
forschung der Textesquellen unseres Dichters sehr verdient ge-
macht hat; steht nicht an^ in einem eben erschienenen Aufsatz
der Classical Review (Nov.-Heft 1901, S. 413 ff.) L als 'codex
optimus' des Martial zu bezeichnen. Uns soll hier nicht der
Text des Martial selbst beschäftigen, sondern die in den Hss. der
GennadiusfamiUe den Epigrammen beigegebenen Überschriften.
Die Anregung wie das Material zu dieser Untersuchimg verdanke
ich Herrn Professor Lindsay an der Universität St. Andrews
(Schottland), dem ich auch an dieser Stelle meinen verbindlich-
sten Dank für seine liebenswürdige Unterstützung ausspreche.
Ebenso schulde ich Herrn Dr. Heraeus in Offenbach a. M. vielen
Dank für eine Reihe wertvoller Bemerkungen und Nachweise
von noch nicht bekannten Belegen seltener Wörter und Verbin-
dungen.
Während die Überschriften in unseren den Familien A und
C angehörigen Hss. „sämtlich den Epigrammen entnommen sind
imd nur den Namen des Angeredeten oder eine kurze Inhalts-
angabe oder beides verbunden enthalten" (Friedländer S. 71,
Note 1 und S. 86, Note 1), stimmen die Lemmata in den Codd.
der Familie B nur in den Büchern I — IV im ganzen mit denen
der beiden anderen Handschriftenfamilien überein, von Buch V an
jedoch sind sie viel wortreicher und „verraten sich durch ihre
in Form und Inhalt ganz abweichende Fassung als Machwerk^
456 Gustav Landgraf:
einer sehr späten Zeit" (Friedl. S. 78, Note 1). Wir wollen im
Folgenden die Sprache dieser Lemmata prüfen und versuchen, ob
wir aus einer solchen Prüfung Anhaltspunkte für eine Fixierung
der Ahfassungszeit derselben gewinnen können. Dabei hoffen wir
auch dem Thesaurus linguae Latinae nützlich sein zu können,
indem wir ihm einiges neue Material zuführen.
Wortbildung. Die Komposition mit male wird im Spätlatein
unter dem Einfluüs des Griechischen immer häufiger, vgl. W. Heraeus,
die Sprache des Petronius und die Glossen (1899) S. 29. So
bietet die lat. Dioscoridesübersetzung aus dem 6. Jahrhundert die
sonst nicht belegte Bildung mcUe-f actio (Arch. X 566), vgl. franz.
malfaire, malfaisance. Ein Analogon dazu ist male-tradatio in den
Lemmata 5, 57. 7, 41. 9, 77. 11, 11 maletractatio SardanapallL
Natürlich ist maletractatio nur die Vorstufe zur Form maltractatio
(franz. maltraiter, maltraitement), wie wir in Cod. L aUerding«
fehlerhaft 5,65 lesen ^Laus Augusti in malparcUione (st. com-
paratione) Herculis'. Bemerkenswert ist auch die in L und f
der B-Familie und in den besseren Hss. der C- Familie sich fin-
dende Form 2, 56, 1 malaudii für male audit (Lindsay, Cl. Rev.
1. 1. S. 416, Note 2). Übrigens findet sich das Subst. maletracUk-
iio bereits bei Amobius. Dagegen bieten die Lemmata 5, 47 de
Philone foriscenio und 12, 55 de Aegle vendp-lingia (so emendiere
ich für mendilingia), zwei bis jetzt nicht belegte Komposita;
ersteres ist nach dem Muster des martialischen Komp. domi-
cenium (5, 78, 1 u. ö.) gebildet und bezeichnet jem., der ^foris
cenat' (2, 53, 3. 69, 1. 9, 10, 1), letzteres verdankt seinen Ursprung
dem Schlufsvers des citierten Epigramms ^Gratis lingere non
recusat, Aegle' „und hat zum Vorbild wohl cunnüinguSj das
aufser bei Martial und Priap. noch auf einer tessera Rh. Mus.
52, 393 {cunilinge Voc.) und Pompej. Wandinschr. Anth. lat.
epigr. 359 rmiüin<fUH steht" (Heraeus). Der Lemmatist gebraucht
auch dieses Wort, aber immer in der Form cimnüingius 6, 26.
9,4. 67. 11,47. 61. 85. 12,85.
In den Scholien zu Horaz, Juvenal und Persius, sowie in
rein lateinischen Glossen begegnet häufig das Substantiv heredi-
peta = Erbschleicher. Auch unsere Lemmata gebrauchen es 5, 39
(heredepeta), 11, 44 und 12, 90 (heredipeta). Diese Bildungen
waren in der Umgangssprache beliebt; Heraeus 1. 1. S. 26 zahlt
folgende auf: honoripeta (Apul.), cornijwta oder comupeta (Vulgata,
Augustin), lucrlpeta (Argument. Most. Plaut. 6), oAjripeUi (Cic. ad
üb. das Alter d. Martial-Lemmata i. d. Hss. d. Familie B. 457
Att.), oclopeia = Augenzieler (Petron.) und veneripeta in den
Glossen. Dazu kommt als sonst noch nicht nachgewiesenes Kom-
positum aus den Martial-Lemmaten 2, 37 cenipeta (in A und G^ da-
gegen celipeta in B). — Von anderer Art ist das Kompositum
scutopecta 9, 38 (Q: de Agatino scutopaecta^ L: de A. scutopectr>)
= scutopaeetay eine hybride Bildung für 6xlo7caLxr7}g, das Corp. Gloss.
in 308, 65 und 66 mit Ventilator, bezw. armilusor erklärt wird
und auch Not. Tir. 107, 59 Schra. von Schmitz in der Über-
lieferung oplectes (unter Arten von Jongleuren stehend) erkannt
ist. Über andere Komposita mit -xoctxrrjg s. Schmitz, Beitr. zur
lat. Sprachkunde, S. 277—282.
Das Suffix 'Osus erfreute sich in allen Perioden der lat
Sprache grofser Beliebtheit, und auch das späteste Latein war
hier noch schöpferisch. Unsere Lemmata verwenden Adjektiva
auf -osus mit Vorliebe, sowohl alte wie neugebildete. Vim jenen
erwähnen wir aestuosus, clanwmsy curiosus, gylosus (= gulosus),
verbosus, von diesen bedürfen einer eingehenderen Besprechung:
himeosus, pruriosus, caharioms, funeroi^us. Das Adjektiv Jumeosus
(= bruchleidend) findet sich in dieser Form 3, 24 und 12, 83,
und so ist es auch Verg. catal. 13 (5), 39 (Ribbeck Jiernwsüs),
Porphyr, ad Hör. sat. 1, 1, 105 (Meyer hemiosu^, Holder himeosus),
Lampr. Hei. 25 (Peter Jiemiosus) überliefert, nur Marc. Emp. c. 33
Jieniiof^us, „Die Glossen schwanken. Not. Tir. 111,60 u. 61 ist
himia, bezw. liirniosus überliefert. Ahnlich steht es mit hirneci
selbst. Dagegen giebt der einzige inschriftliche Beleg Anth. lat.
epigr. 358, 2 *eniiaat.% was bei Georges nachzutragen ist" (Heraeus).
— pniriosus 10, 67 (de anicula Plotia pruriosa) gehört zu den
wenigen Adjektiven auf -osus, die von Verben abgeleitet sind
(cf. Arch. V 203); es wird sonst nur belegt aus Priap. 63, 18, wo
Bücheier pruriens vermutete. — ÜI^;ra| elQr^^iva sind calvariosus
12, 7, funerosus 8, 43 und culosus von cülus 11, 99: de Lesbia
gulosa, wofür Lindsay richtig culosa emendiert. Die obscöne
Bedeutung des Adj. ersehe man aus dem Epigramm selbst. Er-
wähnt sei zum Schlüsse die Form fornwnsus 9, 66, vgl. Archiv
V 195 ff. XI 312.
Von den Substantiven mit dem Suffix -tor (sor) kommen
besonders in Betracht detrador, eversw und fnsor. Das Subst.
detractor hat in der Vulgata häufig die Bedeutung von ^Ehrab-
schneider, Verleumder', ebenso z. B. August, de civ. dei 5, 29 osores
vel detractores. Mit ihm teilt diesen Gebrauch unser Lemmatist
458 Gustav Landgraf:
7, 10 de Olo detraeiore. Für das bis jetzt nur aus Inschriften
nachgewiesene Subst. fellatrix (C. I. L. 4, 1389. 2292) bieten
unsere Lemmata erwünschte Belege: 9,22. 11,40. 12,79. Wir
kommen nun zu dem Subst. eversar. An den beiden Stellen 5, 77
und 11, 70 hat es die Bedeutung = Verschwender, eine Bedeutung,
die zuerst bei den Juristen aufkam, in der Folge aber auch in
der gewöhnlichen Sprache Aufiiahme fand, besonders oft bei
Augustinus, vgl. Confess. 3, 3, G remotus ab eversiofiibus, quas facie-
bant eversores — hoc enim nomen scaevum et diabolicum velut
insigne urbanitatis est. Das davon abgeleitete Subst. eversio
= Vergeudung belegt Georges nur aus Hier. ep. 108, 18. Hier sei
die Besprechung des sonst nicht belegten Subst. masturhio ein-
geschoben aus Lemma 11, 29 de Phyllidis (Q, Phyllis L) mastur-
bione. Das Epigramm läfst keinen Zweifel darüber, dafs mastnr-
bio hier nomen actionis ist und nicht agentis. Mit Hilfe imserer
Stelle kann nun auch der Streit darüber, ob Petron. 134 propier
mascarpionem von der Handlung oder von der Person zu ver-
stehen sei (vgl. hierüber Archiv I 288. IH 541. V 77), zu Gunsten
der ersteren Auffassung entschieden werden. — Ahnlicher Pro-
venienz wie eversor scheint das spätlateinische Subst. fusor in der
Bedeutung = Erzgiefser zu sein: wenigstens belegt es Georges
nur mit Cod. Just.; in der Bedeutung = Ausgiefser, z.B. vini, ist
es bei den Ekklesiastikern häufig, vgl. Paucker, Supplem. lex. lat.
S. 305. In der ersteren Bedeutung steht es im Lemma 9, 43 Laus
Lysippi fmoris.
Mit dem Suffix -arim ist gebildet das bei Georges fehlende,
aber Archiv I 194 aus TertuU. de an. 55 (cum puerariis Piato-
nis) und aus Glossen (cf. Thes. gl. em. s. v.) nachgewiesene Subst.
puerar'ms = (piXÖTcatg, jtatdsQaörrlg (Petron. 43 liest man jetzt
pullarius, s. Friedl. z. St.). Zwei neue Belege für dieses seltene
Wort geben die Lemmata 11,28 und 11,44. — Das bei Georges
nur aus Plaut. Aul. 512 nachgewiesene Subst. calceolarius taucht
bei unserem Lemmatisten wieder auf 9, 73 und zwar in der Form
calc/olarius. — Das Lemma 12, 15 de donariis Capitolii zeigt
uns das Subst. donaria in der spätlat. Bedeutung = Weihge-
schenk, die Georges nur aus Aur. Vict. Caes. 35, 7 (donariis
Omans fanum) und Amob. 7, 9 belegt. Auch in den Glossen
= ävcc^ij^ara^ IsQa ävad^iifiata, munera erklärt.
Von den Deminutivis kommt nur eines hinsichtlich der
Chronologie der Lemmata in Betracht, nämlich das Adj. iactanU-
üb. das Alter d. Martial-Lemmata i. d. Hss. d. Familie B. 459
ciilus = etwas prahlerisch. Es begegnet in der Überschrift zu
9, 59 de Mamurra tenui iactanticulo und 12, 70 de Apro divite
facto iactanticulo. Auch dieses Wort scheint besonders dem
Augustin gefallen zu haben, aufserdem wird nur noch Schol. luv.
11,34 citiert. Deminutiva, die von einem Partie. Praes. abge-
leitet sind, giebt es sehr wenige. Heraeus verdanke ich den
Hinweis axxt prudenticulus Anecd. Helv. 236, 19 H., valentulus Plaut.
Cas. 852 und dolmtulus auf einer afrik. Inschrift VIII 9969; vgl. auch
infantulus und infantula. Unter den von J. Schwab im XXIV.
Suppl.-B. der N. Jahrb. f. Phil. S. 714 f. aufgeführten deminuti vischen
Eigennamen, die von Part. Praes. abgeleitet sind, finden wir keines
auf -culus; am nächsten kommen: Constaniiola und Sperayxtiohis.
Eine grofse Rolle spielen in den Lemmaten die griechischen
Lehnwörter. Wir besprechen hier folgende: philopygista (= pe-
dico) 6, 33. 7, 62. 9, 63 de Phoebo penito philopygista, 1 1, 78 de
marito philopygista. Georges belegt das Wort nur aus Schol. luv.
9, 1. — Nicht sicher ist die Bedeutung von paradoxtis im Lemma
5, 23 de Basso paradoxo divite effecto. Fafst man es im Sinne
der Glossen IV 267, 26. 373, 41 qui se ad gloriam parat*), so
könnte es * putzsüchtig' heifsen; vielleicht bedeutet es aber auch
*Mime, Schauspieler', wie Schol. luv. 8, 184. — Zu 5, 77 überliefern
die Hss. das Lemma ad Marullum pedarisiam] Scriver vermutete
paederastam, was sicher falsch ist, Lindsay vielleicht richtig pspu-
darescam,**) Das Wort ist weder im Griech. noch im Lat. belegt,
wohl aber ifSvöagsöxeLa = erheuchelte Wohldienerei. Wir haben
dann in dem Lemma eine schöne Bestätigung der Erklärung von
Crusius (Rhein. Mus. 44 p. 457, vgl. Otto, Sprichwörter S. 47),
dafs der sprichwörtliche Ausdruck des Martial 'qui te ferre oleum
dixit in auricula^ auf einen gemünzt sei *qui perattente alteruni
audiendo germanum se praestat assentatorem'. — Häufig begeg-
net das Subst. parabohty nämlich 5, 31 p. tauri; 10, 11 p. de caris
*) „Die Erklärung ist wohl wegen ihrer etymologisierenden Tendenz
nicht verwendbar (hybrid: qni se parat ad 66^av). Das Wort scheint, wie
naffddo^os (s. Steph. thes.), erst für Sieger in Spielen, dann allgemeiner
gebraucht worden zif sein" Heraeus.
•*) Dagegen bemerkt Heraeus: „Es müfste doch wenigstens pseuda-
rescum lauten. Auf -agsanog und -agsatog endigen die Komposita der
Art. Die Überlieferung führt eher auf ein griechisches Nomen personale
auf -QiöTTJg (-ristam). Beispielsweise setze ich petauri^tum , in welchem
Falle der Lemmatist das 'in auricula oleum ferre' wörtlich von einem
Jongleur gefafst hätte."
460 Gustav Landgraf:
amicitiis; 11,26 p. de Ganymede; 11,42 p. de scriptis suis, und
zwar immer in dieser Form mit lateinischer Endung, wie durch-
gängig in der Vulgata, aber auch bei Macrobius, z. B. 5, 13, 26.
Damit sind wir bereits auf das Gebiet der Formenlehre
übergetreten, aus der Erwähnung verdient der Abi. Plur. mula-
hus im Lemma 11,79 de mulabus miseri Paeti. Neue -Wagener
P p. 45 f. citieren für diese Form: Tertull. ad ux. 2, 8; Capitol.
Ver. 5, 4; Ambros. Serm. 49, 2; ferner die Überschriften (!) von
Claudian carm. min. 22 (60) Jeep de mulabus Gallicis und von
Ennod. carm. 2,12,4 adversas Claudianum de mulabus; Anecd.
Helv. 93, 32. — Der auch sonst im Spätlatein vorkommende Über-
gang des Verbs tofulere aus der 2. in die 3. Konjug. (vgL Neue-
Wagener IIP p. 277) erhält einen neuen Beleg in dem Lemma
8, 47 de eo qui tondit.
Syntaktisches läfst sich naturgemäfs nicht viel an diesen
kurzen Inhaltsangaben beobachten. Immerhin fugen sich die hier
ins Auge fallenden Erscheinungen dem Bilde, das wir bis jetzt
von der Sprache der Lemmata gewonnen haben, gut ein. Der
Gebrauch der Praep. circa = erga, in gehört der nachklass. Lati-
nität an, vgl. Archiv VIII 179. IX 550. Er begegnet uns zwei-
mal in der gleichen Verbindung: 7, 7 amor omnium circa Caesa-
rem und 8, 11 de nimio amore Komae ci/ra Caesarem; ganz ähn-
lich heifst es in einer afr. Inschrift (829) ob eximium aniarem
circa patriam. — Die Voranstellung von catisa vor den Genetiv
findet sich zwar schon vereinzelt bei Terenz und Qnintilian
(Arch. 1 174), wird aber doch erst im Spätlatein häufiger. Unsere
Lemmata bieten dafür einen Beleg 11, 56 Philosophus cat4^a pau-
pertatis professus. — Das interessanteste Lemma in syntaktischer
Beziehung steht 6, 58 Amicum de ])eregre reversum alloquitur.
Wir haben darin einen Vulgarismus zu erblicken, den auch der
Grammatiker Charisius p. 111, 21 K. (vgl. Serv. ad Verg. Aen. 2, 15)
als solchen bezeichnet, wenn er sagt: ^Peregre venit' sine prae-
positione dicendum. Vim enim adverbii habet. Cui praepositio
non adicitur, ut *rure venit', non ^a rure' nee ^a peregre\ Die
getadelte Verbindung begegnet bei Vitruv 5, 6, 8 una a foro,
altera a pereg^rp, und es stimmt dieses Vorkommen schlecht mit
der immer noch allgemein festgehaltenen Annahme, Vitruvs Werk
stamme aus der augusteischen Zeit, dagegen weit eher mit Ussings
(vgl. Arch. X 301) Aufstellung, „dafs der Autor viel später ge-
schrieben habe". Denn abgesehen von der Vitruvstelle gehören
üb. das Alter d. Martial-Lemmata i. d. Hss. d. Familie B. 461
die Belege für diesen Vulgarismus dem späteren Latein'*') an.
Georges citiert in peregrc aus Orelli inscr. 7383 (= C. I. L. XIII
1897), Vulg. Eccl. 29, 29, Pastor Hermae tom. I p. 69, 60 HUg.,
Heraeus aulserdem aus Not. Tir. 67, 58 Schm.; vgl. Schmitz, Bei-
trage S. 291 ff.; Neue -Wagener IP p. 647 in peregri aus Anthol.
lat. ed. Biese 485 y. 54 (vgl. a niani bei Plautus Most. 534 und
dazu Lorenz). Docli angenommen, man habe a peregre schon in
der augusteischen Zeit in der Umgangssprache gesagt, wie a niane
sich sogar einmal bei Cic. ep. 9, 26, 3 findet (die übrigen Stellen
sind gesammelt bei Neue -Wagener P p. 356 f.), so giebt uns der
Umstand, dafs man im Spätlatein auch de mane (= frz. demain)
sagte, z. B. Augustin. confess. 11, 23, 20, Vulg. öfters), einen deut-
lichen Fingerzeig dafür, in welcher Zeit de peregre für a (und
wohl auch e) peregre eintrat. Bei den Scriptt. bist. Aug. (3. — 4.
Jahrb.) beginnt der Gebrauch der Praep. de für ex zuerst häufiger
zu werden, vgl. Gapitol. Pert. 4 de castris cum venisset, Vulcat.
GalL 6 de castris submovit, Vop. Firm. 5 de Carris redeunte und
ebenso Eutrop. (2. Hälfte des 4. Jahrb.) 9, 19 rediens de Per-
side. Und so finden wir denn auch de peregre nicht vor dem
4. Jahrhundert, zuerst bei Firm. Mat. 3, 4, 14 cito de peregre revo-
cabitur ad patriam und in der Expos, totius mundi § 55 (p. 120,
16 Riese), deren barbarische Übersetzung aus dem Griech. ins
Lat. man ins 5. Jahrb. setzt: quae veniunt de peregre (wofür die
abgeglättete Recension e peregrinin bietet). Als dritter Beleg
reiht sich nun gut unser Lemma ein: reversiis de jyeregre.
Phraseologie. a)Substantiva. Ein spätesWort ist Cf>rtc?«ire**)
= concubina. Der erste bekannte Beleg stammt aus einem Briefe
(37,6) des Papstes Innocentius (401 — il7) und giebt uns damit
auch für die Datierung unserer Lemmata einen wichtigen Anhalts-
punkt: 12, 86 lautet Me eo, qui non arrigebat et commbas habebat'. —
Derselben Zeit gehört an das Subst. didcia 5, 39, Plur. von dul-
*) Der älteste Beleg für 'iw peregre* wird aus Plautu«' Caecus oder
Praedones citiert von Charis. p. 212, 20, en^-eist aber gerade, wenn er richtig
überliefert ist, die Unechtheit der betreffenden Komödie, deren Entstehung
wohl lange nach Plautus fällt; PL selbst kennt diese Konstruktion nicht.
Übrigens deutet Leo Plautus ü S. ö28 vielleicht richtig in als isne. Skutach
in der Festschrift für C. F. W. MiQler p. 99.
**) Heraeus vergleicht die ebenfalls späten Wörter accuha und succuba,
ersteres Corj). Gl. L. V 589, 35 mit letzterem erklärt, letzteres aufser Prud.
und Apul. in den Glossen (s. Thes. s. v.), Not. Tir. 35, 71, Gregor. Tur. bist.
Franc. I 25.
Archiv für lat. Lexikogr. XII. Heft 4. 31
462 Gustav Landgraf:
cium = Kuchen, Backwerk, das Georges belegt mit Stellen aus
Lampr. Heliog., Vop. Tac, Prud. psych., Schol. luv. — refributio
9, 9 ist ein in der Vulgata häufig gebrauchtes Subst. In dem
Lemma 11,59 de Charino, qui anuinrem non habebat mufs ^ann-
laris^ dem Ausdruck dactyliotheca bei Ttfartial entsprechen, also
die Bedeutung = Ringkästchen haben. Die lat. Sprache scheint
dafür kein eigenes Wort gehabt zu haben, in den griech.-lat
Glossen steht 11,266, 12 daxrvXiod'Tlxrj ohne lat. Interpretament.
Wir haben also in anularis wohl einen Versuch zu sehen, dieses
Adjektiv mit der substantivischen Bedeutung * Ringkästchen' zu
begaben, wobei man etwa arca zu ergänzen hat, nach Analogie
von vinarium, salinum sc. vas oder caldaria, caroenaria sc. olla.
b) Adiectiva. Das Adjektiv penitus ist bis jetzt im Lat.
nur in Verbindung mit offa nachzuweisen = Schwanzstück. Li
unseren Lemmaten steht es in obscönem Sinne 9, 63 de Phoebo
penito philopygista (s. oben) und 11,51 de Titio penito, — Ein
Produkt des 4. Jahrh. scheint das Wort tussicwf (= zum Husten
geneigt) zu sein; bei Georges finden wir Belege aus Firm. Mat.,
Sext. Emp. und Vegetius. Dazu kommt jetzt Lemma 11,86 de
gyloso tnssiro. — Derselben Zeit gehört das Adjektiv inprae-
siaffilis an, das man bislang nur aus Firm. Mat. 8, 29 und Salv.
gub. dei 4 § 53 kennt. Den dritten Beleg liefert uns Lenimia
10, 27 de Diodoro inpracHUibili in L, während in Q steht ^qui
praestare nolebat'.
c) Verba. Erwähnung verdienen febrire und manducare 12,
17; insinuare Carmen alicui 7,99; arrigere absolut gebraucht im
obscönen Sinne sc. penem 12, 86 (s. oben imter concuba), wie
schon Sueton Aug. 69 fin. und oft bei Martial (s. den Index von
Friedländer), und besonders tristari 5, 78 = traurig, betrübt sein:
wie sein Vorkommen bei lul. Val. (Konsul 338), Schol. luv. imd
in der Vulgata beweist, ebenfalls ein Erzeugnis des 4. Jahrh.*)
Unsere Analyse hat ergeben, dafs die Sprache der Lemmata die
meisten Berührungspunkte mit der des Augustin (detractor, eversor,
iactanticulus), Amobius (maletractatio, donaria), Macrobius (para-
bola), den Scriptt. hist. Aug. (dulcia), Firmicus Matemus (de peregre,
inpraestabilis, tussicus) imd der Vulgata (retributio) aufweist,
alles Schriftwerke des 4. und 5. Jahrh. n. Chr. Dagegen findet
*) Heraeus citiert noch Fuljr. p. iö6, 14 u. 169, 10 Helm, Schol. Ter.
p. 125, 21 Schlee, oft in den späten Sortes Sangallenses ed. Winnefeld
(Bonn 1887), Gloss. s. v. maoreo (raaeret : tristatur).
üb. das Alter d. Martial-Lemmata i. d. Hss. d. Familie B. 463
sich kein Wort oder eine sprachliche Erscheinung, die über die-
sen zeitlichen Rahmen hinausführte. Wir sind im Gegenteil in
der Lage, die Entstehungszeit innerhalb der angegebenen Be-
grenzung noch genauer zu fixieren. Das Subst. conaiba gebraucht
nachweislich zuerst Papst Innocentius, der von 401 — 417 episcopus
urbis Romae war. Stimmt das nicht auffallend zu der Thatsache,
dafs die Gennadiusrecension (s. oben) im J. 401 n. Chr. veran-
staltet wurde? Und weiter — Claudianus, der bald nach 404
starb, verfafste ein Gedicht (Nr. 22 bei Jeep) mit der Überschrift
*efe muJahus Gallicis' — scheint nicht nach diesem Muster die
Überschrift zu Mart. 11, 79 ^de mulahus miseri Paeti' gemacht
zu sein? Nicht genug, wir finden sogar unter den Episteln des
Claudian eine (Nr. IV bei Jeep) epistula ad Gennadium procon-
sidenr^ nach Cod. Theod. XIV 27, 1 war dieser Gennadius im Jahre
396 praef. Augustalis. (Vgl. über ihn Chatelain ^Paleogr. Class.'
II pl. 152). Mufs man da nicht unwillkürlich an einen Zusammen-
hang zwischen diesem Gennadius und dem Korrektor des Mar-
tialis vom Jahre 401 denken? Nichts steht somit meiner Ansicht
nach der Annahme entgegen, dafs die Lemmata in den Hss. der
Familie B entweder von Gennadius selbst verfafst wurden oder in
seinem Auftrag von seinen Gehilfen bei der Arbeit, die er ja
selbst am Schlufs des XIII. Buches erwähnt: ^Emendavi ego Tor-
quatus Gennadius cum caeteris Gennadi vatibusJ^ Mifsverständ-
nisse allerdings wie 7, 55 de superbia Chrcstesii (aus dem ersten
Vers dieses Epigramms entstanden: nulli munera Chrcste si re-
mittis) oder Verst(>fse wie 9, 1 de Caesare et Domitiano lassen
uns den oder die Lemmatisten eher in den Reihen der Gehilfen
des Gennadius suchen.
München. (jnstav Land^af.
Perens.
In der eben erschienenen vierten Lieferung des Thesaurus 1. 1. II, 2
wird unter den Epitheta der Ära caelestis angemerkt (p. 388, 79):
„Manu, V 340 ferens iuris''. Das ist eine irrige Angabe, hervor-
gegangen aus einer unrichtigen Interpretation jenes Verses, die ihrer-
seits wieder veranlafst ward durch die hier von vielen, auch dem
Kommentator Stoeber, verkannte Bedeutung des Participiums ferens.
Der Vers lautet in den Handschriften: Ära ferens iuris sifllis imi-
464 Hans Moeller: Miscelle.
iantibus ignem] von imüautibus ist abhängig i^nem turis^ das lehrt
die Überlegung, da zu imitari ein Objekt gefordert wird, und die
nämliche Ausdrucksweise in Vers 417 (Belphinus) squamam stellis
imitaniihtis exU, Somit steht ferens absolut imd zwar, wie bereits
Scaliger zu dieser Stelle anmerkte (p. 388 der Ausgabe des Jahres
1655), in der Bedeutung von avatptqo^dvri^ d.h. als Participium zu
ferri. Der ganze Vers bedeutet also Ära turicrema*) surgens.
Dieser passive Gebrauch von ferens war seither nur aus Corne-
lius Nepos Datam. IV, 5 bekannt (cf. Forcellini II 279 s. v. ferens;
Dräger, histor. Synt. I* 141; Neue -Wagener, lat. Formlehre III' 12), aber
er läfst sich noch an einer zweiten Stelle des Manilius und noch bei
einem Dichter der Republik nachweisen. Denn man wird in dem
Vers 395 desselben Buches wohl besser (mit Scaliger p. 398) ferens
absolut fassen, als aus dem vorhergehenden Verse ^se' ergänzen, wie
es z. B. Stoeber thut, da dieses dann einmal zu dem verbum finitum
und das andere Mal zu einem infinitum treten würde.
Der vierte Beleg, von Scaliger a. a. 0. p. 388 beigebracht, bietet
besonderes Interesse, da er zeigt, wie jener auf den ersten Blick den
Inhalt und die Form eines Fragmentes erkannte, lun dessen Verständnis
noch heute die Neueren, denen (wie auch dem Macrobius- Herausgeber
Ejfsenhardt) seine verborgene Erklärung unbekannt blieb, ringen. Macro-
bius bringt aus des Egnatius Gedicht de verum fmtura zwei Fragmente,
deren erstes VI 5, 2 lautet ^Benique MiUciber et ipse ferens aUissima
caeli Conüngunf, Bergk (Opp. I 430. Abhandlung aus dem Jahre
1846) und Bährens (Anal. Catull. p. 45) sahen zwar, dafs et zu
streichen war, das auch im Cod. Paris, fehlt, aber sie verstanden
durchaus nicht den Inhalt der Worte, was ihre Konjekturen erweisen.
Denn jener schlug vor ^furens — conüngif imd dieser ^petens — continuo i/'.
Scaliger schreibt ohne weitere Erklärung Denique Mulciber ipse ferens
altissima caeli Contingit und fügt als Erläuterung hinzu ^significat
ignis regionem in supremo loco esse'. Diese Ausscheidimg des Feuers
aus dem Chaos und sein Emporsteigen in den höchsten Weltraum
erwartet man mit Recht in einem Gedicht ^de rerum natura' be-
schrieben (cf. Ovid. mei I 26 sq. Manil. I 149), und man wird daher
wohl zugeben müssen, dafs Scaliger den Gedanken des Dichters er-
fafst und ihm den richtigen Ausdruck gegeben habe.
Es ist also das Maniliuscitat in dem Thesaurus zu streichen,
doch mufs man an seine Stelle ein anderes, dort vergessenes setzen.
Denn I 420 giebt er dem Sternbild mit Bücksicht auf die Sage das
Epitheton 'victrix'.
*) Man Rieht, Manilius umschreibt mit den Worten t. st. i. i. das tori-
bulum, aber dafs ihm dabei die Darstellung der Ära als Weihrauchbecken
nicht notwendigerweise vorgeschwebt haben mufs, lehrt Hygin p. a. III 38
Ära habet in summo cacumine tunbüli qtiod formatur Stellas IL
Marburg i. H. Hans Moeller.
Herrn Gehelmrat Ed. von Wölfflin zum 71. Geburtstage.
Die Hegesippus -Frage.
Die Entscheidung über die Frage, ob Ambrosius der Ver-
fasser der unter dem Namen des Hegesippus gehenden lateini-
schen Bearbeitung des Geschichtswerkes des Josephus über den
jüdischen Krieg sei oder nicht, kann nur durch eine eingehende
Prüfung und Vergleichung der Sprache dieses Buches mit den
Schriften des Ambrosius herbeigeführt werden. Alle anderen Argu-
mente, die bis jetzt gegen die Autorschaft des Ambrosius ins Feld
geführt wurden, haben sich als nicht ausschlaggebend oder als nicht
stichhaltig erwiesen, vgl. die Besprechung der Dissertation von
F. Vogel y De Hegesippo qui dicitur losephi interprete (Erlangen
1880) durch K Bönsch in der Philol. Rundschau 1881 Sp. 602 flF.
und dazu 31, Ihm in seinen gehaltvollen *Studia Ambrosiana'
1889 S. 62 ff. Während nun die Heranziehung des ambrosiani-
schen Schriftkomplexes von Seiten Vogels zur Lösung der Frage
als unzureichend gelten mufste, verzichtet der neueste Gegner
der Verfasserschaft des Ambrosius, E. Klebs, in der Festschrift
für Friedländer 1895 S. 210 ff. überhaupt auf eine solche Ver-
gleichung, dagegen giebt er die Nachahmungen des sog. Hege-
sippus aus Sallust gesichteter und vollständiger als Vogel (in
den Act. Erlang. I 550 ff.; H 409), aus Tacitus und Cicero aber
nur in spärlicher Auswahl. Und doch hatte bereits H, liönsch
in seinem überaus fleifsigen Aufsatz „Die lexikalischen Eigen-
tümlichkeiten der Latinität des sog. Hegesippus" in Vollmöllers
Romanischen Forschungen I S. 256 — 321 (wieder abgedruckt in
den Collectanea philologa S. 32 ff.) reiches Material zur Lösung
der Frage auf dem oben angedeuteten Wege vorgelegt, ja am
Ende seiner Untersuchung förmlich dazu aufgefordert, „unter
Benutzung des vorliegenden Materials die Beantwortung der
Hegesippus-Frage zu übernehmen". Seitdem sind zwei Decennien
verflossen, ohne dafs dieser Aufforderung Folge geleistet wurde.
466 Gustav Landgraf:
Wenn ich im Folgenden, zunächst auf Gh:nnd eigener Beobach-
tungen und Sammlungen, dann aber auch unter gelegentlicher
Beiziehung, Berichtigung und Vervollständigung der Abhand-
lungen von Rönsch und Ihm, die Frage wieder aufnehme, so
liegt die äufsere Veranlassung in dem Umstände, dafs wir jetzt
wenigstens für einen grofsen Teil der Schriften des Ambrosius
die zuverlässige Ausgabe von K. Schcnlcl besitzen (die in den bis
jetzt erschienenen zwei Bänden enthaltenen Schriften werden hier
einfach mit I und U und Seitenzahl citiert); andrerseits glaube
ich das bei Rönsch und Ihm gesammelte sprachliche Material
durch einige neue, wie mir scheint, beweiskräftige Berührungen
vermehren zu können.
Ihm bemerkt mit Recht S. 82, dafs sich die Nachalimung
des Ambrosius besonders auf drei Schriftsteller erstrecke, nämlich
auf Verf/il, Sallust und Cicero. Ist also Ambrosius der Ver-
fasser der lateinischen Bearbeitung des losephus de hello ludaico,
so mufs auch die Sprache dieses Schriftwerkes eine starke An-
lehnung an jene drei Autoren zur Schau tragen. Dafs dies be-
züglich des Sallust in ausgedehntestem Mafse der Fall ist, haben
die Analysen von Vogel und Klehs ergeben. Für Veryil zahlt
eine Reihe von Nachahmungen auf Ihm S. 83, vgl. Klehs S. 230;
doch können diese noch bedeutend vermehrt werden, wie folgende
Liste zeigt (einige Nachweise verdanke ich meinem Freunde Prof.
Dr. Weyman):
I 3 inde mali prima oborta est labes und IV 6,2 haec
(1. hinc mit C) prima labes malorum = Aen. 2, 97 hinc
mihi prima mali labes.
I 8 und V 23 fin. si qua est pietas = Aen. 2, 536.
I 19, 2 quos ubi confertos Alexander vidit = Aen. 2, 347.
II 2,4 haec est promiss/ fides: zu verbessern nach' Aen.
6,346 en haec promissa fides est?; vgl. 11 5 fin. promissa
moderatioris imperii fides est.
in 11, 1 fenestram daret = Aen. 2, 482.
in 18, 3 certabant capto inludere = Aen. 2, 64.
IV 10, 1 und 23, 2 dives opum = Aen. 1, 14. 2, 22.
V 15 curru sublimis et equis = Aen. 7, 285 sublimes
in equis.
V 23 fin. fortasse quisquam hostium miserebitur = Aen.
2, 645 miserebitur hostis.
Es bleiben noch die Stellen übrig, die sowohl im Bell. lud.
Die Hegesippus-Frage. 467
als auch in anderen Schriften des Anibrosius aus Vergil eni-
nommen sind. Dahin gehören: furens animi Bell. lud. I 38^5
und 40,9, Ambr. ep. 1,20 = Aen. 5,202; integer aevi Bell,
lud. V 22, Ambr. ep. 53, 3 = Aen. 2, 638; manifesta fides Bell,
lud. I 41, Ambr. I p. 572, 3 = Aen. 2, 309; telorum seges Bell,
lud. V 1, Ambr. I 218, 17 = Aen. 3, 46; Bell. lud. V 23 ut ipso
inter eins manus supremum exhalaret spiritum . . ille Ulti-
mos ore anhelitus legeret, ille oculos morientis clauderet] Ambr.
de exe. fr. I 19 (ed. Schenkl, Mailand 1897) halitus supremus
evanuit . . . extremum spiritum ore relegebam (1. legebam!)
. . . Ultimi hanelitus tui vigor = Aen. 4, 684 extremus si quis
super halitus errat ore legam. Die Phrase oculos morientis
claudere kehrt auch de exe. fr. I c. 36 einmal mit, einmal ohne
den Zusatz Ton 'morientis' wieder. — BeU. lud. HI 17 in form em
leti laqueum homines inyenerunt, ib. IV 10,4 informis laquei
nodus etiam probro datur, ib. V 50 ni praeacuto gladio nodum
informem intercidisset; Ambr. 11 p. 524, 2 informis laquei
nodum stringitis, ib. p. 544, 22 deformis nodum mortis ex-
pressit = Aen. 12, 603 nodum informis leti trabe nectit ab alta.
Ehe wir zu Cicero übergehen, sei je eine Terenz- und Ovid-
nachahmung hier eingeschoben, die gleichfalls dem Bell. lud. mit
den echten Ambrosiusschriften gemeinsam sind: Bell. lud. IV 7
latrocinio sumptum exercent suum; Ambr. 11 p. 475, 23 rapinis
sumptum exercent suum; ib. p. 214, 8 üt mercede sumptum
exerceret suum; in Psalm. 43 qui vendendis mancipiis sumptum
exercent suum. Wie schon die konstant beibehaltene Wort-
stellung zeigt, ist das Vorbild Ter. Haut. 143, allein hier lesen
die neueren Texte mit einer kleinen, aber sehr bemerkenswerten
Abweichung *qui opere rustico faciundo facile sumptum exer-
c?'rent (= exsercirent, nach Fest. p. 81 = sarcirent) suum, während
der Bembinus exerc^rent bietet. Daraus folgt, dals Ambrosius
in seinem Terenzexemplar ebenfalls die Lesart exercerent vorfand
und in dieser Form die Verbindung in seine Schriften nicht nur
herübemahni, sondern — ein deutliches Zeichen, in welchem
Sinne er die Wendung auffafste — sogar Variationen dazu bildete,
wie de Virgin. I vi c tum operibus exercent. Ist es nun wahr-
scheinlicher anzunehmen, dafs der unbekannte Verf. des lat. Bel-
lum lud. auf demselben Wege wie Ambr. zu der sonst nicht
belegbaren Wendung sumptum exercere kam und infolge der
gleichen Auffassung die der ambrosianischen ähnliche Phrase
468 Gustav Landgraf:
Titam exercere bildete, die wir IV 4, 1 lesen *qui latrocinio
vitam exercerent suam', oder liegt nicht vielmehr in diesem
einzigartigen ZusammentreflFen ein zwingender Beweis für die
Identität des Verfassers? Das gemeinsame Orrrfcitat, zu dem
wir jetzt kommen, wird uns in dieser Annahme nur bestärken.
Ambros. 11 p. 112,5 lesen wir scyphum misit ut fratrem (Ben-
iamin) quem diligebat pia fraude revocaret in Nachahmung
von Ovid Metam. 9, 712 inde incepta pia mendacia fraude
latebant. Sollte es nun wirklich ein blofser Zufall .sein, dafs
auch der Verfasser des Bell. lud. V 15 diesen ovidianischen
Ausdruck gebraucht und zwar in dem gleichen Zusammenhang:
Beniamin pid fraude germani retentus? Auch an anderen
Stellen finden wir bei Ambr. Anklänge an Ovid, so z. B. II
p. 346, 2 tacito vultu alterum innocentem pronuntiavit, altemm
peccatorem, vgl. amor. 1, 11, IH e tacito vultu scire futiira
licet. An einer zweiten Stelle ist dieses Citat mit einem cieero-
nianischen verquickt, nämlich I 491, 27 si quidem etiam tacito
vultu pietas (sc. patema) frequenter offenditur. Dieser
Ausspruch geht zurück auf Cic. p. Rose. Am. § 37 vultu saepe
laeditur pietas. In höchst charakteristischer Weise finden wir
nun denselben auch im Bell. lud. I 38, 3 verwendet, wo es heifst:
'oifendebatur Herodes vel tacito filiorum ingenio excitatiore
quam patema pietas pati posset, quae etiam vultu frequenter
laeditur' — also nicht nur ist in beiden Stellen 'etiam' bei-
gefügt,, sondern für saepe tritt hier wie dort frequenter ein,
ein Lieblingswort des Ambrosius, das mehr imd mehr in die
Stelle des untergehenden saepe einrückt. Nachahmungen der
Rosciana Ciceros finden wir wiederholt im Bell. lud., so I 15 fin.
und ni 15, 1 primo diluculo = Rose. Am. § 37; III 3, 4
affinis crimini, IV 10, 1 affinis sceleri (vgl. Ambr. ep. 63,59
flagitiis affinis) = Rose. Am. § 18 affinis culpae, SuU. § 17
affinis sceleri; II 10, 1 praeruptae vir audaciae = R. Am. § 68
praenipta audacia. Auf andere Schriften Ciceros sind zurück-
zuführen die Ausdrücke I 15, 1 und V 6 fin. de manibus amit-
tere = Verr. lU § 33, IV § 44 u. ö.; BeU. lud. V 46 ut ad
triumphi cumulum ipse'oceanus accederet = Cluent. § 74. In
den ambrosianischen Schriften hat Schenkl zahlreiche Anklänge
an Cicero notiert, doch sind ihm einige entgangen, wie I 352, 12
dies nie citius defecerit = Verr. IV § 59; 11 338, 1 delibu-
tus unguentis, redimitus floribus = de rep. IV 5 redimitus
Die HegeRippuB-Frage. 469
coroniB et delibatus ungaentis; I 510, 12 eligendi optio = de
fin. I § 33^ Bmi § 189. Dafs auch die Aufdecknng einer Nach-
ahmimg für die Textkritik wichtig werden kann (ygl. oben S. 466
promissa fidesi); zeigt eine Stelle im I. Buche de ezc. fr. § 44,
wo Schenkl schreibt nullum ad referendam gratiam maius
esse officium unter Verwerfung der von CAa gebotenen Lesart
referenda gratia, welche durch Vergleich mit der Quelle, nämlich
Gic. off. I § 47 ^nullum enim officium referenda gratia magis
necessarium est' als die allein richtige erwiesen wird.
Wir yerlassen hiermit die imitatio Ambrosiana und gehen
zu den lexikalischen Berührungen zwischen dem Bell. lud. und
dem Corpus Ambrosianum über, wobei wir jedoch nur das Wich-
tigste und Frappanteste herausgreifen wollen.
Aus der Formenlehre yerdient zunächst jBrwähnung die
nach Rönsch 1. 1. S. H2 und Georges im Lexikon der lat. Wortf
nur Bell. lud. II 10, 6 (immane quantum insoleyerat); III 13 in.
(insoleverat); II 1, 2 (insolevisset) und Ambros. in Psalm. 118
serm. 10 (nimium insoleyerat) sich findende Perfektform in-
soleyi. Noch auffallender ist die Übereinstimmung im Gebrauche
der (sonst sehr seltenen) Form adorsus für adortus. Rönsch
zahlt S. 78 die in Betracht kommenden Stellen auf; übersehen
ist Bell. lud. 5, 53, 1 hunc sermonem adorsus est, doppelt
wichtig, weil si^ sich deckt mit Ambr. epist. 20, 14 und 25
hunc sermonem adorsus sum, vgl. I 169, 12 sermonem
adorsus. Rönsch will in solchen Verbindungen adorsus von dem
sonst nicht belegten Deponens adordior ableiten; das ist nicht
nötig, denn adorior teilt mit adgredior die Bedeutimg = jem.,
etwas angreifen, sich an etwas machen, etwas beginnen, daher
man auch Bell. lud. I 32, 5 die Verbindung liest trepidantes hoc
sermone adorsus est. Von den übrigen Verbindungen ist am
interessantesten die mit bellum, weil sie wiederum eine über-
raschende Konkordanz uns bietet, nämlich Bell. lud. V 16 quos
inconsulto domino bellum adorsos = Ambr. off. I 35, 177
nunquam nisi consulto domino bellum adorsus.
Wortschatz. Eine eigentümliche Verwendung zeigt der
Abi. des Substantivs contuitus = in Hinsicht, Rücksicht auf:
B. lud. I 3 morum contuitu; ib. 12, 4 bonorum c; 3^, 6 recon-
ciliatoris; 44, 3 eins c; V 22 patriae, ib. sacramentonim, ib. 46 fin.
contuitu regalis fastigii, womit man vgl. Ambr. II p. 317, 13
contuitum regalis potentiae non habendum, für den Abi. con-
470 Gustav Landgraf:
tuitu Ambr. I p. 515, 19 nollo c. pudoris moTentur, p. 501, 16
huius viri c, de exe. fr. 11 17 necessitatis c. und in Luc. 10, 51
e. utilitatis. — Nach Rönsch S. 81 f. findet sich sedulitas in
der Bedeutung = Freundlichkeit, Artigkeit, Zuvorkommenheit nur
bei dem sog. Hegesippus und Ambrosius. Es genüge hier, zwei
Belege zu geben. Bell. lud. 2, 4 delectatum eins sedulitate et
pudicitia — Ambr. I 614, 10 angelus venit ad Mariam et cum
sedulitate et gratia venerat. In gleicherweise hat das Adjektiv
sedulus die Bedeutung = zuvorkommend, gefällig: BelL lud.
3, 16 in. quid sibi volunt tam sedula subito invitamenta hostium?
Ambr. oflf. II 7, 32 David quam sedulus corde, facilis affittu. — ^...^^
Das, wie es scheint, von Vergil geneuerte Adjektiv accommodas P^-
findet sich bei Heges. wie bei Ambros. gerne in Verbindung mit
dem Subst. usus, so BeU. lud. 3, 20, 1 quae usui praedonum
accommoda forent; 4, 11 in. ex usu vulgi accommodum —
Ambr. in Psalm. 36, 15 accommodum ad usum vivendi. Be-
liebt ist bei beiden die Verwendung des Subst. usus im Plural,
vgl. Ambr. I p. 77,7 in hos vivendi usus, ib. p. 12,5 und
Exhort. virg. I 25 in hos usus — Bell. lud. 1, 29, 9 ad hos
usus; ib. 30,3 in hos usus; 1,40,12 in usus suos. — Das
Adjektiv perfunctorius kommt wohl auch bei anderen späten
Schriftstellern vor, doch ist für unseren Fall besonders charakte-
ristisch das Auftreten des Adjektivs wie des Adverbs in Ver-
bindung mit einer Negation: BeU. lud. 2, 9 non perfunctoria
bellorum materia; Ambr. I 445, 17 non -a consideratio; p. 501, 16
non -um; 11 544, 12 non novum nee -um hoc malum est, ep. 37,33
non -a opera; non perfunctorie: BelL lud. 1, 17, 2, Ambr. I
253, 13. 318, 12. 342, 4. 577, 9. II 12, 8, de exe. fr. H 33, ep.
19,10. 73,1; haud perfunctorie: Bell. lud. 1,37,5; nee p. ib.
1, 44, 8. Beiläufig erwähnt sei hier noch der sowohl bei Heges.
wie bei Ambros. auffallend oft in die Erscheinung tretende Er-
satz von omnis durch universus, bes. im Gen. Plur. univer-
sorum. Wir haben z. B. nur aus dem V. Buch des Bell. lud.
folgende Stellen hierfür notiert: p. 284, 12 W. 338,41. 343,27.
348, 12. 361, 35. 368,46. 376,20 ac prope universorum stragem
fecisset, und aus dem I. Bande des Ambrosius: p. 89, 18. 163, 10.
182, 16. 204, 13 tanto non paucorum, sed universorum iudicio.
205,4. 248,10. 358,22. 507,14 singulorum — universorum etc.
Weder bei Rönsch noch auch bei Georges finde ich den eigen-
tümlichen Gebrauch von convenire = commonere, admonere
Die Hegesippiis-Frage. 471
erwähnt; der unseren Schriftwerken gemeinsam ist. Es i8t des-
halb nötig; eine gröfsere Anzahl von Stellen hier vorzuführen.
Zuerst aus dem Bell. lud.: 1,41,3 conveniri se ac perurgeri
peremtorum qnerellis, ut tarn ätrox flagitium ulcisceretur;
5, 15 fin. at ille, qui oratiöne non flectebat indomitos, scripturarum
quoque testimoniis cbnveniehdos arbitrabatür; ib. 16 con-
ventus propheta tantae miseriae deformitate; 4, 23, 3 at ille
dorus, qui nullius affectu conveniretur (= permoveretur);
5, 12 Simon suos urgebat terrore et formidine, Titus pudore
Bui quam maxime conveniebat; 5, 27 nam usitati operis ad-
hortatio non solum conventis, sed etiam convenientibus
afifert pudorem — Ambr. de virgin. I 1 nüllo affectu (wie. B.
lud. 4, 23, 3, s. oben) conventa matemo; de ob. Valent. 20 cum
patemo conveniretur exemplo; I 48, 3 eins contemplatione
conventus; 322, 2 suprema voce convenit filium, ut; 336, 8
horum commemoratione conventus; p. 567,4 postulabis dila-
tionem, cum coeperis conveniri in tempore praescriptae solu-
tionis. Unter die Wörter, die Hegesippus nicht mit Ambrosius
gemeinsam haben soll, zählt Bönsch mit Unrecht incentivum
S. 40 (vgl. Ambr. I p. 131, 4 und ep. 4, 8 i. libidinis; U p. 420, 8
und de virg. I 18 i. vitiorum; de oflF. 11 28 i. misericordiae) und
S. 45 diloricare, vgl. Bell. lud. 1, 25, 2 Antipater scidit vestem
et . . diloricato amictu = Ambr. de exe. fr. 1112 discisso
amictu, diloricata veste.
Daran schliefsen wir die Besprechung einer weiteren Reihe
ungewöhnlicher Verbindungen, als da sind: iniurias inrogare
BeU. lud. in 2. IV 7 — Ambr. ofF. EI 6, 39 nulli inrogatur
iniuria; ep. 6, 19. — dolorem absorbuit Bell. lud. 5, 40 — Ambr.
de exe. fr. I c. 51. II 211, 17. — Mit BeU. lud. 5, 44, 1 qui tunc
temporis a Romanis per id locorum publica agitabat negotia
vergleiche auch Ambr. de exe. fr. I 47 forte ad id locorum
(= Sali. lug. 63, 6) in schismate ecclesia erat: Lucifer enim se
a nostra tunc temporis communione diviserat. — Die an die
Stelle der klassischen Redensart nullo negotio tretende spätlatei-
nische facili negotio treffen wir sowohl im Bell. lud. 1,30,3.
2, 18 als Ambr. ep. 19, 22. — Die mir sonst aus keinem Schrift-
werke bekannte Verbindung liquido claret steht sowohl B. lud.
I 1 fin. als Ambr. II 288, 1, und zwar beidemal das Verbum in der
nämlichen Form clareat. Desgleichen dürfte nur bei beiden sich
finden die Phrase incerto haeret, nämlich B. lud. 1,16,3
472 Gustav Landgraf: Die Hegesippns-Frage.
haesit animi dubio sententiaeque incerto, ib. 130,9 rex in-
certo haesit — Ambr. de ob. Theod. 45 incerto haeret nt
mulier.
DaTs auch von den rhetorischen Klangmittehi der Allitte-
ration und des Reimes (Homoioteleuton) in den beiderseitigen
Werken ausgiebiger Gebrauch wird, beweist fast jede Seite. Von
vielen Beispielen nur ganz wenige: Bell. lud. 5, 23, 9 miserabili
quidem sorte sed tolerabili tarnen — Ambr. exe. fr. I c. 8 nox tam
mea virtute habilis, quam tua patientia tolerabilis, ib. c. 19 fin.
quae non lacrimabili dolore percuteret adfectum, sed memora-
bili gratia commendaret heredem. — Bell. lud. I 36, 2 huie con>
tinuo honorem contulit et mortem intulit (Paronomasie) —
Ambr. exe. fr. I 37 iam nuUa mihi verba referentem, iam nulla
offerentem oscula. — Bell. lud. I 36 fin. nihil occultum
nihilque inultum patiebatur — Ambr. 11 96, 20 sera quidem
ista est, sed utinam vera confessio (nach Ovid. Pont. 2, 6, 7
Vera, sed sera). Den BeschluTs mache eine schöne Assonanz,
die in gleicher Form sich hüben wie drüben findet: BelL lud.
5, 2 m. misericordia, quae sola solet ablevare miserias,
solari aerumnas — Ambr. de exe. fr. I c. 37 qui solus maeren-
tem solari solebas. Beachtenswert ist hierbei noch, dafs das
an der Hegesippusstelle gebrauchte Yerbimi ablevare = ab-
nehmen, erleichtem nach Rönsch S. 81 zu den Wörtern gehört,
die nur bei Hegesippus und Ambrosius vorkommen; er citiert
dafür noch: Bell. lud. 11 4 vestimenta ablevat — Ambr. de bono
mort. 5, 16 ablevemus animam nostram; de faga saec. 7,38
ablevare se a saeculo, ablevare a corpore; epist. 68, 3 ex. und
de exe. fr. I 75 maestitiam fratemae mentis ablevare properabas;
vgl. de vid. I 36 dolorem ablevat.
Ich meine, die im Vorstehenden gesammelten Konkordanzen
sprechen für sich selbst und bestätigen nur aufs neue den alten
Ausspruch Reifferscheids: „Dafs der Verfasser dieses Auszuges
aus Josephus Ambrosius ist, hätte nie bezweifelt werden
sollen", zumal „derselbe durch die Autoriföt der ältesten Hand-
schriften*) als solcher beglaubigt ist'^
München, Weihnachten 1901. Gnstav Landgraf.
♦) Dagegen Vogel, Z. f. österr. Gymn. 1883, S. 244 ff. Ders. in den
Roman. Forsch. I 416 ff. Die Red.
Zur Geschichte der Pronomina demonstrativa. I Y.
FortBetzong von S. 866 ff.
In den letzten Kapiteln seines Werkes bespricht Header
S. 193 ff. den Ersatz des Pronomen determinativum is durch ille,
idem, ipse, auch hie, und die yerschiedenen Versuche, mit Hilfe
der Pronomina einen bestimmten Artikel zu gewinnen, den die
Lateiner Jahrhimderte lang entbehrt hatten. — Wie das klang-
lose Pronomen is in der Poesie immer mehr vermieden wurde,
war schon im ersten Kapitel (vgl. Arch. XI 369 ff.) gezeigt wor-
den, und so war die notwendige Folge, dafs kräftigere Formen
an die Stelle treten mufsten.
Die interessantere Erscheinung in der Sprachgeschichte sind
übrigens die Ansätze zur Bildung eines bestimmten Artikels.
Wie ille siegreich aus dem Kampfe hervorgegangen ist (vgl. ital.
il und lo), so tritt es auch zuerst als Bewerber auf, und zwar,
abgesehen von Plautus Mil. 819 (Sorbet. lUud *stertit' volui di-
cere), schon in Ciceros Übersetzung der Aratea. Denn wenn er
Nat. deor. 2, 114 schreibt:
fervidus ille Canis stellarum luce refulget,
so entsprechen in dem griechischen Texte nur Kwög^ KaQxCvov^
KQibg, TavQou), welche sogar als Eigennamen des bestimmten
Artikels entbehren, sodafs man in Ciceros Ausdruck ille noch
nicht als bestimmten Artikel, sondern nur als abgeschwächtes
Demonstrativ bezeichnen wird. Auch die Stellung ist noch nicht
die des Artikels, wie auch der Typus Medea illa = i} MrjdeLu
zeigt. Da indessen diese Entwicklimg allgemein bekannt ist, so
hält sich Meader nicht lange dabei auf. Auch Quintil. 1,4,11
(conicit est ab illo iacit) wird gewöhnlich hierher gezogen, ebenso
8, 6, 32 laureati postes pro illo laurea coronati, wo das Pronomen
die Stelle unseres Gänseföfschens vertritt. Ja vielleicht ist auch
9, 3, 17 zu lesen: quäle est illud ^amat fieri'.
474 Meader-Wölfflin:
Auch für hie = Artikel konnte anf Rönsch (Itala und Vul-
gata. Semasiologische Beiträge zum lateinischen Wörterbuch II,
S. 17ff.)j auf Kaulens Handbuch der Vulgata u. s. w. verwiesen
werden. Die Grammatiker liefsen deklinieren: hie piscis, huius
piscis, huic pisci, hune piscem, hoc pisee, hi pisces, horum piscium,
his piscibus, hos piscis, wodurch sie die drei gleichlautenden
Kasusformen piscis unterschieden und besser fuhren als mit ille,
dessen Dativ sing, und Nomin. plur. masc. lautlich zusammen-
fielen. Schon bei Cicero orator 73 ist hoc decere = tö 7tQh:cHv,
der Ausdruck deeet; bei Persius 6, 39 sapere nostrum hoc = i^
i}li€rBQa 0oq>Laj wie schon der alte Scholiast bemerkte.
Für seine Beweisführung geht Verf., wie wir bereits früher
gesehen haben, am liebsten von den lateinischen Übersetzungen
griechischer Schriften aus, und da war es denn leicht, an der
Stelle des griechischen 6 xoö^og ein lateinisches hie mundus, hoc
saeculum u. ä. nachzuweisen, wie es in der lateinischen Patristik
an zahllosen Stellen wiederkehrt. Ein dringendes Bedürfnis
wurde der bestimmte Artikel für die Behandlung der indeklinabeln
Eigennamen, wie lacob, Isac, Abraam, deren Kasusformen am
besten durch hie bezeichnet wurden, z. B. huic lacob. Und so
bürgerte sich hie auch in anderen Redewendungen als Über-
setzimig des griechischen Artikels ein, z. B. in: ex hoc nunc = axb
Tov vvv. Wo wir mehrere lateinische Übersetzungen besitzen,
gehen dieselben natürlich oft auseinander, und es ist von Interesse,
den sprachliehen Standpunkt der einzelnen Übersetzer zu beob-
achten. Und da nun iste durch seine Ablösung von der zweiten
Person schon frühe der Konkurrent von hie geworden ist (vgl.
oben S. 355 ff.), so konnte es auch Ansprüche auf die Artikel-
bezeichnung erheben, wie es die verschiedenen Übersetzungen des
Pastor Hermae bestätigen, z. B. Vis. 3, 3, 1 rä XQayyLata] versio
Palatina res istae, Vulg. hae res. Vgl. Ignat. epist. ad Tars. ex
Philippis 1 Töv Sblv&v] iniquorum istorum, wobei man die Stel-
lung beachte.
Wenn auch idem als bestimmter Artikel verwendet wird, so
ist dies natürlich nur ein neuer Beweis seiner abgeschwächten
Bedeutung; e^ liefert denselben die versio Palatina desPast. Herm.
simil. 5, 6, 5 tö TtvBv^a . . . rc5 ;ri/£v/x«Tt] Palat. eidem spiritui
. . . eundem spiritum; Vulg. ei (edit. princ. illi) spiritui . . . spiri-
tum illum.
Die Grenzen von ipse als bestimmter Artikel, bezw. das
Zar Geschichte der Pronomina demonstrativa. IV. 475
ZuBammenstofsen mit ille sind nach Meyer-Lübke, Gramm, der
roman. Sprachen 11 129 f. noch nicht festgestellt; sicher findet es
sich auf Sardinien. Verf. vergleicht wieder die beiden Über-
setzungen des Pastor Hermae, findet jedoch^ dafs der Gebrauch
yielfach schwankt. In beiden Versionen findet sich ipse als be-
stimmter Artikel:
Palat. Vulg.
Sim. 8, 1, 18 6 &yyeXog nuntius ipse nuncius ipse
9^ 2, 1 ix rot) fieilov de ipso campo de ipso c.
9, 6, 1 xov jcvQyov ipsam turrem ipsani turrim.
Der Gebrauch findet sich blofs in der Palatina:
Vis. 3, 2, 5 6 xvgyog ipsa turris turris
Sim. 5^ 6y 3 tov deöJtörov ipsius pater fami- illius p.
liae
1, 8, 18 6 xoifii^v ipse pastor pastor ille
9; 2, 2 VI dh JtvXri porta ipsa porta illa
9, 2, 3 rflg ycvlrjg portam ipsam eam portam
9, 1^ 4 TOV ^Qovg montis ipsius eins (montis)
9, 3, 1 tfig Tcvkrjg portam ipsam fehlt.
Der Gebrauch fiudet sich blofs in der Vulgata:
Sim. 9, 4, G t&v avÖQiov virorum ipsis viris.
Besonders in Sim. 8, 1, 18 zeigt sich, wie frei die beiden
Übersetzer in dem Gebrauche der Pronomina und wie inkonse-
quent sie sind.
Augustin gebraucht in seinen Predigten ipsum vor folgendem
Infinitiv oft, um das griechische rö auszudrücken: z. B. ipsum
vivere, ipsum concupiscere. Vgl. Arch. III 74. Aus profaner
Litteratur vergleiche man den Satz des Gh-ammatikers Pompeius,
p. 133, 27 K.: 'Tityre maxime' duo sunt dactyli, ecce nihil super-
est; sed ipsi pedes finiunt ipsam elocutionem.
Da nun Meyer-Lübke ipse als Artikel auch auf den Balearen
und am Fulse der Pvrenäen findet, so kommt ihm Verf. mit dem
Itinerarium Burdigaleuse und der Peregrinatio der sog. Silvia
aus Aquitanien zu Hilfe. Vgl. Itinera Hierosolymitana, ed.
P. Geyer, 1898, im 39. Bande des Corp. scr. eccles. latin. —
Ein Abschnitt 'Summary and Conclusion' schliefst das Ganze
ab. Der Verf. protestiert gegen die Ausdrücke 'Barbarismus' und
'Verwilderung', als ob alle Pronomina ineinandergeflossen wären.
476 Meader-Wölfflin:
vielmehr zeigt er uns die verschiedenen Stufen der Bedeutungs-
entwickelung, ohne indessen erklären zu wollen, wie diese zu-
stande gekommen ist; er will also mehr Lexikograph sein als
Semasiologe, und mit dieser Erklärung wird die Bezeichnung des
Titelblattes ^a semasiological study' einigermafsen eingeschränkt.
Aber seine historische Auffassung führt ihn doch darauf^ nach
dem Vorgange von Diez und Meyer-Lübke die romanischen For-
men mit den lateinischen zu vergleichen. Denn wenn ille zum
bestimmten Artikel herabsank^ was sagen dann die Franzosen
oder Italiener für ixstvog*^ Die Sprache hat sich mit Zusammen-
setzungen geholfen, wie ecce illum = ital. quello; ecce ille = franz.
cel, woraus weiter celui-ci und celui-lä. geworden sind. Und
wenn idem seine Bedeutung von *der nämliche' verlor, so mufste
ein neuer Ausdruck an die Stelle treten: das italienische stosso
= istum ipsum; das französische meme = met ipsimus, was selbst
wieder eine verkürzte Superlativbildung = ipsissimus ist. So geht
es weiter, und an der Stelle von hie finden wir das italienische
questo = eccum istum. Dem Romanisten sind diese Dinge ge-
läufig, weniger dem Latinisten, sodafs eine kurze Hinweisung
nichts schaden dürfte. Denn unser Denken hat sich noch lange
nicht daran gewöhnt, bei jeder Veränderung oder Verschiebung
die Konsequenzen im sprachlichen Haushalte zu vergegenwärtigen.
Die Bilanz mufs immer stimmen, und alles Geld, welches aus-
gegeben wird, mufs durch Neuprägungen ersetzt werden. Bei-
spielsweise lehrt man uns, dafs soliculus, apicula, auricilla ihre
Deminutivbedeutung verloren und zu * Sonne, Biene, Ohr' herab-
sanken. Nur darf man dabei nicht stehen bleiben; man sollte
immer sofort fragen: wie bezeichnet nun der Romane die Demi-
nution, wenn er von dem Adjektiv 'klein' absehen will? Dann
würde man finden, dafs eine Reihe von Suffixen, wie -inus, demi-
nutive Bedeutung angenommen haben, welche sie ursprünglich
nicht hatten. Vgl. ital. villino = kleine Villa. Das ist der Aus-
gleich der Sprache, welche, was sie wegnimmt, nie zu ersetzen
vergifst; das ist die Sprachgeschichte, welche ohne Verbindung
von Latinistik und Romanistik ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Zum Schlüsse verdeutlicht der Verfasser, um den Ausdruck
'Verwilderung' abzuwehren, seine eigene Auffassungsweise an
einem Satze von Tertullian de spect. 21, in welchem idem und
ipse in gleichem Sinne wechseln.
Auf S. 21 rt — 220 erhalten wir eine Liste der von dem Verf.
Zur Geschichte der Pronomina dcmonstrativa. IV. 477
gelesenen (excerpierten) Autoren^ beziehungsweise der gelesenen
Teile (Bücher). Selbstyerständlich kann sie nicht vollständig
sein, aber sie genügt vollkommen, um einen historischen Über-
blick zu gewinnen. Für die Schrift De viris illustribus wäre
nicht die Ausgabe von Tauchnitz, sondern besser die von J. R.
Wijga (Groningen 1890) zu benützen. Kein Leser aber wird
ohne Belehrung von dem Buche scheiden, welches in München
entstanden und halbvollendet, in Amerika ausgearbeitet und ver-
öffentlicht worden ist. Zu beziehen ist es auch durch die Buch-
handlung Macmillan Comp, in London.
München. Ed. WSlfflin.
Orieula.
Diese in der Appendix Probi und von G^eorges, Wortform. Col. 83,
erwähnte Orthographie läfst sich auch mit Donat. Eun. 539 belegen:
'in hoc proloquio insinuatio eius personae est, cui narraturus est
Chaerea, quae a se post scaenam gesta sunt. Fit autem hoc populi
causa, ut spectator +oculis aspiciat, quod subicere oculis poeta non
potuit*. Für das offenbar verderbte oculis aspiciat schrieb die Editio
princeps auribus accipiat, dem Sinne nach gewifs richtig. Nur
ftlhrt die Überlieferung, worauf mich Fr. SchÖll freundlichst aufmerk-
sam machte, auf oriculis accipiat, wodurch sich ein Wortspiel mit
oculis ergiebt, dem zuliebe vielleicht die vulgäre Form gewählt
wurde. Vgl. Heraeus, Sprache des Petron. S. 7, Amn. 2.
Bremerhaven. P. W essner.
Amusus.
Während ich kürzlich (oben S. 284) einige Beispiele dafür zu-
sammengestellt habe, wie die italienischen Gelehrten- des 15. Jahr-
hunderts den Donattext um neue Wörter bereicherten, möchte ich
heute auf einen Fall hinweisen, wo sie mit ihren wüsten Korrekturen
einen hübschen Beleg beseitigt haben. Schlagen wir die letzte Donat-
ausgabe von Klotz zu Eun. III 3, 31 auf, so lesen wir: Vide non esse
otiosum, quod omnia praetenta (praetemptata richtig Bentlej) sunt
potius, quam res importuna iieret, ut ad militis domum Ghremes de-
duceretur. neque enim hoc conveniebat personae Bacchiali: quoniam
aut infacetum et praeter usum aut importunum, ideo hoc ipsiim
Doriae praecepit. Das ist der Text der interpolierten Handschriften;
Archiv für Ut. Lexikogr. XII. Heft 4. '62
478 P. WeBsner — Ed. Wölfflin: Miscellen.
die beiden zuverlässigen, auf den verlorenen Mainzer Codex zurück-
gehenden haben für den zweiten Teil des Scholions Folgendes: neque
enim conveniebat personae bacchiali auidam usum aut infacetum aut
akayron. Die Verbesserung der Komiptel, die fast nur in falscher
Wortabteilung besteht, ist leicht: neque enim conveniebat personae
Bacchi aliquid amusum aut infacetum aut ütmciqov. Mit den drei
Ausdrücken wird Chremes charakterisiert, den die Dienerin Pythias
auf jede Weise abhalten wollte, das festliche Gelage des Thraso und
der Thais zu stören; der junge Mann war ja amusus, roh und un-
gebildet.
Bremerhaven. P. Wessner.
Os umerosque deo similis.
Dieser bekannte Halbvers des Vergil Aen. 1, 589 steht bei
Dräger, bist. Synt. I* 370 unter den *Adjektiva mit dem Akkus, der
Richtung' eingereiht, womit die Entstehung der dichterischen Kon-
struktion nicht erklärt ist. Da man nicht gesagt hat doctrinam oder
ingenium alicui similis, so ist zu betonen, dafs der Akkusativ einen
Körperteil betrifft, wodurch wir an indutus, exutus bracchia erinnert
werden. Wie man aber von nudatus bracchia zu nudus br. Tac.
Germ. 17 gekommen ist, ebenso mufs man in similis die Kraft von
assiniilatus suchen, und Venus hatte den Aeneas einem Gotte ähnlich
gemacht, indem sie ihm gleichsam eine Göttermaske anzog und
Schulterstücke anlegte. Vgl. Verg. Aen. 4, 558 omnia Mercurio simi-
lis .. . crines flavos et membra decora iuventa«. So ist denn auch
Ovids nuda pedem Met. 7, 182 hev orgegangen aus nudatus, und die
von Dräger genannten Adjektiva sind eben nur Variationen der Par-
tie, perf. pass. der Verba induendi und exuendi. Insofern deren Kon-
struktion im Lateinischen mit dem Griechischen zusammenhängt, be-
merkt Servius zu os umerosque deo similis richtig: est graeca figura,
ut diximus supra, nämlich zu Aen. 1, 320 nuda genu] est graeca
figura.
Eine andere Freiheit, welche Dräger nicht erklärt, gestattet sich
Tacitus Annal. 6, 9 clari genus. Sie entstammt der poetischen Sprache.
Verg. 8, 114 qui genus V unde domo? 12, 25 nee genus indecores.
Ovid fast. 4, 66 Graecus uterque genus. Prop. 1, 22, 1 unde genus?
Val. Flacc. 2, 317. Sil. Ital. 14, 288, wozu griechische Parallelen an-
zuführen überflüssig ist. Die lateinische Prosa verlangte den Ablativ.
Livius 22, 52, 7 cl. genere. Tac. Agr. 29 genere praestans.
München. Ed. Wölfflin.
Studien zum poetischen Plural bei den Römern.
I. Allgemeines.*)
hordea] nsurpative metri causa dixit.
Servius zu Vergil Ecl. 5, 36.
Aurea mella — in tua colla — curribus exit — ad limina
templi — silentia rumpe — dieser Gebrauch des Plurals ist eine
charakteristische, vielleicht (wenn wir von der Wortstellung ab-
sehen) sogar die am meisten charakteristische syntaktische Eigen-
tümlichkeit der lateinischen Dichtersprache. Und da die Haupt-
eigenschaft dieses Gebrauches seine Beschränkung auf die
Dichtersprache ist, so dürfte wohl auch die Benennung „poeti-
scher Plural" den übrigen vorzuziehen sein. Nur möge jenes
vage ästhetische Urteil, das man gewöhnlich mit dem Wort
„poetisch" verbindet, hier fürs erste völlig aus dem Spiel bleiben. —
Was ist ein poetischer Plural? Wir müssen unser Thema
*) Litterator: J. K. Köne, über die Sprache der römischen Epiker,
Münster 1840, S. 58f. — C. G. Jacob, Commentatio de usu numeri
ploralis apud poetas latinos, Naumburg 1841 (= Jahns Archiv für Philo-
logie Vin, 1842, p. 165 ff.). — Ph. Spitta, Quaestiones Vergilianae, Sonders-
hausen 1867. — F. Sa SS, De numero plurali, Kiel 1873 (mir nicht erhält-
lich; doch genügen mir die Citate bei E. Juhl de num. plur. usu Homerico und
sein Urteil: „Sassius, qui Spittae librum examinavit neque tamen supera-
vit"). — F. C. Hultgren, Die Technik der röm. Dichter im ep. und eleg.
Versmafs, Neue Jahrbücher f. Philol. u. Pädag. Bd. 107 (1873;, S. 759 ff. —
A. Dr&ger, Historische Syntax der lateinischen Sprache I*, Leipzig 1878,
§ 6. — R. Kühner, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache U,
Hannover 1878, § 23. — E. Seyfs, Über den Plural der Substantiva abs-
tracta in Vergils Aeneis, Iglau 1882. — E. Appel, De genere neutro
intereunte in lingua latina. Erlangen 1883, p. 16—26. — 0. Keller,
Grammatische Aufsätze, Leipzig 1895, S. 189—218: „Pluralis poeticus". —
F. Neue, Lateinische Formenlehre I dritte Aufl. bearbeitet von C. Wage-
ner, Leipzig 1902, § 103 f.
Für verschiedene Litteratumachweise und mannigfache Förderung
möchte ich meinen verehrten Lehrern, den Herren Prof. W. v. Christ und
E. V. Wölfflin, auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank aus-
sprechen.
32*
480 Vau! Maas:
scharf umgrenzen und legen deshalb, freilich etwas proleptisch,
jene wesentlichste Eigenschaft der Erscheinung auch der Defini-
tion zu Grunde: „poetisch" ist ein Plural in der Dichtersprache
dann, wenn die Prosa in demselben Fall den Singular gefordert
hätte — notabene: die von der Poesie unbeeinflufste Prosa.
Danach sind die zu Beginn erwähnten und alle denselben gleich-
artigen Plurale „poetisch". Aber zwei andere bisher diesen gleich-
geordnete Erscheinungen fallen bei unserer Definition aus.
Einmal die Fälle, die einen Vergleich mit dem prosaischen
Gebrauch ausschliefsen; also z. B. der Plural in poetischen Wör-
tern wie oblivia contagia (vgl. Neue P S. 644) ieiunia latices
lymphae; in poetischen Metaphern wie templa caeli (vgl. Varro
L. lat. 6, 11), marmora pelagi; und wohl auch jener kühne, den
Griechen nachgeahmte Gebrauch des Plurals in Appositionen,
wie Minotaurus inest, Veneris monimenta nefandae Verg. Aen.
6, 26, oder clipeum, Didymaonis artes Verg. Aen. 5, 359 (vgl-
Kühner § 23, 3). — Es könnte möglich scheinen, auch diese
nah verwandte, nur etwas komplicierte Erscheinung hier einzube-
greifen, wenn man nicht den durch den Sprachgebrauch, son-
dern den durch die Logik erforderten Numerus als Norm setzte.
Einer solchen Definition, obwohl ich sie noch nirgends ausge-
sprochen gefunden habe, folgt offenbar 0. Keller, wenn er bei der
Behandlung des pluralis poeticus mit dem „naiven Sprachgefühl"
im Gegensatz zu dem „Unlogischen" der poetischen Licenz operiert
(S. 199, 204, 207 etc.). Gesetzt nun, wir könnten wirklich für
Fälle wie clipeum, Didymaonis artes den Numerus des Begriffes
finden; dann müfsten wir aber jedenfalls bei zwei der wichtigsten
Wortklassen auf eine solche Feststellung und damit auf ihre
Einreihung von vornherein verzichten: bei den Begriffen der
Masse wie farra, cineres, arenae etc., und bei den Abstrakten wie
taedia, silentia, amores etc.; denn diese stehen als Begriffe ge-
wissemiafsen aufserhalb des Numerus und gewinnen einen solchen,
wenn überhaupt, erst durch den sprachlichen Ausdruck. Aber
auch l)ei andern Wortklassen: was ist „logischer'^, cervices (in
der klassischen Latinität) oder cervix (in der silbernen)? litte-
rae (der Brief) oder la lettre? got. brusts oder unser Brust? Da
wird doch stets der Sprachgebrauch entscheiden, und die Wechsel-
beziehungen zwischen Begriff und Ausdruck sind so schwankend,
maimigfaltig und dunkel, dafs es geraten scheint, sich filr einst-
weilen womöglich nur an das Reale zu halten. —
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 481
Aufser jenen verhältnismäfsig seltenen Fällen müssen wir
aber noch eine sehr verbreitete Eigentümlichkeit im Gebrauche
des Plurals von dem „poetischen'^ trennen, weil dieselbe auch der
Umgangssprache und zwar schon der ältesten eigen ist: den so-
genannten „generellen" Plural bei Personennamen, Verwandt-
schafts- und Gattimgsbezeichnungen (vgl. Dräger P § 6). Kühner
n § 23, 7 und 8 ordnet ihn dem „dichterischen" Gebrauch des
Plurals zu und beginnt mit Belegen aus — Plautus imd Terenz;
z. B. quos tu mihi luscos libertos, quos Summanos somnias?
(Cure. 546), obwohl doch nur der eine luscus libertus Sum-
manus gemeint sei; es folgen dann zwischen den Belegen aus
den Epikern noch vereinzelte aus Cicero und Nepos. Es wird
sich zeigen, dafs dieser Gebrauch des Plurals deun auch wirklich
mit dem „poetischen" nicht das geringste gemein hat.
Nach diesen Ausscheidungen haben wir eine einheitliche
Masse von Material zur Behandlung vor uns und können so an
die Frage herantreten, was diese merkwürdige Vertauschung der
Numeri, wie sie die zu Beginn gegebenen Proben veranschau-
lichen, denn eigentlich bedeute.
Pluralis maiestaticus! — leuchtet uns aus den Hand-
büchern entgegen. Dieser stolze, leider einer ganz barbarischen
Latinität entsprungene Name ist kein der lateinischen Syntax
eigenes Gut; er ist vielmehr der hebräischen entlehnt. Um
den Plural der Gottesbezeichnungen *®16him, 'adonim, qMosim
und 'osim zu erklären, griffen die rabbinischen Bibelkommen-
tatoren (z. B. Abraham ihn Esra zu Gen. 1, 1, Raschi und
David Kimchi zu Josua 24, 19) zu Bezeichnungen wie lason
(lingua) kabod (honoris), lasön tiph'ereth (maiestatis) oder sem
(nomen) s^rara (excellentiae). Reuchlin in seinen Institutiones
grammaticae (zu 'adönim) gab es dann lateinisch: „dicunt Hebraei
hoc fieri propter divinae maiestatis reverentiam." Heutzutage
denkt man bei dieser Benennung wohl mehr an das bei den Er-
lassen von Fürstlichkeiten übliche „Wir . . .". Da es nun auf den
ersten Blick nicht recht klar scheint, was diese Dinge mit dem
poetischen Gebrauch von mella und colla zu thun haben, so
müssen wir schon näher zusehen, was unter dem pluralis maie-
staticus in der lateinischen Grammatik zu verstehen sei. „Nicht
allein in den Fällen, in welchem die Prosaiker die Pluralform
gebrauchen, bedienen sich die Dichter derselben, sondern sie wenden
auch den Plural an, um den Ausdruck zu amplifizieren, d. h. das
482 Paul Maas:
Grofse, Erhabene, Feierliche und Aufserordentliche oder
auch die Ausbreitung der Gegenstände darzustellen (Pluralis
majestaticus)/^ Kühner U § 23, 1.
Also der Plural mit der Kraft eines Epitheton ornans.
Diese Erklärungs weise war zuerst systematisch angewendet
worden von C. 6. Jacob, der das dritte Kapitel seiner com-
mentatio über den poetischen Plural betitelt: de ploralibus
magnitudinis, grayitatis, praestantiae et pulchritudinis. Die aus-
führlichste Behandlung einzelner Stellen fand ich jedoch bei
Ph. Spitta; hier ist die Theorie am unzweideutigsten ausgesprochen,
die Praxis mit erschreckender Konsequenz durchgeführt: „Quid
vero? si apud Vergilium saepissime numero plurativo posito ad-
iectiyum significetur, quod notioni distinctius iudicandae atque
extollendae inserviat? Quid si portüs idem fere sint ac tutus
portus, volnera ad yolnus letale quam maxime accedant, ora
saepe ab ore lato et rustico haud multum discrepant? Si in
enuntiato quod est coelestia corpora (Vergil Aen. 11, 276; das ist
übrigens ein genereller Plural) non ex coelesti solum adiectivo,
sed ex plurali quoque notio originis divinae intelligenda sit?"
(p. 4). Ja, das wäre schön! Aber ist es denn der Fall? Hier ein
paar Proben:
Aen. 8, 366 . . . angusti supter fastigia tecti.
„Quod pluralem invenimus, quamquam de angusto tecto agi-
tur, id inde explicandum est, quod vocabulum fastigii per se
ipsum gradationem quandam continet." p. 8.
Georg. 4, 467 . . . alta ostia Ditis.
„Hie latitudo spectatur, id quod haud parvum facit ad
augendum horrorem.'' p. 10.
Aen. 6, 26 Minotaurus inest, Veneris monimenta nefandae.
„Solo plurali indicatur, Minotaurum monstrum fuisse horri-
bile." p. 11. -
Unter den einzelnen dem poetischen Plural unterworfenen
Wortklassen fanden eine besondere Behandlung die Begriffe der
Masse. Neue schreibt den dichterischen Pluralformen derselben,
soweit sie sich der Deutung auf verschiedene Teile oder Arten
der betreffenden Masse entziehen, den Ausdruck „reicherer Fülle"
zu (S. GOO). Freilich wird bei der vollständigen Aufzählung
aller hierher gehörigen Fälle (§ 103 f.) für diese Bedeutung
kein einziger Beleg gegeben, sodafs man schliefsen mufs, Neue
meine damit diejenigen Plurale, bei denen er selbst auf die
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 483
andern beiden Deutungen entweder ausdrücklich verzichtet (z. B.
zu Tina S. 600^ musta S. 601 ^ papavera S. 614, tura S. 616^ lanae
S. 622) oder keine solche verzeichnet (z. B. zu cruores S. 603,
spumae S. 604, harenae S. 616, cineres S. 628). Die erste dieser
Stellen wäre (S. 600 zu vina) Lucret. 2, 391 f.
Et quam vis subito per colum vina videmus
Perfluere, at contra tardum cunctatur olivum . . .
Also mehr Wein als Ol; da wird das Phänomen noch inter-
essanter. — VgL Rothstein zu Properz 1, 14, 2.
Zum Schlufs noch eine Blüte aus der phantasievollen Be-
handlung der Abstrakta bei Seyfs:
Aen. 4, 646 f. ensemque recludit
Dardanium, non hos quaesitum munus in usus.
„Diente an der oben citierten Stelle (v. 642) der Plural coeptis
zur Hervorhebung des Entsetzlichen, das in Didos Beginnen
lag, so wird durch den Plural usus die Vorstellung des Abnor-
men, das in der von Dido beabsichtigten Anwendung des
Schwertes liegt, urgiert."
Abnorm imd entsetzlich! — Das ist der pluralis maiestaticus.
Wenn man mm sieht, dafs eine derartige Deutung in so
vielen Fällen zum Absurden führt, in keinem einzigen aber durch
den Zusammenhang erfordert wird, so muTs sich auch ohne
jeden Hinweis auf die grammatische Ungeheuerlichkeit dieser Er-
klämngsweise der Schlufs ergeben, dafs ein pluralis maiestaticus
in der lateinischen Dichtersprache nicht existiert.
Man hat es aber auch gar nicht versucht, alle der Dichter-
sprache eigentümlichen Plurale so zu erklären; eine grofse An-
zahl davon wurde mit Bezug auf die einzelnen Teile des
Begriffes gerechtfertigt. Freilich finden sich bei Kühner und an-
deren diese Deutungen von den bisher behandelten nicht getrennt;
aber die Verschiedenheit leuchtet doch ein und — divide et
impera.
Diese zweite Erklärungsweise ging wohl von den Begriffen
der Masse aus, bei denen ja die Teile unter sich und mit dem
Ganzen gleichartig sind. Es ist bekannt, dafs dieselben im Latei-
nischen wie in den meisten andern Sprachen als singularia tan-
tum auftreten; sie stehen aber im Plural, wenn verschiedene
Arten ausgedrückt werden sollen (vinum, vina — Wein, Weine),
oder wemi der Name des Stoffes auf einen Gegenstand übertragen
wird, der aus diesem Stoffe besteht (cerae Wachstafeln, aera
484 Paul Maas:
Geldmünzen — Glas, Gläser); vgl. Meyer-Lübke, Gramm, d. roman.
Sprachen III S. 32. Nun liat besonders Neue § 103 und nach ihm
Kühner II § 21 die Auffassung durchgeführt, der Plural könne
auch die einzelnen Teile eines Stoffes bezeichnen (§ 103). So
bedeutet rores (S. 006) „Tautropfen", farra und ordea (S. 608)
„Körner'', papavera (S. 614) „Mohnköpfe'', mella (S. 615) „Honig-
klumpen, Honigmassen", sales (S. 616) „Salzkömer", aera (S. 619)
„Erzstücke", electra (S. 620) „Bemsteintropfen", marmora „Mar-
morblöcke", cerae „Stücke Wachs", sulpura (S. 621) „Schwefel-
stücke", sucina „Bemsteinstücke", pices „Pechklumpen**, lanae
„Wollflocken", cames (S. 622) „Fleischstücke, Fleischteile" etc.
Freilich meint Neue damit keine dichterische Licenz zu erklären;
er hat übersehen, dafs yon all den Fällen, wo er diese Erklärung
anwendet, der voraugusteischen Prosa nur zwei entnommen sind,
und diese zwei beweisen nichts. Erstens (S. 620 zu cerae) Cicero
de nat. deor. 1, 26, 71 si in ceris fingeretur aut fictilibus figuris; hier
ist übertragene Bedeutung anzunehmen: Wachsbilder. Zweitens
(S. 616 zu sales) Vano R. rust. 2, 11,6 qua spargi solent sales,
melior fossiles quam marinus. Wie man nun auch emendiere
(„fort, qui aspergi solet sal, is melior fossilis quam marinus"
Keil), jedenfalls ist hier nicht von verschiedenen „Salzkömem",
sondern Salzarten („Salzen") die Rede. Vielmehr ist die Bezeich-
nung einzelner Teile eines Stoffes durch den Plural des Stoff-
namens der Schriftsprache*) fremd; es ist da eine Umschreibung
notwendig, z. B. Cato Agr. 70: sanis dato salis micas tres ... all
spicas III, turis grana tria, vitis albae caules III . . . Die Er-
klärungen Neues betreffen also solche Formen, die sich haupt-
sächlich bei Dichtem finden; ich weifs nicht, ob er nach Er-
keimtnis dieser Thatsache bei allen darauf bestanden hätte. Hier
nur ein Beispiel:
Ov. Art. 1, 748 e medio flumine mella petai
„Honigklumpen, Honigmassen".
Einer ähnlichen Interpretation verfielen naturgemäfs die
poetischen Plurale der Abstrakt». Leider hat Neue I § 106 ff. bei
*) Von der silbernen Prona sehe ich ab, da sie in dieser wie in anderen
Beziehungen von der Poesie abhängt; hingegen verhält sich die Komödie
(und wahrHchoinlich auch Lucilius) dem poetischen Plural gegenüber ab-
lehnend, muCs also als normal gelten; über einige Reste archaischen und
vulgären Sprachgebrauchs, die jene von Neue angenommene Bedeutung
wirklich zeigen, vgl. S. 500 f.
Stadien zum poetisclien Plural bei den Römern. 485
der Aufzählung aller Plurale von solchen Abstrakten^ die in ihrer
allgemeinen Bedeutung singularia tantum sind; zwischen poeti-
schem und prosaischem Gebrauch nicht unterschieden und sich
auf Einzelerklärung gar nicht eingelassen. Es dürfte ihm auch
schwer gefallen sein, seine Deutung auf eine Mehrheit von Thätig-
keiten, Eigenschaften, Zuständen etc., auch bei den nur oder fast
nur in der Dichtersprache gebräuchlichen Pluralen wie otia,
silentia, fastidia, taedia in allen Fällen anzuwenden. Wie man
die als poetisch anerkannten Plurale erklärt hat, möge zunächst
ein Beispiel aus unseren Dichterkommentaren zeigen:
Horaz Carm. 4, 15, 15 ad ortus solis.
„pluralis locum significat, quo cotidie iteratur ortus solis.''
Dillenburger. — „ortus poetischer Plural . . .; ortum zeigt den
Ort(?), ortus zeigt Morgenröten'' C. W. Nauck (Leipzig 1885). —
,yDer Plural steht nicht ohne Bedacht, denn von einem Punkte
ausgehend, hat die römische Herrschaft sich in mannigfaltigster
Weise über den Osten verzweigt." Kiefsling*.
Am ausführlichsten behandelt die Abstrakta Seyfs, der Wun-
derdinge über die Macht des Plurals verkündet:
Verg. Aen. 284 quae prima exordia sumat.
„Ohne Zweifel bezeichnet der Plural an dieser SteUe jene vielen
Umschweife, welche Aeneas machen mufste, um der Dido den
Plan seiner Abreise in allmählicher und schonender Weise mit-
zuteilen." S. 4.
Verg. Aen. 11, 54 hi nostri reditus expectatique triumphi.
„Es kommen durch den Plural alT die Gefahren und Widerwärtig-
keiten zum Ausdruck, mit denen die Rückkehr verbunden ist." S. 5.
Vgl. Kiefsling zu Horaz epod. 16, 35.
Und conubia bei Vergil bedeutet nach Braumüller (Über
Tropen und Figuren in Vergils Aeneis 1877, I S. 16) „Heirats-
anträge".
Noch seltsamer mutet diese Erklärungsweise an, wenn sie
auf solche Konkreta angewandt wird, die zwar aus Teilen be-
stehen (und welches Ding besteht nicht aus Teilen?), ohne dal's
jedoch diese Teile unter sich oder mit dem Ganzen gleichartig
wären. So soU in Ovid Met. 1, 527
Tum quoque visa decens (Daphne); nudabant corpora venti.
nach Bachs Kommentar der Plural die einzelnen Teile des Kör-
pers bezeichnen. Den Verfechtern des pluralis maiestiiticus ge-
nügte das übrigens nicht; Kühner (nach Jacob, S hinzu:
486 Paul Maas:
„die ganze Schönheit des Körpers", sodafs hier dem einen Plural
zugemutet wird, zugleich die Teile heryorzuheben und das Ganze
auszuzeichnen.
Wenn die Teile nicht ausreichten, so konstruierte man sich
eine Mehrheit auf andere Weise. So notiert Conington zu Verg.
Aen. 11, 844 umero gessisse pharetras.
„the plural, which seems to indicate the number oftimes,
that Camilla was so equiped . . .".
Ganz wild phantasiert Spitta zu Aen. 7, 394
yentis dant colla comasque.
„pluralis non ponitur propter plures matres^ sed humeros
pectus quoque (sie) nudata indicat" p. 7, und ebenda zu 10, 838
colla fovet.
„coUorum vocabulo simul et Caput significatur^^
Genug. Man sieht, diese Erklärungsweise giebt an Gewalt-
samkeit dem pluralis maiestaticus nichts nach; nur können wir
nicht behaupten, dafs sie an keiner einzigen Stelle durch den
Zusammenhang gefordert würde; es finden sich nämlich deren
drei : Moretum 89 quattuor alia, Ovid Fast. 2^ 573 tria tura, und
gleich darauf 576 septem fabas. Aber wenn diese Fälle auch
keine besondere Erklärung fänden — wir werden im nächsten
Kapitel (S. 506 f.) darauf zurückkommen — , so würden sie dennoch
nichts beweisen für die vielen Hunderte der übrigen Plurale,
statt deren in Prosa einfach der Singular eingetreten wäre. Viel-
mehr sind all diese mit Beziehung auf einzelne Teile erklärten
Plurale denjenigen, in die man den Ausdruck irgend einer Eigen-
schaft hineininterpretiert hat, vollständig gleichartig. Sie sind
„poetisch^' — was sie ja nicht wären, wenn sie wirklich die ein-
zelnen Teile bezeichneten, da die Prosa in solchen Fällen eine
Umschreibung verlangt (vgl. S. 484). Wir müssen daher auch
diese Erklärungs weise verwerfen, weil kein hinreichender Grund
vorlianden ist, sie überhaupt zu verwenden, und keine Möglich-
keit, sie regelmäfsig zu verwenden.
Da ich aber durch meine völlige Ablehnung dieser beiden
Versuche, den poetischen Plural zu erklären, mich selbst mit
denen in Widerspruch setze, die einen richtigeren Weg dazu
schon eingeschlagen haben, so will ich nun versuchen zu zeigen,
dafs jede Auffassung, die dem poetischen Plural die Kraft einer
Bedeutungsnuancierung zuschreibt (welcher Art diese auch sei),
notwendig falsch sein muis.
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 487
Man hat seltsamerweise noch nicht bemerkt, dafs alle im
Gebrauch des poetischen Plurals sich zeigenden Eigenschaften
desselben die landläufigen Erklärungen einfach ausschliefsen.
Schon seine Beschränkung auf die Dichtersprache hätte
Bedenken erregen müssen. Denn warum hätte sich die Schrift-
sprache die Möglichkeit, einem Begriff eine besondere Eigenschaft
beizulegen oder seine Teile hervorzuheben, entgehen lassen sollen,
wenn der Plural diese Kraft besass? Femer die Beschränkung
auf einzelne Wortklassen, wie Begriffe der Masse, Körper-
teile etc.: warum soll pectora eine besonders schöne Brust be-
zeichnen, aber niemals viri einen besonders schönen Mann? Drittens
die Ausschliefsung vieler Wörter innerhalb derselben
Wortklasse, z. B. bei den Stoffhamen lac merum nectar ferrum tri-
ticum und einer Menge anderer, deren „gröfsere Fülle" oder „einzelne
Teile" gegebenen Falles doch dasselbe Recht auf Ausdruck durch
den Numerus verlangen konnten, das man den nahverwandten Be-
griffen vinum mustum aes hordeum etc. zugestand.*) Endlich
die Beschränkung auf einzelne Kasus und die häufig
vollständige Verdrängung des Singulars in diesen: man
halte mit den zu Hör. Carm. 4, 15, 15 ad ortus solis vorgebrachten
Deutungen (vgl. S. 485) — auf die übrigens niemand verfallen
wäre, hätte nicht Bentley mit einigen Handschriften ortum ge-
schrieben — die Thatsache zusammen, dafs für den Begriff
„Sonnenaufgang^^ im Akk. der bei den Dichtem (bis Ovid inkl.)
allein gebräuchliche Numerus der Plural ist (Lucrez 5, 696 Cicero
im Marius [de divin. 1, 106] v. 8 Verg. Georg. 3, 277. 4, 544
= 552 Aen. 4, 118. 6, 255 Paneg. ad Mess. 157 Ovid oft, ortum
nur Verg. G. 1, 441 [übertr^en = Scheibe]), im Abi. dagegen nur
der Singular vorkommt, der demnach zur Verteidigung von ortum
nicht herangezogen werden darf, wie es Bentley und Lucian
Müller (1900) thun. Überhaupt ist fast bei allen Wörtern, die
den poetischen Plural annehmen, im Akkusativ dieser häufiger
als der Singular, während er z. B. im Genetiv fast ganz fehlt.
Bedeutungsnuancen aber würden doch nicht an Kasus gebun-
den sein.
*^) Reisig (Vorl. üb. lat. Sprachwissenschaft § 89, 2) vermut^to, die Edel-
metalle auram und argentum würden deshalb nicht im Plural gebraucht,
„weil es nicht so viel clavon giebt". Aber ferrum und plumbumV — Haase
verbesserte (Anm. 1431)): „wohl eher, weil diese Metalle meistens in ge-
münzter oder verarbeiteter Gestalt vorlagen". Aber aera?
4^8 Paul Maas:
Nun können wir noch einen dritten Weg einschlagen, der
uns zu demselben negativen Ziel führt, zugleich aber darüber
hinaus auf die richtige Strafse. Es ist eine wenig bekannte und
vielleicht noch nicht klar genug ausgesprochene Thatsache, daTs
nach den seit der suUanischen Zeit bei fast allen Dichtem zu
Tage tretenden Elisionsgesetzen von allen Neutren auf um, die
einen Trochäus vor der Endung haben, nur eine Form im
daktylischen Yersmafs vorkommen kann: die auf ä ausgehende;
von Wörtern wie hordea pocula silentia war also der ganze
Singular aus Hexameter und Pentameter so gut wie aus-
geschlossen, abgesehen von den ganz vereinzelten Fällen, wo
die Dichter den Genetiv hineinzwangen (wir werden dies noch
näher ausführen, S. 508 ff.). Hier war es also ebenso unmöglich,
dafs der Dichter in einen vom Zusammenhang nicht erforderten
Plural etwas Besonderes hineinlegte, wie dafs das Publikum es
empfand. Wenn dies aber für eine solche Fülle von Wörtern aller
Grattungen zutrifft, so mufs man allein daraufhin auch in allen
übrigen Fällen dem poetischen Plural jeden Einflufs auf die Be-
deutung absprechen. Denn wie konnte ein Dichter seinem Publi-
kum zumuten, dafs es sich bei jedem derartigen Plural frage, ob
Verszwang vorliege oder nicht, und dann im letzteren Falle die
besondere Nuance empfinde, die er hineinlegen wollte, im ersteren
jedoch in Gedanken den Singular substituiere? —
Bedenken gegen die herrschenden Erklärungen des poetischen
Plurals werden an dieser Stelle nicht zum erstenmal vorgebracht.
Wenn sie aber bisher wirkimgslos verhallt sind, so dürfte dies
daher kommen, dafs sie immer nur auf Grund weniger imter-
suchter Fälle und mit inkonsequenten Konzessionen an die
landläufige Auffassung ausgesprochen worden sind. So haben
Köne, Hultgren und Appel aus vereinzelten Beobachtungen über
Neutra, Keller sogar nur aus solchen über den fünften Fufs des
Hexameters*), ihre Schlüsse gezogen. Unter den vier durchgehenden
*) Formen wie limina numina etc. sind im 5. Fufa sehr häufig; ebenso
limine numine etc.; liminibus numiuibus etc. fehlt im 5. Fufs; daraus schlierst
Keller S. 204, 207 etc., dafs da für den Plural metrische Gründe vorlagen.
Er verpfifst, dafs choriambische Formen wie liminibus von der ganzen
zweiten Hälfte des Hexameters ausgeschlossen sind; selbst mit numinibus-
que hätte Vergil, trotzdem Keller es will (S. 207\ keinen Vers geschlossen.
Auch das Vorwiegen der daktylisch schliefsenden Plurale (wie numina si-
lentia fastidia) im 5. Fufs ist selbstverständlich; aber nicht, weil so der
Studien zum poetiBchen Plural bei den Römern. 489
charakteristischen Beschränkungen fand ich die Ausschliefsung ein-
zebier Worte von Keller (S. 216) an einem unglücklichen Beispiel
gestreift — er wundert sich, dafs er wohl classes, aber unter ande-
rem nicht civitates (_ u >!) und exercitus (desgl. ) im poetischen Plural
finde — ; die Ausschliefsung einzelner Kasus bei Appel und Keller
für einige Neutra angedeutet, auf den Verszwang von Köne und
anderen hingewiesen, ohne dafs die Ausdehnimg des Elisionsver-
botes bei den genannten Neutren erkannt worden wäre — sonst
hätte Keller nicht behauptet, oblivium komme (in daktylischen
Versen) „fast" nie vor (S. 211) und sibilum sei „ungeschickt"
(S. 212) — , und so war das Resultat, dafs Köne, der es immer-
hin noch am besten gewufst hat, vom pluralis maiestaticus nur
die „Not der Dichter" in Abzug bringen wollte, Appel die Ab-
lehnung solcher Deutungen auf die Mehrzahl der Neutra beschränkt
(S.24f.), und Hultgren (S. 760), ja auch noch Keller (S. 205)
meinen, der Plural in incendia könne die „ungeheuren Dimen-
sionen" eines Brandes bezeichnen.
Wir hoffen aber, solche Deutungen endgültig beseitigt zu
haben und müssen uns' jetzt nach einer besseren umsehen.
„Metrisches Bedürfiiis!" sagt Keller und andere, die gegen
den pluralis maiestaticus auftreten. — Auch ich halte aufser-
ordentlich viel von der Berücksichtigung des „metrischen Be-
dürfnisses", das man vielleicht hübscher Verszwang nennt, und
es wäre sehr wünschenswert, dafs dieser Standpunkt besonders
bei der Behandlung der lateinischen Dichtersprache viel schärfer
vertreten werden möchte, als dies bisher (auch von Keller) ge-
schehen ist; es würde manche geistvolle Erklärimg eines Gräzis-
mus, eines für das Kompositum eintretenden Simplex u. s. w. aus
den Kommentaren und Monographien verschwinden; es würde
vielleicht nicht mehr vorkommen, dafs jemand, ohne den Vers-
zwang zu erkennen, ernsthaft die Frage behandelt, warum der
„luvenalis graecissans" für ÖQ6^ig nicht die „vox vere latina
appetitus" verwendet habe. Unschätzbar und unübertroffen ist
Vers zu Daktylen, Bonderu weil so diese Wörter in den Vers kamen. For-
men wie sXlentia waren nämlich vom ganzen übrigen Vors, solche wie
fastidia vom 1. bis 3. Fufs, alle vom 2. und 3. ausgeschlossen; und dafs
z. B. Vergil daktylische Schlüsse auch im 1. und 4. Fufse beschränkte, hat
Th. Birt (ad histor. hexam. lat. symb. p. 40) gezeigt. So beruht die Bew^eis-
führung Kellers auf Thatsachen, die nicht dem Wesen des poetischen
Plurals, sondern dem des Hexameters entspringen.
490 Paul Maas:
für solche Fragen das Buch von Köne über die Sprache der
römischen Epiker. Auch wir werden als Motiv bei der Anwen-
dung des poetischen Plurals den Verszwang erkennen; aber die
Möglichkeit dieser poetischen Licenz erklären — das kann
der stärkste Verszwang nicht. Die römischen Dichter haben auf
Hunderte von Wörtern, auf Tausende von Formen verzichten
müssen, weil sie der Vers ausschlofs — warum sollten sie auf
jene Neutren nicht auch verzichten? warum brauchten sie es nicht?
Ich will versuchen, soweit es diese allgemeinen Darlegungen
erfordern, die Umstände vorzuführen, die bei der Entstehung
des poetischen Plurals mitgewirkt haben dürfken; wie grolE der
Einflufs jedes einzelnen Momentes anzuschlagen sei, wage ich
nicht zu entscheiden.
Man wird zunächst nach Analogien in der Prosa suchen.
Wir haben vor uns ein Schwanken vom Singular nach dem Plural
ohne Einflufis auf Bedeutung und Zusammenhang. Unsere Syntax
bringt nichts Ahnliches bei ; trotzdem kann ich mich bei verschiede-
nen Pluralen von Abstrakten (z. B. irae) und Begriffen der Masse
(z. B. nives) nicht überzeugen, dafs sie immer aus Rücksicht auf
Bedeutung und Zusammenhang gebraucht werden. Jedenfalls sind
in diesen beiden Wortklassen die Unterschiede zwischen den
Numeri oft so gering, dafs ich den Gebrauch des poetischen
Plurals mit diesen Schwankungen in Zusammenhang bringen
möchte. Den sog. pluralis concinnitatis (Dräger P § 7, 4) zieht
auch Appel (p. 16) heran. Ich mufs diese Frage noch offen lassen.
Wir haben ferner im poetischen Plural meistenteils plura-
lischen Ausdruck für singularische Begriffe (man verzeihe die
Brachylogie). Auch hierfür giebt es Analogien: eine grofse Zahl
der sogenannten pluralia tantum. „Vel apud oratores latinos
[= Prosaiker?] nonnulla vocabula pluralia tantum enuntiabantur,
in quibus numeri vis temporis diutumitate in oblivionem data
erat*', vergleicht sehr richtig schon Appel p. 16, leider ohne das
näher auszuführen. Es ist in der That kaum zu bestreiten, dafs
diese Worte einen grofsen Einflufs auf den poetischen Plural
übten: man sagte colla ora rostra corda guttura terga, wie cer-
vices nares praecordia fauces nates, plaustra currüs (&Q(iaTa) wie
bigae quadrigae, animae umbrae (Verg. Aen. 5, 81) wie manes,
arae (ßo^oi) wie altaria (auch von Dräger P § 5, 2 verbunden),
portae atria ostia limina fastigia ianuae (Catull 63, 65, von
Baehrens als Analogie zu fores erklärt) wie aedes fores obices,
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 491
fimera (tccg)cci) conubia (yd^oi) convivia (deinva) wie exsequiae
nuptiae epulae und viele Namen von Festen, Capitolia Palatia
wie viele Namen von Städten , vielleicht auch silentia wie tene-
brae etc. Hinzuzufügen ist noch, dafs eine grofse Zahl der
pluralia tantum in der Poesie auch singularisch gebraucht wird,
was zur Gleichberechtigung der Numeri bei solchen Begriffen bei-
getragen haben mag (vgl. S. 500 ff.).
Die auffällige Häufigkeit des poetischen Plurals bei Begriffen
der Masse und Abstrakten läfst vermuten, dafs bei den Wörtern
dieser Klassen noch ein besonderes Moment mitspielte. Sie waren
bekanntlich in ihrer allgemeinen Bedeutung singularia tan-
tum imd konnten in Prosa nur dann in den Plural treten, wenn
sie in spezialisierter Bedeutung gebraucht wurden (die Übertragung
auf Gegenstände bei Stoffiiamen ist ja auch Spezialisierung).
Solche Plurale waren dann aber nicht rein zahlenmäfsig vom
Singular unterschieden, was sonst das Wesen des Plurals ist
(Meyer-Lübke, Gramm, d. rom. Spr. DI S. 36), sondern sie stellten
eine Mehrheit solcher Einzelbegriffe dar, welche dem durch den
Singular ausgedrückten Begriff untergeordnet waren. Wenn nun
die Dichter diese Formen, soweit dieselben überhaupt in Prosa
gebraucht wurden, für den Singular eintreten liefeen, so bedeutete
dies nicht eigentlich eine Vertauschimg der Numeri, sondern nur
eine weitere Bedeutungsverschiebung, gewissermafsen eine Re-
generalisierung der Pluralformen. Freilich finden sich auch solche
Formen die in Prosa gar nicht bezeugt sind (z. B. silentia niella);
da wäre denn anzunehmen, dafs die Dichter glaubten, sie ruhig
für ihre Zwecke verwenden zu dürfen, weil ihr Publikum solche
Neubildungen nicht nach Art unserer Grammatiken mifsverstand,
sondern sie in der Bedeutung auffafste, die der Zusammenhang
am nächsten legte.
Ich mufs gestehen, dafs mir all diese Umstände zusammen
zur Erklärung einer so ausgedehnten Licenz nicht ausreichend
scheinen. Sie mögen gerade genügen, um die Sprache zur Auf-
nahme eines Gräzismus zu prädisponieren. Denn in der Nach-
ahmung des Griechischen sehe ich das wichtigste Moment bei
der Entstehung des poetischen Plurals.
Hier wird wohl ein Seitenblick auf diese verwandte Syntax,
die so mancherlei Eiilflufs auf die lateinische Sprache, besonders
auf die der Dichter geübt hat, nicht unstatthaft sein. — Für
Homer existiert eine Spezialarbeit von E. Juhl, De num. plur. usu
492 Paul Maas:
Hoi^erico, Halle 1879 (teilweise auf dem Standpunkt der Schrift
von Spitta über das Lateinische) ; für die Tragiker eine ganz kümmer-
liehe Statistik von R. Kummer er, über den Gebrauch des Plur.
statt des Sing, bei Soph. und Eurip., Klagenfurt 1869; ausführ-
licher bei E. Volp, De usu numeri pluralis Aeschyleo et Sophocleo,
Marburg 1888 (z. B. zu yd^oi p. 69: pluralem ita explico, ut in
notione matrimonii quasi rerum iucundarum varietas respicia-
tur); vgl. E. Bruhn, Anhang zu Schneidewins Sophokles, 1899, §3.
Die Darstellung bei Kühner-Gerth, Griech. Gr. IP 1, 1898,
§ 348 Anm. 2 (vgl. auch § 348, 3a und b) ist recht unklar;
pluralia tantum, generelle, poetische Plurale, solche in übertragener
Bedeutung und in Appositionen werden in der einen Anmerkung
gemeinsam abgethan; der pluralis maiestaticus erhält auch seine
Klammer. K. Brugm ann (Iw. v. MüUers Handb. U P, 1900, § 430, 4)
meint, „dafs die Dichter, besonders die Tragiker, die Pluralform
sCg Syxov rrig Is^eog bevorzugten . . . sog. pluralis maiestaticus;
z. B. ^dxcciQui^ öxfjxtQa^ d'QÖvoc^^.
Elg byxov rijg l^^scog stammt aus Aristoteles Rhet. 3, 6 ; und da
wir auf das Verhältnis der Rhetorik zu unserer Frage doch noch
zurückkommen werden, will ich diese Stelle hier kurz behandeln.
Eig öyxov dl tilg l^scjg öv(ißcckkstac xal t6 <]?v)> noXXä ytoutv^
onsQ Ol Ttoirjtal noiovcw evbg üvtog hfievog ofL(og kiyovöiv ^kifie-
vag €Lg ^A^aXxovg^ [fr. adesp. 83 N.^J xai 'dekrov ^iv aide tcoIv-
^xfQoi dianxvxaC [Eur. Iph. T. 727]. Man hat beide Beispiele als
„poetische" Plurale angesehen. Aber das erste erweist sich schon
durch das Beiwort ^A%a\'KOvg als „genereller" Plural, der in der
That in die Rhetorik gehört (vgl. S. 499); man kann sich etwa
einen Orakelspruch als Folie denken wie Verg. Aen. 7, 98 extemi
venient generi. Über die Verwendung genereller Plurale zu rheto-
rischen Zwecken handelt auch der Auetor tcbqX v^ovg cap. 23 und
bringt als Beleg z. B. Soph. Oed. T. 1405 xaTiBdaCE^axB nategag ddeX-
(povg Tcaidag . . . vv^q)ag yvvcctxag ^rjtBQag (Oedipus — Jocaste). —
Auch das zweite Beispiel des Aristoteles zeigt keine direkte Ver-
tauschung der Numeri ; SianxvxaC („Gef alt") :tSQi7txv%al xxvxal kom-
men gar nicht im Singular vor (vgl. den Gebrauch von yoval dvöfud
avxoXal in Prosa) ; Aristoteles hat auch nokv^vQOi nicht übersehen,
wie Hermann erklärt; er empfiehlt vielmehr die Umschreibung
eines singularischen Begrift'es {ösXxov) durch feinen pluralischen Aus-
druck (ßiXxov öianxvxaC) als rhetorisches Mittel. An solchen Um-
schreibungen ist Euripides sehr reich; Aristophanes parodiert sie
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 493
Acharn. 479 xXfje nr^xrä dcjiidtcov (vgl. Schol.) und Vögel 1241
xal dö^cDV TCSQijtrvxocg xaraid-aXciesL (vgl. Kock). Für die
Theorie giebt wieder der Aiictor TtSQil iitpovg die Parallele: er
nennt umgekehrt singularische Umschreibung für den Begriff
einer Mehrheit wie €lg daxQva €jts6s rb d-irixQov (Herod. 6, 21 ;
„ai/rl Tov ot d'£ca(i£voi'') unter den iva},},ä^Big aQi^fiöv — wohl
nach Caecilius; vgl. Tiberius Rhet. Gr. III 80, 18 und 27 Sp. — und
als roifvavlov zu dem ivixä dvö^ata ytolXä noulv (cap. 24). Mit
den „poetischen" Pluralen wie nccxaiQcci 6xfinxQa etc. haben diese
Rhetoriker also nichts zu thun.
Wie steht es nun mit dem Verhältnis dieser Plurale zu den
lateinischen? Die Frage scheint noch nicht behandelt zu sein.*)
Kühner setzt in beiden Grammatikon einige Parallelen in Klammer;
in der lateinischen fügt er ein „so auch im Griechischen" ausdrück-
lich hinzu. Keller (S. 199 Anm. und S. 216) bestreitet unglaub-
licherweise sogar die Parallele; die Griechen hätten für Reichtum
überhaupt keinen Plural {7tkovroi\ Kühner- Gerth II 1 § 348
Anm. 1), für Hals^ Mund, Kehle u. s. w. nur dann, wenn es sich
um mehrere handle {av%ivig Soph. fr. 593 6z6iLaxa Theoer. 20, 26
kaifLol 6(payal ya^q)rilai yiwsg x6Xnoi ^QÖöona örtQva ötrjd'rj
vöralj.J.Brenous' schöne „Etüde surleshell^nismes dans la syntaxe
latine" (Paris 1895) schliefst in dem Augenblick, wo wir viel-
leicht gerade etwas hierüber erfahren hätten (p. 438, vgl. p. 78).
In den sprachwissenschaftlichen Darlegungen von L. Tob 1er „Über
den Begriff und die besondere Bedeutung des Plurals bei Substantiven"
(Zeitschr. f. Völkerpsychol. IV, 1883, S. 410—434) und B. Delb rück
(Vergl. Syntax der indogerm. Spr., 1893, S. 147 — 172j figurieren die
der lateinischen Dichtersprache entnommenen Beispiele als denen
der übrigen Sprachen gleichgeordnet.
Zunächst ist zu konstatieren, dafs die Wortklassen, die den
poetischen Plural im Griechischen wie im Lateinischen aufweisen,
identisch sind mit denjenigen, bei denen Delbrück S. 148 auch
in der Ursprache Schwankungen in Bezug auf den Numerus
♦) Anfser in der erwähnten Dissertation von Volp. Da behauptet ein
vir doctissimus hisque in rebus experientissimns, der verschwiegen sein will,
in einer Klammer (p. 6): ,,nam poetae latini in his rebus Graecos imitati
sunt"; die übrigen Indogermanen keimten solche Schwankungen nicht,
wohl aber die Semiten (hebr. pänim, misk'^nöth etc.), die dann wohl bei der
Entstehung der vorhomerisehen epischen Sprache der Griechen mitgeholfen
hätten. An verschiedenen Stellen werden dann Parallelen genannt.
Archiv für Ut. Lexikogr. XU. Heft 4. 33
494 I'^'u! Maas:
annimmt: 1) Begriffe der Masse^ 2) Körperteile, 3) Gerate und
Lokalitäten, 4) Zeitabschnitte, Feste, Mahlzeiten, 5) Vereinzeltes,
6) Abstrakte, welche in die konkrete Bedeutung hinüberschwanken.
Dieselben Wortklassen mit geringen Varianten finden sich bei
Juhl p. 3, Kühner Lat. Gr. § 23, Brugmann § 430, 4. Diese That-
sache ist für das Griechische entscheidend und mulis bei einer
Behandlung desselben als Ausgangspunkt dienen; für. das Latei-
nische beweist sie wenig oder nichts. Denn während sich
bei Homer jene Schwankungen in den genannten Wortklassen
noch so vollständig vorfinden, dafs sie dort kaum als „poetisch^ be-
zeichnet werden dürfen — das prius dürfte übrigens in sehr vielen
Fällen der Plural sein — , so hatte in der lateinischen Sprache
zu der Zeit, wo die ersten „poetischen" Plurale auftreten, der
Sprachgebrauch sich bereits für einen Numerus als Regel ent-
schieden (abgesehen von einigen Stoffnamen imd Abstrakten). Die
poetischen Plurale treten also von Anfang an in Gegensatz zu
der Umgangssprache, finden aber ihre Analogie im Griechischen.
Ich will nur kurz ein paar Fälle erwähnen, wo mir die Nach-
ahmung auch im einzelnen deutlich scheint. Zunächst bei den
Wörtern, die den poetischen Plural aus dem Griechischen mit-
brachten: sceptra antra thalami electra u. a. Femer bei denjenigen,
die im Lateinischen keine naheliegende Analogie finden, dem
Griechischen aber genau entsprechen: arcus (erst seit Properz) röS«,
tela ßsXrjy foedera 6icovöal^ litora axzal^ portus kvfi^veg^ tori (erst
Statins) X^XV «^v«^? enses (Ovid Her. 3, 108) ^Cqnj fidxaiQai,
cruores (Verg. Aen. 4, 687) aifucray cames edgxag Kgiara^ lanae
iQia^ caedes ö(payai tpövoc, ortüs occasüs avarokaC Svöfua pul-
veres (Horaz) xovlri6i u. s. w. Ferner bei den Körperteilen:
denn bei diesen kommt der poetische Plural erst zu Beginn der
suUanischen Epoche vor (siehe S. 534 ff.) und bleibt bis nach
Ciceros Tod auf die beiden Wörter pectora {exsQva ötfj^aa) und
terga (v&ta) beschränkt. Endlich bei Stoffimmen wie hordea
farra tura arenae, die zuerst bei Vergil auftreten; denn haben wir
Zeugnisse, wie fremd allein schon diese Pluralformen dem Sprach-
gefühl waren: Plurale wie arenae hat z. B. Caesar (bei (JeUius
19, 8, 8) für unstatthaft erklärt; und hordea hat man gar verhöhnt:
„hordea qui dixit, superest ut tritica dicaf ' ist ein jener Zeit zu-
geschriebener Spottvers (Servius zu Verg. G. 1, 210; Cledonius
Gramm, lat. V 43, 3), der vielleicht verschuldet hat, dafs man wirk-
lich tritica nicht wagte und tritlcüm auf allerlei Weise umschrieb
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 495
(triticeam in messem Verg. G. 1, 219, triticeos fetus Ovid Fast.
1,693, triticeas messes Met. 5, 486; vgl. Köne S. 61). Wir werden
auf den Ursprung dieser Formen zu Beginn des nächsten Kapitels
zu sprechen kommen. — Und wo fand Vergil die Vorbilder für
seinen Gebrauch von hordea farra tura arenae? Bei den Griechen.
^Akeiara ^si^ai XQi^ai ovloxvrag dXvQag oviat d^ea sind bei Homer
noch Pluralia tantum, aXfpita hat den Singular nur im Genetiv
(und da wohl wegen des Verszwanges) und tlfUfid^oiöL ist ganz
gewohnlich. Ich verzichte darauf, diese Parallelen noch weiter
auszuführen; es wird dies leicht geschehen können, sobald jemand
für das Griechische eine umfassende Behandlimg gegeben hat.
Hierdurch möge die Hauptmasse der poetischen Plurale bei
den versehiedenen Wortklassen erklärt sein. Eine grofse Zahl
jedoch bildete sich dann einfach nach Analogie der bestehenden;
wir werden noch verschiedentlich Gelegenheit haben, zu zeigen,
wie die Zahl der im poetischen Plural gebrauchten Wörter innerhalb
einer Wortklasse, wie die Zahl der ihm unterworfenen Kasus inner-
halb eines Wortes und wie die verhältnismäfsige Häufigkeit dieser
Formen (im Vergleich zum Gebrauch des Singulars bei demselben
Kasus) immer zunimmt: die meisten Formen haben auch
in Bezug auf ihr Verhältnis zum poetischen Plural
eine Entwicklung, deren Beginn und einzelne Phasen
man oft deutlich erkennt: nur in den seltensten Fällen
wird diese unter- oder abgebrochen — Thatsachen, die für
die Textkritik wie für die Interpretation von grofser und bisher
noch gar nicht erkannter Bedeutung sind und uns zwingen, bei
jeder zweifelhaften poetischen Pluralform zu fragen, ob dies Wort
und ob diese Form des Wortes zu der betreffenden Zeit im
poetischen Plural bezeugt ist. — Erfreulicher Weise scheint sich
der Thesaurus linguae latinae auch für diese historische Wort-
forschung vorbildlich zeigen zu wollen: hier zuerst wird für die
wichtigsten Wörter ihr erstes nachweisbares Auftreten im poetischen
Plural notiert (ara H 358, 84 und arcus H 476, 7). Zu wünschen
bliebe nur, dafs diese wertvollen Bemerkungen immer an derselben
Stelle zu finden wären und bei Wörtern wie accessus adeps
aditus anima antrum aqua apsinthium aratrum nicht ganz fehlen
möchten. Vielleicht ist es auch möglich, für die einzelnen Kasus
(es handelt sich in der Regel nur um einen oder zwei) dieselben
Daten zu geben.
Jetzt können wir nach den Motiven fragen, d^«**" 'lie Dichter
496 Paul Maas:
im Gebrauch des poetischen Plurals folgten. Wir haben gezeigt,
dafs diese rein formeller Natur sein müssen, da für Bedeutung und
Zusammenhang zwischen Singular und poetischem Plural kein
Unterschied besteht. Hier konnten nun im Einzelfall die mannig-
faltigsten Umstände mitspielen. Das Streben nach Deutlichkeit
in der Konstruktion konnte den einen der beiden Numeri passen-
der erscheinen lassen, weil der andere schon in mehreren Wörtern
des Satzes in demselben Kasus vertreten war, während in anderen
Fällen die Gleichheit der Numeri dem Streben nach Konzinni-
tat diente. Auch von euphonischem Standpunkt aus konnte
manchmal der Plural (etwa wegen seiner volleren Formen), manch-
mal der Singular (z. B. bei den Akkusativen der Nicht -Neutra,
wenn ein oder mehrere S-Laute in der Nähe standen) im speziellen
Fall den Vorzug verdienen. Aber die Hauptrolle dabei spielen
metrische Rücksichten; das läfst sich mit Zahlen beweisen,
indem wir den Gebrauch des Singulars in den entsprechenden
Kasus vergleichen.
Dieser Vergleich ist am einfachsten da, wo der Plural direktem
Verszwang entspringt. Zunächst bei den schon erwähnten
Neutren wie hordea silentia etc.; hier ist es sogar unmöglich,
andere Kasus heranzuziehen, da von all diesen Worten mit sel-
tenen Ausnahmen in Hexametern und Pentametern nur diese eine
Form vorkommen kann. Dafs es sich aber nur um Verszwang
handelt, beweist Horaz in seinen Oden: hier ist fast stets für einen
Kretikus Platz, hier treten denn auch die Singulare otium (aber
otia in Satiren) silentium lilium fastidium (aber fastidia in Satiren),
taedium Capitolium dolium (vom Fafs der Danaiden; aber dolia
in demselben Sinne Prop. 2, 1, 67 TibuU 1, 3, 80), poculum etc. auf,
während die entsprechenden poetischen Plurale fehlen (aber incen-
dia in Asklepiadeen 4, 8, 17 ist Verszwang). Vielleicht haben
manche dieser Singulare eben dadurch gewirkt, dafs man sie
sonst in solcher Poesie nicht zu hören bekam. — Dafs der Plural
bei diesen Worten dem Verse dient, hat übrigens schon Servius
erkannt, der zu hordea bei Vergil Ecl. 5,36 notiert: usurpavit
metri causa.
Direkter Verszwang verlangt den Plural aufserdem noch im
Dativ der trochäischen nach der dritten Deklination flektierten
Stämme. Schon Köne S. 105 hat die Unfügsamkeit von aequori
für den Plural bei Ovid Met. 4,525 imminet aequori bus scopulus
verantwortlich gemacht. Keller S. 217 Anm. schreibt es ihm
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 497
stillschweigend nach^ setzt aber statt unftigsam ^^ungeschickt''; was
wieder den Beweis schwächt. Es ist eben unmöglich^ einen
Kretikus in Hexameter zu bringen; und ihn zu elidieren, war ver-
boten. — In gleicher Weise sind die Dative aequoribus Ov. Met.
13, 921 litoribus Vergil Aen. 4, 628. 7, 1 vultibus Ovid Art.
2, 202 Trist. 4, 3, 19 pectoribus Trist. 1, 6, 3. 3, 6, 10 liminibus
TibuU 1, 2, 84 roboribus Ov. Met. 7, 632 curribus Met. 5, 643
Fast. 2, 858 (?) 4, 497 numinibus Fast. 3, 776. 5, 328 graminibus
Med. fac. 37 Her. 15, 66 und wahrscheinlich auch Her. 5, 153,
u. a. zu erklären. Lehrreich ist hier der Vergleich mit dem gleich-
lautenden Ablativ: da finden sich dieselben Formen entweder gar
nicht im poetischen Plural, oder nur äufserst selten im Vergleich
zum Singular*), oft erst später als im Dativ.
In allen übrigen Fällen kann man den poetischen Plural auf
direkten Verszwang nicht zurückführen. Wenn also auch hier
die Rücksicht auf den Vers den Ausschlag gab, so mufs für
jeden Kasus die verhältnismäfsige Häufigkeit des Plurals
seiner verhältnismälsigen Fügsamkeit für den dakty-
lischen Vers entsprechen. Es mufs also z. B. vinä und
hßderae viel häufiger sein als das schwerfällige vinum und
das nur mit Elision fugbare h^d^ra; aber auch die trochäischen
Singulare länä cera viel häufiger als die spondeischen Plurale
länäe ceräe. Und wir werden im nächsten Kapitel an einer Reihe
von Beispielen zeigen, dafs dies Verhältnis in der Regel gewahrt
bleibt und sich somit die Forderungen des Verses als das Haupt-
motiv im Gebrauch des poetischen Plurals geltend machen.
Aber in einer geringen Zahl von Fällen wird dies Ver-
hältnis überschritten; so treten z. B. mehrere Ablative auf Is für
die Formen auf ö oder ä ein, auch ohne dafs der Vers es irgend-
wie erforderte, und ein Gleiches wird man auch bei anderen
Formen hie und da konstatieren können. Warum haben die
Dichter da nicht den Siogular gewählt, den die Prosa verlangte?
Weil ihn die Prosa verlangte, glaube ich. Der poetische Plural
war zu einer Eigentümlichkeit der Dichtersprache geworden; die
Dichter gewöhnten sich diese Licenz an, die ihren Versen ein für
die Poesie charakteristisches Kolorit verlieh, sie betonten den
*) Litoribus (statt des Abi. sg.) fehlt zwar nicht, wie Keller S. 217
meint, sondern es kommt bei Catnll Properz Ovid zusammen zehnmal vor;
litore dagegen in derselben Zeit zehnmal so oft.
498 Pftul Maas:
Gegensatz zur Sprache des Alltagslebens (wie auch unsere Modern-
sten gern durch ungewohnte Pluralformen zu wirken suchen):
die „Not der Dichter'' (Köne) wurde zur Tugend.*) Es ist schwer-
lich Zufall, dafs in den von Horaz (Sat. 1, 4, 60) als Muster hoch-
poetischer Diktion zitierten Versen des Ennius
postquam Discordia taetra
belli ferratos postes portasque refregit
portas im poetischen Plural steht.
Resultat: Die Dichter gebrauchen in gewissen Fällen auch
da, wo die Prosa den Singular fordern würde, den Plural bei
Substantiven, ohne dafs dieser auf die Bedeutung des betreffenden
Wortes irgend welchen Einflufs übte. Diese Licenz ist im
Wesentlichen der entsprechenden Erscheinung im Griechischen
nachgebildet, fand aber eine Stütze in den lateinischen Wörtern,
die pluralisch gebraucht wurden, obwohl die Vorstellung einer
Mehrheit bei denselben verdunkelt war. Der poetische Plural ist an
einzelne Wortklassen, Wörter imd Easus gefesselt und zeigt eine
klare Entwicklung. Er dient den Dichtem dazu, erstens gewissen
Wörtern und Kasus, deren prosodische Beschaffenheit den Singular
vom daktylischen Vers ausschliefst, Eingang in die Dichtersprache
zu verschaffen ; femer ihnen im einzelnen Fall, wenn es das Metrum
oder das Streben nach Wohlklang und Deutlichkeit forderte, eine
Nebenform fär den Singular zu liefern; endlich die Dichtersprache
gegen die Umgangssprache abzuschliefsen.
Nun zum Vergleich ein paar Worte über den „generellen*'
Plural. Wir haben ihn von der Betrachtung des „poetischen" fem-
gehalten, weil er nicht der Dichtersprache allein angehört (S.481);
er ist aber auch sonst grundverschieden. Während der poetische
Plural nie bei Personennamen, Verwand tschafts- und Gattungs-
bezeichnungen auftritt, so findet sich der generelle in der Regel
bei solchen; von einer Beschränkung auf einzelne Worte und
*) Man kann auch dies als slg öyxov tf}g Xi^eag bezeichnen; nur mufs
man sich klar bleiben, dafs nicht der Begriff, sondern nur die Form be-
rührt wird. — Die Prosaiker erkannten diese Absonderung übrigens nicht
lange an: es scheint mir zweifelhaft, ob nicht schon die voraugusteische
Prosa Spuren solcher poetischer Plurale aufweist (vgl. S. 544 flf.); in der
silbernen Zeit, besonders bei dem älteren Plinius, dringen sie unaufhaltsam
ein; im Spätlatcin, z. B. bei Apuleius, wird auch in diesem Punktes der
unterschied zwischen Poesie und poetischer Prosa minimal; vgl. Wölfflin,
Hexameter und silberne Prosa, Archiv XI 613.
Stadien zum poetischen Plural bei den Römern. 499
Formen^ sowie von einer formalen Entwicklung zeigt er nichts.
Der Gmndnnterscliiecl liegt aber in dem rhetorischen Charakter
des generellen Plurals; er kann ein geheimnisvolles Dunkel über
den Ausdruck giefsen:
Verg. Aen. 7, 98 extemi venient generi . . .
Verachtung und Entrüstung ausdrücken:
Verg. Aen. 7, 359 exulibusne datur ducenda Lavinia Teucris?
ja sogar ironisch wirken; köstlich verwendet ihn so Ovid Trist. 2,533
Aeneidos auctor
Contulit in Tyrios arma virumque toros.
Aufser diesem wäre den von Kühner II § 23, 7 und 8 und
Bothstein zu Prop. 2, 24, 25 gesammelten Beispielen noch hinzu-
zufügen u. a.: Accius fr. 207 R., Verg. Aen. 11, 276 (vgl Homer
E 404), EcL 6, 42 (von Ladewig nach Art der poetischen
Plurale total mifs verstanden; vgl. Prop. 2, 25, 14 und Rothstein
daselbst). Hör. Sat. 1, 7, 8 Ovid Art 2, 124. — Hierher gehört
auch der Gebrauch von vos und vester in der Anrede an eine
Person, deren Handlungsweise dadurch als typisch (meist für ihr
Geschlecht) bezeichnet wird, z. B. Catull 99, 5
nee possum fletibus uUis
tantillum vestrae demere saevitiae,
wo Baehrens einige Parallelen giebt (Terenz Adelph. 165 Ovid
Her. 1, 75 Prop. 3, 15, 44), denen man z. B. Prop. 2, 29, 32
zur Seite stellen kann. Für einen ganz abgeschwächten gene-
rellen Plural halte ich den sog. pluralis modestiae (Plural statt
Singular in der ersten Person), der von den Dichtem sehr frei
behandelt wird. — Des generellen Plurals hat sich auch die rheto-
rische Theorie bemächtigt, wie wir schon för Arist. Rhet. 3, 6
und den Auctor nsQl vij^ovg cap. 23 (iöd"^ 57tov TtQoöTcCTCxsL xä
Tckr^&wxixä fisyaXo^^tiiwviötBQa Tcal avx& do^oxoTtovvxa xg» &yxa}
xov iQid'iiov) nachgewiesen haben (vgl. Beda p. 609, 1 Halm);
sie hat auch den pluralis modestiae verwertet: Cic. de orat. 3, 168
Quintilian 8, 6, 20 Herodian nsgl öxrjfi. Rhet. Graec. 3, 88 Sp.
Pseudoplutarch de vita et poesi Homeri 2, 56; vgl. Plutarch Praec.
reip. ger. 20 D und Servius zu Verg. Aen. 2,89.*)
*) Etwas Zusammenhängendes über die Frage, wie die Rhetoren den
Kameras behandeln, fand ich nirgends. Eine gute Zusammenstellung von
Zeugnissen bietet das wenig bekannte Hauptwerk eines jüngst verstorbenen
Gelehrten: Gustav Gerber, Die Sprache als Kunst, 2 Bde , 2. Aufl., Berlin
1885, I 480, 600 ff., 11 33 ff.
500 Paul Maas:
Also ein „rhetorischer" Plural im Gegensatz zum „poetischen".
Andererseits dürfte auch ein Hinweis auf eine verwandte
Jlrscheinung am Platze sein. Schon Keller S. 217 (mit dem
!^aterial aus Köne S. 48 und 105) vergleicht mit dem „pluralis
poeticus" den entsprechenden, gegen „die strenge Logik und
Grammatik" verstofsenden Gebrauch des Singulars statt des
Plurals. Er giebt als Beispiel Ovid Met. 11, 599 soUicitive
canes canibusque sagacior ans er (Köne erwähnt auch noch
multa victima Verg. Ecl. 1, 33 und quatit ungula campum Verg.
Aen. 8, 596); femer den Gebrauch von littera tibia curia carcer
statt litterae tibiae curiae carceres. — Da sind wieder zwei ganz
verschiedene Erscheinungen zusammengeworfen. Jenes anser
victima ungula gehört zu dem sog. kollektiven Singular
(Dräger P §3 und Kühner 1I§ 19; vgl. Nägelsbach, Stüistik für
Deutsche § 11) und entspricht somit einem prosaischen Ge-
brauch, den die Dichter nur weiter ausgebildet haben; z. B.
Cicero Cato mai. 56 abimdat porco haedo agno. Man könnte
nach Analogie des generellen Plurals auch diesen Singular
„generell" nennen. Denn wie jener die Einzelerscheinung ver-
allgemeinernd zur (Jattung erweitert, so vereinigt dieser eine
Summe von gleichartigen Einzelerscheinungen durch den Aus-
druck der Einheit zum GattungsbegriflT. Auch der generelle
Singular ist von der rhetorischen Theorie notiert worden, die sich
freilich auf die Völkemamen beschränkt: Dion. Hai. :tSQl Sovx,
lÖLOfL. p. 798 (vgl. auch p. 936; ich danke den Hinweis auf Dionys
Herrn Prof. Ammon) Auct. ad Herenn. 4, 45 Cicero de orat. 3, 168
Quintilian 8, 6, 20; vgl. Beda p. 608, 35. — „tö eoc rör diriQrifidviov
dg tä rivco^iva iitiövötQEilfca rov &QLd'(ibv 6<o(iaro£tds6T6Qov^'
sagt der Autor nsQl vil^ovg (cap. 24) über einen nahverwandten Ge-
brauch des Singulars. —
Etwas ganz anderes ist der Gebrauch des Singulars bei
den sog. pluralia tantum, also etwa carcer statt carceres. Das
ist eine der klassischen Prosa fremde Vertauschung der Numeri
ohne jeden rhetorischen Charakter; also genau das Gegenstück zum
poetischen Plural. Nur in der Entstehung sind diese beiden Er-
scheinimgen verschieden. Dieser Singular, den wir nun auch
„poetisch" nennen wollen, ist im Geiste der Sprache begründet,
die für einheitlich in die Vorstellung tretende Gegenstände auch
den Ausdruck der Einheit erstrebt. Zwischen cervices und cervix
liegt dieselbe Entwicklung, wie zwischen got. brusts und unserem
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 501
Bmst. — Aber im Gebrauch des poetischen Singulars bei den römi-
schen Dichtem lassen sich dieselben drei Phasen unterscheiden, wie
in dem des poetischen Plurals. Erstens: Singular aus direktem
Verszwang: z. B. littera tibia carcer statt litt^räe tibläe cärceres
(Eöne a. a. 0.^; ebenso naris faucis carceris statt närlüm fäüclüm
carc^rüm etc. Zweitens: Singular als willkommene Nebenform
fQr den jeweiligen Bedarf: z. B. casse clune fide (Leier) neben
cassibus clunibus fidibus etc. Drittens: Singular im Gegensatz
zum Sprachgebrauch der Prosa. Das läfst sich am besten an
dem Wort cervices demonstrieren. Dafs dies Wort (ebenso wie
nares) bei Kühner einerseits unter die pluralia tantum (I § 115),
andererseits unter die poetischen Plurale geraten ist (II § 23, 2 b),
ist eine unglückliche Folge davon, dafs er das erstere aus Neue
(I § 111), das letztere aus Dräger (P § 5, 2) entnommen hat.
Natürlich schliefst das eine das andere aus. Cervices ist in der
Umgangssprache bis Cicero (incl.), auch in Bezug auf ein Indi-
viduum, plurale tantum: Cato Agr. 157, 10 Plautus Mil. 722
Terenz Heaut. 372 Lucilius ine. 101 M. Auct. ad Herenn. 3, 26 Bell.
Hispan. 20, 5; Varro bezeugt es ausdrücklich L. lat. 8, 14. 10, 78.
Auch in Ciceros rheterischen und philosophischen Schriften kommt
nur der Plural vor (10 mal); der Singular hingegen findet sich
in der Umgangssprache bis dahin nur einmal: Afranius fr. 414 R^
hat cervicem fingam (sfingam Wolfenb. cervices? Ribbeek).
Gerade umgekehrt in der Dichtersprache; hier ist der Singular
Regel: Ennius Ann. 510 M, Pacuvius fr. 3 und 152 (?) R,
Hortensius nach dem Zeugnis Varros (8, 14): „Ortensius in
poematis cervix", Lucrez 1, 35. 6, 744 CatuU 63, 83 Cicero
Aratea (Baehrens Poet. lat. min. I) v. 56, fr. 9, 5. v. 385.
474. 479 Prognost. fr. 6, (>, im Marius (de div. 1, 10) und
wahrscheinlich auch Aratea 295 (cervicum edd. durch Kon-
jektur: cervicem DHm. 1; cervicis Hm. 2, was ich für gute
Überlieferung halte; vgl. S. 537 Anm.); der Plural hingegen
findet sich in Bezug auf ein Individuum nur einmal vor den
augusteischen Dichtem: Cicero Aratea 358 cervicibus. Dafs
hier eine Absicht der Dichter vorliegt, sich gegen die ge-
wohnte Ausdrucks weise abzuschliefsen, bedarf nach den Belegen
aus Cicero keines Beweises mehr. Vielleicht liegt diese Erkenntnis,
schon in Varros Worten: Ortensius in poematis cervix. — Noch
stärker als die poetischen Plurale sind diese Singulare in die
Schriftprosa eingedrungen. Für cervix wird als erf»*^'* T'^ius citiert;
502 Paul Maas:
doch fand ich den Singular schon in Varros R. rust. (nach Ciceros
Tod) 2, 2, 3. 3, 2. 7, 5: ein sicherer Beleg für die Einwirkung der
Poesie, deren Vorrecht Varro selbst in früheren Jahren noch an-
erkannt hatte. Die spätere Prosa hat dann den Singular sogar be-
vorzugt; auch die Dichtersprache behielt ihn: bei den augusteischen
Dichtem findet er sich etwa 70 mal, der Plural (von einem Indi-
viduum) nur 5 mal und nur in der Form cervicibus (Verg. Aen.
11, 496 Prop. 2, 14, 11 Ovid Met. 1, 542. 4, 717. 6, 175). —
Aufidius Bassus (bei Seneca suas. 6, 18) berichtet, Cicero habe zu
seinem Mörder gesagt: incide cerviceml So soll der grofste
„goldene'' Lateiner gefallen sein, auf den Lippen ein Zugesiändnis
an die neue, an die „silberne'' Sprache! Galt das unserer Schul-
stilistik?*)
Der poetische Singular harrt noch einer ausführlichen Unter-
suchung; ich halte es nicht für ausgeschlossen, dafs eine solche
„vulgäre" Bestandteile darin entdeckt. Bis jetzt ist er in die
Formenlehren verbannt geblieben — zu seinem GlQck. Denn
wäre er als Gegenstück zum poetischen Plural erkannt worden,
so hätte man ihn auch entsprechend interpretiert. Wenn „ora
saepe ab ore lato et rustico haud multum discrepant", so muTs
nare eine ganz kleine feine Nase bedeuten; und die plurales
magnitudinis, gravitatis, praestantiae et pulchritudinis hätten not-
wendig zu singularibus parvitatis, levitatis, mediocritatis et pravi-
tatis geführt. Das Pendant zum pluralis maiestaticus aber wage
ich mir nicht einmal auszudenken.
So viel im Allgemeinen; jetzt wollen wir zwei Wortklassen,
die Namen von Begriffen der Masse imd von Körperteilen, ein-
gehender behandeln und dabei besonders den formellen Charakter
des poetischen Plurals sowie das Moment der Entwickelung ins
Auge fassen.
*) Die bisherigen Darstellungen dieser Frage sind unzu^nglich. Es
wird gelehrt, nach Varros Zeugnis hätte Hortensius zuerst den Singular
gebraucht; in den Texten steht nur contra usum veterem; „primus*^ hat
erst Quintilian 8, 3, 3ö hinzugefügt. Femer: Cicero kenne nur den Plural; das
soll heifsen : die Indices zu Cicero. Zwischen dichterischem und prosaischem
Gebrauch wird nicht unterschieden. Wer zwei Seiten mit Belegen für cer-
vices und cervix füllt (Neue -Wagencr P 672 f.; dabei sind 70 vöUig wert-
lose Stellen aus Statins und Lucan\ sollte Cato, Lucilius, Ciceros Aratea,
Varros R. rust. und Senecas suas. (auf welch letztere schon bei Reisig,
Vorl. über Sprachw. § 92 Anm. 154 hingewiesen ist) nicht ganz vergessen.
Stadien zum poetischen Plural bei den Römern. 503
n. Begriffe der Masse.*)
Über das Syntaktische im poetischen Plural bei Begriflfen der
Massen ist das Notwendige gesagt (S. 483 f. 491. 494f.); nun bleibt
noch die Frage, woher denn diese Pluralformen selbst stammen.
Denn wenn solche singularia tantum in Prosa bei übertragener
Bedeutung oder zur Bezeichnung mehrerer Arten eines Stoffes den
Plural annehmen konnten, so waren doch, ebenso wie im Deutschen,
nur von den wenigsten diese Formen in Gebrauch. So ist ims aus
der Yoraugusteischen Prosa der Plural mit Bedeutungsübertragung
überliefert nur für aera (N[eue S.] 619), sales = urbanitas (N 616),
•) Neue -Wagener Formenl. der lat. Spr. I' (im Text durch N abge-
kiSrzt) stellt die Zeugnisse der alten Grammatiker zusammen (§ 101 und
einige verstreut § 103 f.) und giebt eine Aufzählung der Pluralformen (§ 103 f).
Leider bleibt dabei sehr viel zu wünschen übrig. Abgesehen davon, dafs
eine Masse dazu gehöriger Wörter überhaupt nicht erwähnt wird (u. a. ap-
sinthium casia castanea favilla frons glacies glans lilium nebula pabulum
purpura rosa stipula vestis viola), fehlen auch bei den behandelten Wörtern
viele, oft die wichtigsten Belege für den Plural. So korrigierte ich aus zu-
fälligen Notizen zu vina (600) Varro L. lat. 9, 67 Hör. epist. 1, 7, 28 Prep. 1,
14, 2. 2, 33, 36. 3, 17, 10. 4. 2, 30. 6, 73. 86. 7, 36, zu unguenta (S. 602) Ta-
bulae Censoriae bei Varro L. lat. 6, 87 Varro L. lat. 9, 66 sq. R. rust. 3, 16, 6,
zu frumenta (607) Cato fr. 65 I. Agr. 37, 5. 141, 2 (Gebetformel). 155, 2
Auct. ad Herenn. 4, 63 Varro R rust. 1 , 37 , 1 , zu avenae (608) Dirae 15 und
19, zu apium (612) die bei Neue S. 790 genannten Plurale, zu rutae (613)
Priap. 61, 21, zu porris (613) Petron. 137, zu alia (514) Moret. 102, zu lac-
tucae (616) Priap. 51, 19, zu paleae (615) Cato Agr. 14, 3. 33, 3, 37, 2. 54,
2. 92. 128 Varro R. rust. 1, 57, 2. 69, 1 (?). 2, 8, 2 Lucilius 9, 47 Cicero Verr.
8, 114 Vitruv. 2, 3, 1, zu mella Varro Ata<jin. fr. 20 Baehrens, zu lanae (521)
Charisius I 35, 5 Petron. 78, zu panes (623) Varro R. rust. 2, 9, 11, zu soles
(626) Fragm. Bobiense Gramm, lat. V 558, 17. Unsicherheit der Lesart hätte
angemerkt werden müssen z. B. zu cerae (620) Varro R. rust. 3, 17, 4 (cetera
codd.), zu lanae (621) Varro L. lat. 7, 24 (lana Spengel nach Ribbeck), zu
alia (614) Lucilius 14, 15 (ala cod.), zu sales (616) Varro R. rust. 2. 11, 6
(sal, is? Eeil). Von besonders störenden Druckfehlem ist zu berichtigen
z. B. S. 685 Z. 11 V. u. barca lies barba; S. 589 Mitte maria lies muria;
S. 614 Z. 8 nomen lies novem; der letzte Satz der Seite gehört zu hederae;
S. 623 Z. 7 fab. lies libr. — Die Zahl der Ausstellungen liefse sich leicht
verdoppeln. Eine solche Nachlässigkeit, die in anderen Partien der Neu-
bearbeitung noch stärker hervortritt, sollte in einem so notwendigen, so
breit angelegten und so — teuem Handbuch nicht vorkommen. Es ist sehr
zu hoffen, dafs dem in Aussicht gestellten Index ein vollständiges Verzeichnis
der Druckfehler und ein Nachtrag wenigstens der wichtigsten addenda bei-
gefügt werde.
504 Paul Maas:
c e r a e = Wachsbilder (vgl. S. 484 ; N 620), g 1 a n d e s = Wurfgeschosse
(fehlt bei N; doch glans = Eicheln wird von den Klassikern der
Prosa stets im Singular gebraucht), in derselben Bedeutung rumices
(N 6 13 f.) und ad ip es = Schwerfälligkeit (N 622); mit Beziehung auf
mehrere Arten nur für vina unguenta aquae(vgl.VarroL. lat. 9,67
und 69; N 600, 602, 605) und brassicae (N 614); vgl. Charisius I
35, 2 et si pluraliter declinata fuerint, non ad quantitatem, sed ad
genus referuntur, velut „mella'', ut sint multae species . . . similiter
et „lanae", ut sint multae species; aber da mella in dieser Be-
deutung überhaupt nicht bezeugt ist (N 615), lanae nur bei Plinius
NH 8, 193 (N 621), so kommt das Zeugnis des Charisius — viel-
leicht ein Versuch, die poetischen Plurale nach Analogie von vina
und unguenta zu rechtfertigen — für die Prosa der Republik kaum
in Betracht. Die meisten Formen der hierher gehörigen poetischen
Plurale (worunter wir die nicht rechnen, die auch in Prosa ohne
sichtlichen Bedeutungsunterschied vorkommen) fehlen also der Um-
gangssprache, wie uns dies übrigens ausdrücklich von Zeitgenossen
überliefert ist für harena (Caesar de analogia I bei Gellius
19, 8, 8; N 616), faba (Varro L. lat. 9, 38; N 610), pix (Varro de
similitud. verb. II bei Charis. I 91, 26 N 621), und hordenm
durch den S. 494 genannten Spottvers (N 609).*)
Man könnte nun annehmen, dafs die Dichter die ihnen
eigentümlichen Pluralformen nach Analogie der bestehenden neu
geschaffen hätten, und sich dabei auf Prisciian 6r. lat. U 176 be-
rufen, der zum Beweis dafür, dafs solche Plurale nur „usus",
nicht „regula" ausschliefse, die Thatsache bringt, „quod quidam
*) Bei dem Streit um die Analogie spielte die Ausnahmsstellung der
wenigen des Plurals Hlhigen Begriffe der Masse natürlich eine grofse Rolle.
Varro L. lat. 9, 67 ff. versucht folgende Erklärung: ,,. . . si item discrimina
magna essent olei et aceti et sie ceterarum rerum eiusmodi in usu com-
munis dicerentur sie olea et aceta ut vina." Fronto (bei Gellius 19, 8, 13 sq.),
der durch die zu seiner Zeit auch in Prosa üblichen, der Poesie entlehnten
Plurale wie mella pulveres fomi irre geworden war, verzweifelte an der
Lösung dieser Frage mit der drastischen Ausrede: „<iu^^i inquam, ista
omnia et enucleari et extundi ab hominibus negotiosis in civitate tam
occupata non queunt.*' — Von den auch bei Dichtem fehlenden Formen
werden als ungebräuchlich genannt: der Plural von triticum bei Caesar
(Gellius 19, 8, 8), von oleum garum acetum bei Varro L. lat. 9, 68, cicer
und siser 8, 48, femer von mulsum bei Quintilian 1, ö, 16, lac bei Fronto
(1. c). Ganze Tabellen von singularia tantum geben die späteren Gramma-
tiker (N § 101), die aber für die klassische Prosa nichts Sicheres mehr
liefern.
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 505
propria confisi auctoritate plurali quoque haec protulerunt
numero (und zwar ohne Bedeutungsunterschied: tarn singulariter
quam pluraliter prolata idem possunt significare). Wenn wir
nun eine Formenlehre der lateinischen Dichtersprache hätten, so
würde wohl klar werden, dafs sich verhältnismäfsig wenig Neu-
bildungen darin finden; hingegen ist hinreichend bekannt, dafs
sie viel Archaisches bewahrt hat. Das war denn auch in diesem
Fall die Meinung der übrigen Grammatiker, die sich bisher zu
dieser Frage geäufsert haben. Gharisius I 93, 9 Nam quod
auctores dixerint „frumenta'' „hordea" „mella^*, nos non moveat.
Abusi sunt enim licentia vetustatis et tamen alios casus
eorum non protulerunt. Phocas V 427, 21 ex his multa veteres,
auctoritate licentiae lai^ientes, pluraliter extulerunt, haec frumenta,
hordea, farra, mella, defruta; vina etiam usus recipit. Nun geben
diese keinen einzigen Beleg (was vielleicht für das Alter ihrer
Behauptung spricht), und auch in den erhaltenen Resten der
älteren Schriftsprache fand ich für den Plural von solchen Begriffen
der Masse, die später singularia tantum sind, nur eine Stelle, die
aber nirgends erwähnt ist: pabula (fehlt bei Neue) Cato Agr. 30.
Dennoch spricht für die Richtigkeit jener Behauptung einmal die
Erscheinung, dafs paleae und stramenta, die bei Cato noch plura-
lia tantum sind (Keil im Kommentar S. 68), bei den Klassikern
sehr oft singularisch gebraucht werden (die Stellen für palea bei
Varro R. rust. giebt Keil im Kommentar S. 121, vgl. Cic. de Fin.
4, 76, zu stramentum vgl. Varro R. rust. 1, 48, 3. 50), und femer
der Umstand, dafs die Zahl der verschiedenen von demselben
Worte gebildeten Kasus des Plurals in vorklassischer Zeit gröfser
war als später. So sagt Priscian II 310, 15: maria aera vina
mella hordea genetivos et dativos plurales in usu raro habent
nisi apud vetustissimos, apud quos multa praeterea de-
ficientia invenies. Dies bezieht sich wohl auf Formen wie
aerum und aeribus Cato fr. 84 (bei Priscian II 319, 2), vinis
Cato Agr. 147 = 148, 2 (in einem Gesetz), marum Naevius v. 16 M.
bei Priscian U 352, 5 und iurum Cato Origin. 7 fr. 14 bei Charis. I
93, 21 und Plautus Epid. 523 (beide in der Verbindung iurum
legumque), die der klassischen Prosa sämtlich fehlen (vgl. Neue
I § 1 19).
Aber obgleich mir damit sehr wahrscheinlich gemacht zu
sein scheint, dafs wirklich viele poetische Pluralformen identisch
mit archaischen sind, so dürfte doch ein bewufstes Archaisieren
506 Paul Maas:
der Dichter in allen Fällen nicht anzunehmen sein. Hingegen
glaube ich zeigen zu können, dafs die Vulgär spräche jene von
der klassischen Prosa aufgegebenen Formen bewahrt und der
Dichtersprache übermittelt hat. Betrachten wir zu diesem Zwecke
jene vereinzelten Dichterstellen, wo der Plural die Deutung auf
die Teile einer Masse verlangte (vgl. S. 486). Ovid Fast. 2, 573 ff.:
Et digitis tria tura tribus sub limine ponit,
qua brevis occultum mus sibi fecit iier;
tunc cantata ligat cum fusco licia rhombo
et Septem nigras versat in ore fabas.
Also eine dem Volksaberglauben entstammende Beschwörungs-
ceremonie; vgL5,438: „his redimo meque meosque fabis". Femer
Moretum 89
quattuor educit cum spissis alia fibris.
Also eine Schilderung des Bauemiebens. Dazu kommen mm noch
einige Stellen, wo dieselbe Deutung angewandt werden mufs, weil für
poetischen Plural keine Möglichkeit vorliegt. Das ist zunächst
die von Charisius I 42, 8 u. a. (N 616) überlieferte Schwurformel
per hos sales („Salzkömer^^ ; und dann das alte Bauernlied
hibemo pulvere vemo luto grandia farra Camille metes
(Servius zu Verg. G. 1, 101 Macrobius 5, 20, 18; Lucian Müller^
Der satumische Vers S. 83, Baehrens poet. lat min. VI p. 58,
E. Norden, Antike Kunstprosa 159).*) — Wenn wir nun sehen,
dafs von den der Prosa fehlenden Pluralformen die meisten zuerst
in den Bucolica \md Georgica des Vergil auftreten, z.B. de-
fruta avenae farra ordea fabae balsama und andere Pflanzennamen
alia (vgl. Anm.) papavera lilia (vgl. S. 508) tura harenae electra
cerae sulpura pices violae stipulae (die Reihenfolge ist die Neues
§ 103 f., viola und stipula fehlen daselbst; doch ist mir aus der
Prosa der Republik für den Plural noch kein Beleg bekannt; zu
viola vgl. Cicero Tusc. 5, 73 Varro R. rust. 1, 23, 5; zu stipula
*) Hierher gehört vielleicht auch Lucilius 14, 16 bei Charis. I 79, 18;
aus der Überlieferung caseus alamollit (oder alumolliet) hat Douza alia
mollit gemacht, was auch im Moretum 102 steht (zu der Luciliusstelle
notiert L. Müller: cenae rusticae descriptio); in den Ausgaben wird alium
ölet verbessert. Als poetischer Plural würde sich alia bei Lucilius, wenn
er es geschrieben hat, nicht erklären lassen, da bei seiner Elisionstechnik
alium möglich war und er sonst keine poetischen Plurale bei Begrififen der
Masse aufweist (sabulis [fehlt bei NJ und fima [N 618] bei Baehrens
fr. 305 und 710 sind falsche Konjekturen).
Stadien zum poetischen Plnral bei den Römern. 507
▼gl. 1,49, 1.53.2, 11,2 Terenz Adelph. 848) — so werden wir dies,
obgleich auch die entsprechenden Singularformen vorher nur ver-
einzelt sind, nicht fQr Zufall halten, um so weniger, als Ecl. 5, 36
grandia saepe quibus mandavimus hordea campis
sehr an das grandia fanra des erwähnten Bauemliedes erinnert
and Georg. 1, 101 (von Ribbeck einer späteren Bearbeitung durch
Yergil zugeschrieben)
hibemo laetissima pulvere farra
direkt daran anschlielst. Auch weist der Spottvers „hordea qui
dixit^ superest ut tritica dicat'' wohl darauf hin, dafs farra arenae
tnra avenae etc. ebenfalls neu waren; sonst hätte das vom Vers
erzwungene hordea nicht auffallen können. Der Hohn scheint
gegen den Bauern söhn aus Mantua gerichtet zu sein, der jene
Formen von dem Gehöfte seines Vaters an den Hof des Augustus
verpflanzt hatte; „anne latinum? — non; vero . . . sie rure locun-
tur" (Poet. lat. min. VI p. 341) bekam der Verfasser der Bucolica
anch wegen anderer Neuerungen zu hören.
Aber das sind Vermutungen, die ihren Zweck erfüllt hal)en,
wenn sie zeigen, dafs auch dies Gebiet der Formenlehre einer
wissenschaftlichen d. i. historischen Behandlung fähig ist; wir
wenden uns jetzt zum Gebrauch des poetischen Plurals bei Be-
griffen der Masse und wollen durch Vergleich der entsprechenden
Singularformen zu erkennen suchen, welche Momente dabei mit-
gewirkt haben.*)
*) Ich greife im Folgenden aus jeder der nach den Endungen ge-
trennten Gruppen einige charakteristische Wörter heraus; eine vollständige
Behandlung aller im poetischen Plural vorkommenden Begriife der Masse
ist für unsem Zweck nicht nötig. Sie würde aufserdem eine Vorunteiv
Buchung voraussetzen, die ich im Rahmen dieser Studien gar nicht geben
könnte: diese müfste die Behandlung der Numeri (d. h. des Singulars und
des Plurals) bei allen Begriffen der Masse in der Prosa darlegen. Denn
mit der mehr oder minder voUständigen Autzählung der Pluralformen von
einer Reihe dieser Begriffe, wie sie Neue -Wagener giebt, ist in sehr vielen
Fällen nur die Hälfte gethan: es fehlen die Belege für den normalen Ge-
brauch, ohne die wir über den anomalen „poetischen*^ Plural nicht handeln
können. Dazu kommt, dafs zu Yarros Prosa, Ciceros Korrespondenz und
die fragmenta oratorum noch keine Wortindices existieren; ein Register der
Wortformen hat auch Krumbiegel in seinem Index zu dem ältesten Denk-
mal der Prosa, zu Cato Agr., zu geben unterlassen; hoffentlich finden wir
es in dem seit acht Jahren versprochenen Index zu Varro R. rust. Dafs
jene Untersuchung auch Entwicklungen konstatieren wird, scheint mir nach
dem S. 505 zu paleae und stramenta Bemerkten kaum zweifelhaft.
508 Paul Maas:
Unter den Wörtern, die für den daktylischen Vers überhaupt
in Betracht kommen (alle, deren Stamm drei Kürzen hinter-
einander oder einen Kretikus enthält, sind ja davon ausgeschlossen),
nehmen die Neutra der zweiten Deklination, die einen
Trochäus vor der Endung haben, eine besondere Stellung
ein; wir müssen sie deshalb getrennt von den anderen behandeln
(vgl. S. 488, 49G). Von den Begriffen der Masse gehören hierher
z.B. alia (N 614), apsinthia (fehlt bei Neue; die Prosa kennt
nur den Singular, was im Thesaurus II 321 hätte notiert werden
sollen; der Plural bei Lucrez fünfmal, bei Ovid dreimal), lilia
(fehlt bei N; vgl. Caesar BG. 7, 73, 8 VarroR.rust. 1,35,1), balsama,
cinnama und andere Namen von Gewächsen (N612f.), defruta
(N 601), (h)ordea (N 609), pabula (fehlt bei N; der Plural
häufig seit Lucrez; vgl. S. 505) u. a. Aber was wir im Fol-
genden über diese aussagen, gilt wörtlich für alle derartigen
Wörter anderer Gattungen, z. B. für fastidia gaudia otia silentis
taedia Capitolia Palatia Pergama atria fastigia ostia cingula
dolia spicula etc. etc.
Dafs von diesen Wörtern im daktylischen Vers die kretischen
Formen auf orum und is fehlen müssen, ist ohne weitere« klar;
desgleichen ist bekannt, dafs Formen wie päbüli päbülö nicht
elidiert wurden (ausgenommen ist „Lucilius, Catullus praeter hexa-
metros continuos, Horatius in saturis" Lucian Mueller de re
metrica poet. lai* 342) und folglich für den Epiker und Elegiker
nicht in Betracht kamen. So bleiben nur noch die Formen auf a
und um. Bezüglich letzterer steht fest: „dactylica qualia sunt arduum,
militum, plurimum, timuerunt cum vocalibus committere TibuUus
Grattius Columella Homerus Latinus [Statins] . . . adeoque ab
Augusti certe aetate vel durioribus usi modulis rarissime ad-
hibuerunt elisionem de qua agitur nee fere extra primum vel
quintum pedem. itaque ter eademst usus Catullus in hexametris
continuis ... bis Ovidius [fluminum amores Am. 3,6, 101; dies
Gedicht steht auch sonst technisch unter den übrigen; vii^inem
et unam Met. 6, 524], bis luvenalis, semel Lucanus . . .*' Lucian
Mueller o. c. 347. „timuerunt cum vocalibus committere'' ist nicht
ohne Grazie gesagt; in die Wirklichkeit übersetzt bedeuten diese
Thatsachen z.B. für Tibull und Ovid in Heroid. Ars am. Remed. Fast
Ibis Trist, ex Pont., dafs sie alle Genetive wie narium corporum
onmium, alle Akkusative wie militem litteram divitem, alle Verbal-
formen wie audiam invocem, und endlich, was für uns die Haupt-
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 509
Sache ist; alle Formen wie solatiiim poculum arduum nirgends
angewandt haben*); im letzten Buch seiner Metamorphosen hat
Ovid zwei solche Formen durch Synizese eingezwungen: promun-
turium 709, wenn da nicht mit L. Mueller d. r. m.* 302 promuntü-
rium zu lesen ist, imd Antium 718. Aber auch bei Lucrez, Ver-
gil, Properz und in den Episteln des Horaz kommt jene Elision
nur ganz vereinzelt vor, und legitim ist sie nur bei einem
Wort, und zwar in einem Eigennamen, und auch nur bei Vergil:
Ilium, das der Sänger der Aeneide weder missen, noch mit
der Mutter des Romulus gleichlautend machen wollte, wird sieben-
mal vor et und einmal (1, 68) vor in elidiert (vor diesen beiden
Wörtern werden sonst gemiedene Elisionen am leichtesten zu-
gelassen); Ovid schrieb Ilion (so auch Properz 3, 13, 8 cinnamon.)
Noch eines bleibt zu erledigen. Bei den io-Stämmen alium
atrium solatium etc. hatte ja der Genetiv, wenn man unseren
Ghrammatiken traut, bis auf die „Zeit des alternden Augustus'^ ein
einfaches i.**) Wir wollen die sprachwissenschaftliche Seite der
Frage (vgl. F. Leo, Plautinische Forsch. 311 f.) beiseite lassen und
•) Appel (vgl. S.479 Anm.) p. 18 brauchte sich also für seine Behauptung,
Ovid habe gaudium nie geschrieben, nicht auf den index Burmanni zu be-
rufen, der auch für gaudia ein Dutzend Stellen zu wenig hat. Aber Appel
hat überhaupt eine unrichtige Ansicht über diesen I^nkt: „elisioneni
autem, praesertim si terminationi vocalis antecossit, Optimum
qnemque poetam vitasse vel inde cognoscimus, quod ea in neutris plura-
libus raro poeta usi sunt" (p. 15). Dies letztere beweist natürlich gar nichts,
da Wörter wie gaudia ja auch ohne Elision sich dem Vers fügen. Und
die Behauptung, der Vokal vor der Endung erschwere diese Elision (wohl
einer mifsverstandenen Bemerkung Könes S. 68 entsprungen), widerlegt
Vergil, bei dem ich nur folgende Elisionen dieser Art fand: Ilium (7 mal),
omnium audiam abluam eruam limitem (Aen. 1, 599. 4, 387. 6H4. 10, öl4.
12, 669). Leider ist für die Dichter, die solche Elisionen aufweisen, eine
Aufzählung derselben noch nicht gegeben, aufser für Ovid und Juvenal.
Überhaupt ist das Buch über die Elision bei den Römern noch zu schreiben —
oder vielleicht nur zu veröffentlichen. I. Hilberg hat es seit sechs Jahren
in Aussicht gestellt (Zeitschr. f. Österreich. Gymn. 1896 S. 868), und hier ist
Beine Statistik wirklich am Platz.
♦*) Dem Folgenden liegt zu Grunde die Materialsammlung von Neue-
Wagener P 134—154, die freilich trotz ihres Umfanges an sehr vielen
Stellen vollständig versagt. Es wäre Papierverschwendung, die Unordnung,
Lücken und Druckfehler darin alle hier ausdrücklich zu notieren; die Frage
bedarf so wie so noch einer systematischen Behandlung, besonders des die
Prosa betreffenden Teiles. Ich habe, was für unseren Zweck nötig schien,
stillschweigend verbessert.
Archiv fttr lat. Lexikogr. XII. Heft 4. 34
510 Paul Maas:
die Belege für den Genetiv dieser Wörter im daktylischen Vers
anschauen^ abgesehen von Eigennamen ^ die fast stets einfaches i
haben (vgl. Mommsen, Hermes I 462 ff.), griechischen Wörtern,
die freier behandelt werden, und solchen, die adjektivischen Cha-
rakter tragen (wie nuntii Catull 9, 5; vgl. Bücheier- Windekilde,
Grundr. der lat. Dekl.^ S. 72).
Da ist denn zunächst zu konstatieren, daJjs im daktylischen
Vers das einfache i sich nur dann findet, wenn das doppelte im-
möglich wäre; also nie in fluvi foli geni gladi gremi lani odi
preti radi soli viti etc., nur in Formen wie oti (ötli) und remedi
(r^m^dli)*); aber auch bei diesen letzteren nur selten (die Stellen
bei Neue 140f.): Ennius hat dispendi und praemi, Lucilius tri-
clini (ine. 145) oti dupundi, Lucretius stilicidi remedi dispendi
bracchi incendi, Vergil (nicht in der Aeneis) peculi oti tuguri,
Horaz (nur in Satiren) oti negoti patrimoni (zweimal) silenti
peculi, Ovid sacrifici; also nur bei 14 von allen solchen Wörtern
auf ins und ium kommt der Genetiv im daktylischen Vers bis
zu den augusteischen Dichtem vor und bei diesen 14 nur in
20 Fällen.**) Dafs diese Seltenheit nicht Zufall ist, möge ein
Vergleich zwischen synonymen Wörtern zeigen: Vergil hat filins
lOmal, natus in dieser Bedeutung nie, nati (gnati) 12mal, fili
nicht; ähnlich läfst sich proelium und pngna vergleichen. Da-
mit scheint mir, was für unseren Zweck genügt, erwiesen zu sein,
dafs auch die Genetive der hier behandelten Neutren für den
daktylischen Vers so gut wie nicht in Betracht kamen. Es möge
dennoch zur Beleuchtung dieser Frage ein knrzer Exkurs ge-
stattet sein.
Ich will natürlich nicht behaupten, der Genetiv solcher Wör-
ter sei mit doppeltem i ausgesprochen worden; im Gegenteil, ich
bin sogar der Meinung, dafs in allen Texten der Prosa bis zur
Kaiserzeit die Schreibung mit einfachem i als der Aussprache
*) Dasselbe gilt aufserhalb des daktylischen Verses ffir cisi Verg.
Catal. 10 (8), 3 auxili venefeci desideri Horaz Epod. 1, 21. 17, 68. 80 im-
peri und ingeni Horaz Carm. 1, 2, 26. 2, 18, 9; aber nicht für ingeni con-
sili imperi Hör. Carm. 1, 6, 12. 3, 4, 65. 4, 15, 14, die nach dem Vorgang
der erstoren jedoch leichter zu erklilren sind.
**) Auch später bleiben diese Formen in Daktylen selten; unter den
Dichtem bis Sammonicus (die Stellen bei Neue 146 f.) zeigt Manilius negoti,
Copa (23) tuguri, Aetna silenti incendi (dreimal), Persius ali, Consol. acl
Liviam (6) fili, was sonst im daktylischen Verse fehlt und zur Datierung
berücksichtigt werden kann, Sammonicus (620. 644. 919) pulei.
Stadien zum poetischen Plural bei den Römern. 511
näher stehend eingeführt werden mufs. Dafilr spricht erstens
der ausnahmslose Gehrauch der Komödie^ die massenhaft Belege
hietet (die Stellen hei Neue 138 ff.); femer alle epigraphischen
Zeugnisse (Mommsen, Hermes I 461 ff.; Ritschi, Die Tesserae gla-
diatoriae der Römer, Kleine Sehr. 4, 623 f.); femer die Hand-
schriften, die fast allen Grammatikertheorien (auch Caesars und
Varros) zum Trotz sehr oft die Schreibung mit einfachem i gewahrt
haben (natürlich nur diejenigen, die es regelmäfsig nur im Genetiv
der Substantiva aufweisen, nicht z. B. die des Auetor ad Heren-
nium, vgl. Marx prolL 164; über Cicero de republ. vgl. Köne,
Museum des rhein.-westf. Schulmännervereins I 2 [1841] S. 70 ff.):
der Archetypus von Cato de agr. hat die Hälfte dieser Genetive
mit einfachem i: preti mortari viti 14, 5. 22, 1. 107 gegen triennii alii
negotii dolii 5, 6. 70, 1. 156, 4. 162, 1; Eigennamen und griechische
Wörter regelmäfsig (hier auch alle Apographa): apsinthi Manli (zwei-
mal) melanthi 102. 144, 2 (vgl. 145, 2). 159. Keil hat das Doppel-i
seltsamerweise gerade in alii und dolii in den Text gesetzt, sonst
richtig das einfache.*) Über Korruptelen, die auf ursprünglich ein-
faches i hinweisen, vgl. M. Bonnet, Revue des etudes grecques
XVH (1893) p. 116. Die Entscheidung würde eine Untersuchung
von Ciceros Kunstprosa geben, auf die schon Bentley ad Terent.
Andr. 2, 1, 20 hingewiesen hat: „Cicero igitur sie semper locutus
est; quod maxime attendendum est eis, qui numeros oratorios
cupiunt intellegere". Dieser letzteren sind nun leider äufserst
wenige, und so haben sich denn die Ciceroherausgeber (mit Aus-
nahme Clarks in der Oxforder Ausgabe der Reden 1900) durch die
von 6. Wüst, De clausula rhetorica 1881 p. 79 [305] sq. vorgebrachten
Beispiele pro Cn. Pomp. 54 imperi caruit, pro Mil. 76 exiti fuerit,
Phil. 2, 57 principi similes**) nicht überzeugen lassen, das einfache
•) Dieselbe Überlieferung hat jedoch in Varro de re nist. nur fili con-
vivi 1, 2, 22. 3, 16, 5 gegen pretii (zweimal) praedii vitii convivii seminii
aedificii nasturcii ingenii opificii 1, 7, 4. 13, 6. 15, 1. 45, 1. 50, 2. 2, 9, 5.
3, 5, 4. 9, 13. 16, 3. 20; in Personennamen aber regelmäfsig einfaches i:
1, 2, 6. 2, 1, 2. 10 (dreimal). 5, 11. 7, 6. 3, 3, 10. 6, 8. 7, 1. 17, 7 gegen das
vereinzelte Fundanii 1, 2, 26; im Lokativ Lavini 2, 4, 18 gegen Brundisii
3, 6, 8 (vgl. Ennius Sat. 54). Keil schreibt doppeltes i nur an dieser letzteren
Stelle; seminii 2, 9, 5 in der kleinen (postumen) Ausgabe ist wohl Versehen.
*♦) Die übrigen von Wüst, Ernst Müller (De numcro Ciceroniano 1886
p. 31), Jul. Wolff (De clausula Cicer., Jahrb. f. klass. Phil. Suppl. 26, 1901,
S. 662) vorgebrachten Beispiele beweisen nicht mehr als die genannten,
teilweise gar nichts.
84*
512 Paul Maas:
i in den Text zu setzen. Vielleicht spricht deutlicher der in den
Ausgaben fast als Pentameter erscheinende Satzschlufs Rep. G, 12
lumen aninii ingenii consiliique tui oder die fünfthalb reinen lambeu
am Schlufs von Rep. 1, 1 volup-tatis otiique vicerit. Aber da noch
nicht einmal Ciceros sämtliche Reden auf die Zulässigkeit der selte-
neren Klauseln untersucht sind, läfst sich auf Grund der bisher be-
kannten „Klauselgesetze" ein sicheres Resultat nicht erzielen.*) —
Am stärksten jedoch beweist gegen die Annahme des doppelten i der
Umstand, dafs die Dichter der Republik keinen sicheren Beleg
für den Genetiv eines anapästisch oder choriambisch schliefsenden
Substantives auf ium oder ius im daktylischen Vers bieten (den
unsicheren ist Thestii Trag, fragm.^ ine. ine. 243 R. und pedarii
Com. fragm.^ Laberius 88 R. hinzuzufügen). Auch später sind
diese Genetive nie ganz legitim geworden. Sie traten zuerst bei
solchen Wörtern auf, die mit einfachem i im daktylischen Vers
unmöglich waren: Properz hat zuerst imperii ingenii, dann auch
opprobrii (opprobri war nicht unmöglich), zusammen 4 Stellen.
Erst bei Ovid werden diese Formen, freilich ganz allmählich**),
*) Dennoch können wir uns einstweilen noch nicht für einverstanden er-
kliiren mit dem, was Th. Zielinski (Deutsche Litteraturzeitung li)01 Sp. 3244)
in einer äufserst lehrreichen Benpvechung der genannten Schrift Wolffs über
diese Frage bringt. Zielinski, der freilich über die rhythmische Prosa Ci-
ceros mehr weifs, als veröffentlicht ist, will dem von der Grundklausel ge-
forderten Kretikus zulieb in Schlüssen wie Clodii mors Miloni (Mil. 84) die
Schreibung mit Doppel-i beibehalten. Aber da so viel für das einfache i
spricht, und Schlüsse nach dem Typus Clodi mors Miloni allein in der Mi-
loniaua sechsmal vorkommen, so sehe ich noch keinen Grund, die Ansicht
aufzugeben, dafs Cicero niemals im Genetiv dieser Wörter (geschweige denn
in einem Eigennamen) ein doppeltes i gesprochen habe.
**) Die Entwickelung zeigt sich deutlich; in den Am. 2, 18 erwähnten
Heroides steht nur das schwer entbehrliche coniugii, und dies nur zweimal
(2, 34. 7, 178), also ein Beispiel in ca. 700 Versen, in den Amores 3 Wörter
an 4 Stellen (ingenii 1, 1), 32. 15, 2, auspicii 1, 12, 28, adulterii 3, 5, 44), also
^^' \r,ooi ^^ ^^^ -^^ ^ Wörter (officii 1, 155, ingenii 2, 112, latrocinii 207,
supercilii 3, 201), also Vq^oi ^^ ^^^ Remedia 3 Wörter (auxilii 107, veneficii
251, imperii 496), also %-o, in den Metamorph. U Wörter in 12 Fällen (of-
ficii 2, 286, servitii 3, 16, indicii 4, 190. 15, 503, hospitii 5, 45, discidii 5, 530,
consilii 6,40. 9,746. 11, 415, navigii 11, 561, auxilii 13, 648 (?), coniugii 14,
298), also ca. ^ ,ooo; hingegen in den Fasten ca. V'sgoi den Tristien Vtoo» <^en
Epist. ex Pont, (eingerechnet das unsichere mancipii 4, 5, 40) Vi so 5 ^° ^^^
Heroides (nach Merkels Zählung) 12. 15. 16. 20 ca. Vioo- ^^ Heroid. 12 stehen
3 Beispiele innerhalb 74 Versen (86. 142. 160), was bis zu den Metamor-
phosen (incl.) nicht vorkommt und schwer glauben macht, dafs dieser Brief
Stadien zum j^octischcn Plural bei den Römern. 513
häufiger^ aber z. B. von Manilius Persius Martial gemieden
(Neue 147 f.).
Noch zurückhaltender war man bei tribrachi sehen Wörtern,
wo der Vers die kontrahierten Formen (aufser in studi spati spoli)
zugelassen hätte. Solche finden sich in gröfserer Zahl nur bei
Oyid (die Stellen bei Neue 146), und auch dieser hat in den
Heroides und den ersten beiden Büchern der Amores noch kein
Beispiel, im dritten der Amores eines (vitii), in der Ars zwei
(odii zweimal), in den Remedia zwei (vitii odii), in den Metam.
fünf (spatii, studii zweimal, odii gladii), in den Fasten eines (mi-
lii), in den Trist, imd Pont, vierzehn Beispiele für pretii studii
vitii (also durchschnittlich doppelt so viel als in den früheren
Gedichten); davon kehrt spät.er im daktylischen Vers nur gladii
(Lucan. Sammon.) und spatii (Terent. Maur.) wieder.
Resultat: der Genetiv der lateinischen Appellativa auf ins und
ium wird im daktylischen Vers vor Ovid möglichst gemieden, seit
Ovid in choriambisch schliefsenden Wörtern von einigen Dichtem
(Lucan Silius Statins Juvenalj anstandslos zugelassen. Der Grund
dieser auffilligen Thatsache mag wohl darin zu suchen sein, dafs die
Aussprache weder mit der von nati noch mit der von egregii
vollständig übereinstimmte, sondern zwischen denselben lag, wenn
auch bis zur Kaiserzeit näher an dem einfachen i. Da aber der
daktylische Vers wegen des rationalen Verhältnisses zwischen
Senkung und Hebung eindeutige Silbenwerte fordert, so scheuten
sich die Elegiker und Epiker solche Formen anzuwenden, die sie
erst nach einer oder der anderen Seite für ihren Vers zurecht-
machen mufsten.*) Am wenigsten vorsichtig war von den Früheren
vor den Amores und der Ars geschrieben sein kann. Die verhältnismäfsige
Häufigkeit in den Remedia kann bei der geringen Verszahl und dem weiten
Abstand der einzebien Beispiele Zufall sein.
*) Ähnliche Bedenken hat Wölfflin-Meader Archiv XI 375 für den
Aosschlufs gewisser Pronominalformen (wie elus oder eius) verantwortlich
gemacht. Dasselbe gilt wohl auch für die Vermeidung der mit sp nnd st
beginnenden Wörter nach kurzem Endvokal (ipse stndet; vgl. L. Mueller
d. r. m.* 386). Auch scheint mir, als ob Vergil die ins Schwanken geratene
Quantität der schliefsenden o in Verben (amö) dadurch zu verhüllen ge-
strebt habe, dafs er sie von den meisten gar nicht anwandte, wie co habeo
premo puto tcgo etc., oder nur mit Elision, wie amo confugio conspicio
corripio cupio dissimulo invenio r^fero repeto supero violo — amitto defendo
edico — ccdo spero tango — audeo nuntio (ebenso Pollio 4 mal; ago wird
dreimal elidiert [Ecl. 1, 13. 9, 37 Aen. 10, (i7ö], agu 4, 634, wo Donat viel-
leicht richtig agam las;, oder nur am Versende, wie adsto ccrto curro
514 Paul Maas:
Horaz, der in seinen Satiren verhältnismäfsig die meisten dieser
Genetive aufweist: die waren eben sermoni propiora.
Doch kehren wir zum poetischen Plural zurück. Es ei^ebt
sich: von den Neutren der zweiten Deklination, die einen Tro-
chäus vor der Endung haben, sind andere Formen als die auf a
schliefsenden nur ausnahmsweise im daktylischen Vers möglich;
wollten die Dichter also diese Wörter verwenden, so mufsten
sie zum Plural und, wo diesen der Zusammenhang nicht zuliefs,
zum poetischen Plural greifen.
Bei den übrigen Wörtern wird es sich darum handeln, das
numerische Verhältnis zwischen den poetischen Pluralen und den
entsprechenden Singularen in den einzelnen Kasus zu verfolgen.*)
Hier nimmt eine besondere Stellung der Akkusativ ein (bei den
Neutren auch der Nominativ, weil in beiden Numeri mit dem
Akk. gleichlautend), da er in allen Deklinationen fast regelmäfsig den
poetischen Plural zuerst annimmt und ihn so an sich fesselt, dafs
der Singular ganz dagegen zurücktritt. Die Hauptrolle spielt
dabei wohl der Umstand, dafs fast alle Wörter im Akkusativ Plural
sich für den daktylischen Vers durchschnittlich besser eignen als
im Singular. Doch mag bei der erstaunlichen Häufigkeit dieser
poetischen Pluralformen auch die absichtliche Bevorzugung un-
prosaischen Stiles mitgewirkt haben.
disco figo fingo lustro opto pando servo signo vito etc. Dafs dies nicht
Zufall ist, zeigt der Vergleich mit den entsprechenden nicht auf o schliefsen-
den Verbalformen. Hierfiir nui ein Beispiel: dem fehlenden puto steht reor
mit 6 Belegen gegenüber, während sonst die Formen von putare doppelt
so hänüg sind als die von reri — ein Beweis, wie eng Formenlehre imd
Synonymik in der lateinischen Dichtersprache verbunden sind.
*) Ich beschränke mich auf die Dichter bis Ovid, da bei den 8i>äteren
die Anlehnung an frühere Muster und die auch in Prosa stets zunehmen-
den Schwankungen der Numeri das Verhältnis stören. Meine Angaben be-
ruhen auf den Wortindices , soweit solche vorhanden waren; die Poetae
latini minores und Ciceros Aratea haben noch keinen. Störender war, dafs
auch zu Lucrez, Vergil, Properz und Ovid seit Lemaire diese wichtigen Hilfs-
mittel nicht mehr hergestellt worden sind; bei der vollständigen Umge-
staltung des Ovidischen Textes durch Merkel ist besonders bei diesem
Autor ein neues Wortregister notwendig geworden. Ich habe aus der
Lektüre verschiedenes nachgetragen; da die Zahlen an und für sich keinen
Wert haben, sondern nur ihr Verhältnis, so heben sich die kleineren Fehler
auf. Wir wollen keine Gesetze finden, sondern eine Neigung konstatieren
— und die Resultate sind derart, dafs sie durch einige Stellen mehr oder
weniger nicht getrübt würden.
Stadien zum poetischen Plural bei den Hörnern. pl5
Beginnen wir mit den Nicht-Neutren; wir können die drei
Deklinationen zusammen behandeln, da für den Vers das Ver-
hältnis der Numeri im Akkusativ bei allen derselbe ist: wo der
Singular einen kurzen Vokal mit schliefsendem m hat, da zeigt
der Plural einen langen mit schliefsendem s. Nun mufs m vor
Vokalen elidiert werden; eine Elision ist fast nie besonders schön
und gesucht; da bot also die Pluralform, wenn sie in den Vers
pafste, einen Vorteil. Dasselbe gilt aber auch für alle Attribute
der hier in Frage kommenden Begriffe. Bedenkt man nun, dafs
&8t der vierte Teil aller Wörter mit Vokalen beginnt, so wird
man verstehen, wie oft die konsonantisch schliefsende Pluralform
bevorzugt werden mufste; hier zwei Beispiele:
Verg. Ecl. 8, 101 fer eine res, Amarylli, foras.
Georg. 2, 232 pedibus summas aequabis harenas.
Aber wir finden den poetischen Plural in diesem Kasus oft
auch dann, wenn der Vers mit dem Singular hätte bestehen
können; dennoch glaube ich auch hier die Wirkung der Plural-
formen zu erkennen. Vergleicht man vom euphonischen Stand-
pimkt bei folgendem Verse Vergils (Aen. 4, 427):
nee patris Anchisae einer es manesve revelli,
diese vom Palatinus und Servius überlieferte Lesart mit der des
Mediceus:
nee patris Anchisae cinerem manesve revelli,
so wird man sicher in der zweiten eine geringere Klangwirkung
finden; die von Natur kurze, nur durch einen Konsonanten ab-
geschlossene Endsilbe füllt den halben Versfufs lange nicht so
ganz aus, wie die naturlange; sie ist weniger geeignet, den Vers-
ton zu tragen imd an Quantität zwei Kürzen aufzuwiegen. Das
schliefsende m scheint noch besonders schwach geklungen zu
haben, da es vor Vokalen seine Eigenschaft als Konsonant verlor;
da ist also nicht zu verwimdem, dafs man die voller und schöner
klingenden Pluralformen auch dann vorzog, wenn sie von den
Grundgesetzen der Metrik nicht direkt verlangt wurden.*)
*) Ich möchte hier eine Beobachtung anschliefsen, die zeigt, dafs auch
sonst unter Umständen Endungen, die nicht an sich schon einen HalbfuTs
füllen können, ungern als Längen verwandt werden, wenn es möglich ist
sie zu Kürzen zu gebrauchen (was bei Wörtern auf m nicht angeht). So
sind Formen wie scriptor, dignus im ersten Fufs des Hexameters vor Kon-
sonanten selten. In ca. 100 Hexametern, die in Yergil £clog. Aen. 1.3.4,
Horaz Ars poet., Ovid Amor, mit einem spondeischen Wort beginnen, finden
516 Paul Maas:
Hingegen sollen im Folgenden einige der wichtigsten Mo-
mente behandelt werden, die bei der Anwendung der Singular-
formen in Betracht kamen. Zimächst war deren Elisionsfähigkeit
unter Umständen Ton Vorteil; denn so sehr man die Anhäufung
von Verschleifungen im allgemeinen mied, so wurde doch oft
durch die Anordnung der übrigen Wörter im Vers die Elision
zur Notwendigkeit.
So hat z. B. Vergil einer es (Neue 618) 10 mal, cinerem
4mal: G. 1, 81 Aen. 4, 34. 5, 743. 11, 211 stets elidiert; also
dürfte an der erwähnten Stelle Aen. 4, 427 die Lesart des Pala-
tinus cineres sicher stehen.
spumas (Neue 604) hat Vergil 5 mal*), spumam nur Aen.
3, 567
ter spumam elisam et rorantia yidimus astra,
die doppelte Elision wohl nicht ohne versmalerische Absicht.
Violas (vgl. S. 506) Verg. Ecl. 2, 47 Prop. 3, 13, 29 Horaz
Epist. 2, 1, 207 Ovid Met. 5, 392. 10, 190 Fast. 1, 346. 5, 317;
violam nur Fast. 5, 272
sich nur 13 Ausnahmen, die sich meist gegenseitig decken; es folgt ein
gleichsam enklitisches se: Ecl. G, 20 Aen. 1, 587. 4, 142; ein Eigenname:
Aen. 1, 602. 3, 108. 420 Amor. 1, 15, 9 ; der erste Fufs besteht aus einem
Eigennamen: Ecl. 7, 58. 8, 83 Aen. 1, 624; aus dem Wort inter: Ecl. 8, 13
(vgl. Georg. 1, 413. 3, 488. 4, 845); es folgt eine starke Interpunktion: Aen.
4, 453. 492. — In anderen Büchern kommt oft die Nachahmung früherer
Stellen in Betracht. Dafs jene Seltenheit im ersten Fufs Absicht ist, zeigt
der vierte, wo dieselben Formen zugelassen sind: Horaz AP 136. 191. 262.
382. 453 etc.; femer der erste Fufs in weniger ausgefeilten Versen: Horaz
Sat. 2, 8, 18. 46. 60. 81 etc.; endlich die bei Horaz stets spondcische irrationale
Basis in Asklepiadeen und Glyconeen: Cami. 1, 1, 8. 9. 17. 21. 22. 3, 5. 12.
16 etc. — Ich habe Vergil Aen. 1, 734 adsit laetitiae Bacchus dator über-
gangen, weil nach dem Gesagten dort die von Servius bezeugte Lesart adsis
vorzuziehen sein dürfte.
*) Neue bringt für den Plural auch aus der voraugusteischen Prosa
zwei Stellen: erstens Varro L. lat. 5, 63 poetae quod . . dicunt . . natam e
spumis Venerem; doch dürfte diese Form direkt den Dichtem entnommen
sein (vgl. Ovid Fast. 4, 62 a spumis est dea dicta maris), da Cicero vorzog,
für denselben Begriff den Singular zu setzen : de deor. nat. 3, 59 Venus . . .
spumä procreata. — Die zweite Stelle ist: Cic. Verr. 4, 148 spumas ageret
in ore ; dieselbe Redensart bei EnniuH Ann. 462 und Lucrez 3, 487 , sodafs
wir es vielleicht auch hier mit einem poetischen Ausdruck zu thun haben.
Andere Belege für den Gebrauch der voraugusteischen Umgangssprache
konnte ich in den Indices zu Cato, den Komikern und Historikern, dem
Autor ad Herennium, Lucilius, Cicero und Caesar nicht finden, mufs also die
Frage offen lassen, ob dieser Plural „poetisch** ist.
Studien zum poetiflchen Plural bei den Römern. 517
ad Tiolam et cytisos et thjma cana voco*),
also sogar der Eonzinnität zum Trotz^ und
iam violam puerique legunt hilaresque puellae
rustica quae nullo nata serentc yenit.
Diese Stelle zeigt-, dafs der Vers aucli dann den Singular ver-
langen konnte, wenn ein Konsonant folgte; hier ist der folgende
Relativsatz schuld. Das Gleiche gilt für Prop. 4, 7, 79
pelle he der am tumulo, mihi quäe pugnante corymbo
moUia contortis alligat ossa comis.
hederas (N 615) Prop. 3, 3, 35 Verg. Ecl. 4, 19 G. 4, 124 Ovid
Trist. 1, 7, 2. hederam nur noch Verg. Ecl. 8, 13
inter victrices ederam (hederas Charisius) tibi serpere laurus.
Dies fuhrt uns auf ein drittes Moment, das oft den Singular
fordert: die Deutlichkeit in der Konstruktion; hederas würde
sie zerstören. — Ebenso Ovid Met. 6, 19
sive rudern primos lanam glomerabat in orbes.
lanas (N 621) Ovid Her. 3, 70 Art. 2, 220 Met. 4, 34. 0, 9. 15,
118. lanam bei Ovid sonst nur Met. 2, 411. 6, 19, beidemal in
der Redensart lanam moUire. — Vergil G. 2, 72
omusque incanuit albo
flore piri, glandemque (glandes y) sues fregere sub ulmis.
Ovid Am. 3, 10, 9 sed glandem quercus oracula prima ferebant,
hier und an vielen andern Stellen wird bei vorangesetztem Ak-
kusativ der vom Nominativ verschiedene Singular der Deutlich-
keit wegen vorgezogen, glandes acc. (vgl. S. 504) Verg. G. 1,
148(?), 305 Ovid Art. 3, 149 Fast. 4, 402. 509; glaudem nur
noch Horaz Sat. 1, 3, 100 elidiert und Verg. G. 1, 8 (wegen pin-
gui arista?). — Ovid Met. 8, 197 f.
modo quas vaga moverat aura
captabat plumas, flavam modo pollice ceram.
ceras (N 620) Verg. G. 3, 450. 4, 57. 162. 241 Ovid Met. 8, 226.
13,818. 14, 532; ceram (abgesehen von Met. 9, 522, wo es Wachs-
tafel bedeutet) nur noch Am. 2, 15, 16
*) Ebenso wird nives (der Plural auch in Prosa; N 606) behandelt:
den 24 Pluralstellen von Lucrez bis Ovid stehen zwei Singulare gegenüber:
Catull. 68, 53 elidiert und Paneg. ad Messallam 156 Attribut elidiert. —
So hat Vergil 17 mal frondes, frondem nur Georg. 2, 435 frondem aut
(das Wort fehlt bei Neue, ist aber ursprünglich singulare tantum; der
Plural, in Prosa vereinzelt und wohl erst bei Cicero (Cael. 42), ist in der
Poesie seit Ennius im Akkusativ Kegel).
518 Paul Maas:
neve tenax ceram siccaque gemma trahat.
Das führt uns wieder auf ein neues Moment: vor 8 liat sich die
Singularform oft erhalten, damit der Sigmatismus yermieden
werde. So auch Ovid Art. 3, 179 ille er o cum simulat trotz des
folgenden hie Paphios mjrthos. Aber crocos (N 614)Prop. 4, 1, 16
Ovid Ibis 200 Fast. 4, 442 Aemilius Macer fr. 13 (Baehrens p. 345);
crocum- sonst nicht.
Ovid Rem. 731 cinerem si sulphure tangas.
Fast. 4, 725 cinerem stipulasque fabalis.
Trist. 3, 11, 26 quid cinerem saxis bustaque*) no-
stra petis.
cineres (N 618; vgl. S. 516) Vergil lOmal, Horaz 4mal, Prop.
2 mal, Ovid 17 mal; cinerem sonst noch: Vergil 4 mal (elidiert);
Tibulll,9,12 (elidiert) in cinerem vertat; Prop. 2, 13,31 cine-
rem me fecerit ardor (wegen me?); Horaz Epist. 1, 15, 39 verterat
in fumum et cinerem; Ovid Met. 8, 539
post cinerem cineres haustos ad pectoru pressant^
also der Deutlichkeit wegen (ex Pont. 4, 16, 3 post cineres vor
Konsonant); Met. 2, 216 in cinerem vertunt und 8, 641 inde foco
tepidum cinerem dimovit, wofür ich keine wahrscheinliche Er-
klärung finde. Dennoch scheint mir klar, dafs vor s und in der
Redensart in cinerem vertere (also wie lanam mollire, vgl. S. 517)
der Singular zulässig ist; in cineres vertere nur Trist. 5, 12, 68
vor Vokal. Ich habe dies näher ausgeführt, weil daraufhin bei
Ovid Her. 1, 24
versa est in cineres sospite Troia viro
die Lesart des Etonianus cinerem wohl den Vorzug verdient
(cineres PG edd.). — Verg. Georg. 1, 85
atque levem stipulam crepitantibus urere flammis.
stipulas (vgl. S. 506) G. 1,321 Ovid Fast. 4, 725, beidemal vor
Konsonanten und neben Singularen; stipulam sonst nur Lucrez
5, 606 segetes stipulamque videmus, also trotz segetes. Hier
spielt nun die Entwicklung des poetischen Plurals herein: diese
Lucrezstelle zeigt, dafs er bei stipula damals noch nicht gebräuch-
lich war. — Ebenso fabam bei Ennius Ann. 604, wofür bei Ovid
fabas eintritt Med. fac. 70(?) Fast. 5, 509. 6, 180 (N 610; vgl.
*) Hier ist also nicht der Plural busta (so regelmäfsig bei Ovid statt
bustum) neben cinerem eine Konzession an den Vers, wie Church Archiv
Xn 235 (aus „Beiträge zur Sprache der lat. (xrabinschr." München 1901, S. 90)
annimmt, sondern cinerem ist der seltenere Numerus, der der Erklärung bedarf.
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 519
S. 506). So auch cinerem Lucr. 1, 891 Catull. 101, 4; cinerea
(N 618) im poetischen Plural findet sich erst bei Vergil (vgl.
5. 516 und 518); denn bei Catull. 68, 98 nee prope cognatos com-
positum cineris wird der Plural wohl in übertragener Bedeutung
(= Corpora) aufzufassen sein. — Erst gegen Ende der hier be-
sprochenen Periode scheint der Plural von favilla (fehlt bei Neue)
gebildet worden zu sein; ich fand ihn zuerst in der Eleg. in
Maecen. 2, 21 (vgl. zu deren Datierung J. Ziehen Rhein. Mus. LII
[1897] S. 450fiF.) cineres interque favillas (also wohl Analogie-
bildung nach cineres); somit ist favillam Lucr. 2, 676. 6, 690 Verg.
Aen. 6, 227. 9, 76 Hör. C. 2, 6, 23 Ovid Met. 2, 231 (auch hier
mit cineres verbunden) nicht auffällig. In Ovids späteren Schriften
fehlt auch der Acc. sing., doch macht sein favillae Fast. 3, 561
(wegen des folgenden accipiuntque) wahrscheinlich, dafs der Plural
inzwischen legitim geworden war. — Ebenso hat Lucrez 2, 376.
6, 726 arenam; arenas (N 617) erst Vergil Georg. 2, 232. 3, 350
(beidemal Attribut vor Vokal); doch hat auch Vergil arenam noch
6 mal Bei Horaz (Carm. 3, 4, 31) und Properz (3, 3, 23. 4, 6, 83)
steht nur arenas, bei Ovid steht es doppelt so oft (13:6) wie
arenam. Hier wird der Gebrauch des Singulars also nicht auf
die Fälle beschränkt, wo der Plural nicht am Platze wäre, nimmt
jedoch zusehends ab. Ein ähnliches Schicksal hatte die Form
vestem (fehlt bei N, obwohl schon Kühner Lat. Gr. II § 19, 3
darauf hingewiesen hat), die Lucrez, Catull, Horaz dreimal so
oft gebrauchen als den Plural (15 : 5), Vergil, Properz (vgl. Roth-
stein zu 2, 5, 21) imd Ovid kaum halb so oft.*)
Es ist natürlich nicht unsere Sache, alle Singularformen zu
erklären; ich bezweifle auch, dafs sich alle in Gesetze bringen
lassen. Die Abtönung der Klangfarbe von Vokalen und Kon-
sonanten, die Verteilung der Numeri, das Streben nach schlichter
prosaischer Darstellungsweise, nach Abwechslung, nach Prägnanz
und Deutlichkeit des Ausdrucks, die Erinnerung an stehende Ver-
bindungen und an vorhergegangene Stellen, die bewufste Nach-
ahmung älterer Muster, endlich die Laune des Dichters — all
das sind Momente, die bei der Bevorzugung der Singularformen
*) So auch nebulam (fehlt bei N) bei Lucrez 3 mal (vor Konsonanten)
nebnlas 2 mal (2, 481. 6, 477); später findet sich nebulam nur, wo nebulas
nicht praktisch wäre, Verg. G. 2, 217 (Attribut elidiert) Aen. 10, 82 (eli-
diert) und Hör. Carm. 3, 15, 6 (vor s); nebulas Quintus Cicero (PLM p. 316
Baehrens) v. 13, Ovid ümal.
520 Paul Maas:
mitspielen konnten, sich aber jetzt nur schwer im einzelnen nach-
wägen lassen. Es genüge zu konstatieren, dafs das Streben nach
den Pluralformen vorherrscht.*) Eine Ausnahme möge die R^el
bestätigen: es ist leicht verständlich, dafs Vergil in einer der grofs-
artigsten Partien seiner Aeneis eine neue Pluralform schuf (4,687):
cum genitu atque atros siccabat veste cruores;
aber es ist höchst auffällig, dafs unter den augusteischen Dichtem
keiner diese Form wieder aufgenommen hat (N 603), auch Vergil
selbst nicht (oder sollte sie von ihm erst bei späterer Bearbeitung
eingefügt sein?), während cruorem sehr häufig ist. Dafs des Horaz
cruoribus (Carm. 2, 1, 5) dasselbe Schicksal hatte, beweist nichts,
da diese Form sich dem Pentameter gar nicht und dem Hexa-
meter schlecht fügt (nur |uiuu|i».uu_u, also mit dem sonst mög-
lichst gemiedenen vierten Trochäus; vgl. Cavallin de caesuris quarti
et quinti troch. Lund. 1896, p. 8 sq.) und deshalb hinter cruore zu-
rückstehen mufste. Mir ist aus dieser Wortklasse ein analoger
Fall für das zeitweise Verschwinden eines metrische Vorteile bieten-
den poetischen Plurals im Akkusativ eines häufig gebrauchten
Wortes nicht bekannt.**)
*) Man hat in der Textkritik, wo nicht das Verhältnis der Handschriften
entschied, bei Varianten zwischen Singular und poetischen Plural in der
Regel den letzteren als die lectio difficilior stehen lassen; bei Ovid herrscht
in der schlechteren Überlieferung vollständige Anarchie, sodafs deren Va-
rianten nur ausnahmsweise in Betracht gezogen werden dürfen. Ich will
bei dieser Gelegenheit eine Stelle erwähnen, wo alle Herausgeber von der
guten Überlieferung abgewichen sind, um einem poetischen Plural zu ent-
gehen: epist. Sapph. 23
sume fidem et pharetras: fies manifestus Apollo.
So hat die Frankfurter Handschrift, die allein mafsgebend ist; pharetram
g edd. Aber pharetra im poetischen Plural ist ganz gewöhnlich; z. B. Ovid
Met. 4, 306 (sume pharetras neben iaculum). 308. 10, 508. 15, 634; also ist
fidem et pharetras nicht anzutasten: im Gegenteil, der poetische Plural
neben dem poetischen Singular ist nicht ohne Reiz. — Ähnlich ist es dem-
selben Wort. noch an einer andern Stelle gegangen: Verg. Aen. 11, 844
aut nostras umero gessisse pharetras.
sagittas M und Ribbeck, gegen pharetras P Rybm; aber auch die Anhäufung
der Zischlaute (worauf mich Herr Prof. v. Wölfflin aufmerksam macht)
kennzeichnet die Glosse.
**) In letzter Stunde finde ich, dafs schon I. Hilberg, Die Gesetze der
Wortstellung im Pentameter des Ovid, Leipzig 1894, die Bevorzugping natur-
langer Silben aus anderen Momenten erschlossen hat. Er beschränkt sie
jedoch auf die Silbe vor der Cäsur (Gesetz G). Es ist möglich, dafs an
dieser Versstelle sich eine besondere Vorliebe dafür zeigt: Hilberg jeden-
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 521
Gehen wir nun zu den Neutren über. Die Bevorzugung der
Formen auf ä ist schon längst erkannt (besonders von Appel de
genere neutro intereunte) und auch der Grund ausgesprochen: die
römische Sprache hat wenig kurze Silben, der daktylische Vers
braucht viele, das Neutrum bietet sie in den Pluralfornien auf u:
also treten diese für den Singular ein und noch in höherem
Mafse, als bisher bekannt ist.
Unter den noch übrigen Neutren der zweiten Deklination
kommen hauptsächlich vina (Neue 600), musta (601) und electra
(620) in Betracht. Der Plural ist Regel: vina hat Lucrez 2 mal,
Vergil 18 mal, Horaz 23 mal, TibuU (Lygdamus etc. einbegriflfen)
3 mal, Ovid SOmal; vinum Catull Imal (50, 6 per iocum atque
vinum in Elfsübem), Horaz 3 mal (Sat. 2, 2, 58. 4, 60 Epist. 1, 14,
24), Ovid 6mal (Amor. 1, 6, 37. 59 Met. 7, 594 Fast. 1, 301. 4,
935 Pont. 4, 2,41). musta haben Tibull und Ovid zusammen 11 mal,
electra Vergil und Ovid zusammen 3mal; mustum und electnim
fehlen. Also 90 poetische Pluralformen (ich rechne hier wie
S. 522 bei aera auch diejenigen Plurale bei Dichtern zu den poe-
tischen, wo die Deutimg als Mehrheit möglich, aber nicht not-
wendig ist) gegen 10 Singularformen.
Eine Form wie vinum in der Mitte des Verses führt not-
wendig entweder zu einem Spondeus oder zu einer Elision; es
braucht wohl kaiun wiederholt zu werden, dafs dem gegenüber
eine Form wie vina durchschnittlich den Vorzug verdient. Frei-
lich ist unter Umständen eine lange Endsilbe erwünscht, beson-
falk hat es mit seinem Umstellungsprinzip nicht bewiesen. Die Wahl einer
bestimmten Wortstellung kann für solche Behauptungen nur dann ver-
wertet werden, wenn sie eben aus keinem anderen Grunde geschehen sein
kann, nicht aber wenn die übrigen Stellungsmöglichkeiten den Grund-
gesetzen der Technik widersprechen; und das letztere ist fast bei allen von
Hilberg S. 490 ff. 597 ff. ausgeschriebenen Versen der Fall. — Auf Grund
dieses „Gesetzes" hat Hilberg auch verschiedene Pluralformen gegen die
gute Überlieferung für ursprünglich erklärt, so Art. 2, G22 (S. 546)
sed quere US tecta cibumque dabant (statt dabat),
worunter die Deutlichkeit der Konstruktion leidet (auch ist der generelle
Singular dichterischer) und Amor. 3, 12, 40 (S. 621)
duraque percussas (statt -am) saxa secuta lyras (statt -am),
wodurch ein wenig empfehlenswerter Sigmatismus entsteht. Hingegen ist
an einigen Stellen (S. 547. 027) aus der Bevorzugung der Pluralformen
richtig auf das Streben nach naturlangen Silben geschlossen; das beweist
allerdings mehr als alle Umstellungen Hilbergs.
522 Paul Maas:
ders vor der Penthemimeres; also z. B. Ov. ex Pont. 4, 2, 41
nam quia nee vinum nee nie tenet alea fallax.*)
Unter den Neutren der dritten sind besonders erwähnens-
wert farra (N 608j, mella tura (N 615), aera (N 619j. Diese
Formen finden sich von Vergil bis Ovid 167 mal, die entsprechen-
den Singulare 13 mal.**)
Die Stellen für den Singular sind: far 2 mal (farra 20 mal):
Hör. Sat. 1,6, 112 Ovid Fast. 1, 338; mel 2 mal (meUa 38 mal):
Ovid Fast. 1,492 ex Pont.4, 2, 9; tus 3 mal (tura 63 mal): Hör. epist.
1, 14, 23. 2, 1, 269 Ovid Med. fac. 85; aes hatte Lucrez noch
10 mal angewandt (aera 3 mal); bei den augusteischen Dichtem
steht aes 6 mal (aera 46 mal): Verg. Aen. 8, 445 Hör. Sat. 1, 5, 13
Carm. 1, 3, 9 Ovid Met. 12, 96 Fast. 4, 351. 405.
Nun kann man nicht behaupten, dafs Formen wie aes tus
mel far wegen ihrer prosodischen Beschaflfenheit für den Vers
nicht taugten; hier scheinen vielmehr euphonische Gründe zur Ver-
meidung der Singularformen geführt zu haben: die Monosyllaba,
die nur die Hälfte eines Versfufses füllen, in Fällen wie Ov. Pont.
4, 2, 9 quis mel Aristaeo . . . nur den vierten Teil, also in ihrer
Klangwirkung Konjunktionen, Partikeln und Präpositionen gleich-
stehen, mufsten den volleren, schöner klingenden trochäischen
Pluralformen weichen. Dafs Horaz Epist. 1, 14, 23
Angulus iste feret piper et tus ocius uva
und Sat. 1, 6, 112
percontor, quanto olus ac far
(vgl. Epist. 2, 1, 269 Ovid Med. fac. 85) die prosaische Form
anwandte, wird nicht auffallen. Hier würde der „poetische" Plural
einfach komisch wirken.
Weniger zahlreich sind die Pluralformen marmora (N 620;
auffällig Ovid Met. 7, 790 duo marmora = zwei Marmorgestalten),
*) Ebenso wird frumenta und unguenta behandelt (N 602,607); viel-
leicht gehört auch venena hieher (fehlt bei N), das bei Lucrez noch fehlt
(venenum 6 mal), bei Vergil gerade so häufig ist wie venenum (jedes 2 mal),
bei Ovid überwiegt (venenum 2 mal, venena 7 mal): venenum war im Penta-
meter unmöglich, da es dort nicht elidiert werden darf (T. Hilberg Zeitschr. f.
österr. Gymn. 181)6 S. 866). Doch ist bei diesen Worten auch in Prosa der
Plural sehr häufig (zu frumenta vgl. sarmenta caementa u. a. in Prosa).
**) Ähnlich rura, das den Plural aber auch in Prosa zuläfst (N 626,
wo z. B. Varro L. lat. 5, 40 R. rust. 1, 10, 1. 2, prooem 1 fehlt). Bei den
Dichtem steht rura ca. 6 mal so oft wie ms.
Stndien zum poetischen Plural bei den Römern. 52B
sulpura (N 621; z. B. bei Ovid sulpura 4mal, sulpur nur Art. 2,
330) paparera (N 614).*)
Bei solchen Wörtern bot die Singularform an sich gar keinen
Nachteil und war nur in der Mitte des Veraes vor Konsonanten
unfügsamer als der Plural.
Doch mufs noch ein Moment behandelt werden ^ das bei der
Häufigkeit der neutralen Pluralformen von grofsem Einflufs war.
^dde quod^ plurali posito, adiectiva quoque^ cum illis neutris
coniuncta^ si secunda declinatione flectebantur, pro ancipiti syl-
laba extrema; quae^ si trochaeus velut in ^Optimum' et ^pessimum'
anteibaty hexametro inseri nuUo modo poterant', brevem accipie-
bant^ . . . .'^ sagt Appel p. 16 unelegant, aber sehr richtig. Also
humida vina, Candida mella, lurida sulfura etc. ist auch gewisser-
mafsen direkter Verszwang.**) Ebenso gilt dasselbe, was wir über
vinnm mustum et<;. gesagt haben, auch für altum magnum etc.,
und wenn man bedenkt, dafs die zweite Hälfte des Pentameters
weder Spondeus noch Elision zuläfst, so ist z. B. nuUa . . . musta
Ov. Pont. 2, 9, 32 ebenfalls als vom Verse erzwungen zu be-
trachten.
Dem gegenüber kommen kaum die Fälle in Betracht, wo
dem Adjektiv zulieb der Singular eintreten mufs. Es würde
dies hauptsächlich die Adjektiva wie viridis medius etc. betreffen,
die in den Formen auf ä nur mit Elision in den Hexameter
passen; also etwa papaver soporiferum Verg. Aen. 4, 486; modi-
cum vinum Ov. Am. 1, 6, 37.***) Auch zeigt sich in den Fällen,
*) Ähnlich wird das verwandte robora behandelt (N 658; auch Lei
Cicero); Vergil hat es 12 mal (robur 8 mal), Ovid 15 mal (robur 3 mal). Auch
gramen a gehört wohl hieher (fehlt bei N; graminibus Cato Agr. 151, 2; aus
der klassischen Prosa habe ich keinen Beleg); z. B. Vergil hat gramen
2 mal, gramina 10 mal. Im Ablativ steht stets der Singular.
**) Man betrachte von diesem Standpunkt aus die bekannte Horaz-
stelle C. 4, 7, 21 ff.
cum semel occideris et de te splendida Minos
fecerit arbitria,
non, Torquate, genus, non te facundia . . .
und dann die Konjektur von J. J. Hartmann (Mnemosyne 1901, p. 104)
splendide. Von der abscheulichen Wortstellung zu schweigen : hätte Horaz
die sonst im ganzen Gedicht gewahrte Sjnaphie zwischen den Zeilen durch
eine ganz unnötige poetische Pluralform zerstört (arbitria — non), wenn
ihn nicht splendida dazu gezwungen hätte?
***) Hier möge auf die interessante Entwicklung des poetischen Plurals
bei einem verwandten Substantiv dieser Form hingewiesen sein. VAroil.
524 Paul Maas:
wo 7A\ einem Acc. neutr. sing, ein Adjektiv tritt, eine Bevor-
zugung der beiden genannten Arten. Deutlicher spricht aber die
Thatsache, dafs in den 23 Dichterstellen für die Formen far mel
tus aes überhaupt nur einmal ein Epitheton zugefügt ist: aes triplex
bei Horaz C. 1, 3, 9 (tripliciä!), einmal ein Prädikat mel — dulcius
Ovid Fast. 1, 192 (dülclöra!). Endlich kann in den Fällen, wo
solch ein Begriff Subjekt wird, die Gestalt des Verbums auf den
Numerus Einflufs haben; so wäre bei Horaz Sat. 1, f), 13 dum
aes exigitur der Plural nicht möglich (vgl. Ov. Fast. 1, 338).
Aber auch das euphonische Moment spielt bei den von einem
solchen Wort abhängigen Satz teilen mit; besonders die neutralen
Formen der Partizipien und der Adjektiva einer Endung wie
candens felix gewinnen im Plural bedeutend an Wohllaut und
Fülle. Man braucht nur eine jener herrlichen Verbindungen wie
fragrantia raeUa, liquentia vina, vivacia sulfura durch den stumpfen
und plumpen Singular zu ersetzen, um zu erkennen, welche Klang-
schönheit der poetische Plural dem Vers der römischen Elegiker
und Epiker verliehen hat.
Mit den übrigen Kasus können wir uns kurz fassen; sie
sind seltener und zu verschiedenartig in der Form; dennoch lassen
sich auch hier Regelmäfsigkeiten finden, die zweifellos mit dem
formellen Charakter der Erscheinung zusammenhängen.
Der Genetiv kommt bei poetischen Pluralen so gut wie nicht
vor; wir werden Formen wie cämiüm vestiüm gländiüm (vgl.
S. 508 f.) etc. nicht vermissen; auch solche mit drei Längen wie
länärüm arenärüm etc. würden schwerlich dem Singular gegen-
über für den Vers haben in Betracht kommen können; bei andern
mag man in Zweifel gewesen sein, ob der Genetiv auf um oder
ium zu bilden sei, wie bei aes mel far tus etc. (so auch in Prosa;
vgl. Neue -Wagener P S. 750); jedenfalls genügten die geringen
Vorteile, die unter Umständen eine Pluralform im Genetiv für
den Vers bieten konnte (wie etwa cinerum vor Vokal), nicht,
um der Prosa unbekannte Formen neu zu bilden. Ich fand nur
der Elisionen nicht scheute, hat den Plural maria 16 mal angewandt (mare
25 mal), sei es den Epitheta zulieb, sei es um die haltlose pyrrhichische
Singularform zu ersetzen; Properz, Tibull Horaz und Ovid, die mare über
100 mal schreiben, haben die Pluralform nur noch 3 mal zugelassen: Prop.
2, 18, 38 am PentameterschluTs , also nicht elidiert, 26, 52 maria alta und
Ovid Pont. 4, 11, IG tot maria et terras. So spiegelt sich hier in der auf-
fälligen Abnahme des i)oeti8chen Plurals der Fortschritt der Verstechnik.
Stadien zum poetiscLen Plural bei den Römern. 525
das vereinzelte hederarum Ov. Met. 6, 599. Vielleicht gehört
hieher das allerdings am Versende sehr gut verwendbare rosarum*)
Lucr. 2, 627 Hör. Carm. 3, 29, 3 Ovid Met. 2, 113 (fehlt bei N;
bei Plautus, Varro R. rast. 1, 35, 1 und Cicero fand ich nur den
Singular).
Im Nominativ spielt natürlich die Form des Haupt verbums
mit, sodafs die des Stofihamens selbst nicht immer rein zur Geltung
kommt; und so läfst sich nicht sagen, ob es Zufall ist, dafs
eineres im Nominativ nie für den Singular eintritt (Ovid Art.
3, 21 eineres miscebimur ist von zweien die Rede, vgl. S. 519),
während cinis bei Vergil 2 mal, bei Properz 3 mal, bei Horaz und
TibuU je Imal, bei Ovid sogar 9 mal vorkommt.**) Jedenfalls
sind die Verba durchschnittlich in der dritten Person sing, füg-
samer als im Plural (Formen wie devöränt dectderunt sind über-
haupt ausgeschlossen).
Doch bei zwei Wortgruppen bleibt die Form der Substantive für
den Gebrauch des Plurals mafsgebend, und glücklicherweise nach
zwei entgegengesetzten Seiten. Bei denjenigen Femininen der ersten
Deklination, die zwei kurze Silben vor der Endimg haben, wo
*) So ist auch aquarum (N 605) schon bei Lucrez sehr häufig und bei
Ovid sogar häufiger als der Singular; doch ist schon bei Varro und Cicero
der Plural ganz gewöhnlich, in der Bedeutung „Sprudel" sogar Regel, wie
Varro L. lat. 9, 68 des längeren erklärt (diese Stelle sowie jeder Hinweis
auf den Pluralgebrauch fehlt im Thesaurus 11 363). Auch bei den poeti-
schen Wörtern latex und lympha kommt der Genetiv Plural vor: laticum
Lucr. 4, 1085. 1091 Ovid Pont. 4, 10, 59, lympharum ( !) Lucrez 1,496.
Überhaupt sind die poetischen metaphorischen Bezeichnungen für „Ge-
wässer**, „Flut(en)" meistens von Natur pluralisch: so flustra (N 696) flu-
mina (Qh&Qo) fontes (nriycci Flut, vgl. Wilamowitz zu Herakles 390) freta rivi
(Tibull 1,1, 28) stagna vada, auch maria in der Verbindung maria ponti
(Laevius fr. 1). Hier scheint der Plural die Bedeutungsübertragung vermittelt
zu haben: die Form fretum = Meer findet sich erst bei Ovid, vadum in
dieser Bedeutung erst nach Ovid.
**) Ähnlich ist es dem Wort rogus ergangen. Das hatte wohl zuerst
Vergil im poetischen Plural gebraucht, als er seine Dido sterben liefs (4,
646). Tibull und Properz schreiben noch rogum (rogos nur von mehreren);
Ovid übernahm in seiner Didoepistel mit dem Stoffe auch den poetischen
Plural (193); er gebraucht dann rogos statt rogum doppelt so oft wie
rogum (7:4); im Nominativ hingegen bleibt rogus Regel (6 mal). — Wenn
andererseits der Plural fron des bei Ovid die Form frons (oder fros; vgl.
Neue P 746, wo Cato Agr. 4 fehlt) vollständig verdrängt, so mag die
Unsicherheit oder Zweideutigkeit (frons frontis) des einsilbigen Singulars
mitgespielt haben.
Archiv für lat. Lexikogr. Xn. Heft 4. ^'^
526 Paul Maas:
der Singular also nur mit Elision möglich war, ist der Plural
Regel: violae (vgl. S. 506) Vergil Ecl. 10,39 Oyid Art. 2, 115
Fast. 2, 539. 6,469; viciae (N 612) Ovid Fast. 5, 267; stipu-
lae (vgl. S. 506) Verg. G. 1, 289 Met. 1, 492; casiae (fehlt bei N)
Verg. G. 4, 30; castaneae = Früchte (fehlt bei N; Singular
Varro R. nist. 3, 15, 1. 2: nuces aut castaneam) Verg. Ecl. 1, 81.
7, 53 Ovid Met. 13, 819; inulae (fehlt bei N) Moret. 73; hederae
Verg. G. 2, 258 Hör. C. 1, 1, 29 Prop. 1, 2, 10. 2, 5, 26 Eleg.
cad Mae 1, 64 Ovid Art. 3, 411 Met 3, 664. 10, 99.*) Eine Singu-
larform findet sich nur für hedera und nur Ovid Fast. 3, 767
hedera est gratissima Baccho;
also die leichteste Elision, und notwendig wegen des Super-
lativ. — Genau umgekehrt ist das Verhältnis bei denjenigen Femi-
ninen der ei*sten Deklination, die eine lange Silbe vor der Endung
haben, im Plural also spondeisch auslauten; hier herrscht der
Singular: spuma Ovid Med. fac. 73 Met. 3, 74. 4, 538. 8, 288;
lana Verg. Ecl. 4, 42 G. 2, 465 Horaz Carm. 3, 5, 28 Epist. 2, 1,
207 Lygdamus 3, 18 Prop. 3, 11, 12 Ovid Art. 3, 170. 222 Her.
12, 128. 14, 66 [Met. 13, 849] Fast. 2, 742. 3, 876. 4, 773; cera
Verg. Ecl. 8, 80 Horaz Sat. 2, 5, 54 Properz 3, 23, 8 Ovid 17 mal;
diesen 38 Singularformen stehen 7 Plurale gegenüber: lanae
(N 621) Horaz C. 2, 16, 37. 3, 15, 13 Ovid Met. 7, 541, cerae
(N 620) Ovid Am. 1, 12, 23
hae capiant vadimonia garrula cerae
wo den Singular der Vers, aber nur zum Schaden von Euphonie
und Deutlichkeit, zugelassen hätte, Art. 2, 89 = Met. 8, 227 Met.
3, 488 (Am. 1,8,65 heifst es Wachsbilder); spumae (N 604) fehlt,
was um so auffälliger ist], als spumas und spumis den Singular
ganz verdrängt haben. — Häufiger ist der Plural bei arena (N 617),
das im Hexameter sowieso in der Regel an den Versschlufs hätte
treten müssen (da amphibrachische Formen in der Mitte des Verses
selten sind) ; dort wurde es dann fast regelmäfsig durch den voller
klingenden Plural ersetzt: Verg. G. 2, 106. Aen. 3, 557. 9, 714 Ovid
Am. 2, 11, 47 Art. 3, 395 Met. 10, 701; arena im Hexameter nur
*) Ich sehe ab von paleae Verg. G. 3, 134, weil auch die Prosa den
Plural hat (vgl. S. 505). Aber parallel ist der Gebrauch von nebulae (vgl.
S. 519 Anm.): Lucrez hat nebulä noch 3mal (3,429. 437. 6,1119), nebulae
8,431. G, 103. 1097; später aber verschwindet der Singular, während nebulae
bei Verg. G. 1,401 Horaz C. 1, 22, 19. 3, 8, 66 Ovid Met 1, 267. 11,695
steht; also analog der Zunahme des Singulars bei mare (vgl. S. 523).
Stadien zum poetischen Plural bei den Römern. 527
Vei^. G. 3, 493 (VersschluTs) und Prop. 3, 11, 35 (im 4ten Fufs,
wodurch der unschöne Schlufs detraxit arena triumphos entsteht*)).
Im Pentameter dagegen hat arenae keinen Platz; arenä Prop. 1,
17, 8. 3, 7, 26. 4, 8, 76 Ovid 12mal.
Den Dativ behandeln wir gesondert nur in den Fällen, wo
er nicht in beiden Numeri für den Vers mit dem Ablativ kon-
gruent ist, also bei den Nomina der dritten Deklination; und bei
diesen fehlt er so gut wie ganz, was wohl aus der Seltenheit
dieses Kasus bei diesen Begriffen zu erklären ist; zu cineri, das
noch am häufigsten ist, wäre der Plural im Vers unmöglich ge-
wesen. Dativ ist vielleicht papaveribus (statt des unmöglichen
papävSn, obwohl auch papavere im Pentameter keinen Platz findet)
bei Prop. 1,20, 37 f.:
surgebant liHa prato
Candida purpureis mixta papaveribus.
Über graminibus und roboribus vgl. S. 502 Anm. und S. 497. —
Deutlich jedoch zeigen sich die Forderungen des Verses bei dem
Dativ von vestis (vgl. S. 519); hier wird der spondeische Singular
fast regelmäfsig durch den daktylischen Plural ersetzt: Horaz C. 4,
9, 14 aurum vestibus illitum, Ovid Art. 3, 131 insuto vestibus
auro, also in derselben Verbindung, dann Met. 1, 372. 3, 556.
6, 166 Her. 18, 31; vesti nur Met. 4, 117 (am Versschlufs).
Im Ablativ müssen wir die Nicht-Neutra von den Neutren
trennen. Bei den ersteren entspricht die Häufigkeit des Plurals
meistens den Vorteilen, die er im einzelnen Falle dem Verse bot.
Von den Nomina der dritten Deklination kommen hauptsächlich
glandibus (vgl. S. 504), vestibus (vgl. S. 519), camibus (N 622) rori-
bus (N 606) und faecibus (fehlt bei N) in Betracht; cinöribus war
unmöglich. Nun sind die daktylischen, konsonantisch auslautenden
Formen lange nicht so geeignet fiir den daktylischen Vers, wie die
troehäischen, vokalisch schliefsenden (came veste glande rore faece),
da sie erstens nur vor Vokalen und zweitens nur an weniger Stellen
des daktylischen Verses möglich waren (vgl. S. 488 Anm.) als
•) Über die Abneigung gegen solche Schlüase vgl. Joh. Heinr. Voss
im Kommentar zu Yergil Ecl. 8, 45; Th. Birt ad historiam hexametri latini
Bjmbola, Bonn, 1878, p. 28 f.; Cavallin de caesuris qnarti et quinti trochae-
omm hexametri, Norcopiae 1896. Der Grund dürfte wohl derselbe sein,
den 0. Brugmann richtig zur Erklärung des Luchsschen Jamben gesetzes ge-
geben hat: Schlüsse wie !u_u|u_u und u-|u_ nehmen gleichsam das
Versende vorweg und stören, wie zwei gleiche Schlufsakkorde hintereinander.
35 •
528 Paul Maas:
jene trochäischen, deren Gebrauch nur im dritten, vierten und
sechsten Fufs des Hexameters beschränkt war (über cruoribus vgL
S. 520). So erklärt sich die Seltenheit der Pluralformen: roribus
tritt sogar erst nach Ovid (Lucan 7, 837) auf, obwohl schon Cicero
(de div. 1, 14 = Prognost. fr. 6 Baehrens PLM VI p. 28) rores ge-
schrieben hatte und rore bei den Dichtem von Lucrez bis Ovid
ca. 25 mal vorkommt. Deutlich zu beobachten ist die Entwicklung
bei vestis; vestibus findet sich im Ablativ zuerst bei Ovid Met.
5, 601, obwohl vestes schon bei Lucrez legitim und veste vor jener
Ovidstelle sehr häufig ist (über 50 mal); das ist doppelt auffällig, da
im Dativ schon vorher die Form vestibus Regel war (vgl. S. 527);
der poetische Plural ist also anfangs an den Kasus gefesselt ge-
blieben, dessen seh werf äUigere Singularform ihn hervorgerufen hatte;
Ovid zeigt dann, sobald er vestibus einmal im Ablativ angewandt
hat, eine besondere Vorliebe für diese Form: sie steht in den
letzten zehn Büchern der Metamorphosen 6 mal (6, 288. 8, 448.
778. 10,263. 11,654. 13,901), veste nur 4mal (7, 848. 8,859.
10, 176. 432); in den Fasten tritt dann das natürliche Verhältnis
(4 : 10) ein. Bei den übrigen Wörtern herrscht jedoch dieses von
Anfang an; carnibus Ennius Annal. 343 Ovid Met. 7, 269, came
bei Horaz und Ovid je 2mal; glandibus Ovid Met. 10, 94, glande
Vergil Tibull Horaz Ovid zusammen 6mal; faecibus Hör. AP
277), faece Sat. 2, 4, 55 (und zweimal im Oden), Ovid Met. 8, 665.
Viel häufiger sind die Plurale von Nicht-Neutren in den
Formen auf Is. Diese sind für den Vers vom Dativ imd Ablativ
Singular nur vor Vokalen verschieden, dann aber auch von Vor-
teil. Und wenn z. B. hederä 10 mal vorkommt (Verg. Hör. Tib.
Prop. Ov.), hederis aber nur 2 mal (Horaz Carm. 1, 36, 20 Ovid
Met. 6, 128) und beidemal vor Vokal, so werden wir auch hierin
den Einflufs des Verses erkennen. Aus demselben Grunde tritt
ceris Ov. Art. 2, 47 Met. 8, 193. 670 (Attribut vor Vokal). 9, 529
(desgl.). Trist. 5, 4, 30 Fast. 4, 546 für cera ein, das bei Verg. Hör.
Tib. Ov. 8 mal vorkommt (Ov. Art. 3,495 heifst ceris Wachstafebi).
Zufall mag sein, dafs zu violä (Hör. Verg. Ov. 3 mal) und lanä
(Verg. Hör. Prop. Ov. 7 mal) der Plural fehlt; lanis Ov. Am. 3,
7, 79 ist zu unsicher überliefert, als dafs man die sonst vor
Petron. 78 nicht bezeugte Form in den Text setzen dürfte. Bei
andern tritt aber sehr oft die Form auf is ein, ohne dafs es der
Vers verlangt; spumis, zuerst bei Catull 64, 13 (vor Vokal), ver-
drängt den Singular vollständig (Vergil 3 mal, Ovid 7 mal); vor
Studien zum poetischen Plural bei den Kömern. 529
Konsonant z. B. Verg. G. 3,111 spumis flatuque. Ebenso Verg. G.
1, 215 fabis satio; 2, 139 turiferis Panchaia pinguis harenis; 3, 99
in stipulis magnus . . (aber bei Ovid stipulis nur vor Vokal Met.
8,630 Fast. 4, 797, stipulä 7 mal). Hier hat also das Streben
nach unprosaischen Formen (vgl. S. 497 f.) den Singular zurück-
gedrängt, wenn wir nicht auch in der Bevorzugung der geschlossenen
Silben vor den offenen ein euphonisches Moment erkennen.
Und nun zum SchluTs noch einige Worte über den Ablativ
(resp. auch Dativ) bei den Neutren. Hier kommt derselbe näm-
lich nur ausnahmsweise vor. Die bedeutenden Vorzüge, die ge-
rade bei den Neutren der Nominativ und Akkusativ Plural bot,
haben die poetische Freiheit hier an diese beiden Kasus gebunden ;
farribus mellibus turibus sind nie gebildet worden (N. P S. 749);
über papaveribus vgl. S. 526; marmoribus kennt erst Juvenal
(6, 430. 14, 90); aeribus steht vereinzelt bei Lucrez 2, 637 pul-
sabant aeribus aera, also durch den Zusammenhang und die über-
tragene Bedeutung (Erzklappem) erzwungen; vinis hat sich Ovid
zweimal gestattet (Art. 1, 244 Fast. 6, 673), mustis derselbe ein-
mal (Ovid Am. 1, 15, 11); diese letztere Neubildung fiel besonders
auf: Servius zu Verg. Georg. 2, 7 (fehlt bei Neue). . . . licet Ovi-
dius abusive dixerit musta: sed hoc ille plus fecit, quod et mu-
stis dixit .... Kein Dichter hat, wenn wir Neues (748 ff.) Samm-
lungen trauen dürfen, aeribus, vinis oder mustis wieder ange-
wendet. Hier bleibt also der poetische Plural weit hinter dem
zurück, was der Vers verlangt hätte; trotzdem zeigt sich sein
Einflufs auch noch in den drei Fällen, wo Ovid die Formen vinis
und mustis verwendete: es folgt jedesmal ein Vokal. — Warum
gerade die Neutren jene Ausnahmestellung einnehmen? Die Er-
klärung giebt eine entsprechende Erscheinung der Umgangssprache,
die freilich selbst noch der Erklärung harrt: aera und vina sind
auch in der klassischen Prosa „aptota" (vgl. S. 505); und da dies
diejenigen der hieher gehörigen Neutren sind, die zuerst im poe-
tischen Plural vorkommen (schon bei Lucrez), so dürfte deren
Analogie auf die übrigen gewirkt haben. Übrigens werden auch
sonst als aptota der zweiten und dritten Deklination nur Neutra
genannt: rura iura maria pura murmura ora (Neue 749); also
liegt diese Sonderstellung der Neutra im Sprachgefühl begründet.
Einiges neues Material zu dieser Frage werden wir sofort aus
einer andern Wortklasse beizubringen haben.
530 F&n\ Maas:
IIL Körperteile.
Brust Rücken Hals Mund Herz Antlitz Busen Kinn Kehle
Schnabel — das ist ein engerer Kreis von BegriflFen als die
Unmenge der StoflEhamen Metalle Elemente Gewächse Flüssig-
keiten u. s. w., aus der wir im vorigen Kapitel Auswahl treffen
mufsten; hier läfst sich die gesamte Erscheinung in ihren An-
fängen und in ihrer Entwicklung überblicken; hier ist auch der
normale Sprachgebrauch leicht zu vergleichen: man weifs^ dafs
die Prosa (von der spätesten natürlich abgesehen) die Plurale
pectora terga colla ora corda vultus sinus menta gut-
tura rostra niemals dann verwenden darf^ wenn von einem
dieser Körperteile in Bezug auf ein Individuum die Rede ist.
Dennoch wird es vielleicht auch hier gut sein, sich zuerst
über den Gebrauch der Pluralformen in der Umgangssprache
ein wenig zu unterrichten. Es ist nämlich absolut nicht selbst-
verständlich, dafs sie dort überhaupt vorkommen. Bei uns
werden Brust (= pectus) Rücken Mund Antlitz Busen Kinn und
mehrere andere Körperteile, die an einem Individuum nur in
einem Exemplar vertreten sind, nur singularisch gebraucht. Den
Grund hiefür sehe ich (nebenbei bemerkt) in Folgendem: Diesen
Begriffen fehlt in unserer Vorstellung die für unser Sprachgefühl
zur Annahme des Plurals notwendige Eigenschaft des raumlichen
oder zeitlichen Geschlossenseins: sie treten nur als nie selbständige
Teile eines Ganzen auf und kommen nur in ihrem Verhältnis zu
diesem Ganzen in Betracht. — Wenn wir nun etwas Ähnliches
im lateinischen Sprachgebrauch nachweisen könnten, so würden
diese Körperteile bezüglich des Plurals mit den Begriffen der
Masse und der Abstrakta Verwandtschaft zeigen, die aus ähn-
lichen Gründen eines regelmäfsigen Plurals nicht fähig sind, und
so fände die Ausbreitung der poetischen Freiheit bei dieser Klasse
von Konkreten eine begründete Analogie.
Die Syntax hat noch nicht viel danach gefragt; man hat
notiert, dafs Caesar (BG 1, 32, 2) mehrere Sequaner „capite de-
misso" zur Erde blicken läfst, und hat bei einem solchen „un-
regelmäfsigen'' Singular Ciceros (pro Mil. 79) quid vultu extimu-
istis? aus der Not eine Tugend gemacht durch die Erklärung:
hier wäre der Plural unlateinisch gewesen wegen des gleichen Ge-
sichtsausdruckes (Dräger § 7, 3 S. 20f. Kühner H § 22 Anm. 2).
Studien znm poetischen Plural bei den Römern. 531
Aber was wäre denn der Plural an folgender Stelle gewesen:
Cic. Mur. 44 et ex vultu candidatorum coniecturam faciant^
quantum quisque animi et facnltatis habere videatur? — Glück-
licherweise hat die Frage, ob vultibus oder vultubus zu schreiben
sei, zu einer Sammlung der Belege für diese Formen geführt.
Neue P 558 bringt aus der Prosa vor Petronius keine von beiden;
immerhin beweist das nur, dafs sie vorher selten sind; vultibus
steht schon bei Cestius Pius in Senecas Controv. 2, 5, 3 camifices,
in quorum vultibus tormenta erant. Hier dürfte nun der Gesichts-
ausdruck nicht als wesentlich verschieden aufgefafst sein — und
doch steht der Plural: der Unterschied besteht eben nicht darin,
dafs das eine lateinisch ist und das andere nicht, sondern darin,
dals Cicero einer früheren Generation angehörte. Er hat die
Form vultibus nicht nur nicht angewendet, sondern, wie die oben
genannten Stellen zeigen, vermieden.
Noch deutlicher wird dies bei dem Plural von os. Neue 749
bringt für oribus aus der Prosa vor Apuleius nur zwei Belege, von
denen der eine dem Dichter Accius gehört, der andere dem Philologen
Zumpt. Erstens: Yarro L. lat. 7, 64 Miraculae a miris, id est mon-
stris; a quo Accius ait „personas distortas (distortis edd.) oribus
deformis Miriones*'. Spengel, Lucian Müller (Lucilius p. 306) und
Baehrens (PLM VI p. 271) schreiben freilich dem Accius nur das
Wort „miriones" zu; sie nehmen damit an, Varro habe ait mit dem
doppelten Akkusativ konstruiert und durch eine möglichst un-
deutliche Stellung dieses Wortes (es würde doch zwischen die Ak-
kusative gehören) und prononciert trochäischen Rhythmus des
Satzschlusses unentschieden lassen wollen, wieviel davon dem
Dichter gehöre. Ich kann mich damit nicht einverstanden er-
klären. Dem Varro gehört jedenfalls dies oribus nicht; aber mög-
licherweise auch nicht dem Accius, der trag. fr. 511 ore obscena
dicta segregent gesagt hat; oribus ist sonst vor Vergil auch bei
Dichtem nicht bezeugt. Das Fragment ist sowieso korrupt über-
Uefert, da distortas in diesem Zusammenhang nicht richtig sein
kann und auch das Metrum eine Änderung verlangt; distortus und
deformis verbindet Ammian. Marcell. 14, 6, 17 distortaque linea-
mentorum compage deformes. — Zweitens Curtius 7, 5, 7 Ergo
quidquid vini oleique erat oribus ingerebatur, tantaque dulcedo
bibendi fuit .... Überliefert ist hominibus; zu schreiben: in utri-
bus (notwendig als nähere Bestimmung zu erat; ingerere absolut
wie gleich nachher egerere). — Es ist das Verdienst Neues, die
532 Paul Maas:
Vermeidung der Form oribus durch die Häufigkeit von Ver-
bindungen wie in omni um animis atque ore versaris (Cicero
pro Scaur. 50) erwiesen zu haben. Dafs dasselbe für den Genetiv
gilt, zeigt Cic. de deor. nat. 2, 122 cibumque partim oris hiatu
. . . arripiunt . ., partim aduncitate rostrorum.
Neue war auch der einzige, der beobachtet hat, ^afs die Form
colli 8 fehlt (P 501); er scheint dies auf die Seltenheit des Ge-
brauches von coUa zurückgeführt zu haben; wenigstens meint der
Herausgeber seines Werkes, eine solche Ansicht widerlegen zu
müssen, indem er zum Beweis der Häufigkeit von coUa fünfzig
Stellen vorbringt — aus den Indices zu Statins und Lucan (I' 750);
es wird dann coUorum aus Cic. de deor. nat. 2, 122 hinzugefugt
(die Stelle pro Sext. Rose. 80 fehlt). Ob coUis vorkommt oder
nicht, wird nicht mehr verraten. Ich kenne keinen Beleg dafür,
nicht einmal bei Dichtem. In den Texten steht freilich bei Ovid
ex Pont. 2, 1, 43
totque tulisse duces captivis addita collis
vincula, paene hostis quot satis esse fuit;
aber überliefert ist captivos; und da doch emendiert werden mufs,
so wird man nicht die singulare Form collis stehen lassen; Ovid
sagt auch in Bezug auf mehrere coUo: Met. 11, 358 celsoque
instant super aequora collo (vgl. Verg. Aen. 9, 436 Hör. Carm.
3, 3, 15). Also wird auch an jener Stelle collo zu schreiben sein;
in captivos steckt captivo; saddita ergiebt subdita. Dieser Ge-
brauch von sub ist etwas ungewöhnlich und mag die Komiptel
verschuldet haben; aber einen anderen Weg sehe ich nicht.*)
Auch hier läfst sich die negative Beobachtung stützen durch
Stellen wie Cic. Verr. 5, 108 collo et cervicibus suis sustine-
rent (ebenso Varro R. rust. 2, 9, 4).**)
•) Vgl. Amor. 3, 7, 7 Bubiecit ebumea collo bracchia; Verg. Aen. 7,
347 inque siniim praecordia ad intuma subdit; 8, 459 tum lateri atque
umeris Tegeaeum subligat ensem; Ovid Met. 12, 566 lateri qua subditur
ala (Merkel; funditur M); Tac. Ann. 12, 24 tauros subdere aratro wohl
übertragen nach iugo subdere. Aber Tibull 1, 2, 90 vinclis subdere colla
senem.
•*) Herrn Dr. L. Traube danke ich den Hinweis auf eine in seinen
Varia libamonta critica (München 1883) p. 11 sqq. behandelte Stelle aus
Ammian. Marcell. 14, 6, 9 sudant sub ponderibus lacemarum, quas in collis
inserta singulis ipsis adnectunt .... Wenn sich für collis auch aus dieser
Periode keine Parallele findet, so dürfte wohl dort die Emendation einzu-
setzen haben.
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 533
Völlig unbekannt scheint zu sein, dafs auch der Plural von
terga ursprünglich auf diese Form beschränkt war. Ich fand
tergorum weder in der voraugusteischen Prosa noch bei den
Dichtem, tergis erst bei Curtius 7, 7, 15 in tergis nostris Scythae
haerebunt; Plinius NH 9, 158 coeunt tergis; Plinius Epist. 6,
20, 13 densa caligo tergis imminebat, quae nos torrentis modo
infusa terrae sequebatur (wo vielleicht terris zu lesen ist). Dafs
Cicero diese Form mied, beweist folgende Stelle: de deor. nat. 2,
125 eaeque (die Kraniche) in tergo praevolantium colla et
capita reponimt.
Aber auch bei den übrigen Namen von Körperteilen findet
sich der Plural nicht so regelmäfsig, als es unsere Syntax voraus-
zusetzen scheint. Ein Beispiel aus Caesar ist schon gegeben (S. 530);
post tergum hostium ist ganz gewöhnlich; Varro R. rust. 3, 10, 5
abrumpunt Collum (Plinius NH 10, 163 sua colla abrumpunt);
perimbecillum enim id, ut caput molle; 2, 2, 4 si arietes sint
fronte lana vestiti bene, tortis comibus pronis ad rostrum . . . .
amplo pectore ... cauda lata (kurz vorher caudis prolixis); und
80 liefsen sich besonders für den Gebrauch des Singulars im Ab-
lativ die Belegstellen häufen.*)
Das Resultat dieses Exkurses über den Gebrauch des Plurals
von einem Körperteil in Beziehung auf mehrere Individuen ist
folgendes: Die Verwendung der Pluralformen ist unbeschränkt
nur im Nominativ und Akkusativ, während sie in den übrigen Kasus
nie R«gel und bei mehreren Wörtern (besonders Neutren, vgl. S. 529)
Ausnahme ist. Ich schliefse daraus, dafs diese Wörter bei den
Römern ähnlichen Charakter hatten, wie bei uns, und dafs ihr
Plural nicht so sehr die Mehrheit von EinzelbegriflFen ausdrückt,
als vielmehr einer Attraktion seine Existenz dankt, ähnlich wie
bei den Abstrakten (odia hominum etc).
Wenden wir uns nun zum poetischen Plural bei dieser Wort-
klasse und zu seiner Entwicklung, und beginnen wir mit den
Resten der ältesten römischen Poesie.
Dafs die Saturnier „von all den Sachen nichts wissen^^, hat
schon Keller (Gramm. Aufs. 214) behauptet; er wird Recht be-
halten, obwohl sein urteil durch Sachkenntnis nicht getrübt war.
*) Die Bezeichnungen für Haar, Bart, Pelz, Gefieder, Wolle und Ver-
wandtes gehören zu den Begriffen der Masse und werden bezüglich der
Numeri teilweise auch in Prosa ganz frei behandelt: ursprünglich singularia
tantum sind capillus (X 653), barba (N G52), lana (N 621), vielleicht auch
534 Paul Maas:
Einstweilen steht in dem Text der Odissia des Livius Andronieus
fr. 38 Baehrens pectora als poetischer Plural.
Nun wäre ja a priori gegen einen poetischen Plural in Sa-
tumiem nichts einzuwenden; die Nachahmung des Griechischen,
die wir besonders bei den Körperteilen ftir ausschlaggebend halten,
wäre sogar nirgends passender als in einer Übersetzung aus Homer
(äuc 6r7}d'£aq}Lv eXaööa % 91). Aber wenn irgendwo, so müssen
wir hier das historische Moment heranziehen. Die ersten sicheren
poetischen Plurale von Körperteilen werden wir in Ciceros Aratea
finden. Es scheint mir völlig ausgeschlossen, dafs Ennius, die
Tragiker, Lucrez und Catull, die pectus zusammen 15 mal aufweisen,
sich des poetischen Plurals bei diesem Wort enthalten haben
sollten, wenn ihn schon Livius anwenden durfte und anwandte.
Hinzu kommt nun der Zustand der Überlieferung:
at celer hasta volans pernimpit pectora ferro.
So citiert Priscian (Gr. lat. H 335, 2) diesen — Hexameter. Lucian
Müller hat darauf verzichtet, eine satumische Rekonstruktion in
seinen Text zu setzen. Im übrigen ist an solchen Versuchen
kein Mangel; Korsch und Havet streichen volans, Hermann
und Baehrens lesen celeris (als Schlufs des vorhergehenden Verses),
Zander (1890) stellt volans vor hasta, pectora vor pernimpit und
streicht ferro; und so liefse sich mit Grazie*) in infinitum weiter
„emendieren". Ich verstehe nicht, wie auch Lucian Müller so
coma pluma squama crista palca; plnralisch crines palearia (N 674) viUi
saeti, vielleicht auch pili pinnae vellera. Hierher gehört auch iubae (vgl.
Ovid Amor. 3, 6, 24). — Die falschen Behauptungen der alten Grammatiker,
barba werde singularisch von Menschen, pluralisch von Böcken gebraucht,
oder singularisch in Bezug auf ein Individuum, plnralisch in Bezug auf
mehrere, gehen wohl auf Versuche zurück, den Plural bei Verg. Georg. 3, 111
zu erklären. Vergil sagt dort
barbas incanaque menta
Cinyphii tondent hirci.
hirci ist kollektiv; doch um auch die Form des Plurals zu erhalten, inter-
pretierte Priscian tondent = tondentur. Die Lesart hircis (Romanus) hängt
vielleicht auch damit zusammen. — Bezüglich des Numerus von capillus
scheint man schon früher in Zweifel gewesen zu sein. Varro epist. 3 (bei
Charis. I 104, 20) hat verlangt, den Plural zu meiden; doch hat ihn nicht
nur Cicero in Pison 25, sondern schon Lucilius 27, 19 (fehlt bei N).
*) pectora färro soll einen Saturnier des Livius schliefsen; die Heraus-
geber trauen ja diesen Dichtem alles zu; aber die Unterdrückung einer
Senkung bei vorausgehendem kurzen Endvokal sollte man wenigstens von
Rekonatraktion^n femhalteu,
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 535
unmethodiscli sein konnte, eine „aller Wahrscheinlichkeit nach
ursprüngliche'' Fassung finden zu wollen (nämlich durch Strei-
chung von at und volans), da er doch selbst eine metrische
Umarbeitung durch spätere Grammatiker annimmt (Der satur-
nische Vers S. 112). Für diese Hypothese ist der poetische Plural
pectora ein starker Beweis.
Übrigens steht auch ein zweiter Beleg für poetischen Plural
bei Livius Andronicus in einem Vers, den noch Cicero als Hexa-
meter gelesen hätte (fr. 26 Baehrens, vgl. L. Müller 1. c):
inferus an superus tibi fert deus funera TJlixes?
Ich verzichte darauf, die Rekonstruktionsversuche, die sämtlich
das poetische funera beibehalten (der Vers soll aus x 64 über-
setzt sein), namentlich aufzuzählen. Die Technik des überlieferten
Hexameters erinnert an das bekannte Epigramm des Eunius
nee funera fletu
faxit; cur? volito vivus per ora virum.
Und der dritte poetische Plural in Satumiern, wenn es über-
haupt einer ist, beruht auf Konjektur. In der Scipioneninschrift
CIL I 34, V. 6 ergänzte Mommsen
annos gnatus viginti is l[oce]is mandatus.
Church m seiner sonst sehr richtigen Behandlung des poetischen
Plurals auf Grabinschriften (Archiv XH 236 vgl. S. 518 Anm.)
hält loceis für eine „metrische Variante'^ Aber deren bedurfte die
Technik des Satumiers nicht und an dieser Stelle gewifs nicht.
Wenn sich loca nicht auch aus der Prosa in der Bedeutimg
„Stätte" bezeugen läfst, dann ist jene Ergänzung dem sonstigen Stil
der satumischen Verse nicht entsprechend.
Um zum poetischen Plural bei Körperteilen zurückzukehren,
so bleiben noch einige Fälle aus der Zeit vor Cicero zu erledigen.
Den Niptra des Pacuvius teilt Ribbeck folgenden von Censorinus
ohne Nennung eines Autors als metrisches Paradigma vorge-
brachten Vers zu (trag, fr.^ ine. ine. 96):
quae tam terribilis tua pectora turbat, sollicito sonitu impulit?
Für Pacuvius spricht so gut wie nichts, aber tua pectora be-
weist dagegen.
Pacuvius 334 steht undaeque e gremiis oder unde eque
gremiis in schwer korrupter Umgebung, sodafs nicht zu erkennen
ist, ob undae als Genetiv aufzufassen sei; gremium kommt im
poetischen Plural nicht vor, doch würde ihn hier die übertragene
Bedeutung entschuldigen.
536 Paul Maas:
Caecilius Statins 217 ist bei Nonius 96, 31 überliefert:
tantam (tanta H^) hiiic invasit in corda (corollia Urbin. 307) in-
dnlcitas. Ribbeck hat seine Konjektur
tantan binc inrasit in tua corda duicitas
in der folgenden Auflage selbst unter den Text verbannt; der bei
einem Komiker unerhörte poetische Plural (corda pps*) steht
zuerst bei Vergil Aen. 1, 721) dürfte ihr wohl den letzten Rest
von Wahrscheinlichkeit nehmen.
Lucilius 26, 15 M. (fr. 503 Baehrens) ist bei Nonius 351, 4
überliefert:
mihi quidem non persuadetur, publices (publices, pulices)
mutem meos.
publice, pulices, publiceis, Publi utei edd. Baehrens schreibt
mit kühner Phantasie podices. Diesem „poetischen" Plural ant-
wortet man am besten mit dem Wortlaut der Überliefenmg.
Laevius fr. IIa Baehrens (PLM VI p. 289), v. 3
pressaque iam gravida crepitant tibi terga pharetra.
Dieser Vers wird von Terentianus Maurus v. 1913 f. mit einigen
versus rayuri zusammen dem Livius Andronicus zugeschrieben
(Livius ille vetus graio cognomine"; die Umschreibung nur wegen
des im Vers unmöglichen Andronicus, also meint er nicht den
Laevius Melissus, wie H. de la Ville de Mirmont, Revue des etudes
anciennes 1900 p. 316 meint); Hermann, Haupt, Ribbeck (Liv.
Andron. unter Ino) und Lucian Müller nehmen eine Umarbeitung
des Livius durch Caesius Bassus an; Scaliger, Baehrens, Havet
(Revue de Philol. 1891, p. 10) und de la Ville de Mirmont (1. c.)
sehen in Laevius den Autor; wenn dem so ist und wenn des
Laevius Lio vor Ciceros Aratea geschrieben ist, dann wäre dies
der früheste Beleg für einen poetischen Plural bei Körperteilen.
Cicero de deor. nat. 2, 109 (Phaenom. fr. 15 Baehrens PLM I p. 5)
namque virum medium serpens sub pectora cingit.
Freilich schreibt Baehrens stillschweigend pectore, und eine
schlagende Parallele für den Akkusativ kenne ich nicht (vgl. Keil
zu Varro 2, 3, 2; Verg. Aen. 8, 538. 12, 811?); sub pectora „unter
der Brust hin" drückt die Bewegung, die in der ganzen Schil-
derung liegt, besser aus.
Aratea 267 iste (Leo)
pectoribus validis atque alvo possidet orbem.
*) ppa möge von jetzt ab den poetischen Plural abkürzen.
Stadien zum poetischen Plural bei den Römern. 537
Das ist die erste sichere Stelle Jiir den poetischen Plural bei
pectus (öT^d'sa)] aber der Gebrauch des Ablativs setzt den des
Dativs als wahrscheinlich, den des Akkusativs als sicher vorher-
gegangen voraus.
460 f. et simul eflfert
sese clara fides et promit pectora Cepheus.
So hat Hg*), während Hj D und die Texte pectore bieten; das letz-
tere laTst sich nur halten, wenn man sese auch zu promit zieht,
was sehr unpoetisch, wenn nicht unmöglich ist. Hier scheint
mir der Akkusativ zweifellos; vgl. Ovid Fast. 5, 379 promit sua
sidera Chiron.
Auch terga (yclna) pps steht zuerst in den Aratea: 152 ad
Pistricis terga; 216 ad terga Nepai und 278 tergaque Centauri.
Ob der junge Cicero diese poetischen Plurale in die latei-
nische Poesie eingeführt hat? Bei Arat fand er sie nicht; an
den sechs erwähnten Stellen steht im Original der Singular (v. 83.
492. 674. 364. 445. 515). Doch sind die Aratea, die schon eine
ziemlich ausgebildete Technik zeigen, nicht seine ersten Verse;
aufserdem kann die Erinnerung an Homer und die Tragiker auch
indirekt gewirkt haben.**)
*) Den Wert der Korrekturen von H, hat Baehrens vollständig ver-
kannt, wenn er (p. 2) schreibt „. . . correctorem , qui ut nonnullos et
archetjpi et primae manns errores recte emendavit, ita locis longe plu-
ribuB coniecturas insulsas reposuit". Von soviel Konjekturen des Korrektors,
der an mehr als 40 Stellen mit der Handschrift D übereinstimmt, kann keine
Rede sein; er hatte eine andere Handschrift als Vorlage. Glücklicherweise
zeigt Baehrens in der Konstitution des Textes vor H, mehr Respekt:
in zwei Drittel der Fälle, wo er zwischen H^ und H, die Wahl hat, von
orthographischen Varianten abgesehen, folgt er dem Korrektor, der ca. zwölf-
mal die einzig richtige Lesart hat (gegen DHj), während H^ gegen DH,
nur V. 426 befolgt wird. Nun liefsen sich für H, gegen DHj noch andere
Fälle zufügen, vgl. S. 601; doch verzichte ich darauf, solange die Kollation
von H nicht wiederholt ist. Denn da Baehrens die Handschrift D erwiesener-
mafsen sehr nachlässig kollationiert hat (Manitius Rhein. Mus. 1897 S. 134),
so liegt der Verdacht nahe , dafs es um H nicht viel besser steht. In der
That fehlt, wie die Reproduktion bei Ottley Archeologia Britannica XX VT
p. 156 zeigt, die Angabe, dafs 138 H^ candit hat (wie D; siehe Manitius
1. c), 32 vulga; dafs 136 prora a^ caelisum korrigiert ist; zu 181.
188 u. a. wird nicht gesagt, welche Hand in Korrektur geschrieben habe. Es
ist wirklich seltsam, dafs man sich bei dem ältesten zusammenhängenden Stück
lateinischer Poesie seit 23 Jahren mit einem Baehrensschen Texte begnügt.
••) Auch Corpora {6aniccra) pps findet sich in den Aratea, natürlich,
wie terga und pectora, bei Namen von Sternbildern (91. 103. 436); hier
538 Paul Maas:
Lange vor Cicero dürfen wir jedenfalls die Entstehung dieses
Gebrauches nicht aiifietzen; denn sonst wäre die Zurückhaltung
der übrigen voraugusteischea Dichter nicht zu erklären. Catull
hat 63; 10 terga tauri übertragen = tjmpanum und dann terga
pps von einem Löwen 63, 81 age caede terga caudä (wo Baehrens
T* 170 ovqTj äi ^kevQag . . . diiq)orBQa)d'sv (uasturat vergleicht),
sonst keinen poetischen Plural von Körperteilen. Lucrez, der die
Aratea Ciceros kannte (Munro zu 5, 619), hat die syntaktische
Freiheit nicht übernommen; der einzige Beleg dafür wäre G, 14
divitiis homines et honore et laude potentis
affinere atque bona natorum excellere fama,
nee minus esse domi cuiquam tamen anxia corda
15 atque animi ingratis vitam vexare querelis.
Aber überliefert ist cordi, wozu Wakefield bemerkt „L e. quasi
sponte foveret aegritudines -cor humanum; adeo curis insessum
tenebatur. Efficax est dicendi genus et volgatum corda multis
parasangis post se relinquit." Lemaire liefs sich überzeugen mit
Verweis auf 5, 1387 nam tum sunt omnia cordi. Die Neuem
behalten die alte Konjektur corda bei, Lachmann mit folgendem
Kommentar: „haec (nämlich cordi) perversa cum sint, Wakefieldo
placent . . . recte Marullus corda neque Lambinus haerere debebat
in plurali: nam ita de Sibylla Vergilius . . . neque aliter ceteri
poetae." Aber aus Vergil und den ceteri poetae dürfen wir uns die
Parallele für den poetischen Plural nicht holen: er kommt eben
ist der Plural jedoch auch aus dem Wesen der Sache zu erklären, da jeder
Stern ein corpus ist. So sagt Ovid Fast, ö, 414 (von Chiron): bis septem
stellis Corpora iunctus eras. Auf lebende Wesen angewandt, erscheint Cor-
pora pps erst später; Vergil, der corpus 34 mal hat, kennt es noch nicht
(Aen. 7, 349 hat es H gegen pectora MV edd., eine sehr häufige Änderung
der Handschriften, vgl. Aratea 58. 144. 291. 461 Hör. Carm. 1, 37, 28 [Luc.
Müller d. r. m.* 567]; Corpora Aen. 11, 276 ist generell, vgl. S. 499); hingegen
hat es der Autor des Culex dreimal (93. 206. 368), was sehr dagegen spricht,
ihn mit dem der Aeneis zu identifizieren; dann vielleicht Tibull (1, 2, 25a.
8, 52 [beidemal generell?]. 3, 17, 2 [Sulpicia]); bei Ovid ist es ganz ge-
wöhnlich: Amores 2, 10, 24. 3, 7, 28 Art. 1, 728. 2, 68. 3, 269. 814. 743 Her.
3, 145. 8, 113. 12, 47. 13, 32. 148 u. s. w., sodafs Kellers Behauptung
(Grammat. Aufs. S. 203), der poetische Plural bei corpora sei selten, sehr
in der Luft schwebt. — Es ist nicht unmöglich, dafs der Ctebrauch von
corpora bei Sternbildern den von terga und pectora beeinflufst hat, während
Corpora pps bei lebenden Wesen erst nach der Analogie jener angewandt
wurde; das letztere hat schon Dräger (Hist. Synt. I* § 6, 2) erkannt: „dafs
80gar(?) corpora für corpus steht, ist Folge einer fal8chen(?) Analogie".
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 539
vorher nicht vor, hingegen cor bei Lucrez viermal und in Ciceros
Versen zweimal (fr. 23, 2. 27, 1 Baehrens). Ich meine, Lachmann
wäre mit der Verdammung der Überlieferung vorsichtiger gewesen,
wenn er diesen syntaktischen Zweifel in betreflF der Konjektur ge-
kannt hätte. Er kannte auch den Thesaurus linguae latinae noch
nicht, wo anxia, wenn auch erst aus der Orestis trag. 559, als
substantivisch belegt ist*); anxia cordi esse möchte ich nicht mit
Wakefield als absichtliches sich-Sorgen auffassen, sondern in etwas
abgeschwächtem Sinne, ähnlich wie 5, 1387, „sich seinen Sorgen
hingeben". Auch das im Gegensatz zu den vorhergehenden Versen
gesetzte domi verträgt sich mit der Vulgata schlecht; denn das
Gemüt ist domi kein anderes, wohl aber zeigen sich dort die
den Seelenzustand verratenden Aufserungen.
Chronologisch folgt noch eine Stelle aus Cicero, wieder in
einer Übersetzung: Tusc. 2, 22 (Baehrens fr. 33, 34)
o pectora, o terga, o lacertorum tori
aus Soph. Trach. 1080: ä) v&xa xal 0tBQv\ & q)Ckoi, ßQaxCoveg,
Hier ist der Einfiufs des Griechischen klar; denn o pectus o tergum
o . . . wäre gerade so gut in den Vers gegangen. — Die Um-
stellung (statt o terga o pectora) vermutlich, weil die Elision vor
der betonten Silbe . leichter ist.
So fallen von den neun voraugusteischen Belegen für den
poetischen Plural bei Körperteilen (terga fünfmal, pectora dreimal,
pectoribus einmal) acht auf die Übersetzungen Ciceros, einer auf
die Galliamben Catulls (und auferdem noch einer auf die Be-
arbeitung des Livius Andronicus?).
Die Reihe der augusteischen Dichtimgen führen die Eclogen
Vergils; dafs sie keinen hierher gehörigen Plural aufweisen, be-
weist nichts, da auch die entsprechenden Singulare fehlen. Es
folgt das erste Buch der Satiren und die Epoden des Horaz;
nehmen wir gleich seine übrigen Poesien mit. Horaz bietet für
*) Baehrens ersetzt es durch das medizinische angina; doch vgl. Accins
frag. 349. Vollmer (im Thesaur.) vermutet ein Femininum; das mul'ste anxia
in den romanischen Sprachen werden (wie fortia etc., vgl. Appel de genere
neutro), und ist es vielleicht schon im Orestes; als ursprünglich würde man
auch ohne die Lucrezstelle ein Neutrum annehmen, denn von Adjektiven auf
ins werden Substantiva auf ia nur ausnahmsweise gebildet (noxia), die
regelmäfsige Bildung ist die auf ietas (anxietas, ebrietas etc.). Für den
poetischen substantivischen Gebrauch des neutr. plur. liefse sich tristia
seria turpia (Owen in der Ausgabe der Tristia p. X) dulcia (Cicero fr. 1(5
Baehrens) caerula (Lucrez 6, 482) etc. vergleichen.
540 Paul Maas:
den poetischen Plural bei Körperteilen ein einziges Beispiel: Sat.
2, 7, 92 eripe turpi colla iugo; hingegen hat er pectus 11 mal,
Collum cor os je 3 mal, voltum 9 mal. Das entscheidet über
die Konjektur Bentleys (angenommen von Meineke, Lehrs u. a,)
Epod. 17, 21 f.
fugit iuventas et verecundus color
reliquit ora pelle amicta lurida.
Überliefert ist ossa. Dafs Horaz ora pps nicht kennt, führt schon
Lucian Müller gegen Bentley ins Feld (in seinen letzten Text
ist durch ein Versehen des Herausgebers dennoch ora geraten).
Übrigens ist ora pelle amicta auch inhaltlich unmöglich, da Ant-
litz und Haut nicht von einander getrennt zu denken sind.*)
Also Horaz hat sich der poetischen Freiheit, die seine Zeit-
genossen fast zur Regel gemacht haben, enthalten; sei es, weil
er sie für seine Verse nicht brauchte — die Hexameter des Horaz
sind ohne Feinheit der Technik und bei seiner Bevorzugung spon-
deischer Senkungen in den Oden war ihm mit einer Vermehrung
der Kürzen nicht so gut gedient — , sei es, weil ihm diese Verge-
waltigung des Sprachgebrauches zu stark und nicht seines Stiles
schien. Bei StoflFnamen und Abstrakten ist er dem epischen Ge-
brauch gefolgt; da zeigt er sogar solche Pluralformen, die er in
keinem daktylischen Vers gefunden haben kann, wie pulveres Epod.
17, 48 (wohl nach Analogie von cineres) und das schöne lividas
obliviones Carm. 4, 9, 33, womit er den Wohlklang des epischen
oblivia übertraf. — Es heifst den ganzen Reiz dieses wirklich
poetischen Plurals verkennen, wenn man „Aufserungen des Neides"
darin ausgedrückt sehen will. Man denke sich „Vergessenheiten"
*) Obwohl ich keine wahrscheinliche Emendation weifs, möchte ich
doch bezüglich der Ül)erliefening ein Bedenken nicht verschweigen. Sie ist
nur zu verstehen, wenn man nach color interpungiert; aber das ist eine
sehr gewaltwame Zertrennung der Wort« et verecundus rubor reliquit ossa;
das Komma wirkt nur für unser Auge. Der Singular reliquit nimmt das
doppelte Subjekt iuventus et color schlecht auf; das Asyndeton bei gleichem
Subjekt wirkt inkonzinn gegenüber den andersartigen Asyndeta v. 23. 24. 2^
und retardiert, während in den folgenden Versen durch neue, Schlag auf
Schlag folgende selbständige Sätze eine gute Steigenmg erzielt wird. Die
Korruptel liegt wohl in reliquit; aber Scheibes me liquit hätte L. Müller
nicht aufnehmen sollen; das ist nach fugit nichtssagend, verursacht einen
häfslichen Einschnitt und nimmt dem folgenden ossa pelle amicta lurida
(sc. sunt?) jeden Halt. Man erwartete ein Verbum, zu dem ossa Subjekt
ist (dem Sinne nach etwa marcent tal)ent languent et).
' Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 541
auf „Ewigkeiten" gereimt; das dürfte der Eindruck gewesen sein,
den diese Neubildung gemacht hat.
Bei den übrigen augusteischen Dichtem breitet sich indessen
der Gebrauch des poetischen Plurals bei Körperteilen aufserordent-
lich schnell aus. Im dritten Buch von Vergils Georgica finden
wir zuerst im poetischen Plural ora (188) und colla (421); im
ersten Buch des TibuU wird voltüs und sinüs zugefügt (6, 1.
8, 36); das erste der Aeneis bringt cor da auf (722), das sechste
menta (809 crinis incanaque menta | regis Romani in Erinnerung
an Georg. 3, 311 barbas incanaque menta | Cinyphii . . hirci, wo
der Plural durch den kollektiven Gebrauch von hirci gerecht-
fertigt war); bei Properz 4, 5, 64 steht zuerst guttura pps, wäh-
rend um den frühesten Beleg für rostra Properz (4, 1, 96) mit
Ovid (Am. 2, 6, 22) streiten kann. Wir wollen darauf verzichten,
im einzelnen zu zeigen, wie auch hier die Rücksicht auf den Vers
das Verhältnis der Singular- und Pluralformen bestimmt; es ge-
nüge zu sagen, dafs von dem häufigsten dieser Worte, von tergum,
sich der poetische Plural bei Vergil Tibull (Lygd. etc.) Properz Ovid
60mal, der Singular lOmal findet und dafs für Collum und os
dasselbe Verhältnis gilt, während pectora vnltus (acc.) sinus
(acc.) (bei den letzteren sind die Fälle nicht berücksichtigt, wo
vultus „Blicke^^ und wo sinus den Bausch des Gewandes l)edeutet)
pps erst bei Ovid den Singular an Zahl überwiegen.*)
Nur auf die übrigen Kasus des poetischen Plurals möge noch
ein Blick gestattet sein; diese sind ganz vereinzelt; sie sind es
aber auch aufserhalb des poetischen Plurals; auch dort fehlt der
•) Sinus vielleicht schon bei Properz, der sinum nicht hat; sinus pps
1, 8, 38 meos fugit avara sinus und wahrscheinlich auch 3, 20, 10
fidus ero: in nostros, curre, puella sinus.
Hier hat freilich die „gute" L berlieferung und ebenso die Herausgeber toros.
Aber das geht doch als erste Aufforderung an eine Dame, von der ein
Distichon vorher gesagt war
sunt castae Palladis artes,
splendidaque a docto fama refulget avo,
entschieden zu weit. Rothstein selbst erklärt, schwerlich nur aus Rück-
sicht auf den Leser, „die Geliebte soll in seine Arme eilen". So Tibull 3, 9,
24 in nostros ipse recurre sinus; vgl. [Ovid] epist. Sapph. 9ö. Aufserdem
kommt torus in der Bedeutung Bett erst bei nachaugustei sehen Dichtern
im poetischen Plural vor (über Ov. Trist. 2, 534 vgl. S. 499) : Ovid hätte torum
nicht über 20mal angewendet, wenn Properz mit toros pps vorangegangen
wäre. — Die Korrupte! mag dem toro am Schlufs des zweitfolgenden (nach Sca-
ligers und Vahlens Umstellung des nächstfolgenden) Distichons zu danken sein.
Archiv für lat. Lexikogr. XII. lieft 4. *^^
542 Paul Maas:
Genetiv bei allen; der Dativ ist Verszwang bei pectoribus Vei^.
Aen. 4, 64. Ovid Art. 1, 759; aufserdem nur noch oribus Vei^.
Aen. 8, 486 (componens oribus ora); der Ablativ nur bei cor-
dibus Ennius Ann. 398 pectoribus Lucrez 4, 1267 Verg. Aen.
7, 278. 10, 567. 11, 38. 615 oribus 10, 566 (quinquaginta oribus)
vultibus Ovid Met. 9, 410 Pont. 3, 1, 166 rostris Verg. Georg. 4, 74
Ovid Met. :), 249. 13, 613 Fast. 6, 137. Und im poetischen Plural
kommt nur pectoribus und vultibus vor. Das erstere hatte schon
Cicero gebraucht (Aratea v. 267); doch blieb diese Stelle ohne
Einflufs, da pectore bei Vergil Tibull Properz etwa achtzigmal vor-
kommt, pectoribus pps jedoch erst bei Ovid; im Ablativ: Am. 3,
9, 42 Her. 11, 98 Met. 2, 656. 15, 512. 673 (an den letzten beiden
Stellen statt des unmöglichen pectore tenus) Trist. 3, 4, 63. 5, 20; im
Dativ natürUch nur der Plural (vgl. S.497): Trist. 1, 6, 3. 3, 6, 10.
Interessant ist die Entwickelung bei vultibus; diese Form war,
auch im legitimen Plural (vgl. S. 531), vor Ovid in Poesie nicht
bekannt. Der Vers verlangte sie im Dativ Art. 2, 202; erst später
tritt sie auch für vultu ein: Metam. 4, 141.*) 6, 35. 10, 359 Her.
16, 148 (also entsprechend der Entwickelung von vestibuB vgl.
S. 528), bleibt aber viel seltener.
Andere Körperteile (frons lingua cauda uterus facies etc.)
kommen im poetischen Plural nicht vor, und die Häufigkeit des
Akkusativ Singular läfst mit Sicherheit schliefsen, dals dies kein
Zufall ist. Man könnte nennen Verg. Georg. 3, 439 = Aen. 2, 475
Unguis mirat ore trisulcis,
doch ist hier trisulcus = tres zu fassen (vgl. Ovid Met. 3, 34.
*) Die Hypothese W. Banniers (Archiv XI 258 ff.), die ersten neun
Bücher der Metam. seien vor dem Erscheinen der Aeneis, die Ars erst später
geschrieben, ist vollständig verfehlt; es genüge die Thatsache, dafs Met. 4,
432 ff. mit wörtlichen Anklängen der Aeneis 7, 823 ff. nachgebildet ist; vgl.
A. Zingerle, „Ovid und sein Verhältnis zu den Vorgängern" 11 S. 66 ff., wo noch
andere schlagende Parallelen aus den ersten Büchern der Metam. genannt
werden. — Ebenso wie vultibus hat sich curribus entwickelt; Vergil meidet
die Form und zieht den kontrahierten Dativ Singular vor (Ecl. 5, 29 Aen.
3, 541; vgl. G. 3, 113 currus et equos lungere j; curribus erst Ovid Art. 1, 6
curribus aptos, also Verszwang; dann auch im Ablativ Met. 5, 511; sonst
aber im Ablativ nur Singular; denn Fast. 2, 858
Marsque citos iunctis curribus urget equos
dürfte wohl die Lesart citis iunctos vorzuziehen sein, weil diese Wortstellung
besser pafst: iunctos . . equos am Schlufs der beiden Hälften verdient den
Vorzug vor iunctis curribus, das durch die Cäsur unschön zerschnitten w^ird.
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 543
7, 150); ebenso wie duplices bei Dichtem oft fiir ambo eintritt,
eilie dem poetischen Plural verwandte Erscheinung. — Femer
wird bei Verg. Aen. 3, 428
delphinum caudas utero commissa luporum
Ton Ladewig und Sabbadini caudas als ^,der Schwanz eines Del-
phins" erklärte; doch die Scylla hat ihrer mehrere, worauf auch
der Plural delphinum weist (andererseits utero von mehreren
Leibern, offenbar weil uteris nicht gebrauchlich war).
Bei Properz 2, 22, 9
sive Vagi crines puris in frontibus errant
nimmt A. Wagner Syntax. Propert. p. 6 poetischen Plural an; in
Wirklichkeit ist es ein genereller. „Und wo die Haare lieblich
flattern, um Menschenstirnen freundlich wehn . . ."
Bei dem Gebrauch von membra statt mentula (Ovid Amor.
2, 15, 25. 3, 7, 13. 65) kann man schwanken, ob „poetischer'' oder
genereller Plural anzunehmen sei; ich ziehe das letztere vor. Ein
seltsames Schicksal traf dieses Wort, als es von dem poetisieren-
den Apuleius mit anderen sicher poetischen Pluralen auch in Prosa
angewendet wurde: H. Koziol (Stil des Apuleius 252) bemerkt zu
Metam. 2, 7 steterunt et membra, quae iacebant ante: „membra,
zur Bezeichnung der Gröfse, eine eigentümliche Prolepsis'*. —
Pluralis maiestaticus!
Das wäre nun kein schöner Abschlufs; und da wir docli ein-
mal die Prosa berührt haben, so will ich hier noch kurz ein
klassisches Zeugnis behandeln, das uns über die Wirkung eines
poetischen Plurals aufserhalb des Verses Aufschlufs giebt; ich
habe es mir zurückgelegt, einmal weil es die historische Behand-
lung der Körperteile voraussetzt, dann weil es bisher noch nir-
gends verwertet ist und also auch nicht in den bisherigen Dar-
legungen vermifst werden konnte, endlich weil es bedeutende
Schwierigkeiten macht, deren ich noch immer nicht ganz Herr
bin, wenn auch etwas mehr als anfangs.
Auetor ad Herennium 4, 45 (unter intellectio).
Ab uno plura hoc modo intellegentur:
Toeno fuit Hispanus auxilio, fuit immanis ille Transalpinus,
in Italia quoque nonnemo sensit idem togatus'.
A pluribus unum sie intellegetur :
'Atrox calamitas pectora maerore pulsabat; itaque anhelans
ex imis pulmonibus prae cura spiritus ducebat (ducebatur P^
n CE)'.
544 Paul Maas:
Nam in superioribus plures Hispani et Galli [et togati] et
hie uniim pectus [et nniis pulmo] intellegitur, et erit illic demi-
uutus numerus festivitatis, hie adauctus gravitatis causa.*) —
Das erste Beispiel ist trotz der seltsamen Latinitat des
Schlusses verständlieh. Es führt den kollektiven (resp. gene-
rellen) Singular vor, den die rhetorische Theorie häufig verwertet
(vgl. S. 500). Die Ausbreitung dieses Kunstmittels datiert man
gewöhnlieh von Livius (0. Riemann, Etudes sur la langue et la gram-
maire de Tite-Live 1885 p. 42 sqq. J. Lebreton, Etudes sur la langue
et la gramm. de Ciceron 1901 p. 78 sqq.); doch hat der Autor ad
Herenn. selbst 3, 8 eorum qui a Poeno circumsessi deliberant,
und in den Resten des Historikers Claudius Quadrigarius steht
schon miles hostis Poenus sagittarius und funditor (fr. 11. 58.
60. 85) kollektiv. Hier läfst sieh also Theorie und Praxis aus
zeitgenössischen Quellen belegen.
Aber pectora statt pectus! Ein zweifellos poetischer Plural
in der rhetorischen Theorie! Aristoteles Dionysius Caecilius (resp.
Auetor tcsqI vtlfoiyg und Tiberius jcsqI öxrnidrGiv) Cicero Quintilian
etc. wissen nichts davon; sie kennen nur den generellen Plural
und den pluralis modestiae (vgl. S. 499), den metonynischen (vgl.
S. 492)**) und die eonstruetio xar« evvoiav^ wie &q (ptc6av i]
nXrj^vg (bei Lesbonax ed. R. Müller 1890 cap. 15 als Kv^uiov
*) Zur Textkritik: pulmones ist in der Bedeutung Lunge (ebenso wie
nares in der Bedeutung Nase) plurale tantum; vgl. Cato Agr. 157, 7 Plautus
Cure. 237 Lucilius 3, 66. 4, 21. 35 Cicero Vatin. 18 Tuse. 1, 37. 2, 20 (in einem
Vers: urguensque graviter pulmonum liaurit spiritüs). 44 de deor. nat.
1, 92. 99. 2, 136. 138. 149. Der Singular findet sich erst in einer späteren
Schrift Ciceros: de divin. 1, 85. 2, 29 und von da ab häufig, bei den Dichtem
regelmälsig (Verg.Aen. 9, 701. 10, 387 Ovid Met. 2, 801. 6, 252. 12, 372 Pont.
1, 3, 19; pulmonibus nur Ovid Met. 9, 201), wodurch wahrscheinlich wird,
dafs diese Entwicklung genau der von cervices (vgl. S. 501 f.) entspricht.
Also giebt jenes et unus pulmo (= ein Lungenflügel) in einer Schrift aus
der sullanischeu Epoche keinen Sinn, und man mufa entweder die Datierung
oder die Überlieferung aufgeben; mir schien das letztere leichter, da dann
auqh das sinnlose ot togati als (llossem derselben Hand gestrichen werden
mufs : nonnemo togatus kann doch nicht als ab uno plura aufgefafst wenlen.
**) Hierher gehört auch Quintilian 8, 6, 28 est etiam huic tropo (der
^tTa}vvy.icc) quaedam cum synecdoche vicinia; nam cum dico vultüs hominis
pro vultu, dico pluraliter quod singulare est (darin liegt die vicinia mit
der Synecdoche), sed non id ago, ut unum ex pluribus intellegatur (was
das Wesen der Synecdoche ist) — nam id est manifestum — sed nomen
iwiuuto (/iftoovvnia; also vultüs „Blicke'*, „Züge" pro vultu „Gesicht").
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 545
6xfiiia bezeichnet; vgl. Dionys. n^ql Sovxvd. Idian. p. 798, Auctor
jtSQi vi^ovg cap. 23, TiberiuB [nach Caecilius] und Alexander 7C6qI
öxriiicixcDv Rhet. Gr. III 34, 9. 80, 29 Sp., [Julins RufinianusJ de
schemat. lex. p. 58, 21 Halm). Aber eine Spur des poetischen Plurals
hat sich dennoch erhalten: Pseudoplutarch de vita et poesi Homeri
2, 22 und ein Anonymus xsqI yeoLr^XLX&v xQdnov Rhet. Gr. III
210, 20 Sp. bringen fast gleichlautend unter der Rubrik övvbX'
dox'q .... &JCO icoXX&v rb bv als Beispiel J396
Das stimmt nun mit dem Auctor ad Herennium 4, 45 intel-
lectio . . . a pluribus unum . . . pectora genau überein. Freilich
kompliziert sich die Frage dadurch, dafs öxri^ri auch in Prosa
(z. B. bei Plato) ganz gewöhnlich ist. Dennoch ist möglich, dafs
die Quelle jener beiden Griechen (die ihrerseits vielleicht auf eine
grammatische Bemerkung zurückgeht, vgl. Aristarch. zu ^ 14
öxiiiiio) auch dem Auctor ad Herenn. vorlag.
Wir wollen nicht weiter fragen, ob nicht vielleicht auch das
Beispiel, das der Auctor vorbringt, und seine seltsame Kritik (ad-
auctus numerus gravitatis causa = dg oyxov xflg kB%€(og Aristot.
Rhet. 3, 6) von einer griechischen Vorlage mehr oder minder ge-
nau herübergenommen ist — das liefse sich auf Grund dieses
einen Falles nicht entscheiden; für uns ist die Hauptsache,
dafs wir hier in der Kunstprosa der sullanischen Epoche einen
poetischen Plural finden, den wir, wäre uns der betreffende Satz
ohne andern chronologischen Anhaltspunkt überliefert, nicht
zögern würden der spätesten silbernen Zeit zuzuweisen. Also
wäre jenes pectora pps bei Dichtem vielleicht gar kein nach
unserer Definition „poetischer" Plural? Dann würden wir daran
zweifeln müssen, mit jener Definition das Wesen der Sache ge-
troffen zu haben. Oder wäre vielleicht jene Prosa nicht prosaisch
genug, um in diesen Dingen als normal zu gelten?
Bei der Behandlung stilistischer Eigentümlichkeiten des An-
nalisten sullanischer Zeit Claudius Quadrigarius bemerkt Gell ius
17,2, 22 H.* „Miserrimas" inquit „vitas (andere Hss. vias) exe-
gerunt" et „Hie nimiis in otiis consumptus est" (fr. 21 und 28
Peter). Elegantia utrobique ex multitudine numeri quaesita est. —
Sehen wir von dem unsicheren ersten Beispiel ab, so bleibt jeden-
falls bestehen, dafs dieser Claudius den Plural von otium ge-
braucht hat, den die klassische Prosa nicht kennt, wohl aber die
Dichtersprache seit Lucrez und CatuU (die Stellen bei Neue P
546 Taul Maas:
632); das allein würde jenes pectora pps schon decken; aber wir
können gerade in den Rekten des Claudius Quadrigarins noch
mancherlei anderes finden, was uns sonst nur aus der Poesie be-
kannt ist. Die Häufigkeit der kollektiven Singulare (vgl. S. 543)
ist den Dichtem eigen, wenn auch die Erscheinung selbst nicht
rein poetisch ist (Cicero hat sie selten und bringt de orat. 3, 168
ein Beispiel aus Ennius Annal.); fr. 76 venit cum mortalibus
multis mufs Gellius selbst (13, 29, 2) gegen den Vorwurf des nimis
poetice schützen; zu fr. 22 illatebrant sese giebt er sogar zu (17,
2, 3): „verbum poeticum visum est"; fr. 10 gegen Ende (Gellius 9,
13, 17) zeigt die vor Livius nur aus Dichtem bekannte Redensart
pectus hausit = perfodit; auch die Häufigkeit unregelmäfsiger
Adverbia auf iter (inimiciter praeclariter avariter fr. 41. 88) er-
innert an dichterischen Stil; fr. 12 (gehört zwar nicht sicher dem
Claudius, entspricht aber sonst genau seinem Stil) hat grandia
Ingrediens (Gellius 9, 11, 5), was man sich durch que verbunden
ausgezeichnet am Beginn eines Hexameters denken kann.*) (Ahn-
liches aus Com. Sisenna bei Norden, Antike Kunstprosa 177.)
Aber nicht nur im Stil, sondem sogar im Rhythmus sucht
Claudius Quadrigarins zu poetisieren. Der rein trochäische Schlufs
von fr. 78 ist schon Peter und Norden (Antike Kunstprosa 179)
aufgefallen; es liefse sich mancherlei Ahnliches beibringen, doch
genüge auf fr. 2 zu verweisen, das mit einem regelrechten Hexa-
meter schliefst: tanta sanctitudo fanist, utnumquamquisquam
violare sit ausus, und auf den Hendecasyllabus fr. 77 grundi-
bat graviter pecus suillum. (Ahnliches aus Coelius Antipater
bei F. Marx in der Ausgabe des Auetor ad Herenn. proll. 137.)
Es dürfte eine dankbare Aufgabe sein, die Einwirkung der
Dichter auf die Kunstprosa der sullanischen Zeit im einzelnen zu
*) Ich weifs wohl, dafs man vieles davon auch als Vulgariameu, Ar-
chaismen luid Gräcismen erklären wird; multi mortales hat auch Cato ge-
sagt fr. 9 Jord., aber Ennius und Lucrez eben viel häufiger (wohl nach
ßpoToi) ; haurire = a latere occidere soll eine elocutio Italica sein (Servius zu
Aeu. 10, 314, vgl. Heraeus Archiv XII 269): aber Lucrez 5, 1322 und Vergil
1. c. dürften wohl eher an das homerische (JV507) ^lä S* ivtsQcc x^^^og ijtpvcf
gedacht haben, ebenso wie grandia Ingrediens = nncxgä ßißdg^ aber darum
nicht minder poetisch ist. Die Dichtersprache hat alle diese Freiheiten
nicht geschaffen; aber wenn wir dieselben in Kunstprosa wiederfinden, so
liegt doch nichts näher, als die Vermittler in denjenigen zu erkennen,
welchen „quidlibet audendi semper fuit aequa potestas" (Horaz AP 10):
die Annalisten waren das nicht.
Studien zum poetischen Plural bei den Kömern. 547
verfolgen: eine Ergänzung zn der schönen Darstellung Nordens,
der über die Poesie hinaus nach hellenischen Einflüssen sucht
und den Claudius wohl zu sehr durch die Augen des Gellius an-
geschaut hat. Es wird sich vielleicht herausstellen, dafs wir es
mit einer Vorblüte jenes halbdichterischen Stiles zu thun haben,
die unter dem Purismus des ciceronianischen Zeitalters erstarren
muTste, um dann unter dem Individualismus der silbernen Zeit
zur vollen Entfaltung zu kommen. Für einstweilen genüge es,
das Milieu gefunden zu haben, in dem wir das für den Singular
eintretende pectora des Auetor ad Herennium unterbringen können,
ohne dafs wir in diesem Plural etwas anderes als die dichterische
Licenz zu erkennen brauchten, die gerade jene Zeit als etwas Neues
und „Hochpoetisches^^ empfinden muTste.
'Der poetische Plural bei den römischen Elegikem' — so
lautete die Preisaufgabe, die im Sommer 1900 von der philoso-
phischen Fakultät der Münchener Universität gestellt wurde.
Schon aus der Veränderung des Titels geht hervor, dafs vor-
liegende 'Studien zum poetischen Plural bei den Römern' einer-
seits viel weniger, andererseits aber auch ein wenig mehr bieten
wollen, als jene Aufgabe, der sie entsprungen sind, gefordert hatte.
Das 'Mehr* besteht in der Heranziehung der übrigen den Ele-
gikem gleichzeitigen oder vorangegangenen Dichter, ohne die sich
die historische Entwicklung des poetischen Plurals nicht hätte
darlegen lassen, und bedarf wohl keiner weiteren Rechtfertigimg.
Das 'Weniger' hingegen möge noch mit einigen Worten erklärt
werden. Die Behandlung einer Eigentümlichkeit der Dichter-
sprache raufs nach zwei Richtungen hin Anschlufs finden können:
damit die Möglichkeit und die Entstehung des poetischen
Gebrauches klar werde, mufs die normale sprachliche Erscheinui]^,
die ihm zu Grunde liegt und gegen die er sich abhebt, in ihrem
ganzen Wesen genau bekannt sein; und zur Darlegung der Mo-
mente, die die Anwendung jener Licenz beherrschen, müfste
man auf die entsprechenden Ursachen bei dem Gebrauch anderer
dichterischen Freiheiten verweisen können; mit anderen Worten:
es hätte für unsere Aufgabe, wenn wir sie vollständig hätten um-
fassen wollen, einer Voruntersuchung erstens über die Numeri in
der lateinischen Prosa, und zweitens über die lateinische Dichter-
^sprache in ihrer Gesamtheit bedurft.
548 Vau! Maas:
Was nun unsere Kenntnis über den Gebrauch des Plurals
und Singulars in Prosa betriflEt, so dürften wenige Teile unserer
Sprachkunde so stiefmütterlich behandelt worden sein, wie dieser.
Einmal wohl, weil hier mit Schulregeln absolut nicht auszu-
kommen ist (wie man denn auch auf der Schulbank fast nichts
über die in diesen Studien berührten Dinge zu hören bekommt);
und zweitens, weil wir ims mit solchen Fragen in das Grenzland
zwischen Formenlehre und Syntax (oder besser: zwischen Neue und
Dräger) begeben, das, wie es so geht, von keiner Seite rationell
bebaut wurde. Aber diese strenge Scheidung ist bei Fragen über
^ünregelmäfsigkeiten' im Gebrauch der Numeri nicht am Platz;
denn dafs der Defekt von Pluralformen nicht unabhängig von der
Frage nach deren syntaktischen Ersatzmitteln behandelt werden
kann, sollte keines weiteren Hinweises bedürfen; und es ist auch
kaum Folge eines Zufalls, wenn wir die poetischen Freiheiten im
Gebrauch des Plurals hauptsächlich bei eben jenen Defektiven
fanden. Am notwendigsten ist auf diesem Gebiet eine eingehende
Behandlung der Abstrakt a. Ich habe das Kapitel über den po-
etischen Plural bei dieser Wortklasse ungeschrieben lassen müssen;
denn das Vollständigste, was bisher über die prosaischen Grund-
lagen dieser Erscheinung hätte herangezogen werden können, war
eine Aufzählung sämtlicher von Cicero im Plural gebrauchter Ab-
strakta, geordnet nach dem Alphabet und geschmückt mit je einer
Belegstelle für jedes Wort (J. Lebreton p. 421—428; vgl. S. 544).
Aufserdem haben wir noch einige 'Regeln', von denen leider keine
einzige Auskunft darüber giebt, ob Wörter wie gaudia gemitus
genera gentilitates gestus gloriae wirklich so gleichartig sind,
dafs man sie nicht anders als alphabetisch gruppieren kann, femer
ob der Gebrauch des Plurals bei Komikern, Philosophen, Rhetoren,
Historikern und im Briefstil derselbe ist, ob das ganze Moment
der Entwicklung nur in numerischer Zunahme der im Plural
gebrauchten Abstrakta beruht, ob die verschiedenen Kasus (oder
besser Formen) des Plurals nicht ganz verschieden behandelt
werden, ob die gefundenen Regeln auch regelmäfsig befolgt wer-
den, oder ob nicht vielleicht eine Vergleichung der entsprechen-
den Singulare eine bedeutende Freiheit in der Anwendung beider
Numeri erkennen liefse, und was dergleichen indiskrete Fragen
mehr sind.*) Solange hierüber nicht Klarheit herrscht, ist es
*) Wenigstens auf einiges zu antworten, schickt sich erfreulicherweise
der Thesaurus linguac hitinae an. So bemerkt Volbner zu accessus (1287,
Studien zum poetischen Plural bei den Römern. 549
nicht nur unmöglich, 'poetische' Anomalieen auf diesem Gebiet
umfassend zu behandeki, sondern schon sie überhaupt nur zu kon-
statieren; und mit kurzen Exkursen und Anmerkungen, womit
wir bei denBegriflFen der Masse und den Körperteilen wenigstens das
Wichtigste aus der Prosa nachzutragen versuchten, wäre bei diesem
umfassenden und kompUzierten Thema nicht gedient gewesen.
Übrigens mufste ein ähnlicher Mangel bei den behandelten Wort-
klassen, wo er sich nicht ebenso stark, aber sich dennoch immer
fühlbar machte, die erstrebte Vollständigkeit sowohl in der Samm-
lung des Materials als in der Argumentation schwer schädigen.
Noch schlimmer steht es um unsere Kenntnis der lateinischen
Dichtersprache; ja es scheint noch nicht einmal deutlich ausge-
sprochen zu sein, dafs eine solche überhaupt als ein Ganzes exi-
stiert, streng geschieden gegen die Umgangssprache durch for-
melle, syntaktische und lexikalische Eigentümlichkeiten, die in
ihrer Gesamtheit behandelt sein wollen. Hier steht der histori-
schen Grammatik noch das weiteste Gebiet zur Erforschung oflfen:
sie wird zweifellos auch auf den poetischen Plural viel neues
Licht werfen, das unsem Weg noch nicht erhellen konnte.
43): „plur. primum apud Ov. (versehen statt Cic; vgl. epist. 9, 14, 7 de dcor.
nat. 3, 24) legitur gen. plur. deest." Schade, dafs solche Notizen
ganz vereinzelt bleiben; ein Synonymon von accessus, aditus, entbehrt ihrer,
obwohl wir sowohl über das erste Vorkommen des Plurals überhaupt als
auch im besondem der Formen adituum und aditibus (vgl. Neue P 558)
gern Auskunft hätten.
Register.
Seite. Softe.
Accius fr. 29 B 531 Horatius Epod. 17, 22 540
Ammian. Marc. 14, 6, 9 532 A. Inscriptio C. T. L. I 34, v. 6 5;i5
Aristoteles Rhetor. 3, 6 492 f. Laevius fr. IIa Baehr 536
Auetor ad Herenn. 4, 45 543 ff. Livius Andr. tr. 26 B 535
Caecilius Statins 217 535 „ „ fr. 88 B 534
Cicero Arat. Überlieferung 637 Lucilius 11, 4 M. (305 B.) 506 A.
„ „ 205 501 „ 14, 15 M. (351 B.) . . . 506 A.
„ 461 537 „ 26, 15 M. (503 B.) 536
„ de deor. nat. 2, 109 536 „ 30, 98 M. (710 B.) . . . 506 A.
Claudius Quadrigarius 645 f. Lucretius 6, 14 538 f.
Culex 537 A.' Ovidius Heroid. 1, 24 518
Curtius 7, 5, 7 531 „ „ 12 512 A.»
Horatius Carm. 4, 7, 21 523 A.» „ Amores 3, 7, 79 528
„ „ 4,15,15 487 „ „ 3, 12, 40... 520 A.«
5Ö0 Paul Maas: Studien zum poet. Plural bei den Römern.
11
11
Seite.
Ovidius Ars amat. 2, 622 . . . 620 A.*
Fast. 2, 858 642 A.
ex Pont. 2, 1, 43 532
[Ovidius] epist. Sapph. 23 620 A.
Pacuvius 334 586
Poetae fragmentum 616 A.
Propertius 3, 20, 10 641 A.
Quintilianus 8, 6, 28 644 A.
Saite.
Tragic. fragm. ine. ine. 96 535
Varro L. lat. 5, 63 616 A.
M 7,64 681
Vergilius Aen. 1, 734 615 A.
3,428 642
4,427 516
4, 534 513 A.
11, 844 620 A.
»1
n
n
1»
»1
1»
Seite.
accessus . . . 495. 648 A.
adeps 495. 604
aditus 496. 548 A.
aes 503. 22. 29
alium 606 A. 8
anima 490. 95
anxia 539 A.
apsinthium . . . 496. 608
aqua 495. 625 A.
arbitrium 523 A.'
avena 503 A. 506
barba 533 A.
brassica 604
bustum 618 A.
capillus 633 A.
caro 528
casia 526
castanea 626
cauda 543
cera . 484. 504. 17.26.28
cervices 501 f.
cinis 516. 18 f.
cinnanum 608 f.
Collum 632.41
cor 538. 41 f.
corpus 537 A.
crocus 518
cruor 494. 520
currus 490. 542 A.
defrutum 506. 8
electrum 494. 521
faba 604.6.18.29
faex 528
far 495. 506 f. 22
favilla 519
fimum 506 A.
MüQQhen.
Seite.
fireta 626 A.
frons, -dis . 617 A. 26 A.*
frons, -tis 543
frumentum . 503 A. 22 A.
funus 636
glans 504. 17.28
gramen 497. 528 A.
gremium 686
guttur 641
harena.504. 6. 19.26.29
hedera 617. 26f. 28
hordeum . 496. 604. 8 f.
Ilium 509
inula 626
ianua 490
ieiunia 480
iuba 633 A.
lana.494. 504. 17.26.28
latex 480. 526 A.
lilium 506.8
lingua 542
litus 497 A.
locus 585
Ijmpha 480. 526 A.
mare 523 A.' 26 A.
marmor 480. 522.29
mel 503A. 4. 22
membrum 548
mustum 521. 29
nebula 519 A. 26 A.
nix 490. 617 A.
oblivia 480.640
oblivio 540
ortus 487. 94
08 531.40
otium 546
Seite.
pabulum 605. 8
paieae 503 A. 6
papayer 606. 23
pectus 634 ff. 41 ff.
pharetra 620 A.
pix 604.6
podex 536
porta 498
pulmones 544 A.
pulvis 640
robur 497. 623 A.
rogus 526 A.*
ros 628
rosa 525
rostrum 541 f.
rumex 504
rus 522 A.«
sabulum 506 A.
sal 484.503.6
sinus 541
spuma 516A. 26. 28
stipula 606. 18.29
sulpur 528
tergum 538. 37 ff.
torus 494. 541 A.
trisulcus 542 f.
tus 495.606.22
unguentum . 503 A. 4. 22
Uterus 642 f.
vada 626 A.
venenum 522 A.
vestis 619. 27 f.
vicia 626
vinum 504 f. 21. 29
viola 506. 16.26.28
vultus ... 497. 631. 41 f.
Paul Maas.
Zur Mulomediciiia Ohironis.
U.
Auch wenn Vegetius nicht ausdrücklich sagte^ dafs er seiner
Mulomedicin lateinische Schriftsteller zu Grunde gelegt hat
(praef. § 6), so würde der Vergleich seiner Darstellung mit der-
jenigen Chirons doch ohne weiteres deutlich machen, dafs er sich
auch lediglich auf die lateinische Bearbeitung beschränkt hat,
ohne jemals das griechische Original zu Rate zu ziehen. So
ist es ihm begegnet, dafs er Übersetzungsfehler seiner Quelle
mit übernommen hat. Zwar das Ubersetzungskunststück c. 455*)
war ihm doch zu bedenklich; aber die Art und Weise, wie er
sich ausdrückt (5, 14, 19: ad urinas invmtus est, qui affirmaret),
zeigt ebensowohl, dafs er die Stelle nicht verstand, wie dafs es
ihm femgelegen hat, seinem Verständnis durch Zurückgehen auf
das Original oder wenigstens auf die genauere Wiedergabe des
Pelagonius**) zu Hilfe zu kommen. Aber an Stellen, welche die
falsche Übersetzung nicht in solcher Deutlichkeit zeigen, ist er
seiner Quelle arglos gefolgt: ein Umstand, der auf seine medizi-
nischen Kenntnisse kein allzu glänzendes Licht fallen läfst. So
heifst es bei Chiron c. 385 : et horridum et fervens hnhefis totum
corpuSy bei Vegetius 3, 53, 2: et ideo fit horridum et corpus eius
calebit, während Apsyrtos das sachlich allein richtige öröfia***)
hat an Stelle des von Chiron verstandenen öa^a. Ein ähn-
licher Fall ist Chiron c. 420 sugglutit doloribus] Vegetius 5, 59
hat dolore siibglutit In den Hipp. 132 steht: övyxaybnxei iaxnov
ddvv(b[i£vog. Chiron verwechselte also an dieser Stelle, wie Oder
richtig bemerkt, X(ifi:tr(o und xcbtro,
*) Oben p. 404. Auch die rätselhaften Worte Chirons c. 392 : ilia tibi
cinguniur intestina^ quod qui dam sapientiam (an (pgh'ccg denkt Oder)
vocant^ hat er 5, 64, 2 weislieh fortgelassen.
**) Pelag. 150: alind ad eos qui non meiant Magonis Carchedonii quod
8olu8 adseverarit. Vegetius hat überhaupt nie seine beiden Vorlagen zu
derselben Stelle eingesehen und etwa die eine aus der anderen korrigiert.
***) Hippiatr. 164: xcrl rb aröficc ^^SQ^bv Ijr« xal ncetd^riQOv.
552 E. LommatzBch:
Die Unbeholfenheit des Übersetzers zeigte sich in der Unzahl
griechischer Fremdwörter*), die er — zum Teil wohl ohne sie
selbst zu verstehen — aus dem Original übernommen hat. Vegetius
ist ihm darin nicht gefolgt. Es war natürlich unvermeidlich,
eine grofse Menge griechischer Ausdrücke beizubehalten: Krank-
heiten, Instrumente**), Medikamente, operative Eingrifife***), ana-
tomische Details u. ä/ konnte nicht gut anders als mit dem ur-
sprünglichen griechischen Terminus bezeichnet werden: ja, Vege-
tius geht in dieser Beziehung noch über Chiron hinaus; er giebt
das übliche griechische Wort, wo jener eine lateinische Um-
schreibung giebt: 5, 14, 2 foenum melicratof) adspersum prae-
hebis, Chiron 459: fenum fwvum ex aqua mulsa adsperges —
oder er läfst die von Chiron gegebene lateinische Erläuterung
weg: c. 68 et fit platocoriasis id est dilatatio pupillae cf. Veg.
3, 16. — 370 mices amaras id est amigdalas frictas, während Veg.
5, 44, 6 nur amygdalne frixa^ hat. Bisweilen giebt er die grie-
chische Bezeichnung neben der aus Chiron übernommenen latei-
nischen: Veg. 3, 6, 7 ear radice Dianaria quam Ärtemisiam
dicimus cf. Chir. c. 252 (ex radice lunaria). 5, 49 hüis quae
cholera appellatur viügo cf. Chir. c. 382. Selten hat er von
sich aus eine lateinische Verdeutlichung hinzugefügt: zu longao
2, 14, 1 (cf. Chir. 213). Peritoneum 2, 15, 3 (cf. Chir. 223). syncope
2, 25, 3 (cf. Chir. 240). Zu syrmaticus bemerkt er: a tragoedorum
paUiis 5, 21, 1 cf. Chir. 490. colleticis [Chir. 229] wird 2, 18, 2
richtig erklärt ^moc glutinent'^ während ihn an einer anderen Stelle
die Form coUecticis [relnis coUecticis et stiptici^ Chir. 471] zu der
Erklärung veranlafst: rebus stypticis et his quae coUigefaciunt
(5, 9, 2). Im allgemeinen ist das Bestreben des Vegetius darauf
gerichtet, entbehrliche griechische Worte wegzulassen bezw. durch
lateinische zu ersetzen.ff) So läfst er griechische Bezeichnungen
der Krankheiten weg: 1, 7 cf. Chir. 179 (farcimen quod graece ap-
pellatur ferisoma). 1, 8 cf Chir. 464 (morbus subrenalis quod Vitium
graece ne freien appellatur, latine subrenale). 3, 8, 1 cf. Chir. 266
*) Oben p. 404.
♦♦) Doch läfst er manche weg; cf. 3, 17, 2 mit Chir. 78. 6, 28, 3 mit 317.
***) So namentlich phlehoiomare acontizare etc. stremmare (1, 26, 4 aus
Chiron 662).
t) Dies steht auch bei Pclag. 162.
tt) Ganz singul&r 5, 64, 3 epati [Chiron 408 iocinerijy während gleich
nachher § 4 und sonst regelmäfsig iecur erscheint.
Zur Mulomedicina Chironis. 553
(capitis dolor i. cephaloponia). 3, 8, 2 ib. (corruptio sanguinis i.
diaftora)y 3, 5, 1 cf. Chir. 52 de impetigine i. licenas, Chir. c. 72 giebt
die griechische Bezeichnung für candidus: est Candida (ypochima)
gypsodes quae diciiiir, die Veg. 3, 17, 1 wegläfst. Sehr einfach
reduziert er die Aufi&ählung Chir. 394 lenes et catarroicas et simplices
et coIMicas et refrigerantes potiones durch Auslassung der grie-
chischen Benennungen: 5, 64, 7 lenem et simplicem et rofrUjera-
toriam (potionem), ebenso wie Chir. 85 centro ossi bei Veg. 3,22, 1
vereinfacht wird zu osse.
Ersetzt werden Ausdrücke wie percatapsare (i. pencarail;äv
Chir. 161 = Veg. 2, 10, 12 cmfricare. Chir. 216 u. 341 = Veg.
2, 14, 2 u. 5, 40, 2 perfricare), pa/rastaticare (Chir. 393 qune res
magis leniter parastaticari potest = Veg. 5, 64, 5 quae causac lenis-
simis medicamentis adiuvari et suspendi possunt). Für das
nur einmal Torkommende spincterem (Chir. 230) schreibt Veg. 2,
19, 1 das gewöhnliche anum, Chir. 318 epitogis coperito, Veg.
5, 23, 6 sagis.*^ Chir. 249 valitudines aterapeutae et cronia,
Veg. 3, 6, 1 ofnnes valetudines capitis, pra^ecipue veteres, peri-
culosas, Chir. 491 acinetos facit nervös, Veg. 5, 21, 2 eos reddit
immobiles. So hat Vegetius die entbehrlichen Fremdwörter
durchaus gemieden: ein Verfahren, welches für ein Werk an-
gemessen war, dessen Zweck erfüllt war, si eum nee scholasticus
fastidiat, et bubulcus intelligat (IV praef. 2).
Was femer das Latein anbelangt, so ist es selbstverständ-
lich, dafs die vulgären Formen Chirons sich bei Vegetius nicht
finden, weder cludo, coda, clodigo, clodicare, noch caldaj stentina]
weder plurissimus, acrissimus, tenerissimtis {tenuissimus Veg. 3,
33, 1) u. a., noch rarenter (c. 33. raro Veg. 2, 22, 2). Er dekliniert
weder lumbricibtis (453; lumbricis Veg. 5, 14, 11), armoribus (241;
armis Veg. 2, 25, 3), noch konjugiert er offerehis (160; öfteres
Veg. 2, 10, 10). Auch für den Komparativ setzt er an der rich-
tigen Stelle den Positiv, z. B. forpitis Chir. 23; finniter Veg.
1, 26, 3.
Doch im lateinischen Wortschatz hat sich Vegetius
nicht immer von seiner Quelle freigemacht; aus dem Verzeichnis
oben S. 405 — 408 läfst sich leicht ersehen, sowohl dafs er in der
Wortbildung, namentlich bei Substantiven und Adjektiven, hier
•) Ähnlich 5, 46, 11, wo aber Vegetius aas Pelagonius (269 p. 88, 7 Ihm)
schöpft, während Chiron (463) gleichfalls epitogis hat.
554 ^* LommatzBch:
und da Neubildungen Chirons übernommen, als auch andererseits,
daüs er unnötige Formen, Bedeutungen oder neue Worte*) ver-
mieden hat.
Die ausgemerzten Worte sind folgende:
laUere: Chir. 25. caede Veg. 1, 27, 2. — Chir. 418. tundit Veg.
5, 58, 1.
pausare: Chir. 221. requiescere Veg. 2, 15, 2, der im übrigen wört-
lich folgt.
excastrare Chir. 90. eximere Veg. 3, 24, 2.
sanguinare Chir. 5(>3. donec satiffuis emanat Veg. 3, 39, 2.
viridicare: Chir. 380 oculi viridicabmü. Veg. 5, 48, 1 virides sunt.
proximare: Chir. 169. vicinus est morti Veg. 1, 3.
eoncalescere: Chir. 127, dafür Veget. 2, 5 das gewöhnliche fd)rire,
rostrum: Chir. 562. os Veg. 3, 39, 1.
colomelli: Chir. 544. derites columeUures Veg. 3, 33 cf. oben p. 405.
vernnm (= ver): Chir. 497 vemo incipiente. Veg. 5, 74 inci-
piente vere,
furia: Chir. 68 platocwiasis . . . cofiüngit a furia. Veg. 3, 16, 4
evenit equorum furore.
Für pusillus hat Vegetius das von Chiron ganz gemiedene jxirvtis,
cf. Chir. 59; Veg. 3, 13, 4. Chir. 90; Veg. 3, 24, 2, oder um-
schreibt es sonst: teneris aetatibus 2, 18, 1 (Chir. 228). pamm
Uquaminis Veg. 5, 43, 2 (;>m^. /. Chir. 359), während sonst in
der Bedeutung *ein wenig' pus. beibehalten ist: 2,1,5 (117).
2, 15, 2 (221). 5, 45, 4 (373). 5, 76, 4 (518).
hotronatim Chir. 236. collectos Veg. 2, 24.
non absimilis: Chir. 53. habent similitudineni Veg. 3,52,1'^ sogar
male odoratus (Chir. 169) wird durch male olens wiedergegeben
Veg. 1, 3; in novissimo (Chir. 180) durch in fine Veg. 1, 14, 2.
Bei weitem überwiegt die Menge der von Chiron neu gebil-
deten bezw. angewendeten Worte, bei denen Vegetius die gewöhn-
liche Form setzt oder die er sonst irgendwie vermeidet.
a) Substantiva:
gravedo: Chir. 260 intdligas ex yravedine, Veg. 3, 8, 5 quotietis
grave est.
(dhugo: Chir. 77. aJbum Veg. 3, 18.
alhmnnifum : Chir. 83. allmm Veg. 3, 21
*) Ich notiere luccae 1, 27, 4 (Chir. 26); während die Weiterbildung
lactosae (Chir. 4(i) gleichfalls durch hiccae wiedergegeben ist 5, 18.
Zur Mulomedicina Chironis. 555
puUamina: Chir. 195. puüi a matre deptdsi Veg. 1, 9, 3.
articxdamenta: Chir. 329. articuli Veg. 5, 31, 1.
conamentum: Chir. 228. cananien Veg. 2, 18, 2.
suspiramentum: Chir. 115. anhelitus Veg. 2, 13.
muccitudo: Chir. 169. muccus Veg. 1, 3.
r^mto^ium; Chir. 172. coniagio Veg. 1, 5, 2.
puUüia: Chir. 89 glandtdae fiunt in puUitia, Veg. 3, 24, 1 /)rflk?-
cipti« pullis.
fervura: von Chir. 86, 112 u. sonst überwiegend anstatt f er vor ge-
braucht, welches Vegetius regelmäfsig hat cf. 3, 22, 2. 3, 48, 11.
Für die Deminutiva lamda (Chir. 105) und viricuiae (411) hat
Veg. 3, 48, 8 lana^ 5, 54, 8 vires,
b) Adjektiva:
succutamis: Chir. 168 und sonst, cf. 363 suspirium si erit umidum
(aiH vero succtUaneum). Daneben succutis, während Vegetius
stets die Form succutaneiis hat.
interaneus: Chir. 125. internus Veg. 2, 3.
mediamis: Chir. 127 mediana vena, Veg. 2, 5 media. Jenes bei
Chir. stets Adjektiv, medio bedeutet 'm der Mitte*. Veg. nur
einmal 3, 40, 2 inediano digito nach Chir. 565.
turbulentus: Chir. 6 (turbattis Veg. 1, 22, 3). 453 (turbidus Veg.
5, 14, 10).
sanguüentus: Chir. 155. sanguinolentus Veg. 2, 10, 3.
rttfetciis: Chir. 242. vmZsiiä Veg. 2, 25, 4. — Ähnlich Chir. 226 in-
flaticius, Veg. 2, 16, 2 inflatus.
flumatictis: Chir. 264. fluviatilis Veg. 3, 7, 3.
sideratieus: Chir. 336. sideraticitis Veg. 5, 34.
cinericia: Chir. 378. lianvium Veg. 5, 47, 4.
patidus: Chir. 97. i)afe»5 Veg. 3, 27, 4.
flectibüis: Chir. 239 flectibüibtis cruribm incedit, Veg. 2, 25, 1
fiectentes crura incedunt.
veteräis: Chir. 392 sn7/) e5s« veter ihm (tussim) et ex interiorüms,
Veg. 5, 64, 2 67* lentis pulsibus ilia dua:erit, veterem indicat tussim
de interioribus,
metrcUiter: Chir. 223. a^l mensuram Veg. 2, 15, 3.
ccddaris: Chir. 250 miites eum in cellam ealdarem. Veg. 3, 6, 3
in cellam balnei calidam.
articularius: Chir. 173. articidaris Veg. 1, 6.
Hierhin gehört auch der Gebrauch von cerebellum = Kopfbedeckung
bei Veg. 3, 7, 1. 3, 11, 3. 3, 12, 6 für das cereheUare des Chiron
556 ^- Lommatzsch:
263. 281; arietinum (Chir. 125) wird durch arietum (Veg.2,3)
umschrieben, sine iüla, ypocinma ohstanie (Chir. 75) durch
sine ullo obstaciilo ypodiysis Veg. 3, 17, 3.
Für die Komposita hat Yegetius häufig die Simplicia:
persalire: Chir. 258; saJire Veg. 3, 53, 3. affricare Chir. 171;
fricare Veg. 1, 5, 1. auriculis dimiccU Chir. 279; miccU Veg. 3, 10.
excalfactio Chir. 238. 385; calfactio Veg. 2, 24, 3, calor 3, 53, 2.
Auch bei Wörtern, deren Bildung einen vulgären Anstrich
hat, nimmt Vegetius Korrekturen vor, weil sie der Bedeutung
nicht zu entsprechen schienen. So braucht Chir. 225 hianitaSy
wofür Veg. 2, 16, 2 das genauere ieiuna animaiia setzt; für cruditas
(Chir. 452) hat Veg. 5, 14, 9 indigestio] für ptiiorem (Chir. 368)
Veg. 5, 44, 1 foetorem. In den genera verbi, in denen bei Chiron
grofse Verwirrung herrscht (Oder p. 305), hat Vegetius ausnahms-
los das grammatisch richtigere. Ich notiere einige besondere
Fälle: vacillantur Chir. 478; vacillant Veg. 5, 3. nocet i Chir. 563;
ne noceat Veg. 3, 39, 2. loco refrigeranti et ienebricoso Chir. 276;
loco refrigerato et opaco Veg. 3, 9, 4. nunqaam dudit Chir. 58;
nunquam clauditur vtüntis Veg. 3, 13, 3.
Die eloquentiae inopia, die Vegetius an seiner lateinischen
Vorlage tadelt, zeigt sich aber nicht nur in solchen mehr for-
mellen Aufserlichkeiten des Sprachschatzes: die Reinigung,
welche Vegetius mit den sordes der Chironischen Sprache vor-
genommen hat, erstreckt sich in noch viel höherem Malse auf
die gesamte Darstellungsweise. Ich übergehe die vulgären Kon-
struktionen wie: scio quod, quia u. ä.; ne =^ ut non etc. Oben
p. 410 ist gezeigt, wie Vegetius selbst da, wo er den Chiron
wörtlich citiert, sich stilistische Änderungen und Verbessenmgen
erlaubt hat. Jedes Kapitel würde ähnliche Vergleichspunkte
bieten. Ich begnüge mich, einiges herauszuheben. Die signa
marborum, welche Chiron in der überwiegenden Anzahl der Fälle
durch Aneinanderreihen von Ablativen qualitatis ausdrückt, hat
Vegetius in der Regel in direkte Sätze umgewandelt, z. B. Chiron 315
erit autem cofistnctus toto corpore, naribus extevms et auriculis
immobilibu^ et rigidis, cervice recfa, capiie extenso, Veg. 5, 23, 1
totum corpus aihtridum, extensae sunt nareSy et aures rigida^,
immobilis eervix, os constrictum, capat extensum . . . Ähnlich
Chir. 169 stridet peciore, Veg. 1, 3 stridet peHus,
Die sich bei Chiron häufig findenden Umschreibungen ver-
einfacht Vegetius: so ruptionem pati (Chir. 216. 471) zu mmpi
Zar Mulomedicina Cbironis. 557
(2, 14, 2. 5; 9, 2). ut digestionem patiatur (Chir. 410) zu ut digerat
(5, 54, 7). appetere quaerunt (Chir. 331) wird zu appetunt (Veg.
5, 32, 1). Ahnlich facere: feni odium faciet (Chir. 121), fenimi
fastidit Veg. 2, 2. mptionem facere ves^icae Chir. 228, vesica
disrumpitur Veg. 2, 18, 2. aurictdae habetUes rigoreni Chir. 326,
rigidae Veg. 5, 29. Umgekehrt finden wir bei Vegetius Erweite-
rung eines kurzen Ausdrucks bei Chiron: andndaturam simm
perdit Chir. 261, aber ambtdaturae gratiam Veg. 3, 5, 3.
Ein bei Chiron sehr beliebtes Wort ist contingit, entspre-
chend dem griechischen 6v(ißa(v€L] es kommt bei Vegetius fast
gar nicht vor. Wo es bei Chiron mit dem Infinitiv oder mit
ut steht, hat Vegetius die einfache Verbalform: Chir. 3 periculum
mtae fecisse contingit Veg. 1, 21, 3 periculum generahit Chir. 14
contingit eis enervari. Veg. 1, 23 enervantur. Chir. 451 Con-
tingit intumescere. Veg. 5, 14, 6 nascitwr twmor, Chir. 452
contingit pati, Veg. 5, 14, 9 patiuntur. cf. Chir. 453 plerumque
ea res eis contingit, bestiolus . . . Veg. 5, 14, 10 hestiölus etiam . . .
anirnal praefocabit. Chir. 33 est et aliud vitium quod sie con-
tingere seiet, ut , . . faciet, Veg. 3, 18, 1 est et aliud nitium eius-
modi ut , , . inducat. Chir. 260 si contingerit ei post curationem
ut cUiqua pars cerd>ri minuctbitur. Veg. 3, 5, 2 st . . aliqua pars
cerebri fuerit imminuia.
Sehr häufig braucht Chiron contingit mit Nominativ, Ve-
getius hilft sich auf verschiedene Weise. Nur selten behält
er es bei: Chir. 149 qitae passio coactio dicitur quod a labore
et cogendo contingit et ex primitione (i. pressione). Veg. 2, 9, 1
ideo sie appeihta quod ab iniuria vel labore et coactimie con-
tingit Chir. 317 quod contingit ex nimia perfridione , . unde et
tetanici dicti sunt Veg. 5, 23, 2 hat das wörtlich übernommen*);
ebenso Chir. 20 quidquid simile in articidis contigerit = Veg.
1, 25, 6. Chir. 228 vitium in pusillas aetates contingit Veg. 2,
18, 2 teneris aetaiibus contingit An anderen Stellen ersetzt Vege-
tius das Wort durch ein anderes oder modelt die Konstruktion
um: Chir. 83 quodcunque in oculo contingerit vd suffusione vd
albumentis = Veg. 3, 21 si dexter ociüus suffusione^n susceperit vel
album incurrerit Chir. 9 cmitingere periculum solct Veg. 1,
22, 5 inferre periculum solet Chir. 260 haec simüis ratio toracis
*) Zu Veg. 2, 12, 8 quae valetudo ex nimia sanguinis ahumlantia et ar-
dote contingit hat Chiron nichts Entsprechendes.
Archiv für lat. Lexikogr. XIJ. Hoft 4. ^1
558 E. LommatzBch:
si apioso contingerit Veg. 3, 5, 1 quodsi appiosum sifnüis passio
tluyracis invenerit. Chir. 68 contingit a furore. Veg. 3, 16, 4
evenit quoque furare*) Chir. 116 cofUingunt ex mofftio labore
et frigore. Veg. 2, 1, 4 causa huius passionis ex m. l. est.
Chir. 451 contingit dysuria. Veg. 5, 14, 6 ex his causis passio
descendit. Chir. 389 contingit vitium sarcinaris causa magno-
rum pondenim. Veg. 3, 54, 2 vitium nascitur ex enormitate
ponderum, Chir. 219 quüms contingit dolor, Veg. 2, 15, 1 quibus
impendet dolor.
Ähnlich verhält es sich mit henefido c. gen., von Chiron gern
gehraucht, von Vegetius fast ganz''^) gemieden; weggelassen ist
es 5, 44, 1 (cf. Chir. 368). 3, 33, 1 (Chir. 544); durch propter er-
setzt: Chir. 385 nofi patiatur doloris aliquid beneficio huius rationis,
dum . . . nihil concoquet, cf. Veg. 3, 53, 1 propter dolorem non co-
quunt dbum***)] durch «cf): Chir. 223 coadionis longi temporis
beneficio = Veg. 2, 15, 5 ex coactione l. t] durch Ahlatiy: Chir. 181
caloris beneficio = Veg. 1, 14, 6 calorc] durch ein anderes Wort:
Chir. 68 caloris beneficio = Veg. 3, 16, 4 caloris indignatione, Chir.
407 famis beneficio = Veg. 5, 54, 1 fame cogente.
In continenti kommt bei Chiron wiederholt vor; an den ent-
sprechenden Stellen setzt Vegetius continuo (3, 33, 1 cf. Chir. 544)
und statim (5, 77 cf. Chir. 506), letzteres auch für ipsa Äöraff)
(Veg. 5, 27, 3 cf. Chir. 308).
Was die Präpositionen anbetrifft, hält sich Vegetius von
dem vulgären Gebrauch des Chiron fem: dafs er sie stets richtig
konstruiert, braucht nicht besonders betont zu werden.fff) Er
*) Ähnlich Chir. 150 ex aestuatio pnJvianis. . . . dolor contingunt. Veg.
2, 10, 1 ex aestu evenit . . . dolor. Chiron braucht evenii auch sjnonym
mit contingit.
**) Chir. 34 caloris beneficio dissolutum = Veg. 1, 28, 8 beneficio ignis^
wo b. im eigentlichen Sinne gebraucht wird.
***) Chirons Text ist hier verwirrt; wie Vegetius zeigt, gehört doloris
und beneficio zusammen.
t) Ähnlich steht ex fOr causa: Veg. 3, 54, 2 cf. Chir. 889.
tt) Veg. 2, 24, 2 steht ipsa tibi in vianu cohaerent Chir. 286 ^f>sa hora:
dies steht auch in der verkürzten Recension des Vegetius (codd. Sambuci,
cod. Parisinus u. a.), die überhaupt viel vulgäre Elemente enthält.
ttt) z. B. Chir. 319 in ore mittito. Veg. 5, 23, 7 in os. Chir. 419 in ijjso
foramine immittito. Veg. 5, 58, 1 in anum infundes etc. Dasselbe gilt
für die adverbia loci foras, foris, intro, intus etc. cf. oben p. 410. Die
entsprechenden Stellen des Vegetius sind mit Hilfe der Oderschen Fufs-
Zur Mulomedicina Ghironis. 559
vertauscht ad nnd in der Deutlichkeit halber: Chir. 33 in mo
statu revocat Veg. 1, 28, 2 cul statum. Ebenso meidet er den Ge-
brauch von circa = de (Oder index s. v.): er hat alle diese
Stellen anders gewendet: z. B. Chir. 205 minus intelligentes circa
Organum veniris veterinariorum iudico gtii putant . . . Veg. 2, 11, 2
veterinorum imperitia putat . . . Chir. 252 ut intdligas quomodo
scnserit corpus circa eam valitudinem, Veg. 3, 6, 7 ut intdligas,
quantum vires . . . profecerint Dagegen finden wir bei Vegetius
ex bei Rezepten in der Bedeutung von cum oder dem blolsen
Ablativ: coquere ex aqua, clisterimre ex, suffundere ex u. ä.*)
Inter dies (Chir. 402) giebt Veg. 5, 24, 5 durch interdiu wieder.**)
de fQr den ablat. instrumenti hat Vegetius nicht: er setzt sogar
1, 27, 2 caede cum tabdla anstatt des chironischen hattes de tahdla
c. 25. Doch hat er Ausdrücke wie cerd)dlare de peUe lanaia
(Chir. 263) übernommen 3, 7, 1. Unnötige Pleonasmen werden
fortgelassen, z. B. Veg. 2, 16, 4 vermes disdudü a corpore, aber
Chir. 227 vermes dicutit foras a. c.
Die, wie bereits hervorgehoben, musterhaften Indices der
Oderschen Ausgabe ermöglichen es leicht, die Anzahl der Bei-
spiele zu mehren. Die angeführten Proben werden genügen, um
zu zeigen, welchen Wert die Mulomedicin, trotz der miserablen
Überlieferung, auch sprachlich hat: sie zeigt uns die Sprache des
gewöhnlichen Volkes, für das sie ja auch geschrieben ist, in ihrer
Verwilderung und jeder Regel spottenden UngleichmäXsigkeit;
mag man noch so viel als Eorruptelen der Handschrift abziehen,
es bleibt noch genug des Gesicherten übrig. Vegetius hat da-
neben nur sprachlichen Wert, sachlichen nur insofern, als aus
ihm die ursprüngliche Mulomedicina Chironis wenigstens zum
Teil rekonstruiert werden kann (p. 403). Über die Übersetzung
Chirons werden wir erst völlig urteilen können, wenn die Aus-
gabe der griechischen Hippiatrica von der Hand Oders vorli^.
Mögen es seine Kräfke und seine Mufse gestatten, dieselbe der
Mulomedicina Chironis bald folgen zu lassen!
noten (die man gern in einem conspectus locoram vereinigt sähe wie bei
Ihm, Pelagonins p. 241) leicht zn finden. — Ganz singnlär die Umwandlang
von Chir. 492 miites eum in sudibus zn m. ei sudes Veg. 6, 22, 4.
*) Stellen bei Oder index s. v.
•*) Oder interpretiert falsch alia vel tertia die, — Bei Veg. hat die
verkürzte Recension anch hier inter dies,
Freiburg i. B. E. Lommatzsch.
37*
560 Ed. Wölfflin — J. Cornu: MiBcellen.
Über, ubera.
Dem Codex Bambergensis zuliebe haben Jahn und Halm bei
Florus 1, 1, 3 geschrieben: lupa secuta vagitum über (die übrigen
Handschr. ubera) admovit infantibus, unter Annahme eines kollektiv
gebrauchten Singulars. Das ist an sich nicht undenkbar, nur war es
ihre Pflicht, einen solchen nachzuweisen. Nun sagt wohl Ovid fast.
4, 459 ab ubere raptus vitulus, dem Metrum zuliebe. Allein schon
die beiden Zwillinge hätten dem Florus den Singular verbieten müssen.
Hören wir daher, wie die anderen Historiker und Dichter sich aus-
drücken. Verg. Aen. 4, 367 admorunt ubera tigres dürfte das Vor-
bild des Florus für die Wahl des Verbums sein. Für das Subst. vgl.
man Cic. Cat. 3, 19 uberibus lupinis inhiantem. Cic. rep. 2, 4 silvestris
beluae sustentatus uberibus. Livius 1, 4, 7 lupam summissas infan-
tibus praebuisse mammas. Sen. contr. 10, 4, 9 lupa . . ubera praebuisse
fertur. Anon. de vir. ill. 1 (mit Florus eng verwandt) ad vaffUttm
lupa accurrit eosque uberibus suis aluit. lustin. 38, 6, 8 conditores
Romae lupae uberibus altos; 42, 3, 5 distenta ubera exinanire cupiens
nutricem se infantibus praebuit. August, civ. d. 18, 21 nach Florus
ut lupa credatiu: adinovisse ubera parvulis. Origo g. R. 20 levan-
dorum uberum gratia mammas praebuisse. Ovid. fast. 5, 466 ubera
dedit; 2, 419 ubera ducunt. Gegenüber dieser Übereinstimmung der
Zeugnisse sieht sich der Herausgeber des Florus genötigt, an dem
Plural ubera festzuhalten; in der Epitoma Livii mufs er auch schon
gestanden haben.
München. Ed. Wölfflin.
FOEVEA = FOVEA.
Alte Beispiele der Attraktion oder des Vorklanges des Halb-
vokales^ i konnte Schuchardt nur in geringer Anzahl nachweisen.
Vok. n S. 528 — 530 hat er sie zusammengestellt und erläutert. Ich
bin in der Lage, aus dem im Corpus Script, eccl. lat. Bd. XVIII heraus-
gegebenen Priscillian, dessen Handschrift noch dem V. oder VI. Jahr-
hundert angehört, ein Beispiel nachzutragen, und fQhle mich dazu ver-
pflichtet, weil es in dem Aufsatze, welchen der Entdecker und
Herausgeber des Textes, Georg Schepfs, der Sprache Priscillians im
Archiv HI S. 309 — 328 gewidmet hat, keiner Erwähnung gewürdigt
wurde. Zur S. 56 Z. 10 wird als Lesart der Handschrift FOEVEAM
für FOVEAM angegeben. FOEVEAM = FOIVIA, wie man die
Schreibung zu deuten hat, ist meiner Ansicht nach die beachtens-
werteste vulgäre Schreibung des ganzen Textes, die der Herausgeber
im Index zu Priscillian allerdings nicht übersehen hat.
Graz. J. Cornu.
Die Epitome des lulius Exuperantius.
I.
Zu den zur Rekonstruktion der Historien des Sallust die-
nenden QueUen zählt bekanntlich auch die kurze Darstellung des
ersten Bürgerkrieges^ welche ein nicht weiter bekannter Julius
Exuperantius (vgl. über letzteren Namen jetzt J. Schwab, Jahrbb.
f. Phüol. SuppL-Bd. XXIV [1898] S. 692) im 4. oder 5. Jahr-
hundert n« Chr. verfafst hat. Das Werkchen ist im wesentlichen
ein Excerpt aus den Historien des Sallust, plündert aber auch
die beiden vollständig erhaltenen Monographien des Historikers
aus, wie besonders G. Linker in seinen Emendationen zu SaUust,
Wien 1854, S.29f. (Sonderabdruck aus den Sitzungsber. der philos.-
histor. KL der Wiener Akad. XTH) gezeigt hat und unsere An-
merkungen noch des näheren darthun werden. Der Titel des
Schriftchens ist nicht bekannt, möglicherweise war es als Epitome
bezeichnet (Wölfflin, Archiv XH 339). Wenn nun schon der letzte
Herausgeber des Exuperantius (s. u.) die Vorrede mit der Be-
merkung beginnt ^luli Exuperanti opusculum . . . quod denuo
typis describendum curavi enmt qui mirentur, cum hunc libellum
et prioribus saeculis et hoc quo nos agitamus saeculo saepius
quam par est typothetarum operam exercuisse meminerint', so
wird eine abermalige Ausgabe auf den ersten Blick als durchaus
überflüssig erscheinen. Wir glauben aber — ganz abgesehen
davon, dafs die jüngste Ausgabe selten und schwer zugänglich
ist und dafs wir den (vermehrten) Bestand der Historienfragmente
jetzt in Maurenbrechers Bearbeitung bequemer überblicken —
unserem Neudrucke durch Heranziehung zweier erst nach der
letzten Edition bekannt gewordener Textquellen, durch Verwertung
der im Anschlufs an diese Ausgabe veröffentlichten Besserungs-
vorschläge und durch die Beifügung von Anmerkungen die Exi-
stenzberechtigung verliehen zu haben. Zur Konstituierung des
Textes haben wir benützt:
562 Gustav Landgraf — Carl Weyman:
1. Die letzte Ausgabe des ExuperantmS; die unser früh-
vollendeter Conrad Bursian als Züricher XJniversitatsprogramm
im J. 1868 hat erscheinen lassen. Von dieser auf einer von
WölflFlin besorgten Kollation des Cod. Par. 6085 s. XI beruhenden
Ausgabe standen uns zwei Exemplare zur Verfügung: a) das
Handexemplar WölflFlins mit einigen sprachlichen Randbemerkungen
und der Kollation des unter 3. näher bezeichneten Fragmentes,
b) das Handexemplar des verstorbenen gründlichen Sallustkenners
Adam Eufsner mit eigenen und fremden (s. unter 4.) Konjekturen.
2. Die Vergleichung der auf der Bremer Stadtbibliothek be-
findlichen, von Melchior Goldasts (f 1635) Hand herrührenden Ab-
schrift des Exuperantius mit dem Texte Bursians, welche F. Lü-
decke in seiner Anzeige von Bursians Ausgabe in den Grötting. Gel.
Anz. 1869 I S. 76 — 80 mitgeteilt hat. Diese Abschrift ist jeden-
falls nach einer Handschrift, nicht nach einem Drucke gemacht
worden, möglicherweise nach dem (noch vorhandenen?) Baseier
Codex, von dem Johannes Doringus in Herisau in einem Briefe
an Vadianus in St. Gallen schreibt: ^equidem exemplar (des Lucius
[sicl] Exuperantius) repperi, dum Basileae agerem, in Coenobio
illo Praedicatorum [vgl. L. Sutter, Die Dominikaner-Klöster auf
dem Gebiete der heutigen deutschen Schweiz im 13. Jahrhundert,
Luzem 1893, Münchener Dissertation, S. 53 ff.], certe summae
vetustatis, verum mutüum, adeo ut nonnullis in locis vix Uterarum
vestigia liceat deprehendere' (Lüdecke a. a. 0. S. 77 f.). Jedenfalls
ist die Hs. nahe mit dem Parisinus verwandt, wie ihre (im Apparat
nicht mehr eigens notierte) Übereinstimmung mit diesem in der
Schreibung 'Sillam' (cp. 2 Z. 15), in den Lesarten ^novis' (1, 17),
*Octavianus' (4, 1), 'frustrationis' (7, 26), ^commissis' (8, 16)
und in der Auslassung von 'Cinnae' (4, 24) beweist, doch bietet
sie, wie bereits Lüdecke erkannt hat, einige gute Sonderlesarten.
3. Das mit 'in quo' (5, 3) einsetzende Münchener Fragment,
ein jetzt unter der Signatur Cod. lat. Mon. 29019 aufbewahrtes
Doppelblatt, nach Wölfflins Schätzimg s. XI — XH. Die Mitteilung
dieses Gelehrten, dafs es die Korruptelen des Parisinus um einige
neue vermehre und nur an zwei Stellen beachtenswerte Varianten
aufweise, 7, 3 'tunc' und 7, 15 'traditus' (Philo!. Anz. I [1869]
S. 24 anläfslich der Anzeige von Eufsners specimen criticum
s. u.), können wir wenigstens zu Gunsten des Fragmentes dahin
ergänzen, dafs es 7, 3 das schon von Eufsner vermutete, u. E.
richtige 'Romanum' bietet.
Die Epitome des Julius Exuperantius. 563
4. Die textkritischen Beiträge von Adam Eufsner^ Specimeu
criticnm, Würzburg 1868 (Dissert.), p. 36 f. und PhUologus XXVIII
(1869) S. 500 und 536; von H<ermann> S<auppe>, Philol. Anz. I
(1869) S. 21 — 23 (Anzeige der Ausgabe von Bursian); von Jacob
Mähly, Jahrbb. f. Phüol. CV (1872) S. 143 f.
5. Kritische (und sprachliche) Bemerkungen^ die uns Alfred
EunzC; der Verfasser der gediegen«iL Sallustiana (vgl. Archiv VUI
152; 608; XI 139) freundlich zur Verfügung gesteUt hat.
Im Kommentar — wenn diese stolie Bezeichnimg auf unsere
bescheidenen Anmerkungen anwendbar ist — haben wir uns be-
strebt; die Entlehnungen aus Sallust möglichst vollständig zu
verzeichnen; durch Beibringung von Parallelen aus stark von
Sallust beeinflufstenLitteraturwerken (Ammianus MarcellinuS; dem
jetzt wieder mit Ambrosius identifizierten Hegesippus [vgl. Ar-
chiv XII S. 465 ff.]; Sulpicius Severus) auf die eventuell sallu-
stianische Provenienz des eiäen oder anderen Ausdrucks hinzu-
deuten und die entschieden spätlateinischen Bestandteile der Diktion
des Exuperantius als solche hervorzuheben.
Die im kritischen Apparate ohne Angabe des Fundortes an-
geführten Lesarten entstammen dem Codex Parisinus.
n.
Incipit Opusculum lulii Exuperantii.
1. Cum Lucius Metellus proconsul contra lugurtham in Nu-
midiam exercitum duceret; Marium ex gregariis militibus genere
ignobilem set virtute praestantem secum habuit; quem cum mili-
tibus quaestorem fecisset, ita se factis fortibus promiserat; ut
hostibus terrori; Romano imperatori cai-us esset. Et victimas 5
inmolanti numinibus in oppido Numidarum cui nomen est XJtica
haruspices magna quaedam impendere Mario responderunt atque
hortati simt; ut quae vellet änderet peteretque celsiora natalibus
meritisque maiora, siquidem cuncta videbatur favor spondere
fortunae. Tunc <^eum^ capiendi consulatus invasit magna cupi-10
ditaS; ad quem petendum paratis suffragiis relicta provincia
1^ 4 promservLt Sauppe coli. Verg. Aen. IJ 260 *cavo 86 robore promunt',
uhi tarnen J, Kvieala, Vergil-Sttidkn (Pragae 187 S) p. 177 sq. praefert lec-
tionem codicis Pragenm 'produnt'; cf. commentarium ö et apographum
GoldasU prohante Luedeckio: sed 9 respondere apogr. Gold. 10 eum
inseruimuü hunc (pro tunc) Kunze 11 paratis apogr, Gold.: paratna
564 Gustav Landgraf — Carl Weyman:
[Metello] Romam venit ibique de Metelli rebus loquendo cor-
ruptius ac suam extolleudo virtutem effecit animos vulgi cupidos
novitatis^ in suum excitando favorem adiavantibus tribimis plebis;
I5nam eo tempore inter patres ac populum studio dominaiionis
erant excitata certaniina. Ita factum est ut quasi in pemiciem
nobilitatis quam lacerabat iniuriis Marius novus extolleretur ho-
uoribus. Itaque comitiis consularibus universus populus qui ad
eligendum convenerat Marium consulem iussit et erepta Metello
2eproYiiicia in Numidiam missus est.
2. Sed is accepto consulatu quasi spolium victoriae superatis
patribus ostentabat aperteque se eorum potentiae profitebatur
adversum. Sed cum militem novum scriberet, primus omnium
capite censos cives infidosque atque inutiles duxit ad bellum , ut
6 hac ratione cum publico detrimento populo graiiam redderet a
quo speratos honores acceperat. Nam populus Romanus per
classes divisus erat et pro patrimonii facultate censebatur et hi
omnes quibus res erant ad militiam ducebantur; diligenter enim
pro victoria laborabant qui cum libertate bona patria defende-
lobant; illi autem quibus nullae opes erant capud suum quod solum
possidebant censebantur et belli tempore in moenibus residebant;
facile enim poterant existere proditores, quia egestas haud facile
habetur sine damno. Hos igitur Marius quibus non fuerat
res publica committenda duxit ad bellum. Sed forte secum L.
16 Syllam legatum unum de nobilibus in provinciam duxit; atque
ibi confecto feliciter bello et lugurtha capto ad urbem rediere
victores atque statim virtute cognita Marius in Glalliam missus
est quae tunc Romanos fines hostili incursione vexabat.
3. Eodem tempore Mithridates cum magnis copiis universam
Asiam urbesque sociorum expugnando atque vastando coepit
affligere; ad quem cohercendum L. Sylla est cum exercitu desti-
1, 12 Metello del. Sauppe et Maehly 13 contemptius Sauppe et MaeJüy
14 in 8. e. f.] <^in vulgo> i. s. e. f. Bursian dubitanter i. eorum e. favore
Maehly 15 ac] et apogr. Gold. 16 ita — honoribus post itaque — missus
est transpofii iubet Maehly 17 novus Corte: novis 2, 1 fortcisse scri-
hendum acceptum consulatum; cf. lug. 31, 10 'incedunt .... consulatus
. . . ostentantes' 4 cives] viles MaMy \ infidos apogr. Gold. fort, rede
8 erat Maehly; at cf. comment. 9 bona patria Eussner; cf.
cap. 0 lin. 6. Sali. Cut. 14 y 2: bona patriam 13 hos] eos apogr. Gold.
15 Sillam 18 est tiuod Kunze ex usu Exuperantii addidii extai
in apogr. Gold.
Die Epitome des lulius Exuperantins. 565
natus cuius in Africano bello probata erat corporis ^Yisi} atqiie
animi magDitudo. Hoc ubi Mario compertum est, terminare quod 5
gerebat praelium festinavit ei homo infinitae oupidus gloriae iion
patiebatur libertatem dignitateinque Romanam alterius virtute
defendi; contusis igitur OcbXüb vastataque natione penitus barba-
rorum Romam iterum yictor intravit. Itaque instinctu eius
Sulpicins tribunus plebis legem tulit ut auferretur Syllae pro- 10
vincia ac Mario daretnr. Hoc Syllae ubi nnntiatum est^ Mure-
nam legatum suum provinciae Yalerianisque praefecit militibus
quos infidos bellis existimabat esse civilibus et cum parte exerci-
tus iniuriae dolore commotus ad extinguendam Marianam venit
factionem. Statim ut Bomam venit^ resistentem sibi Sulpicium et 15
seditiosis contionibus rem publicam disturbantem cum multis quos
sibi socios adsciverat trucidavit atque Marinm ipsum machina-
torem tantae contumeliae in exilium impetu detrusit armorum;
atque ille — quotiens victor! — per Gallorum atque Afrorum
rura quae ipse yastaverat naufragus atque egenus erravit. 20
4. Dum haec aguutur Ginna et Octavius facti sunt consules^
quorum Ginna de partibus Marianis fuit. Hie legem tulit , ut
noyi cives qui aliqua ratione Romanam acceperant civitatem cum
veteribus nulla discretione sufiEragium ferrent. Hoc videlicet in
eorum gratiam faciebat qui Marium suffragiis suis extulerant et 5
amplissimis honoribus decorarant. Sed haec lex iniuriosa erat
in veteres cives qui meritum dignitatis videbantur amittere^ si
cum novis indignis in ferendo suffragio iungerentur. Ob hoc
itaque Octavius collega commotus, ut seditiouibus <^res publica)>
privaretur, collegam suum Ginnam adnitentibus veteribus civibus 10
in exilium misit [armatus] munitus videlicet copiis Syllae. Quae
cum agerentur, maximus ex utrisque partibus civium numerus
interemptus est. Expulsus igitur Ginna cum vagaretur, ad Africam
ubi Marius inops erat forte pervenit; atque ibi communicaio
8^ 4 vis add. Bursian; cf. Cat. 1, 5; 5, 1; lug. 2, 2. Hegesipp. II IS extr.
'memorabilis iuvenis ob egregiam fortitudinem corporis et animi magnitu-
dinem'. | cura peritia a. a. m. Maehly 8 natione ]regione Euasner; at
cf. comment. 15 atque vel is vel hie ante statim insermdum pulat Kunze
19 aliquotiens Bursian dubitanter totiens Sylburg et Maehly qui to-
tiens Sauppe qui totiens victor erat Kunze \ Gallorum] Italorum Maehly
4y 1 Octavianus 9 commotus om. apogr, Gold. \ res publica (R. P.) add.
Kussner et Maehly; cf. comnient. privaretur <^populu8 Komanus^ (P. R.)
Kunze praeveniretur (jpro privaretur) Sauppe 11 armatus iyicl. Bursian
14 erat] errabat Maehly fort, rette
566 Gustav Landgraf — Carl Weyman:
l5consilio, sollicitatis animis perditorum et de ergastnlis eratis
servis exercitam confecerunt et armata yalidissima manu iuyeii-
tutis ad urbem venerunt atque Octavium Syllae satellitem snpe-
ratum necayerunt. Tunc varia crudelitas pervagata est^ ut nobi-
litas omnis ad fngitivorum trucidaretur arbitrium; atque ea in-
20manis saevitia Cinnae fait, ut nee illis parceret quorum opera
erat yictor effectu8; et cum hac insolentia in omnis commumter
baccharetur, cum haberet contiones a militibus suis ocdsus est.
Tum Marius <veritus> ne sine socio dominatum sustinere non
posset^ in locum <^Cinnae)> Carbonem sibi in septimo consulatu
25collegam subrogavit.
5. Tum Sjlla tanta indignatione commotus contra Marium
atque Carbonem exercitum duxit et inter se ferali certamine Ro-
mani exercitus conflixere, in quo bello superatus est Marius.
Tum vero Sylla victor quicquid in urbe remanserat crudeliter
5 persecutus est et rem publicam vindicatam non reddidit legibus,
sed ipse possedit, ac se talem praebuit ut Ginnana ac Mariana
quam ultum ierat dominatio quaereretur. Hinc Sallustius: ^Bonis
iniiiis malos eventus JiahuiV^ nam fuerunt bona principia quod
oppressam voluit civium defendere libertatem, mali eventus quod
lOsuperatis dominis et ducibus saeris gravius ipse ciyitatem quas-
savit qui se publicae calamitatis fore promiserat defensorem.
Hie cum teneret imperium, multas leges ac iura praescripsit^
multis ciyitatibus inmunitates yectigalium dedit, multos Romana
civitate donayit.
6. Huius acta cum conatur Lepidus in suo consulatu sub-
vertere, contra coUegam Catulum ciyile praelium gessit et yictus
est; nam congregatis bis in quorum possessiones noyos colonos
de suis militibus Sylla victor inmiait ac sibi coniimctis liberis
ö proscriptorum ingentem congregavit exercitiun pollicendo, si
vicissent^ se bona patria restituturum; plebi quoque multis mune-
ribus publice privatimque largitis carus videbatur ac publicae
5, 7 Cat. 11, 4.
4^ 16 iuventis 18 varie Eussner vero ea Maehly 19 eo apo^. Gold.
prohante Luedcch'o 21 et] set Bursian duhit 22 contionem Maehly
23 veritus inseruit Eussner metu Kunze 24 Cinnae hie inseruit
Bursian, ante locum iam Sylbnrg 5, 3 in quo] hie incipit fragmentum
Monacen^e 7 Salustius 9 quod Sylburgi ut 6, 8 hiß apogr.
Gold.: hiis cf. Bannet, Le Latin de Gregoire de Tours p. 367 sq.
7 ac delet Maehly itUerpungens post carus
Die Epitome des lulius Exnperantias. 567
libertatis assertor. Et in Etmriae litore commisso praelio coe-
perat Lepidos esse snperior per armatam multitudinem quae odio
remm Syllanarum se Lepidi partibus applicarat; sed Pompeinsio
de Grallia rediens non passus est Lepidi audaciam cum publicis
detrimentis impune bacchari; nam fugientes eins copias ac se
implicantes festinatione foipnidiiiis ita prostravit, ut maiore numero
privatuB in Sardiniam confugeret et impedito commeatn populnm
Romanum fatigaret inopia ac snas vires armis copiisqne et omni 15
instromento reficeret. Atque ibi com Triario propraetore variis
praeliis gravibusque conflixit; nam <^is^ soUertissime tntando pro-
vinciam effecit^ ut Lepidi consilia vana forent; undique enim
prohibitus et mnnitionibns a civitatium expugnatione depulsus
neqniyit cogitata perficere ac dum multa parat morbo gravi 20
oppressus et mortuus est.
7. Cuius socius et administer Perpenna ob delictum tanti
facinoris supplicium timens ex Sardinia in Hispaniam transvectus
est ac se Sertorio sociavit qui tum Romanum armis quassabat
iinperium. Nam hie Sertorius de Marii partibus fait; nam Nor-
bano et Scipione consulibus cum ex Asia Sylla contra Marium 6
atque factionem veniret infestus^ timens senatus [iram] ne malo
publico certamina inter duces orirentur, statuit ut curarent con-
sules ne res publica acciperet detrimentum. Hoc itaque senatus
consulto excitati consules contra venientem Syllam atque Omni-
bus exitium minitantem praesidia sibi cuiusque generis pararelO
coeperunt et duces idoneos ad quorum industriam pertineret cura
bellorum; in quis elegere Sertorium. Parato validissimo exercitu
processere et vetante Sertorio coUoquia consules permiserunt inter
suum et Syllae exercitum^ et facta proditio est omnisque exer-
citus Syllae traditur. Tunc Sertorius destitutus atque omni copi- 15
arum nudatus auxilio in Etruriam confugit iram metuens Syllae
6^ 8 Et apogr. Gold. Sauppe Maehly : sed | Etruri 14 et apogr. Gold. : nt
16 cum Triario Burnouf coli. Ascon. in Scaur. p. 16, 20 sqq. K.-Sch. : contrario i
c Trario apogr. Gold, cum contrario Corte cui adsiipülatur Kunze 17 is
tde
supph Bursian 19 civitatum apogr. Gold. \ depulsus fragm. Mon.i expuls*
{superscr. m. pr.) 7, 3 tunc fragm. Mon. \ Romanum fragm. Mon. Eiissner:
Romanis | Romanis nostris vel R. infestus Maehly 6 iram del. Sylburg
10 minantem fragm. Mon. \ parere fragm. Mon. 12 elegere, in
quis Sertorium Kunze dileta interpunctione post bellorum et coli. lug. 25, 4
et 28, 4 I et ante parato inserendum censet Kunze 13 permiserunt
fragm. Mon.: dimiserunt {corr. m. pr.) 15 traditus fragm. Mon,
568 Gustav Landgraf — Carl Weyman:
iie exigeret gravem quasi de superaio hoste yindictam. Erat autem
Etruria fidissima partibus Marianis, quia ab ipsis Romanam quam
antea non habebaut acceperaut civitatem; iimeutes igitur Etrusci
20 ue beuiücium tautae diguitatis a Mariauis acceptum Sylla revo-
caret, si adversae partes esseut amputatae, peuitus ad Sertorium
se atque alios eiusdem factiouis duces applicarout omnia qoae
imperareutur sine recusatione promittentes esse fjEhctnros: itaque
factum est ut rursus firmissimus XL cohortium comportaretur
25exercitus; nam et multi milites qui se venienti Syllae tradiderant
frustrati omuibus ad priorum ducum castra reyerterunt, quae
ante prodideraut.
8. Inter haec facti sunt Marius septies et Garbo consules;
tunc Sertorius de Marii potestate securus Romam yenit et omnium
coepit accusare segnitieni; etiam ex multis promptissimis factis
Syllae industriam yirtutemque laudare, cui nisi <pariter^ obyiam
5 iretur, actum iam ac debellatum foret. Tum ^eum^ consules
principesque alii factionis tanto yerborum pondere eastigati^ siye
ut aemulum ac yehementem neglegentiae correctorem ab oculis
removerent, siye ut feroci proyinciae cuius infidelitatem timebant
idoneum praeponerent ducem, misere in citeriorem Hispaniam,
10 atque ei mandatum est ut transiens res in Gallia transalpina
componeret. Sed ubi in provinciam yenit, ita strenue sociorum
animos iam deficientes atque alia cupientes in &yorem partium
suarum modeste tuende atque blandiendo perduxit, ut et carus
esset et tamen ab omnibus timeretur. Sed in urbe Sylla et
15 Marius confiixere atque in ipso certamine Marius interemptus est,
Garbo perditis rebus aufugit. Tum Sertorius concussis atque
deletis partibus quas sequebatur Optimum consilium credens
exercitum non dimittere, ne nudatus supplicia yictoribus pen-
7, 23 promittentes sese facturos Bursian pr. se f. W^oelffUny, Lit. Cen-
tralbl. 1868 Nr. 41 cöl. 1114 se pr. esse f. Kunze; at cf. comment.
20 frustrati omnibus Bumauf: frustrationis | frustrati donis Bursian fr.
omni spe vel frustrationis taedio {cf. lug. 62, 9) Kunze 27 ä^ (i. e.
antea) possiderant apogr. Gold. 8, 1 sunt om. apogr. Gold. 3 etiam]
et apogr. Gold. praestantissimis apogr. Gold. 4 pariter hie inseruit
Dietsch ad Sali. hist. I fr. 58, post obviam transponere mavuU Sauppe
5 forc Corte, Dietsch, Eussner; at cf. comment. eum inseruit Kunze
13 fori, modeste <^8e^ tuendo; cf Cic. de or. III 227 IG concussis
Kunze coli. Com. Nep. Epam. 6, 4 et Kritzio ad VeU. Fat. II 121, 1:
commissis contusis Sylburg
Die Epitome des Inlius Exuperantius. 569
deret; collecta Hispaniae multitudine contra Romanum exercitum
statuit dimicare; mortno itaque Sylla hostem se publicum aperi;e20
professus est; ad quem expugnandum missi sunt Metellus atque
Pompeius qui eum gravibus atque assiduis pugnis afSixere; qui
tarnen dif&eile yinceretur^ nisi per coniurationem in convivio a
suis esset occisus. Postea Pompeius Perpennam subegit, Auxuraen,
Gluniam^ Galagurrim civitates delevit et factis in Pyreneo tropheis 25
Romam regressus est.
Finit Opusculum lulii Exuperantii.
8y 19 maltitudine Hispaniae fragm. Mon. 22 qui tc fragm. Mon.
25 Clnniam Corte {cf. Huebnerum in Wissowae encyclop, IV col. 113 sq.):
Clunium 27 in fragm. Mon. omissa subscriptione sequitur Multi lietho-
res vocantor atque dialectici propter libros cic<^ero^nis propter aristotelis
quos sese vidisse iactant ac legisse praedicant.
IIL
Cap. 1 Z. 2ff. Über Marius Vgl. Sali. lug. 63, 3 ff.
2 ex gregariis müitibus] Cat. 37, 6; 59, 3.
genere ignobilem sei viriute praestantem] Vgl. Tac. ann. I 3 '>r.
Agrippam, ignobilem loco, bonum militia\
4: ita se factis fortibus promiser ai] fortia f. Cat. 59, 6; lug. 53, 8; 85,
4. 21; bist. II 92 M. — Zu 'se promittere' haben Sylburg und Bursian
Plin. nat. bifft. XVI 107 'nee ulla arborum avidius se promiUi€ ver-
gUcben. Aber an dieser Stelle bandelt es sieb, wie Sauppe erkannt bat,
um ein Versprechen, nicbt um ein (sieb) Hervortbun. Dagegen läfst
sieb zu Gunsten der Überlieferung bei Exuperantius anführen Paulinus
von Nola carm. XXXII 102 'quae creat (tempus) absumit rursusque
absumpta promittif ('remittit' Muratori) und Oros. II 16, 15 'quan-
tumque meditatur ira, tantum promiüU audacia', wo Wachsmuth (bei
Zangemeister ed. maior) die Vermutung ausgesprochen ^promit scrip-
tum fuisse si non ab Orosio at in eins fönte'. Auch bei Amob. I 56
p. 37, 23 f. R. 'conscriptores nostri mendaciter ista promiserunt (so
cod. P), extulere in immensum exigua gesta' (vgl. Hildebrand z. St.)
dürfte Orsinis Konjektur 'prompserunt' hinfällig sein. (C.W.) Nicht
ausgeschlossen scheint übrigens die Möglichkeit, den Ausdruck zu
fassen im Sinne von ^tdkm se f. f. promiseraV = er hatte solche
Hoffnungen von sich erregt, wozu auch der folgende Satz gut passen
würde. Vgl. zu dieser Bedeutung von 'promittere' Sen. controv. IX
6, 13 'oratorem pramisit et praestitit'. Ps. Quintil. declam. mai. 1, 6
^interrogabo . . . per quae se parricidam scelera promiserit\ Verg.
Aen. IV 227 'non illum genetrix talem promisU^\ II 96 \me) promm
ultorem', womit zusammenzustellen Tac. bist. III 59 und ann. III 15
^socios (sociam) se promittere' und Exup. c. 5, 6. (G. L.) Über den
570 Gustav Landgraf — Carl Weyman:
Gebrauch des Plusquamperfekts an Stelle des Perfekts (vgl. übrigens
lug. 7, 4 'pervenerat') s. Engelbrecht zu Faustus Reiens. p. 496 und
H. Blase, Geschichte des Plusquamperf. S. 75 f.
5 ut hostibm — carus essd] lug. 7,4 ' ut nostris vehementer
' carus, Numantinis maxumo terrori esset\
6 ff. victimas inmolanti — peteret] lug. 63 , 1 'üticae C. Mario
per hostias dis supplicanti magna atque mirabilia portendi haruspex
dixerat; proinde quae animo agitabat fretus dis ageret, fortunam quam
saepissime experiretur; cuncta prospere eventura'.
9 siquidem] spätlateinisch = nam; vgl. Schmalz, Synt. S. 420*.
spondere] Die Lesart des apogr. Gold, 'respondere' wird durch
die Einwirkung von 'responderunt' (Z. 7) entstanden sein. Doch
sei daran erinnert, dafs z. B. bei Tertullian 'respondere' in der Be-
deutung von 'spondere' gebraucht wird; vgl. Oehler, Tert. 11 p. CXCIL
10 tunc <^eumy capiendi consulatus invasit magna cupidii<is] Cat.
5,6 ^hunc libido maxuma invaserat rei publicae cap%unda€^\ lug. 24, 2
quem tanta lubido extinguendi me invasit^; 84, 3 ^tanta lubido cum
Mario eundi plerosque invaseraC'^ 89, 6 'eins potiundi Marium maxu-
ma cupido invaserat\ Tac. ann. I 61 'cupido Caesarem invadif.
11 parotis suffragiis] Vgl. lug. 65, 5 'sie illi — honestissuma
suffragatione consulatus petebatur'.
12 de M. r. loquendo corruptius] Vgl. lug. 64, 5 'criminoBe simul
et magnifice de hello loqui'.
13 suatn extoUendo virtutem] lug. 15, 2 'lugurthae virtuiem extoUer€\
effecit a, v. cupidos novitatisl^ Cat. 28, 4 ^novarum rerum cupidam*
(plebem); vgl. 37, 2; 48, 1. — Quint. inst. or. III 3, 8 ^cupidi novi-
tatis alicuius'; IX 1, 18 'nimia — novitcUis cupiditaie ductus'. Heges.
II 2, 2 'ludaeos ad rerum novUatetn promptissimos'. 'novitas' =
'novae res' schon bei Lucrez: Heinze zu lU 151 S. 70.
15 inter patres ac papulum] Vgl. Wölfflin, Allitt. Verbind. S. 74;
Archiv m 451.
studio dominationis erant e^citata certaminali lug. 41, 2 'neque
gloriae neque daminationis certamen inter civis erat'; bist. I 7 M. ^cer-
tnmina — dominatwnis\
16 in pemiciem nobüitafis] Vgl. lug. 70, 1 'ad pemiciem eins dolum
quaerere'. Anders Heges. I 45, 3 'ac paene in mulieris pemiciem
fraus convaluerat'.
17 lacerabat iniuriis] lug. 85, 26 'maledictis lacerenf. Tac. ann.
IV 42 'quis (probris) lacerabatur\
Marius novus extöUeretur honoribus^ lug. 65, 5 'plebs nobilitate
fusa novos e^oUebaf] 73, 7 'ita perculsa nobilitate novo homini con-
sulatus mandatur; et postea populus . . rogatus, quem vellet cum lu-
gurtha bellum gerere, frequens Marium vissiC (vgl. Exup. Z. 19);
49, 4 'uti quemque — honore extulerat^\ vgL die Erklftrer zu Hör.
carm. I 1, 8. Vell. Pat. II 128, 1 'omnibus honoribus — exiulere* und
Weyman, Blätter f. d. (bayer.) Gymnasialschulw. XXXVDI (1902)
S. 228.
Cap. 2 Z. 1 accepio consulatu qiiasi spolium victoriae superatis
Die Epiiome dea lalins Exaperantin«. 571
patribus asteniabai] Vgl. auliser der im Apparate citierten Stelle lug.
84, 1 ^dictitare sese consulatum ex vidis iUis spoiia cepisse*. Tac.
bist I 2 'alii sacerdotia et consulatus ut spoiia adepti'. Heges. I
32, 1 'pofisessionem eorum quiisi ^polinm suis iunzerat'.
2 aperteque $e eorum poUnüae profitdHMtur adversum] lug. 40, 2
^aperte resistere'; ibid. 27, 2 Unfestus patfntiae nobilitatis*.
3 sed cum miliUm novum scriberet .... capUe eensos . . . duxit ad
bdlum] lug. 86, 2 'ipse miiUes scriberey non more maioruiu neque ex
dassibus (ygL Exup. Z. 6), — capUe censos plerosque'. Vgl. Flor. I
36, 13 ^Marios auctis admodum copiis, cum pro obscuritate generis
sui capUe censos sacramento adegisset'.
5 cum publico detrimenio] lug. 54, 5 'minore detrimenio*. Sulp.
Sev. yit. Mart pr. 1, 1 Vel cum detrimento mei pudoris'.
7 pro patrimonü faeuUate] Ebenso Paulus dig. XXVI 7, 12, 3
^pro faculiate patrimonii\ Ambros. expos. in Luc. IV 54 p. 166, 9 Scb.
'iMi/rtffiOfittim facultaium* (aber im Citate bei Gratianus ^patrhnonii
faeuUatem*).
8 quibus res erant] VgL zum Plural, der bier übrigens schon
durch den Gegensatz Z. 10 'quibus nullae opes erant' gestützt \Tird,
lug. 64, 6 Vcs famüiaris conruperant' ; bist I 16 'qui — habere pos-
sent res famüiaris^. Anmi. Marc. XV 2 , 9 ^quibus exiguae res eranf
(s. aber Grardthausens Apparat). Miodonsld zum Anonymus adv. aileat.
6, 6 S. 85. Über den allerdings häufigeren Singular 'res' = 'res fami-
liaris' Jahn zu Pers. 11 44.
9 bona pcUria] Vgl. den krit. App.
10 quibus nuüae opes erani\ Gat 37, 3 'nam semper in civitate
q%ii/%bus opes nuUae sunt bonis invident'.
capud suum, quod solum possidebant, censebctniur] Vgl. Corp.
gloss. VI 177 capite census] qui solum caput suum deducit ad censuin.
12 quia egestas haud facile habetur sine damno] Exup. scheint
Gat 37, 3 'turba atque seditionibus sine cura aluntur, quoniam egestas
facile habetur sine damno* mifsverstanden zu haben, ^haud faeiie*
Gat. 13, 5 ; 25, 3 u. ö.
13 hos — quibus non fuerat r. c] Vgl. c. 6 Z. 3 'bis in quorum'
und z. B. Engelbrecht, Glaud. Mam. p. 234; Hartel, Lucifer p. 303. —
Über 'fuerat' = 'erat' z. B. Archiv XI 555.
15 L. Syüam legatumli Vielmehr als Quaestor; vgl. lug. 95, 1.
16 confecto f, bello — missus est] lug. 114, 3 'sed postquam bellum
in Numidia confedum et lugurtham Romam vin'ctum adduci nuntiatum
est, Marius consul absens factus est et ei decreta provincia Gallia'.
18 quae tunc — vexabat] Vgl. zur Personifizierung Ambros. do.
obitu Valeiit. 68 'nee Gattia bestem sensit et Italia hostem reppulit*;
de obitu Theodos. 56' 'non hoc sentit ItaUa, quae claros spectavit
triumphos, qus}« — concelebrat suae libertatis auctorem'.
Cap. 3 Z. Iff. Nach Sali, bist I; vgl. Maurenbecher II p. Off.
3 destincUus] = 'missus', wie oft im Spätlatein; vgl. z. B. llönsch,
Gollect. philol. S. 74 f. Ganther, Gollect. Avell. p. 885.
4 corporis ^vis^ cUque animi magnUudo] Vgl. aufser den im krit.
572 Gufltav Landgraf — Carl Weyman:
App. angeführten Stellen lug. 96, 3 (von Sulla) 'neque consüio neque
manu priorem alium pati'. Arabros. expos. in Luc. I 32 p. 31, 1 Seh.
*non virUiie corporis, sed animae magnitudine\
5 terminare qtwdgerebat proelium] 'terminare bellum' ist livianische
Phrase: XXXIII 19, 6; 21, 6. ^proelium gerere' = 'bellum g.' auch
bei Frontin. strateg. II 6, 1; vgl. Acta Montani, Lucii etc. c. G p. 74,
8 Cavalieri; H. Goelzer, Etüde lexicogr. et grammaticale de la lati-
nite de St. Jerome p. 271 (über die umgekehrte Erscheinung 'bellum'
= 'proelium' z. B. Petschenig, Cassian I p. 447; Meiser, Boet. Arist.
de interpr. II p. 514. S. auch Wendland, Berliner philol. Wochenschr.
1902 Sp. 231).
6 infinitae cupidus gloriae] Cat. 11, 3 'semper infinitn insatiabilis
est' (avaritia). Flonis II 9, 6 schreibt im nämlichen Zusammenhange
von Marius 'initium et causa belli inexplebilis bonorum Marii fames,
dum decretam Syllae provinciam Sulpicia lege sollicitat'.
8 contusis — Gallis] Vgl. lug. 43, 5 'opes contuscte\ Ps.-Sall. ad
Caes. de rep. I 5, 2 'contundere — imperium'. Fest. brev. 22 'Parthi
— contusi sunt'. Sulp. Sev. chron. I 14, 6 (vom Pharao) ^contusus et
evictus est'; 50, 4 'Allophylosque — contudif.
vastataqu^ natiofic penitus harharorum\ Über 'vastare' in der
Übertragung vom Lande auf das Volk s. Nipperdey zu Tac. ann. XIV
24, 13. Über die analoge Verwendung von 'delere' R. Novak, Curae
Ammianeae, Prag 1896 p. 66.
9 itaque instinctu eins — daretur] Scheint ganz aus Sallust ge-
nommen zu sein; vgl. den übereinstimmenden Satz des schol. Gronov.
zu Cic. Cat. in 24 p. 410 Or. ^SuJpicius tulit legem ut toller etur Mi-
thridatica provincia Sullae et daretur Mario\ Anders das neuedierte
scholium Cluniacense zu dieser Stelle bei Peterson, Collations from
the cod. Cluniac. Oxford 1901 p. LVIII 'Publius Sulpicius tribunus
plebi legem tulit, ut Mitridaticum bellum quod Syllae fuerat desti-
natum ad Marimn transferretur'. Zu 'instinctu eins' vgl. bist. II 6 M.
'matris instinctu*; Tac. ann. I 32 'paucorum insHn€tu\ Lact. inst. I 5,
10 'musarum instinctu*; Passio Mariani et lacobi 1 p. 47, 11 Cav. in-
stinctu Spiritus caelestis' ; Auson. perioch. Odyss. VI 'Minervae instinctu* ;
Optat. Milev. III 3 p. 172, 21 Z.; Sulp. Sev. chron. I 24, 4 Hnstinetu Dei'.
12 Vakrianisque — militihus] Vgl. bist. III 33 'praedatores Vale-
riani'; V 13 'legiones Valerianae'.
14 iniuriae dolore commotus] Vgl. Cat. 28, 4 'dolore iniuride* (Lact,
inst. I 10, 5); lug. 20, 4 'dolore permotum\ Heges. I 37, 6 'inpulsus
— dolore iniuriae*. Sulp. Sev. chron. I 27, 4 'quo dolore — permoti*.
Florus 1. 1. 'sed impatiens iniuriae statim Sylla legiones circumegit'.
15 statim ut\ = ut primum; vgl. Archiv IV 615. Uartel, Lucifer
p. 375. Spartian. Get. 3, 2; Pertin. 11, 12. lul. Capit. Maxim. 10, 3.
Oros. III 13, 9. 'confestim ut* schon bei Suet. Aug. 10.
16 retn puhlicam disiurbantem] bist. I 77, 13 'pax et concordia
disturbaniur* (vgl. Optat. Milev. 11 16 p. 51, 2 Z.); 15 'quo parta (con-
cordia) disturbantur* .
17 quos sibi socios adsdverat] Vgl. Cat. 47, 1 'socium adscitam*]
Die Epitomc des lulius Kzaperantins. 573
24, 3 'plunimos homines cidscivisse sibi dicitur'. Verg* Aen. Xu 38
^socios sum adscire paxatus'.
maciiinatorem tantae contumeliae] Vgl. Cat. 48 , 9 H<mtam illam
contumeUam sibi a Cicerone impositam'. 'machinari' Cat. 18, 7 (per-
niciem) u. ö. Heges. I 8 ^tam impii madiinator sceleris'; vgl. Land-
graf zu Cic. Rose. Am. 132 S. 367. Buenemann zu Lact. mort.
persec. 7, 1.
18 in exüium — detrusit] starker Ausdruck. Vgl. Aldhelm de ans
B. M. VI 13 (Patrol. LXXXIX 293 D) HrusU in exilium cyraba trans
caerula vectum'. Heges. I 20 'Aristobolo in custodiam detrusd* (ebenso
31, 2); U 5, 3 Hn carcerem detrusit lohannem'. — Über 'expellere',
'eicere' u. s. w. Mn exilium' Seyffert-Müller zu Cic. Lael. S. 302 f.
20 naufragus atque egenus] Vgl. lug. 14, 17 'extd patria domo, solus
atque omnium honestarum rerum egens^ quo accedam?' Heges. I 29, 11
*ut naufragus et rerum omnium egens — exilio sedem niutaverit'.
Über die Verbindung ^ naufragus^ — 'nudus^ s. Wölfflin, Allitt.
Verb. S. 71 und dazu Sen. ben. IV 37, 4; Hyg. fab. 21.
Cap. 4 Z. 1 Cinna et Octavius facti sunt cansules] Vgl. schol.
Gronov. 1. 1. *fecit Sulla duos consules, Cinnam et Octavium'.
2 de partibus Marianis fuit] = partium Marianarum; vgl. c. 7
Z. 18. Eutrop. VI 1, 2 ^jui partium Mariatiarum fuerat\ Cat. 37, 10
^quicumque aUarum atque senatus partium eranf. Fest. brev. 18 'qui
Fompeianarum partium fuerat\ Über 'de' an Stelle des Genet. part.
8. Wölfflin zum bell. Air. 16, 2 S. 28. Petscbenig, Cassian I p. 457.
Günther, Coli. Avell. p. 881.
3 Bomanam — civitatem] Exup. stellt das Adjektiv 'Romanus'
gewöhnlich dem Substantivum voraus; vgl. cap. 2 Z. 18 'R. fines'; 5
Z. 2 und 8 Z. 19 'R. exercitus'; cap. 4 Z, 3 und 7 Z. 18 'R. civitas';
cap. 7 Z. 3 'R. imperium'.
4 nuUa discretione] spätlateinisch; vgl. Amm. Marc. XXIII 6, 67
'sine uüa discretione^'^ XXVI 6,7. Faust. Reiens. de grat. H 6 p. 71,
23 E; Salv. gub. dei VII 101 'sine discretione'.
6 amplissimis hanoribus decorarant] Vgl. Cat. 12, 4 'domos suas
gloria decorabant\ Hör. sat. I 6, 11 ^amplis et honorihus auctos\
7 meritum dignitatis] Die schon von Bursian als unsallustianisch
bezeichnete Phrase findet sich z. B. bei Filastrius von Brescia 98, 6
p. 58,20 und 137, 2 p. 107, 19 Marx; vgl. Vict. Vit. HI 9 'pro d.
merito'.
8 ob Äoc] Vgl. über diese bes. den Historikern geläufige Wendung
Reissinger, Über Bedeutung und Verwendung der Präpp. ob u. prop-
ter n (Speyer 1900 Progr.) S. 11 u. ö. Petscbenig, Victor Vit. p. 164.
9 ut seditionibus <^res publica} privaretur] R. P. als Abkürzung
von res publica wiederholt im Parisinus und im apographum Goldasti.
'privare' im guten Sinne schon bei Cicero; vgl. Tusc. III 44 'quem-
admodum aegritudine privemus eum'; de fin. I 37 'cum privaniur do-
lore, ipsa liberatione omnis molestiae gaudemus'.
10 adnitentibus veteribus civibus] sallustianisch: Cat. 19, 1 ^adnitente
Crasso'; bist. II 98 d ^adnUente — nobilitate'; FV 69, 14 'nullo circum
Archiv für lat. Lexikoprr. XII. Heft 4. ^Ä
574 Gustav Landgraf — Carl Weyman:
adnit€nte\ ^mm. Marc. XXX 8, 4 ^adniteniibus cunctis'. Diet. Cret.
V 14 ^adnifentihus — Menelao atque Agamemnone'. Günther im In-
dex zur Collectio Avellana p. 862.
11 munitus — capm] Vgl. Cat. 32, 1 'urbem vigiliis munitufn.
13 expulsus igitur Cinna] = schol. Gronov. 1. 1. ^Cinna expulsus
corrupit milites'. Diese Worte wie auch die folgenden lehnen sich
ohne Zweifel eng an Sallust an.
14 communicato cansüio] Cat. 18, 5 ^consüio camtmmicato\
15 de ergastuUs erutis servis exercüum confecerunt] Maurenbrecher
zieht hierher das Fragment ^exercUum argento fecif (bist. I 27) =
schol. Gronov. 1. 1. 'pretio collegit exercitum, misit ad Mari um in Aftica,
composuit legiones solutis ergastulis et venit'; vgl. liber de vir. ill.
67, 6 ^Cinnana dominatione revocatus ruptis ergastulis exercüum feeif.
Flor. II 9, 11 ^ergastula armantur'; II 7, 6 (von Eunus) Wefractis er-
gastulis — fecit exerciium\ ^exercitum facere^ = 'e. parare' ist eine
spezifisch sallustische Phrase; vgl. Sen. epist. 114, 17. ^exercUus con-
ficere^ auch bei Cic. ad Att. VIII 11, 2; vgl. Bremi zu Com. Nep.
Kann. 10, 5. Zu 'eruere' von Personen vgl. Sulp. Sev. vit. Mart. 9, 1
'cimi erui monasterio suo non facile posset'. Paul. Nol. carm. XVm
321 'non eruar (Hartel p. 426 nicht zutreffend '= repellar') istinc'.
Bonnet, Le latin de Gregoire de Tours p. 270.
17 Syllae sateUitem] Hist. I 55, 2 'sateUiies eius^ (des Sulla) u. ö.
Vgl. liber de vir. ill. 70, 1 Timbria — Cinfiae saieUes\ Oros. VI
2, 9 'Fimbria Marianorum scelerum satdles*.
super atum necaverunt] Vgl. lug. 20, 3 'Adherbalem excrudatum
necaf.
23 <^verUusy ne] Vgl. lug. 15, 5; 35, 9; 50, 1 u. ö.
Cap. 6 Z. 2 f er all certamine] f. poetisch und spätlateinisch;
vgl. z. B. Flor. II 10, 2 'f. illius tabulae'. Heges. 1 43, 5 7. ultio par-
ricidii'; 45,10 'f. ministerium*.
5 refn publicam vindicatam non reddidii legibus, sed ipse possedit]
Deckt sich dem Gedanken nach mit hist. I 51 'quo patefactum est
rem publicam praedae, non libertati repetitam'; vgl. Val. Max. VII 6,4
'C. Mario et Cn. Carbone consulibus cum L. Sulla dissidentibus, quo
tempore non rei publicae victoria quaerebatur, sed praemium victoriae
res erat publica*. Zum Ausdruck 'remp. r. 1.' vgl. Sulp. Sev. chron.
II 25, 1 'ludaeos legibus suis reddidit^,
6 ut Cinnana ac Manana quam ultum ierat dominatio quaerere-
tur] Exup. überträgt die Worte, die Sallust hist. I 31 von der 'do-
minatio Sullae' gebraucht '?*/ S, d. quam ultum ierat d€sideraretur\ auf
die des Cinna und Marius. Das Historienfragment hat zuerst Mauren-
brecher ausgehoben, aber nicht mit unserer Stelle in Verbindimg ge-
])racht. Tac. ann. I 1 'non Cimme, non Sullae longa dominatio\ Über
die bei Sallust und seinen Nachahmern beliebte Wendung 'ultum ire'
s. Vogel, Acta sem. Erl. II 444. Bonnet a. a. 0. p. 414, 3.
12 leges ac iura\ Vgl. lug. 31, 20 Heges iura\
Cap. 6 Z. 1 liuius acta cum conatur Lepidus in suo cottsulatu
suhvertere] Erweist sich als mohr oder minder wörtlich aus Sallust
Die Epitome des lulius Ezuperantias. 575
entnommen durch Vergleichung mit Flor. 11 11, 2 ^Lcpklus acia tanti
viri rcscindere parabat'; scliol. Gronov. p. 410 Or. Volebat infringere
acta Sullana'. Aus Florus haben (nach Maurenbrecher I p. 19 f.; vgl.
dagegen Flemisch, Granius Licinianus, Progr. Lohr 1900, S. 60) ge-
schöpft liber de vir. ill. 77 ^Lepidum acta SuUae rcscindere volentem
privatus Italia fugavit'; Ampel. 19 'Catulus qui Lepidum acta SnDae
rcscindere volentem Italia fugavit' ; Liv. perioch. 90 'M. Lepidns, cum
acia Syllae temptaret rescindere, bellum excitavit'. Vgl. auch Gran.
Licin. p. 59 Camozzi ^res gestas a Sulla rcscindere^ (e coniect.); Aug.
civ. dei III 30 'quorum alt«r gesta Syllana rcscindere cupiebat'; Lact,
mort. persec. 3, 4 ^nscissis — actis tyranni'. Ob Sallust selbst an
der betr. Stelle *acta rcscindere'' oder ^subvcitere* geschrieben, bleilit
zweifelhaft, da er beide Ausdrücke im übertragenen Sinne verwendet;
vgl. lug. 11, 5 ^decreta onmia rescindi^ neben 30, 1 'an decretimi con-
sulis suhvorterenC,
2 praeUum gessü\ Vgl. zu c. 3 Z. 5.
5 cangregavit exercititm] Vgl. Heges. III 22, 1 ^congrcgati excr-
citus terror' u. ö.
6 in quorum possessiones — resHtutwum] Auch diese Worte
gehen nach Maurenbrecher II p. 21, der Gran. Licin. p. 63 in quorum
agros milites deduxerat restUuere^ vergleicht, auf Sallust zurück.
plebi quoque multis muneribus publice privatimque largitis carus
videbatur] Zur Sache vgl. bist. I 63 und 77, 6 Uargitionihus rem
publicam lacerari videbam'; zum passiven Gebrauche von 'largior'
bist. I 49 Wenditis proscriptorum bonis aut dilargUis*\ Buenemann zu
Lact. inst. VII 1, 13; zu ^plebi — carus' lug. 88, 1 'plebi patribusque
iuxta carus* \ zu 'publice privatimque' Gat. 40, 1 'publice privatitnque
aere alieno oppressos'.
8 libertatis assertor] Auch bei Sen. epist. 13, 14. Plin. nat. bist.
XX 160. Heges. III 16; V 53.
et in Eiruriae liioi'c cic^ Vgl. bist. 167 und dazu Mauren brecher p. 22.
W de Gallia rediens] Vgl. Eutrop. IX 19 Wediens de Perside'. Vopisc.
Firm. 5 'de Carris redennte\ Köhler, Act. sejn. Erl. I 437. Landgraf
Arcb. Xn 461.
cum publicis detrimentis] Vgl. zu c. 2 Z. 5.
13 sc implicanks festinatione formidinis] Vgl. bist. 1 81 'profectionem
festvnoMes* und dazu Maurenbrecher.
14 in Sardiniam confugeret] Vgl. bist. 1 83 'perrexere in Hispauiam
an Sardiniam\ Flor. Uli, 7.
15 populum Eatnanum fatigaret inopia] Vgl. bist. II 93 'fames <^am -
bos fatigavif\ IV 8 'LucuUum — faines brevi fatigahaf. Trotz dieser
Parallelen wird man §,ber Lepidus als Subjekt zu 'fatigaret' ziehen
und 'inopia' als Ablativ fafsen müssen; vgl. Com. Nep. Eum. 12, 4
'fame fatigatus\
vires nrmis copiisque et omni itistrumefito reficci'et] Vgl. lug. 66, 1
'arma tela aliaque — reficere\ 43, 3 'arma — et cetera instrumenta
militiae parare'. Amm. !Marc. XVIII 6, 4 'commeatus milites arma
ceteraque instrumentu — parabantur'.
38*
576 GuBtav Landgraf — Carl Weyman:
17 tuiundo provinciam] Vgl. lug. 110, 6 'finis meos — iutatus sum*.
18 M< — consilia vana forent\ Vgl. Cat. 52, 16 ^vanum — hoc
consilium eM*'^ lug. 24, 9 Weilern et haec — vana farenf.
20 morho gravi — mortuus est] Vgl. Flor. II 11, 7 ^morbo et
paenitentia interiit*.
Cap. 7 Z. 1 sodus et administer] Ebenso lug. 29, 2. Vgl. Seyf-
fert-Müller zu Cic. Lael. S. 251.
deUctum tanfi facinoris] spätlateinische Abundanz. Zu *t. f.' vgl.
Cat. 28, 3 ^tantum facmus^.
2 in Hispaniam transvedus est] Vgl. lug. 18, 4 ^in Africam
trafisvedV; 28, 6 'i. A. iransvectae\
3 armis quassabat imperium] Vgl. c. 5 Z. 10 *civitatem quassavU^,
Amm. Marc. XV 12, 5 'hae regiones — proelis parvis quass(Uae\
4 de Marti partibus] Vgl. zu cap. 4 Z. 2.
6 malo pubUco] Vgl. Cat. 37, 7; bist. I 77, 13; Sisenna frg. 111 P.
^tnälum publicum^ '^ bist. IV 51 ^mali pubUci*'^ Cat. 51, 32 ^malo rei
pitbUcae\
7 statuit (scfiatus)^ ut curarent consules^ tie res publica acdperet
detrimentum] Cat. 29, 2 'senatus decrevit, darent operam consules, ne
quid res publica detrimenti caperet*. * curare* in dieser Formel aucb
z. B. bei Cic. ad fam. XVI 11, 3.
10 praesidia stbi cuiusqus generis parare] sallustianiscb; vgl. Cat.
31,4 ^praesidia parabantur*\ Cat. 24, 3; 28,4; 40,6 ^cuiusqu^ ge-
neris\
11 duces idaneos] Hist. 1 77, 8 ^idoneum ducenC'^ IQ 98b ^duces i\
12 *n quis] lug. 25, 4; 28, 4 u. ö.
13 vetante Sertorio colloquia c,p. — traditur] Deckt sieb mit hist.
I 91 *cuius ad versa voluntate coJloquio militibus permisso corruptio
facta paucorum et exercitus Sullae datus esf.
16 nudatus auxUio] Vgl. lug. 88, 4 ^praesidiis nudatum'.
20 benificium — revocaret] Die Schreibung 'benificium' aucb lug.
31, 28; 104, 5 u. ö.; vgl. Archiv XI 248. Vevocare' = Vescindere'
z. B. bei TertuUian (Oehler U p. CXCIU).
21 adversae partes essent amputatae] Nach Maurenbrecher p. 38 aus
Sallust genommen. (?) Vgl. Tac. hist. U 69.
22 omnia quae imperarentur sine recusaiione promittent^s esse facfu-
ros] lug. 46, 5 ^amnia quae imperarentur facere^; 111,3 ^ omnia se
facturum promittif] hist. U 87 b, 1 'iussa facturos promittebanf. Über '
die Nachahmungen der Stelle vgl. Landgraf, Berl. philol. Wochenschr.
1901 Sp. 253; über die (bereits klassische) Ellipse des Subjektsakku-
sativs Lebreton, Etudes sur la langue et la granmiaire de Ciceron,
Paris 1901 p. 376 ff. ^svne recusatione^ schoii Cic. Cat. HI 15; PhiL
vni3.
24 firmissimus XL cohartium comportaretur exercitus] Über 'firmus'
von einer Truppe vgl. Wölfflin zu bell. Afr. 45, 5 p. 76. Über die
Ausdehnung von 'portare' und seinen Compositis in der vulgären und
späteren Latinität s. z. B. Dederich zu Dict. Cret. p. XLIV; Pirson,
La langue des inscriptions lat. de la (Tatdc p. 292 f.
Die Epitome des lulius Exuperantias. 577
Cap. 8 Z. 1 ifUer haec] Erst seit Livius. Von Späteren z. B.
bei Amm. Marc. XX 8, 20; XXH 7, 3. Sulp. Sev. chron. U 36, 6. Vgl.
Landgraf, Jahrbb. f. Philol. 1882 S. 421. Tacitus bevorzugt Hnter
quae (Nipperdey zu ann. I 12, 8).
3 promptissimis factis] Vgl. Cat. 32, 2 ^promptam audaciam';
bist. II 91 'belli prompiissimos\ Lieblingswort des Tacitus.
4 cui nisi (paritery ohviam iretur] Das bei Donatus zu Ter. Eun.
I 2, 22 erhaltene Historienfragment (I 92) dient in trefflicher Weise
zur Ergänzung unserer Stelle ('pariter' = *similiter ut ipse Sulla';
vgl. Dietsch z. St., fragm. I 58), wie umgekehrt unsere Stelle jenes
Fragment vervollständigt.
5 debellatum foret] Die Verbindung des Part. Perf. 'debellatus'
mit 'fore' und besonders mit 'foret' scheint dem historischen Stile als
feste Formel seit Livius anzugehören; vgl. XXTTT 13, 6 ^debellatum
mox fore rebantur, si'; XXX 1, 12 'donec debellatum in Africa faref;
XXXIV 43, 3 'quoniam in Macedonia debeUatum foret\ Besonders
häufig im Bedingungssatze nach dem sallustianischen Muster lug. 21, 2
'et ni multitudo — fuisset, — uno die — coeptum aique patratum
bellum foret\ nachgeahmt von Tac. ann. XII 16 'ac ni proelium nox
diremisset, coepta pairataque expugnatio eundem intra diem foret\ An
anderen Stellen sagt Tacitus dafür 'debellatum foret'; vgl. Agr. 26
^debellatum illa victoria f<yref\ bist. V 18 ^debellatum eo die foret\
bist. III 19 und ann. XII 38 'quasi debellatum forH'\ Flor. I 40, 11
'et debellatum foretj nisi'. Zur Stütze des mehrfach in 'fore' abge-
änderten 'foret' verweist Kunze auf Kühner, Ausf. Granmi. II S. 1027
Anm. 1; Madvig zu Cic. de fin. HI 50; Heine zu Cic. de off. I 158;
Kraner zu Caes. bell. civ. m 73, 6; Nipperdey zu Com. Nep. Them.
7 Ende.
6 verborum pondere^ Vgl. Cic. Ligar. 21 'verborum pondm\ Alcim.
Avit. carm. I 14 'librantis pondere vcrbi\
7 ut aemulum — remaverent^ Nach Maurenbrecher p. 39 sallu-
stianisch. Vgl. Heges. I 21 extr. ^ut a^nulum potentiae quam maxime
excluderet'.
9 idoneum — ducem^ Vgl. zu cap. 7 Z. 11.
10 res — componerei] lug. 43, 5 Webus paratis compositisque* .
Sulp. Sev. chron. I 51, 1 Webus — compositis\
11 strenue] lug. 22, 3 'bene atque strenue\
13 müdeste tuendo atque blandkndo — cartis esset^ Deckt sich mit
bist. I 94 ^modkoqne et eleganti (so Maurenbrecher, 'diligenti' Dietsch,
'clementi' Roth, 'blande' oder 'gentili' Landgraf, Blätter f. d. Gymn.-
Schulw. XXXI [1895] S. 135) imperio percarus fuit\
16 perdüis rebus] Hist. III 84 Webtis perdUis\
17 Optimum consilium credens] Vgl. Cat. 32, 1 ^ aptumum factu
credens^.
18 nudaius] Vgl. zu cap. 7 Z. 16.
supplicm — penderet^ Vgl. Buenemann zu Lact. inst. VII 14, 3
und zum Plural Amm. Marc. XVII 10, 9 'luenda sibi — supplma\
20 hostcm se — professus esi\ Vgl. zu cap. 2 Z. 11.
578 G. Landgraf — C.Weyman: DieEpitome d. lul. Exuperantins.
21 ad quem expugnandum] Vgl. zu ^expugnare' mit dem Akkusativ
der Person Nipperdey zu Com. Nep. Ages. 5,4; Weifsenbom zu Liv.
XXV 28, 7 und bes. Ps.-Quintil. declam. min. 337 p. 328, 2 R. 'exer-
citus me expugnavit, sicut urbem hostis'; Commod. carm. apol. 975 D.
'expugnant gentes, civitates quoque deponunt*.
22 assiduis piigniß] Vgl. bist. 111 ^assiduis bellis\
23 qiii tarnen dif fidle vinccretur, nisi — in convivio — esset ocd-
sus^ Über den Conj. Imperf. an Stelle des Conj. Plusquamperf. s.
H. Blase an verschiedenen Stellen seiner Geschieht« des Irrealis, Erl.
1888; Petschenig, Corippus p. 236; zu 'in convivio' vgl. bist. III 83;
Liv. perioch. 96.
25 factis in Pyreneo tropheis^ = bist. III 89 'de victis Hispanis
tropaea in Fyrenaei ingis constituif.
Gustav Landgraf. München. Carl Weyman.
Ab und Oaitho.
Im Thesaurus linde ich nicht den lat. etrusk. Zunamen Äh, der
C. L L. XI 2038 = C. L E. 4279
H
A . CAITO AB
auf einem schon zu Lanzis Zeit verlorenen operculum ossuarii aus
Perusia vorkam; Lanzi erhielt die Abschrift von Galassi. Niemand
wird zweifeln, dafs darin eine Abkürzung steckt, und man kann unter
anderem an C. I. E. 4476 Äberra denken, ebenfalls ein lat. etrusk.
Zuname, welcher auf einem operc. oss. aus Perusia zu lesen war.
Mir dünkt es doch immer (vgl. Iscr. paleol. 76) wahrscheinlicher,
Ab(er) für Hab(er) = Faher zu ergänzen, da derselbe Galassi auf
einem anderen, gleichfalls schon zu Lanzis Zeit vermifsten operc. oss.
C. L L. XI 2037 = C. L E. 4278
A . OAITHO . C . F . FABUR
las. Auch scheint mir immer ähnlich der Fall von C. I. L. XIV 4104
ntos ret neben fata ret in der Inschrift eines praenestinischen (also
wohl etruskisierenden) Spiegels. — Was Caitho betriflft, so ist bis
jetzt meines Wissens kein gleichlautender etrusk. Personenname be-
kannt geworden, da Garn. 663 Jcuizti lateinischem Caeso entspricht, und
statt Fab. 1899 caizna hat man jetzt C. I. E. 3326 capzna. Ich ge-
statte mir also, an Fab. 2610 bis M^niia-std und an die Parallel-
stelle der Agramer Munimienbinden X 8 sul scvetu cadnis zusammen
mit daselbst VII 10 caitim -f , VI 15 caiica ceid^im und mit dem so-
eben in ganz dunkler Umgebung erschienenen C. I. E. 4662 caiM zu
erinnern.
Mailand. Elia Lattes.
Miscelleii.
ABASO.
Carbonem, ut ainnt, pro thesauro inuenerunt.
Es ist nicht jedem gegeben, sich im Wust der Glossen auszu-
kennen, und so wird man den Herren Vollmer und Thumeysen ver-
zeihen dürfen, dafs sie an die Realität des Glossenworts abaso geglaubt
xmd einen Artikel in den Thesaurus gestiftet haben; konnte ja doch
selbst Götz mit dem unsinnigen Schreibfehler nicht fertig werden.
Denn kurz und gut: abaso ist nur verschrieben fCLr agaso.
Beweis:
Das Lemma agaso (verschrieben agarso IV 472. 36 agaron lY
204, 50. 490,35. 306,41, agosson V 339, 18, agapo V 342, 16,
agabo V 344, 40) findet in den Glossen mancherlei Erklärung u. z.
I. Pferdeknecht, Bereiter, Fuhrmann. Vgl. 11 11, 15 dov-
Xog KTTiveiog, 11 332, 62 t%no%6^g, IV 13, 37 equisone, V 263, 43
qui uinum portant uel triticum ad uecturas, V 583, 7 custodes equo-
nmi, quos rustici marscalcos uocant. Wie nun aber mariskalko in
Marschall und comes stabuli in Connetable, wie caballarius in Cheva-
lier Hofwürden bezeichneten, so ist auch agaso
n. Hofbeamter: minister, officialis V 520, 5. 591, 31. 339, 18.
IV 204, 49. 306, 41 oder Hofbediensteter: domesticus IV 13, 12.
204, 38. 306, 42. V 263, 38*), der in einem Falle ausdrücklich als
Kourier bezeichnet wird, nämlich H 565, 34 agaso: fdomatio et
9
tractoria. Zu emendieren ist domestic cü tractoria, d. h. „ein Hof-
bediensteter mit einer Legitimationskarte*^, dem die parochi auf kaiser-
lichen Befehl Pferde und Unterhalt zu geben hatten. Cod. lust. XII
51, 22. Da nun solche Beamte fremder Leute Geschäfte führen, so
heilst agaso
UI. Geschäftsführer, Mandatar. Es mufs nämlich einmal
eine Glosse gegeben haben agaso: qui negotia aliena procura t. Wie
daraus durch *procurrit imd *praecurrit zuerst q. n. a. praecedit
V 344, 46. 591, 30 und dann q. n. a. anteambulat IV 204, 50. V
342, 16 wurde, hat Landgraf im Arch. IX 3. Heft hübsch ausgeführt.
Ein recht tüchtig geschulter Glossator setzte dem Ganzen die Krone
auf V 490, 35: qui ante negotia aliena ambulat. Requiescat in pace.
*) Vgl. IV 333. 39 domesticuo agaso, clieno vel proximus [lictor].
580 Eb. Nestle — J. M. Stowasser:
Zu diesen Bedeutungen kann ich noch fügen IV. Knecht, V. Ge-
folgsmann, freilich nicht direkt, sondern auf einem Umwege.
Im Glossar ab absens steht nämlich
IV 404, 40 adsecula agas[o],
V. 590. 70 adsuetula agaso
femer liest man
IV 474, 35 asseculeae domesticus,
IV 9, 26 adseclat domesticus = V 163, 19. 261, 26.
IV 305, 8 adsaecula domesticus familiae.
Das sind die zerrissenen Fetzen einer alten schonen Glosse, die
Scaligers Hand gerettet hat V 591, 27
adsecla, domesticus "l* familiae agaso.
Allein sie kann nicht richtig sein, denn familiae giebt keinen Sinn.
Genetiv kann es nicht sein (Hofbediensteter der Familie?), Plural
auch nicht. Nun fehlt unter den Synonymen für Knecht nur noch
famulus, dichterisch famul, oskisch und afrikanisch (vgl. mascel u. dergl.)
famel. Dann aber mufs das iae ein selbstfindiges Wort sein. Was,
das sagt die Übereinstimmung von 2 und 3. Denn 2 hat adsecul-
eae, 3 adseclat. Jenes heifst gewifs adsecla idö, dieses adsecla -i*,
d. h. beide id est. Übertragen wir diese Einsicht auf unsere Glosse,
so lesen wir wohl ohne Widerspruch:
adsecla, domesticus, famel ide agaso.
Aber diese Glosse ist verkehrt zu lesen, wie so viele. Nicht vom
^Gefolgsmann' konnte man ja sagen, dafs er in sich den Begriff von
^Hoflakai', 'Knecht', 'Pferdewärtel' vereinige, sondern die Glosse hat
nur dann Sinn, wenn man liest — dann steht auch id est am rech-
ten Orte — :
agaso id e famel, domesticus, adsecla,
d. h. Agaso bedeutet 1. Knecht, 2. Lakai, 3. Gefolgsmann. Und dafs
die Glosse thatsächlich imigekehrt zu verstehen ist und auch so ge-
schrieben war, dafiir geben den vollgültigen Beweis die Glossen mit
dem Lemma ABASO. Ein Fetzen der von mir wiederhergestellten
Glosse, nämlich die Worte
agaso «i» famel, domes[ ,
wurden zunächst zu abaso: infama domus FV 301, 6. 991, 21; andere
machten in der Verlegenheit infima V 343, 11 daraus. Die Neim-
malgescheiten erinnerten sich an Matth. VH 26 similis erit uiro stulto,
qui aedificauit domum suam super arenam, etymologisierten flinker
Hand quasi sine base (Eginhart) V 591, 32 und schrieben IV 3, 7.
201, 6. 471, 8 imd noch oft infirma, woraus der angelsächsische
Windbeutel Aelfric endlich infirmatorium („Siechenhaus") machte.
Vielleicht mochte zur Verschreibung des Lemma der Umstand bei-
tragen, dafs jemand agaso durch gleichbedeutendes übergeschriebenes
baro (Baron) glossierte; so erklärte sich am leichtesten auch abaro
V 343, 22. Das ist die Geschichte von ABASO. In der zweiten
Auflage des Thesaurus wird das Wort hoffentlich nicht mehr stehen.
Wien. J. M. Stowasser.
Miscellen. 581
Dextrator, de^toXaßog.
In seinem Vortrag über „Die Manöverkritik Kaiser Hadrians"
(Leipzig, Dieterich 1900) bespricht Geh. Regierungsrat Dr. A. Müller
ausführlich das bis jetzt nur in der dem Vortrag zu Grunde liegen-
den Inschrift gefundene Wort dextrator [Renier, Inscriptions Romai-
nes de l'Algerie n. 5-, C. I. L. VIU n. 2532 (Wilmanns); Dehner,
Hadriani reliquiae, Bonn 1883; C. Suppl. VIII 18042 (Schmidt)].
Der Kaiser wendet sich an die Reiter der Kohorte. Er behan-
delt sie mit grofsem Wohlwollen. Zunächst sagt er: Es ist schon
schwer, dafs die Reiter einer Kohorte an sich Wohlgefallen erwecken;
schwerer ist es, dafs sie nach den Übungen einer Ala nicht Mifsfallen
erregen (difficile est cohortales equites etiam per se placere, difficilius
post alarem exercitationem non displicere). Der Kaiser fährt dann
in diesem Sinne fort: alia spatia campi, alius iaculantium numerus,
frequens dextrator, Cantabricus densus, equorum forma, armorum ciiltus,
pro stipendii modo: „dort sind andere Raum Verhältnisse, eine andere
Zahl von Speerwerfern, zahlreiche Dextratoren (ich lasse zunächst das
sehr schwer zu deutende lateinische Wort stehen), dichter kantabri-
scher Angriff, besseres Aussehen der Pferde, bessere Pflege der Waffen,
entsprechend dem Solde".
In der Erörtenmg über das Wort, das „im Lateinischen sonst
nicht vorkommt", erläutert Müller zunächst dextratio (Solinus 45*))
mit Forcellini gegen Georges („Herumgehen von der Rechten zur
Linken") als „Wendung nach rechts", da man „bei kultlichen Bittgängen
nach rechts herumging" (Plaut. Cure. 1, 1, 69: si deos salutas, dextro-
vorsum censeo).
,Jst nun dextratio eine Wendung nach rechts, so dürfte
dextrator jemanden bezeichnen, der eine solche Wendung aus-
fuhrt. Da es sich aber in unserer Inschrift um Kavallerie
handelt, so bleibt es allerdings unbestimmt, ob der Reiter
oder das Pferd gemeint ist. Letzteres ist die Ansicht von
Georges, der dextrator mit ,JSchlacJiirofs** übersetzt."
Müller führt nicht an, was für diese Ansicht spricht, dafs im
Spätlateinischen dextrarii, dextrales, destrales (s. Du Gange) equi
maiores et cataphracti bedeuten, quibus utebantur potissimum in bellis
et praeliis. Noch französisch destrier, Vieux mot, qui signifiait Che-
val de main, de bataille. H etait oppose a PeUefrai, qui se disait
d'Un cheval de ceremonie (Dictionnaire de TAcademie fran^aise ^- ' ).
Im Unterschied davon findet Müller die Erklärung in einer der
von Arrian (Tact. 36 f.) beschriebenen, von Hadrian neu eingeführten
Kavallerieübungen. Die Schwierigkeit der Übung, auf welche An-ian
ausdrücklich aufmerksam macht,, bestand für die Reiter darin, dafs sie
sich im Sattel ganz nach rechtshin drehen mufsten, um einerseits zu
werfen, andrerseits sich mit dem Schilde gegen die Würfe der
*) lovem toma dextratione lustravit.
582 Eb. Neatle — Ferd. Sommer.
anderen Partei zu decken. Das Nähere sehe man bei Müller selbst,
S. 45 — 47.
In einer Anzeige der Müllerschen Schrift beanstandet J. Kromayer
(Deutsche Litteraturzeitung 1901, Nr. 28, Sp. 1760) diese Erklärung
und sagt:
„Den dextrator kann man wohl nicht gut mit Arrian
Tact. 36 zusammenbringen, weil alle Leute die dort be-
schriebene Übung machen. Er gehört wohl mit der Übung
(Arrian Kap. 42) zusammen, in welcher der Speer im Augen-
blick geschleudert werden muTs, wo der Reiter das Pferd
nach rechts herumwirft."
Der Unterzeichnete hat über diese Frage kein Urteil, da ihm
seit seinen Studententagen alle Übung in der edlen Reitkunst abhan-
den gekommen und militärische Taktik noch fremder ist; aber auf
ein griechisches, allerdings gleichfalls völlig dunkles Wort möchte er
aufmerksam machen, von dem dieses dextrator vielleicht einiges Licht
erhält.
In der Apostelgeschichte ruft der Chiliarch (Tribunus) von Jeru-
salem 2 Centurionen zu sich und befiehlt (ich citiere zunächst den
Text der Vulgata):
Parate milites ducentos ut eant usque Caesaream et equi-
tcs septuaginta et Imicearios ducentos a tertia hora noctis.
Das griechische Wort, das von Hieronymus und schon von der
altlateinischen Übersetzung durch lancearios wiedergegeben ist, heifst
im Griechischen de^ioXdßovg, Blass bemerkt dazu in seiner „editio
philologica" der Acta (Gottingae 1895):
de^ioXcißoi nusquam commemorantur praeterquam a lohanne
Lydo (saec. VI, ap. Constant. Porphyrog. de thematibus 1, 1)
et a Theophylacto Simocatte (IV 1, saec. VII), apud quos sunt
genus peditum levis armaturae, dist. a peltastis et saggitta-
riis. Nomen ipsum obscurissimum, quod Suidas (it. schol.
Matth.) explicat per 7taQC(q)vXccKsg (stipatüres copt, syr^), sed
plerique vcrtunt lancearii vel sim. (lat. interpr., syr***, sahid).
In Flor, simpliciter pedUes positum est.
Ich weifs dem nichts hinzuzuftlgcn als die Frage: Könnte das
verbum obscurissimum ds^ioXccßog nicht Übersetzung von dextrator,
oder umgekehrt dextrator Wiedergabe von ÖB^ioXdßog sein? Neben
dextrator sollte das griechische Wort jedenfalls im Thesaurus genannt
werden. Aber was bedeutet es?
Maulbronn. Eb. Nestle.
Bidnom und triduom.
Den zahlreichen Komposita mit bi- und tri- im ersten Gliede
ffegenüher (Ui-dens, tri-detis u. s. w.) zeichnen sich Inducm und triduom
Miscellen. 583
durch auffallende Länge des i aus (vgl. für bUluoni Ter. Eun. 181 f.,
für trlduoni Plaut. Bacch. 461, Truc. 337 u. s. w.). Eine befriedigende
Erklärung ist meines Wissens bisher nicht gefunden. Etwa eine An-
lehnung an pridie, posirtdie anzunehmen, widerrät die Thatsache, dafs
letztere Formen nur im adverbiell erstarrten Abi. bezw. Lokativ auf-
treten, während Induom und trtduom, auch bezüglich des Stanmies im
zweiten Gliede verschieden (duom aus unbetontem *divom = altind.
divam „Tag"), von Anfang an als vollkonunen durchflektierte neutrale
Substantiva erscheinen. Eine Beeinflussung von hiduam und tnduom
durch Bildungen wie pridie ist also nicht recht glaublich.*) Ebenso
wenig wahrscheinlich wäre eine Vermutung, dafs in trlduam der alte
indogerm. Nom. pl. neutr. *tn [altind. tri (Veda)] stecke imd eine
pluralische Zusammenrückung *fri divä „drei Tage" als Kollektiv-
begriff zu *tri'divom singularisiert worden sei, wonach blduatn als
Analogiebildung. Das würde uns zwingen, die Schöpfung des Kom-
positums in eine ganz frühe Epoche zu verlegen, da bereits im Ur-
italischen das neutrale *tri durch die Neubildung *triä (lat. tria^
umbr. triia) verdrängt worden ist, und dazu haben wir, glaube ich,
kein Recht. Jedenfalls hat eine Deutung, welche nicht so weit
zurückzugehen braucht, wohl von vornherein mehr Anspruch auf Glaub-
würdigkeit, und vielleicht finden wir sie auf folgendem Wege:
ierruncius aus *triS'Uncios (Bücheier Rhein. Mus. 46, 237) lehrt
uns, dafs neben dem blofsen Stamm *tri- auch das Zahladverb *<m,
später t4ir(r) (Skutsch, Bezzenb. Beitr. 23, 100 ff.), im Lateinischen als erstes
Kompositionsglied verwendbar war, und es steht so nichts im Wege,
Jnduom auf *düiS'divoni und entsprechend trlduom auf *iriS'divom
zurückzuführen. Vor d mufste s mit Ersatzdehnung schwinden, wie
in didüco aus ^dis-d- u. s. w. Triduom wäre dann insofern besonders
interessant, als das * des alten, durch lautliche Vorgänge zu ter(r)
gewordenen *tris hier noch auf lateinischem Boden nachweisbar wäre.
Diese Erklärung bleibt so lange etwas lückenhaft, als wir nicht
zeigen können, auf welche Weise das Zahladverb in tnduom und hl-
duom zimi ersten Kompositionsglied geworden ist. Die Sache liegt
hier m. E. ziemlich klar: Nimmt man eine Wendimg wie Cato agr.
112, 3: uhi tnduom praet^rierity so ist das, in eine etwas ältere
Sprachperiode zurückübersetzt, weiter nichts als *ubci tris divom p.
„wenn dreimal ein Tag vergangen ist'^ Ähnlich etwa Ter. Eun. 636 f.:
biduom hie manendumst soli = *dvis divom h, m. s. „soll zweimal
einen Tag allein hier bleiben" u. s. w. Das als zusammengehörig
empfundene *tns divom, *dvis divom vereinigte sich dann ganz zum
Kompositum, das s schwand mit Ersatzdehnung, und damit war der
Ursprung der Bildung verdunkelt. Es ist daher ganz ausgeschlossen,
dafs in historischer Zeit, etwa in den oben citierten Beispielen, die
Art der alten Zusammensetzung noch irgendwie fühlbar gewesen
*) Eher konnte der umgekehrte Fall eintreten, und so findet sich ver-
einzeltes postriduö für postrldie Plaut. Mil. 1082 mit analogischer Um-
formung des /.weiten Bestandteiles; davon abgeleitet postriduani dies (vgl.
Macrob. Sat. 1 15, 22).
584 Ferd. Sommer — A. Zimmermann:
sei; hlduom und tnduom müssen vielmehr schon damals als voll-
kommen einheitliche Wörter gegolten haben, und das wird durch be-
reits plautinische Wendungen wie in hoc friduOy die nur aus einer
solchen Auffassung heraus verstanden werden können, bestätigt.
Nach hlduom und tnduom ist qiMdrtduom analogisch gebildet.
Leipzig. Ferdinand Sommer.
Zur Bildung der lat. Personennamen.
a) Reduplikation.
Nach Kretschmer E. 356 y^t nicht nur bei den Hellenen, son-
dern auch bei den übrigen idg. Völkern die Sitte nachweisbar, Lall-
wörter (Kinderwörter) als Personennamen zu verwenden"; so nach ihm
bei den Italikem: Acca, Atta, Appius, Tatius. Ich habe in „Spuren
indogermanischer Namengebung im Latein'' cf. B. B. 23, 257 und
264 ff. noch mehr solcher Kinderwörter, die zur Bezeichnung von
Personennamen gedient haben, fürs Latein nachgewiesen. Eine Eigen-
tümlichkeit der Kindersprache ist nun — wie Wölfflin, Zeitschr. f.
dtsch. Wortf. I, p. 263 gezeigt hat — das Reduplizieren. Auch im
Latein zeigt sich dies, wie tata, mamma, päpa etc. beweisen. Ein
hübsches Beispiel bietet C. L L. XIII 672 „Axula Cintugeni fifilia.
Da werden denn auch die Personennamen solche Reduplizierungen
bieten. Aufser den bekannten, wie Marmar neben Mars, Perpema
neben Pema — C. I. L. XI 2377 — , Tintinius neben Tinius — mit
gebrochener Reduplikation Tint-irius C. I. L. VIII 17903 — , Cin-
cinna-tus neben Cinna (mit gebrochener Reduplikation hierher Cin-
cius?), sind mir noch aufgestofsen : Mama z. B. Arria Mama Eph. ep.
II 419 neben Ma z. B. Orbia Ma C. I. L. VI 2356 — mit gebrochener
Reduplikation Amma z. B. Aur. Anmia C. I. L. XI 705 — , Vivibius
C. I. L. m 4224 neben Vibius, Susulla C. I. L. II (2984) neben Sulla,
Tytyche C. I. L. VI 9506 neben Tyche z. B. Flavia Tyche C. I. L.
Vin 12641.
b) Naraenverkürzung (Bildung von Kurzformen).
Die urspr. zweistimmigen Namen (Vollformen) konunen auch in
verk(irzter Form vor, und zwar fällt dann meist der eine von beiden
Stämmen ganz, während der andere bleibt. Als solche verkürzte
Namen sind wohl so manche lat. Gentilia aufzufassen — vgl. z. B.
Cassius neben Kd<sa-cevdQog, kelt. Cassi-mara C. I. L. V 6118, dtsch.
Hassomar, oder Piterniae Primigeniae C. I. L. VI 18652 neben Opi-
temius Liv. 39 c. 17; denn in dem abgefallenen 0 stockt der Stamm
von avos ^Grofsvater'. Nachtragen zu meinen B. B. Bd. 23 und 25
gebrachten Beispielen dieser Art von Verkürzung möchte ich noch 2
aus dem C. I. L. VI, da es sich hier um entlehnte Namen handelt,
die aufserdera noch Gelegenheit zur Volksetymologie bieten. Denn
wenn C. I. L. VI 23066 von 2 Familiengliedem das eine L. Nostius
Miflcellen. 585
L. 1. PhilotnusuSj das andere Nostia L. 1. Musa heifst, hier also dicht
bei einander Vollform und Koseform sich finden, dann können wir
auch C. I. L. VI 16771% wo eine Person P. Decimius Philomusus Mus
heifst, Mus(us) als Kurzform zu Philomusus auffassen, welche Kurz-
form dann durch Volksetymologie zu 1. mus gezogen wurde.
Dafs es aber auch Verkürzungen einstämmiger Namen giebt,
habe ich Wochenschr. f. kl. Phil. 1901 n. 37 p. 1022 gezeigt — Tul-
lus neben Titullus, Stus, Restus, Restitus, Restutus neben Restitutus
und Stutinus neben Restutinus — .
c) Die griechische Femininendung -is bei lat. Personen-
namen.
Das Griechische hat bei seiner grofsen Verbreitung im römischen
Reiche auch auf die Endungen der röm. Personennamen Einflufs aus-
geübt. Besonders häufig ist e im nom. sg. fem. filr a eingetreten.
Ich erwähne beispielsweise hier nur lulia Quintiane C. I. L. XIV 1912f
und lulia R^giniane C. I. L. VI 20653. Aber auch eine andere
griechische Femininendung, „-is", z. B. in OvXUgy ^Av&Cg^ MvQxCg^ er-
scheint zuweilen in Personennamen lat. Ursprungs, aber soviel ich
sehe, nie beim Gentile, sondern nur am Cognomen — mir ist auch
kein e für a bis jetzt beim Gentile aufgestofsen — ; waren ja doch
die griechischen Namen urspr. nur möglich beim Cognomen, da Skla-
ven imd Freigelassene stets das Gentile ihres Herrn bezw. Patrons
führten. Von solchen Namen auf -is für a bezw. ia kann ich fol-
gende anführen: Vicelliae Anchari C. I. L. V (P) 554 = Anchariae;
Marcia Montanis C.J. L. VI 22145 = Montana; Viriaria Nonis CLL. VIII
7838 cf. Carisia Nona C. L L. H 2592; Satura Paganis C. L L. VIII
5458 = Pagana; Nunia Plenis C. L L. VI 23163 cf. Plenia C. L L. V
(P) 1172; ... minia A. f. Plotecis C. I. L. XU 5059 cf. Marta Plo-
tica C. I. L. 1 981 ; Naevia Pontis C. I. L. VI7732 = Pontia; Seiae Sapidi
C. L L. VI 26023 neben Sapia Paulina C. L L. Vm 14607; Sergis
C. L L. X 7775t = Sergia; Süvis C. L L. VI 24998 = Süvia; Robüiae
Stattini C. L L. IX 1303 für Statiae cf. Stattius C. L L. VI 2753;
Vipsania Surüs C. L L. VI 5019 = Suria; Furiae Tadis C. L L. VI
18818 = Tadiae; Caeciliae Tampyridi C. L L. XIV 723 cf. XIV 4091 (6)
C. Tappuri, also für Tappuriae; D. M. Tatini C. L L. Xm 868 und
Licinia Tatis C. I. L. X 2368 = Tatiae bezw. Tatia; Caecilia Trabis
C. L L. VI 24025 = Traia?, cf. Traius C. L L. JX 1529; Epinia Trebis
C. L L. V 4024 = Trebia; Tun Barbarutae f(iüae) C. I. L. V 5033
= Turiae?; Venuleia Vindis C. L L. VI 28510 cf. Vindia Restuta
C. L L. JX 5412.
d) Die Endung ucus.
Die Endung -ucus (a), die, wenn auch selten, lat. Appellativa auf-
weisen — vgl. caducus, manducus, albucus — , ist auch den römischen
Personennamen nicht fremd. Zwar Caducus findet sich da nicht, aber
schon manducus zeigt sich, cf. C. I. L. VIII 16547 Ti. Claudius Man-
duccus mit der bei Eigennamen beliebten Konsonantenverdoppelung.
586 A. Zimmermann:
Hierher gehört auch Aurel. Masucius^ cf. Paul. Fest Th. d. P. p. 113
masuciuni, „edacem" a mandendo scilicet. Ebenso scheint mir das
n. g. Pcducaeus einem peducus seinen Ursprung zu verdanken. Pe-
dere: pedücus == cadere: cadücus.*) Der urwüchsigen Art der Römer
ist eine derartige Benennung schon zuzutrauen. Offenbar leiten doch
auch TtiQÖi^^ 1. perdix, UeQÖUxag sich von TtiqÖEiv her, und in imserm
Rebhuhn dient der erste Teil des Wortes nur dem Zwecke der Laut-
malerei; mit der Rebe hat das Wort m. E. nichts zu thun. Ebenso
aber wie es albucus, sabücus (sabüceus), Verruca, erüca, urüca gab, so
auch dem entsprechende Personennamen cf. Albücius Hör. s. II 1, 48
etc.; C. Sabucio Maiori C. I. L. VI 1509; Q. Verrucius C. I. L. II 828;
Q. Uruci Capitonis C. I. L. H 716; Sex. Enici Clari C. I. L. XV 7446
— indes letzterer Name kann auch mit dem Berge Eryx in Beziehung
stehen — . So bildete sich nun allmählich ein Gentilsuffix -ucius (a)
heraus, zumal da auch aus dem Verein der Stammsilbe mit der
Gentilendung -ucius sich ergeben konnte, cf. n. g. Mücius (a), C. I. L.
V 7897 L. Sucius, VTII 4991 C. Fuccius; man bildete dann eben
nach Analogie von Albius Albücius, Sabius Sabucius, Verrius Verru-
cius weiter. Auch im Keltischen ward -ucus verwendet, vgl. matucus
FickWb. n* 250 und den Völkemamen der Aduatuci; ^vir können
darum im einzelnen nicht inmier wissen, ob ein urspr. gallischer oder
römischer Name vorliegt. So werden wir schon wegen der unlatei-
nischen Endung bei Suaducconi matri C. I. L. XII 3602 und bei Bottia
Saxami f. Suaducia wegen des Ursprungs der Inschrift — C. I. L. HI
4864 — auf keltischen Ursprung schliefsen, zumal da es zum lat.
suad-ere eine keltische Parallele svad „verlangen" giebt, cf. FickWb.
II'* 321. Sonst sind mir bekannt von hierher gehörigen Personen-
namen: Abuc(c)ius (a), Anucia, Asucii C. I. L. XII 5679, At(t)ucius (a).
Beilud C. I. L. Vn 1331 (22), Bülucidius (a) cf. C. I. L. IX 3521, Bi-
tucius cf. C. I. L. Xn 4178, neben Bituca(us) cf. C. I. L. XH 3114 und
VII 66 — vgl. noch kelt. bitus „Welt" FickWb. II* 165 — , Bonu-
cius C. I. L. XU 76, Botuca C. I. L. III 4915 — offenbar keltisch — ,
Cabuca C. I. L. XII 5686, 53 wohl keltisch, Callucia C. I. L. VIU
18963, Caruca C. I. L. VII 1336 (247), Casncius, Oesia Conducia
C. I. L. XU 4717 neben Condi m(anu) C. I. L. VU 1336 (341), Oon-
tuccius C. I. L. VI 555 neben Contius V 6207, Ebucius(a) C. I. L.
XUI 727 Umlautsform zu Abucius, Elucius C. I. L. VIII 14336 Um-
lautsforin mit Weiterbildung aus Allius, Fabucia C. I. L. VIU 7771
neben Fabia, Farucia C. I. L. II 1067 neben Faria, Fillucius episco-
pus neben Fillius C. I. L. X 4906, Genucius(a), Litucca C. I. L. V
7287 und Lituccia XII 2736 cf. Litaviccus keltisch FickWb. II* 248,
Mannucius episcopus a. 484 p. C, Messucius cf. oben Masucius, Motu-
cius Bramb. n. 809 neben Motuca Bramb. 912 und Motucus C. I. L.
XIII 2269, Parucius C. I. L. XII 3712 neben Parius z. B. IX 2553,
Rasuco Bramb. 48, Rituca(nml.) C. I. L. XII 1714 neben Ritumara
C. I. L. III 5092, SaUuca C. I. L. V 7942, Samuco (mul.) C. I. L. III
*) Bringt doch auch Brugmann püdicare mit pedere zusammen.
Miscellen. 587
4971, dazu Sanucomius III 5056; Sanucius C. I. L. V 7227, Sunucus
C. I. L. V 5626 und Senucus C. I. L. HI 4893 gehören wohl alle zu
kelt. sen „alt"; Tatuca(us) nur C. I. L. III und bei Brambach, also
wohl keltisch; Tinuciu8(a) n. g. und Titucius(a) n. g.; Tretucio Maturi
(Nominativ!) C. I. L. UI 4784 neben Tretius C. I. L. V 7803.
e) Durch Mifsverständnis an den Namen antretendes s.
Schreibungen wie Caiu Spontins C. I. L. VI 24718 = Caius Pon-
tius, Trebellio Scrispino C. I. L. VI 27581, Asteris Sperata C. I. L.
VI 25599 für Asteri etc. lassen es erklärlich erscheinen, dafs dieses
s sich auch manchmal an der falschen Stelle festsetzt und da so
gewissermafsen Bürgerrecht erlangt. Ist z. B. C. I. L. VI 2375c s
Scalvinus nur noch als Verschreibung aufzufassen? Und wie steht es
mit ex hortis Scatonianis C. I. L. VI 6281? Sollten nicht etwa Scato
— z. B. C. I. L. I 1136 etc. — , Scatia C. I. L. VIH 19626, Scatienus
C. I. L. X 8397^,34, Scatinia Varro 1. 1. VIU § 73 aus Cato, Catia,
Catienus, Catinia entstanden sein? Sollte im Cognomen der lulia Stersita
C. I. L. Vin 6504 derselbe Name stecken wie im Cognomen des Q.
Ummidius Tersita (^SsgaCxrig) C. I. L. XU 5250 add.? Auch andere Wörter
auf a, so z. B. Alba, bezeichnen beide Geschlechter.
f) Antritt einer bequemeren Endung an den Namenstamm.
Secus, das, nach seinem Gebrauche für Secundus zu schliefsen —
vgl. das nicht seltene secus heres — , ein altes particip. praesentis dar-
stellt und wohl für urspr. Secuns steht, ist wie Secundus auch als
Cognomen gebraucht worden; das us wurde nun aber mifsverständlich
als die bekannte Nominativendung der 2. Deklination angesehen —
vgl. L. Ceium Secum C. I. L. FV 737 etc. — und dem entsprechend
auch ein Fem. Sec(c)a gebildet, cf. C. I. L. V 5865 Fabiae C. f. Sec-
cae. Sequens kommt nun auch als Cogn. vor, so z. B. C. I. L. XII 1514,
IX 4810 — hier sogar als Femininum „Cloelia Sequens" — ; Secues
Bramb. 1742 konmit dem Secus schon ziemlich nahe. Secun^lla
C. I. L. VIII 2439, wenn es nicht für häufiges Secundilla verschrieben
ist, und Seconti (Genetiv) C. I. L. II 5828, wenn es nicht keltisch ist,
würden noch das nt des Particips aufweisen. Ähnlich verhält es sich
mit Praesta — C. I. L. XII 4907 „Greceiae P. 1. Praestae" — und
Praegna cf. C. I. L. VIU 16984 Pregna Silecis f., neugebildeten femi-
ninis für praesta(n)s, praegna(n)s. Ist in der vita Clodii Albini 7, 5
Pescenni?/s Princus nicht als Pescennius Princeps aufzufassen?
Sprach man etwa vulgär schon prince(s)s für princeps, wie isse für
ipse? Wenn SavMag osk. Santia lautet — v. Planta II n. 168 — ,
wenn SccvMmii C. I. L. XII 203 Santippe, VI 9800 Äanctipe heifst,
wenn.n. g. Scantius, wie ich glaube, gleich Savd'iog ist, sollte dann
der Name des alten Grammatikers Santra nicht auch hierher fallen?
Möglich, dais der ^av^o^Qi^ Menelaus infolge des Dissimilatious-
gesetzes auch ^dvd'Qi^ gelautet hat und, mit Veränderung der unbe-
kannten Endung in eine bekannte, zu Santra latinisiert worden ist.
Breslau. A. Zimmermann.
Litteratur 1900. 1901. 190f>.
Gonzalez Lodge: liozioon FlantmiuiL Vol. I fasc. 1: a — alius.
Ups- Teubn- II««). 96 ppg. Lex.-C»kt.
Wenn auch diese fleifsige Arbeit dem Thesaurus ling. lat. kaum
Nutzen bringen kann, weil wir Wreits das vollständige, auf einem
von Leo abkorrigierten und adnotierten Texte l»eruhende Zett^lmate-
rial liesitzen. so hat doch das Publikum das Re^-bt, ein Lexic4)n Plau-
tin um zu iTiünschen: denn daüs das von Waltzine nicht alle Wönsche
befriedigt, ist im Arck XII 134 — 1Ö8 auseinandergesetzt. Dafs nun
der HeraasgeWr die Lesarten s&mt lieber Handschriften angiebt, wäre
am Ende weniger anzufechten, obschon manches erspart werden
könnte: dafs aber sämtliche Lesarten von RitschL Ussing, Götz,. Scholl
mitgeteilt werden, ist doch mehr als Luxus. Der' Verl hat selbst
eingesehen, dafs vieles überflüssig, vieles verft-hlt ist, allein er nioclite
von seinem Prinzipe der Vollständigkeit nicht abgehen. In dieser
Hini»icht wird man eben wünschen müssen, dafs der Lexikograph
selbst Kritiker und Herr der Kritik sei, um ein eigenes Urteil ab-
gel>en zu können. — Was die Anordnung des reichen Stoffes betrifit,
so hat Verf. zu viele Unterabteilungen lieber vermieden und es vor-
gezogen, denselben in grofseren Gruppen zusammenzufassen.
Car. Lessing: ScTiptomm histonae Angnatae lexioon. Fase 4.
pg. 241—320. Lips. 1901. Lex.-8**.
Da die vorliegende Lieferung mit limitaneus schliefst, so lälst
sich leicht berechnen, dafs der Umfang des ganzen Werkes acht Liefe-
rungen a 5 Bogen kaum erreichen, jedenfalls nicht übersteigen wird.
Bei der Verzichtleistung auf den Abdruck samtlicher Stellen ist der
Herausgelier darauf angewiesen, mit gesundem Takte das praktisch
oder wissenschaftlich Bedeutende auszuwählen. Wir glauben jedoch
versichern zu können, dafs allen billigen Wünschen Rechnung getragen
ist. Wirft man einen Blick auf die Artikel idem, ille, ipse, is, iste,
so gewinnt man auch einen Einblick in die Verheerungen des Spät-
lateins , welches die klassische GregenübersteUung von hie — ille um
neue Variationen wie ipse . . ille, iste . . ille bereichert Freilich mufs
der Benutzer auch eigene geistige Arbeit aufwenden, insofern als das
sprachliche Material wohl nach festen Kubrikt'n gegliedert ist, die Be-
deutung derselben aber nicht mit breiten Worten erklärt wird, sondern
aus den Beispielen selbst herausgelesen werden iiiuFs.
Litteratur. ' 589
Omera Fl. Long: Of the usage of quotiens and quotienscun-
que in different periods of Latin. Dokt.-Diss. Baltimore 1901.
48pgg. 8«.
Nachdem wir bereits Arch. XI 395 ff. den Hauptinhalt der uns
im Mskr. vorgelegten Abhandlung mitgeteilt haben, können wir uns
auf die Notiz beschränken, dafs dieselbe nunmehr im Drucke erschie-
nen ist. Das Hauptergebnis dürfte der Nachweis von quotiensque
= quotienscunque sein, wie man auch utique für uticunque, quando-
que für quandocunque gebrauchte. Die Zeit der Bildimg von quotiens
können wir nicht mehr bestinmien; doch ist glaublich, dafs man vor-
her quam saepe gesagt habe, wie wir es bei Terenz Phormio 757
noch finden. Entgangen ist dem Verf. der Beleg aus Catull 64, 100
quam tum saepe niagis fulvore expalluit auri.
Zu quotiensque hätten wir nachzutragen Hilarius psalm. 120, 17 Zing.
Sidon. Apoll, epist. 9, 15, 1 (= p. 232, 25 M.)
quotiensque verba Graia carminaverit.
Corp. inscripi latin. 11 1963. I 38.
Minton Warren: On Bome anoient and modern etymologies.
(Transact. of the Amer. Philol. Assoc. Vol. 32.)
1) pe(r)jcro und Sippe wird mit jüro auf die Weise zu ver-
binden gesucht, dafs die alte Grundform *p6r-jovesü zu *perjuesö wer-
den mufste, woraus mit Konsonantierung des u *perjv€S() und weiter
perjero. So anerkennenswert der Versuch ist, auf neuem Wege eine
Verknüpfung mit jüräre zu ermöglichen, so unannehmbar sind die
beiden letzten Etappen der Lautentwicklung, auf deren Voraussetzung
die Etymologie beruht. — 2) Sorot und frater. Die antike Ver-
einigung von sorar mit seorsum vrird durch die Nebenform sorsum^
die Erklärung von fratiir durch fere alter vermittels der anaptyktischen
Aussprache /er- für fr- und dialektischen Schwundes von l vor t ge-
rechtfertigt; das heifst doch wohl dem phonetischen Sinn der römi-
schen Granmiatiker bei Fabrikation ihrer Etymologien zu viel Ehre
anthun. {dies ater wird mit Deecke als Dialektform für d. alter gedeutet
und dies auch in triatrus etc. gesucht). 3) saltem ^ *si alitem\
letzteres gebildet wie item. Mir ebenfalls im wahrscheinlich. 4) Note
on frequenter. Das Adverb wird aus Cato verzeichnet und seine
Existenz im alten Latein aufserdem unzweifelhaft richtig aus dem
analogisch danach gebildeten Oppositum rarenter erschlossen.
Leipzig. Ferdinand Sommer.
Hermann Osthoff: Etymologische Parerga. Erster Teil. Leipzig
1901. Vm, 378 S. 8^.
„Dem Bedürfnis unserer Zeit scheint es mir zu entsprechen, dafs
die wissenschaftliche Etymologie von der durch Fick inaugurierten
lexikographischen Behandluugsweise wieder etwas mehr einlenke in
Archiv für lat. Lexikogr. XIL Hoft 4. f^Q
590 ' Litteratur.
die weiland von Pott so erfolgreich beschrittenen Bahnen der zu-
sammenhängenden, begründenden und untersuchenden Darstellung, oder
wenigstens, dafs jene erstere Betriebsart nunmehr in erhöhtem Mafse
durch systematisches Arbeiten in der andern Manier und Richtung
ihre Ergänzung finde." Ich bin der letzte, der diesem Satz des Vor-
worts widersprechen möchte. Fast alle unsere Sammelwerke auf dem
Gebiete der Etymologie, insbesondere aber Ficks Vergleich. Wörter-
buch der indogerm. Sprachen — zu dessen erstem Band in vierter
Aufl. man Indogerm. Forsch. V 222 f. vergleichen möge — , setzen uns
neben wirklich guter Ware eine Fülle von Ladenhütern vor, die,
wenn sie überhaupt jemals Marktwert besessen haben, doch schon
längst und völlig verschlissen sind. Wenn es dem Verf. gelingen
sollte, hierin Wandel zu schaffen, so wird er sich kein geringes Ver-
dienst zusprechen dürfen.
Der Verf. teilt sein Buch in zwei fast genau gleiche Teile mit
den Überschriften I) Aus dem Pflanzenreich, II) Aus dem Tierreich,
und jeder der beiden Teile umfafst vier Kapitel, nämlich I) 1. Ceres
a creando, 2. Vom Kernholz, 3. Eiche und Treue, 4. Ahorn, und
II) 1. Hund und Vieh, 2. Vom Hörn und Homtier, 3. Wal, fpdkkaivaj
4. Frosch, froh und springen.
Ich begnüge mich, des Verf. Verfahren an einem Beispiel auf-
zuzeigen, und zwar an I) 3. ^Eiche und Treue'. Die Thatsache, dafs
die Stoffadjektiva aus lat. röbur 'Kernholz der Eiche* und aus griech.
TtQivog 'Steineiche', nämlich röbnstus und ngcvivog^ neben der eigent-
lichen Bedeutung *aus Eichenkernholz' die übertragene 'hart, fest,
derb' besitzen — vgl. unser ^hxigebüchen^ — , benutzt er als Aus-
gangspunkt für eine eingehende Untersuchung der Nachkommen- und
Verwandtschaft des gr. ÖQvg 'Eiche, Baum', ai. daru^ got. triu etc.
Stoffadjektiva daraus, die die gleiche Bedeutungsüberti-agung aufweisen,
sind ai. därunä-h (zu dam wie lat. Hig-tius zu tlex) 'hart, rauh' und
air. dran (aus *drunO's) 'fest'. Dazu auch ai. druna-tn 'Bogen,
Schwert' (eig. 'aus Eichenholz'), npers. durü/na 'Regenbogen', Käf.
smgdrön 'Hombogen' (eig. ^ FAchenholzhogen aus Hom'). Vgl. unser
'Bierfilze aus Porzellan' u. a. m. Das ags. Adjektiv trum 'fest, stark,
kräftig, gesimd' setzt ein idg. *trumO'S 'baumstark' fort, das als Sub-
stantiv in ai. drumd-h 'Baum', gr. öqü^i^d 'Gehölz' vorliegt, sowie 'mit
stärkerem Tiefstufeuablaut der ersten Silbe' (?) in d^fw-g 'Waldung'.
Dasselbe ü zeigt lat. düruß 'hart, rauh', es ist mit dem bedeutungs-
gleichen ai. däruna-h auch etymologisch verwandt; seine Grundlage
ist *drürO'S (vgl. lat. cibnim neben cribrum). Idg. u oder ü enthält
arm. tram aus urarm. *iruram, idg. *drurämi'8 oder -mo-s (vgl. ^^-
ftdg), Ableit. eines fem. Substantivs *drürä' (= lat. dura- fem. Adj.
'holzharte Masse'. Wieder eine andere Ableitung ist lit. drutas 'fest';
es stellt sich zu gr. ÖQ'O-g wie lat. rÖbustus zu röbur. Weiter gehören
hierher: gr. öqvov 'Ioxvqov' (Hesych), air. derb 'gewifs', got. triggws
'treu', trauan 'vertrauen', apreufs. druwis 'Glaube' — vgl. zum Be-
deutungsübergang gr. laxvgko^i. 'ich baue auf, traue' — , asl. sü-
dravü 'gesund', Aw. drvö 'gesund', ai. dhruvd'Ji 'fest", das sein dh
Litteratur. 591
statt d durch volksetymologischen AnschluTs an dhäraydti 'er hält fest'
bekommen hat; das dem Aw. drvö bedeutungsgleiche npers. dumst
wird als Kompositum * drti'St(h)ö'S 'in robore stans, qui in robore
est' gedeutet. Neben dem Adjektiv *dni8t(h)ö'S konnte ein Substan-
tiv * dreust(h)o-s oder -m bestehen — vgl. ai. dran 'firmus' aus *dru'
nö'S neben aind. dröna-m — , und dies ist thatsächÜch erhalten in
an. traust n. 'Sicherheit, Vertrauen', ahd. tröst m. 'Trost, Vertrauen'.
Diese Komposita bringen den Verf. endlich auf Wortzusammen-
setzungen, in denen idg. *dereu^ 'robur' als Anfangsglied mit dem
übertragenen Sinn der 'Stärke, Festigkeit' behaftet auftritt; so ai.
dru-nasä'h 'der eine klotzige Nase hat', dru-päda-h 'der klotzige Füfse
hat' — beide bei Grammatikern bezeugt — , femer der gallische
Eigenname DrutcUos, nach Stokes 'grofsstimig', und gall. dniides aus
*dru-\iid' eig. 'fort sage'.
Wenn ich mich auch nicht immer überzeugt und einverstanden
erklären kann, so empfehle ich das Buch doch angelegentlichst. Bei
der reichen Belehrung, die der Leser empfängt, wird er die epische
Breite, die sich insbesondere auch in der Art des Citierens kund-
giebt, ohne grofse Überwindung mit in Kauf nehmen.
Giefsen. Bartholomae.
Ferd. Sommer: Handbuch der lateinisohen Laut- und Formen-
lehre. Eine Einführung in das sprachwissenschaftliche Studiimi
des Lateins. Heidelb. 1902. XXHI, 693 S. 8^.
Verf. bezeichnet als Zweck seines der Sammlung indogermani-
scher Grammatiken von Prof. Hirt in Leipzig angehörenden Buches:
„dem Anfänger einen allgemein verständlichen Überblick über den
jetzigen Stand der lateinischen Sprachforschung zu ermöglichen". Dem
entsprechend vermeidet das Buch zweifelhafte Punkte so viel als
möglich. „Der Anfänger will vor allem in die Thatsachen der histo-
rischen Grammatik eingeführt sein, und so findet er bei mir das, was
ich persönlich fär richtig halte; der Widerstreit der Meinungen und
die Autorschaft dieser oder jener Ansicht ist ihm, wie ich aus Er-
fahrung weifs, ziemlich gleichgültig." Ein solches Buch setzt vor
allem Nüchternheit und Objektivität des ürteües voraus, welche S. in
hohem Grade besitzt. Seit 15 Jahren ist das sprachliche Material in
einer Weise vermehrt worden, dafs wir im stände sind, früher mit
Reserve aufgestellte Theorien zu bestätigen oder scheinbar begründete
zu widerlegen. Aus einem inschriftlichen fove = fave lernen wir, dafs
ov um das Jahr 200 vor Chr. in av überging. Die Form der
Foruminschrift sacros = sacer zerstört die Anschauung, dafs sacer,
ager u. s. w. der uritalischen Periode angehören. Ausnahmen der
alten phonetischen Gesetze sind aus dem Wege geräumt, neue aufgestellt
worden. Alles das hat S. gesammelt und jedes an seinen richtigen
Platz gestellt. So ist seine Lautlehre vollendeter als die meinige
oder die von Stolz, und wenn nicht neue Inschriften, namentlich dia-
39*
592 Litteratur.
lettische, gefunden werden, wird an dem Buche nicht mehr viel zu
verbessern sein; denn wir sehen jetzt schon die Modifikation der indo-
germanischen Laute durch die italischen Lippen und die Bedingungen
dieser Umwandlung. Seine Grammatik dient nicht nur, wie er be-
scheiden sagt, den Anfängern, sondern auch die Spezialisten sind ihm
zu Dank verpflichtet. Immerhin bleiben noch einige Kleinigkeiten
übrig, welche ein tieferes Eindringen in die archaische Litteratur
voraussetzen. Als Themata für solche Doktordissertationen nennen wir:
1) Der Übergang der Futuralform audibo in audiam. Stehen
beide Formen parallel nebeneinander, oder bedingen die Verba, bezw.
die erste oder zweite Person Sing., Unterschiede? Beispielsweise ist
scies häufiger als scibis.
2) Wie weit gilt im Altlatein das Gesetz vocalis ante vocalem
corripitur? Vgl. Bücheier, Rhein. Mus. 1886, S. 311 ff. Lindsay,
Einl. zu Plaut. Capt. 19. Die richtige Skansion bei Lucil. 3, 18 M.
scheint zu sein:
ind(e) DicaSarchitum populos Delumque minorem.
3) Die Grenzen der Verkürzung von sl zu sX, beispielsweise in
'siquidem'. Sommer S. 142. Kann ne, nicht nS, die ursprüngliche
Negation gewesen sein in neque, nequeo, nefas, nihil, nemo? Verhält-
nis von hödie zu hödie bei Plautus? Erkläruug von ilico, dSnuo, quäre,
eminus, refert, quömodo, quöminus, quölibet etc.
4) Geschichte der 5. Deklin. im Lateinischen, besonders das Ver-
hältnis der -ia-Formen zu den -ie-Formen; effigia, effigies. Die Über-
lieferung bei Plautus und der Anteil der Abschreiber an den jüngeren
Formen. Quantität von luxüries und paenüria. Unwahrscheinlichkeit
der Konjektur pestilenties (codd. pestilentia) bei Martial 3, 93, 17.
5) Geschichte der 4. Deklination. Mischimg der -o-Formen und
der -u-Formen, z. B. bei domus. Zeugnisse der Handschriften archai-
scher Autoren.
6) War die spanische und albanische Aussprache von lateinischem
Doppel-1 schon im Lateinischen vorausgenommen? Also obsequella
= obsequölia bei Plautus Asin. 65, bei Turpilius und Afranius nach
dem Zeugnis von Nonius p. 215 M.
7) Ist nicht die Accentuation aüdit (= audivit; Sommer S. 102)
gewöhnlich auch in der Poesie bestätigt durch das Zusanmienfallen
von Vers- und Wortaccent?
8) Haben ursprüngliche RO-Stämme im Nominativ regelmäfsig
-er, SO-Stämme dagegen -erus? Zu morigerus vgl. gestum; uterus geht
auf uterum zurück, pirus auf pii-um, oder es ist ebenfalls ein SO-Stamm.
Bei Plaut. Men. 957 ist zu lesen: liblit socrus, abiit medicus: denn
altlat. socrus als masc. wird von den Grammatikern bezeugt
Um mit einigen Randbemerkungen zu schliefsen, so möchten wir
dem Kapitel über Q, K, C (S. 28ff.) unsere besondere Anerkennung
zollen; wenn es auch wenig Neues enthält, so sind doch die That-
sachen lichtvoll dargelegt. Dafs die späte Beibehaltung von o nach
u in voltis u. s. w. nur ein graphischer Ausweg war, imi die Schrei-
bung von Doppel-u zu vermeiden, darauf wird man durch sultis (nicht
Litteratur. 593
soltis) geföhrt für si voltis. — Dafs das phonetische Gesetz, welches
eu in ou abänderte, noch in der historischen Periode wirksam war,
sehen wir an der lateinischen Form Polouces = IIoXvdsvKrig. — Hat
Cicero ignominia wie innominia ausgesprochen, wie man schliefsen
könnte nach Rep. 4,6: censoris iudicium nihil fere damnato nisi ru-
berem adfert: itaque, ut omnis ea iudicatio versatur tantum modo in
nomine, animadversio illa ignominia dicta est? Steht närro für
*gnäruro, als abgeleitetes Transitivum von gnärüris, wie memoro von
memorV — Ist palmeicrinibus (codd. pahnetcrinibus) bei Cicero orai
153 eine Zusammensetzung von palmeus und crinis? — Wie steht es
mit dem inschriftlichen, kürzlich gefundenen cosoled = consule, welches
S. 411 nicht erwähnt wird? Ich bedaure, dafs mir Dr. Sommer S. 551
gefolgt ist in der unmetrischen Konstitution von Naevius trag. 50 R.,
wo er inlicite Übi ansetzt; es mufs heifsen inlicite, eine Verbalableitung
von licium, nicht von illlcio. — Stehen die dialektischen (oskisieren-
den) Formen fimdatid, parentatid (S. 567) für fundassit, parentassit,
unter Annahme von tt == ss? — lOVESTOD der Foruminschrift
= iusto spricht sicher gegen die Änderung lOVESAT = iurat der Duenos-
inschrift in lOVASET. Sommer S. 620.
St. Andrews (Schottland). W. M. Lindsay.
Frid. Pradel: De praepoBitionum in prisoa latinitate vi atque
U8U. (Supplem. annal. philol. vol. 26.) Lips., Teubn. 1901. pg. 465
—576. S^.
Unsere Kenntnis der lateinischen Präpositionen ist namentlich
da mangelhaft, wo ims der Tursellinus von Hand im Stiche läfst,
also für secundum, sine, sub, super, supra, während för trans, ultra,
usque durch das Archiv gesorgt ist. Verf. hat sein Beobachtungs-
gebiet von a bis fini ausgedehnt, ist aber, was leicht begreiflich, über
das Jahr 100 v. Chr. nicht hinausgegangen. Er sucht namentlich die
semasiologische Entwicklung aufzuhellen, welche in der Zeit von Hand
zu kurz kommen mufste, und betont den historischen Faktor stärker
als früher. Die Angaben der alten Grammatiker sind sorgfältig
zusammengestellt, und aus den Inschriften ist neues Material in reicher
Fülle beigebracht. Wenn wir bisher beobachtet hatten, dafs in der
archaischen Litteratur circa fehlte und nur circum gebraucht sei, so
hat sich nun in der Inschrift Corp. inscr. I 198 XHT (122 vor Chr.)
doch circa eum gefunden, und ebenso wird die Regel, dafs das
archaische Latein nur adverbielles coram kenne, durch dieselbe In-
schrift XL. XLH coram eo, coram iudicibus umgestofsen, wozu dann
noch die unzweifelhafte Ergänzung coram arc^vorsario^ kommt. Richtig
dagegen bleibt, dafs citra junge Analogiebildung zu extra, infra, intra
ist; denn der neue inschriftliche Beleg Corp. I 603, 5 citra scalas
fällt in das Jahr 58 vor Chr. Es wäre sehr zu wünschen, dafs die
begonnenen Untersuchimgen in dem nämlichen Sinne fortgeführt würder
594 Litteratur.
Julius Wolff: De clausulis CiceronianiB. (Jahrb. f. class. PhiloL
Suppl.-Band 26.) Lips., Teubner 1901. 100 pgg. 8®.
Wolffs Arbeit, eingebender als die von Norden und Müller über
den gleichen Punkt, beruht auf zahlreichen und sorgfältigen Beobach-
tungen, die mit grofsem Fleifs und von seinem Standpunkt aus mit
Geschick verwertet und klassifiziert sind. Sie erweitert und vermehrt
die von jenen aufgestellten Klauseln. So weist Wolff nach, dafs der
Klausel A (- v^ _ ^ häufig ein Creticus oder Molossus vorausgeschickt sei.
Das ist richtig und konnte durch Ciceros Theorie selbst begründet
werden, der or. 216 sagt: sed hos cum in clausulis pedes nomino,
non loquor de uno pede extremo, adiungo, quod minumum sit, proxu-
mum superiorem, saepe etimn tertium. Wenn also im vorletzten Fufs
ein Trochaeus steht, so ist es darnach sehr wohl erlaubt, im dritten
noch einen Creticus zu setzen. Dafs dann für den Creticus ein Mo-
lossus steht, ist nichts Besonderes imd brauchte auch nicht als be-
sondere Regel bezeichnet zu werden (cap. 1, § 1, ü). Wenn nim Wolff
unter den Beispielen in erster Linie Brut. 6 (süstfn5r6t dolorem)
aufführt, so ist mir unklar, warum er hier nicht den wirklichen Satz-
schlufs atque orbatum teneret ( u _ f>^) berücksichtigte. Dieses
Beispiel erscheint weder hier, noch auch später unter der Rubrik
Elision (atque). Allerdings sucht Wolff einen Creticus vor Klausel A.
Metrisch aber ist kein Unterschied, ob davor ein Creticus oder Mo-
lossus steht. Wäre jedoch Wolffs Beispiel richtig, dann hätte dieser Satz
zwei Klauseln. Das ist aber undenkbar, zumal nach dolorem kein
Sinnesabschnitt ist. Die wirkliche Satzklausel liegt meiner Meinung
nach einzig und allein in atque orbatum teneret. Als erstes Beispiel
für Molossus vor Klausel A wählte Wolff vielmehr off. I 136: scrmö
debet väcäre. Auch das kann ich nicht fftr richtig halten. Erstens
steht auch dieses Beispiel wieder mitten im Satz, es folgt ne aut etc.,
zweitens, und das ist wichtiger, korrespondiert es inhaltlich und
rhythmisch mit motus animi nimios rationi non obtemperantes. Wie
wir nämlich im Leben die Leidenschaften fliehen sollen, so mufs
auch die Rede von leidenschaftlicher Bewegung frei sein. Die rhyth-
mische Form fär diesen Vergleich ist: rationji ^ ' ^- Hier
besteht also innerhalb des Satzes eine Responsion, die mir gar nicht
als Klausel gedacht scheint. Ich halte überhaupt für einen Fehler
der Wolffschen Arbeit — das bezieht sich auf die ganze Klausel-
theorie — , dafs er nicht in jedem einzelnen Fall den Satz als Ganzes
betrachtete. Ich wenigstens gelangte auf diesem Wege bei vielen
seiner Beispiele zu andern Resultaten. Zu welch schiefem Urteil eine
solche, die Periode nicht als Ganzes berücksichtigende Statuierung von
Klauseln führen kann, zeigt der Anfang der Rosciana: Credo ego vos,
iudices, mirari. Wolff bezeichnet das let;5te Wort als Palimbacchius,
wozu er die letzte Silbe in iudices, eine Länge, hinzunimmt und
wodurch er die Klausel Ag gewonnen zu haben glaubt. § 609 führt
Wolff überhaupt eine Anzahl Worte an, die als Palimb. zu messen
seien, denen Cic. entweder eine Länge oder einen Trochaeus voraus-
Litteratur. 595
schicke, um Klausel A^ und B^ zu erzielen. In jenem Anfang der
Rose, liegt die Sache aber ganz anders. Rhythmisch ist die Stelle
allerdings gedacht, aber nicht als Klausel, sondern als Ganzes:
-ow'.-u '-^, Choriambus mit zwei Kretikern, wie diese Versart
überhaupt gern verbunden zu werden pflegt (Wolff S. 589). Oder
glaubt man denn, dafs ein Redner in den ersten fünf Worten, die er
spricht, sein Augenmerk auf eine kunstvolle Klausel richte? Dafs
aber ein Autor dem Anfang seiner Worte eine rhythmische Form ver-
leiht, ist sogar bei den Geschichtschreibem nicht selten. Die Klausel
des ersten Satzes der Rosciana liegt nur in comparandus, das mit
voller Absicht an den SchluTs gestellt ist.
Ich mufs mir versagen, obgleich ich noch mehr Stellen aus der
Rosciana notiert habe, näher darauf einzugehen, da die abweichende An-
sicht besonders begründet werden müfste. Ferner ist es für jemand,
der auf einem anderen Standpunkt steht, schwer, da, wo blofs der §
ohne Wortlaut citiert ist, die gemeinte Stelle jedesmal zu finden; es
werden aber überhaupt bei dieser Einrichtimg wenige die so bezeich-
neten Stellen nachzuprüfen Lust haben.
Nachdem der Verf. über die verschiedenen Arten der Klausel,
dann über den Wert gesprochen, den Cicero ihnen beigelegt, femer
mit grofsem Fleiüs eine Statistik über die von ihm eruierten Klauseln
gegeben, geht er S. 599 fT. sogar der Cäsur innerhalb derselben nach,
der man aber nicht folgen kann, weil er die einschlägigen Stellen
nicht citiert. Wenn er auf den reinen Dichoreus 284 Stellen rechnet,
so wäre es interessant, zu wissen, wie viele davon auf eine Rede
kommen; denn Cicero verwirft or. cap. 63 die Anwendung vieler
Dichoreen: primum enim numerus agnoscitur, deinde satiat, postea
cognita facilitate contenmitur. Dafs aber Cicero durch die Cäsur
etwa gesucht hätte, Mannigfaltigkeit in den Dichoreus oder Dicreticus
zu bringen, glaube ich nicht. Ihm lag eine andere Incisio am Her-
zen, von der er ebenda spricht. 0 Marce Druse, patrem appello ist
ihm ein Beispiel von incisa dictio, wobei es ihm gar nicht auf die
Cäsur innerhalb des Dichoreus ankonmit; wenigstens sagt er nichts
davon. Man mufs den aus dem or. eben citierten Satz im Auge be-
halten, um cap. IV der WolflBschen Dissertatio zu würdigen. Hier
spricht er l) den Satz aus, dafs Cic. sich die Aufgabe gestellt habe,
alle Glieder der Rede dnrch Klauseln auszuschmücken, was ich für
unrichtig halte; 2) untersucht er an zahlreichen Beispielen, welche
Nomina und Verbalformen für sich allein eine Klausel bilden, und
welche des Zusatzes einer oder weniger Silben dazu bedürfen. Wenn
z. B. in der Klausel A (- o _ o^) die Cäsur nach der ersten Länge
steht, so war für den Rest ein Wort nötig, das einen Amphibrachys
bildete (^ - J): T I 19: principatüm tSnerö. Bei der Klausel A 2
( ~) brauchte der Redner, wenn die Cäsur nach der ersten Länge
steht, einen Palimbacchius, wofür er die schon behandelte und anders
erklärte Stelle Rose. 1 anführt Bei andern Klauseln bedurfte der
Redner eines Antispasts, Epitrits und anderer Metra. Man mufs sich
wundern, welche grofse Mühe der Verf. sich gegeben, um solche
596 Liiieraiur.
metrische Wortformen zu finden und sie mit seiner Klausel- und
Cäsurtheorie zu vereinigen. Ich kann dieser Theorie nicht folgen und
bin überzeugt, dafs Cicero nicht daran gedacht hat.
§ 633 ff. fuhrt Wolff einige Hilfsmittel zur Bildung von Klauseln
an imd bezeichnet als sehr geeignet hierfür besonders die Partikeln
que, atque, deren Verwendung innerhalb und auTserhalb der Klauseln
er durch ein reiches statistisches Material nachweist. Wie ängstlich
(anxie, an einer andern Stelle avide) Cicero nach Klauseln gesucht,
gehe daraus hervor, dafs er, um einen Trochaeus zu erhalten, dem
Dichter gleich (Plautus und Terenz) atque öfter vor Konsonanten
setze, wo sonst ac stehe. Cicero hat ja wohl gewifs hie und da
dieses Mittel angewandt, dafs aber z. B. off. § 17 utilitatibusque, wo
nicht einmal eine Interpunktion steht, als Klausel bezeichnet wird, ist
sicher unberechtigt. RA § 31 ist das rhythmische Verhältnis ein
ganz anderes, worauf aber nicht näher eingegangen werden kann.
Sehr richtig handelt der Verf. am Schlufs über Synalöphe, Eli-
sion, Hiatus und was damit zusanmienhängt. Zugeben kann man
auch, dafs die Klausel von Einflufs auf die Wortstellung war. Ver-
mifst habe ich bei dem Kapitel über Elision die Stelle Rose. § 153:
quem in locum rem publicam | perventuram putetis. Sie ist auch
S. 586 nicht verzeichnet, wo Wolff beweist „quantopere Cicero creti-
cimi vel molossum ante clausulam A efiicere studuerit^, imd doch ist
sie gerade hiefür ein gutes Beispiel. Indes ist gerade diese Stelle
geeignet, meine verschiedene Auffassimg über Ciceros Rhythmus zu
kennzeichnen. Es wäre durchaus unrichtig, hier blofs die Klausel in
Betracht zu ziehen. Diese (perv6ntüräm pütetis) hängt rhythmisch
aufs engste mit quem in locum rem publicam zusammen, also:
-u w_ 7 Süb.
^ _ u 7 Süb.
Die zweite Reihe also Molossus mit Klausel A, die erste ist ähnlich,
aber nicht gleich (beide kretisches Mafs mit Dichoreus am Schlufs).
Metrisch gleich soll eine Responsion nicht sein, sonst entstünde ein
Vers: versum vetat esse, numerum iubet (Aristoteles nach Cic. or.
§ 172), oder § 187 perspicuum est igitur numeris astrictam orationem
esse debere, carere versibus. Den Nimierus darf man jedoch nicht
allein in der Klausel suchen. Vielfach ist die Klausel der Schlufs
eines rhythmischen Ganzen. Im Metrum allein liegt der Numerus
aber auch nicht. Dieser ist überhaupt vielgestaltig, wie Demosthenes
zeigt, von dem Cic. or. § 136 sagt: et vero nullus fere ab eo locus
sine quadam cofiformaUone sententiae dicitur. Diese mannigfaltige,
oft schwer zu bestimmende conformatio sententiae bildet das Wesen
des Numerus. Es gab antike Rhetoren, die blofs dem Metrum nach-
gingen, wie es Neuere giebt, die nur Klauseln suchen. Eines ist so
einseitig wie das andere. Das wären traurige Redner gewesen, die
nur in ihrem Gedächtnis Worte und Wortformen aufhäuften, um sie
„jui^j^wr^xÄg*' als Klauseln zu verwenden. Allerdings ist eine Rede,
namentlich eine gerichtliche, nicht in allen Teilen von dem Numerus
durchzogen, aber eine gewisse conformatio sententiae ist meistens vor-
Litteratur. 597
handen, bestehe diese nun in kunstvollen Figuren, auffallender Wort-
stellung, abgegrenzter Silbenmessung, verschiedenartigen Klauseln oder
in metrisch geformtem Rhythmus. Das also, was Cicero im Orator
numerosum nennt, ist ein sehr mannigfaltiges Ingrediens der Rede.
Ciceros Lehre und praktische Übung beruht aber durchaus auf griechi-
schen Vorbildern. Bei Ljsias z. B., den Cicero or. § 20 als Muster
eines Attikers feiert (venustissimus ille scriptor ac politissimus), finden
sich, abgesehen von den in den Ausgaben verzeichneten rhetorischen
Kunstformen, manchmal rhythmisch genau umgrenzte Stellen. Wo er
Antithesen anwendet, verbindet er damit gern rhythmische Responsion.
An drei Stellen möge dies in Kürze zum Schlufs gezeigt werden.
Eratosth. § 78:
twv fiiv TtaQOvrav KccrafpQOv&Vj
Hier ist angewendet die Figur des ndqiisov und l^ioioxikBvxov ^ ferner
gleiche Silbenzahl (9) und metrische Ähnlichkeit. Femer vorher:
ötTUxltag fiiv iv iktyaqjla^
öiTUxUog S^ ^ iv SrifioT^axUc^
\J - _<w»UUU_V-/_
w _ _ u _ _ v^ u u _, je 10 Silben.
Metrische Ähnlichkeit imd Gleichheit der Silbenzahl liegen im Wesen
des TUXQtaov. Auch:
v7t€Q vfi&v &7to^av6vrogj
'iTciQ XYig avxov novriqlag^
\J \J - _uuu_u
v^u u_u_,je 9 Silben.
Sehr häufig ist diese genau sich entsprechende S3rmmetrie nicht, aber
sie kommt bei Lysias, Demosthenes und Cicero da vor, wo der Ge-
danke die symmetrische Form an die Hand giebt.
An einem andern Ort wird vielleicht Gelegenheit sein, eine Rede
Ciceros rhythmisch nach seinen Grundsätzen zu analysieren, wobei die
Klauseltheorie Wolffs von Nutzen sein kann, die aber jedenfalls einer
starken Einschränkung bedarf, weil er, wie oben an wenigen Bei-
spielen gezeigt ist, Klauseln statuiert, wo ein anderes rhythmisches
Verhältnis obwaltet.
Durlach in Baden. May.
Deususianu, Ovide: Histoire de la Langue Bomnaine. Paris,
Leroux 1901. Tome premier, fasc. 1. XXXI, 128 pgg. 8®.
Nachdem D. eine kurze kritische Übersicht über das gegeben
hat, was bereits zur Erhellung der rumänischen Sprachgeschichte ge-
schrieben wurde und aus den Worten und Erscheinungen derselben,
die vorlateinischen Sprachen zugeschrieben wurden, in äufserst vor-
sichtiger Weise jene wenigen ausgesondert hat, bei denen vor-
lateinischer Ursprung durch historisch-vergleichende Betrachtung und
598 Litteratur.
aus anderen Gründen als gesichert angesehen werden kann, geht er
auf die Darstellung des Lateinischen, wie es in den in Betracht
kommenden Provinzen gesprochen wurde, üher. Er nimmt zimächst
zu der Frage Stellung, inwieweit man berechtigt sei, innerhalb des
Lateinischen von Dialekten zu sprechen. Verf. leugnet die Existenz
von Dialekten, nimmt aber verschieden nuancierte Aussprache und
kleine Differenzen im Wortschatz an. Ich glaube, Verf. fafst das
chronologische Moment zu wenig ins Auge; mit der Berücksichtigung
desselben verschwindet der Streit um Schlagworte. In der ersten
Zeit nach Eroberung einer Provinz, d. h. solange hier das Lateinische
fast ausschliefslich von den römischen Soldaten und Kolonisten ge-
sprochen wurde, waren der sprachlichen Unterschiede sicher nicht nur
nicht viele, sondern überhaupt keine. Fassen wir aber die Zeit etwa
der Auflösung des weströmischen Beiches ins Auge, also eine Zeit,
wo das Lateinische länger oder kürzer, aber jedenfalls schon mehrere
Generationen hindurch im Munde der Eingeborenen gelebt und sich
fortentwickelt hat, so lassen sich starke dialektische Unterschiede
bereits a priori annehmen. Vgl. Arch. XII 380 ff. Thatsächlich mufs
z. B. der Verf. ein ficatum — ficdtum, secale — secdk, dui — dpi (= duo),
ciciUa — cuciita, teils Abfall, teils Verbleiben des Auslaut-s zugestehen,
und trotzdem es Verf. nicht ausdrücklich sagt, kann ein camisia
— camtsm, cannabis (span.-portug., afrz., franco-prov.; die Äufserung
Gauchats scheint Verf. S. 83 mifsverstanden zu haben) — cannebis,
mandicat — manducat (afr. manjue^ it. numuca) nicht in Abrede ge-
stellt werden u. s. w., wenn wir aus den roman. Sprachen auch viel
noch nicht direkt beweisen können und dort, wo wir darin zwar die
untere, aber nicht die obere Zeitgrenze eines Lautwandels, einer
Flexionsform etc. angeben können, immer im Zweifelfall die Erschei-
nung so spät als möglich ansetzen, um uns den Vorwurf eines
„Phantasielateins" zu ersparen, auch wenn innere Gründe für ein frühe-
res Datum sprechen. — Und noch in anderer Hinsicht kommt be-
sonders für uns Romanisten das chronologische Moment in Betracht.
Solange in zusammenhängendem romanischem Gebiet — auch bei
verschiedener ethnologischer Gnmdlage — Parallelergebnisse vorliegen,
können wir nicht entscheiden, ob gleiche lateinische Grundform oder
allmähliche Verbreitung von einer Region aus vorliegt. Darum ist
uns das Rumänische, das schon verhältnismäfsig früh auDser Kontakt
mit anderen latinisierten Gebieten gekommen ist, von besonderer
Wichtigkeit, was von D. übersehen wird (z. B. S. 48). So beweist der
Dativ der rumänischen Substantiva dem Latinisten und Romanisten,
dafs bis zu einer ziemlich späten Zeit dieser Kasus im gesprochenen
Latein fortbestand und nicht präpositionale Umschreibung (wie so
früh für gewisse Arten des Genetivs) eintrat. So zeigt das Rumäni-
sche (vgl. S. 70), dafs der Zusammenfall von e und t älter ist als
der von ö und ü. Und darum haben wir Romanisten besondem
Grund, die sorgfältige Darstellung der lateinischen Verhältnisse durch
D. mit lebhafter Freude zu begrüfsen, wenn sie auch an Erklärungen
und Material (trotzdem C. I. L. lU ausgebeutet wurde) nicht viel bringt,
Litteratur. 599
was ihnen nicht schon gut bekannt war. Denn da das Rumänische
viel weniger von uns berücksichtigt wurde, als es verdiente, so er-
scheinen die Thatsachen häufig in anderer Beleuchtung. Unrichtiges
begegnet wenig, das Wichtigste ist bereits von Meyer-Lübke, Lbl. f.
g. u. r. Ph. Sp. 208 f. , richtig gestellt worden. Nur noch einige
Bemerkungen: S. 80. Die Erklärung von giur = y'Oqog triflFb wohl das
Richtige, imd der Ersatz von griechisch v durch lat tu findet sein ge-
naues Gegenstück in der Aussprache iu {= ü) der Engländer, die
französisch sprechen wollen. — S. 91. cydonia == vulglt. codania, nicht
Assimilation, sondern griech. v = o, wie so oft. — S. 112. Mit der
Annahme, dafs qu vor o, u sich früh zu c vereinfacht habe, steht in
Widerspruch das auf derselben Seite für potimiche angenommene
Etymon quoturnix. — S. 122. ja aus jam in tonloser Stellung ist
nicht recht glaublich wegen cum y it. span. con, portg. com, sum
(= suum) y frz. son. Ich halte es für die vorvokalisch berechtigte
Form, also urspr. ja avemus, ja est^ aber jam bU)o, jan dico (vgl.
coeo — campono), und die Verallgemeinerung gerade dieser Form erkläre
ich mir aus dem besonders häufigen Grebrauch vor dem meist voka-
lisch anlautenden Hilfszeitwort beim umschriebenen Perfekt.
Bis jetzt liegt im ersten Heft blofs die Lautlehre und der An-
fang der Formenlehre des lateinischen Abschnitts vor. Auf die Fort-
setzung freuen wir uns.
Prag. Eugen Herzog.
Roh. Novak: In panegyriooB laÜnoB studia grammatica et cri-
tica. Pragae 1901. 83 pgg. 8®.
So grofs das Verdienst von Bährens ist, für die Kritik der Panegy-
riker den Codex Upsaliensis wiedergewonnen zu haben, so sehr hat er
es an ruhiger Überlegung fehlen lassen bei der Feststellung des
Textes. Mit einem allgemeinen lateinischen Sprachgefühl ist hier
nichts zu machen, sondern man mufs die Eigentümlichkeiten jedes
einzelnen Schriftwerkes, hier der gallischen Schulberedsamkeit des aus-
gehenden dritten Jahrhunderts nach Chr. (denn der Panegyricus des
Plinius wird ausgeschlossen) auf Grund sorgfältiger und vollständiger
Beobachtung festzustellen suchen. Diesen Standpunkt hat N., wie
schon in seinen Untersuchungen über die Script, bist. Aug. und über
Ammian, eingenommen. Die gallischen Panegyriker haben also als
Kausalpräposition propter gebraucht, ob nur in der Formel ob hoc
und ob haec; sie haben korrekt geschrieben densissima quaeque, aber
nicht fortissimi quique, was sich viele Spätlateiner gestattet haben;
sie haben auch hexametrische Satzklauseln wie constituisse vermieden
und consecrävisse vorgezogen. Andrerseits haben sie atque vor Kon-
sonanten gebraucht. Solche Dinge mufs man sicher wissen, bevor
man eigene Konjekturen macht oder die anderer beurteilt. Damit ist
die Untersuchungsmethode des Verf gekennzeichnet, wenn es auch hier
unmöglich ist, auf das Einzelne einzugehen.
600 Litteratur.
Gar. Schenkl: Ambrosii expositio evangelii Becundum Laoan.
(Corp. scr. eccles. lat. vol. 32.) Vindob. 1902. XXXX, 590 pgg. 8®.
Die 10 Bücher des Lukaskommentares sind, wie auch das Exameron
betitelte Werk, aus Predigten hervorgegangen, welche Ambrosius in
Mailand gehalten hat. Manches freilich ist weggefallen, was nur für
den Kanzelvortrag berechtigt war, manches hinzugekommen, was sich
för litterarische Veröffentlichung eignete, manches aber auch stehen
geblieben, was auf die kirchlichen Festtage Bezug hat. Begonnen
haben die Predigten im Jahre 385, abgeschlossen ist das Buch im
Jahre 389. Die älteren Erklärer, welche A. benützte, hat er uns
nicht genannt, mit Ausnahme einiger Häretiker, welche er mit Namen
bekämpft; nur die Lukashomilien des Origenes können wir namhaft
machen, weil sie von Hieronymus übersetzt und erhalten sind. Die
Bibelkenntnis des A. erstreckt sich auf das ganze alte und neue
Testament; das Markusevangelium tritt allerdings, wie auch bei andern,
sichtlich zurück. Unter den profanen Autoren steht Vergil, wie immer,
obenan; wenn wir der Naturgeschichte des Plinius begegnen, so wird
dies niemand befremdlich erscheinen, da Ambr. dieses Werk schon im
Exameron benützt hatte. Über das Einzelne werden wir durch den
*Index locorum' aufgeklärt; einen Index nominum erhalten wir frei-
lich nicht, und noch weniger Indices verborum, auf die wir wohl erst
hoffen dürfen, wenn die Ausgabe vollendet ist.
Die reinste Tertesquelle bietet der Codex Bobiensis saec. VII,
jetzt in schlimmem Zustande in Mailand und Turin. Als Karl Schenkl
seine Textesrevision begann, traute er freilich mehr der Petersburger
(aus Corvey stammenden) und der Oxforder (Bodleiana) Handschrift;
er sah dann den Irrtum selbst ein, war aber in der Herstellung der
Lesarten des Cod. Bob. nicht konsequent genug. Als er im Septem-
ber 1900 starb, war die Hälfte des Bandes gesetzt; die Vollendimg
übernahm sein Sohn Heinrich, Prof. in Graz, welcher es für nötig
hielt, auf S. 529 — 554 ein Adnotationis supplementum mit Zusätzen
über handschriftliche Lesarten und mit Parallelstellen aus Beda vor-
zulegen.
Car. F. Vrba, los. Zycha: Augustini opera. Sect. Vm, pars 2.
Vol. 42. Corp. Script, eccles. latin. Vindob. 1902. XXX, 333 pgg. 8®.
Obschon die Kommission des grofsartigen Unternehmens bereits
auf ein halbes hundert Bände zurückblicken kann, so zeigen uns doch
die Umschläge der Ausgaben unter dem Titel ^Praeparantur' eine
solche Fülle litterarischer Werke, dafs man, wenn man die noch
nicht in Angriff genommenen hinzurechnet, auch in femer Ferne noch
kein Ende zu sehen vermag. Es ist daher in Aussicht genonmien,
die Abschlüsse neuer Engagements zurückzustellen und dafür die seit
Jahren vorbereiteten Bände zum Drucke zu bringen. Hier stellt
namentlich der fruchtbare und jeder Zeit schlagfertige Augustin an
die Ausdauer der Bearbeiter hohe Anforderungen. Ein Band von
mäfsigem Umfange bringt uns jetzt 5 dogmatisch-polemische Abhand-
Litteratur. 601
lungen, De perfectione institiae hominis etc., welche V. und Z. ge-
meinschaftlich herausgegeben haben; das Nähere über die Arbeits-
teilung ist Praef. p. XXK mitgeteilt.
Der mittlerweile an die Spitze des österr. Kultusministeriums
berufene Leiter, W. von Hartel hat dem Unternehmen seine Dienste
geleistet durch Beschaffung wichtiger Handschriften, während der neu
in die Kommission eingetretene Extraordinarius Aug. Engelbrecht
seine Mühewaltung bis auf die Durchsicht der Korrekturbogen erstreckt.
Der Natur der Sache nach bieten die genannten Bücher dem klassi-
schen Philologen weniger Interesse als etwa die Confessiones oder das
Werk De civitate dei; aber für die Geschichte der christlichen Kirche
sind diese zwischen 415 und 419 verfafsten Schriften sehr wichtig,
namentlich für die Streitigkeiten mit dem britischen Mönche Pelagius
(Lehre von der Erbsünde) und die Polemik gegen Coelestius und
Julian. Die Schrift De nuptiis et concupiscentia bestand ursprüng-
lich nur aus einem Buche, zu welchem das zweite als ein Nachtrag
zur Abwehr neuer Angriffe hinzugekommen ist.
Pius Knöll: Augustini retraotationum libri duo. Corp. scr. eccles.
lat. Vol. XXXVL Vindob. XX, 217pgg. 8®.
Dem Unternehmen sind in letzter Zeit zwei Umstände zu gute
gekommen: dafs immer mehr die Handschriften nach Wien zur Kol-
lation versandt werden, diesmal sogar die älteste Petersburger Hand-
schrift saec. VIII, und dafs Prof. Aug. Engelbrecht nicht nur die Kor-
rekturen liest, sondern die Herausgeber in jeder Weise unterstützt.
Die Eetractationes hat derselbe Gelehrte kritisch bearbeitet, welcher uns
schon die Confessiones geliefert, und beide Schriften sind wohl die
wichtigsten zur Kenntnis des Augustin und seiner Lehre. Denn die
Retr. geben uns ein chronologisch geordnetes Verzeichnis seiner sämt-
lichen Schriften, welche im J. 427 auf 232 volumina angewachsen
waren. Diese Produktion wäre undenkbar, wäre A. nicht vorher
Professor der Rhetorik in Karthago und Mailand und daher auch
mit der griechischen Philosophie vertraut gewesen. Die ältesten
Schriften reichen über die Taufe zurück. A. teilt uns in den Retr.
nicht nur mit, unter welchen Umiständen die einzelnen Werke ent-
standen sind, sondern er erläutert auch deren Gliederung, z. B. die
Disposition des Werkes De civitate dei, und nimmt zurück, was er
geschrieben zu haben bereute, nennt auch die Anfangsworte jeder
Schrift, damit die Identität desto leichter konstatiert werden könne.
— Indices locorum retractatorum und scriptorum (Bibelstellen, patri-
stische und profane Litteratur) machen den SchluTs.
P. Huvelin: Los tablettes magiques et le droit romain. [Memoire
presente au Congris international d'histoire comparee, Paris 1900.|
Macon 1901. 66 S. 8®.
Deutsche und französische Forscher lenkten im letzten Jahi-zebnte
die Aufmerksamkeit der Philologen und Archäologen auf die zahl-
602 Litteratur.
reichen Fluchtafeln, welche uns aus der antiken Welt überliefert sind.
Der gelehrte Ljoneser Jurist Huvelin hat diese Arbeiten genau ver-
folgt und giebt uns in seiner Schrift zuvörderst eine treffliche Über-
sicht der Ergebnisse. Dabei macht er die richtige Beobachtung, dafs
gewisse typische Ausdrücke der antiken Fluchtafeln an technisch-
juristische Redewendungen anklingen. Aufser consecrare, voTere, spon-
dere sind es insbesondere die Worte obligare und damnare, die, in
den Fluchtafeln häufig verwendet, spezifisch juristische Bedeutung ge-
wonnen haben. Die Wiederkehr dieser Worte führt H. zu der Hypo-
these, dafs die altrömische obligatio sakralen Charakters gewesen sei
und dafs insbesondere die im Obligationenrecht so wichtige damnatio
ebenso wie die damnatio der Fluchtafeln eine religiöse oder magische
Bedeutung gehabt habe. Diese Hypothese hat viel Anmutendes.
Aber ich zögere doch, mich ihr anzuschliefsen. Die Grundbedeutung
von obligare und damnare ist binden und haftbar machen; Menschen
und Sachen werden einem Gott oder einem Menschen obligiert und
damniert in dem Sinne, dafs der Gott oder der Mensch über das,
was obligiert oder damniert ist, für einen bestimmten FaU Gewalt
haben soll. Wie derjenige, gegen welchen der Fluch gerichtet ist,
für einen gewissen Fall dem Gotte verfällt, welchem er obligiert oder
damniert ist, so verfällt, wenn die Schuld nicht bezahlt wird, die
obligierte Sache oder der obligierte oder damnierte Mensch (der auch
ein anderer als der Schuldner selbst sein kann) der Grewalt des
Gläubigers. Hiemach führt die Verwendung der bezeichneten Worte
in den Fluchtafeln und in der Rechtssprache auf einen hier wie dort
verwendbaren Wortsinn zurück und braucht daher keine Entlehnung
zu sein. Damit entfällt aber auch die Folgerung aus der religiösen
Bedeutung der Worte in den Fluchformeln auf die gleichartige Be-
deutung im Rechte.
München. L. Seuffert.
Berichtigang zn besta.
Die oben S. 400 aus Lactanz angeführten Belege sind als auf
Irrtum beruhend zu streichen. — Auch bei Primasius, Apocal. (Zahn,
Forschungen, Band 4), für welchen Hausleiter die Form besta ansetzt
(Seite 66 = 98), ist diese weder durch die Mehrzahl der Handschrif-
ten noch durch den Kasus (bestis = bestiis) gesichert.
Stellen register .
Seite
Accius fr. 29 B 681
Ambrosius, Hegesippus 465 f.
Ammian. Marc. 14, 6, 9 532 A.
Apuleius Met. 2, 15 96
2, 34 96
8, 2t 96
11, 18 96
Flor. 3 97
11
11
11
11
11
11
11
11
n
11
11
II
11
11
11
11
11
11
Aristoteles Hhetor. 3, 6 492 f.
Auetor a<l Herenn. 4, 45 648 ff.
Augustin civ. d. 2, 27 420
(Biblia) Eccles. 29, 8 331
Caecilius Statius 217 686
Caelius Aurel. ehren 173 f.
„ „ acut 809 f.
(Caesar) b. Hisp. Tit 168
1, 1 160
1,2 161
1, 4 162
2, 1 163
3, 4 164
3, 6 166
3, 6 166
3, 8 165
5, 6 166
6, 2 167 f.
7, 1 169
8, 2 169
9, 1 170
9, 3 171
16, 3 171
Cann. epigr. 488 B 217
„ 800 B 287
Cato Agr. 31, 2 207
Chiron. Mulom 401 ff. 651 ff.
Cicero Arat. Oberlieferung .... 637
296 601
461 637
1»
Seite
Cicero de deor. nat. 2, 109 686
„ Phil. 1, 16 424
de domo 127
11
11
11
11
11
„ Cato mai. 20 121
TuBC. 1, 89 382
Attic. 4, 1, 1 423
„ 12, 5, 3 336
Epist. 7, 6, 2 280
Claudius Quadrigarius 545 f.
Culex 537 A.*
Curtiufl 7, 6, 7 531
Donatus, Schol 284
„ Eun. 639 477
Epit. Alex. 29 189
11 101 281
Exuperantius 561 ff.
Florus 337
„ 1, 1, 8 453
Gellius 1, 24, 4 219
„ 20, 8, 7 199
Glossae 411 ff. 413. 420. 426
Hegesippus 465 f.
Horatius Carm. 4, 7, 21 523 A.*
„ 4, 15, 15 487
Epod. 17, 22 540
Epist. 2, 3, 467 438
Hygin Fab.. 14 93
„ „ 184 129
Inscriptio Corp. I 29. 30 332
1»
11
11
11
11
I 34
11
11
„ I 34, V. 6
„ II 3015
„ VI 14672
tit. Mumm
sen. cons. Bac
Isid. Orig. 9, 2, 105
1, 12, 6, 11
Juvenal 6, 90
Laevius fr. IIa Baehr
II
11
11
11
11
236
535
228
365
354
474
26
129
282
586
604
Stellen register.
11
11
11
Seite
Livius Andr. fr. 26 B 53Ö
,, ,f fr. 38 B 534
Lucilius 11, 4 M. (305 B.) 506 A.
14, 15M. (351 B.) 506 A.
26, löM. (5ü3B.) 536
30,98M. (710 B.) 506 A.
LucretiuB 6, 14 538 f.
ManiliuB 5, 840 463
Riartialis, Lemmata 455 f.
Notae Tiron 25 ff. 63
Ovidiufl Hcroid. 1, 24 518
„ 12 518
Amores 3, 7, 79 528
„ 3, 12, 40 520 A.»
Ars amat. 2, 622 . . . 520 A.*
Fast. 2, 858 542 A.
ex Pont. 2, 1, 43 532
[Ovidius] epist. Sapph. 23 . . . 520 A.
Pacuvius 384 535
Paulus Festi 420
Peregr. ad loca sancta 186
Placidi Gl 124. 149
Plautus Bacch. 274 201
Men. 680 99
Rud. 521 99
Stich. 339 99
Trin. 23 390
11
11
11
11
II
11
11
11
11
11
PlüiiuH nat. h. 18, 360 128
Poetae fraginentum 516 A.
PropertiuH 3, 20, 10 541 A.
Quintilianus 8, 6, 28 544 A.
„ 10, 1, 91 421
»1
11
1«
11
»1
Seit«
Quintilian 10, 1, 106 241
Rutinus dial. Adam 280
Sallust. bell. Cat 119
„ Hist. 1, 31M 574
Schol. (Ironov. Cic 284
Seneca dial. 7, 25, 2 20
Statius Achill. 1, 950 130
„ Silv. 5, 1, 83 199
Tacitus Dial. 13 348
Agr. 87 122
„ 42 121
Germ. Titel 117
Hist. 1, 7 351
„ 1, 15 350
„ „ 1, 65 141. 149
Ter. Phorm. 332 282
Tragic. fragm. ine. ine. 96 .... 535
Varro L. lat. 5, 63 510 A.
11 ,1 6,41 94
,. 11 7, 64 531
Veget. Ep. mil. 4, 15 264
„ Mulomed. pr. 6 339
Velleiu8 2, 7, 3 356
Vergilius Aen. 1, 589 478
„ „ 1,734 515 A.
„ „ 3, 428 542
,1 4i427 516
„ 4, 534 513 A.
„ 11, 844 520 A.
(Victor) Ei>. Caes. 5, 5 446
11 16, 12 451
1»
11
11
11
•«■**■
• % •
% ".
3 blDS PDS H3i yis
STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES
CECIL H. GREEN LIBRARY
STANFORD, CALIFORNIA 94305-6004
(415) 723-1493
All books may be recalied öfter 7 doys
DATE DUE
r